Pascal Schwendener
«Völker, hört die Signale! Auf zum letzten Gefecht! Die Internationale erkämpft das Menschenrecht.» Die letzte Strophe der Internationalen verhallt über dem Kornhausplatz. Die offizielle 1.-Mai-Kundgebung löst sich auf. Während die Gewerkschafter still zum traditionellen Risottoessen schreiten, ertönt beim Restaurant Les Pyrénées schon der Aufruf der Linksautonomen zur Nachdemo. Kämpferische Töne auch hier: «Heute ist der Tag des Widerstandes gegen die Ausbeutung des Kapitalismus», krächzt es aus dem Megafon. «Und heute ist auch der Tag des Widerstandes gegen den Krieg.»
Das Ziel der 300 bis 400 meist jugendlichen Demonstranten ist der bundeseigene
Rüstungskonzern Ruag im Wyler. Dort wollen die «radikalen Waffeninspektoren»
eine Waffeninspektion durchführen und den Konzern für einige Zeit
blockieren. Wie das «1.-April-Komitee», das vor einem Monat einen
Brandanschlag mit Molotowcocktails auf den Betrieb verübte, will auch der
«1.-Mai-Umzug» gegen die Waffenlieferungen der Ruag an kriegstreibende
Armeen wie jene im Irak-Krieg demonstrieren.
«Schweizer Waffen, Schweizer Geld morden mit in aller Welt» skandieren
die Demoteilnehmerinnen und -teilnehmer, verhalten sich sonst aber erstaunlich
ruhig. Der gefürchtete «schwarze Block» sei an die Nachdemo
nach Zürich gereist, heisst es. Und so verläuft der Umzug über
den Breitenrainplatz Richtung Wyler laut Polizeisprecher Franz Märki friedlich.
Er stellt nur «ganz wenig Sprayereien und keine Sachbeschädigungen
fest».
Als dann der Demozug allerdings die von der Polizei vorgegebene Route zum Wylerbad
erlässt und direkt über die Eisenbahnbrücke auf die «Waffenschmiede»
zusteuert, stellt sich ihnen ein Kordon von rund dreissig Grenadieren der Kantonspolizei
entgegen. Aber die Demonstranten lassen sich nicht von ihrem Weg abbringen.
Zweimal drängen sie weiter. Zweimal macht die Polizei ihnen nach kurzem
Handgemenge und einem Wasserwerfereinsatz Platz. Dann aber macht Einsatzleiter
Alfred Rickli klar, dass die «letzte Front», zwanzig Meter vor dem
Zaun der Ruag, erreicht sei und eingehalten werden müsse. Andernfalls brächten
seine Leute Reizgas zum Einsatz.
Die Demonstranten akzeptieren. Und während sie ihre Kleider zum Trocknen auslegen und die Grenadiere ihnen gegenüber in der Vollmontur schwitzen, darf ein halbes Dutzend «Waffeninspektoren» im weissen Overall das Haupttor der Waffenfabrik inspizieren und es mit «der längsten Friedensfahne der Schweiz» versiegeln. Derweil prangert GSoA-Aktivist Nico Lutz über Lautsprecher die «opportunistische Politik des Bundesrates» in Sachen Waffenexporten an. «Die Schweiz muss aufhören, Kriegsmaterial für den nächsten Krieg zu produzieren», fordert er. «Und die Ruag muss auf zivile Produktion umstellen.»
Um zwei Uhr löst sich die Demo auf. Die letzten Aktivisten machen sich auf der Standstrasse Richtung Reitschule und Bahnhof auf. Doch in der Lorraine werden sie nochmals von der Polizei eingekesselt. Die rund fünfzig Beamten fordern «die beiden Schutzschilde» zurück, die ihnen im Handgemenge abhanden gekommen seien. Doch die Schilde bleiben verschwunden. Erst nach erfolgloser Suchaktion und einer wenig erfolgreichen «Kollekte» unter den Demonstranten findet die Polizei ihre Schilde schliesslich selber in einer Nebengasse und rückt ab.