MEDIENSPIEGEL 18.7.08

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Programm
- Anti-Atom: 1900 Einsprachen gegen Mühleberg & NWA Bern
- Anti-Globalisierung
- SP-"Sicherheitspapier"
- Neuer Ausschaffungs-Knast in ZH

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REITSCHULE
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PROGRAMM:

Fr 18.07.08  20.00 Uhr  Vorplatz.ch     
Summer Jam mit Angle Baye Fall Soundsystem (Dakar/Bern) - Reggae meets Afrofunk

Sa 19.07.08  20.00 Uhr  Vorplatz.ch     
Gasmac Gilmore (Wien) - Crossover-Balkanrock

Vorplatz-Belebungs-Bar: Di-Sa ab 16 Uhr
Vorplatz-Belebungs-Kultur-Imbiss: Do-Sa ab 18 Uhr
Vorplatz-Belebungs-Infos: http://www.vorplatz.ch

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ANTI-ATOM
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tagesanzeiger.ch (SDA) 18.7.08

Hunderte gegen unbefristete Betriebsbewilligung für AKW Mühleberg

Gegen das Gesuch für eine unbefristete Betriebsbewilligung für das Atomkraftwerk Mühleberg sind total 1900 Einsprachen eingereicht worden. Diese Bilanz zieht das Bundesamt für Energie (BFE) nach Sichtung aller Eingaben.

Rund 98 Prozent der Einsprachen stammen von Privatpersonen, wie BFE-Sprecher Matthias Kägi auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA sagte. Die restlichen zwei Prozent gehen auf das Konto von Gemeinden (8), nationalen und lokalen Organisationen im Umwelt- und Energiebereich (10) und Parteien (11).

Bei zwei der elf Parteien, die Einsprache erhoben, handelt es sich um nationale Parteien: die Grünen und die SP Schweiz. Die anderen sind lokale oder kantonale Sektionen.

1820 Einsprachen gegen das Gesuch des bernischen Energieunternehmens BKW wurden auf einem vorgedruckten Formular eingereicht. Es stammt von der Berner Anti-Atom-Bewegung Fokus Anti-Atom.

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20min.ch 18.7.08

1900 Einsprachen gegen unbefristeten Betrieb des AKW Mühleberg

98 Prozent der Einwände gegen den Weiterbetrieb von Mühleberg nach 2012 kamen von Privatpersonen, wie Matthias Kägi, Sprecher des Bundesamts für Energie (BFE) heute sagte.

Ausserdem haben acht Gemeinden eingesprochen, zehn Organisationen aus den Bereichen Umwelt und Energie auf nationaler und lokaler Ebene, zwei nationale politische Parteien und neun politische Parteien auf lokaler oder kantonaler Ebene.

Der Bund prüft nun die Einsprachen zum Gesuch der Betreiberin BKW FMB Energie AG und wird im ersten Quartal des nächsten Jahrs einen Entscheid fällen. Geprüft wird unter anderem die Einspracheberechtigung. Von den Privatpersonen sind jene einspracheberechtigt, die in der sogenannten Zone 1 in drei bis fünf Kilometern Entfernung um das AKW wohnen.

Ausserhalb dieser Zone muss eine spezielle Betroffenheit nachgewiesen werden, beispielsweise in klimatischer oder topografischer Hinsicht. Die öffentlich bekannt gegebenen Einsprachen wurden im wesentlichen mit Sicherheitsbedenken beim zweitältesten AKW der Schweiz begründet.

Verwiesen wurde unter anderem auf die Risse im Kernmantel und eine mangelnde Erdbebensicherheit. Mühleberg ist seit 1972 in Betrieb und verfügt als einziges AKW der Schweiz über eine befristete Betriebsbewilligung. Sie läuft Ende 2012 ab.

Quelle: AP

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Bund 18.7.08

Atomkraftgegner gründen Regionalgruppe Bern

Stadt Bern In Gösgen ist ein neues AKW geplant, und Mühleberg soll eine unbefristete Betriebsbewilligung erhalten. Ausserdem sind auch Pläne für die Ersetzung der AKWs Mühleberg und Beznau im Gespräch. Um dieser Entwicklung entgegenzutreten, gründeten am Dienstagabend sieben Personen die erste Regionalgruppe der Organisation "Nie-Wieder-Atomkraftwerke - NWA", wie aus einer Mitteilung hervorgeht. Elango Kanakasundaram, Kopräsident NWA Bern, gibt sich zuversichtlich: "Einige Personen fehlten, und wir rechnen laufend mit neuen Beitritten."

Velo-Aktion im September

Für den 11. September plant die NWA Bern die Aktion "Vignettenpflicht für AKWs" auf dem Bundesplatz. Mit 900 Velos, die zusammen über eine Haftpflicht von 1,8 Milliarden Franken verfügen, was der Versicherungssumme eines AKW entspricht, wollen die Initianten "aufzeigen, wie lächerlich tief die Haftplichtversicherung für AKWs in der Schweiz ist", erklärt Kanakasundaram. Im Mai scheiterten die linken Parteien im Nationalrat mit der Forderung nach einer Haftpflichtsumme von 500 Milliarden Franken je AKW (siehe "Bund" vom 28. Mai). Dabei berief sich Rudolf Rechsteiner (sp, BS) auf eine Studie des Bundesamtes für Zivilschutz, welche den Schaden einer Reaktorkatastrophe in der Schweiz mit 4000 Milliarden Franken bezifferte.

NWA - Gründung neuer Gruppen

Die NWA Schweiz (früher Nordwestschweizer Aktionskomitee gegen Atomkraftwerke) ist im Raum Basel verankert. Im Juni wurden deshalb die Statuten geändert, damit Regionalgruppen gegründet werden können, wie Aernschd Born von NWA Schweiz auf Anfrage erläutert. Zurzeit sei auch in Solothurn eine neue Gruppe am Entstehen. Ziel sei eine verstärkte Präsenz in der Öffentlichkeit, um auf die "immensen" Gefahren der Atomkraftwerke aufmerksam zu machen. "Wir wollen zurück auf die Strasse zu den Menschen; wenn das zu einer Bewegung beiträgt, umso besser", sagt Born. Im persönlichen Dialog wollen sie über die Möglichkeiten der erneuerbaren Energien informieren und die Menschen für die ungelösten Probleme der Atomkraftwerke sensibilisieren. (jw)

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ANTI-GLOBALISIERUNG
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WoZ 17.7.08

Antiglobalisierung, Teil 2 - Streit, Spaltung und der Kapitalismus im Kopf: Warum die Bewegung in der Schweiz versandete. Und warum sie trotzdem Erfolg hatte. Zweiter und letzter Teil der Serie.

Die grosse, nützliche Illusion

Von Bettina Dyttrich

"Manche Leute dachten, es genüge, ein paar Gipfel zu blockieren, um den Kapitalismus abzuschaffen", sagt Olivier de Marcellus. "Das war natürlich eine grosse - vielleicht nützliche - Illusion. Denn die Mächtigen werden eher die Demokratie aufheben oder einen Weltkrieg anfangen, als dass sie ihr System aufgeben." Es klingt fast fröhlich, wie de Marcellus das sagt. Der Genfer Bildungswissenschaftler und bekannte Aktivist ist heute 65 Jahre alt und aktiv wie eh und je. Zurzeit vor allem in der Assemblée des Mal-Logés (Vereinigung der schlecht Wohnenden), die versucht, eine neue Bewegung gegen die Genfer Wohnungsnot in Gang zu bringen. "Es gibt gerade noch drei besetzte Häuser hier, und auch sie werden wohl dieses Jahr geräumt. Und jeden Tag erhalten vier Leute die Kündigung für ihre Wohnung. Viele sind wütend", erzählt er.

Auch die BernerInnen, die 1998 gegen die Welthandelsorganisation (WTO) und das World Economic Forum (Wef) aktiv waren, haben sich nicht von der Politik verabschiedet. Die vierzigjährige Restauratorin Sandra Ryf ist bei der Frauengruppe F.A.M. dabei. Yvonne Zimmermann, 37, arbeitet für die Kampagne Euro 08 gegen Frauenhandel. David Böhner, 41, druckt immer noch die Berner Reitschulzeitung "Megafon" und versucht mit anderen, die gescheiterte linke Wochenzeitung "antidot" als Website neu aufzugleisen. Und die 35-jährige Akademikerin Anna Cadonau (Name geändert), früher bei der Anti-WTO-Gruppe Zürich, hat sich gerade an der Besetzung des Zürcher Hardturmstadions beteiligt.

Aber "die Bewegung", da sind sich alle einig, gibt es nicht mehr. Die letzte Deutschschweizer Gruppe, die seit den Protesten in Genf von 1998 überlebt hatte, war die Anti-WTO-Koordination Bern. Ein Zusammenschluss mit der Aktion ungehorsamer Studierender sollte 2006 neuen Schwung bringen. Das neue Basiskollektiv Rebelle kam jedoch nie ins Rollen.

Wann ging es schief? Ein Wort fällt immer wieder, wenn es um diese Frage geht: Fideris. Am Bahnhof Fideris im Prättigau errichtete die Polizei vor dem Wef 2003 eine Schleuse aus Gitterzäunen. Wer in Davos demonstrieren wollte, sollte hier kontrolliert und durchsucht werden. Das Tal ist schmal und steil an dieser Stelle, das Dorf liegt ausser Sichtweite. "Fideris", sagt Walter Angst, Zürcher Gemeinderat für die Alternative Liste, "war der Archetyp von dem, was heute passiert." Tatsächlich: Fideris ist überall. In den Wegweisungsartikeln, die eine Stadt nach der anderen eingeführt hat. An der Euro 08. Im Satz "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten".

Teilen und herrschen

Walter Angst war damals aktiv im Oltner Bündnis (OB), dem breitesten globalisierungskritischen Zusammenschluss, den es in der Schweiz je gegeben hat. Er reichte von der Anti-WTO-Koordination über die Religiösen SozialistInnen bis zur Grünen Partei. Das OB weigerte sich, das "Viehgatter" von Fideris in Kauf zu nehmen und wurde deshalb von den Medien und der SP heftig kritisiert. In der Vorwoche der geplanten Demonstration kippten die Grünen und akzeptierten die Schleusen. Das OB fiel auseinander. Die Gewerkschaften, die stark an der Mobilisierung beteiligt waren, zogen sich nach der gescheiterten Demo zurück (zu Fideris siehe WOZ Nr. 5/03 auf der WOZ-Website).

"Fideris musste die Spaltung fast zwangsläufig hervorrufen", meint Walter Angst rückblickend. "Wir konnten nicht mehr vermitteln, warum eine solche Einschränkung der Grundrechte inakzeptabel ist. ‹Durch die Schleuse muss man ja im Flughafen und im Stadion auch›, hiess es immer."

"Klassische Herrschaftspolitik" nennt Angst das, was in jenen Jahren ablief. Das Wef, 2001 arg unpopulär und unter Druck, stellte den erfahrenen Politstrategen Peter Arbenz an. Dieser empfahl, die gemässigten Wef-Gegner Innen einzubinden und die radikalen auszugrenzen. Eine uralte Strategie. In Fideris funktionierte sie. Der Polizei überfall auf tausend heimkehrende DemonstrantInnen in Landquart 2004 war dann ein klares Zeichen an jene, die immer noch nicht Teil dieses Schemas werden wollten. Angst: "Man konnte nur noch die Repression anprangern ... und das funktioniert nie. Wenn Repression zum Hauptthema einer Bewegung wird, erreicht man die Leute nicht mehr."

David Böhner denkt heute, dass die Eskalation vermeidbar gewesen wäre: "Wir hätten uns zum Beispiel ein anderes Ziel als das Wef auswählen können, als wir gemerkt haben, dass wir nicht mit Zehntausenden von Leuten nach Davos kommen. Aber dazu wäre eine bessere Verständigung innerhalb der Bewegung vonnöten gewesen."

Und diese funktionierte auch nicht mehr, als die Bewegung breit geworden war: Während sich ein Teil der "Gemäs sigten" einbinden liess, distanzierten sich AktivistInnen aus dem Umfeld des Revolutionären Aufbaus vom OB und setzten auf direkte Konfrontation mit der Polizei. Spätestens im Landquarter Kessel von 2004 war diese Strategie nicht mehr zu verantworten. "Wir waren nicht in der Lage, in Kürze Massenaktionsformen zu entwickeln, die weder auf Unterwerfung - wie in Fideris - noch auf Konfrontation hinausliefen", sagt Walter Angst. "Das sehe ich als eigentlichen Grund für das Scheitern."

Viele Bewegungen spiegeln, was sie bekämpfen. Schnelle Wechsel, Flexibilität, dauerndes Unterwegssein: Die Anforderungen des globalisierten Kapitalismus prägten auch die Bewegung, die ihn abschaffen wollte. Eine Aktivistin des französischen Kollektivs Sans Titre schreibt: "Das Internet, die Möglichkeit zur Interaktion mit vielen, weit entfernten Leuten, nährt ein sehr wirksames Trugbild: dauernd mobilisierbar zu sein und an allem teilnehmen zu können, was überall passiert. Es ist wie ein Rennen, um auf dem Laufenden zu sein über alles, was los ist, dauernd in Bewegung und in Aktion. Ein Rennen, das Adrenalin und Aufregung enthält und ein hysterisches Zeitgefühl entstehen lässt, in dem man nie wirklich, ganz und in Ruhe irgendwo ist."

Mit dieser Atemlosigkeit verbunden wurde alles immer kurzfristiger: Aktivismus auf Projektebene. "Man kann einen Aktionstag machen, die Leute sind sehr engagiert, aber nachher verschwinden sie wieder", sagt Olivier de Marcellus. "Niemand bleibt mehr lange zusammen, arbeitet gründlich an einem Thema, bis es alle in der Gruppe ver stehen."

Auch der Leistungsdruck erinnerte an die Arbeitswelt: "Die Obsession mit Schnelligkeit und einer messbaren Effizienz" sei ein zentrales Element der Bewegung, schreibt Sans Titre. "Wir behaupten, wir hätten die entfremdende Logik des Kapitalismus verlassen, dabei sind wir vollgesogen davon." Effizient waren die Kerngruppen des Widerstands tatsächlich. Sie konnten gar nicht anders: Nur ein kleiner Teil der Leute, die sich an den Gipfelprotesten beteiligten, war organisiert. Oft stellten einige wenige AktivistInnen Veranstaltungsreihen auf die Beine, organisierten mehrtägige Konferenzen in vier Sprachen, kochten für ganze Demozüge - und das alles in der "Freizeit".

AktivistIn, global, flexibel

Entsprechend standen die Aktivist Innen unter Druck. Häufig blieb kaum noch Zeit, über Inhalte zu diskutieren. Und für das Einbinden von neuen Leuten, das die Arbeit auf mehr Schultern verteilt hätte, fehlte die Energie. Anna Cadonau erinnert sich: "Einmal kam eine Frau an unsere Sitzung und stellte die feministische Ökonomiekritik in-frage, die uns so wichtig war. Ich hielt ihr einen dreiminütigen Vortrag dar über. Die anderen fanden nachher, ich hätte es gut erklärt, aber mir war nicht wohl dabei. Ich hatte sie einfach abgefertigt. Wir konnten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr über so etwas diskutieren, wir mussten uns um Schlafplätze und Kochtöpfe kümmern ..."

Die Anti-WTO Bern hatte das gleiche Problem: "Wir merkten, dass wir ungastlich waren, wenn wir an den Sitzungen einfach unser Programm durchzogen, und die Neuen verstanden nur Bahnhof", erzählt Yvonne Zimmermann. Sie versuchten das zu vermeiden, indem zwei aus der Gruppe die Interessierten zuerst zu einem Gespräch trafen. "Wir erzählten ihnen, was wir machen, wo wir politisch stehen, und stellten ihnen ein paar Fragen. Wir sagten auch an den Sitzungen immer: Fragt, wenn ihr etwas nicht versteht." Doch nicht immer ging das gut: "Ich erinnere mich an eine Frau, die dieses Vorbereitungstreffen als Misstrauensantrag auffasste."

Und trotz dieses Bemühens sei die Schwelle hoch gewesen, gibt David Böhner zu bedenken: "Das Problem mit autonomen Gruppen ist, dass sie nur für Leute geeignet sind, die Selbstbewusstsein mitbringen, sich etwas zutrauen. Andere, die eher verhalten und schüchtern sind, können das gar nicht."

Was hat die Bewegung erreicht? "Die allgemeine Stimmung gegenüber den internationalen Organisationen ist kritischer geworden", sagt Anna Cadonau. "Sie konnten den Protest teilweise integrieren, aber sie müssen sich auseinandersetzen damit. Das wird erwartet, nicht nur von links. Rein wirtschaftliche Begründungen werden nicht mehr einfach geschluckt. Es ist den Leuten bewusster, dass Wirtschaft menschengemacht ist, also veränderbar." Auch Olivier de Marcellus glaubt, dass die Bewegung das neoliberale Projekt ziemlich erfolgreich delegitimiert hat. Und noch mehr: "Es hat auch mit der Bewegung zu tun, dass die WTO-Verhandlungen blockiert sind. Klar, sie sind blockiert, weil sich die Delegierten nicht einig werden. Aber warum ist das so? Weil sie wissen, dass sie mit den Zugeständnissen nur bis zu einem bestimmten Punkt gehen können, wenn sie keine Massenproteste in ihren Ländern wollen."

De Marcellus sieht Parallelen zum Feminismus: "Heute, wo es keine feministische Bewegung mehr gibt, haben viele junge Frauen feministische Überzeugungen. Der Feminismus ist eingesickert in die Gesellschaft, und so ähnlich geschah es auch mit den Inhalten dieser Bewegung."

Langsamer und langfristiger

Auch um das internationale Vernetzungsprojekt Peoples' Global Action (PGA) ist es stiller geworden. Das liege vor allem daran, dass die lateinamerikanischen Beteiligten sehr mit der Arbeit in ihren Ländern beschäftigt seien, sagt PGA-Mitgründer de Marcellus. Er glaubt aber auch, dass die Zeit der grossen, kurzen globalen Treffen vorbei ist. "Wir versuchen einen Austausch zwischen indischen, ecuadorianischen und bolivianischen Bewegungen zu organisieren. Indische BauernaktivistInnen werden einige Monate nach Bolivien reisen, Spanisch lernen, aus der Nähe versuchen zu verstehen, was auf dem anderen Kontinent läuft. Ich glaube jetzt mehr an solche längerfristigen Projekte, die mehr in die Tiefe gehen ... ein weiteres einwöchiges Treffen mit Delegierten aus der ganzen Welt würde wenig bringen."

Sandra Ryf war 1999 am PGA-Treffen im indischen Bangalore. Ihr fiel auf, dass die EuropäerInnen zu viel redeten. "Dabei vertraten sie eigentlich sehr wenige Menschen, im Unterschied zu den Gruppen aus dem Süden, die konkrete Projekte hinter sich hatten, Kämpfe um Land und Saatgut zum Beispiel." Diese praktische Ebene entstand im Norden kaum - das politische Engagement blieb meist ohne direkten Bezug zum eigenen Alltag, etwa zur Erwerbsarbeit. "Wir brauchen Projekte, die Hand und Fuss haben, Ansätze einer alternativen Ökonomie, mit Vorteilen nicht nur für jene, die sowieso im Bioladen einkaufen", findet Sandra Ryf.

"Diese Konzentration auf Gipfeltreffen konnte auch nicht ewig weitergehen", sagt Walter Angst. "Das lief sich tot. Aber ich treffe viele Leute, die damals zum ersten Mal aktiv wurden. Es sind Netze geblieben. Sie kamen zum Beispiel letzten Herbst an der ‹Schwarzen-Schaf-Demo› wieder zum Tragen."

"Nicht aufhören, nach Wegen und Mitteln zu suchen, um etwas zu verändern", propagiert Angst. "Und vor allem nicht anfangen zu glauben, diese Welt sei die richtige. Viele haben das auch gerade in dieser Bewegung gelernt, vor den Polizeireihen von Davos und Genua."

Teil 1 der zweiteiligen Serie - "Wach auf, Norden!" - erschien in der letzten WOZ (Nr. 28/08).

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SP-"SICHERHEITS"-PAPIER
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WoZ 17.7.08

Andrea Hämmerle

"Das SP-Sicherheitspapier ist verunglückt"

Von Daniel Ryser

Der Vizepräsident der SP-Fraktion kritisiert das Sicherheitspapier seiner Partei heftig: "Es verletzt sozialdemokratische Grundsätze." Ein Gespräch über linken Applaus für rechte Kampagnen, bürgerliche Junge und linke Alte sowie Graubünden nach dem politischen Coup vom 12. Dezember.

WOZ: Die letzten zwei Wochen im Rückblick: Die WOZ wirft der SP vor, aufgrund ihres Sicherheits papiers die eigene Sprache verloren zu haben. Die SP kontert, die WOZ und die KritikerInnen des Papiers hätten einen linken Röhrenblick aufgesetzt. Gleichzeitig sagt im WOZ-In terview ein erstaunter SVP-Natio nalrat Hansjörg Walter, das neue SP-Papier habe mit links nicht mehr viel zu tun ...

Andrea Hämmerle: Weite Teile des Sicherheitspapiers sind sozialdemokratischer Konsens, etwa die Aspekte Raumplanung, Sozialpolitik, Bildungspolitik. Es finden sich darin jedoch auch Forderungen, die in der Partei bisher nur von wenigen gestellt wurden. Sie betreffen das Bettelverbot, die Video überwachung, die Massnahmen, die unter dem Stichwort "Hooligangesetz" zusammengefasst werden. Diese Forderungen verletzen sozialdemokratische Grundsätze. Tatsächlich wird dabei eine Sprache benutzt, die von der SVP übernommen wurde: Chaotentum, Ausländerkriminalität, Ausschaffungen. Diese Punkte bedeuten eine Kehrtwende - auch wenn sie im Papier gleich wieder relativiert werden.

Inwiefern?

Bei der Videoüberwachung heisst es, sie könne durchaus sinnvoll sein, gleichzeitig wird zugegeben, es sei umstritten, ob sie etwas nütze. Aber im Vokabular und in der Diktion ist das Papier eine Kehrtwende in Richtung mehr Repression. Rechtsstaat und Freiheitsrechte werden ziemlich marginal behandelt. Dieses Papier ist verunglückt.

Ist diese Kehrtwende im Sinne der Basis?

Das glaube und hoffe ich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die erwähnten Punkte am Parteitag eine Mehrheit finden werden. Das Papier ist auch nicht das Ergebnis einer fundierten Analyse. Wir stellten uns bisher zu Recht auf den Standpunkt, dass Sicherheit zwar ein wichtiges Thema ist, dass aber Statistiken und Erfahrungen zeigen, dass die Sicherheit in der Schweiz real nicht abgenommen hat. Dieses Problem exis tiert vor allem auf der Gefühlsebene. Viele Menschen fühlen sich tatsächlich unsicher. Diese Stimmung will das Papier bedienen. Das Hauptproblem dabei ist, dass das offenbar verbreitete Unsicherheitsgefühl mitunter ein Erfolg jahrelanger Kampagnen von rechts ist, welche die Unsicherheit herbeiredeten. Das Papier nimmt diese herbeigeredeten Gefühle auf und schlägt Massnahmen vor, die höchst fragwürdig sind und teilweise gegen unsere eigenen Grundsätze verstossen.

Ist diese linke Anerkennung ihrer Angstmacherkampagnen ein Erfolg für die SVP?

Man ist der SVP zumindest im Vokabular und zum Teil auch in den Massnahmen nachgelaufen.

Ein Rechter könnte kontern: Endlich erkennt die SP die wahren Probleme!

Wie gesagt: Die Sicherheit hat nicht abgenommen, die Situation hat sich real nicht verändert. Unser neuer Parteipräsident, Christian Levrat, hat es doch schön formuliert: Die Schweiz ist nicht unsicherer geworden, die Leute fühlen sich aber unsicherer. Und diese Angst ist real. Trotzdem sollte man Massnahmen nicht aufgrund subjektiver Gefühle ergreifen, sondern aufgrund von Fakten. Und die Fakten sprechen dagegen, an der Repressionsschraube zu drehen. Wir bauen ja auch keine neue Eisenbahn infrastruktur aufgrund von Gefühlen. Das muss auch für die viel emotionalere Kriminalpolitik gelten.

Dann ist die SP-Geschäftsleitung, die das Papier vorlegte, momentan einfach ein wenig orientierungslos?

Dass auch zu umstrittenen Themen in der Partei Debatten geführt werden, ist immer gut.

Würde der SP etwas weniger Pragmatismus gut tun?

Nein, ich bin selbst überaus pragmatisch. Ich will für Probleme konkrete Lösungen finden. Das Sicherheitspapier wiederum finde ich das Gegenteil von pragmatisch. Einerseits bedient es Stimmungen, andererseits vollführt es eine höchst ideologische Kehrtwende. Man suggeriert, dass sich durch eine Prise mehr Repression Probleme lösen lassen. Mit Repression ist aber der Bekämpfung steigender Kriminalität nicht beizukommen. Das zeigen Untersuchungen seit den siebziger Jahren. Sie ist vielleicht dazu gut, die Volksseele zu beruhigen. Jeder Jugendanwalt bestätigt aber, dass stattdessen etwa sozialer Ausgleich, Integration, eine gute Schul- und Lehrstellensituation, aber auch die Durchsetzung des geltenden Rechts viel wichtiger sind. Übrigens fordert niemand in der SP, dass Sicherheits- und Kriminalpolitik unser neues Kernthema werden soll. Wir sollten beim Kerngeschäft bleiben: Sozial-, Wirtschafts- und Umweltpolitik; und einstehen für einen guten Service public. Wir sind zudem inzwischen die einzige Partei, die dieses Land nach Europa führen will. Überall da haben wir gute Positionen.

Dann wird dieses Papier die Partei vor keine Zerreissprobe stellen?

Es wird in der Partei kaum eine Mehrheit finden. Es ist trotzdem sehr gut, dass es in der SP zur öffentlichen Sicherheit jetzt eine Debatte gibt, aber das Thema wird keine Wahl entscheiden. Zumindest nicht zu unseren Gunsten. Wer die innere Sicherheit als Hauptproblem betrachtet, wählt das Original.

Das Sicherheitspapier wurde von jungen Fraktionsmitgliedern mitverfasst. Es fällt seit längerem auf, dass die jungen SP-NationalrätInnen eher bürgerlich politisieren. Kein Platz für Sturm und Drang im Bundeshaus?

Für Fragen an Junge bin ich eigentlich der Falsche. Aber klar: Eigentlich müssten wir Alten angepasst sein, vielleicht etwas abgeschliffen - und die Jungen müssten uns forsch links überholen. Im Moment ist es tatsächlich so, dass im Nationalrat - dies gilt aber nicht für die Partei insgesamt - die Jüngeren eher rechts stehen. Womöglich, weil wir Älteren den linkeren Teil besser abdecken und es dort weniger Raum gibt? Ich selbst war allerdings nie ein Linksaussen, sondern positionierte mich im konstruktiven Zentrum. Als ich das Sicherheitspapier las, dachte ich zum ers ten Mal: Jetzt gehörst du zum linken Viertel.

Wie viel links verträgt eigentlich eine moderne Sozialdemokratie?

Die SP Schweiz ist im europäischen Vergleich eine linke Partei. Schröder, Blair, Veltroni - das sind weder unsere Vorbilder, noch ist ein Vergleich mit der Schweiz möglich. Die aktuell inter essanteste sozialdemokratische Partei Europas ist jene Spaniens mit Zapatero. Sie hat den Anspruch, den Staat und die Gesellschaft mit einem linken Projekt zu reformieren, den verkrusteten Katholizismus, die alten Strukturen, die teilweise noch aus der Franco-Zeit stammen, aufzubrechen und zu ersetzen durch einen laizistischen, modernen, offenen Staat, der Gleichstellung sehr hochhält. In Spanien wurden in den letzten Jahren die interessantesten sozialdemokratischen Reformen durchgeführt.

Was heisst das auf die Schweiz übersetzt?

Nichts, denn das Prinzip heisst trotz Aussenblick: Grabe, wo du stehst. Spanien ist aber zumindest der Beweis, dass es in Europa auch im Jahr 2008 möglich ist, Reformen durchzuführen und die Gesellschaft zu verändern.

Apropos Veränderung: Wie hat man eigentlich im Bündnerland auf die Blocher-Abwahl reagiert? Immerhin war mit Ihnen als Stratege und mit Eveline Widmer-Schlumpf als Sprengkandidatin sowohl die linke als auch die rechte Leitfigur des Kantons direkt involviert ...

Das war schon sehr speziell und nicht ganz ohne Charme. Mir ist es sehr wohl in dieser Rolle. Für Bundesrätin Widmer-Schlumpf kann ich nicht sprechen, ich bin mit ihr weder befreundet, noch pflege ich näheren Kontakt. Klar ist: Viel mehr als alle anderen Kantonalparteien ist die Bündner SVP, die bis dato ein perfektes Doppelspiel spielte, nun erheblich destabilisiert. Bis zum 12. Dezember 2007 bescherte ihr die Mischung aus liberalen Exponenten und der Zürcher-Blocher-Linie, die die Basis bewirtschaftete, sensationelle Wahl­ergebnisse. Jetzt zeigt sich, dass der liberalere und der zürcherische Flügel nicht zusammenpassen. Die SVP wurde von der Realität eingeholt.

Erstaunen Sie die anhaltenden Nachbeben?

Ja. Die Abwahl hat unheimlich viel bewegt in diesem Land. Viel mehr, als ich mir hätte träumen lassen. Sie war eigentlich als chirurgischer Eingriff ge plant: Blocher sollte ersetzt werden, und dann wäre es mit den vier Bundesratsparteien weitergegangen. Doch die SVP hat grundfalsch reagiert - rein emotio nal, nicht rational. Sie hat ihre grosse Chance vermasselt, nämlich Eveline Widmer-Schlumpf zu integrieren.

Inwiefern wäre das eine grosse Chance gewesen?

 funktioniert. Und Blocher selbst ist jetzt richtig platziert: Als Vizepräsident einer Oppositionspartei. Seine Abwahl war wichtig und richtig. Er spielte sich als Führer mit Auftrag von oben auf, hatte Mühe mit den rechtsstaatlichen Abläufen und schätzte das Völkerrecht gering.

Ist nun eine Normalisierung oder eine Neuordnung der Schweizer Politik im Gang?

Die Situation ist sehr unübersichtlich. In einer Zeit aber, in der derart viele Umbrüche stattfinden, ist es äusserst spannend, zu politisieren. Die Turbulenzen haben direkte Auswirkungen, vor allem auf die SVP und die Mitte-Parteien.

Und was bedeutet das für die SP?

Es ist klar: Wenn unser Hauptgegner auseinanderbricht, gibt uns das Spielraum. Erfolg haben wir aber trotzdem nur, wenn wir eine gute, soziale und ökologische Politik machen. Da sind wir gefordert.

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AUSSCHAFFUNGS-KNAST ZH
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nzz.ch 18.7.08

Neues Angebot für Auszuschaffende

Regierungsrat will bis 2011 fünfzig zusätzliche Plätze bereitstellen

brh. Der Regierungsrat plant ein zusätzliches Angebot für den Vollzug der diversen ausländerrechtlichen Inhaftierungen. Es sollen fünfzig neue Plätze geschaffen werden, und zwar ausserhalb des Flughafengefängnisses, wo heute die Ausschaffungs- und die Durchsetzungshaft vollzogen werden; Letztere existiert erst seit dem neuen Ausländerrecht und ist für jene Personen vorgesehen, die wegen ihres unkooperativen Verhaltens eine angeordnete Ausschaffung verunmöglichen. Sie sollen durch die Einschliessung dazu gebracht werden, ihren Widerstand aufzugeben, was sich von einer reinen Administrativhaft in Richtung Beugehaft bewegt. Um eine strafrechtliche Sanktion und damit um Strafvollzug geht es aber nicht.

Urdorf fällt als Standort weg

 Es sei unter dem (restriktiveren) Regime des neuen Ausländerrechts nötig geworden, erstens mehr Haftplätze zur Verfügung zu stellen und zweitens ein diversifiziertes Angebot, sagt Christiane Lentjes, stellvertretende Generalsekretärin in der Justizdirektion. Der Regierungsrat erwähnt die Pläne für zusätzliche Ausschaffungsplätze in seiner Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von Markus Bischoff (al., Zürich), die am Donnerstag veröffentlicht wurde. Bischoff hatte sich nach den Zuständen im Flughafengefängnis erkundigt und insbesondere nach der Zumutbarkeit längerer Aufenthalte an diesem lärmexponierten Ort. Auch das Bundesgericht hat sich jüngst in zwei Entscheiden mit der Zürcher Ausschaffungshaft im Flughafengefängnis befasst und diese für tolerierbar erklärt (NZZ 17. 7. 08).

Wie der regierungsrätlichen Antwort zu entnehmen ist, sollte das zusätzliche Angebot wenn möglich ab 2011 bereitstehen. Christiane Lentjes räumt jedoch ein, dass die Planung noch nicht sehr fortgeschritten sei. Ein Ausbau des Flughafengefängnisses wurde geprüft und verworfen, eine Angliederung an das bestehende Vollzugszentrum in Urdorf ist inzwischen unmöglich geworden, weil die Gemeinde den Standort künftig anderweitig nutzen möchte. Aus Kostengründen prüft die Justizdirektion dennoch ein Zusammengehen mit dem bisherigen Vollzugszentrum, allerdings an einem neuen Standort. Unklar ist zudem, ob sich bestehende Liegenschaften umbauen lassen oder ob es eher in Richtung "Barackendorf" geht. Für die Justizdirektion steht auf jeden Fall fest, dass längst nicht alle Ausschaffungshäftlinge den hohen Sicherheitsstandard im Flughafengefängnis benötigen, was ausserdem auch zu viel koste. Für gefährliche oder renitente Auszuschaffende bleibt die Abteilung im Flughafengefängnis bestehen, wo ein "strenges Regime herrscht", wie Lentjes sagt, und das eigentlich für kurze Aufenthalte konzipiert worden sei. Nach heutiger Rechtslage hingegen sind bei einer Kombination von ausländerrechtlichen Massnahmen Inhaftierungen bis längstens zwei Jahre möglich - was einen einschneidenden Freiheitsentzug darstellt.

Kein gesundheitsschädigender Lärm

 In ihrer Antwort geht die Zürcher Regierung auch auf die Lärmbelastung im Flughafengefängnis ein und hält fest, die Alarmwerte würden eingehalten, die Immissionsgrenzwerte allerdings tagsüber leicht und in der ersten Nachtstunde (von 22 bis 23 Uhr) deutlich überschritten. Es sei davon auszugehen, dass bei geschlossenen Fenstern - das Gefängnis ist mit Schallschutzfenstern ausgestattet - der Lärm so weit gedämpft werden könne, dass es zu keinen Gesundheitsschädigungen komme: "Es stehen hierfür aber keine gemessenen Lärmdaten zur Verfügung."