MEDIENSPIEGEL 18.8.08

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule: Balder Fly auf Telebärn
- Skaterpark Vorplatz
- Zaffaraya: Bundesrats-Thema
- Ghüder-Pinto jagt Abfallsünder
- Anti-Atom
- Braune Bernburger
- Randstand Burgdorf: Innenstadt-Reglement

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REITSCHULE
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PROGRAMM:

Mi 20.08.08  20.00 Uhr  Vorplatz   The all time favourites Lounge: Ladies Voices

Do 21.08.08  20.00 Uhr  Vorplatz   DJane Lonny (Allerwelts-Pop)

Fr 22.08.08  20.00 Uhr  Vorplatz   Mani Porno (Breitsch-Punk-Rock)

Sa 23.08.08     
20.00 Uhr     Vorplatz     Uristier (100% Toiletcore)
21.00 Uhr     Grosse Halle     Balder-Fly-Preview 5: "Ein Phantasma"
22.00 Uhr     Grosse Halle     Tomazobi (Psychedelic Trubadurs)
23.00 Uhr     Dachstock     Liquid Session: Makoto & Deeizm MC (human elements/good looking)
supported by: DJ's Submerge, Lockee, MC Matt. style: drum'n'bass

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Telebärn 17.8.08

Ungewöhnliches Theater in der Reitschule
Das Stück "Balder Fly" überrascht mit fünf ungewöhnlichen Teilen.
http://www.bernerzeitung.ch/region/bern/Ungewoehnliches-Theater-in-der-Reitschule/story/25316930

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SKATERPARK
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Bund 16.8.08

Nause kämpft für Skaterpark

Stadt Bern Der Platz unter dem Eisenbahnviadukt vor der Reitschule ist wenig einladend. "Nichtsdestotrotz wollen wir genau diesen dunklen Ort zu einem Platz der Bewegung und Begegnung machen", sagte Pablo Cherpillod, Präsident des Vereins "sk8.be", vor drei Jahren. Sein Ziel: Unter der Eisenbahnbrücke sollte ein Skaterpark für Skater, Inliner, Rollschuh- und BMX-Fahrer gebaut werden. Doch dem grossem Engagement zum Trotz konnte Cherpillod bislang nur rund die Hälfte der benötigten 250000 Franken sichern; sein Projekt wurde totgesagt.

Nun erhält der Asphalt-Surfer unerwartet Schützenhilfe von CVP-Stadtrat Reto Nause. Er fordert mittels Motion, dass die Stadt ihre bereits zugesicherten 28000 Franken freigibt und so die Baubewilligung für den Skaterpark ermöglicht. Denn Nause ist überzeugt: "Ohne Anschubfinanzierung, welche ein bewilligtes Projekt zum Ziel hat, werden kaum fixe Zusagen privater Geldgeber beigebracht werden können." Nause glaubt an den Plan des 35-jährigen Cherpillod: "Der Vorplatz der Reitschule ist eine Problemzone der Stadt", sagt er. Ein Skaterpark könnte den Platz zu einem "neuen Brennpunkt zwischen Kultur und Sport" aufwerten und die ungeliebte Drogenszene verdrängen. (pas)

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ZAFFARAYA
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punkt.ch 18.8.08

Zaffaraya

Bundesrat verlangt eine Lösung

Von Peter Camenzind

1996 lehnte das Stadtberner Stimmvolk Zonen für alternative Wohformen ab. Nun macht Bundesrat Leuenberger aber Druck.

Gute zwei Jahrzehnte ist es her, dass die Stadt unter massivem Druck der Strasse einen Platz für die Bewohner des Hüttendorfs Zaffaraya suchte - und fand. Beim Autobahnzubringer Neufeld, auf Boden, der dem Kanton gehörte. Ganz anders als bei anderen Platzbesetzern in der Stadt Bern, wird das Zaffaraya in Ruhe gelassen. Für die Politik war eine Zone für alternative Wohnformen kein Thema. Umso mehr als ein erster Anlauf, solche Zonen zu schaffen, vor dem Volk scheiterte.
Umso eigentümlicher erscheinen nun die Aktivitäten der Behörden, die an einem runden Tisch eine Lösung für all die Leute suchen, welche in Bauwagen oder in selbstgebauten Hütten wohnen.

Leuenbergers Brief

Deutlich wird die Hektik vor dem Hintergrund, dass sich Bundesrat Moritz Leuenberger in die Debatte eingeschaltet hat. Seit dem ersten Januar ist der Bund Eigentümer der Nationalstrassen und somit verantwortlich für die Zaffaraya- Parzelle nahe der A1.

Keine Garantien

"Bundesrat Leuenberger hat der städtischen Sozialdirektion im Januar einen Brief geschrieben", sagt Daniel Bach, Pressesprecher des Departements Leuenberger (UVEK). Leuenberger sei zwar bereit, das Zaffaraya noch zu tolerieren, weil sich in den zwanzig Jahren eine Art Gewohnheitsrecht etabliert habe. Er könne aber keine Garantien für die Zukunft abgeben. Darum erwarte er von der Stadt, dass sie für die Hüttensiedlung eine entsprechende Zone schaffe oder einen anderen Standort suche. Genau dies ist denn auch der Auftrag an den runden Tisch.

Mader muss suchen

Statthalterin Regula Mader muss Lösungen für alle Besetzer suchen, die teils seit Jahren von einem Platz zum nächsten ziehen. Zum Stand der Bemühungen sagt sie: "Wir haben Stillschweigen vereinbart." Resultate soll sie im Oktober vorlegen, sagt Stadtpräsident Alexander Tschäppät.

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GHÜDER-PINTO
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grünepost.ch 14.8.08

PINTO als Ghüderpolizei

Interpellation zur angekündigten Bussenrazzia gegen sog. Abfallsünder:

PINTO als Ghüderpolizei?

Ab dieser Woche will die Stadt "Schwerpunktaktionen im Bereich der Repression" gegen sog. Abfallsünder durchführen. Neben wirklichem Fehlverhalten sollen nach Berlusconi-italienischem Vorbild auch Lappalien wie das wie das achtlose Wegwerfen eines Zigarettenstummels oder das um kurze Zeit zu frühe Herausstellen eines Kehrichtsackes gebüsst werden.

Ebenfalls soll gegen sog. "wilde" Plakate, oft von kulturellen, politischen oder anderen gemeinnützigen Organisationen aufgehängt, vorgegangen werden. Mit der Bussenverfügung ist eine Registrierung der Personalien verbunden. Gemäss Medienmitteilung der Direktion für Sicherheit, Umwelt und Energie sollen neben Gewerbepolizei und Kantonspolizei auch die Einsatzgruppe PINTO für die Bussenrazzia eingesetzt werden.

- PINTO wurde als Organ der aufsuchenden Gassenarbeit ohne Verfügungsbefugnisse konzipiert. KritikerInnen haben allerdings von Anfang an vorausgesagt, dass PINTO zum Werkzeug der Polizei wird. Wird PINTO jetzt als Ghüder-Polizei eingesetzt?

- Die angekündigte Bussenaktion stützt sich auf den kantonalen Ordnungsbussenkatalog. Zu dessen Anwendung braucht es jedoch in jedem konkreten Falle eine genügende rechtliche Grundlage. Für die angekündigten Bussenerhebungen für Bagatellvergehen finden sich weder im kantonalen Abfallgesetz noch im städtischen Abfallreglement genügende rechtliche Grundlagen. Nach Urteil eines Berner Einzelrichters ist z.B. das "wilde" Plakatieren auf Bauwänden legal. Auf welchen rechtlichen Grundlagen will die Stadt Bussen für die erwähnten Bagatelltatbestände erheben?

- Auf welchen rechtlichen Grundlagen beruht die Registrierung der "Abfallsünder" und was passiert mit diesem Register?

- Wie verhält sich im Zeitpunkt der Beantwortung dieses Vorstosses das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen der repressiven Massnahmen?

14. August 2008

Luzius Theiler GPB-DA


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ANTI-ATOM
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nzz.ch 18.8.08

"Jede Windturbine ist ein Anti-AKW-Plakat"

Die Atomenergie-Gegner formieren sich für den Referendumskampf

Mit 1900 Einsprachen gegen eine unbefristete Betriebsbewilligung des AKW Mühleberg haben sich die Atomenergie-Gegner wieder bemerkbar gemacht. Zurzeit sind die heterogen zusammengesetzten Aktivisten gut vernetzt, eine eigentliche Bewegung ist aber nicht in Sicht.

nn. Im Juni hat der Stromkonzern Atel ein Rahmenbewilligungsgesuch für ein neues Atomkraftwerk bei Gösgen im solothurnischen Niederamt eingereicht und damit die Auseinandersetzung um die energiepolitische Zukunft der Schweiz lanciert. Düpiert hat die Atel mit ihrem überraschenden Vorgehen in erster Linie ihre Konkurrenten BKW und Axpo, welche die alternden AKW in Mühleberg und Beznau ersetzen und bis Ende Jahr ebenfalls entsprechende Rahmenbewilligungsgesuche beim Bundesamt für Energie einreichen wollen.

Heterogene Anti-Atom-Allianz

Während innerhalb der Atomlobby nun also vorerst die Standortfrage in den Vordergrund zu rücken scheint, bereiten sich die AKW-Gegner auf das Referendum gegen einen AKW-Bau vor, das voraussichtlich in etwa vier Jahren stattfinden wird. Bereits im August vergangenen Jahres haben sich 28 atomkritische Organisationen zur Allianz Stopp Atom zusammengeschlossen. Die Federführung der Allianz liegt bei Greenpeace, die auch die Ressourcen für die Geschäftsleitung zur Verfügung stellt. Die Mitgliederliste der Allianz ist ein Abbild der Heterogenität der Atomenergie-Gegnerschaft. So sind einerseits regionale und thematische Splittergruppen dabei - wie etwa der Schweizer Ableger der Organisation Incomindios, die sich dem Schutz der indigenen Bevölkerung Amerikas verschrieben hat und sich um die Wahrung der Menschenrechte beim Uranabbau sorgt. Mit von der Partie sind andererseits finanz- und kampagnenstarke Nichtregierungsorganisationen wie eben Greenpeace oder der WWF, die SP und die Grünen samt ihren Jungparteien sowie spezifische atomkritische Organisationen wie die Basler Gruppierung "Nie wieder Atomkraftwerke" (NWA), die Schweizerische Energie-Stiftung (SES) oder "Sortir du Nucléaire" aus der Romandie. Die von SES-Geschäftsleiter Jürg Buri präsidierte Allianz ist ein lockeres Bündnis, das die Aktivitäten der verschiedenen Mitglieder koordiniert; in ihren Kampagnen bleiben die einzelnen Gruppierungen unabhängig.

Den Auftakt des neu entfachten Kampfs gegen die Atomkraft machte Mitte Juni eine Einsprachenflut gegen das Gesuch um eine unbefristete Betriebsbewilligung für das AKW Mühleberg. Die kleine Organisation "Fokus Anti-Atom", die 2003 aus der "Aktion Mühleberg stilllegen" hervorgegangen war und im Wesentlichen von zwei Aktivisten betreut wird, baut laut Sprecher Jürg Joss auf ein Netz von rund 300 Sympathisanten. "Fokus" sammelte Informationen zum Gefahrenpotenzial von Mühleberg und koordinierte die Reaktion der AKW-Gegnerschaft, so dass innert eines Monats beim Bundesamt für Energie 1900 meist vorgefertigte Einsprachen eingingen - 98 Prozent davon von Privatpersonen. Dass die Atomgegner gut vernetzt sind, zeigte sich auch am spontanen Protest-Picknick, das rund 50 vorwiegend junge Aktivisten am 1. August auf dem Gelände abhielten, auf dem die BKW das neue Mühleberg-Werk planen.
Verjüngungsversuche

Wer sich in der Szene der Atomgegner umhört, stellt rasch fest, dass das Thema Kernenergie die Emotionen hochgehen lässt. Die Anti-AKW-Bewegung der 1970er Jahre, die in der Besetzung des Geländes in Kaiseraugst gipfelte und eine ganze Generation links-grüner Aktivisten politisierte, ist in den Köpfen der heutigen AKW-Gegner nach wie vor präsent. Und in verschiedenen Organisationen geben die Kaiseraugst-Veteranen den Ton noch immer an. Entsprechend ist die AKW-Gegnerschaft um die eigene Verjüngung bemüht. So hat beispielsweise SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiners überalterte Organisation "Nie wieder Atomkraftwerke" (NWA) unlängst eine Gruppe junger Berner Aktivisten unter ihre Fittiche genommen. Die Berner NWA-Gruppe will sich mit medienwirksamen Aktionen bemerkbar machen und am 11. September eine Demonstration mit 900 Velos auf dem Bundesplatz in Bern organisieren. Die Fahrräder sollen illustrieren, dass sich die Schadenhaftung der AKW-Betreiber auf 1,8 Milliarden Franken beschränke, was der gesamten Haftpflichtsumme von 900 Velos gleichkomme, sagt Sprecherin Aline Trede, die im Frühjahr zur Vizepräsidentin der Grünen Partei gewählt wurde.

Protest in demokratischen Bahnen

Dass der heutige Widerstand gegen AKW das Potenzial für eine neue Bewegung hat, wird aber selbst von altgedienten AKW-Gegnern bezweifelt - obwohl die Antiglobalisierungsbewegung abgeflaut ist und sich das Bedürfnis nach Widerstand auch an der Atomfrage entladen könnte. So hat sich das Verfahren geändert. Anders als in den 1970er Jahren unterstehen heute Rahmenbewilligungsgesuche dem Referendum, womit die Debatte von vornherein in direktdemokratische Bahnen gelenkt werden soll.

Unterschiede zu früher sieht Rudolf Rechsteiner von der Organisation NWA ferner in den politischen Fronten. Die Strombranche sei heute weniger kartellisiert als früher, und in der Solar- und Windenergie tätige Unternehmer würden zu innovativen Aushängeschildern der AKW-Gegnerschaft. So werde sich die Antiatom-Allianz argumentativ nicht nur auf die Risiken der Atomkraft, sondern auch auf deren fragliche Wirtschaftlichkeit konzentrieren - sowie auf die Energieeffizienz und auf das Potenzial erneuerbarer Energien. "Die Abstimmung in vier Jahren wird sich auf die Alternative Atom oder Solar und Wind zuspitzen", sagt Rechsteiner. "Jede Windturbine ist für uns daher ein Anti-AKW-Plakat."

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BRAUNE BERNBURGER
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Bund 16.8.08

Chance für die Burgergemeinde

Noch kaum je hat eine historische Dissertation so viel Staub aufgewirbelt wie das Werk Katrin Rieders über die Berner Burgergemeinde im 19. und 20. Jahrhundert. Die Enthüllungen über die frontistische Vergangenheit namhafter Nachkriegsexponenten der Burgergemeinde nagen am Selbstbild einer Institution, die aufgrund ihres sozialen und kulturellen Engagements nicht mehr wegzudenken ist. Rieder thematisiert in ihrem Buch aber auch die Nachkriegsgeschichte und durchleuchtet die Rolle, die Berns grösste Grundeigentümerin in der Stadtentwicklung gespielt hat und immer noch spielt.

Die Leistungen der Burgergemeinde auf diesem Gebiet sind unbestritten und vielfach beschrieben. Es ist der Burgergemeinde zu verdanken, dass die Stadt Bern heute über eine intakte Altstadt verfügt, die seit 25 Jahren das Label "Unesco-Weltkulturerbe" trägt. Sie kaufte in den 1950er-Jahren die sogenannten Ischi-Häuser an der Gerechtigkeitsgasse und entzog sie so der Spekulation und einem drohenden Abriss. Damit legte sie zugleich den Grundstein für den umfassenden Schutz der Berner Altstadt, wie er Jahre später in der Bauordnung etabliert worden ist. Rieder thematisiert erstmals aber auch weniger erfreuliche Kapitel der burgerlichen Bodenpolitik - so zum Beispiel die Rolle der Burgergemeinde bei der Neuordnung des Villette-Quartiers in den 70er- und 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Dabei wird der Rollenkonflikt einer Institution offenbar, die sich als Bewahrerin bernischer Tradition und Kulturdenkmäler und als renditeorientierte Privateigentümerin versteht.

Im Kanton Bern gibt es über 200 Burgergemeinden und burgerliche Korporationen. Die Burgergemeinde Bern ist mit 17000 Mitgliedern und einem geschätzten Vermögen von zwei Milliarden Franken zweifellos die grösste und mächtigste. Ihr Reichtum basiert auf dem Ausscheidungsvertrag von 1852 zwischen Einwohner- und Burgergemeinde. Damals erhielt die Burgergemeinde zwei Drittel des aufzuteilenden Gesamtvermögens, darunter Felder an der Peripherie der Gemeinde, die im Zuge der Stadterweiterung einen beträchtlichen Wertezuwachs erfuhren. Die Dualität von Einwohner- und Burgergemeinde ist in der Berner Kantonsverfassung verankert. Anstrengungen zur Abschaffung der Burgergemeinden und zur Konfiszierung ihres Vermögens wurden zuletzt anlässlich der Verfassungsrevision von 1993 unternommen. Die Bestrebungen scheiterten, aber die Burgergemeinden wurden verpflichtet, sich "nach Massgabe ihrer Mittel" fürs Allgemeinwohl einzusetzen.

Die Berner Burgergemeinde hatte diesen gesetzlichen Auftrag nicht nötig: Sie hat sich bereits vor hundert Jahren vom "Burgernutzen" verabschiedet und setzt seither einen grossen Teil ihres Vermögens für öffentliche Zwecke ein. Mit dem Bau des Casinos und des Bernischen Historischen Museums stürzte sie sich gar in grosse Unkosten. Das selbst geschaffene Leitbild als soziale Institution und "Hüterin bernischer Kultur und Tradition" ist im Laufe der Jahrzehnte jedoch kanonisiert worden. Die negativen Aspekte der eigenen Geschichte und der Zielkonflikt einer Institution im Dienste der Allgemeinheit, die zugleich ihre Interessen als Grundeigentümerin optimiert, wurden konsequent ausgeblendet. Nur so ist erklärbar, dass sich nun die Burgergemeinde zu einem späten Zeitpunkt und erst auf äusseren Druck hin mit den dunklen Seiten ihrer Geschichte konfrontiert sieht.

Die Burgergemeinde Bern ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft wie die politische Gemeinde. Ihre Geschichte und ihr Tun und Lassen müssen daher auch in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Die Existenz der Burgergemeinde ist nicht in Stein gemeisselt. Sie darf und soll in einem demokratischen Gemeinwesen von jeder Generation wieder neu debattiert werden. In diesem Sinn ist die von Katrin Rieder ausgelöste Debatte eine Chance für die Berner Burgergemeinde, ihre eigene Geschichte und ihr Wirken in einem differenzierteren Licht darzustellen, als dies bis anhin der Fall gewesen ist. "Die Diskussionen über die Abschaffung der Burgergemeinden sind vom Tisch", sagte der einstige Regierungsrat Mario Annoni (fdp) nach der Abstimmung über die Revision der Kantonsverfassung 1993. "Es ist nun an den Burgergemeinden selbst, dafür zu sorgen, dass dies so bleibt."

Bernhard Ott

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BZ 16.8.08

Burger reagieren auf Kritik

Jetzt reden die Burger

Machtbewusste Replik: Energisch widerspricht Präsident Franz von Graffenried der jüngsten Kritik an den Bernburgern.

"In Freude brechen wir nicht aus", beschreibt Burgerratspräsident Franz von Graffenried im "Zeitpunkt"-Gespräch seine Stimmungslage in der Debatte um die Burgergemeinde Bern. Ausgelöst hat sie die Historikerin Katrin Rieder, die am Mittwoch ihr angriffiges Buch "Netzwerke des Konservatismus" präsentierte. Darin kratzt sie das Bild der grosszügigen Burgergemeinde Bern an und deckt auf, dass namhafte Burger bei den nazifreundlichen Schweizer Frontisten aktiv waren.

Zweck von Rieders Buch sei es, "die Burgergemeinden angreifbar zu machen", sagt von Graffenried. Dennoch stellt er sich Rieders Darstellung und weist sie in vielen Punkten zurück. Es stimme ihn nachdenklich, dass die frontistische Betätigung von Burgern später in der Burgergemeinde kein Thema gewesen sei, räumt von Graffenried ein. Nun arbeite man die 1930er-Jahre auf. Selbst wenn dabei "dunkle Flecken" auftauchen sollten, schliesst von Graffenried aber eine Entschuldigung der Burgergemeinde aus. Anders als der oberste Burger schweigen die Spitzen der Berner Politik zur Debatte. Als ob sie im Wahlkampf der mächtigen Burgergemeinde nicht zu nahe treten wollten.svbSeite 39+40

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BZ 16.8.08

Berner Burger im Gegenwind

Die Historikerin Katrin Rieder erschüttert mit einem 700-Seiten-Wälzer das schöne Bild von der freigebigen Burgergemeinde Bern. Sie verschweige die Wurzeln ihrer Finanzmacht - und überdies auch Nazifreunde in ihren Reihen.

Vorbei die Zeiten, als der Burgergemeinde Bern der dubiose Ruf nachhing, eine verschwiegene Geheimgesellschaft zu sein. Nicht zuletzt die Burger selber haben mit einer Charmeoffensive dazu beigetragen, dass Bern die Burgergemeinde gern hinnimmt. Sie tut ja Gutes. Sie hat den Bärenpark mit einem Startbeitrag angeschoben, sie hilft, den Botanischen Garten zu retten. Was wäre Bern ohne Burgergemeinde.

Korrigiertes Burgerimage

Das schöne Bild der Wohltäterin wird nun arg angekratzt. Von der Berner Historikerin Katrin Rieder, 39, die an der Vernissage im Berner Progr - an der auch Burgerratspräsident Franz von Graffenried zugegen war - ihr brisantes Buch "Netzwerke des Konservatismus" vorstellte.

Der alarmrote Wälzer - es ist Rieders Dissertation - beschreibt den Frieden zwischen der Stadt- und Burgergemeinde Bern als Stillhalteabkommen, das Image der Wohltäterin demontiert er als Beschönigung. Die Burgergemeinde wird als "Bollwerk" analysiert, in dem bis heute ein reaktionäres Machtbewusstsein von Patriziern überlebe - und ein auf Kosten der Öffentlichkeit erworbener Reichtum verwaltet werde. Das Werk gipfelt in der Enthüllung, dass Burger, die später hohe Burgerämter innehatten, in den 1930er-Jahren führende Rollen bei den nazifreundlichen Schweizer Frontisten spielten (siehe unten). Starker Tobak.

Rieders Buch ist die erste umfassende Untersuchung über Berns Burgergemeinde im 19. und 20. Jahrhundert. "Weil die Burger die Wurzeln ihrer Macht und ihres Reichtums ausblenden und ihre Geschichte nicht selber untersuchen, tue ich das jetzt halt als Aussenstehende. Ich wollte verstehen, wie das funktionieren kann", sagt Katrin Rieder im Gespräch. Sie verstösst mit ihrem Buch gegen den eher nostalgischen, burgerfreundlichen Konsens in der Berner Geschichtsschreibung. So ist es nicht weiter erstaunlich, dass die Burger Rieders Buch die finanzielle Unterstützung versagten - und dass Rieder keinen Job in den burgerlich geprägten historischen Berner Institutionen innehat. Sie arbeitet bei der Kulturstiftung Pro Helvetia in Zürich.

Insel aus versunkener Zeit

Glühende Alt-Patrizier könnten Rieders Buch als antiburgerliches Pamphlet abtun. Es leistet mehr. Zweifellos: Rieder stellt die Existenzfrage: Braucht es die Burgergemeinde überhaupt? Die Autorin antwortet zwar zwischen den Zeilen mit Nein, sie durchleuchtet aber den Gegenstand ihrer Kritik gleichzeitig seriös und minuziös. Sie erklärt den Bernern, was die Institution Burgergemeinde, eine der grössten Schweizer Waldbesitzerinnen und Berner Baulandbesitzerinnen, überhaupt ist. Sie fragt, wie sie ihr Image be- und ihre Gewinne erwirtschaftet.

Nach dem Untergang Alt-Berns 1798 existieren im Kanton Bern nebeneinander die neu formierten Einwohnergemeinden und die Heimat- oder Burgergemeinden, in denen alte Besitzstände bewahrt werden. In der Burgergemeinde der Stadt Bern sammelten sich die gestürzten patrizischen Machthaber des alten Stadtstaates und machten sie in Rieders Analyse zu einem Refugium, in dem sie sich ihre verbleibende Macht, ihr Standesbewusstsein und ihren Besitz zu erhalten versuchten. Wie auf einer Insel aus alten Zeiten. Und das mitten in Bern, seit 1848 Hauptstadt eines fortschrittlich demokratischen Staates.

Ungerechter Landdeal?

Im Güterausscheidungsvertrag zwischen Einwohner- und Burgergemeinde Bern erhält die Stadt 1854 die Gebäude, die Kosten verursachen. Die Burgergemeinde aber behält unüberbautes Land, das 40 Jahre später, beim Wachstum der Stadt, zu lukrativem Bauland wird, das bis heute Baurechtszinsen abwirft. Der historische Deal, der schon damals von liberalen Politikern als ungerecht kritisiert wurde, ist der Grundstein des heutigen Burgerreichtums. In der Volksabstimmung kam er auch deshalb durch, weil damals nur Männer ab einem bestimmten Einkommen stimmberechtigt waren. Und weil auch in der Einwohnergemeinde Bern Burger wichtige Posten besetzten. Das ist für Rieder ein bis heute wirksames Muster: Die Burger üben mit ihrer Finanzkraft in der Stadt indirekt Macht aus.

Rieders Fazit: "Die Burger sicherten ihre alte Macht und ihr Überleben mit moderner ökonomischer Gewinnpolitik." Diese burgerliche Wendigkeit belegt Rieder auch später: In der Debatte um das Berner Villettequartier in den 1980er-Jahren etwa habe die Burgergemeinde, der in der Altstadt jeder Stein heilig sei, ihr Ideal verraten, indem sie denkmalgeschützte Villen dem Abriss preisgab, um auf dem Boden eine Rendite zu erwirtschaften.

Grosszügigkeit als Taktik

Anders als heute war die Existenz der Burgergemeinde im 19.Jahrhundert umstritten. In der Abstimmung über die Kantonsverfassung von 1885 entging die Burgergemeinde nur knapp ihrem Ende. In der Folge strukturierte sie sich neu, öffnete sich für Neumitglieder und verpflichtete sich auf eine soziale, gemeinnützige Linie. "Bestandessicherung durch Grosszügigkeit", kommentiert Rieder das Image, mit dem die Burger bis heute die Wogen glätten.

Diese Grosszügigkeit ist doch gut für die Stadt. "Sie ist aber auch ein kalkuliertes Konzept zur Verschleierung eines Machtanspruchs", findet Rieder. Überschätzt sie diese Macht? "Die Burgergemeinde bleibt in Bern ein Machtfaktor, das zeigt ihre ungebrochene Anziehungskraft. Sie verspricht sozialen Status. Neben Bundesbern ist das Burgerbern das andere Berner Netzwerk für den sozialen Aufstieg."

Stefan von BergenKatrin Rieder: Netzwerke des Konservatismus - Berner Burgergemeinde und Patriziat im 19. und 20.Jahrhundert, Chronos-Verlag, 736 Seiten, Fr. 78.-.

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BZ 16.8.08

Frontisten-Vorwurf

Burgergemeinde wird aktiv

Mit einem "Quellenforschungsbericht" will die Burgergemeinde ihre Nähe zu den Frontisten in den 30er-Jahren untersuchen.
 
Bevor die Burgergemeinde Bern in Katrin Rieders brisantes Buch blicken konnte, reagiert sie darauf und arbeitet ihre Vergangenheit auf. "Wir haben einen Quellenforschungsbericht in Auftrag gegeben", sagt Burgerratspräsident Franz von Graffenried auf Anfrage. Weil sich kein externer Forscher für die Aufgabe finden liess, sei nun ein Historiker der Burgerbibliothek für die Aufgabe freigestellt. Er soll Quellen und Fakten der Burgergemeinde - nicht aber einzelner Burgerfamilien - zusammentragen, die zur brisanten Enthüllung in Rieders Buch Auskunft geben, dass Exponenten der Burger, die später zum Teil hohe Burgerämter innehatten, in den 1930er-Jahren bei den nazifreundlichen Schweizer Frontisten mitwirkten.

Er sei "erstaunt und überrascht", dass Burger - auch aus seiner direkten Verwandtschaft - aktive Frontisten waren, sagt von Graffenried. Man habe in der Burgergemeinde davon nicht gewusst - oder nicht wissen wollen. Die Quellenstudie soll klären, ob sich auch die Burgergemeinde als Ganzes - etwa als sie eine Frontisten-Feier des Hitler-Geburtstags im Berner Casino tolerierte - rechtsradikal verstrickt war. Allzu hohe Erwartungen dämpft von Graffenried: Das knappe und zerstreute Quellenmaterial lasse vielleicht wenig Schlüsse zu. "In burgerlichen Dokumenten der Zeit, die ich kenne, kommt der Weltkrieg nicht vor." Würde sich die Burgergemeinde für erhärtete Fehler entschuldigen? "Nein, ich kann mich nur für etwas entschuldigen, was ich persönlich zu verantworten habe."svbSiehe auch Seite 39 + 40: Interview mit Burgerratspräsident Franz von Graffenried, Hintergrundseiten "Zeitpunkt".

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BZ 16.8.08

Debatte um Burgergemeinde Bern

So sehen es die ehrwürdigen Burger

Jetzt spricht der Burgerratspräsident Franz von Graffenried und verteidigt seine traditionsbewusste Institution gegen das angriffige Buch, in dem die Historikerin Katrin Rieder die Burgergemeinde Bern in Frage stellt.

Im kritischen Buch der Historikerin Katrin Rieder wird die ehrwürdige Burgergemeinde Bern als konservative Sonderwelt beschrieben. Herr von Graffenried, weihen Sie uns ein: Wie unterscheidet sich ein Bernburger von einem normalen Berner?

Franz von Graffenried: Es sind die gleichen Leute. Die Zugehörigkeit ist eine andere. Die Burgergemeinde ist eine Personalgemeinde, die weltweit Burger verbindet. Berner sind Leute, die - auch zufällig oder nur kurzfristig - ihren Wohnsitz in Bern haben. Ein Burger aber ist mit der Heimatgemeinde Bern verbunden. Und die Heimat, die bleibt, wo auch immer man lebt.

Burger sind besondere, auch noblere Berner?

Besondere vielleicht, noblere sicher nicht. Die Burgergemeinde hat heute 17500 Angehörige, da kann nur ein kleiner Teil den früher regierenden Patrizierfamilien angehören.

Wie viel sind das?

Keine fünf Prozent.

Aber die geben in der Burgergemeinde den Ton an, wie Buchautorin Rieder schreibt? Zum Beispiel von Graffenrieds, wie Sie einer sind?

Im Grossen Burgerrat sind von 42 Mitgliedern gerade sechs frühere Patrizier. Mein verehrter Vorgänger Kurt Hauri war keiner. Wir haben durchaus eine Durchmischung. Wir sind froh um Neuzuzüger, die eine Verbundenheit zu Bern haben. Damit ist aber gerade nicht gemeint, was man uns nachsagt: Dass man in die Burgermeinde eintrete, um ein Amt zu bekommen. Es kann einer nach dem Eintritt nicht erwarten, dass sein Geschäft dann besser läuft und er Aufträge erhalte.

Jetzt tönen Sie aber sehr bescheiden. Wer Burger wird, tut es auch, weil er sich einen Nutzen verspricht: Beziehungen, eine schöne Wohnung vielleicht.

Ich habe mich erkundigt. Im Multengut, wo wir bauen, sind sechzig Wohnungen vermietet, fünf davon an Burger. Es zahlen auch alle den gleichen Zins. Unsere Spitzenbeamten, die Abteilungsleiter: über die Hälfte nicht Burger.

Aber ein gutes Beziehungsnetz verschafft die Burgergemeinde schon, oder?

Das ist natürlich so. Wir haben relativ viele Angehörige aus der Baubranche, Architekten, Planer. Das darf sein. Allerdings: Für die Pflege von Beziehungen geht man besser zu einem Serviceclub wie den Rotarieren oder dem Lyons Club. Die treffen sich viel öfter als dies in den Zünften und Gesellschaften überhaupt möglich ist.

Laut Rieders Buch dominiert in der Burgergemeinde bis heute ein adliges Selbstbewusstsein. Stimmt das?

In der Präambel unserer Satzung steht: "Der Tradition verpflichtet, aber aufgeschlossen für den Wandel der Zeit". Es gab innerhalb der Burgergemeinde schon früh unterschiedliche Gruppen. Einerseits bewahrende, rückschauende. Aber dann auch vorausschauende, die Reformen forderten. Die Burgergemeinde war nie monolithisch und undemokratisch. Durch die Ausscheidungsverträge von 1854 zwischen Einwohner- und Burgergemeinde stehen wir auf einer demokratischen Basis. Die Verträge können aus unserer Sicht nicht als ungerecht bezeichnet werden.

Die Burger behielten 1854 viel Land, das später als Bauland Millionen abwarf. Die Einwohnergemeinde aber erhielt zu unterhaltende Gebäude. Schon damals wurde der Vertrag laut Rieders Buch kritisiert. Kann man einen solchen Vertrag gerecht nennen?

Der Vertrag ist das Resultat eines langen Prozesses mit Verhandlungen und demokratischer Abstimmungen.

Stimmberechtigt waren damals bloss Männer mit einem gewissen Einkommen.

Es stimmt, dass der Vertrag umstritten war. Aber: Das damalige Stimmrecht haben nicht die Burger erfunden. So war die damalige Zeit. Die Burgergemeinde hat damals nicht getrickst.

Wussten die Beteiligten damals schon, was das Brachland ringsum die Stadt wert sein würde? Berns grosses Wachstum setzte ja erst um 1890 ein.

Wir spassen manchmal, dass die Einwohnergemeinde die "Grasblätze" ausserhalb der Stadt, wie sie genannt wurden, vielleicht unterschätzt hat.

Die schlauen Burger aber nicht?

Das weiss ich nicht. Beide Seiten haben es wohl nicht erkannt. Wissen wir heute, was in 50 Jahren ist? Heute zu behaupten, die Burgermeinde habe sich damals gezielt das bessere Stück unter den Nagel gerissen, ist doch sehr aus der Perspektive heutiger Grossüberbauungen gedacht. Dass wir 1854 dieses Land behielten, ist ein Glücksfall für uns, zugegeben.

Dieser "Glücksfall" begründet den heutigen Reichtum der Burgergemeinde. Wie viel Zinsen wirft das Burgerland ab?

30 Millionen Franken im Jahr. Dazu kommen noch Wertschriften auf der DC-Bank. Am wichtigsten aber ist das Land.

Stimmt es, dass die Burgergemeinde Berns grösste Landbesitzerin ist? Ein Drittel des Baulandes soll ihr gehören.

Nein, nicht des Baulandes. Höchstens unter Einbezug des Waldes. Es sind im Ganzen in Bern 260 Hektaren Bauland. Dazu gehört auch wertvolles Land, so etwa die Hälfte des Entwicklungsschwerpunkts Wankdorf.

Aber dass die Burgergemeinde Bern die grösste Waldbesitzerin der Schweiz ist, das stimmt?

Nein. Eine der grössten.

Wirft auch das Waldgeschäft Gewinn ab? Holz ist als Rohstoff derzeit gefragt.

Wir sind froh, dass wir nicht mehr rote Zahlen schreiben. Aber von einem bedeutenden Gewinn kann keine Rede sein.

Wenn wir schon bei den Zahlen sind: Die Burgergemeinde wurde schon als Milliardenunternehmen bezeichnet.

Ja, das Vermögen der Burgergemeinde ist etwa eine Milliarde Franken wert.

In Rieders Buch geht es nicht nur um gewinnträchtigen Besitz, sondern auch um ein dunkleres Kapitel: Die Aktivitäten von Burgern bei den nazifreundlichen Schweizer Frontisten. Schockieren Sie diese Enthüllungen?

Die Namen, von denen ich schon hörte, haben mich erstaunt und überrascht. Ich nahm es mit Unverständnis zur Kenntnis.

Besonders bei Ihren direkten Verwandten, die Frontisten waren?

Ich hörte zum allerersten Mal von deren Verstrickungen. Ich war damals ein Kind, ich wurde 1941 geboren. Ich habe mit zwei Grosssöhnen dieser Verwandten gesprochen. Sie fielen aus allen Wolken, sie wussten nichts.

Dass der spätere Burgerratspräsident Georges Thormann Berner Gauleiter der "Nationalen Front" war, das hätte man doch wissen müssen?

Man wusste etwas, aber nichts Genaues. Es stimmt mich nachdenklich, dass diese Aktivitäten bei Thormanns späterer Ämterlaufbahn in der Burgergemeinde nicht thematisiert wurden. Das ändert aber nichts daran, dass Georges Thormann ein herausragender Präsident war.

Wollte man nichts wissen?

Oder man wollte es nicht in die Öffentlichkeit tragen. Ich möchte auch die Rückfrage an Sie stellen? Warum hat die Presse das nicht aufgebracht? Das "Berner Tagblatt" hat Georges Thormann 1968 bei seiner Wahl ins Burgerratspräsidium in den höchsten Tönen gelobt. Offenbar war die Aufarbeitung der 1930er-Jahre generell kein Thema, nicht nur bei der Burgergemeinde.

Die Burgergemeinde arbeitet nun ihre Vergangenheit auf. Fürchten Sie nach Katrin Rieders Buch um Ihr Image?

In Freude brechen wir nicht aus. Wenn man uns als verknöcherte Spinner im Goldrahmen darstellen will, stört uns das. Stören würde uns auch eine Zuspitzung, die Burgergemeinde habe als Institution eine Nazivergangenheit. Deshalb beschlossen wir, den Fakten nachzugehen. Wir haben in den letzten Jahren in der Öffentlichkeitsarbeit vorwärts gemacht. Wir gaben früher nie ein Interview wie jetzt dieses hier. Wir sind keine abgeschlossene Gesellschaft mehr. Sofern unsere Untersuchungen dunkle Flecken zeigen sollte, wird man hoffentlich sagen: Das kann es in jeder Organisation geben, aber dass das jetzt aufgearbeitet wird, ist gut.

Wenn dunkle Flecken auftauchen sollten, was tun Sie dann? Sich entschuldigen?

Das kommt nicht in Frage. Ich kann mich nur für Dinge entschuldigen, die ich selber verantworte. Ich habe mich im Täufer-Jahr Vorwürfen zur Verfolgung der Täufer im Alten Bern gestellt. Ich habe eine Rede gehalten, in der ich mein Unverständnis ausdrückte darüber, wie sich die damalige Herrschaft aufführte. Entschuldigt habe ich mich nicht. Wo fängt das Entschuldigen an, wo hört es auf?

Wie gehen Sie bei der Aufarbeitung der 1930er-Jahre vor?

Wir versuchten erst einen externen Historiker, weder aus Bern noch aus der Burgergemeinde, für diese Aufgabe zu finden. Das erwies sich aber als schwierig, weil die Quellenlage unklar und disparat ist. Deshalb ist jetzt ein Historiker der Burgerbibliothek freigestellt, um einen Quellenforschungsbericht zu erstellen.

Nun untersucht ein Burger die Burgergeschichte?

Ja. Aber er trägt nun überhaupt mal zusammen, was an Material aus dieser Zeit vorhanden ist. Dann würden wir wieder einen externen Experten fragen.

Warum beauftragen Sie nicht gleich Katrin Rieder? Sie ist eingearbeitet in die Materie

Lassen Sie mich klar Position beziehen: Nach unserem Wissensstand hat sich Frau Rieder klar positioniert mit dem Feindbild der Burgergemeinden, die abzuschaffen seien. Das hat sie mir auch unter vier Augen bestätigt. Angesichts dessen geben wir ihr keinen solchen Auftrag. In ihrem Buch spüren wir die Grundeinstellung, Dinge zusammenzutragen, die die Burgergemeinde angreifbar machen.

Was für Resultate erwarten Sie sich von der Untersuchung?

Es ist denkbar, dass in offiziellen Dokumenten wenig auftaucht. In den Verwaltungsberichten habe ich beim Durchblättern den Eindruck erhalten, dass der Krieg gar nicht stattgefunden habe. Verständlich, die Burgergemeinde betreibt ja nicht Weltpolitik. Das Resultat unserer Untersuchung könnte mager sein. Aber wir machen es jetzt, schon nur zum Schutz gewisser Leute.

Warum muss man frühere Frontisten schützen?

Wenn ein junger verblendeter Student von 1932 bis 1935 bei den Frontisten mitmachte und dann klug genug war auszusteigen, ist das doch für die Nachkommen wunderbar. Etwas anderes ist es, wenn einer länger dabei blieb. Die Frage ist, ob nur einzelne Burger Frontisten waren, oder ob sich die ganze Burgergemeinde als Institution etwas zuschulden kommen liess. Wir werden aber nur die Akten der Burgergemeinde und nicht Familienarchive untersuchen.

Müssten Sie nicht auch die Nachkriegszeit studieren, in der, wie bei Thormanns Wahl, die Frontistenära ausgeblendet wurde?

Auch diese Zeit werden wir anschauen und fragen, ob es damals eine Diskussion gab.

Nach der Affäre um Roland Nef wird gefordert, Kandidaten für Spitzenpositionen müssten durchleuchtet werden. Wurden Sie selber durchleuchtet?

Alle Kandidaten für unsere Chefbeamtenposten haben professionelle externe Assessments durchlaufen. Bei politischen Mandaten ist das anders. Oder haben Sie schon einmal davon gehört dass ein Bundesrat Schmid oder ein Stadtpräsident Tschäppät durchleuchtet worden wären? Sicher nicht.

Kommen wir zur Existenzfrage, die in Rieders Buch zwischen den Zeilen gestellt wird: Wofür braucht es die Burgergemeinde?

Vorerst: Im Kanton Bern gibt es 250 Burgergemeinden, nicht nur die von Bern. Es gibt eine Verankerung. Aber in der halben Schweiz gibt es keine Burgergemeinden. Man kann sich also einen Staat vorstellen ohne Burgergemeinden.

Warum braucht es sie also?

Ich sage immer: Es gibt sie halt! Unsere Vorfahren habe die Vertragsbasis erstritten. Aber es braucht sie nicht zwingend.

Was wäre, wenn es die Burgergemeinde Bern nicht gäbe? Ein Vorstoss der PDA im Berner Stadtrat fordert ihre Abschaffung.

Würde man das Burgervermögen der Stadt übertragen und es für soziale Zwecke verwenden, dann wäre dieses Geld ziemlich bald weg. Wir würden dann mit dem grossen Schlüssel das Naturhistorische Museum schliessen. Das Casino könnte man vielleicht in eine Turnhalle umbauen. Im Ernst: Wir haben schon lange gesagt, was wir dann tun würden.

Was denn?

Unsere Sozialausgaben würden der Einwohnergemeinde überbürdet, das sind viele Millionen im Jahr. Mit dem freien Vermögen würden wir eine Stiftung wie die Basler Merianstiftung schaffen. Die würde das Naturhistorische Museum dann wieder eröffnen.

Wie sähe die Einwohnergemeinde Bern aus wenn sie 1854 allen Besitz erhalten hätte?

Ich behaupte: Das Kapital, das die Burgergemeinde bewahrt hat und an dem sie die Stadt heute teilhaben lässt, wäre verbraucht worden. Nach einer anderen, kurzfristigeren Gewichtung. Berns kulturelles, soziales und wissenschaftliches Leben wäre heute ärmer.

Katrin Rieder suggeriert, die Burgergemeinde dirigiere die Stadt nach ihren Bedürfnissen.

Keine Spur. Stadt und Burgergemeinde sind in vielem aufeinander angewiesen. Manchmal muss jemand vorausgehen und mit einem gewissen Betrag etwas in Gang setzen. Wie wir das beim Bärenpark taten.

Bestimmen Sie unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeit, was gehen soll in dieser Stadt?

Das wird uns bei der Debatte um den Botanischen Garten nachgesagt, ich weiss. Was stimmt: Wir sind nicht einfach ein Geldgeber. Wenn wir schon etwas machen, wollen wir etwas beleben. Beim Klee-Zentrum haben wir an den Bau nichts bezahlt und zahlen nichts an den Betrieb, aber wir haben 20 Millionen in eine Stiftung gegeben, die Wechselausstellungen und Ankäufe unterstützt. So können wir etwas bewirken. Aber wir wollen nicht Einfluss nehmen, wo es uns nicht gebührt.

Apropos Kooperation mit der Stadt: Hätten Sie lieber eine Stadtpräsidentin Hayoz als einen Stadtpräsidenten Tschäppät?

Dazu hat die Burgergemeinde nichts zu sagen. Von der Linie her liegt uns eine FDP näher. Aber wir haben mit Herrn Tschäppät sehr gute Quartalsgespräche. Da ist dann keine Presse dabei, und wir sprechen offen und sachlich. Wir können also durchaus auch mit einer rot-grünen Regierung gut zusammenarbeiten. Interview:Stefan von Bergen

Der Autor: Stefan von Bergen (stefan. vonbergen@bernerzeitung.ch) ist "Zeitpunkt"-Leiter.

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BZ 16.8.08

Katrin Rieders Burger-Buch

Das sind die heissen Punkte der Debatte

Ein Buch wirft Wellen. Der kritische Wälzer "Netzwerke des Konservatismus", den die Historikerin Katrin Rieder (39) am Mittwoch präsentierte (wir berichteten), kratzt das positive Bild der ehrwürdigen und freigebigen Burgergemeinde Bern an. Das unbequeme Buch kommt der Stadtberner Classe politique eher ungelegen. Es ist Wahljahr, und eine Sympathie für das Buch, das die Existenz der Burgergemeinde zur Debatte stellt, könnte Stimmen kosten.

Die Konkurrenten ums Stadtpräsidium, Barbara Hayoz (FDP) und Alexander Tschäppät (SP), äussern sich vorsichtig oder gar nicht. Beide können es sich nicht leisten, die spendable Burgergemeinde zu vergraulen, die gerade den Botanischen Garten zu retten hilft und die mit einer halben Million Franken das Projekt "Bärenpark" anstiess. Aber auch zu grosse Nähe zu den Burgern könnte im Wahlkampf falsch verstanden werden. Die Vorsicht der Politiker ist ein Beleg dafür, dass die Burgergemeinde in Bern ein Machtfaktor ist. Sie prägt die öffentliche Diskussion - und damit auch den Wahlkampf - mit.

Die Burger selbst treten in der Debatte um das Buch selbstbewusst auf. Ihr Präsident, der einer Patrizierfamilie entstammende Fürsprecher Franz von Graffenried (67), repliziert hier auf die heissen Punkte des Buchs:

Adliges Selbstbewusstsein. Katrin Rieder beschreibt die Burgergemeinde als "Bollwerk" eines adligen und reaktionären Denkens, das sich mit der demokratischen Gegenwart schwertue und bis heute spürbar sei.

Ungerechte Besitzverteilung. Rieder analysiert den Güterausscheidungsvertrag zwischen Einwohner- und Burgergemeinde von 1854 als historische Ungerechtigkeit, die dank einkommensabhängigem Stimmrecht und burgerlichen Vertretern in den Stadtbehörden durchgesetzt wurde. Die Stadt erhielt damals die Gebäude. Die Burger behielten stadtnahes Land, das heute lukratives Bauland ist.

Unaufgearbeitete Frontistenvergangenheit. Rieder enthüllt, dass ein Netzwerk von Burgern in den 1930er-Jahren aktive Rollen bei den nazifreundlichen Schweizer Frontisten spielte. Nach dem Krieg wählte die Burgergemeinde Präsidenten wie Albrecht von Graffenried und Georges Thormann, ohne nach deren Vergangenheit zu fragen.

Abschaffung der Burgergemeinde. Rieder listet die Versuche im 19.Jahrhundert und zuletzt in den 1990er-Jahren auf, die Burgergemeinden und damit ihre historischen Besitzrechte abzuschaffen. Möglich wäre das im Rahmen einer Revision der Kantonsverfassung. In der vom Volk genehmigten aktuellen Berner Verfassung ist der Dualismus von Einwohner- und Burgergemeinden verankert.

Grosszügigkeit als Deckmantel.

Nachdem die Burgergemeinde bei der Verfassungsdebatte 1885 der Abschaffung entgangen war, gab sie sich ein neues Leitbild, öffnete sich für Neumitglieder und unterstützte künftig grosszügig die Stadt. Für Rieder ist diese Grosszügigkeit ein Kalkül zur Verschleierung der Macht und zur Sicherung der Existenz.

Indirekte Machtausübung. In der Debatte um die Quartierüberbauung Villette in den 1980er-Jahren, wo die Burger von den Stadtbehörden den Gewinn bringenden Abriss denkmalgeschützter Villen absegnen liessen, erkennt Rieder die burgerliche Taktik der indirekten Machtausübung: Die Stadt tut, was die Burgerschaft will. svbDas Buch: Katrin Rieder: "Netzwerke des Konservatismus - Berner Burgergemeinde und Patriziat im 19. und 20.Jahrhundert", Chronos, 736 S. Fr. 78.-.


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RANDSTAND BURGDORF
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BZ 16.8.08

Regeln für die Innenstadt

Gestern hat die Burgdorfer EVP-Fraktion ein Postulat eingereicht, das den Gemeinderat auffordert, ein Reglement für die Innenstadt zu erarbeiten. Anlass zu diesem Vorstoss gaben unter anderem die Randständigen und Bettler, die vermehrt im Bahnhofquartier anzutreffen sind. Es gehe nicht darum, diese Menschen auszugrenzen, betont die EVP. Sondern darum, das Unbehagen in Teilen der Bevölkerung ernst zu nehmen, die Attraktivität der noch gut funktionierenden Einkaufszone zu erhalten und den Randständigen betreute Räumlichkeiten anzubieten.heb