Was plant die WTO in Cancun?

Ein Text, der am 29. August 2003 auf indymedia Deutschland geposted wurde:

Die Welthandelsorganisation (WTO) wurde 1995 als Nachfolger des GATT gegründet und umfasst derzeit 144 Mitgliedsstaaten. Bestimmend sind jeweils die grossen Industriestaaten, also die USA, Kanada, die EU und Japan (von NGOs auch als QUAD (die grossen Vier) bezeichnet). Bei WTO-Konferenzen verziehen sich die Industriestaaten gerne in die grünen Verhandlungszimmer ("Green Rooms"), um zu diskutieren, unter Ausschluss vieler Länder. Sie entwerfen dann die endgültigen Vertragstexte oder Abschlusserklärungen. Bei der letzten WTO-Konferenz in Doha wurde ebenfalls nachgearbeitet: bis um 5 Uhr morgens dauerten die Überstunden in den Green Rooms, um die "Doha- Entwicklungsrunde" auf den Weg zu bringen.

Für Cancun sind Meinungsverschiedenheiten zwischen Nord und Süd also vorprogrammiert, vor allem im Bereich der Landwirtschaft, aufgrund der hochsubventionierten Agrarprodukte aus dem Norden, die zu Dumpingpreisen im Süden abgelagert werden. Die Länder des Südens fordern die Streichung aller Exportsubventionen im Agrarbereich.

Bis zuletzt wehrte sich Indien in Doha gegen eine neue Welthandelsrunde: mit Verhandlungen dürfe in Cancun nur begonnen werden, wenn ein "ausdrücklicher Konsens" über die Verhandlungsmodalitäten erzielt würde. Die Industriestaaten feierten diesen Kompromiss schon als Erfolg. (Andererseits soll hier nicht der Gegensatz "gute" "Entwicklungsländer" versus "böse" Industriestaaten aufgemacht werden... der Ideologie des Neoliberalismus sind praktisch alle - vielleicht bis auf das WTO- Mitglied Kuba - verfallen). Die Zustimmung der Industrieländer wird dann mit verschiedensten Erpressungsmethoden (Entwicklungshilfe, Handelsvergünstigungen, Militärhilfen, Weltbankkredite, usw.) eingeholt oder schlicht durch Ermüdung durchgesetzt (die EU-Delegation reist mit 300 Delegierten an, Burkina Faso mit einer VertreterIn - wer hat den längsten Atem?).

Nach dem Scheitern der WTO- Konferenz in Seattle, als lautstarke Proteste auf den Strassen die breite Öffentlichkeit völlig überraschte ("Battle of Seattle"), zogen sich die Handelsdelegierten nach Doha zurück. Sie tauften die gescheiterte Millenniumsrunde in "Doha Entwicklungsrunde" (Doha Development Round, DDR) um, die im Januar 2005 abgeschlossen werden soll. Deshalb finden und fanden im Vorfeld eifrige Verhandlungen in Genf, dem Hauptsitz der WTO, statt, um möglichst viele Punkte schon vor Cancun zu klären.

In Cancun sollen folgende Themen auf der Tagesordnung stehen: die Regierungen aus Nord und Süd sollen einen Konsens erreichen zu GATS (Dienstleistungsabkommen), die Abkommen zu TRIPS (Geistige Eigentumsrechte, Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights), Trade-Related Investment Measures (TRIMS) und das Agrarabkommen AoA (Landwirtschaft, Agreement on Agriculture).

Mit geplant sind die sogenannten "Singapore issues", die neuen Themen (new issues), die zuerst bei einer WTO-Konferenz in Singapur diskutiert wurden: Investitionen, Wettbewerbspolitik, Transparenz im öffentlichen Beschaffungswesen und Handelserleichterung.

Die VertreterInnen der Länder des Südens wollen den Beginn der Verhandlungen zu diesen "new issues" verschieben, und die Nichtregierungsorganisationen unterstützen dies, und möglicherweise schliessen sich einige europäische ParlamentarierInnen dieser Skepsis an. Öffentliches Beschaffungswesen (government procurement): hier geht es um Aufträge der Öffentlichen Hand. Sinn und Zweck ist die Erleichterung des Marktzugangs für Konzerne aus den Industrieländern. Vor allem Indien und Malaysia blockieren hier die Verhandlungen, sie kritisieren die komplizierten Vergaberegeln.

Handelskriege

Ein wichtiges Instrument der Welthandelsorganisation sind die Streitschlichtungsverfahren. Die bisherigen Erfahrungen mit dieser Instanz lassen nichts Gutes erahnen: oft wurde zuungunsten der Umwelt für den "Frei"handel entschieden. Beispielsweise bei den Thunfischen: hier wurde eine Bestimmung für den Schutz der Delphine in den Fangnetzen in Frage gestellt.

Die EU und USA haben sich merhmals gestritten: z.B. zu Bananen oder Hormonfleisch, die EU verlor beide Fälle. Im Mai 2003 leitete die USA Klage gegen die EU ein, weil diese den Anbau und Import gentechnisch veränderter Organismen behindert. Zur Zeit wird am Hauptsitz der WTO in Genf über den Zugang zu kostengünstigen Medikamenten (Generika) gestritten. Die Pharmakonzerne wehren sich aufgrund ihrer Patente und hohen Entwicklungskosten dagegen, dass arme Länder sich beispielsweise AIDS-Heilmittel leisten können.

Das GATS - General Agreement on Trade in Services (Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen)

"Das GATS ist zunächst und vor allem ein Instrument zum Wohle der Unternehmen", stellte die EU- Kommission fest. Das Abkommen trat nach mehr als acht Jahren zäher Verhandlungen 1995 mit der Gründung der WTO in Kraft. Alle Mitglieder der WTO haben das GATS unterzeichnet.

Fast alle Dienstleistungen sind vom GATS erfasst: Banken und Versicherungen, Telekommunikation und Post, Energie- und Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Müllentsorgung, Gesundheitswesen und Bildung, Kultur und Medien, Tourismus und Transport. Mehr als 150 Sektoren sollen für den Weltmarkt geöffnet weren, darunter auch sämtliche öffentlichen Dienste.

Mit GATS soll die Liberalisierung von Diensteleistungen weltweit entweder durchgesetzt oder weiter vorangetrieben werden. Sowohl im Norden wie im Süden gibt es zahlreiche Beispiele für die katastrophalen Auswirkungen von Privatisierungen. Das Leben von Menschen steht hier auf dem Spiel.

Gesundheitswesen

Ein Blick nach Grossbritannien genügt - die Privatisierung der Gesundheitsversorgung bedeutet nichts Gutes für die Armen in der Bevölkerung. Auch in den USA ist das Sinken der Qualität der Gesundheitsversorgung vielfach belegt.

Wasserprivatisierung

Die Privaitisierung der Wasserversorgung bedeutete in den meisten Fällen höhere Preise und tiefere Qualität für die Ärmeren (Bolivien, Argentinien), oder sogar - wie im Falle Puerto Rico und der Wasserprivatisierung im Jahre 1995 - gar kein Wasser für die Armen. Gleichzeitig genossen die US- Militärbasen und die Quartiere der Reichen unbeschränkten Zugang.

Auch in Argentinien führte die Privatisierung zu verdoppelten Wasserpreisen und sinkender Qualität. Die Wut der Menschen veranlasste den Wasserkonzern zu gehen. Diese Umkehrung wäre unter GATS unmöglich gewesen.

Das GATS ist unumkehrbar

Die Delegierten haben sich darauf geeinigt, dass Ausnahmen im GATS- Abkommen schon vorher festgelegt werden müssen. Einmal eigegangene Verpflichtungen können nur zu einem sehr hohen Preis zurückgenommen werden, ein Preis, der vor allem für die Länder des Südens unbezahlbar sein dürfte. Will ein Land eine GATS- Vereibarung kündigen, muss es mit anderen WTO-Mitgleidern Verhandlungen über Entschädigungen aufnehmen. Scheitern diese Verhandlungen, kann das Land vor dem WTO- Schiedsgericht verklagt werden. Verliert es das Verfahren, drohen Handelssanktionen. Besondere Ausnahmen können zwar in späteren Verhandlungen gestrichen werden, das Hinzufügen von Ausnahmen wäre jedoch viel schwieriger.

Die Prinzipien des GATS:

1. Das Prinzip des unbeschränkten Marktzugangs:

Es darf keine quantitativen Zugangsbeschränkungen zu einem Dienstleistungssektor geben. Landschaftsschutz zählt nicht als Grund, die Zahl von Hotels in der Nähe einer Touristenattraktion zu beschränken.

2. Das Prinzip der Meistbegünstigung:

Die Meistbegünstigungsklausel kennen wir schon aus dem gescheiterten MAI (Multilaterales Abkommen über Investitionen der OECD). Die WTO- Mitglieder dürfen Anbieter verschiedener Länder nicht ungleich behandeln. Das Meistbegünstigungsprinzip verlangt z.B., dass Baufirmen aller WTO- Staaten zu öffentlichen Ausschreibungen zugelassen werden müssen, selbst wenn diese Firmen gegen Gewerkschaftsrechte verstossen.

3. Das Prinzip der Inländerbehandlung:

In- und ausländische Anbieter sollen die gleichen Wettbewerbschancen geniessen. Das Inländerbehandlungsprinzips unterscheidet nicht, ob es sich um gemeinnützige Betriebe oder profitmaximierende Konzerne handelt. Wettbewerbsgleichheit im Bildungswesen hiesse z.B., dass private Elitehochschulen den gleichen Rechtsanspruch auf staatliche Subventionen hätten wie öffentliche Universitäten.

Die Auswirkungen des GATS

Mit öffentlichen Diensten gewährt der Staat allen BürgerInnen den gleichberechtigten Zugang zu unverzichtbaren Leistungen der Daseinsvorsorge, unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten. Das GATS setzt aber gerade die öffentlichen Dienste unter scharfen Wettbewerbsdruck. Denn sobald sie in Konkurrenz zu privaten Anbietern erbracht werden, findet das Abkommen Anwendung. Staatliche Unterstützungsmassnahmen (Steuervergünstigungen, Subventionen, usw.) müssen nun in gleichem Masse profitorientierten Privatanbietern gewährt werden. In Folge der verschärften Konkurrenz um die verknappten staatlichen Gelder schrumpfen die für den öffentlichen Sektor verbleibenden Mittel immer weiter.

Anders als Güter werden Dienstleistungen nicht durch klassische Handelshemmnisse (vor allem Zölle) geschützt, sondern vor allem durch innerstaatliche Gesetze, seien dies Sozialstandards, Gesundheits- oder Vervraucherschutz, Umweltnormen. Das GATS aber unterwirft alle diese Regeln einem "Notwendigkeitstest". Sie sollen nur noch dann erlaubt sein, wenn sie den Handelsinteressen kommerzieller AnbieterInnen nicht im Wege stehen.

Wieso wollen die Regierenden das GATS durchsetzen?

Die Weltwirtschaft befindet sich seit längerer Zeit in einer tiefen Krise. Mit Kriegen werden Rohstoffmärkte gesichert, die Infrastruktur eines Landes wird zerstört und dann von multinationalen Konzernen wiederaufgebaut. Viel zu expandieren gibt es jedoch nicht mehr. Die hohe strukturelle Erwerbslosigkeit lässt sich auch mit den fiesesten Niedriglohnprogrammen nicht lösen, und jeder noch so radikale Sozialabbau schafft keinen Wachstumsschub, weil immer mehr Menschen immer weniger Kaufkraft haben.

Eine Rettung erhoffen sich die Wirtschaftsstrategen vom Dienstleistungsbereich, denn er ist von hoher ökonomischer Bedeutung. Bereits jetzt trägt er mit 60 Prozent zum globalen Bruttosozialprodukt bei. Die Weltbank schätzt den weltweiten Markt für Wasserversorgung auf 800 Milliarden US$, den für Bildung auf 2 Billionen US$ und den für Gesundheitsdienstleistungen auf 3,5 Billionen US$. Noch sind diese Bereiche weitgehend öffentlich organisiert. Transnationale Konzerne und andere Unternehmen erhoffen sich von weiteren GATS- Liberalisierungen gewaltige Profite auf diesen Märkten.

Die negativen Auswirkungen

Erfahrungen in aller Welt zeigen, dass die gesamte Bevölkerung von der Liberalisierung öffentlicher Dienste betroffen ist. Immer wieder kommt es zu steigenden Wasserpreisen und sinkender Versorgungsqualität, zu Leistungskürzungen bei der Gesundheitsversorgung, zur Einführung von Schulgeldern und Studiengebühren. Auch die Dienstleistungsbeschäftigten, mehrheitlich Frauen, zahlen ihren Tribut durch vgerlängerte Arbeitszeiten, sinkende Löhne und die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhälntnisse. Zu den grossen VerliererInnen zählen die Menschen in den Ländern des Südens, auch in den Schwellenländern, denn die von den Industrieländern geforderten drastischen Marktöffnungen gefährden den Zugang der Armen zu den Grundbedürfnissen des Lebens.

Widerstand ist jetzt angesagt

Anfang 2000 wurde eine Neuverhandlung des GATS begonnen, die sich in die neue umfassende Welthandelsrunde der WTO einbettet. Die WTO- Mitglieder übermittelten ihre Marktöffnungsforderungen (requests) gegenüber anderen Staaten und anschliessend ihre eigenen Marktöffnungsangebote (offers). Diese Forderungen und Angebote bieten die Grundlage für die weiteren Verhandlungen. Die EU- Kommission in Brüssel führt die GATS- Verhandlungen im Auftrag der EU- Mitgliedsstaaten. Die Forderungen und Angebote seitens der EU waren unter Verschluss, sickerten aber dann durch: unter anderem fordert die EU die Privatisierung der Wasserversorgung in Bolivien.

Widerstand gegen Wasserprivatisierung

"Wascht gefälligst Eure Autos", forderte ein Konzernvertreter in La Paz. Der Wasserverbrauch in der bolivianischen Grossstadt war ihm nämlich noch zu niedrig. Und in Cochabamba musste sich der US- Konzern Bechtel nach anhaltenden Protesten gegen die Wasserprivatisierung zurückziehen. Die aufgrund der erhöhten Wasserpreise erbosten Bäuerinnen und Bauern blockierten Strassen in Herzen des Landes, so dass der Verkehr quer durch das Land zum Erliegen kam. Der Präsident musste mit dem Helikopter eingeflogen werden.

Beim Weltwasserforum zeigte ein philippinischer NGO- Aktivist dem von der Wasserprivatisierung schwärmenden Konzernchef das Ergebnis einer ebensolchen in Manila: er hielt ein Fläschchen mit einer bräunlichen Flüssigkeit hoch, Leitungswasser aus Manila, und bot es dem Konzernchef auf dem Podium an, der jedoch dankend ablehnte.

Widerstand von Frauen gegen das GATS

Frauen stellen die Mehrzahl aller Dienstleistenden der Welt. Lehrerinnen, Krankenschwestern, Sozialarbeiterinnen, Hausangestellte, Bürokräfte, unbezahlte Hausfrauen, usw. egal ob im Süden, Osten, Westen oder im Norden. 80 Prozent der Arbeitskärfte im Dienstleistungssektor der EU sind weiblich. Die Liberalisierungen werden dazu führen, dass Frauen zuerst entlassen werden, dass feste Arbeitsplätze in Billiglohnjobs umgewandelt werden, dass Arbeitsschutzgesetze aufgeweicht werden. Im Schul- und Krankenhauswesen wird sich ein Zwei-Klassen- System etablieren: schlecht ausgestattete öffentliche Einrichtungen für die Armen, und teure private Kliniken, die sich nur diejenigen leisten können, die Geld haben.

Wenn eine solche schwerwiegende Verschiebung vom öffentlichen zum privaten Sektor statt findet, dann betrifft das die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen in viel stärkerem Masse.

WTO: Seattle reloaded in Cancun

Als die OECD (westliche Industriestaaten und einige Schwellenländer) plante, ein Multilaterales Abkommen über Investitionen (MAI) hinter verschlossenen Türen durchzusetzen, traf sie plötzlich auf erbitterten Widerstand von Basisbewegungen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Sie war davon überrascht, und die Verhandlungen scheiterten (Meinungsverschiedenheiten zwischen den Industriestaaten trugen auch etwas dazu bei). Ein Scheitern der WTO-Konferenz der Cancun hätte eine sehr hohe symbolische Bedeutung im Kampf gegen die kapitalistische Globalisierung. Deshalb fordert die internationale Bewegung, auch das GATS zum Scheitern zu bringen: Derail the WTO! - WTO entgleisen lassen!

 

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