MEDIENSPIEGEL 9.10.08
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kultur-Tipps: Dellwo im Kino-RAF-Zyklus
- Drogenszene: IG Aarbergergasse unzufrieden
- Bahnhof-Reglement
- Schnüffelstaat: Anti-WEF-Daten löschen lassen!
- (Naziband)-Anwalt mit Beziehungen
- Gipfel-Soli-News 8.10.08

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REITSCHULE
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Okt 08: Beteiligt Euch an der Vorplatz-Präsenz!!!

PROGRAMM:

Do 09.10.08    
20.00 Uhr - Frauenraum - BarOmeter - elektronische Klänge und Beats zu lesbisch-schwulem Chillen mit DJ FRATZ, Janine, Sharone & DJ ELfERich
19-23 Uhr - Kinodurchgang - Ob friedlich oder militant... anti-atom.ch, Ausstellung Die Chaoten - Bilder aus Wackersdorf - bis 25.10.08
20.00 Uhr - Infoladen - Spaltprozesse; Claus Strigel, D 1986: Anti-atom.ch
20.30 Uhr - Kino - RAF-Filme: Die Stille nach dem Schuss; Volker Schlöndorff, D 2000

Fr 10.10.08    
19-23 Uhr - Kinodurchgang - Ob friedlich oder militant... anti-atom.ch, Ausstellung Die Chaoten - Bilder aus Wackersdorf - bis 25.10.08
20.15 Uhr - Kino - Buchpräsentation "Das Projektil sind wir" von Karl-Heinz Dellwo + Diskussion
22.30 Uhr - Kino - RAF-Filme: Die bleierne Zeit; M. von Trotta, D 1981
20.30 Uhr - Tojo - Die Lüge oder es wird wärmer von eng/müll
23.00 Uhr - Dachstock - Revolt Throw Down: Gambit Plattentaufe "Another Planet", Feuerring (be), Dondon aka MC Alkaline (Ex Gunshot/uk), Positive Pressure DJ Crew, DJ Dusky

Sa 11.10.08    
19-23 Uhr - Kinodurchgang - Ob friedlich oder militant... anti-atom.ch, Ausstellung Die Chaoten - Bilder aus Wackersdorf - bis 25.10.08
20.30 Uhr - Tojo - Die Lüge oder es wird wärmer von eng/müll
21.00 Uhr - Kino - RAF-Filme: Deutschland im Herbst; Volker Schlöndorff,Heinrich Böll, Fassbinder u.a., D 1978
22.00 Uhr - SousLePont - Punk Night mit Motus (CRO, Punk/HC) und Local Support
23.00 Uhr - Dachstock - Liquid Session: Commix (uk/Metalheadz), André & Olive (loccomotion.ch),TS Zodiac (tszodiac.ch), MC Matt (vocalbreath.ch)

So 12.10.08    
19.00 Uhr - Tojo - Die Lüge oder es wird wärmer von eng/müll

Infos: www.reitschule.ch - www.anti-atom.ch

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kulturagenda.be 9.10.08

Karl-Heinz Dellwo im Kino Reitschule

Mitten in den RAF-Film-Oktober des Kinos in der Reitschule platzt ein ehemaliges RAF-Mitglied: Karl-Heinz Dellwo, seit 1995 wieder frei, liest aus seinem Buch "Das Projektil sind wir". Zwei Journalisten erzählt er im Buch die Stationen seines Lebens. Dellwo war 1975 an der Besetzung der deutschen Botschaft von Stockholm beteiligt und wurde wegen Mordes und Geiselnahme zu zweimal lebenslänglich verurteilt. Kino Reitschule, Bern. Fr., 10.10., 20.15 Uhr

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DROGENSZENE
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BZ 9.10.08

Aarbergergasse

"Der Kuhfladen auf der Wiese" für Randständige

Die IG Aarbergergasse hat sich mit Vertretern von Stadt und Polizei getroffen. Deren Antworten befriedigen die Gewerbler nicht.

Die Aarbergergasse sei das "Auffangbecken der städtischen Drogenpolitik", reklamieren die in der Interessengemeinschaft Aarbergergasse zusammengeschlossenen Gewerbler und Anwohner. Dies, weil die Drogenszene bei geschlossenem Fixerstübli in die nahe Gasse ausweiche. Die IG hat darum einen Monat lang die Protectas in der Gasse patrouillieren lassen (siehe auch Ausgabe von gestern).

Am Dienstagabend haben sich Vertreter der IG mit der städtischen Drogenkoordinatorin Regula Müller, Pinto-Leiter Silvio Flückiger und Alfred Rickli, Chef der Polizeihauptwache Waisenhausplatz, getroffen. Dabei hat die IG erneut ihre Forderung nach einer zweiten Drogenanlaufstelle und einer damit verbundenen Erweiterung der Öffnungszeiten deponiert.

"Lachhafte Statistiken"

Eine konkrete Stellungnahme hat die IG laut ihrem Präsidenten, "Moléson"-Wirt Bernhard Hüsser, nicht erhalten. Dies obschon die Sozialdirektion bereits gestern in dieser Zeitung klargemacht hatte, dass die Drogenanlaufstelle nicht wie von der IG verlangt bereits am Morgen geöffnet sein werde. Für die IG ist aber gerade der Morgen, wenn sich die Süchtigen ihre erste Dosis organisieren müssen, ein Problem.

Mit "lachhaften Statistiken" hätten die Vertreter der Stadt das Problem kleinreden wollen, sagt Hüsser: "Pinto will bei 50 Kontrollgängen nur einmal eine Ansammlung Drogensüchtiger festgestellt haben." Da würden die Protokolle der Protectas ein ganz anderes Bild zeigen, sagt Hüsser. Seine Folgerung: "Die Stadt will nicht eingestehen, wie brisant das Problem ist."

Schwieriges Geschäften

Für Hüsser ist klar, wo das Problem liegt: "Das ‹Casa Marcello› ist der Kuhfladen auf der Wiese." Nach der Schliessung von "Traube" und "Braunem Mutz" ist das "Marcello" die einzige Beiz, welche Randständige toleriert - mit entsprechender Sogwirkung. Die Stadt kümmere sich nicht darum, sei im Gegenteil froh über die Situation, glaubt Hüsser. So habe man das Problem nicht anderswo. Für die Aarbergergasse sei das fatal. "Gerade jetzt, mit der Eröffnung des Westside, müssen wir uns um eine attraktive Innenstadt bemühen", sagt der initiative Wirt. "Das ist aber schwierig, wenn man die Drogenszene vor der Türe hat."
azu

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Bund 9.10.08

Stadt soll für Protectas zahlen

Stadt Bern Die Interessengemeinschaft Aarbergergasse (IGA) engagiert seit letzten Monat Protectas-Patrouillen. Nun fordert die IGA die Stadt Bern auf, sich künftig an den Kosten zu beteiligen, falls dem Begehren nach Eröffnung der zweiten Drogenanlaufstelle an der Murtenstrasse und der Ausweitung der Öffnungszeiten nicht sofort nachgekommen werde. Dies berichtet die "Berner Zeitung" in ihrer Ausgabe von gestern.

Wie Martin Albrecht, Generalsekretär der Direktion für Sicherheit, Umwelt und Energie, auf Anfrage mitteilte, sei bisher noch kein offizielles Gesuch für eine entsprechende Kostenübernahme bei der Direktion eingegangen. Obwohl die Direktion mit der IGA in ständigem Kontakt stehe, habe sie von der Forderung erst durch die Medien erfahren. Die Verhältnisse in der Aarbergergasse würden aber von der Sicherheitsdirektion momentan als "stabil" beurteilt. "Wir haben Rückmeldungen von der Kantonspolizei und von Pinto, wonach sich die Situation wesentlich verbessert hat", sagte Albrecht. Falls ein Gesuch um Kostenübernahme eingereicht werde, müsste dieses aufgrund der Sicherheitslage und der polizeilichen Massnahmen genau geprüft werden, so Albrecht. (sbv)

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BAHNHOF-REGLEMENT
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Bund 9.10.08

Durchsetzung bisher problemlos

Stadt Bern Das Bettelverbot im Berner Hauptbahnhof ist bisher problemlos durchgesetzt worden. Marc Heeb vom städtischen Gewerbeinspektorat sagte eine Woche nach Inkrafttreten des neuen Bahnhofreglements auf Anfrage, seine Leute hätten vermehrt Kontrollgänge unternommen und die Bettelnden auf die neuen Regeln hingewiesen. Diese hätten das zur Kenntnis genommen und sich meist entfernt.

Das Betteln ist neu im ganzen unterirdischen Teil des Bahnhofs sowie bei den oberirdischen Eingängen in einem Umkreis von zehn Metern untersagt, um den Passanten ungehinderten Durchgang zu ermöglichen. Die Bettler hätten dafür Verständnis gezeigt, so Heeb. Das Bahnhofreglement sieht für "ungebührliches Verhalten" Bussen bis zu 2000 Franken vor. Bisher seien aber noch keine ausgesprochen worden, so Heeb.

JA-Stadträtin Lea Bill, die sich zusammen mit links-grünen Parteien gegen das Bahnhofreglement gewehrt hatte, sagte auf Anfrage, es seien ihr noch keine Klage von Randständigen zu Ohren gekommen. Allerdings sei es für eine Auswertung noch zu früh.

Auch Securitrans zufrieden

Positive Erfahrungen machte Martin Graf, Geschäftsführer der Bahnpolizei Securitrans, die das Reglement im Innern des Bahnhofs durchsetzt. Die Einführung sei "unspektakulär" verlaufen, es habe sich nicht viel verändert.

Bereits nach dem Umbau der Bahnhofhalle und der Christoffel- Unterführung habe sich die Lage entschärft. Die neue Passerelle mit Geschäften ziehe weniger Gruppen an, die herumlungerten und pöbelten. "Es besteht weniger Neigung, etwas kaputtzumachen", so Graf. So habe die Bahnpolizei höchstens noch mit einzelnen Leuten zu tun, die sich auf die Treppen in der Bahnhofshalle setzen. "Wir stehen aber nicht permanent daneben und warten, bis sich einer hinsetzt", relativiert Graf. Es gehe darum, gesunden Menschenverstand walten lassen. (sda)

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bernerzeitung.ch 8.10.08

Bettelverbot bisher ohne Probleme durchgesetzt

Das Bettelverbot im Berner Hauptbahnhof ist bisher problemlos durchgesetzt worden. Dieses Fazit zieht das Gewerbeinspektorat eine Woche nach Inkrafttreten des neuen Bahnhofreglements.

Grosse Veränderungen habe es indes nicht gegeben. Marc Heeb vom städtischen Gewerbeinspektorat sagte am Mittwoch auf Anfrage, seine Leute hätten vermehrt Kontrollgänge unternommen und die Bettelnden auf die neuen Regeln hingewiesen. Diese hätten das zur Kenntnis genommen und sich meist entfernt.

Verständnisvolle Bettler

Das Betteln ist neu im ganzen unterirdischen Teil des Bahnhofs sowie bei den oberirdischen Eingängen in einem Umkreis von zehn Metern untersagt. Dies soll gewährleisten, dass die Passantenströme gut zirkulieren können. Die Bettler hätten für dieses Argument Verständnis gezeigt, so Heeb.

Probleme mit dem Perimeter von zehn Metern habe es keine gegeben. So komme es nicht vor, dass sich Bettler beispielsweise exakt elf Meter von den Aufgängen entfernt postierten.

Das Bahnhofreglement sieht für "ungebührliches Verhalten" Bussen bis zu 2000 Franken vor. Bisher seien aber noch keine ausgesprochen worden, so Heeb.

JA!-Stadträtin Lea Bill, die sich zusammen mit links-grünen Parteien gegen das Bahnhofreglement gewehrt hatte, sagte auf Anfrage, es seien ihr noch keine Klage von Randständigen zu Ohren gekommen. Allerdings sei es für eine Auswertung noch zu früh.

Kaum Veränderungen im Innern

Positive Erfahrungen machte Martin Graf, Geschäftsführer der Bahnpolizei Securitrans, die das Reglement im Innern des Bahnhofs durchsetzt. Die Einführung sei "unspektakulär" verlaufen, es habe sich nicht viel verändert.

Bereits nach dem Umbau der Bahnhofhalle und der Christoffel- Unterführung habe sich die Lage entschärft. Die neue Passerelle mit Geschäften ziehe weniger Gruppen an, die herumlungern und pöbeln. "Es besteht weniger Neigung, etwas kaputt zu machen", so Graf.

Mit gesundem Menschenverstand

So habe die Bahnpolizei höchstens noch mit einzelnen Leuten zu tun, die sich auf die Treppen in der Bahnhofshalle setzen. "Wir stehen aber nicht permanent daneben und warten, bis sich einer hinsetzt", relativiert Graf. Es gehe darum, gesunden Menschenverstand walten lassen.

Das Bahnhofreglement verbietet neben dem Betteln auch das Sitzen und Liegen auf Boden und Treppen sowie das Herumfahren mit Skateboards und Ähnlichem. Es wurde im vergangenen Juni von den Stimmberechtigten deutlich abgesegnet. (/sda)

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SCHNÜFFELSTAAT
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WoZ 9.10.08

Datenschutz

Zwei Briefe genügen

Gegen 35 von 245 Personen, die im Vorfeld der Berner Anti-Wef-Demo vom ­19. Ja­nuar 2008 präventiv festgenommen wurden, eröffnete die Polizei ein Ermittlungsverfahren. Die restlichen 210 Verhafteten können jetzt die Löschung ihrer Daten verlangen - vorausgesetzt, sie machen sich die Mühe, zwei Briefe zu schreiben.

Seit drei Wochen hat Max Müller (Name geändert) die schriftliche Bestätigung, dass seine "bei der Kantonspolizei vorhandenen Daten gelöscht worden sind". Einen ersten Brief schrieb er Anfang Februar an die Kantonspolizei Bern. Darin verlangte er erstens Auskunft über alle "Personen- und Bilddaten" zu seiner Person, insbesondere über jene, die im Zusammenhang mit seiner Festnahme erhoben worden sind. Diese Informationen seien - das war Müllers zweite Forderung - nach der Einsicht zu löschen. Kantonspolizisten hatten ihn damals, eine Stunde vor dem geplanten Beginn der verbotenen Anti-Wef-Demo "zur Feststellung der Identität" auf die Wache am Waisenhausplatz gebracht. Dort zwang man ihn, sich nackt auszuziehen, nahm seine Personalien auf, fotografierte ihn und hielt ihn insgesamt sieben Stunden lang fest.

Die Antwort der Kapo auf Müllers ersten Brief kam Ende März: Seine Personalien seien auf einer "Personenkontroll- und Festnahmekarte" registriert, zusammen mit Ort und Zeit der "Anhaltung" und den sichergestellten Gegenständen, nämlich einem Natel und einem Anti-Rep-Flyer. Die Kapo erfasste die Daten später in ihrer ­Vorermittlungsdatenbank. Sie sei berechtigt, sie fünf Jahre lang aufzubewahren. "Grundsätzlich werden solche Daten jedoch spätestens nach zwei ­Jahren gelöscht", heisst es in dem Schreiben weiter. Dieses enthielt zudem eine falsche Rechtsmittelbelehrung: Die Verfügung könne innerhalb von dreissig Tagen bei der Polizei- und Militärdirektion des Kantons angefochten werden.

Diese reichte Müllers zweiten Brief Ende April an die richtige Adressatin weiter, nämlich die Anklagekammer des Obergerichts.

In ihrem Beschluss vom 14. August 2008 ruft die Anklagekammer der Polizei die Grundprinzipien des Datenschutzes in Erinnerung: Unabhängig von der im Polizeigesetz vorgesehenen Höchstspeicherungsdauer von fünf Jahren müsse die Polizei die Daten einer Person löschen, sobald sie nicht mehr erforderlich seien. "Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit verbietet es jedenfalls, sich - unbesehen der konkreten Umstände und ohne weitere Begründung - auf eine grundsätzliche Aufbewahrungsdauer von zwei Jahren zu berufen." Bei Max Müller habe die Polizei keine gefährlichen Gegenstände sichergestellt. Er gehöre nicht zu den 35 Personen, gegen die die Polizei Ermittlungen eingeleitet habe. Nach mehr als einem halben Jahr "bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Anzeige noch erfolgen wird". Eine weitere Speicherung für den hypothetischen Fall, "dass der Betroffene allenfalls wieder einmal im Rahmen einer unbewilligten Kundgebung angehalten werden könnte, würde sich verbieten". Denn schliesslich solle die Vorermittlungsdatenbank "nicht der Fichierung von Personen, sondern der Vernetzung von kriminalpolizeilich relevanten Daten dienen".

Wegen seines Einsatzes für den Datenschutz wurde Max Müller für den Publikumspreis der Big Brother Awards nominiert, die am 18. Oktober in der Berner Reitschule vergeben werden.

Heiner Busch

Der Beschluss der Anklagekammer und Musterbriefe finden sich auf www.grundrechte.ch.

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ANWALT MIT BEZIEHUNGEN
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WoZ 9.10.08

ANWALT DER WOCHE

Valentin Landmann

Valentin Landmann wurde als Anwalt der Hells Angels bekannt. Aufgewachsen in St. Gallen, doktorierte er 1975, zog dann aber die Tätigkeit als Milieuanwalt einer politischen Karriere vor. Das führte 1984 zum Bruch mit der FDP. Wie Landmann im WOZ-Interview erzählt, hätte ihn seine Nähe zur Halbwelt einst fast Beruf, Ansehen, Freiheit und Gesundheit gekostet. Zurzeit macht er Schlagzeilen, weil er eine Neonaziband verteidigt. Wer ist der Sohn einer konservativen jüdischen Kochbuchautorin wirklich? Der Strafverteidiger und Autor erzählte im Anschluss an ein langes Interview vom Besuch einer Sadomaso­party und präsentierte eigene ­Essays zum Thema Kochen, etwa über die ­"Eigenblutwurst". dr

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Valentin Landmann
Waren Sie der Mörder?

Von Daniel Ryser (Interview)

Er wuchs am noblen St. Galler Rosenberg auf und wurde als Anwalt der Hells Angels Aushängeschild der Zürcher Unterwelt: Der als brillanter Strafverteidiger geltende und erfolgreiche Autor Valentin Landmann sieht seine Rolle vor Gericht als die eines Brückenbauers und Sozialpädagogen.

WOZ: Herr Landmann, wieder machen Sie Schlagzeilen: Sie verteidigen eine Neonaziband. Und man fragt sich: Ist der Anwalt der Hells Angels jetzt ein jüdischer Neonazisympathisant?

Valentin Landmann: ... entschuldigen Sie, ich bin gerade emotional. Ein Klient hat einem Dritten heute Morgen eine E-Mail geschrieben, die er besser nicht geschrieben hätte. Er handelte zwar nicht unehrlich, aber emotional. E-Mails verleiten zu Kurzschlussreaktionen, deshalb schreibe ich nie selbst, sondern diktiere. Es ist nervenaufreibend. Sehen Sie: Ich habe keine Berührungsängste. Wenn ich einen Fall übernehme, stehe ich dafür ein. Dann trete ich nicht vor Gericht und sage, Herr Präsident, Sie wissen ja, normalerweise rühre ich solche Fälle nicht an, aber ... Einem Anwalt, der in meiner Gegenwart so etwas sagt, dem würde ich das Gesetzbuch über den Kopf hauen!

Dann reden wir zur Entspannung etwas über Ihre Mutter.

Meine Mutter?

Die konservative deutschjüdische Schriftstellerin, Journalistin, Lehrerin und Kochbuchautorin Salcia Landmann, die 2002 starb. In St. Gallen ist sie eine Legende. Sie soll Sie geprägt haben.

Meine Mutter hat sich sehr intensiv mit dem Judentum befasst. Sie hat viel geschrieben, auch zur Politik. Sie war im schweizerischen Sinne konservativ. Sie hat übrigens einen Bestseller verfasst: "Der jüdische Witz". Sie war aber selber nie im Staat Israel. Ich auch nicht. Sie war nicht praktizierend. Ich bin es auch nicht.

Ihr Vater starb früh?

Nein, er war der Philosoph Michael Landmann. Er lehrte in Berlin und war deshalb nur in den Ferien in St. Gallen. Deshalb wuchs ich bei der Mutter auf.

Bekannte Ihrer Mutter sagen, sie sei herrisch gewesen, zionistisch und zeitweise extrem rechts.

Sie war sicher konservativ. Aber nicht rechtsextrem. Zionistisch war sie auch nicht. Auch wenn sie eine grosse Fürsprecherin des Staates Israel war.

Herrisch? Sagen wir, sie war dezidiert. Und ausdrucksvoll. Sie hat sich sicher sehr dafür eingesetzt, dass ich Leistung erbringe. Sie war fordernd. Es war eine etwas seltsame Jugend. Ich begegnete in der Stube lauter Literaten: Max Horkheimer, Martin Buber, Horst Bienek, Horst Knapp, konservativeren Schriftstellern wie Kaltenbrunner - nicht der Kriegsverbrecher, sondern sein Sohn. Sie gingen bei uns ein und aus. Meine Mutter war fürsorglich, teilweise einnehmend. Ich bin ein Einzelkind. Sie hat mich bereits als Dreijähriger als Erwachsenen behandelt. Von mir wurde erwartet, dass ich in Gesprächen mithalte.

Sie wurden ein Musterschüler.

Das stimmt. Ich war Klassenbester mit einer Maturanote von 5,6. Ich war damals leider auch etwas zu unbeweglich konservativ.

1968 waren Sie achtzehn Jahre alt ...

Ich hatte aber keine Protestphase. Ausgerechnet damals war ich viel rigider konservativ als später. Ich bin übrigens in keiner Partei.

Der Bankier Konrad Hummler war Ihr Jugendfreund ...

Konrad Hummler ist ein sehr interessanter Mann. Er hat mit seinem liberalen Gedankengut, welches das Schweizerische betont, seine Bank Wegelin vor der Katastrophe bewahrt. Er hatte nie das Gefühl, risikofreudiges American Banking betreiben zu müssen. Ich habe wahnsinnig Mühe mit dem, was jetzt abläuft. Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Verluste - das war für mich immer ein hohles Schlagwort. Aber das passiert jetzt! Und es wird von sogenannten Liberalen mitgetragen. Eine ganze Managerkaste hat sich durch gewinnstrebendes Verhalten von den Kapitalgebern losgelöst und Entsetzliches angerichtet für uns alle. Ich habe vor allem Mühe damit, dass die Jus­tiz bei solch erheblicher Wirtschaftskriminalität kapituliert. Es gibt in der Justiz den Eventualvorsatz. Der gilt theoretisch auch hier: Sie nehmen in Kauf, ungetreu zu handeln, Vermögen zu vernichten, die Ihnen anvertraut sind. Nur handhaben es die Gerichte nicht so.

Warum nicht?

Diese Frage ist eine intelligente Frage.

In Ihren Büchern vertreten Sie die These, die Unterwelt sei der Spiegel der Gesellschaft.

Die Unterwelt ist ein Spiegel der Oberwelt. Und es ist dort viel einfacher, Delikte nachzuweisen, weil sie oft schön und klar auf dem Tisch liegen, wie etwa eine Schlägerei.

Oder die Hells Angels.

Die Razzia von 2004 gegen die Hells Angels war eine Alibiübung. Man hatte die Bundesanwaltschaft innert kurzer Zeit wahnsinnig aufmunitioniert, finanziell, personell. Wenn man derart schnell und mit derartigen Mitteln eine Organisation aufbaut, geht es sehr wahrscheinlich schief. Man hatte wohl gar nicht die Möglichkeit, wirklich kriminelle Organisationen aufzuspüren. Und man hat wohl auch am falschen Ort gesucht. Weil man nichts gefunden hat, hat man die Ansprüche gesenkt. Die Hells Angels haben sich angeboten, denn die sind so bequem angeschrieben. Irgendetwas, so die Überzeugung, findet man sicher.

Was hat man gefunden?

Typische Vorwürfe gegen kriminelle Organisationen, etwa Frauenhandel oder Drogenhandel, kommen in dem Verfahren nicht vor. Ein paar Angels ernteten in einer verregneten Nacht in der Westschweiz Hanf. Zudem gibt es den Verdacht, Hells Angels könnten an einer Indoor-Hanfanlage beteiligt gewesen sein. Es geht auch um eine Eifersuchtsschlägerei des Hells-Angels-Präsidenten mit jemandem, der seiner Frau Avancen gemacht hatte. Es geht um einige Inkasso­fälle, bei denen Hells Angels drohend aufgetreten seien. Es geht um einen wüs­ten Fall mit einer Körperverletzung im Thurgau, in den Angels involviert waren. Dieser Fall ist nicht schön, er gefällt niemandem. Das betrifft aber ein oder zwei Mitglieder. Dann geht es noch um angebliche Vorbereitungshandlungen zu einem Raub. Das Verfahren ist völlig offen.

Also alles Einzelfälle?

Ich wehre mich gegen einen wesentlichen Punkt: dass man aus der Struktur einer Gruppe, nur weil sie nicht konformistisch ist, schliesst, sie sei eine kriminelle Organisation. Dass man einzelne Delikte verfolgen und verurteilen muss, darin sind wir uns einig. Das muss der Staat. Nur muss der Staat keine riesige Alibiübung machen. Die Zürcher Polizei sagte der Bundesanwaltschaft: Ihr wollt die Hells? Okay, wir schicken zwei Leute, die klopfen an, weisen einen Haftbefehl vor, und die kommen mit. In diesem Land hat sich noch nie ein Angel gegen eine Verhaftung zur Wehr gesetzt.

Aber die Bundesanwaltschaft lehnte das Angebot ab.

Sie wollten die fiese Show mit 400 Beamten. Wenn man wirklich davon ausgegangen wäre, dass die Angels derart gefährlich sind, stellt sich die Frage, ob es sinnvoll gewesen wäre, mitten in der Stadt Zürich an einem Mittwochabend mit 400 Beamten einen Krieg anzuzetteln. Nein, sie müssen gewusst haben, dass es keinen Krieg geben wird, sondern dass die Hells Angels friedlich beim Kotelettessen sein werden. Der Einzige, der an diesem Abend ein Verbrechen begangen hat, war ich: Ich trank zu meinem Kotelett eine kalte Ovomaltine.

Sie waren dort?

Ich war dort, aber ich wurde nicht verhaftet. Ich bin jeweils nur zu Beginn der Sitzungen dabei, und zwar als rechtlicher Konsulent. Es geht dann um Verfahrensfragen, Organisatorisches betreffend Bikeranlässe, Menüplanungen. Wenn die eigentliche Sitzung beginnt, ziehe ich mich zurück. Ich bin seit dreissig Jahren ihr Anwalt, Berater, Freund, aber ich bin kein Mitglied. Ich lief an jenem Abend zu meinem Audi und sah dieses wahnsinnige Aufgebot. Polizisten in Marsmen­schen­uniform. Ich brachte das aber nicht mit den Hells Angels in Verbindung, ich dachte, das sei eine riesige Antidrogenaktion am Limmatplatz. Ich fuhr los. Zum Essen. Das ist meine negative Eigenschaft: Ich neige zur Völlerei und zu kulinarischen Exzessen, ich esse mehr, als mir gut tut. Ich war also auf dem Weg zum nächsten Essen, als das Handy klingelte.

Wieso sind Sie eigentlich nie Mitglied der Hells Angels geworden?

Es ist womöglich von den juristischen Aktionsmöglichkeiten her besser, wenn ich nicht selbst Mitglied bin.

Sie sagten, Sie seien in keiner Partei. Sie waren einst in der FDP. Warum traten Sie aus?

Ich sass im Vorstand der Zürcher Stadtpartei. Damals, 1984, fand in der Schweiz die erste grosse Aktion gegen die Hells Angels statt. Ich war entsetzt. Ich hatte in meiner sehr konservativen, naiven Einschätzung geglaubt, dass es in diesem Staat kein Unrecht seitens der Behörden geben könne. Die schwerste Strafe in jenem Verfahren war achtzehn Monate bedingt. Die Aktion von 2004 schien, als wolle man einen 20-Jahre-Jubiläumsflop zelebrieren. Ich gewann 1984 den Eindruck, dass mit unserem System etwas ganz gravierend nicht stimmt.

Die FDP war Teil dieses Systems?

Ich hatte auf Wunsch der St. Galler Stadtpartei die Hells Angels zum FDP-Montagsstamm eingeladen. Es war ein interessanter Austausch liberalen Gedankenguts. Doch danach fielen die Zentralorgane der Partei und die Medien über mich her: Das sei alles entsetzlich. Die Mitglieder der Stadtpartei sagten plötzlich, sie seien für irgendwelche Zwecke missbraucht worden. Ich trat aus, ich wollte Teil einer liberalen Partei sein und nicht einer Gruppierung, die engstirnig agiert.

Von vorne: Wie kam eigentlich ein Musterschüler wie Sie, der 1975 mit 25 doktorierte, zu den Hells Angels?

Das ist eine gute Frage, und ich beantworte sie gerne. Die ersten Begegnungen fanden in Hamburg statt. Ich arbeitete dort von 1979 bis 1984 am Max-Planck-Institut an meiner haftpflichtrechtlichen Habilitation.

Professor Landmann?

Wäre es vielleicht geworden.

Aber Sie wurden es nicht.

Meine Habilitation war praktisch fertig. Durch die Ereignisse rund um die Hells Angels erschüttert, fasste ich damals den Entschluss, einen anderen Weg zu gehen. Ich erinnere mich an das Gespräch mit meinem Professor, als ich ihm meinen Entschluss mitteilte: Er erstarrte. Als ich anfügte, dass ich soeben sämtliche Exemplare meiner Habilitation durch den Schredder gelassen hatte, wurde er bleich. Alles war zerschnetzelt, zerstört. Es gab kein Zurück mehr. Sein Gesichtsausdruck war unbezahlbar.

Sie haben das Resultat jahrelanger Arbeit einfach durch einen Schredder gejagt?

Es war wohl etwas zwischen bewusster Entscheidung und Amok. In Hamburg hatte ich damals den ganzen Tag in der Bibliothek gesessen. Irgendwann fragte ich mich: Wir befassen uns hier ununterbrochen mit der Rechtsordnung in der Meinung, dass man sich daran hält. Doch wie organisieren sich Menschen, die nicht mit jedem Mist zum Richter gehen können? Die ihr Leben nicht nach der Justiz ausrichten? Also suchte ich im Hamburger Milieu nach Leuten, die ausserhalb dieser Ordnung standen. Ich wollte wissen, wie die Unterwelt funktioniert, wie sie sich reguliert. So kam ich zu den Hells Angels.

Sie klopften an?

Zuerst fragte ich in düsteren Bars Leute, ob sie Gangster seien. Das war eine interessante Erkenntnis: Niemand ist beleidigt, wenn man ihn das fragt. Es war natürlich völlig naiv und idiotisch. Irgendwann sagte man mir, ich solle doch mal bei den Hells Angels anklopfen.

Sie haben also tatsächlich einfach angeklopft?

Ja. Und ich fragte: Sind Sie Gangster?

Und was war die Antwort?

Ich solle eintreten.

Die haben Sie nicht gleich im Hafen versenkt?

Es ist eigentlich interessant, dass dies nicht der Fall war. Der damalige Präsident nahm die Sache humorvoll und setzte sich mit mir an einen Tisch. Wir redeten über Gott und die Welt. So lernte ich dann weitere Mitglieder kennen. Mir wurde klar, dass das keine Gangster sind, sondern Outlaws. Aber sie konnten mir helfen, dass ich mit Menschen, die etwas stärker unterweltlastig waren, in Kontakt kam und Gespräche führen konnte. Ich schrieb dann mein erstes Buch: "Das integrierte Verbrechen". Als das Buch fertig war, merkte ich, dass das Milieu und die Menschen darin mich wirklich zu interessieren begannen. Vorher hatten mich bloss juristische Verästelungen interessiert. Das war zwar in meinen damaligen Kreisen angesehen und hochakademisch, aber man ist einfach auf der juristischen Wildsau davongeritten.

War Ihre Mutter enttäuscht, dass Sie Ihre Habilitation zerstörten?

Auf eine Art sicher. Aber sie hat meinen Entscheid akzeptiert. Und ihn dann auch voll mitgetragen.

Anders als man es vielleicht von ei­nem Halbweltanwalt erwarten könn­te, gelten Sie vor Gericht nicht als scharfer Hund. Sie seien ein kompromissfreudiger Bittsteller, heisst es.

Es macht mir grosse Freude, wenn ich den Eindruck habe, ein sinnvolles Urteil erreicht zu haben. Man muss ja nicht die Tat verteidigen, sondern den Menschen, der dahinter steht. Wenn am Ende ein sachgerechtes Urteil ergeht, das alle akzeptieren können, bin ich sehr glücklich. Das befähigt mich dann etwa dazu, am Wochenende ein Stück meines nächsten Buches zu diktieren.

Sie diktieren?

Ich diktiere. Meiner Frau oder dem Sekretariat. Ich bin eben kein sonderlich geschickter Schreiber, aber ich spreche gerne. Ich liebe es, zu formulieren. Das Ergebnis ist viel besser, wenn ich frei diktiere und das Diktierte dann überarbeite.

Und Sie diktieren ein neues Buch. Worum gehts?

Dünnes Eis. Wie dünn ist das Eis, das einen davon bewahrt, in die Unterweltsphäre einzubrechen? Das Buch enthält reale Beispiele. Sie zeigen, dass es manchmal nur einen ganz kleinen Auslöser braucht, um in eine riesige Katastrophe hineinzulaufen.

Wird Ihre eigene Katastrophe auch Teil des Buches sein? Damals, 1990, als Sie selbst im Eis einbrachen?

Diese Geschichte müsste jemand anders schreiben.

Es war der Fall Ihres Klienten R.L. Er hätte Sie fast alles gekostet: Vermögen, Freiheit, Gesundheit - und Ihren Beruf.

Es ist eine grauenhafte Geschichte. Ich vertrat die Theorie, dass es die gleichen Eigenschaften sind, die jemanden befähigen, in der Unterwelt zu arrivieren wie in der Oberwelt. Ein Gangsterboss braucht die gleichen Eigenschaften wie ein Spitzenmanager. Es ist nicht primär eine moralische Qualifikation. Es soll mir niemand sagen, alle unsere Spitzenmanager seien durch moralische Qualitäten arriviert. Ich hing der Theorie an, dass man einem ehemaligen Kriminellen nur die Tür zur Legalität zu öffnen braucht, damit er seine Träume auch legal verwirklichen kann.

Am Beispiel von R.L. wollten Sie sich beweisen, dass Sie recht haben.

Ja. Er hatte eine Strafe abgesessen wegen Hanfhandels. Er baute danach eine Baufirma auf. Ich wurde auf Bitte eines ­Bekannten Verwaltungsrat in dieser Firma, um mit meinem Namen als Türöffner für Aufträge zu dienen. Ich tat das sozusagen gratis. Mir entging, dass mit dem Konto der Firma etwas nicht stimmte. Man muss annehmen, dass über diese Firma Geld gewaschen wurde. Dabei wirkte alles plausibel. Ich besichtigte sogar Bauprojekte. Das Gericht warf R.L. später vor, mit rund hundert Kilogramm Kokain gehandelt zu haben. Ich sass während zweier Wochen in Untersuchungshaft. Das war 1992. Es war die schlimmste Zeit meines Lebens. Ich hatte einen Kreislaufkollaps. Ich landete im Spital. Ich war entsetzt über meine eigene Fahrlässigkeit. Das Gericht warf mir nie vor, dass ich von den Drogen gewusst hätte. Aber es warf mir vor, dass ich Alarmzeichen ignoriert hätte. Das Urteil kam 1998: eine bedingte Strafe wegen Geldwäscherei. Das riesige Verfahren hatte mich mein ganzes ­Vermögen gekostet. Ich sass all die Jahre auf einer Bombe und fragte mich ständig: Wann geht sie hoch und reisst mich in den Abgrund?

Ihr Anwaltspatent konnten Sie behalten.

Ja, das war eine grosse Erleichterung. Am schlimmsten war für mich der Gedanke, dass ich womöglich meinen geliebten Beruf nicht mehr würde ausüben können.

Und Sie haben R.L. verziehen?

Ich war es, der versagt hatte! Lenin sagte: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Sie verteidigen eine Neonaziband, die zum Mord an einem WOZ-Autor aufgerufen hat.

Man muss nie ein Delikt verteidigen. Andererseits hatte ich eine Begegnung mit dieser Band. Es waren ausführliche Gespräche. Diese Menschen haben Freude an einer neokonservativen Einstellung und an soldatischen Liedern. Und sie greifen manchmal üppig daneben in der Einschätzung, wie ein unreflektierter Text wirken kann. Ich machte ihnen klar, dass der Betroffene dieser Textzeile dies nicht als sauglatten verbalen Schlagabtausch verstehen kann. Und das Gericht womöglich auch nicht. Aber lasten Sie mir nicht den Nazianwalt an. Ich habe auch schon eine Frau aus dem Schwarzen Block verteidigt, die sehr gewalttätig war. Sie hat mich übrigens besucht, als ich das letzte Jahr wegen einer Herzoperation im Spital lag. Viele Leute, die in ihrer Jugend irren, werden zu Stützen der Gesellschaft. Moritz Leuenberger etwa. Wenn man all die 68er damals an den Rand gedrängt hätte, wäre das fatal gewesen. Wer einfach nazis­tisches Gedankengut vertritt, hat bei mir nichts zu suchen.

Leuenberger war ein 68er und wurde eine Stütze der Gesellschaft ...

... soweit er als Bundesrat brauchbar ist ...

... Sie waren 1968 ein Systembewahrer und sind heute ein Aussenseiter.

Ich wurde im Lauf der Jahre immer kritischer.

Hätten Sie sich vor dreissig Jahren für die FDP statt für die Angels entschieden, könnten Sie heute der Daniel­ Jositsch der Rechten sein.

Denkbar. Aber will ich das? Jositsch ist übrigens ein hochintelligenter Mann. Ich betrachte mich aber gar nicht als einen, der gegen die Gesellschaft ist. Ich bin der Meinung, dass das, was ich tue, auch das Beste für unsere Gesellschaft ist. Ich wurde einfach immer kritischer gegenüber Bestrebungen, alles zu reglementieren, alles zu verbieten, junge Leute sofort zu verurteilen, auf die Seite zu schieben, zu verdammen. Nicht jeder muss das gleiche Bier trinken. Nicht jeder muss in den Pantoffeln vor dem Fernseher sitzen. Er darf in die Disco gehen. Er darf in den Puff gehen.

Gehen Sie oft in den Puff?

Ich kenne einige Betreiber, und mit denen trinke ich gerne ab und zu einen Kaffee. Aber ich bin selber kein Kunde. Moralisch hätte ich keine Bedenken. Aber um jemanden in Unterfluchtdistanz an mich heranzulassen, muss ich ihn mögen und schon länger kennen. Ich bin nicht der Quickietyp.

Aber Sie stehen auf Frauen, nicht auf Männer?

Ich stehe auf Frauen. Ganz ausgeprägt. Ich liebe ergonomische Frauen. Ich bin verheiratet. Schon mehrmals. Meine Exfrau, eine ganz tolle Juristin, die ich nach wie vor sehr schätze, und meine jetzige Frau, eine Treuhänderin, die ich sehr liebe, arbeiten beide hier im Büro und verstehen sich blendend.

Wie sieht eigentlich Ihr Privatleben aus?

Das frage ich mich jetzt gerade auch. Früher besuchte ich regelmässig Mistery-Spiele in Meiringen. Das sind Krimispiele. Am Schluss hat das Publikum die Aufgabe herauszufinden, wer der Mörder ist. Dort lernte ich meine jetzige Frau kennen.

Waren Sie der Mörder?

Ich spielte den resozialisierten Lustmörder, der seine alten Taten literarisch verarbeitet. Das hat meiner Frau imponiert. Später spielte ich den bestechlichen Präsidenten des Olympischen Komitees als möglichst widerlichen Lustgreis. Zur Freude eines Teils des Zürcher Obergerichts, das als Zuschauer anwesend war.

Manchmal frage ich mich: Bin ich ein Kantengänger? Auf welcher Seite des Spiegels stehe ich? Oder stehe ich auf beiden Seiten und sehe mein Spiegelbild auf der anderen?

Bekannte von Ihnen sagen, Sie wollten es allen recht machen.

Das ist eine meiner negativen Eigenschaften. Denn tatsächlich kann man es nicht allen recht machen. Und manchmal muss man hart kämpfen. Aber ich betrachte es als Idealfall, wenn man als Anwalt zum richtigen Zeitpunkt die Lösung vorlegen kann, die eine Sache entspannt. Ich habe bei Haftentlassungsgesuchen eine extrem hohe Erfolgsquote, und zwar deshalb, weil ich nur dann eins stelle, wenn es etwas bringt. Ich werfe keine Knüppel in ein Verfahren.

An Ihrer Hose baumelt ein silberner Totenkopf.

Ich trage ihn immer, auch vor Gericht. Er ist mein Memento, das mich daran erinnert, dass ich vor Gericht stehe, um für die Lebenszeit meiner Klienten zu kämpfen. Lebenszeit, dieses Thema fasziniert mich.

Die Endlichkeit.

Ich habe einen Fetisch: Ich sammle Uhren. Ich kann stundenlang über Zahnräder und Leuchtmasse philosophieren.

Sind Sie zufrieden mit Ihrer Zeit?

Ja, obwohl ich jahrelang gar kein Privatleben hatte. Tagsüber arbeitete ich, abends ging ich mit Klienten weg. Als meine neue Frau das erste Mal in meine Wohnung kam, sagte sie: Diese Wohnung lebt nicht. Ich lebte einzig im Büro, im Gericht. Und im Schwimmbad. Ich schwimme täglich. Aber ich bin kein häuslicher Mensch.

Der Entscheid, vor dreissig Jahren Ihre Habilitation zu zerstören, war richtig?

Ja. Ich würde wieder derselbe Anwalt werden wollen.

Kein FDP-Nationalrat? Kein Milieu­könig?

Es gibt die Chaostheorie, die besagt, dass alles ursächlich determiniert ist. Die Determinierung bedeutet nicht, dass man Prognosen erstellen kann. Ein geregeltes Chaos kann sehr leicht aus der Balance gebracht werden. Bei mir war das der Fall. Zuerst in Hamburg durch die Erlebnisse mit den Angels, dann später mit dem Verfahren, in das ich selbst involviert war. Was, wenn ich die Habilitation einfach abgegeben hätte? Vielleicht wäre ich tot. So wie viele Leute, mit denen wir täglich zu tun haben. Sie leben, aber sie leben nicht wirklich, sie bleiben tot von der Geburt bis zum Lebensende. Wir sind umgeben von lebenden Toten.

Und Sie leben?

Ja, ich habe das Gefühl, am Leben zu sein. Gerade jetzt zum Beispiel.

Fürchten Sie den Tod?

Ich fürchte ein schmerzhaftes Ende. Dahinzusiechen. Nicht mehr arbeiten zu können. Zu leiden. Wenn ich aber morgen auf der Strasse umkippen würde, dann war es okay, so wie es war. Ich bin 1950 geboren. 1920 hat es mich noch nicht gegeben, und es fällt mir auf, dass mich das damals nicht gestört hat. In dem Sinne kann man nicht sagen, dass ich den Tod fürchte.

Aktuellstes Buch: "Der Reiz des Verbrechens und der Halbwelt". Orell Füssli Verlag. Zürich 2007. 192 Seiten. Fr. 35.90.

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Valentin Landmann

Valentin Landmann wurde 1950 in St. Gallen geboren. Nach einer Karriere als Musterschüler, Vorzeigestudent und FDP-Lokalpolitiker ging er 1979 nach Hamburg, um dort seine Habilitation zu schreiben. Stattdessen kam er in Kontakt mit den Hells Angels - worauf er seine Habilitation zerstörte und als Anwalt und Freund der Rocker in die Schweiz zurückkehrte. Er machte sich einen Namen als brillanter Strafverteidiger und schillernde Milieufigur. Landmann ist Autor zahlreicher Bücher zu den Themen Verbrechen und Unterwelt.

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GIPFEL-SOLI-NEWS 8.10.08
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8.10.2008 EU JHA -- Strasbourg/ Kehl

- Proaktive Repression - Material zu Veränderungen europäischer Innenpolitik
- Appell: Nein zu Krieg - Nein zur NATO
- 60 Jahre Nato - Kehl plant den Ausnahmezustand
- kulturorganisation gegen den natogipfel 2009: Kurzinfo
- Towards a Strategy for the Uncertainty of the Ruling Class*
Mehr: http://www.gipfelsoli.org/Newsletter/5580.html