Acht Grosse gegen Afrika

In Evian werden die G8 zusammen mit afrikanischen Staatschefs an der "Neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung" (NEPAD) weiter werkeln. Schon jetzt zeichnet sich ab: Das Liberalisierungsprojekt NEPAD wird Afrika noch weiter ins Fahrwasser der multinationalen Konzerne treiben. Dagegen formiert sich im alten Kontinent der Widerstand. Die hiesige Linke tut gut daran, sich ihm anzuschliessen.

Die einstige Wiege der Menschheit ist am Ende. Die Hälfte der in Afrika wohnenden Menschen lebt von weniger als einem US-Dollar. 200 Millionen AfrikanerInnen, also mehr als ein Viertel, leiden chronisch an Hunger. Jede fünfte Person lebt in kriegsversehrten Regionen. 140 von tausend Kinder sterben jährlich, bevor sie ihr fünftes Lebensjahr erreicht haben. Die Lebenserwartung beträgt 54 Jahre. 45 Millionen Kinder haben in Afrika keine Chance, die Schule zu besuchen. Jedes Jahr sterben zwei Millionen Menschen an AIDS, 600000 an Tuberkulose und eine Million an Malaria. 800000 Kinder sterben jährlich an Diarrhöe, 1,2 Millionen an Pneumonie, eine halbe Million an Masern. 250000 Frauen sterben jährlich bei der Geburt ihrer Kinder. Selbstverständlich haben fünfhundert Jahre Kolonialismus und die darauf folgenden Unabhängigkeitskriege erheblich zu dieser Situation beigetragen. Dem unaufgearbeiteten Erbe des Kolonialismus folgten Militärdiktatoren, die mit ihrer Gier etliche Länder weiter herunterwirtschafteten. Viele Schreckensherrschaften wurden von den ehemaligen Kolonialherren unterstützt, Putsche und politische Morde von deren Geheimdiensten geplant. Diese Zeit des Neokolonialismus war charakterisiert von einem rücksichtlosen Raubbau an Rohstoffen, was dazu geführt hat, dass neben Banken und Versicherungen heute Rohstoff-Multis zu den grössten Firmen der Welt gehören. Für Afrika bedeutete dies, dass der industrielle Wachstum zwischen 1960 und 1990 von acht auf ein Prozent sank.

Probleme der Grosswirtschaft

Doch dies ist nur die halbe Wahrheit. In den folgenden Jahren zwangen Weltbank und IWF die afrikanische Länder im Rahmen ihrer Strukturanpassungsprogramme, etliche (halb)staatliche Unternehmen zu privatisieren. Auf dem Höhepunkt dieser Welle (1988 bis 1994) brachten die Privatisierungen jedoch nur lächerliche 2,4 Milliarden Dollar in die öffentlichen Kassen. Zum Vergleich: Allein 1991 verliessen schätzungsweise 135 Milliarden Dollar Afrika, also 125 Mal mehr als die Auslandsdirektinvestitionen, die zudem ausschliesslich in den Rohstoffsektor flossen. Die Privatisierungen haben mehr Geld aus Afrika als ins Kontinent geschafft. Die Folgen waren verheerend. In Kongo, Äthiopien, Gabun, Lesotho, Mauretanien, Eritrea, Sudan, Djibuti und Simbabwe erhöhte sich zum Beispiel die Zahl der Kinder, die keine Schule besuchen können. Die Lebenserwartung sank stark in Simbabwe, Swaziland, Botswana, Kenia, Namibia und Lesotho - auf etwa 44 Jahre. 1990 betrug die Kindersterblichkeitsrate in Lesotho, Nigeria, in der Demokratischen Republik Kongo, in Mauretanien, Angola und Niger neunzig Promille. 1999 starben in diesen Ländern 120 von tausend Kinder, bevor sie fünf Jahre alt wurden. In Simbabwe, Kenia, Kamerun, Ruanda, Sambia, Burkina Faso und der Elfenbeinküste starben 1999 gar 135 bis 150 von tausend Kindern vor ihrem fünften Geburtstag. Nicht nur ethisch ist dies eine Katastrophe. Der Anteil Afrikas am Welthandel halbierte sich von drei Prozent 1990 auf 1,7 Prozent im Jahr 2001. Da der Grossteil dieses Handels aus Rohstoffen (insbesondere Bergbau, Erdöl und Erdgas) besteht, die in der Hand der Grosskonzerne sind, bedeutetet dieser Rückgang aber nichts anderes, als dass vor allem deren Gewinne innert eines Jahrzehnts bedeutend geschrumpft sind. Kommt hinzu, dass die zunehmend darbende Infrastruktur einen grossen Teil der Profiten auffrisst. Afrikas Probleme sind mittlerweile auch die Probleme der Multis.

Es tut sich was

Vier afrikanische Staatspräsidenten, die an Universitäten im Westen studiert haben, propagieren seit einigen Jahren eine "Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung" (NEPAD). Es sind dies Abdoulaye Wade aus Senegal, Abdelaziz Bouteflika aus Algerien, Thabo Mbeki aus Südafrika und Olegun Obasanjo aus Nigeria. Am 11. Juli 2001 erreichten sie die Annahme ihrer Pläne durch die Afrikanische Union, an der sich mittlerweile 43 der 53 afrikanischen Staaten beteiligen. Mit dieser Legitimation in der Tasche fuhren die Staatschefs zehn Tage später zum G8-Gipfel nach Genau, wo sie erfolgreich für ihre Idee warben: Die acht Grossmächte, die gemeinsam sechzig Prozent des Welthandels unter sich aufteilen, nominierten je einen persönlichen Vertreter für Afrika, der sich der NEPAD annehmen sollte. Am G8-Gipfel von Kanananskis (Kanada) vom 25. bis 27. Juni 2002 präsentierte die Arbeitsgruppe einen Aktionsplan, dessen Umsetzung im Juni 2003 in Evian erstmals geprüft werden soll. Der Aktionsplan konzentriert sich auf vier Grundinitiativen. Die G8 versprechen eine Erhöhung ihrer Entwicklungshilfe von derzeit zwölf auf 18 Milliarden Dollar. Diese Hilfen sollen den ärmsten Staaten in Form von Subventionen anstatt Krediten zukommen. Exportgüter aus den ärmsten Staaten sollen von Zöllen und Gebühren befreit werden. Der Marktzugang aus Freihandelszonen soll verbessert werden. In Kanananskis wurden keine unmittelbaren finanziellen Engagements seitens der G8 beschlossen. Der G8-Tagungspräsident Jean Chrétien, Kanadas Premierminister, liess sich gar zu einer Erpressung verleiten: "Der Aktionsplan ist eine Partnerschaft. Sollten sie ihren Teil nicht erfüllen, wird kein Geld kommen." Damit meinte er die Versprechungen der NEPAD-Initianten, die immer wieder auftauchen, nämlich ihre öffentlichen Angelegenheiten besser zu verwalten, gegen Korruption zu kämpfen, Handels- und juristisch-administrative Schranken gegen Investitionen abzubauen und Güter aus Industrieländern die Freizügigkeit zu gewähren. Dennoch gab sich Abdoulaye Wade zufrieden: "Wenn sie sagen, dass sie uns helfen werden (...), haben wir Grund zu glauben, dass sich etwas tun wird." Fragt sich nur was. Die "Erfolgsrezepte" der NEPAD sind nichts anderes als die Fortsetzung der früheren IWF- und Weltbank-Konzepte. Wie zahllose Berichte über die Auswirkungen dieser Konzepte bestätigen, haben sie ihre Ziele weitgehend verfehlt. Nun ist die Vergabe von Krediten rechtlich eine Finanztransaktion. Wie bei Finanztransaktionen üblich hat eine Partei dabei das Recht - und im Fall von Staatsverträgen die Pflicht -, sich von ihr zurückzuziehen und Entschädigung zu verlangen, wenn diese zu ihrem Nachteil gereicht. Stattdessen biedern sich die führenden Köpfe Afrikas den G8-Chefs an. Nicht einmal die ständige Verletzung der selbst auferlegten internationalen Handelsregeln vermögen Wade und Konsorten anzuprangern. Denn - um mit den Worten von Weltbank-Chefökonom Nick Stern zu reden - die Handelsschranken der reichen Industrieländer gegenüber Drittweltprodukten sowie deren skandalöse Agrarsubventionen sind ein Haupthindernis im Kampf gegen die Armut. Kommt noch hinzu, dass die Industrieländer nicht wie angekündigt die Schulden der 22 am höchsten verschuldeten afrikanischen Länder tatsächlich gestrichen haben. Auch stellen die G8 immer noch nicht wie versprochen 0,7 Prozent ihres Brutto-Inlandproduktes für Entwicklungshilfe zur Verfügung. Doch in dieser Hinsicht stellen sich die NEPAD-Verantwortlichen lieber in die Rolle der Bittsteller und setzen auf Kontinuität, indem sie Ex-IWF-Chef Michel Camdessus als Koordinator ihres Projektes nominieren wollen.

An die Gemeinschaft denken

Genau hier setzen afrikanische GegnerInnen der NEPAD an. Zeitgleich zum letztjährigen G8-Gipfel in Kanananskis trafen sich zweihundert NGO-Vertretende aus Westafrika und Europa zum "Gipfel der Armen" in Siby, einem malischen Dorf 52 Kilometer von Bamako entfernt. Sie lehnen die NEPAD nicht nur ab, weil sie bei dessen Ausarbeitung nicht konsultiert wurden. Die Mitglieder des Gegengipfels forderten die totale Streichung der afrikanischen Schulden ohne Wenn und Aber. Während des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung vom 26. August bis 4. September 2002 in Johannesburg gingen Zehntausende von Menschen alleine aus dem benachbarten Township Alexandra auf die Strasse und riefen Parolen gegen NEPAD. Zwei Monate später trafen sich verschiedene regierungsunabhängige ExpertInnen in Harare (Simbabwe) und forderten die Ausarbeitung einer tatsächlich neuen Entwicklungsstrategie für Afrika anstelle der vorgeschlagenen Fortschreibung der neoliberalen Wirtschaftspolitik à la NEPAD. Nochmals zwei Monate später - anlässlich der Vorbereitung des Weltsozialforums in Porto Alegre - trafen sich 250 Vertretende von Bauern-, Arbeitenden- und Kunstverbänden aus 43 Ländern zum zweiten Afrikanischen Sozialforum in Addis Abeba (Äthiopien). In ihrer Schlussresolution forderten sie nicht nur die Schuldenstreichung und eine Entschädigung für die Versklavung, sondern vor allem auch eine Entschädigung für die Folgen der von IWF und Weltbank auferlegten Strukturanpassungsprogrammen und der Überschuldung. Denn diese hätten das in den 60er Jahren mühsam erlangte Selbstbewusstsein der AfrikanerInnen zunichte gemacht. Afrika ist reich an Bodenschätzen und natürlichen Ressourcen. Die AfrikanerInnen sind in Fragen Globalisierung sehr kompetent, haben sie doch über Jahrhunderte hinweg Erfahrungen mit Welthandel, der Kolonialisierung und Versklavung gemacht. Ihre Tradition lehrt ihnen von der Wiege an, zu teilen und an die Gemeinschaft zu denken. Diese Erfahrungen und diese Tradition stellen die GegnerInnen der NEPAD den G8-Ausbeutern und ihren Günstlingen entgegen. Eine gute Botschaft für die hiesige Linke, die seit Jahren Mühe bekundet, Konzepte zur Überwindung des Kapitalismus zu entwickeln. Und ein Grund mehr, vom 1. bis zum 3. Juni gegen den G8-Gipfel zu demonstrieren. Übrigens: Die afrikanischen NEPAD-Vertreter werden dann in Lausanne gastieren.

Weitere Informationen

Die französische Monatszeitung „Le Monde diplomatique“ ist auf deutsch in der Schweiz als Beilage der WoZ und in den Kiosks erhältlich (http://www.monde-diplomatique.ch). Sie ermöglicht einen für die deutsche Schweiz kontinuierlichen linken Einblick in die Aktualität ehemaliger französischen Kolonien. Nur dank ENDA Tiers Monde kam das Zweite Afrikanische Sozialforum im Januar 2003 zustande (http://www.enda.sn). Die in Senegal angesiedelte afrikanische Nichtregierungsorganisation hat bereits etliche Publikationen zu entwicklungspolitischen Themen veröffentlicht und beteiligt sich aktiv an der Redaktion der alle zwei Monate erscheinenden Zeitschrift „Passerelles entre le commerce et le développement durable“ (http://www.ictsd.org/pass_synthese/index.htm). Das in Uruguay basierte Third World Institute erarbeitet alle Jahre einen „Internationalen BürgerInnen-Report über die Bekämpfung der Armut und die Gleichstellung der Geschlechter“ (http://www.socialwatch.org). Auf den Homepages http://www.anti-g8.ch.vu und http://www.anti-wto.ch finden sich alle nötigen Informationen zur Mobilisierung gegen den Gipfel in Evian, aber nicht nur... http://www.g8.gc.ca ist die offizielle Homepage des letztjährigen Gipfels in Kanananskis (Kanada). Die französische Regierung hat unter http://www.g8.fr das diesjährige Pendant aufgeschaltet. Offizielle Dokumente zur NEPAD sowie aktuelle Infos und Hintergründe finden sich unter http://www.nepad.org. Weitere offizielle Informationen zur NEPAD können auch auf der Homepage der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen in Afrika gefunden werden: http://www.uneca.org/nepad.

 

home