eBund, 2.9.03

Deiss fordert mehr Fairplay

Das Seco will den fairen Handel propagieren und initiierte die erste «Fair Trade Fair»

Bern verwandelte sich gestern in die Hauptstadt des fairen Welthandels: Hauptattraktionen waren der Markt auf dem Waisenhausplatz und ein Fussballspiel im Bahnhof.

Bern stand gestern im Zeichen des «fairen Handels». Publikumsmagnet war der Markt auf dem Waisenhausplatz, auf dem über 50Aussteller darunter auch die beiden grossen Detailhändler Migros und Coop ihre mit Gütesiegel versehenen Produkte präsentierten. Im Bahnhof traten die beiden Teams «Industrieländer» und «Entwicklungsländer» in einem inszenierten Prominentenfuss-ballspiel gegen einander an, wobei die zweite Mannschaft mit schweren Schuhen, Rucksäcken und Gewichten antreten musste. Damit sollte laut dem Veranstalter verdeutlicht werden, dass Industrie- und Entwicklungsländer noch immer mit ungleich langen Spiessen kämpften.
An der parallel stattfindenden Fachtagung mahnte Bundesrat Joseph Deiss, dass Armut nicht nur ein Problem der Armen sei. Fairer Handel fördere bei Firmen das Bewusstsein, dass sich soziales und umweltgerechtes Handeln wirtschaftlich lohne. Der faire Handel müsse das Nischendasein überwinden. Die WTO, multinationale Unternehmen und die Entwicklungszusammenarbeit müssten den fairen Handel propagieren, forderte Deiss. Für mehr Fairplay im Welthandel müssten die Entwicklungsländer in der WTO mehr Mitsprache haben. Weiter müsse ihnen bei der Umsetzung der WTO-Normen mehr Flexibilität eingeräumt werden.

Seco vorübergehend besetzt

Während Schaulustige dem Fussballspiel folgten oder über den Markt schlenderten und Gratis-Kaffee tranken, Gratis-Bananen assen und sich an den Gratis-Rosen freuten selbstverständlich waren alle Produkte mit einem «Max Havelaar»-Label versehen , besetzte eine Gruppe von Globalisierungskritikern das Büro des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) an der Effingerstrasse in Bern. Die Gruppe kritisierte in einer Mitteilung, dass das Seco als Hauptsponsor der Fair Trade Fair auftrete und gleichzeitig «neoliberale Positionen bei der WTO-Konferenz in Cancun vertritt, die alles andere als fair sind». Die etwa 15 Aktivistinnen und Aktivisten der Anti-WTO Koordination Bern und der Gruppe Direkte Solidarität mit Chiapas zogen um 14 Uhr wieder ab. Die Besetzung verlief friedlich, wie ein Sprecher der Stadtpolizei auf Anfrage sagte. Das Seco nahm seine Kritiker ernst und hat laut eigenen Angaben mit den Aktivisten ein Gespräch über die Vor- und Nachteile der Globalisierung und die Position der Schweiz in der WTO geführt. (fv)

 

Weltmarkt der Entwicklungsländer

Bern im Zeichen des fairen Welthandels

Unzählige Produkte, fair gehandelt, zu gerechten Preisen - Bern verwandelte sich gestern zur Hauptstadt des fairen Welthandels. Der «Fair Trade»-Markt auf dem Waisenhausplatz bot sinnliche Begegnungen mit Menschen und Produkten aus der Dritten Welt; an einem Symposium diskutierten Fachleute die drängenden Fragen zur Welthandels-Ordnung.

• MICHAEL SAHLI

«Hier wird nicht fair gespielt», mahnt Nationalrat Rudolf Strahm (sp). Zum «ersten Mal im Leben» moderiert der Berner Politiker einen Sportanlass. Seine Empörung ist gespielt sie ist Teil der Inszenierung. Am Montagmittag treffen in der Halle des Berner Hauptbahnhofs zwei kleine Fussballteams aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten:Das Team «Entwicklungsländer» (mit Olympiasieger Donghua Li) kickt in Flipflops und Wanderschuhen, trägt Rucksäcke, die einen in der Bewegungsfreiheit behindern. Das Team «Industrieländer», mit den Sportstars Erich Hänzi und Roberto Triulzi, gewinnt in Turnschuhen locker 10:0. Das Fiese:Auch die kleinsten Chancen der Benachteiligten pfeift der «Unparteiische» gnadenlos ab. «Die Spielregeln sind so, dass nur die reichen Länder gewinnen können», kommentiert Strahm. Weshalb? «Die Welthandelsorganisation WTO macht die Spielregeln.»

Das handelspolitische Fussballspiel in der Bahnhofsarena macht bildhaft deutlich, worum es am Aktionstag «Fair Trade Fair», der «Messe für den fairen Handel», in Bern geht. Im Vorfeld der WTO-Ministerkonferenz vom übernächsten Wochenende in Cancun (Mexiko) wird mit grossem Aufwand der Appell ausgesendet, dass fairer Handel zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern Grundlage ist für die Bekämpfung der Armut. Den Produkten, deren Herstellung Rücksicht auf Mensch und Umwelt nehme, soll so wünschen es sich die Initianten zum Durchbruch verholfen werden. Hauptsponsor ist das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Unterstützt wir der politische Appell und die etwas andere Produkteschau von den Claro-Läden, von Coop und Migros sowie von der sich für fairen Handel einsetzenden Max-Havelaar-Stiftung. Sie sind alle da:die Grosshändler, die ihren fairen Handel belegen, die Landeskirchen und auch die Teppich- oder Früchtehändler, die Verkäufer von Handarbeit und Kunsthandwerk, die Köche von exotischen Speisen die Botschafter einer lebensfrohen Dritten Welt total über 50 Aussteller. Der Waisenhausplatz gleicht mal einem afrikanischen Markt, mal einem Openair-Drittwelt-Lädeli. Viel Papier wird abgegegen. Helvetas, Brot für alle, Caritas werben für ihre Anliegen. Eine junge Frau sammelt Unterschriften für eine Petition, die Lindt und Sprüngli dazu bringen soll, Max-Havelaar-Schoggi ins Sortiment aufzunehmen. Laut Organisatoren gehen mehrere tausend Personen über diesen Weltmarkt der Entwicklungsländer.

Patrick Deegbe aus Ghana schneidet virtuos eine Ananas auf. Mit scharfen Schnitten löst er binnen Sekunden die Schale vom Fruchtfleisch, und kurz darauf fallen mundgrosse Stücke in den Teller. Deegbe kämpft gegen Armut und Abhängigkeit der Landwirtschaft in seiner Heimat. Deshalb hat er vor drei Jahren ein Unternehmen gegründet, welches Kleinbauern aus Ghana direkte Absatzmöglichkeiten in der Schweiz ermöglicht. Über 300 Abnehmer in der Schweiz hat die Lausanner Stiftung Terrespoir. Frische Papayas, Passionsfrüchte, Zuckerrohr oder Bananen wandern seit zehn Jahren von Kamerun in die Schweiz. Angebaut und geerntet werden die Früchte von rund 120 Bauern in Afrika. Wie André Räss von Terrespoir sagt, verdienen diese am Handel mit der Schweiz doppelt so viel wie auf dem heimischen Markt. «Wir hier in der Schweiz hingegen können kaum davon leben», sagt Räss. Dennoch: Die Firma generiere pro Jahr einen Umsatz von 700'000 bis 800'000 Franken. Der Duft von süssen Früchten liegt in der Luft. «Wegen der selektiven Ernte», meint Räss. Sonntags sind die Ananasplantagen noch voll reifer Früchte am Montagabend kommt die Lieferung in der Schweiz an. «Mit dem Flugzeug», gesteht Räss.

Bunte Teppiche aus Afghanistan sind am Stand der Stiftung Step ausgebreitet. Step bekämpft missbräuchliche Kinderarbeit in der Teppichproduktion und setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen ein. Mitgebracht hat die Kunstwerke Elisabeth Rubi, die an der Gerechtigkeitsgasse in Bern einen Laden mit Produkten aus dieser Region unterhält. «Die Teppiche stammen zum Teil aus Flüchtlingslagern bei Peshawar in Pakistan, wo afghanische Flüchtlinge seit Jahren ihr Handwerk weiterbetreiben», sagt Rubi. Sie fährt immer wieder hin, um lokale Händlern zu treffen. Neben Rubi steht ein Mitarbeiter von Möbel Pfister. Auch der Inbegriff gutbürgerlicher Einrichtungsmode heftet Step-Label an seine Teppiche. Wer das tut, muss jederzeit gewährleisten können, dass alle Produkte aus Unternehmen stammen, die auf soziale und gerechte Herstellungsbedingungen sezten. «Wir arbeiten gemeinsam für bessere Bedingungen im Süden», sagt Collette Schneider von der Kommunikationsabteilung der Stiftung Step. Was tun, ausser fair gehandelte Produkte kaufen? Der Verein Actares versammelt Aktionärinnen und Aktionäre «für nachhaltiges Wirtschaften» und wirbt auf dem Waisenhausplatz für den Beitritt zu ihnen. Die Idee: Aktionäre delegieren ihr Stimmrecht an Actares, welche so auf direktem Weg mit der Firmenleitung Kontakt aufgnehmen und das Gespräch suchen kann. «Wer wirtschaftlich in letzter Zeit untendurch musste, ist eher bereit, auf Nachhaltigkeit Rücksicht zu nehmen», so Vorstandsmitglied Ruedi Meyer. Denn: Plötzlich würden auch grosse Firmen einsehen, dass die Rücksicht auf finanzielleNachhaltigkeit durchaus sinnvoll sei. Ein Tram bimmelt. Es ist das «Fair-Trade-Tram», das in Bern unterwegs ist und hie und da auch an den Wartenden vorbeibraust. Das fahrende Mahnmal für fairen Handel holt die in Gespräche vertieften Marktbesucher vom exotischen Bazaar, vom Stand mit Finken und Kappen aus dem bolivianischen Hochland, von der hübsch hergerichteten Ecke mit Handelswaren aus Kalkutta zurück ins beschauliche Bern.

Denn auch in der Schweiz ist fairer Handel angebracht. So sieht es jedenfalls Brigitte Pauli von der Biofarm-Genossenschaft Kleindietwil: «Auch Schweizer Bauern sollen für Bioprodukte einen fairen Preis erhalten.» Nebst all den exotischen Produkten aus den vom Welthandel benachteiligten Entwicklungsländern komme dieser Aspekt auf dem Fair-Trade-Markt nicht so zum Tragen, sagt sie. 500 bis 600 Schweizer Betriebe sind Biofarm angeschlossen. Daneben sorgt sie beim Handel mit Afrika und Lateinamerika für faire Preise und Abnahmegarantien.
Auch der Berner Stadtpräsident Klaus Baumgartner ruft auf dem Waisenhausplatz dem neuen Berner Marktplatz dazu auf, fair gehandelte Produkte bei den Einkäufen zu bevorzugen. Sein Appell: «Fair sein zu anderen und nicht auf Kosten anderer leben.» Doch was tut Bern dazu, als selbst ernannte «Fair-Trade-City» für einen Tag? «Unser Märit ist ein beliebter Ort zum Einkaufen», sagt der Stadtpräsident. «Und da weiss man beim Einkauf stets, wer und was dahinter steht.»

 

«Wir sind Weltmeister»

Nur 0,01 Prozent des Welthandels ist «fair»

• FLORENCE VUICHARD

Bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Paris hatte die Schweiz keine Chance, eine Auszeichnung zu ergattern. Würden hingegen die Leistungen im fairen Handel prämiert, dann wäre ihr die Goldmedaille sicher. «Im internationalen Vergleich ist die Schweiz Weltmeister im fairen Handel», sagte Bundesrat Joseph Deiss gestern in Bern anlässlich einer Tagung zur «Fair Trade Fair». Jede vierte Banane, die hierzulande über den Ladentisch geht, trägt das Gütesiegel «Max Havelaar». Beim Honig liegt der Marktanteil bei zehn Prozent, beim Orangensaft bei sieben Prozent und bei Kaffee, Tee und Blumen bei je fünf Prozent. Im vergangenen Jahr belief sich der Umsatz mit den Max-Havelaar-Produkten auf 112 Millionen Franken.
Gut die Hälfte davon erwirtschaftete Coop mit seinen 28 Artikeln aus fairem Handel. Das sei ein ansehnlicher Erfolg, sagte Coop-Kommunikationschef Felix Wehrle. Doch so erfreut er sich über den nationalen Spitzenplatz in Sachen «Fair Trade» zeigte, so bedrückt gab er sich angesichts der internationalen Rangliste. Denn die «kleine» Coop Nummer 2 in der Schweiz, Nummer 25 in Europa belegt mit ihren 62 Millionen Franken Umsatz auch europaweit den ersten Platz. «Ich hoffe, dass der faire Handel sich künftig auch in anderen Ländern durchsetzt», sagte Wehrle.

Coop und Migros sei Dank

Die aussergewöhnliche Situation auf dem Schweizer Detailhandelsmarkt, auf dem die zwei orangen Riesen sagen, wo es lang geht, ist vielleicht mit ein Grund dafür, dass der faire Handel hierzulande so schnell Fuss gefasst hat. Denn nebst Coop bekennt sich auch Migros zu Max Havelaar. Und dieses Bekenntnis wiederum sorgt dafür, dass auch Lieferanten, die kein «Fair Trade»-Label verdienen, ihre sozialen und ökologischen Standards verbessern. Oder in den Worten von Fausta Borsanie, Leiterin Ethik und Umwelt bei der Migros: «Der Boden hebt sich, weil sich auch die Decke gehoben hat.» Doch die Erfolgsmeldungen aus dem Schweizer Detailhandel dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass weltweit nur 0,01 Prozent aller Güter fair gehandelt werden. «Der faire Handel muss das Nischendasein überwinden», forderte Wirtschaftsminister Deiss. Dazu müssten WTO, multinationale Unternehmen und die Entwicklungszusammenarbeit den fairen Handel propagieren. Deshalb initiierte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) nicht nur die gestrige «Fair Trade Fair» in Bern, sondern unterstützt auch eine internationale Veranstaltung von Nichtregierungsorganisationen (NGO), die ebenfalls in Cancun und parallel zur WTO-Konferenz stattfinden soll.

Afrika wird marginalisiert

Doch für die meisten Bauern in Afrika stellt sich die Frage nach dem Prädikat «fair» gar nicht; sie möchten einfach handeln. Afrika werde immer mehr marginalisiert, betonte Isabelle Mamaty, kongolesische Staatsbürgerin und Expertin in Sachen Welthandel. «Noch in den 80er-Jahren hatte der Kontinent einen Marktanteil am Welthandel von 4 Prozent. Jetzt sind es noch 1,7 Prozent.» Dieser Rückgang hat laut Mamaty mehrere Gründe: die stark subventionierten Agrarprodukte aus dem Norden, die Konkurrenz aus Asien sowie die politischen Krisen und Kriege innerhalb Afrikas. Zudem habe für Leute, die an Hunger leiden, Handel nicht die erste Priorität.

 

KOMMENTAR

Fussnote im Welthandel

• FLORENCE VUICHARD

Auf jeder vierten in der Schweiz verkauften Banane klebt das «Max Havelaar»-Gütesiegel. Und auch beim Kaffee, beim Honig oder den Schnittblumen achten die Konsumentinnen und Konsumenten vermehrt darauf, dass diese Produkte aus fairem Handel stammen sprich: die Bauern ihre Produktionskosten decken und sich selber und ihren Angestellten einen angemessenen Lohn bezahlen können. Die steigende Popularität der Max-Havelaar-Produkte zeigt sich auch im Umsatz: Dieser legte in den vergangenen Jahren jeweils um 30Prozent zu und dies in einem stagnierenden Markt.

Doch Zahlen sind relativ: Denn trotz dieser beachtlichen Entwicklung bleibt der faire Handel global betrachtet nicht mehr als eine Fussnote. Oder anders ausgedrückt: Nur gerade mal 0,01Prozent der weltweit gehandelten Güter verdienen das Gütesiegel «Fair Trade». Hinter den Zahlen stehen aber immer Menschen: Immerhin profitieren knapp eine Million Landwirte und Arbeiter in Afrika, Asien oder Lateinamerika mit ihren Familien sind es gar 5 Millionen Personen vom fairen Handel. So erhalten die Bauern zum Beispiel für ein Pfund Kaffee 124 Cents. Das ist mehr als das Doppelte des Preises, den sie auf dem ruinösen Kaffeeweltmarkt erzielen würden. Der Markt allein kann aber den aus privater Initiative heraus entstandenen fairen Handel nicht aus seinem Nischendasein befreien. Da ist vor allem die Politik gefordert zum Beispiel an der WTO-Konferenz in Cancun. Sie müsste die Spielregeln des Welthandels zugunsten der schwächeren Marktteilnehmer verändern. Denn solange die Industriestaaten ihre Agrarmärkte mit Subventionen und Zöllen vor Importen aus Entwicklungsländern schützen, so lange sind die fair oder weniger fair gehandelten Produkte aus den armen Ländern nicht konkurrenzfähig.



 

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