Wieso und warum die Reitschule Bern den 1-jährigen Leistungsvertrag nicht unterschreibt

Medienkonferenz vom 29. November 2011, Reitschule Bern (es gilt das gesprochene Wort)

Referat I

(Thema Warum wir nicht unterschreiben)

Die Reitschule hat am Donnerstag, 17. November zur Kenntnis genommen, dass der dritte Leistungsvertrag über die nächsten vier Jahre, vom Stadtrat zurückgewiesen wurde.
Dies nach fast 2-jähriger intensiver Verhandlungsdauer zwischen der Reitschule und dem Gemeinderat.
Die Verhandlungen und der Leistungsvertrag wurden mehr und mehr für politische Zwecke missbraucht. Die Reitschule akzeptiert aber ihre Rolle als Wahlkampfschlager nicht mehr.
Einen 4-jährigen Leistungsvertrag in einen 1-jährigen umzufunktionieren ist aus diversen Gründen nicht akzeptabel. Die Planungssicherheit für die Programmation im kulturellen wie auch im politischen Bereich ist nicht mehr gegeben. Auch die Aufrechterhaltung der Infrastruktur ist im Jahresschritt nicht möglich.
Der zeitliche Aufwand einen Leistungsvertrag auszuarbeiten, ist in den Strukturen der Reitschule enorm und blockiert erheblich den kulturellen Betrieb. Zudem mindert es die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit anderen, für uns wichtigeren Themen und erschwert das laufende Tagesgeschäft.

Diese Gründe haben uns dazu gezwungen den 1-jährigen Leistungsvertrag nicht zu unterschreiben. Allen Beteiligten sollte bewusst gewesen sein, dass auf diese Art und Weise keine produktive Zusammenarbeit mehr möglich war.

Unser Entscheid bietet die Chance zu einem Neuanfang. Er erlaubt uns auch, einem selber erstellten Zeitplan nachzugehen, der unseren Strukturen gerecht wird. Dazu gehört die basisdemokratische Arbeitsweise und eine konsensorientierte Diskussionskultur, welche wir auch in den nächsten Verhandlungen respektiert haben wollen.

Mit einem Neuanfang wollen wir auch bessere Rahmenbedingungen für die Reitschulstrukturen und den kulturellen und politischen Betrieb aushandeln. So lange führen wir den Alltagsbetrieb wie bisher weiter und suchen aktiv den Dialog mit der Stadt und den zuständigen Behörden.


(Thema Planungssicherheit)

Ein einjähriger Leistungsvertrag wurde uns einseitig vom Parlament aufgezwungen, er war nie Gegenstand der Vertragsverhandlungen. An den Gesprächen mit den Stadtdelegierten war ein einjähriger Vertrag zu keinem Zeitpunkt angesprochen worden. Der Betrieb der Reitschule erfordert eine längerfristige Planungssicherheit. Insbesondere das Tojotheater und der Dachstock haben bereits bis Ende 2012 Buchungen vorgenommen. Um die Veranstaltungen auf diesem hohen Niveau durchzuführen, investieren wir auch laufend hohe Beträge in die Infrastruktur. Eine Küche, die den neusten Hygienestandards entspricht, kann nicht nur auf ein Jahr hinaus finanziert werden, das selbe gilt natürlich für die Musik- und Lichtanlagen, die Kinoausstattung, etc.

Eine einjährige Vertragslaufzeit heisst ständige Neuverhandlungen, welche uns von den Kernaufgaben abhalten und eine Vertragserfüllung unsererseits behindern. Wertvolle Kulturarbeit muss zugunsten des Verhandlungsaufwandes reduziert werden – das kann nicht in unserem Interesse sein.


Referat II

(Thema Wahlkampf)

Im Herbst 2010 hat die Berner Stadtbevölkerung die Reitschule, wie sie ist, mit 68.4 % bestätigt. Es ist befremdend, dass ein Stadtparlament, welches die Bevölkerung vertreten soll, nur ein Jahr später diesen Entscheid in Frage stellt. Auffallend dabei ist, dass diverse Politiker_innen wenig Sachkenntnisse bezüglich der gesellschaftspolitischen Situation und der Probleme der Stadt, und somit auch der Reitschule, vorweisen können.

Real existierende Gründe für die Ablehnung des Kredits zum Leistungsvertrag sind für uns nicht erkennbar. Vielmehr wurde bereits der Wahlkampf 2012 eingeläutet und die Reitschule ein weiteres Mal als Wahlkampfthema missbraucht. Wir haben kein Interesse daran, Wahlkampfthema zu sein, sondern wir wollen eigene Themen lancieren und Diskussionen anreissen. Genau so wenig will die Reitschule zwischen Gemeinderat und Parlament zerrieben werden.

2012 feiert die Reitschule ihr 25-jähriges Bestehen: 25 Jahre Politik, Kultur und Selbstbestimmung. Dass genau dieses Jahr von politischem Tamtam geprägt sein soll, passt zu unserer Geschichte. Wir werden das Jubiläum zum Anlass nehmen, unsere eigenen Anliegen mit entsprechenden Kampagnen in die Öffentlichkeit zu tragen. Dabei wollen wir unserem eigenen Zeitplan folgen und uns nicht von der Politik und den Behörden den Takt diktieren lassen.


(Thema Sicherheit und Sozialarbeit)

Die Reitschule bekommt neue gesellschaftliche und politische Entwicklungen sehr schnell zu spüren. Dies können wir an zwei konkreten Beispielen aufzeigen:

1. Beispiel zur Drogenpolitik: Repressive und einschränkende Massnahmen in der Drogenpolitik der Stadt Bern und in anderen Regionen führten zu einer Konzentrierung der Drogenszene auf die Stadt Bern. Aufgrund der Nähe der Drogenanlaufstelle zur Reitschule wurden damit verbundene Begleiterscheinungen, wie Deal und öffentlicher Konsum, auch auf den Vorplatz getragen. Eine solche verfehlte Drogenpolitik der Stadt und des Kantons Bern liegt nicht in unserem Einflussbereich; trotzdem müssen wir die Auswirkungen nicht nur ausbaden, sondern werden von einigen Akteuren auch noch dafür verantwortlich gemacht.

2. Beispiel zu Repression im öffentlichen Raum: Der öffentliche Raum wird immer mehr eingeschränkt und reglementiert. Dies bekommen auch Jugendliche zu spüren, welche sich, vor allem auch am Wochenende und Nachts, nicht mehr an ihren Lieblingsplätzen aufhalten können. Die Münsterplattform schliesst früh und auf der Grossen und der Kleinen Schanze werden sie von Pinto und Polizei belästigt und vertrieben. Der Vorplatz der Reitschule ist somit, dank uns, zum letzten Freiraum der Stadt Bern geworden, wo sich fast alle ungezwungen aufhalten können.


(Thema Polizei)

Wir können nicht abstreiten, dass es immer Spannungen zwischen der Reitschule und der Polizei gegeben hat. Dies hat auch mit der historisch belasteten Beziehung zwischen der Reitschule und der Polizei zu tun. Allerdings scheint sich die Situation immer mehr zu verschärfen, seit die Polizei damit begonnen hat, eigene politische Projekte zu verfolgen. So werden Ereignisse rund um die Reitschule medial hochgespielt und dramatisiert. Wir konnten immer wieder beobachten, dass bei Medienmitteilungen seitens der Polizei Lügen verbreitet werden. Dies ist in unseren Augen höchst problematisch und unterwandert die Gewaltentrennung.
Solche Beobachtungen deutlich machen konnten wir anlässlich der Medienkonferenz vom 26. September. Interessant in diesem Zusammenhang die Reaktion der Staatsanwaltschaft, die in der «Berner Zeitung» abgebildeten Sprecherinnen der Reitschule wurden mit gerichtlicher Verfügung aufgefordert, das Video herauszugeben, damit weitere Personen angezeigt werden können. Auf unsere Aufsichtsbeschwerde haben wir bis auf einige staatskundliche Belehrungen noch keine Antwort erhalten.

Aktuell wird der Ruf seitens der Polizei nach mehr Respekt und gegen die Gewalt an Polizistinnen immer lauter.  Es wird gejammert, aber nicht nach Ursachen gefragt. Tatsache aber ist, dass gerade Jugendliche oft negative Erfahrungen mit der Polizei machen. Sei es im Ausgang, bei Demonstrationen oder an Fussballspielen. Dabei lassen aber die scheinbaren Opfer, die Polizist_innen, oft selbst Respekt und Fingerspitzengefühl vermissen. Die Kluft zwischen Jugendlichen und Polizei scheint allgemein immer grösser zu werden. Aktuelle Beispiele dafür sind die Berichte im 10vor10 vom 13. Oktober 2011 über die Kapo Bern und vom November 2009 über die Aktion Respekt in Zürich.

Nochmals, der Vorwurf seitens der Politik und der Polizei, die Betreiber des Kulturzentrums Reitschule würden sich zu wenig stark von Gewalt zu distanzieren, sei sie politisch Motiviert oder nicht, können und wollen wir nicht gelten lassen.


(Thema Spaltung Kultur und Politik)

Immer wieder wird versucht, Kulturschaffende und so genannte randalierende Politaktivist_innen zu spalten. Die Reitschule ist seit 25 Jahren aber eben nicht nur ein Kultur-, sondern auch ein Politzentrum! Sie versteht sich in erster Linie als ein politisches Projekt, welches durch den kollektiv organisierten Kultur- und Kleingewerbebetrieb funktionierende Alternativen zur Leistungsgesellschaft aufzeigt und vorlebt.


(Thema Wie weiter)

Wir werden so weitermachen wie bisher, wir veranstalten Kultur und wir bleiben im Dialog mit den zuständigen Behörden und Ämter. Wir gehen nun aber von einer neuen Ausgangslage aus und beharren dabei auf einem eigenen Zeitplan und den bewährten konsensdemokratischen Strukturen. Sobald wir einen Schritt weiter sind, werden wir uns gerne wieder zu Wort melden.