eBund 18.7.03

Offiziere in der Reitschule

STADT BERN In zivil statteten zwei Offiziere des Pädagogisch-Psychologischen Dienstes der Schweizer Armee der Reitschule einen Besuch ab. Das Ziel: Herstellung von Kontakten für das Projekt «Aggression» ein Lehrmittel für Soldaten zum Umgang mit Demonstranten. (cvb)

Zwei Offiziere zu Besuch in der Reitschule

Für ein Lehrmittel zum Umgang mit Demonstranten suchte das VBS direkten Kontakt zur Antifa-Bewegung diese will das Projekt aber nicht unterstützen

Der Psychologisch-Pädagogische Dienst der Armee will mehr über das Innenleben von Demonstranten erfahren, damit Soldaten in Konfliktsituationen besser reagieren können.

• CHRISTIAN VON BURG

Seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Ostens sucht die Schweizer Armee nach neuen Aufgabenfeldern. Nicht genug, dass sie Sturmholz wegräumt und bei Sportanlässen Support bietet: Sie schützt inzwischen am Rande von Demonstrationen auch wichtige Gebäude. Bei solchen Einsätzen können Soldaten auch in Kontakt mit Demonstranten kommen. Um mit dem «damit verbundenen Stress besser fertig zu werden» und «damit es nicht zur Eskalation» kommt, plant der Pädagogisch-Psychologische Dienst der Armee (PPD) nun ein Lehrmittel für Soldaten. Dieses Projekt trägt den Namen «Aggression». Dabei soll nicht nur die Sicht von Soldaten und Polizisten ein Thema sein. Damit sie eine «deeskalierende Haltung» einnehmen und «mehr Verständnis gegenüber konfliktträchtigen Situationen» aufbringen können, müssen sie auch das Innenleben der Demonstrierenden besser kennen lernen so die Überlegungen zweier Fachoffiziere des PPD. Folgerichtig legten die beiden ihre Uniformen ab und begaben sich in die Berner Reitschule, um direkten Kontakt zur antifaschistischen Bewegung zu suchen.

«Sehr geehrtes Kollektiv»

Dort stiessen sie auf wenig Verständnis für ihr Anliegen: Wenn sie etwas wollten, sollten sie ein offizielles Schreiben verfassen. «Meine Leute wurden sozusagen auf den Dienstweg verwiesen», sagt Peter Bolliger, Chef des PPD, «solchen Amtsschimmel hätten wir in der Reitschule nicht erwartet.» Die beiden Fachoffiziere liessen nicht locker und fassten ihre Anfrage schriftlich ab. «Sehr geehrtes Kollektiv», begannen sie ihr Schreiben und holten aus: Die Armee befinde sich im Wandel, denn sie müsse sich dem Wandel der Gesellschaft anpassen und «versuchen, im Rahmen ihres Auftrags auf deren Bedürfnisse einzugehen». Milizsoldaten, welche «in subsidiären Einsätzen wie G-8 oder WEF» eingesetzt werden, sollten sich mit dem geplanten Lehrmittel «mental auf ihre Einsätze vorbereiten». Denn Soldaten, die solche Einsätze leisten müssten, täten dies «vielleicht ohne viel Motivation, weil sie sich den Menschen im Demonstrationszug ebenfalls verbunden fühlen und deren Beweggründe und politische Ansichten unter Umständen sogar teilen». In ihrem Brief bitten die beiden Offiziere die Reitschul-Aktivisten um Mithilfe auf der Suche nach Personen, die bereit sind, über ihren «Umgang mit Aggressionen und Konfliktsituationen» offen zu sprechen und sich für das geplante Lehrmittel interviewen und filmen zu lassen. Möglicherweise sei das Kollektiv nicht der richtige Ansprechpartner, schliessen die beiden Offiziere. «Dann wären wir erfreut, wenn Sie sich bereit erklären könnten, uns an die Antifa-Bewegung zu empfehlen.»

«Nicht in unserem Interesse»

Die Anti-WTO-Koordination Bern, die Antifa Bern, die Vereinigung Jugend gegen den Krieg und auch die Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule dachten jedoch nicht im Traum daran, dem Anliegen der Armee zu entsprechen. Stattdessen setzten sie dem Schreiben der beiden Offiziere eine eigene Stellungnahme voran und wandten sich damit an die Presse: «Es ist nicht in unserem Interesse, die Gewissenskonflikte von Soldaten, die gegen DemonstrantInnen eingesetzt werden, zu beschwichtigen oder zu verringern», schreiben die Reitschul-Aktivisten. Sie möchten die Soldaten im Gegenteil dazu ermutigen, solche Einsätze offen abzulehnen. Die Aktivisten äusserten zudem die Befürchtung, dass die Armee entgegen ihren Beteuerungen den direkten Einsatz von Soldaten gegen Demonstrierende plane. Der Chef des PPD dementiert: «Man will sicher keine Milizler auf Demonstranten loslassen», sagt Bolli. Er steht hinter seinen Mitarbeitern, die «ganz spontan» in die Reitschule gegangen seien. «Wenn diese Leute nicht mit uns zusammenarbeiten wollen, können wir sie nicht zwingen es gibt auch noch andere Demonstranten.»

 

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