Story of Hell

Ca. 1999igste Folge

PB 90 wurde sich gewahr, dass es in seiner Eigenschaft als "Postmoderne Beliebigkeit der 90er Jahre" gerade noch ein Jahr menschlicher Zeitrechnung zur Verfügung hatte, um sich und sein Treiben in uns gut bekannter Art und Weise fortzusetzen. Es raetselte, wie es sich nach der Vergaenglichkeit dieses Jahres nennen sollte (PB 00, PB 2000 oder PB.01?) und darueber, ob es ueberhaupt Sinn machte zu raetseln, da doch angeblich im Jahr 2000 die Welt untergehen wuerde und somit die Namenssuche sich im Staub der Apokalypse aufloesen wuerde.

PB 90 - das grundsaetzlich nur an Weltuntergaenge glaubte, die es selber fabrizierte - beschloss den Geist von Davos zu besuchen. Dieser Geist naehrte sich von den Schwingungen der VerelendungsspezialistInnen, KriegstreiberInnen, ProfiteurInnen und MassenmoerderInnen dieses Globus und hatte sich auf das alljaehrliche World Exploitation Forum in Davos spezialisiert. "Wieso in die ferne Pizzeria schweifen - es gibt doch Pizzakuriere! " lautete das Motto des Geistes von Davos und er musste all die Jahre nie des Hungers leiden, waehrend andere Geister dieser Spezies andauernd CNN schauen mussten, um einigermassen ueber die Runden zu kommen.

Davos - das Dorf in den Alpen, wo bonzige Bonzen bergige Berge erklimmen, wo viel zu selten beschnauzte Despoten-StellvertreterInnen in das Grab ihrer Politik verfrachtet werden und wo Yuppies noch auf ihre Kosten kommen. PB 90 schnappte sich sein Snowboard, aktivierte seine Sonnenbrille und begutachtete das Dorf: Schneeweisse Scharfschuetzen tarnten sich als Kamine, graue Herren mit Knopf im Ohr blaetterten im Wirtschaftsteil und grimmige Blaubehelmte mit den Waffen der Aufstandsbekaempfung in den Staedten im Herzen der Bestie versteckten sich im Schatten der schicken Seitengassen. In der Ferne war das Rauschen der STAPOllo zu hoeren, die ueber Davos kurvte wie die Geier ueber dem Schlachtfeld.

PB 90 hatte intuitiv den Tag der Tage ausgewaehlt: die BurgbewohnerInnen und ihre FreundInnen zogen in die Berge, um den Bonzen und Bullen das Fuerchten zu lehren.

"Waehrend in vielen Regionen des Planeten Erde das Fuerchten Lehren nur symbolischen Charakter hat, geht es in den Bergen um Davos handfester zu und her. TeilnehmerInnen muessen sich den Weg in die Berge regelrecht erkaempfen. Da sind Hindernisse zu ueberwinden wie "Dein Foto ist in unserer Kartei" oder "Heute kommt niemand mit farbigen Haaren ins Dorf". Meist schaffen nur die besten VerwandlungskuenstlerInnen und GestaltenwandlerInnen den beschwerlichen Weg nach Davos und wer es schafft, feiert dies ausgiebig am traditionellen Umzug, wo mit Musik und Gesang den Bonzen und Bullen das Fuerchten gelehrt wird. Bei solchen Umzuegen werden die Schandtaten der Bonzen und Bullen aufgezaehlt und mit Missfallensrufen begleitet. Vergangene oder zukuenftige Ausbeutung, Staudammprojekte, Massaker, Bombardierungen, Menschenrechtsverletzungen usw. werden verbal gegen die Bonzen und Bullen geschleudert. In Form von Schallwellen prasselt eine Flut von Verwuenschungen, Anklagen und Forderungen nieder, so dass sich die Bonzen immer mehr in burgaehnliche Luxusbunker zurueckziehen und sich nicht rausgetrauen. Die Bullen, die draussen bleiben muessen, versuchen den Umzug von den Luxusbunkern wegzudraengen, mit mehr oder weniger Erfolg, je nach Groesse des Umzugs. Nach ein paar Stunden verlaesst der Umzug die Berge wieder und kuendigt lauthals den naechstjaehrlichen Umzug an." (Reisefuehrer des intergalaktischen Widerstandes. Ewiges http://www.storyofhell.hell 1999)

PB 90 lud den Geist von Davos in eine Kneipe ein und zusammen studierten sie den Umzug, der den Bonzen und Bullen das Fuerchten lehren sollte. PB 90 nervte sich ein bisschen, dass ausgerechnet am Tag seiner Sinnkrise, wo es die Ruhe und Ordnung des bergigen Hinterlandes geniessen und mit dem Geist von Davos ueber Perspektiven des virtuellen Daseins diskutieren wollte, die BurgbewohnerInnen ihrer Tradition nachgingen. Aber andererseits konnte es die uralte Tradition seiner MitbewohnerInnen studieren und dem Chronisten in den Archivkopf stecken - der Chronist konsumierte in letzter Zeit ziemlich viel Narrenkraut und Geruechten zu Folge habe er sich in der letztjaehrigen Ernte verlaufen und konnte somit seiner Archiv- und Burgchronik-Arbeit nicht nachkommen, was fuer PB 90 zusaetzliche Arbeit bedeutete (auch ein Grund fuer seine Sinnkrise).

Die STAPOllo kreiste immer noch ueber Davos, aber merkwuerdig tief. ueber dem Kongresszentrum ging sie immer tiefer und tiefer und tiefer, bis sie schliesslich mit ohrenbetaeubendem Krachen (darum immer Ohrenstoepsel dabei haben) in das Kongresszentrum hineinkrachte. Die Flammen loderten, die Bonzen brannten, die Bullen loeschten und der Umzug jubelte. Ein noch nie dagewesener Hoehepunkt, ein neuer Meilenstein im traditionellen "Bonzen und Bullen das Fuerchten Lehren"-Ritual. Ein Hoffnungsschimmer fuer das neue Jahrtausend, das bald anbrechen sollte, ein Symbol fuer den Erfolg jahrelanger kontinuierlicher Arbeit.

"Auf und Davos" murmelte PB 90 und spendierte dem Geist von Davos noch eine Runde Schnaps fuer die Verdauung.