Frauenmigration

Zwischen Unsichtbarkeit und ueberlebensstrategien

Migration ist nicht nur ein Begriff, unter dem sich Millionen von Menschen finden, er benennt auch einen oekonomischen Faktor, der aus dem herrschenden Weltwirtschaftssystem nicht mehr wegzudenken ist. Eine der Hauptursachen fuer Migration ist die Internationalisierung der oekonomie. So sind Migrationsbewegungen nicht als Folge des Weltmarktes, sondern als dessen wesentliche Grundlage zu verstehen.
Im Mittelpunkt der sogenannten Industrienationen Europa, USA und Japan steht als Folge der Globalisierung die Idee, dass Produkte, Kapital, Informationen und Dienstleistungen frei fliessen koennen und nationale Grenzen keine Rolle mehr spielen. Fuer Menschen hingegen gilt dies nicht. Die Wohlstandsinseln Europas schotten sich gegenueber MigrantInnen ab. Doch die so heraufbeschworene "Festung Europa", die auch real immer mehr einer Festung gleicht, ist nicht unabhaengig, muss also von aussen versorgt werden. Ausserdem beruht der Wohlstand u.a. auf der billigen Arbeitskraft "rechtloser" MigrantInnen.

Europaweit wird mit der Migration eine populistische Politik betrieben, Begriffe wie "Migrationsstroeme", "ueberfremdung", etc. werden tagtaeglich reproduziert und damit salonfaehig. Zu sagen ist einerseits, dass die Hauptmigrationsbewegungen in kleinen Distanzen statt finden, vom Land in die Stadt, oder in Nachbarlaender. Den Schritt ueber diese Binnenmigration hinaus machen nur die allerwenigsten. Der groesste Teil der Migrantinnen kommt also gar nie in die sogenannten industrialisierten Laender. Andererseits erfuellen die MigrantInnen, die die "Festung" voruebergehend oder laengerfristig beleben, unentbehrliche oekonomische Funktionen.

Die Zerstoerung der Lebensgrundlage in den Herkunftslaendern...

Vorwegnehmend ist zu sagen, dass Begriffe wie Herkunfts- und Ziellaender von zeitlich beschraenkter Gueltigkeit sind. So war beispielsweise die Schweiz im 19. Jahrhundert ein eigentliches Auswanderungsland, Brasilien hingegen ein Zielland vieler europaeischer MigrantInnen. Einige osteuropaeische Laender sind heute sowohl Herkunfts- als auch Ziellaender. Waehrend ein Teil ihrer Bevoelkerung in den Westen emigriert, reisen MigrantInnen aus Laendern des Suedens oder umliegenden, wirtschaftlich schwaecheren Nachbarstaaten ein.
Seit den 70-er Jahren ist eine verstaerkte Migration zu verzeichnen. Dies steht u.a. im Zusammenhang mit der Verschuldungskrise, welche durch den Preiszerfall der Rohstoffe auf dem Weltmarkt ihren Anfang nahm. Mexiko, Brasilien, Dominikanische Republik, Philippinen etc. sind gezwungen, immer mehr Geld fuer Zinsleistungen an Kredite der Weltbank, westliche Banken und den IWF aufzubringen. Kredite werden nur noch vergeben, wenn Strukturanpassungsprogramme durchgefuehrt werden. Diese "Sanierungsprogramme" haben mitunter zur Folge, dass eine grosse Abhaengigkeit entsteht, die Subsistenzgrundlagen zerstoert werden, die Arbeitslosigkeit massiv ansteigt. Grundnahrungsmittel verteuern sich, Loehne werden eingefroren, Gesundheits- und Sozialwesen brechen zusammen. Diese Bedingungen schaffen in den Herkunftslaendern die Voraussetzungen zur Migration.

... und die Nachfrage in den Ziellaendern

Zu diesen prekaeren Bedingungen in Laendern des Suedens und Ostens gesellt sich die Nachfrage nach bestimmten Migrantinnen in den sogenannten Industrielaendern, die die Migration erst ermoeglichen. Hierzu gehoert beispielsweise die in allen europaeischen Ziellaendern herrschende Nachfrage nach billigen, "unterwuerfigen" weiblichen Arbeitskraeften im Dienstleistungssektor, nach "exotischen" Frauen im Unterhaltungssektor, sei dies in der Prostitution, in der Animation oder im Striptease, sowie nach "gefuegigen", "duldsamen" und "exotischen" Ehefrauen.

... erklaeren nicht alles: Die Funktion von Investitionen

Betrachten wir die weltweite Migration, so wird deutlich, dass Menschen nicht aus allen Laendern der Suedens migrieren und nicht unbedingt aus den aermsten Laendern. Saskia Sassen (1) verdeutlicht an Beispielen von Europa, den USA und Japan (den wichtigsten Immigrationszielen), wie die Globalisierung der Wirtschaft mittels Direktinvestitionen Migration beeinflusst. Sassen verneint nicht, dass Armut Migration ausloesen kann. Sie spricht jedoch den Bruecken, die durch die Internationalisierung der Wirtschaft zwischen Herkunfts- und Ziellaendern entstehen, groessere Bedeutung zu. Die Internationalisierung der Wirtschaft hat u.a. zum Aufbau von politischen, militaerischen und oekonomischen Beziehungen zwischen gewissen Laendern gefuehrt hat. Diese Bruecken oder Beziehungen beeinflussen die Migrationsbewegungen ganz direkt.

Und die Frauen?

Durch diese Direktinvestitionen, die durch die oekonomische Internationalisierung beguenstigt werden und deregulierend wirken, werden die Subsistenzgrundlagen und folglich die Arbeits- und Lebensstrukturen in vielen Laendern des Suedens und Ostens zunehmend zerstoert. Frauen sind besonders davon betroffen. In zwei Dritteln der Haushalte in des Suedens sind Frauen die Hauptverantwortlichen. Das heisst, sie sind nebst Reproduktions- und Erziehungsarbeiten auch fuer den finanziellen Unterhalt der Familie zustaendig. In der immer prekaerer werdenden Situation ist Migration eine moegliche ueberlebensstrategie, die mit vielen Risiken und Gefahren verbunden ist.
Wenn von offizieller Seite von Migration gesprochen wird, wird dies meistens in Zusammenhang mit maennlicher Arbeitsmigration gebracht. So werden Migrantinnen im jaehrlichen Bericht der OECD ueber Arbeitsmigration (SOPEMI) ausschliesslich in Verbindung mit Familien und Kindern erwaehnt. Selten wird in Betracht gezogen, dass sich weltweit immer mehr Frauen zur Migration gezwungen sehen und es Laender oder ganze Regionen gibt, wo Frauen mehr als die Haelfte der Migrierenden ausmachen. So betrug zum Beispiel in Europa bereits 1990 der Anteil der Frauen am Bestand der auslaendischen Bevoelkerung 46.3 Prozent (2). Auch in den USA stellen Frauen mehr als die Haelfte der jaehrlichen EinwandererInnen dar (3).
Frauen erfuellen auf dem Weltmarkt im Gegensatz zu maennlichen Migranten mehrere Funktionen, die eng mit ihrem Geschlecht verbunden sind. Dadurch haben sich spezifische, ausschliesslich weibliche Formen der Migration entwickelt: Hausangestellte, Heiratsmigrantinnen, Cabaret-Taenzerinnen, Prostituierte und Krankenschwestern. Diese Arbeit findet meist im informellen Sektor statt, d.h. sie wird gemaess Interesse des System unsichtbar gemacht, ist jedoch unabdingbare Voraussetzung, damit eine Gesellschaft ueberhaupt funktionieren kann.
Migrantinnen werden damit auf reproduktive Funktionen reduziert und in Abhaengigkeiten und absolut unsichere Lebenssituationen getrieben.

Und die Schweiz?

In der Schweiz und praktisch allen westeuropaeischen Laendern bleiben Migrantinnen aus Laendern des Suedens und Ostens - abgesehen von wenigen Ausnahmen - legale Aufenthalts- und Arbeitsmoeglichkeiten de facto verwehrt. Denn die Zulassungspolitik basiert ausschliesslich auf marktwirtschaftlichen Kriterien.
Aufgrund der auslaenderrechtlichen Ge-setzgebung haben Frauen aus Afrika, Asien, Lateinamerika, Osteuropa nur drei Moeglichkeiten, in die Schweiz zu migrieren: Als Ehefrauen, als Cabaret-Taenzerinnen und als Touristinnen. Frauen aus Laendern des Suedens und Ostens duerfen also nur Arbeiten ausfuehren, die eng mit ihrem Geschlecht verbunden sind. Zudem handelt es sich bei allen drei Formen um ungesicherte Migrationsverhaeltnisse, die oft in die Illegalisierung muenden.

Heirat

Migrierende Frauen erhalten eine Aufenthaltsbewilligung, wenn sie einen Schweizer oder einen in der Schweiz lebenden Auslaender heiraten, der im Besitz einer Niederlassungs- oder Jahresaufenthaltsbewilligung ist.
Es ist eine bekannte Tatsache, dass Frauen auf dem Heiratsmarkt angeboten werden und "austauschbar" sind. Der Heiratshandel manifestiert sich dabei als eine legalisierte Form des Frauenhandels, die einerseits durch die Ausnutzung der schwierigen Lebenslage der Frauen und andererseits durch eine ausgepraegt sexistische und rassistische Ausbeutung gekennzeichnet ist.
Im Falle einer Scheidung oder dem Tod des Ehemannes vor Ablauf der drei, bzw. fuenf Jahre verliert die Frau jedes Anrecht auf eine Aufenthaltsbewilligung und muss - falls sie keine Kinder hat - die Schweiz verlassen. Will sie in der Schweiz bleiben, wird sie illegalisiert (4).
Die Folge dieser auslaenderrechtlichen Regelung ist die verstaerkte Abhaengigkeit von ihrem Ehemann. Oft wird diese Zwangssituation ausgenuetzt und Frauen muessen physische, sexuelle und psychische Gewalt ertragen, um nicht in die Illegalisierung gedraengt zu werden. Die Frau hat nicht die Moeglichkeit, aus einer schwierigen oder von Gewalt gepraegten Ehe auszubrechen, ohne gleichzeitig den Entscheid ueber die Rueckkehr ins Heimatland faellen zu muessen.

Migration durch das "Artistinnen-Visum"

Eine weitere Migrationsform fuer Frauen aus dem Sueden und Osten ist die sog. Artistinnen-Bewilligung L, mit der Migrantinnen fuer max. 8 Monate pro Jahr als Cabaret-Taenzerinnen zugelassen sind. Der Aufenthalts- und Arbeitsstatus einer Taenzerin ist nach auslaenderrechtlichen Bestimmungen vollkommen legal. Neben der Tanztaetigkeit - sie besteht aus mehreren Tanzauftritten pro Abend, bei denen sich die Frau nackt ausziehen muss - besteht ihre Hauptfunktion in der Animation von Alkoholika, vorwiegend Champagner. Animation ist in den meisten Schweizer Kantonen verboten. Zudem werden viele Frauen zur Prostitution angehalten was aber ebenso illegal ist. Werden Frauen bei der Ausuebung dieser illegalen Taetigkeiten erwischt, so haben sie mit Konsequenzen zu rechnen, nicht aber die Hintermaenner, die sie dazu anhalten oder zwingen und davon profitieren. Auch der Staat verdient an den Cabaret-Taenzerinnen kraeftig mit, da er neben fehlender Rueckerstattung von Sozialabgaben (ca. 12 Millionen Franken AHV- Gelder jaehrlich) auch Quellensteuern einnimmt. Bei einem Quellensteuer-Abzug von Fr. 400.‹ pro Monat nimmt der Staat mit 2'000 Taenzerinnen ca. 9,5 Millionen Franken jaehrlich ein.

Migration als Touristin

Viele Frauen reisen mit einem Touristinnen-Visum ein, das fuer maximal drei Monate gueltig ist. Eine Erwerbstaetigkeit ist fuer TouristInnen verboten und stellt einen Ausschaffungsgrund dar. Frauen, die als Touristinnen in die Schweiz kommen, arbeiten haeufig im Sex- und Haushaltsbereich sowie teilweise in der Industrie. Sie sind extrem ausbeutbar, da sie jederzeit riskieren, in Ausschaffungshaft genommen und ausgewiesen zu werden.

Illegalisierung

Es wird geschaetzt, dass ungefaehr 100'000 - 150'000 Menschen illegalisiert in der Schweiz leben, davon die Mehrheit Frauen (Quellen: Gewerkschaften, Arbenz-Bericht). Die Zwangslage, in der sich illegalisierte Migrantinnen in Haushalten oder im Sexbusiness befinden, wird von Zuhaeltern, Arbeitgebern, Freiern, Frauenhaendlern oft skrupellos ausgenutzt.
Je restriktiver die auslaenderrechtlichen Bestimmungen fuer Personen aus dem Sueden und Osten sind, desto mehr wird die (Frauen-)Migration in die Illegalitaet abgedraengt. Konsequenzen davon sind mitunter, dass die Migration fuer Frauen noch teurer und gefaehrlicher wird. Fuer Schlepper, Frauenhaendler und illegale ArbeitgeberInnen wird sie noch rentabler.
Gerade im Bereich der illegalisierten Hausangestellten und bei Sexarbeiterinnen wird die gesellschaftliche Doppelmoral besonders deutlich: Illegalisierte Migrantinnen werden aufgrund der bestehenden Nachfrage geduldet. Sobald sie jedoch oeffentlich werden, droht ihnen die Ausweisung. Wie bereits dargestellt wurde, stehen Migrantinnen in der Schweiz aufgrund der migrationspolitischen Bedingungen keine selbstaendigen Immigrationsmoeglichkeiten offen. Sie werden auf reproduktive Funktionen reduziert und in Abhaengigkeitsverhaeltnisse getrieben. Frauen aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Osteuropa koennen nur mittels Heirat eine Aufenthaltsmoeglichkeit erhalten. Kurzaufenthalterinnen aus zwei Dritteln der Welt werden vollstaendig in die Sexarbeit gezwungen (Taenzerinnen-Visum, erduldete Prostitution). Weitere legale Aufenthaltsmoeglichkeiten sind den Frauen verbaut. Diese strukturelle Benachteiligung beguenstigt die Ausbeutung von Migrantinnen. Damit wird deutlich, dass Illegalisierung auf die Globalisierung des Weltmarktes zurueckzufuehren ist.

FIZ Zuerich

Zusammengestellt aus Vortraegen, Artikeln und Rundbriefen des FIZ, Fraueninformationszentrum fuer Frauen aus Afrika, Asien und Lateinamerika, Zuerich, Nov. 1998, do.

Quellen:
- FIZ-Material, Rundbriefe, Artikel und Vortraege
- Karrer, Le Breton, Turtschi: Entschieden im Abseits - Frauen in der Migration. Zuerich 1996
- Sassen, Saskia: Migranten, Siedler, Fluechtlinge. Frankfurt a.M. 1996
- BFA: ZAR-Auszug Bundesamt fuer Statistik, Sek. Bevoelkerungsentwicklung
- International Labour Office, 1996, International Labour Migration of Asia Woman: Distinctive Characteristics and Policy Concerns. ILO, Geneva.
- Potts, Lydia, 1993, Migrantinnen im Weltmarkt fuer Arbeitskraft. In: Arbeitsgruppe 501 (Hg.): Heute hier - morgenfort. Migration, Rassismus und die(Un)Ordnung des Weltmarkts. Freiburg i.B.

(1) Saskia Sassen, Professorin fuer Stadtplanung in den New York, arbeitet u.a. zu Migration.
(2) SOPEMI (System d'observation permanente pour les migrations) 1993, in Sassen 1996: S. 213 ff.
(3) Potts 1993: S. 84
(4) Mit dem Friedensnobelpreistraeger Elie Wiesel teilen wir die Auffassung, dass Menschen als Menschen nicht illegal sein koennen. Die Bezeichnung "Illegalisierung bzw. illegalisierte Migrantinnen" soll sichtbar machen, dass Menschen seitens des Nationalstaates von den Menschenrechten auf Leben, Freiheit und Sicherheit vollstaendig ausgeschlossen werden. Denn "Illegalisierung" bedeutet umfassende Rechtlosigkeit.