Im Januar 1971 trafen sich auf Initiative des heutigen WEF-Präsidenten und Wirtschaftsprofessors Klaus Schwab erstmals europäische Topmanager im Schweizer Wintersportort Davos, "um eine kohärente Strategie fürs Europäische Business zu diskutieren." Die Gründung des European management forum im gleichen Jahr war der Beginn einer Organisation, die sich schon bald nicht mehr damit begnügte ein paar der topigsten Manager Europas zum Strategiediskutieren in dünner Luft zusammenzubringen, sondern sehr schnell damit begann ihren Einfluss- und Betätigungsbereich geografisch und in die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereiche auszuweiten. So entstanden bereits in den 70er Jahren sogenannte Länder Foren, "um die internationale business community mit den ökonomischen und politischen Leadern spezifischer Länder zusammenzubringen." Ebenfalls noch ins gleiche Jahrzehnt fallen die Organisation eines Arabisch-Europäischen und eines Latein-Amerikanisch-Europäischen Business Leaders Symposium, die Entwicklung zu einer Mitgliederorganisation, Länder Foren im Trikont, und als erste NGO (sic!) Zusammenarbeit mit und Aktivitäten in China. In den 80ern gings munter so weiter: 1980 Business Leaders Symposium in Peking, zwei Jahre später erstes informelles Zusammenkommen von PolitikerInnen der grössten Länder mit "den Köpfen internationaler Organisationen (wie Weltbank, IWF, GATT)" anlässlich des Davoser Jahrestreffens, im gleichen Jahr Organisation "eines speziellen Treffens von Handelsministern aus 17 Ländern in Lausanne (...), welche die Uruguayrunde in die Wege leitet." 1987 wird der Name in World Economic Forum geändert, "um die zunehmend globale Sichtweise widerzuspiegeln." Auch mit dem neuen, trendigeren Namen ging die Expansion in neue Welten und vermeintlich artfremde Gesellschaftsbereiche weiter. Neue Gipfel um neue Gipfel in aller Welt werden abgehalten, ein World Arts Forum wird als Tochterstiftung gegründet, welches "200 Kunst- und Kulturführer zusammenbringt und dazu führt, dass die Stiftung (das WEF) eine stärkere künstlerische und kulturelle Dimension in all ihre Aktivitäten integriert", Industriegipfel werden in Zusammenarbeit mit Unis wie Harvard, MIT, Stanford, Caltech, UC Berkeley organisiert. 1993 "beschränkt die Stiftung, um den Clubcharakter seines Netzwerks zu untermauern, seine Aktivitäten ausschliesslich auf Mitglieder und Special Guests."
Diese Entwicklung vom Management Symposium, das sich auf Fragen der Unternehmensführung
konzentrierte, zum World Economic Forum mit globaler Ausrichtung und Einflussnahme,
welches die Manager an allen gesellschaftlichen Entscheidungen und Prozessen
beteiligen will und es sich zum Auftrag macht, das Unternehmertum in alle gesellschaftlichen
Bereiche und alle Ecken der Welt zu tragen, ist die Umsetzung des neoliberalen
Globalisierens, Privatisierens und Denkens der Gesellschaft als Marktplatz,
resp. als Unternehmen, und des dazugehörigen Durchdringens aller Lebensbereiche
mit kapitalistischem Marktdenken. Das WEF stellt so quasi die organisatorische
Entsprechung zur neoliberalen Durchkapitalisierung aller gesellschaftlichen
Bereiche dar. Mit ihren Worten nennt sich das: "eine unabhängige, unparteiische,
not-for-profit Stiftung, welche im Geist des Unternehmertums im Interesse der
globalen Oeffentlichkeit für weiteres Wirtschaftswachstum und sozialen
Fortschritt handelt", oder: "die führende globale Partnerschaft aus business,
politischen und anderen Führern der Gesellschaft, engagiert in der Verbesserung
des Zustands der Welt."
Die Mitglieder der Stiftung sind "die 1000 führenden globalen Unternehmen",
führend richtet sich dabei nach Umsatz, globaler Dimension, gesellschaftlichem
Einfluss und Ruf eines Unternehmens, führend heisst da: ABB, Coca-Cola,
Nestlé, Monsanto, McDonalds, Shell, BP Amoco, Novartis, Deutsche Bank,
UBS, Siemens, VW, Philip Morris und über 900 andere mehr. Dazu kommen spezielle
Kategorien von Mitgliedern, wie Media Leaders, Public Leaders, Cultural Leaders,
Global Leaders of tomorrow (unter 45 Jahren), business consultative group (bestehend
aus "Köpfen" nationaler und regionaler Unternehmerverbände und "Köpfen"
aus UN-Abteilungen, die zusammengebracht werden zur Vertiefung der Beziehung
zwischen Business und UN). So treffen sich am Treffen in Davos im Januar Jahr
für Jahr über tausend ManagerInnen mit mehreren hundert PolitikerInnen,
KünstlerInnen und Intellektuellen (die feministische Schreibweise könnte
ich mir beinahe schenken) "to shape the global agenda". Neben diesem Jahrestreffen
Ende Januar in Davos gibt es verschiedene regionale jährliche WEF-Summits,
der Southern Africa Summit in Durban, der Central und Eastern Economic Summit
in Salzburg, der Asia Pacific Economic Summit in Melbourne, der India Economic
Summit in New Delhi sowie der Middle East/North Africa Economic Summit.
Auch wenn die WEF-eigenen Angaben über Grosstaten um und in Davos als PR-Propaganda
gelesen werden müsssen, geben sie trotzdem ein Bild über Einfluss,
Absicht und Betätigungsfeld des WEF: Was sie für sich beanspruchen,
ist: Vorarbeit für eine erfolgreiche Uruguay-Runde, die zur Gründung
der WTO führte, der erste Schritt zur Beendigung des Kalten Kriegs durch
Genschers Rede am WEF in Davos: "Lets give Gorbachev a chance", Friedens-
und Aussöhnungprozesse wie die "Davos Declaration" 1988 zwischen Griechenland
und der Türkei, Gespräche in Davos zwischen den beiden Korea, 1989
Treffen in Davos zwischen Kohl und Modrow, welches die Vereinigung zwischen
West- und Ostdeutschland "merklich beschleunigte", 1990 dank dem WEF Normalisierung
der Beziehung zu Vietnam, Treffen zwischen De Klerk, Mandela und Buthelezi,
welches die weitere Entwicklung Südafrikas prägte, Abkommen betreffend
Gaza und Jericho zwischen Peres und Arafat.
Dazu kommt, was ihre PR-Abteilung nicht schön schreiben kann, aber gleichfalls
als Teil der dünnen Atmosphäre, des Spirit of Davos bewirbt: die Rubrik
Hinterzimmer-Hotelbar-Skipiste-Sauna, all die schönen Geschäfte, wie
z.B. 1984 zwischen Sulzer und der Türkei über den Bau des Atatürkstaudamms,
oder 1998 zwischen Nestlé und Mexico über Fabrikanlagen in Chiapas,
oder auch die Rolle, die Davos spielte beim Deal zwischen US-Oellobby, türkischer
und russischer Regierung, der zur Verhaftung Oecalans führte als Preis
für die Oelpipeline durch kurdisches Gebiet der Türkei. Dabei ist
diese Widersprüchlichkeit Teil des Konzepts, dass das WEF einerseits Einfluss
nimmt und nehmen will, einen gesellschaftlichen Diskurs als neoliberalen Diskurs
mitbestimmt und bestimmen will, auf der anderen Seite aber die Harmlosigkeit
des Treffens neben den guten Absichten aller TeilnehmerInnen vor allem auch
mit dem informellen Charakter des Treffens begründet, betont, dass das
WEF anders als z.B. eine WTO keine Entscheidungskompetenzen hat, dass das WEF
nur den verschneiten Rahmen bildet, in welchem sich die globalen Leaders entspannt
zusammensetzen können, um konstruktiv an der Lösung der weltweiten
Probleme zu arbeiten.
Dies tun sie unter immer orginelleren Mottos, nach "Responsible Globality" 1999,
"New Beginnings: Making a Difference" im 2000, heisst es für Januar 2001
"Bridging the divides: creating a roadmap for the global future", dieses "Gegensätze
überbrücken" hat Konzept in Davos, so ist Dialog das wohl meist gebrauchte
Wort von WEF-Gründer Schwab. Neben SchriftstellerInnen wie Umberto Eco
oder Paulo Coelho, die jeweils an die Menschlichkeit all dieser Leaders appellieren,
sind auch kritische Stimmen von beispielsweise Greenpeace und Amnesty International
willkommen, im letzten Jahr wurden auf Forderung der "Public Eye on Davos",
einer Initiative mehrerer internationaler NGOs, wie die Erklärung von Bern,
Focus on the global South, Friends of the earth international und anderer, gar
eine handvoll KritikerInnen vom Format Vandana Shiva und Martin Khor eingeladen,
die sollen ruhig auch mal was sagen dürfen, das WEF kann fleissig mit-besorgt-sein,
verbindliches wird dazu am WEF nicht festgehalten, ist halt ein informelles
Treffen. Es ist dies die beschissenste aller Vereinnahmungen, wo nicht mal ein
schlechtes Plagiat einer lächerlichen Nachahmung eines nicht umgesetzten
Zugeständnisses an minimalste arbeits-, menschenrechtliche oder ökologische
Reformforderungen zu holen ist, sondern schlichtweg nichts, ausser der beschissenen,
absolut zutreffenden Erkenntnis, Teil der Dialog-Werbestrategie des WEF geworden
zu sein. Dass diese funktioniert, dafür sorgt unter anderem ihr Akkreditierungssystem.
Die JournalistInnen werden dabei in drei Kategorien eingeteilt: die erste sind
freischaffende, alternative und kritische Medien, diese sind am WEF nicht zugelassen,
die zweite wird zugelassen, aber nicht zu allen Veranstaltungen, die dritte
sind die "Global Media Leaders" mit unbeschränktem Zutritt.
Aber nicht alle wollen mit-dialog-führen: 1994 organisierten linksradikale, feministische, chiapas-solidarische Menschen eine erste Demo, und kurdisch-türkische Menschen eine Protestkundgebung gegen das WEF in Davos, vier Jahre später gabs eine zweite Demo, und seither organisiert die Anti-WTO-Koordination jedes Jahr eine Demonstration und Veranstaltungen gegen das Jahrestreffen des World Economic Forum in Davos. Trotz eisiger Temperaturen im Davoser Winter ging auch an uns die ganze Gipfelstürmer-dynamik seit Seattle nicht spurlos vorbei, so trafen sich im Januar 2000 weit über 1000 Demonstrierende v.a. aus der Schweiz, Italien und Frankreich in Davos um die winterliche Ruhe einen Nachmittag lang zu stören. Für einen Nachmittag das Riesenpolizeiaufgebot aus der ganzen Schweiz auf Trab zu halten, kann aber niemals reichen, darum wird 2001 das WEF blockiert. Neben der internationalen Grossdemo vom 27. 1. 2001 sind während der ganzen Dauer des WEF, d. h. vom 25. bis 30. Januar Blockadeaktionen geplant. Dafür findet sich die Anti-WTO-Koordination Alpenregion mit verschiedenen Gruppen aus den Alpen und umliegendem Flachland aufgrund abgedruckter Aktionsplattform zusammen. Diese soll unseren klar nicht reformistischen Standpunkt, im Verhältnis zum WEF wie zum Kapitalismus, und unsere Ablehung eines Dialogs mit dem WEF genauso zum Ausdruck bringen, wie die Einbettung dieser Mobilisierung in unseren alltäglichen Kampf gegen Herrschaft jeder Form. Jeder Mensch und jede Organisation, die sich hinter diese drei Punkte stellen kann, ist herzlich eingeladen und aufgefordert, mit uns das WEF zu stören. Mit Organisationen wie der EvB (Erklärung von Bern), die einen Gegenkongress organisiert, besteht ein Koordinieren zwecks Sich-nicht-in-die-Quere-kommens, mit pazifistischen Gruppen wie der Theologischen Bewegung, die anders als wir zu einer explizit gewaltfreien Demo aufruft, hat die Zusammenarbeit zum Ziel, für gewaltfreie und militante Formen von Widerstand trotz enger Davoser Raumverhältnisse nebeneinander Platz zu finden.
Die Wichtigkeit des Widerstandes gegen das WEF besteht in des WEFs Rolle einerseits als gewichtiger Bestimmer und Former eines neoliberalen Diskurses von Liberalisierung, Privatisierung und kapitalistischer Durchdringung des Sozialen und Elimination jedes anderen Wertes als Leistung und wirtschaftlichen Gewinn, verbunden und begründet mit angeblich sozial verpflichteten Absichten, und andererseits als wintersportlich förderlicher Rahmen zur Vereinbarung aller möglichen wirtschaftlichen und politischen Deals. Dabei liegt für mich die Wirkung eines allfälligen Verhinderns des WEF -unser längerfristiges Ziel- hauptsächlich auf symbolischer Ebene. Mit symbolisch meine ich alle nicht konkret-praktischen Auswirkungen, sondern die darüber hinausgehenden Konsequenzen dieser Aktion auf die weitere gesellschaftliche Entwicklung und ihre öffentliche Wahrnehmung. Eine Betonung des Symbolischen nicht weil in Davos nichts konkret zu verhindern wäre, aber weil eine Welt ohne WEF keine radikal bessere Welt wäre, all die Skipisten-Deals könnten auch auf irgendwelchen europäischen oder amerikanischen Golfplätzen ausgeheckt und vereinbart werden, und zur Verbreitung ihres penetranten, neoliberalen Geschwätzes stehen den globalen Leaders genügend andere Kanäle zur Verfügung. Dass damit das Bequeme des an einem Ort sich Zusammenfindens dieser Aspekte immerhin futsch wäre, ist sicher schon Grund genug, sich in den Davoser Strassen zu Tode zu frieren, bedeutender aber ist sicherlich der mögliche Einfluss einer gelungenen Blockade als deutliches Zeichen, dass die kapialistischen Angriffe auf alle Aspekte des Lebens so leicht nicht durchkommen, als deutliches Zeichen auch dafür, dass wir so ohnmächtig doch nicht sind, dass es Sinn macht, sich zu organisieren und aktiv zu werden, dass, wenn wir sie nicht einfach machen lassen, ihre Freihandelsträume so einfach nicht durchkommen. So ist bei aller berechtigten Kritik am aktuellen Gipfelhoppingtrend und bei allem Bedauern über allfälliges Zukurzkommen der politischen Arbeit im Alltag, nicht ausser acht zu lassen, was ein solch symbolischer Sieg für den Widerstand gegen den Kapitalismus und seine neoliberalen Ausbauer bedeuten kann. Wenn wir zusätzlich vom vereinfachten "Böse Multis regieren aus Gipfelhinterzimmern und verbreiten Hunger und Arbeitslosigkeit in alle Welt"-Schema weg den Widerstand ausweiten auf die Umsetzung und Auswirkungen dieser Politik im Alltag, sei dies beispielsweise die Privatisierung des Schweizer Gesundheitswesens, Abschottung der Europa-Aussengrenzen gegen alle Nichtmanager oder Nichttouristen, neue Isolationsknäste in der Türkei, der Plan Colombia in Kolumbien, neuerliches Anwachsen des Frauenanteils an den Armen der Welt, oder geplante Abhängigkeit von BäuerInnen von Gentechmultis, dann besteht die Möglichkeit von dieser Dynamik zu profitieren, um diesem neoliberalen Angriff etwas entgegenzusetzen und Alternativen umsetzbar zu machen, die darüber hinausgehen, zu Keynes System zurückzkehren oder das internationale Finanzkapital besteuern zu wollen, und stattdessen Schluss machen mit allen Ausbeutungs- und Herrschaftssystemen.
M.Verve
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