Das WEF und der Osten Europas

Bereits seit 1989 hat das World Economic Formum (WEF) in Davos immer wieder eifrigen Wirtschaftsumbauern aus bis dahin realsozialistisch organisierten Laendern Osteuropas ein Forum geboten, ihrer Politik in Gesellschaft der Weltprominenz Legitimitaet zu verleihen. Dieser bruederliche Umarmung des Westen soll sich nun aber langsam bezahlt machen.

Nach 1989 begann die "neue Freundschaft mit dem Osten". In Erinnerung bleibt etwa die Rede Vaclav Havels am Davoser Forum 1992, in der er den Spagat zustandebrachte, seine zwiespaeltige Haltung als machtkritischer Intellektueller und Praesident der tschechoslowakischen (oder eher der tschechischen?) Bevoelkerung wie auch seinen ehemaligen MitstreiterInnen der Charta 77 bis zu einem gewissen Grad schmackhaft zu machen. Und Premierminister Viktor Tschernomyrdins Rede am Forum 1997 von den zahlreichen Problemen, die Russland heimsuchen wuerden, die aber die Regierung mit Strukturanpassungsmassnahmen und Perestroika bis zur Jahrhundertwende in den Griff kriegen werde, war wohl ebenso an die russische Bevoelkerung wie an potentielle auslaendische InvestorInnen gerichtet, die es zu beruhigen galt.

Gleiches Spiel, verschiedene Regeln

Zum Hauptforum in Davos hinzu kam seit 1996 der Zentral- und Osteuropaeische Wirtschaftsgipfel in Salzburg. Wie das Forum in Davos hat dieser Gipfel die Funktion, marktwirtschaftliche Ideologie sowie deren internationale Institutionen wie die Weltbank oder EBRD (Europaeische Bank fuer Wiederaufbau und Entwicklung) zu legitimieren, in einer Atmosphaere (Selbstdarstellung des WEF auf dessen Webseiten) Vertrauen zwischen InvestorInnen und PolitikerInnen zu schaffen, auf dass sie am gleichen Strick ziehen, - eine Art politisch-ideologischer Monopolabsprache. Dies scheint jedoch nicht die ganze Wahrheit zu sein, legt diese Beschreibung doch nahe, dass die in Salzburg (oder Davos) vertretenen top decision-makers (hoechstrangigen EntscheidungstraegerInnen) unter sich gleiche Voraussetzungen mitbringen. Osteuropaeische StaatsvertreterInnen werden aber auf eine Weise in das Spiel der Symbolproduktion eingespannt, dass sie in der Dynamik der Legitimationsdiskurse an Handlungsfaehigkeit einbuessen.

Geschaeft Hoffnung

Schwierig einzuschaetzen, bis zu welchem Grad der bulgarische Staatspraesident Petar Stoyanov etwa die Maer vom anstehenden EU-Beitritt (oder NATO-Beitritt) selber glaubt und von westlichen Institutionen fuer deren Zielsetzungen instrumentalisiert wird, oder inwiefern er und seine politischen MitstreiterInnen freiwillig mitlaufen und zynisch ihre WaehlerInnen beluegen, um den Umbau der bulgarischen Gesellschaft zu ihren Gunsten voranzutreiben. Der WEF-Gipfel ist integraler Bestandteil einer westlichen Koederpolitik, die im Zusammenspiel mit politischem Druck und oekonomischem Ausspielen dazu dient, die Wirtschaft Bulgariens (das hier als Beispiel fuer andere stehen soll) dem Zugriff der BulgarInnen zu entziehen und in die Haende der Global Players zu legen.

Es gibt durchaus konkrete Gruende, als Bulgarin oder Bulgare fuer einen EU-Beitritt einzustehen. Die oekonomische Ausbeutung Bulgariens gestaltet sich fuer die transnationalen Konzerne der EU einfacher, solange Bulgarien nicht (Voll-)Mitglied ist, sondern mit Kooperationsvertraegen bei der Stange gehalten wird. Die Erniedrigung des Schlangenstehens fuer ein Visum vor der italienischen oder deutschen Botschaft mag einen weiteren dieser Gruende versinnbildlichen. Schengen wird als Provokation, als unrechtmaessiger Ausschluss aus der "zivilisierten Welt" empfunden, in welche Bulgarien seiner Geschichte gemaess gehoeren muesste.

Koederpolitik - ganz konkret

Damit sind wir auch schon bei einem wesentlichen Aspekt europaeischer Koederpolitik angelangt: Die tendenziell imperialistische Rede von der Vollendung Europas (der oesterreichische Praesident Thomas Klestil am WEF-Gipfel in Salzburg im Juli 1998) von Europaeischer Seite findet ihre Entsprechung in den staendigen Beteuerungen osteuropaeischer PolitikerInnen, ihr jeweiliges Land und ihre Kultur sei historisch Teil des zivilisierten Westens. Eine Mischung aus Erniedrigung, Nationalstolz und kapitalistischer ueberzeugung bringt osteuropaeische PolitikerInnen dazu, sich derart auf eine Europaeische Integration einzuschließen, dass fuer sorgfaeltige Lagebeurteilungen wenig Gelegenheit bleibt.

Die Angebote der EU und der NATO an ost- und suedosteuropaeische Regierungen, Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, bedienen sich dieser Dynamik, um die Regierungen und Bevoelkerungen dazu zu bringen, ihre Wirtschaft, ihr Rechtssystem oder ihre Armee nach den Kriterien des Westens umzugestalten, sowie in der Migrationspolitik als Pufferzone zu fungieren. Die Beitrittsangebote selber sind nicht ernstgemeint, oder zumindest in ihrem Kontext fragwuerdig. Waehrend die osteuropaeischen Kandidat-Regierungen mit Eifer darangehen, den jeweiligen Kriterienkatalogen westlicher Institutionen gerecht zu werden, haben die EU-Regierungen an ihrem Amsterdamer Gipfel gezeigt, dass sie ihren Anteil nicht bereit sind zu leisten: Sie haben darauf verzichtet, die institutionellen Reformen einzuleiten, ohne die eine Neuaushandlung der Machtverhaeltnisse in einer erweiterten EU von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Auch muessten Deutschland und oesterreich als diejenigen Laender, die sich die klarsten Vorteile aus einer Osterweiterung erhoffen koennen, tief in die Staatskassen greifen, um den skeptischen aermeren Laender Europas Anreize zu geben. Die Rede in Deutschland ist derzeit aber davon, dass das Land in der EU bereits zuviel zahlt. Der NATO-Beitritt seinerseits scheint sich fuer die Laender der ersten Welle (Polen, Tschechische Republik und Ungarn) zu konkretisieren, die weiteren Kandidat-Laender duerften aber fuer die NATO weniger interessant sein.

WEF - Schluesselrolle im Osten

Dessen ungeachtet gehoeren Diskussionen zur EU- und NATO-Erweiterung, sowie im Zusammenhang mit der letzteren das heikle Verhaeltnis der NATO zu Russland, am Salzburger Gipfel jedes Jahr zu den Schwerpunkten. Damit nimmt das WEF in der symbolischen oekonomie des kapitalistischen Umbaus Osteuropas eine Schluesselrolle ein.

Neu steigt das WEF mit seinem Meeting in Moskau, vom 4.und 5. 12. 1998, in die Verwertung und das Management der russischen Wirtschaftskrise ein und baut den neuen Premierminister Sergey Primakov zum Hoffnungstraeger fuer revidierte Reformen auf. Das WEF scheint im Osten Europas und in Russland vielversprechende Maerkte sowie Entwicklungen mit weitreichenden Konsequenzen zu riechen und wird seine Aktivitaeten wohl weiterhin ausbauen.