Sicherheitswahn total?

Nicht alles ist anders seit dem 11. September 2001. Jedoch hat sich das repressive Klima mit dem so genannten „Krieg gegen den Terrorismus“ vielerorts verschärft. Im Kontext des geschürten Sicherheitswahns hat der Überwachungs- und Strafstaat Auftrieb erhalten – auch in der Schweiz. Dieser Tendenz gilt es sich zu widersetzen, weil dabei gezielt Persönlichkeits- und Grundrechte ausgehebelt werden.

Die Schweiz macht beim Aufbau des autoritären Überwachungs- und Strafstaats tüchtig mit. Repression, Polizeigewalt und das Datensammeln haben in den letzten Jahren erschreckende Ausmasse angenommen, wie beispielsweise während der Proteste gegen das Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos und den G8-Gipfel in Evian deutlich sichtbar wurde. DemonstrantInnen wurden mit chemischen Reizstoffen, Gummischrot und Schockgranaten teilweise schwer verletzt und eingeschüchtert.
Gleichzeitig sammelte der Staatschutz fleissig Daten von GlobalisierungskritikerInnen. So wurden beispielsweise die Personendaten der DemonstrantInnen, die während des G8-Gipfels im autonomen Camp „Bourdonette“ in Lausanne eingekesselt und abgeführt wurden, dem Dienst für Analyse und Prävention (DAP) weitergeleitet. Der bisherige Höhepunkt in Sachen Einschüchterung und Massenerfassung von DemonstrantInnen fand jedoch im Januar 2004 in Landquart statt. Nach einem brutalen Gummischrot-, Schlagstock-, Tränengas- und Schockgranateneinsatz unterzog die Polizei 1'082 Personen, die an der bewilligten Demonstration gegen das WEF in Chur teilgenommen hatten und mit dem Zug auf dem Rückweg ins Unterland waren, einer Personenkontrolle. Diese Daten befinden sich nun ebenfalls in der Datenbank des DAP.

Ausserkraftsetzung von Persönlichkeits- und Grundrechten

Fünfzehn Jahre nach dem Auffliegen des Fichenskandals sind die Schweizer Behörden offensichtlich danach bestrebt, die präventive Telefonüberwachung und das Beobachten von Vorgängen in privaten Räumen im „Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit“ (BWIS) und im „Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Fernmeldeverkehrs“ zu legalisieren. Der Lauschangriff soll salonfähig gemacht werden. Bereits heute kann der militärische Auslandnachrichtendienst, der im Inland eigentlich keine Nachrichten beschaffen dürfte, mittels Satellitenüberwachungssystem ONYX „unabsichtlich erfasste“ Informationen über Personen in der Schweiz an den Staatsschutz weiterleiten.
Auf juristischer Ebene wird zudem gezielt an der Aufhebung von Grundrechten gearbeitet. Vor dem Hintergrund der Mobilisierungen gegen das WEF wurde in Graubünden im Zuge einer Teilrevision der kantonalen Polizeiverordnung ein Artikel verabschiedet, der es der Polizei erlaubt, unliebsame globalisierungskritische Personen aus dem Kanton wegzuweisen. Dies kommt einer selektiven Ausserkraftsetzung der Versammlungsfreiheit, der Meinungsäusserungsfreiheit und der Bewegungsfreiheit gleich. In Genf ist eine Gesetzesvorlage in der Pipeline, die das Demonstrationsrecht massiv einschränken soll: DemonstrantInnen könnten legal fichiert, Demonstrationen willkürlich verboten werden; OrganisatorInnen einer Demonstration würden zukünftig für allfällige Schäden haftbar, die in deren Umfeld begangen werden.
Diese Beispiele zeigen, dass die zur „Erhöhung der inneren Sicherheit“ propagierten „Massnahmen“ einem Angriff auf die Persönlichkeits- und Grundrechte gleichkommen. Während die soziale Sicherheit im Zuge der neoliberalen Offensive gezielt demontiert wird, feiert der Überwachungs- und Strafstaat Hochkonjunktur.

Angst als Herrschaftsmittel

Die gezielte Verschiebung vom Sozialstaat hin zum autoritären Überwachungs- und Strafstaat beruht auf einem manipulativen Mechanismus: In scheinbar demokratischen Verhältnissen basteln RepressionstechnokratInnen an immer schärferen Gesetzesvorlagen zur Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung; Sicherheits- und Ordnungspolitiker peitschen diese im passenden Moment unter Heraufbeschwörung von diffusen „Gefahren“ („Terrorismus“, „Überfremdung“, „Verfall der Nation“, „Vandalismus“, „Kriminalität“ usw.) durch die Parlamente. Mit der Angst der Bevölkerung ist in Zeiten der sozialen Prekarisierung politisch gut Geschäft zu machen. Die berechtigen gesellschaftlichen Ängste, die ihren Grund im Abbau der sozialen Sicherheit haben, werden von den Machthabern nach „aussen“ umgelenkt und in „Ressentiments“ gegen die „Anderen“ (so genannte „Chaoten“, „Asylanten“, „Drögeler“, „Bettler“, „Scheininvalide“ usw.) umgeformt. Effekt dieser populistischen Hetze ist, dass die kapitalistischen und staatlichen Produktionsmechanismen von Arbeitslosigkeit, Armut, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, gesellschaftlichem Ausschluss und sozialer Polarisierung vernebelt werden und der autoritäre Staat auf diesem Nährboden bestens gedeihen kann.

Wir sträuben uns gegen den geschürten Sicherheitswahn, den permanenten Ausnahmezustand, den autoritären Überwachungs- und Strafstaat und seine Protagonisten und kämpfen für soziale Gerechtigkeit weltweit.

Anti-WTO-Koordination Bern, August 2004

 

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