NZZ, 4.9.2003, S. 23

Wirtschaft

Gerhard Schwarz

Herausgegriffen

Ist freier Handel unfairer Handel?

Es mag überraschen, wenn in diesen Spalten zu lesen ist, dass das kleine globalisierungskritische Häuflein, das am letzten Montag im Rahmen der sogenannten "Fair Trade Fair" kurze Zeit das Büro des Staatssekretariates für Wirtschaft (Seco) besetzt hat, in einem Punkt für einmal völlig Recht hat: Es besteht tatsächlich ein eklatanter Widerspruch zwischen dem, was Volkswirtschaftsminister Joseph Deiss in seiner Rede am Montag sagte, und dem Einsatz für eine umfassende, marktwirtschaftliche Welthandelsordnung, den die Schweiz an der fünften WTO-Ministerkonferenz vom 10. bis 14."September in Cancún (hoffentlich) leisten wird. Nur dass dieser Widerspruch anders aufzulösen ist, als es sich die WTO-Gegner vorstellen. Stossend sind nicht die liberalen Positionen - die Kritiker nennen dies fälschlicherweise "Neoliberalismus" -, die aus dem Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement kommen; stossend ist die Anbiederung gegenüber dem populären, aber dadurch nicht richtigeren Schlagwort vom "fairen Handel".

Das Schlagwort ist anmassend und falsch zugleich. Anmassend ist es, weil es suggeriert, der überwiegende Teil des Handels sei unfair: Nur jener Handel, der ganz bestimmten sozialen und ökologischen Restriktionen unterworfen und entsprechend weniger frei wäre, gälte demzufolge als fair. Wer Produkte ohne entsprechendes "Label" kaufte, handelte unfair, um nicht zu sagen, unmoralisch. Das ist starker Tobak.

Und dass es falsch ist, sollte gerade der Ökonom Deiss wissen. Nicht nur gemäss der klassischen Theorie des internationalen Handels, sondern auch weil nach aller Erfahrung freier Handel fairer Handel ist. Er basiert auf Freiwilligkeit, und er setzt nicht etwa eine gleichgewichtige Verhandlungssituation voraus, wie gerne postuliert wird. Nur Monopole, und zwar im Falle der Entwicklungsländer in der Regel Nachfragemonopole, stellen ein Problem dar. Aber aus der Tatsache, dass Handel zwischen ökonomisch ungleichen Partnern stattfindet, kann genauso wenig auf ungenügende Fairness geschlossen werden wie aus der Tatsache, dass Menschen zu sehr niedrigen Löhnen arbeiten oder lange Arbeitszeiten auf sich nehmen.

Wer verlangt, im Sinne der "Fairness" müssten die Arbeits- und Umweltbedingungen in den Entwicklungsländern jenen in Europa angepasst werden, hilft nicht den Armen in diesen Ländern, sondern schützt höchstens die Industrie der entwickelten Staaten. Der frühere mexikanische Botschafter in den USA, Jesus Reyes-Heroles, hat in diesem Zusammenhang einmal formuliert, arme Länder könnten nicht zwischen schlecht bezahlten Jobs und gut bezahlten Jobs wählen, sondern nur zwischen schlecht bezahlten oder gar keinen Arbeitsplätzen. Nicht umsonst weisen Entwicklungsländer, die sich dem Freihandel verschrieben haben, ein höheres Wachstum und einen höheren Wohlstand auf als Länder mit protektionistischer Attitüde.

Das Konzept des "fairen Handels" ist aber auch in einem doppelten Sinne unehrlich. Zum einen ist es reichlich vermessen, die Schweiz als "Weltmeister des fairen Handels" zu bezeichnen, wenn man weiss, wie sehr die heimische Landwirtschaft mittels Subventionen und Protektionismus vor der Konkurrenz aus den Entwicklungsländern geschützt wird. Der Nutzen freien Zugangs zu den Märkten des reichen Nordens wäre für die armen Länder um einiges grösser als der Effekt aller Entwicklungshilfe und allen "fairen Handels" - sofern dieser nicht ohnehin kontraproduktiv wirkt - zusammengenommen. Aber davon spricht man lieber nicht, weil man damit nur den Widerstand einer gut organisierten Interessengruppe weckte.

Zum anderen ist - worauf Deiss zu Recht hinwies - die Etikette "fairer Handel" nicht zuletzt ein Marketinginstrument. Es gibt in den reichen Ländern einen Markt für Produkte mit Siegeln aller Art, für Eier von "glücklichen Hühnern", für Nahrungsmittel ohne Zusätze, für Möbel aus heimischen Hölzern. Genau so gibt es aber auch einen Markt für möglichst billige Eier, für Esswaren, die mit Zusätzen haltbar gemacht wurden oder deren Geschmack chemisch verstärkt wurde, oder für besonders wetterfeste und deshalb vielleicht aus Tropenhölzern gefertigte Gartenbänke. Die Konsumenten sollten sich frei für die Produkte ihrer Wahl entscheiden können, die einen für dies, die anderen für jenes. Saubere und präzise Produktedeklarationen können dabei helfen. Suggestive und emotionsgeladene Etiketten wie jene vom "fairen Handel" führen dagegen in die Irre, weil sie den freien Handel diskreditieren, vor allem aber, weil sie von der zentralen Unfairness des ungenügenden Marktzugangs für die Entwicklungsländer ablenken. Insofern dienen sie mehr der Beruhigung des Gewissens der Käufer in den Industrieländern, als dass sie nachhaltig die Position der Produzenten in den Entwicklungsländern stärken, und zwar eben nicht nur einiger weniger und ausgewählter, sondern aller, die Waren herstellen, für die eine Nachfrage bestünde - sofern man sie nur liefern liesse.

 

 

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