Fakten zur Reitschule: Die gesellschaftlichen Probleme von Stadt und Kanton lösen, statt auf die Reitschule abschieben und wahlkampfpalavern

Die Reitschule stellt fest:

Die Reitschule gehört eben auch zu Bern: Was als Motto der Abstimmung von 2005 gewählt wurde, gilt immer noch.
Der lebendige, basisdemokratisch organisierte Betrieb der Reitschule ist in der Stadt Bern und weit darüber hinaus stark verankert, auch wenn einzelne Projekte zuweilen anecken. Die Reitschule ist ein Kultur- UND Begegnungszentrum mit kulturellem, sozialem und politischem Anspruch. Ihre Arbeitsgruppen und Veranstaltungsorte zeigen in unterschiedlichsten Formen gesellschaftliche Probleme auf. Seit jeher verteidigt sie in ihrem Handeln und in ihren Ideen Grund- und Menschenrechte und steht hinter antifaschistischen Anliegen. Sie begrüsst grundsätzlich Aktionen, die sich gegen Rassismus, Faschismus, Sexismus, Ausbeutung und gegen andere Unterdrückungsformen richten und die sich zum Beispiel für Alternativen zur repressiven Drogenpolitik und für alternative Wohnformen einsetzen.

Die Reitschule war in ihrer 24-jährigen Geschichte noch nie bequem: Dass das stete Engagement, die Freiwilligenarbeit, das monatliche weitest gehend ohne direkte städtische Subventionen auf die Beine gestellte, pralle Kulturprogramm, die politischen Utopien oder das freie Denken bei einigen Menschen Ängste auslösen, ist der Reitschule bewusst – sie nimmt es in Kauf. Denn das alles gehört zum Kultur- und Begegnungszentrum Reitschule Bern.

− Die Reitschule ist in der heutigen Form mit ziemlicher Regelmässigkeit alle fünf Jahre durch die Berner Stimmbevölkerung bestätigt worden.
Die rechtsbürgerlichen Initiativen hatten – wenn auch vordergründig mit unterschiedlichem Inhalt – alle das gleiche Anliegen: Die Schliessung der Reitschule. Umgekehrt waren die Bestätigungen an der Urne aus unserer Sicht klare Bekenntnisse zur heutigen Reitschule. Die Reitschule ist überzeugt, auch eine sechste Abstimmung zu gewinnen. Darüber sollten sich Parlamentarier_innen aller Couleurs klar sein, die meinen, auf dem Buckel der Reitschule Politik machen zu können und zum Beispiel über die Zustimmung oder Ablehnung des Leistungsvertragskredits im Stadtrat ihr Süpplein kochen wollen.

− Mit jedem neuen Vertrag und mit jeder neuen Vereinbarung wurde der Spielraum der Reitschule kleiner.
Mit der Akzeptierung des Sanierungskredites Anfang der 2000er-Jahre hat sich die Reitschule verpflichtet, den Weg in die Legalisierung einzuschlagen. Neben Betriebsbewilligung, Wirtepatent, Mietvertrag und ähnlichem wurden für die Perioden 2004-2007 sowie 2008-2011 die für kulturelle Institutionen üblichen Leistungsverträge mit der Stadt Bern vereinbart. Obwohl unüblich, wurden zusätzlich zu den Leistungsverträgen im Jahre 2003 eine so genannte «Sicherheitsvereinbarung» sowie im November 2009 die diese ablösende «Vereinbarung über Abläufe und Kommunikation» abgeschlossen. Die beiden klären im Wesentlichen Reitschulespezifische Sicherheitsfragen und -abläufe sowie Kommunikationsfragen zwischen Stadt und Reitschule.
Seit 2009 finden die im Leistungsvertrag vereinbarten Gespräche zwischen verschiedenen Abteilungen der städtischen Verwaltung und Reitschule mindestens quartalsweise statt.

Nachteilig für die Reitschule: Je kooperativer und offener für städtische Anliegen die Reitschule wurde, desto härter waren die nachfolgenden Forderungen der Behörden und desto schneller kamen sie.

Beispielsweise wird die heute aktive Wirtin fast wöchentlich mit Beschwerden, Vorladungen und Anzeigen überhäuft, obwohl für Konfliktfälle mit der Verwaltung ausdrücklich ein anderes Vorgehen vereinbart worden ist.

Zudem müssen wir feststellen, dass jegliche Ereignisse aus dem im weitesten Sinne zusammen gefassten Bereich «Auswirkungen der städtischen Ausgeh- und Jugendkultur» rund um die Reitschule aufgebauscht und für politische, wahltaktische oder sonstige versteckte Agenden oder Strategien missbraucht werden.

− Die Reitschule ist nicht abhängig von Betriebssubventionen: Immer wieder wichtig zu betonen ist, dass das Kultur- und Begegnungszentrum Reitschule Bern trotz Leistungsvertrag tatsächlich keine städtischen Betriebssubventionen bezieht! Mit dem Erbringen der kulturellen Leistungen finanziert die Reitschule die Miete für die Gebäude. Nur für deren Unterhalt und die Gebäudesicherheit bekommt die Reitschule jährlich rund 60’000 Franken. Bezüglich Finanzierung des Betriebs besteht also keine Abhängigkeit von städtischen Subventionen!

− Das Kultur- und Begegnungszentrum Reitschule sowie dessen Vorplatz gehören zu den wenigen Freiräumen, die es in der Stadt Bern noch gibt. Die Freiräume und der öffentliche Raum in der Stadt Bern, insbesondere auch in den Quartieren (und natürlich nicht nur in Bern), werden mit den heute üblichen Gentrifizierungs-, Ordnungs- und/oder Verreglementierungsmassnahmen laufend kleiner; am ehesten davon betroffen sind so genannte «Randgruppen» und Jugendliche. So ist denn auch fast nur noch vor und in der Reitschule «erlaubt, was anderswo stört». Viele Jugendliche haben kaum andere öffentliche, mehr oder weniger unbetreute Treffpunkte mehr, viele Klubs haben rigorose Altersbeschränkungen und/oder sind für viele zu teuer; und viele «Randständige» leiden unter dem Mangel an niederschwelligen Treffpunkten und Hilfsangeboten.

Unzufriedene, gelangweilte «Kids» lösen sich aber nicht einfach so in Luft auf – egal wie oft sie im Zuge von «Ruhe und Ordnungs»-Massnahmen aus den Quartieren, der Agglomeration oder der Innenstadt vertrieben werden. Somit treffen sie sich halt an Orten wie dem Vorplatz – und: Manchmal bauen sie dort «Scheisse». Dass sie das längst nicht nur bei der Reitschule tun, bestätigt sich in den allwochenendlichen Polizeimeldungen aus der ganzen Schweiz.

Jedes Wochenende gehen Tausende Menschen aus Stadt und Agglomeration in Bern in den Ausgang. Für unter 20-jährige ist es aus finanziellen oder Altersgründen oft schwierig, ihr wochenendliches Nachtleben-Bedürfnis zu befriedigen. Dabei werden ihnen im öffentlichen Raum von Behörden und Polizei oft noch zusätzliche Hindernisse in den Weg gelegt. Der Vorplatz der Reitschule nimmt immer mehr die Funktion eines Öffentlichen Treffpunktes ein – einer Piazza, wo mensch sich ungezwungen treffen kann.

Der Vorplatz hat sich auch wegen des Rauchverbots zu einer Art Piazza entwickelt, wo verschiedenste Menschen aufeinandertreffen. Reitschule-Besucher_innen, sonstige Ausgänger_innen, Wenigverdienende, Jugendliche aus den Quartieren und der Agglomeration, Pingpong-Angefressene, Migrant_innen und viele andere nutzen diesen beziehungsweise die «Piazza», um sich zu treffen, um zu diskutieren, um neue Leute kennen zu lernen und um die Stimmung zu geniessen.

− Die Reitschule ist von neuen gesellschaftlichen Entwicklungen stets rasch betroffen.
Seien es neue Quartieraufwertungs-Massnahmen, neues Ausgehverhalten von Jugendlichen, neue Modedrogen, neue repressive Asyl- oder Ausländergesetze, Sozialabbau oder was auch immer – in der Reitschule zeigen sich neue «Problemfelder» meistens sehr rasch, nicht zuletzt, weil sich hier sehr viele Menschen treffen und weil hier weniger «Kontrolle» stattfindet. Schliesslich finden auch anderswo Vertriebene hier einen neuen Platz, an dem sie in Ruhe gelassen werden.

Die Reitschule findet sich in steter Auseinandersetzung mit diesen «Phänomenen» und ist stets bemüht, mit den neuen gesellschaftlichen Entwicklungen adäquat umzugehen und – falls nötig – möglichst nicht repressive Lösungsansätze für neue Probleme zu finden. Und dies notabene sozusagen «nebenbei» – es werden ja auch noch grosse, mittlere und kleine Konzertlokale, eine Theaterbühne, ein Kinosaal, eine Bibliothek, eine Druckerei, eine Holzwerkstatt, diverse Bars und ein Restaurant betrieben.

− Die Reitschule lebt Tag und Nacht Kultur.
Die Reitschule trägt so auch die Folgen der Konzeptlosigkeit im Kultur und Nachtleben der Politik: Mit dem neuen Regierungsstatthalter scheint eine neue Politik eingeläutet worden zu sein. Nach Ansicht der Reitschule sollte jedoch nicht ein juristischer, sondern ein gesellschaftlicher und politischer Diskurs klären, in welche Richtung die künftige «Kultur- und Ausgehpolitik» der Stadt Bern gehen soll. Wir verweisen dabei auch auf die Debatten im Zusammenhang mit der Petition «Pro Nachtleben» und der im Stadtrat hängigen überparteilichen «Nachtleben»-Interpellation.

Übrigens: Darüber wie tief die zurzeit verhandelten Dezibel-Werte sind, wurde in den Medien bereits ausführlich berichtet: (Beispiel 29.07.2011 Der Bund; Das schleichende Ende der lauten Musik: http://www.derbund.ch/bern/Das-schleichende-Ende-der-lauten-Musik/story/10812014).

Auch die Reitschule sieht sich mit einer Flut von Lärmklagen und diesbezüglichen Anzeigen konfrontiert. Auch dies, vor allem auch in Bezug auf das Ausmass der Anzeigen, unserer Ansicht nach eher politisch motiviert.

− Aktionen oder Ereignisse rund um die Reitschule werden unterschiedlich und/oder verzerrt wahrgenommen! Während Reitschule-Betreiber_innen und Gäste noch ihre Köpfe über stupide Aktionen einiger Jungs und Mädels schütteln – und weiter an ihrem Bier nippen, werden in gewissen Polizeistuben schon grobe Medienmitteilungen verfasst, welche nicht nur von den Online- und Boulevard-Medien dankbar aufgegriffen und weiter aufgebauscht werden. Der widersprüchliche bis schizophrene Umgang der Gesellschaft mit den unterschiedlichen Formen von physischer, psychischer, medialer, struktureller, häuslicher, etc... Gewalt sowie die Sauberkeitspolitik der letzten Jahre tragen ihre komischen Früchte. Während virtuelle Gewalt allgegenwärtig geworden ist, werden im realen Leben immer kleinere, harmlosere Anlässe medial «aufgewertet».
Die Reitschule hat keine Sicherheitsprobleme, sondern – speziell während Medienflauten- oder in Wahlkampfzeiten – Probleme mit unrealistischen und polemischen «Sicherheits»-Diskursen und - Forderungen von Politik und Medien.

− Die Reitschule hat kein Drogenproblem – sondern ein Problem mit den Auswirkungen der repressiven Drogenpolitik.
Schon Ende der 1990er – nachdem Teile der Drogen- und Dealerszene aus der Innenstadt vertrieben wurden und sich mit den beiden Szenen auch vermehrt die Polizei auf der Schützenmatte und dem Vorplatz der Reitschule zeigte – gab es Konflikte zwischen einzelnen Polizeibeamt_innen und Reitschule-Aktivist_innen, die bis heute andauern.

Seit mehreren Jahren verstärkte die Reitschule (sogar ziemlich erfolgreich) mit verschiedensten Massnahmen die Bemühungen, den Vorplatz als Piazza und als Begegnungsort «zurückzuerobern» und die Vorplatz- und Eingangssituation für ihre Gäste zu verbessern.

Die Reitschule unterstützt keine mafiösen Strukturen, spricht sich gegen Ausbeutung und Unterdrückung aus, duldet keine Selbstbereicherung und will auch keinen Deal illegalisierter Drogen vor dem Haus – weil die oben genannten Werte damit unterlaufen werden. Mit regelmässiger und organisierter Präsenz ist es heute gelungen, den Deal illegalisierter Drogen weitgehend vom Areal der Reitschule fernzuhalten.

Im Übrigen geht es hier um die Grundproblematik, dass der Mensch seit jeher Substanzen konsumiert, die das Bewusstsein erweitern oder vernebeln. Eine Illegalisierung so genannter Drogen ist deshalb irrwitzig, weil sie unzählige Folgeprobleme schafft. Die Reitschule hat sich seit Jahren ausführlich dazu geäussert, zum Beispiel hier:
http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/Medienmitteilungen/08-09-17-PKReitschule/PK-Zusaetzliche-Forderungen.pdf.

− Das Verhältnis zwischen Reitschule und Polizei ist historisch belastet – dies gilt es auszuhalten.
Die Reitschule steht Interventionen der Polizei in und um die Reitschule grundsätzlich und durch Geschichte und Erfahrung begründet, nach wie vor eher ablehnend und kritisch gegenüber. Nach ihrer Einschätzung und Erfahrung ist die Anwesenheit uniformierter oder ziviler Polizei kaum je ein geeignetes Mittel, in oder vor der Reitschule auftretende Probleme zu lösen, sondern schafft durch ihr Provokationspotential und das oftmals kontraproduktive und unprofessionelle Verhalten von Beamt_innen vielmehr zusätzliche Probleme – und keine Vertrauensbasis.

Konkret kritisiert die Reitschule regelmässig beobachtete gewalttätige Übergriffe, Provokationen und Fehlleistungen der Polizei gegenüber «mutmasslichen Drogendealern» (v.a. Drogeneinheit Krokus und Drogenzivilfahndung).

Gleichzeitig stellt die Reitschule fest, dass es immer wieder zu Beleidigungen, Tätlichkeiten und willkürlichen Anzeigen gegen Reitschüler_innen und Reitschule-Gäste durch fehlbare Beamt_innen kommt. Leider ignoriert und verharmlost die Polizeiführung dies konsequent und macht oftmals aus Opfern, Betroffenen und Zeug_innen dieser Übergriffe Täter_innen.

Regelmässig und ohne Nachprüfungen wird die Reitschule an Sitzungen wie auch in Polizei- Medienmitteilungen direkt oder indirekt für alles Mögliche verantwortlich gemacht und des Fehlverhaltens beschuldigt – auch wenn es sich dabei um Demonstrationen in der Stadt, politische Aktionen oder für städtische Verhältnisse «normale» Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Teilen der Bevölkerung handelt, die nichts mit dem Reitschule-Betrieb zu tun haben.

In Fällen, in denen die Reitschule – wie rechtlich vorgesehen – die Arbeit der Polizei überprüfen lässt, sieht sie sich seit kurzem regelmässig mit Gegenanzeigen konfrontiert.

Im Zusammenhang mit den Ereignissen vom 22. September 2011, bei dem ein unverhältnismässiger Polizeieinsatz von einem geistesgegenwärtigen Gast gefilmt wurde, hat die Reitschule eine Aufsichtsbeschwerde eingereicht. Diese ist noch hängig.


Reitschule Bern, 18. November 2011