Vom World Economic Forum in der Schweiz zu den Bauern und Baeuerinnen in Indien

Was hat Politik des "freien Marktes", die auch dieses Jahr wieder von den Wirtschaftsstrategen (1) am WEF in Davos verfochten wird, mit den BaeuerInnen in Indien zu tun? Offensichtlich befinden sich die einen hier im Norden und die anderen weit weg im Sueden. Und doch lassen sich Zusammenhaenge herstellen - Zusammenhaenge, die fuer die selbsternannten Global Leaders in Davos keine oder nur kleine Auswirkungen haben, das Leben der BaeuerInnen und Bauern in Indien jedoch ueber ihre Koepfe hinweg bestimmen oder es sogar verunmoeglichen.

Die unermuedliche Jagd nach neuen Ressourcen, die unter anderem auch am World Economic Forum in Davos organisiert und vorangetrieben wird, vertreibt die BaeuerInnen auf der ganzen Welt von ihrer Erde und entzieht ihnen die Basis ihrer Existenz. Traditionelle Anbaumethoden von Nahrungsmitteln sind fuer die Global Leaders nicht lukrativ, Ertraege der Subsistenzwirtschaft lassen sich nicht in Geld umwandeln. Der landwirtschaftliche Sektor ist aber gerade fuer die Laender des Trikonts der Sektor, in dem eine Entwicklung im Sinne der WEF-Wirtschaftsstrategen, d. h. die Steigerung des Brutto Inland Produktes, vorangetrieben werden kann und muss. Die Stadtbevoelkerung will schliesslich ernaehrt und die Industrialisierung finanziert werden. ueberschuesse der Landwirtschaftsproduktion koennen auf dem Weltmarkt abgestossen werden, um so Kredite bei IWF und Weltbank in den geforderten harten Devisen zurueckbezahlen zu koennen. Ein Mittel zur Devisenbeschaffung sind die BaeuerInnen, die - immer der selben Wachstumslogik folgend - dazu gebracht werden muessen, weltmarkttaugliche Gueter, sogenannte "cash crops", anzubauen.

Wie wirkt sich nun aber die wachstumsorientierte Logik der Global Leaders mitsamt ihren Institutionen konkret auf die auf die BaeuerInnen in Indien aus? Im Folgenden ein Beispiel - es stammt zwar aus der Zeit der "Gruenen Revolution", ist aber dennoch bezeichnend fuer den Prozess der unerbittlichen Einverleibung aller nur moeglichen Ressourcen durch die Global Leaders:

In einem Dorf in Karnataka, Indien, trat Mitte der 70er Jahre eine neue Krankheit auf. Viele DorfbewohnerInnen litten an einer unerklaerlichen Knochendeformation. Wie ist es dazu gekommen? In der Zeit der "Gruenen Revolution" wurden neue Hochertragssorten entwickelt. Diese - hier handelte es sich um Reis - waren aber nicht an das lokale oekosystem angepasst und benoetigten bisher nicht verwendete Pestizide, um ueberhaupt zu wachsen. Eine weitere, tiefgreifende Veraenderung durch den Anbau der neuen Hochertragssorten betraf das Sozialsystem: GrossbaeuerInnen, die das neue Saatgut wollten, mussten es sich mit Krediten finanzieren. Um diese Kredite das naechste Jahr mit den geforderten Zinsen wieder zurueckzahlen zu koennen, mussten sie vom traditionellen Ernteanteilsystem absehen, mit dem sie ihre PaechterInnen bisher entlohnt hatten. Diese wurden so zu landwirtschaftlichen LohnarbeiterInnen. Das war (und ist) fuer die GrundbesitzerInnen lukrativer - die landwirtschaftliche Arbeit ist schliesslich sehr stark von saisonalen Arbeitszyklen gepraegt. Durch die Lohnarbeit wurde der Produktionsprozess viel billiger. Fuer die arbeitenden BaeuerInnen reichte aber der Lohn nicht aus. Um nicht zu verhungern begannen sie, Fische und Krabben zu fangen, die in den Reisfeldern lebten. Diese Tiere hatten aber die gespritzten Pestizide aufgenommen und die Menschen erkrankten in der Folge an der oben erwaehnte Knochendeformation.

Dies ist nur ein Beispiel, wie die oekonomische Entwicklung unmittelbar lebensbedrohend auf BaeuerInnen in Indien einwirken. Solche und aehnliche Vorfaelle finden ueberall im Trikont statt. Und auch heute ist die Situation keineswegs besser, wenn nicht noch schlimmer. Die Zeit der "Gruenen Revolution" ist zwar vorbei; das Zeitalter der Biotechnologie hat begonnen. Und wieder versprechen die AgrotechnologInnen, die ihre Forschungszentren hier im Norden haben, die landwirtschaftliche Produktion zu steigern. Die Folgen dieser Technologien sind nicht absehbar: Biopollution, wachsende Kapitalintensitaet der Agroproduktion, Abhaengigkeiten von Multis und Kreditinstitutionen...

In der Logik des neoklassischen Wirtschaftens, die die selbsternannten Global Leaders propagieren, ist eine solche Entwicklung ein riesiger Fortschritt: Es kann mit noch weniger Ressourcen noch mehr produziert werden, die wachsenden Ertraege koennen auf dem Weltmarkt die "unersaettliche" Nachfrage stillen, damit die Kredite zurueckbezahlt werden koennen und so weiter.

Fuer die BaeuerInnen in Indien aber - oder sonst irgendwo auf der Welt - bedeutet diese Technologie ein weiteres Abgedraengtwerden in Hunger und Armut. Durch diese Entwicklung werden sie weiter verdraengt, haben weder bebaubares Land noch eine regelmaessige Arbeit. Viele migrieren in die Staedte, aber auch dort geht es ihnen nicht besser...

BaeuerInnen in Indien wehren sich bereits seit einiger Zeit gegen die Multis, die Biotechnologie propagieren - sie organisieren zum Beispiel riesige Protestdemonstrationen oder haben im letzten Monat Monsanto-BT-Baumwolltestfelder zerstoert. Hier im Norden, wo diese Biotechnologie entwickelt wird und wurde, nimmt sie jedoch niemand wahr oder wenn, dann niemand ernst. So sagte ein Agrarwissenschaftler 1992: "Als wir (die WissenschaftlerInnen) vor einem Jahrzehnt die Hochertragsreissorten einfuehrten, war die einzige Gruppe, die sich dagegen wehrte Frauen aus baeuerlichen Haushalten. Natuerlich wischten wir ihre Einwaende als die von unwissenden Analphabetinnen vom Tisch. Was wussten die schon? Wir waren die Wissenschafter. Heute, wenn ich sehe, was durch die Hochertragssorten fuer Schaeden angerichtet wurden, erinnere ich mich an diesen Widerstand." (2) Beginnen wir also endlich, den BaeuerInnen im Trikont zuzuhoeren!

(1) Strateginnen sind die Ausnahme, das WEF sowie andere Wirtschaftspolitischen Institutionen sind Maennerbastionen, darum hier nur die grammatikalische Maennerform.
(2) Sandhya Venkateswaran, environment, development and the gender gap. Sage, New Delhi, 1995.