Vom 28. Januar bis 3. Februar 1999 treffen sich in Davos rund 2000 VertreterInnen aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Kultur und Medien. Organisiert ist dieser Gipfel der «top global leaders» vom World Economic Forum in Genf, das von Prof. Klaus Schwab gegruendet und geleitet und von der Wirtschaft finanziert wird. ueber dem Gipfel schwebt jeweils der «Geist von Davos». Der wurde geschaffen, um dem Treffen eine spirituelle Seite anzuhaengen, die ihre Machenschaften und Verbrechen bedecken soll. In den letzten Jahren ging dieses Treffen nicht mehr ganz unbemerkt ueber die Buehne, es gab Demonstrationen gegen die Anwesenheit dieser illustren Runde. Zum naechsten Treffen im Januar 1999 hat die Anti-WTO-Koordination der Schweiz zu einer breiten und grossen Demonstration am 30. Januar aufgerufen. Gleichzeitig wird in Davos eine internationale Gegen-Pressekonferenz abgehalten. U.a. werden dort VertreterInnen der Landlosenbewegung in Brasilien, einer BaeuerInnenorganisation aus Burkino Faso, einer feministischen Organisation aus Kanada, einer Gewerkschaft aus Sued-Korea, von Anti-MAI-Gruppen und der Zeitung «le monde diplomatique» aus Frankreich anwesend sein und ueber die katastrophalen und moerderischen Auswirkungen der patriarchalen und kapitalistischen Politik der multinationalen Konzerne und ihrer Regierungen informieren. Der «Geist von Davos» beginnt sich zu veraendern und seine ihm zugestandenen Grenzen zu sprengen.

Geisterstunden in Davos

Es sind keine Gespenster, keine Vampire, keine Zombies, die sich alljaehrlich berufen fuehlen, unter den Fittichen des World Economic Forum (WEF) die Probleme der Menschheit fuer die Menschheit zu loesen. Es sind menschliche Wesen ­ fast ausschliesslich maennlichen Geschlechts ­ aus Fleisch und Blut und mit Kravatte. Was sie speziell auszeichnet ist ihre Zugehoerigkei zum grossen Geldbeutel, der zugleich Macht bedeutet und sie qualifiziert, im elitaeren Club der 1000 «top business leaders» mitzureden. Um dieses grossen Geldbeutels wegen kommen sie, die gern die Elite der Welt genannt werden, nach Davos, denn die Superreichen verlangen noch mehr Geld, Macht und unbegrenzte Verfuegbarkeit ueber Menschen und Ressourcen. Das bedeutet, dass noch groessere Opfer gebracht werden muessen, um das grosse Geld einzubringen. Von wem? Von eben der Menschheit, die sie zu beherrschen gedenken. Einige Fragen, die das aufwirft und die sie loesen wollen, nennen die elitaeren Geister in Kravatte etwas grosskotzig «die Prioritaeten des 21. Jahrhunderts». Dabei ist ihr prioritaeres Prinzip ein sehr einfaches: groesser = reicher = besser. Andere Fragen oder Probleme, die durch dieses Prinzip entstehen, naemlich Arbeitshetze und Arbeitslosigkeit, Hungernde, Voelkerermordete, sexistisch Ausgebeutete, rassistisch Vertriebene, Verelendete und riesige Umweltzerstoerungen, sind fuer sie nicht ganz so real oder werden einfach repressiv «geloest». Um ihr Prinzip des grossen Geldvermehrens durchzusetzen, muessen sie ihre Macht um jeden Preis erhalten. Nicht erst seit heute oder gestern, aber hoffentlich nicht mehr so lang. Davos und World Economic Forum In Davos finden diese Wirtschaftsmaechtigen eine geeignete Ambiance, um sich zu treffen. Seit den siebziger Jahren werden jedes Jahr, jeweils Ende Januar, hunderte von «top business leadern», sekundiert von VertreterInnen aus Politik, Wissenschaft, Kultur und natuerlich begleitet von den Medien, vom WEF (Genf) nach Davos gerufen. Das («Non Profit»-) Unternehmen WEF von Gruender Klaus Schwab wird getragen von durchaus profitablen Unternehmen: ABB, Amaco, du Pont, CocaCola, CNN, Deutsche Boerse, Mobil, Nestlé, Price Waterhouse, UBS Š Das WEF hat sich als Organisation etabliert, um fuer die Weltwirtschaft und die patriarchale Weltordnung wichtige Fragen und Probleme herauszufiltern und die richtigen Maenner plus einige wenige Frauen zusammenzufuehren. Auch einige Emporkoemmlinge und sogar Unbequeme werden intergriert. Sozusagen das Parlament der Multinationalen Konzerne, wo das Stimmrecht nach Milliarden US-Dollars gezaehlt wird, mithin wichtiger als jedes nationale Parlament! Mittlerweile wurden in allen Kontinenten solche Summits (Gipfeltreffen) eingerichtet. Der letzte Summit in Singapur im Oktober 1998 hat sich, wen erstaunt¹s, mit der Krise und der Reformierbarkeit des globalen Finanzsystems und dem globalen Wirtschaftswachstum befasst. In den vergangenen Jahren hatte sich die elitaere Maennerrunde mit der «Globalen Vernetzung», der «Globalen Kooperation und Wettbewerb», einer «neuen Richtung fuer die globale Fuehrung», ihrer «weltweiten Verantwortung bei den Auswirkungen der Globalisierung», mit der Gentechnologie, der mikroelektronischen «Revolution» und sogar mit der Arbeitslosigkeit beschaeftigt. Natuerlich immer aus dem Blickwinkel einer patriarchalen und kapitalistischen Fuehrung, um von da aus Loesungen zu finden. Fuer wen auch immerŠ Da die Loesung von politischen Problemen, die nicht militaerisch geloest werden koennen, fuer die Multis von grosser Wichtigkeit ist, werden jeweils auch in diesem Bereich «Loesungen» in ihrem Sinne gesucht: Der Konflikt Tuerkei ­ Griechenland, die Widersprueche BRD ­ ex-DDR, Palaestina ­ Israel, der Umweltgipfel von Rio, usw. finden in der Agenda jeweils ihren Platz. Dazu und zu andern Themen werden unzaehlige Referate gehalten. Wahrscheinlich mindestens so effizient ist aber auch der immens wichtige informelle Ausstausch und die Diskussionen, und natuerlich werden auch etliche Haendel abgeschlossen. Die Abgeschiedenheit und Vertrautheit, um nicht zu sagen Intimitaet, soll den verantwortungsvollen und feinfuehligen Herren bei der Loesung der vielen und wichtigen Probleme nachhaltig unterstuetzen. So entsprang der Davoser Geisterrunde schon mancher, fuer die Massen der Menschen moerderischer, Geistesblitz. Globalisierung und MAI Unter den Schlagwoertern Globalisierung und Neoliberalismus wollen die maechtigen multinationalen Konzerne ihre ehemals kolonialistischen und imperialistischen Interessen weltweit ungehindert durchsetzen. Das GATT wurde in diesem Sinn nach langen Verhandlungen, in denen die imperialistischen Industriemaechte ihre Vorstellungen wesentlich durchdruecken konnten, in die WTO (Welthandels-Organisation) transformiert und den neuen Handelsgesetzen angepasst. Die grossen Multis (ca. 90 Prozent der multinationalen Konzerne haben ihren Hauptsitz in den 29 OECD-Staaten) wollen Produktion und Handel ungestoert von der nationalen Politik und unbeeintraechtigt von finanziellen Einbussen abwickeln. Ein weiteres Abkommen mit Namen MAI (Multilaterales Investitionsabkommen), wurde diesmal nur noch unter den 29 reichen Industriestaaten (OECD) ausgehandelt, mit dem Ziel, jegliche Investition vor sozialen, politischen oder anderen Menschenrechten zu schuetzen (siehe: Le monde diplomatique, Februar 1998; FriZ, Maerz 1998). Die kapitalistische Investition als das hoechste zu schuetzende «Menschen»-Recht. Die jeweiligen Regierungen sollten vertraglich verpflichtet werden, fuer die konsequente Durchsetzung der Investoren-Interessen zu sorgen, andernfalls sie mit riesigen Entschaedigungsforderungen zu rechnen haetten. Die Verhandlungen wurden mit Beteiligung von Multis und staatlichen Behoerden zwei Jahre lang geheim gefuehrt, weil befuerchtet wurde, dass die drastischen Auswirkungen zu grossen Protesten fuehren koennten. Eine wichtige Rolle in diesem Spiel fuehrt(e) die Internationale Handelskammer (ICC), die als supranationale Lobby-Organisation der Multis fungiert. Das Scheitern des Vertrags zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht etwa den politischen Parteien oder Gewerkschaften zu verdanken, sondern einerseits den Aktivitaeten vieler Widerstandsgruppen, die das MAI der Geheimhaltung entrissen und Aktionen dagegen durchgefuehrt haben. Andererseits haben aber auch grosse innerkapitalistische Widersprueche zum Scheitern gefuehrt. Wirklich weg vom Menueplan der geldhungrigen Herren ist das MAI sicher nicht, denn es gibt jetzt die, wie sie meinen, geistreiche Idee, ein solches Abkommen im Rahmen der WTO abzuschliessen. Militaer, IMF/Weltbank und WTO sind den starken Maennern noch nicht Mittel genug, um die Interessen der Superreichen vollumfaenglich und stoerungsfrei durchzusetzen. Das Treffen von Davos ist fuer sie der ideale Ort, diese Absichten weiter herumgeistern zu lassen. Das Selbstverstaendnis der «top global leaders», mithin auch ihr buergerliches Demokratrieverstaendnis, zeigt sich in einer Erklaerung von 450 Vorstandsvorsitzenden im September 98 in Genf. Vereint von ICC und gefuehrt vom Nestlé-Chef H. Maucher stellen sie ploetzlich entgeistert fest, dass es Widerstand und Aktionen gegen ihre Plaene und Verbrechen gibt: «Die Entstehung von Aktivistengruppen droht die oeffentliche Ordnung, die rechtmaessigen Institutionen und den demokratischen Prozess zu untergraben. Es muessten Regeln aufgestellt werden, um die Legitimitaet dieser aktivistischen regierungsunabhaengigen Organisationen zu klaeren, die vorgeben, die Interessen grosser Teile der Zivilgesellschaft zu vertreten.» Diese Erklaerung grenzt schon fast an Geisterbeschwoerung, zeigt aber auf, wie sie bei jeder Opposition Einfluss auf die Innen-(= Sicherheits) Politik zu nehmen gedenken. Endgueltig von allen guten Geistern verlassen werden sie aber sein, wenn sie merken, dass wir nicht nur regierungsunabhaengig sind, sondern wie hartnaeckig unser Widerstand ist, der dem ganzen unmenschlichen System gilt. Widerstand und internationale Solidaritaet Es ist wieder an der Zeit, in ihrer Welt der Gewinne, der Spekulation, der rassisstischen und sexistischen Verbrechen und der «demokratischen» Spielregeln herumzugeistern und diesen Prozess, der oft als unwiderruflich bezeichnet wird, zu stoeren. Nach Jahrzehnten von regionalem und internationalem Widerstand gegen ihre Kriege, ihre Ausbeutung und Unterdrueckung und der darauffolgenden grossen Schwaeche der Oppositionsbewegungen weltweit wird der Widerstand gegen ihre «Neue Weltordnung» wieder breiter, staerker und internationalistisch. Dies zeigte sich u.a. deutlich in den Widerstandsaktionen gegen die WTO-Politik 1998 in Genf und anderswo, an denen Tausende von Menschen teilgenommen haben: «Es ist schwierig, die Waerme und die Tiefe der Begegnungen zu beschreiben, die wir hier hatten. Der globale Feind ist relativ gut bekannt, aber der weltweite Widerstand, auf den er trifft, gelangt nur selten durch den Filter der Medien. Und hier trafen wir die Leute, die ganze Staedte in Kanada mit Generalstreiks lahmlegten, die ihr Leben bei Landbesetzungen in Lateinamerika riskierten, die den Sitz von Cargill in Indien oder den transgenen Mais von Novartis in Frankreich zerstoerten. Die Diskussionen, die konkrete Planung der Aktionen, die Geschichte der Kaempfe, die Persoenlichkeiten, die enthusiastische Gastfreundschaft der Genfer SquatterInnen, der leidenschaftliche Ausdruck der Frauen und Maenner, die der Polizei ausserhalb des WTO-Gebaeudes gegenuebertraten ­ alle besiegelten ein Buendnis unter uns. Wieder auf der Welt zerstreut, werden wir es nicht vergessen. Wir bleiben zusammen. Dies ist unser gemeinsamer Kampf!» Die Demonstration am 30. Januar 1999 in Davos und weitere Aktivitaeten gegen die verbrecherische Politik und Ausbeutung der «top business leaders» steht in engem Zusammenhang mit den weltweiten Aktivitaeten gegen die WTO- und MAI-Politik. Die Kontinuitaet dieses breiten Widerstandes wird uns 1999 an viele weitere Orte des Widerstandes fuehren. Der Weltwirtschaftsgipfel in Koeln im Juni, die Widerstandsaktionen der europaweiten Karavane, die Aktivitaeten von einigen hundert Menschen aus Indien, die uns im Mai 99 besuchen werden, sind nur einige Stationen in dieser kontinuierlichen und kaempferischen Entwicklung.

Lasst uns weiterziehen! Lasst uns weitergeistern! Auf und Davos!