Die Schweiz macht beim Aufbau des autoritären Überwachungs- und Strafstaats
tüchtig mit. Repression, Polizeigewalt und das Datensammeln haben in den
letzten Jahren erschreckende Ausmasse angenommen, wie beispielsweise während
der Proteste gegen das Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos und den G8-Gipfel
in Evian deutlich sichtbar wurde. DemonstrantInnen wurden mit chemischen Reizstoffen,
Gummischrot und Schockgranaten teilweise schwer verletzt und eingeschüchtert.
Gleichzeitig sammelte der Staatschutz fleissig Daten von GlobalisierungskritikerInnen.
So wurden beispielsweise die Personendaten der DemonstrantInnen, die während
des G8-Gipfels im autonomen Camp „Bourdonette“ in Lausanne eingekesselt
und abgeführt wurden, dem Dienst für Analyse und Prävention (DAP)
weitergeleitet. Der bisherige Höhepunkt in Sachen Einschüchterung
und Massenerfassung von DemonstrantInnen fand jedoch im Januar 2004 in Landquart
statt. Nach einem brutalen Gummischrot-, Schlagstock-, Tränengas- und Schockgranateneinsatz
unterzog die Polizei 1'082 Personen, die an der bewilligten Demonstration gegen
das WEF in Chur teilgenommen hatten und mit dem Zug auf dem Rückweg ins
Unterland waren, einer Personenkontrolle. Diese Daten befinden sich nun ebenfalls
in der Datenbank des DAP.
Fünfzehn Jahre nach dem Auffliegen des Fichenskandals sind die Schweizer
Behörden offensichtlich danach bestrebt, die präventive Telefonüberwachung
und das Beobachten von Vorgängen in privaten Räumen im „Bundesgesetz
über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit“ (BWIS) und im
„Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Fernmeldeverkehrs“
zu legalisieren. Der Lauschangriff soll salonfähig gemacht werden. Bereits
heute kann der militärische Auslandnachrichtendienst, der im Inland eigentlich
keine Nachrichten beschaffen dürfte, mittels Satellitenüberwachungssystem
ONYX „unabsichtlich erfasste“ Informationen über Personen in
der Schweiz an den Staatsschutz weiterleiten.
Auf juristischer Ebene wird zudem gezielt an der Aufhebung von Grundrechten
gearbeitet. Vor dem Hintergrund der Mobilisierungen gegen das WEF wurde in Graubünden
im Zuge einer Teilrevision der kantonalen Polizeiverordnung ein Artikel verabschiedet,
der es der Polizei erlaubt, unliebsame globalisierungskritische Personen aus
dem Kanton wegzuweisen. Dies kommt einer selektiven Ausserkraftsetzung der Versammlungsfreiheit,
der Meinungsäusserungsfreiheit und der Bewegungsfreiheit gleich. In Genf
ist eine Gesetzesvorlage in der Pipeline, die das Demonstrationsrecht massiv
einschränken soll: DemonstrantInnen könnten legal fichiert, Demonstrationen
willkürlich verboten werden; OrganisatorInnen einer Demonstration würden
zukünftig für allfällige Schäden haftbar, die in deren Umfeld
begangen werden.
Diese Beispiele zeigen, dass die zur „Erhöhung der inneren Sicherheit“
propagierten „Massnahmen“ einem Angriff auf die Persönlichkeits-
und Grundrechte gleichkommen. Während die soziale Sicherheit im Zuge der
neoliberalen Offensive gezielt demontiert wird, feiert der Überwachungs-
und Strafstaat Hochkonjunktur.
Die gezielte Verschiebung vom Sozialstaat hin zum autoritären Überwachungs- und Strafstaat beruht auf einem manipulativen Mechanismus: In scheinbar demokratischen Verhältnissen basteln RepressionstechnokratInnen an immer schärferen Gesetzesvorlagen zur Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung; Sicherheits- und Ordnungspolitiker peitschen diese im passenden Moment unter Heraufbeschwörung von diffusen „Gefahren“ („Terrorismus“, „Überfremdung“, „Verfall der Nation“, „Vandalismus“, „Kriminalität“ usw.) durch die Parlamente. Mit der Angst der Bevölkerung ist in Zeiten der sozialen Prekarisierung politisch gut Geschäft zu machen. Die berechtigen gesellschaftlichen Ängste, die ihren Grund im Abbau der sozialen Sicherheit haben, werden von den Machthabern nach „aussen“ umgelenkt und in „Ressentiments“ gegen die „Anderen“ (so genannte „Chaoten“, „Asylanten“, „Drögeler“, „Bettler“, „Scheininvalide“ usw.) umgeformt. Effekt dieser populistischen Hetze ist, dass die kapitalistischen und staatlichen Produktionsmechanismen von Arbeitslosigkeit, Armut, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, gesellschaftlichem Ausschluss und sozialer Polarisierung vernebelt werden und der autoritäre Staat auf diesem Nährboden bestens gedeihen kann.
Wir sträuben uns gegen den geschürten Sicherheitswahn, den permanenten Ausnahmezustand, den autoritären Überwachungs- und Strafstaat und seine Protagonisten und kämpfen für soziale Gerechtigkeit weltweit.
Anti-WTO-Koordination Bern, August 2004