MEDIENSPIEGEL 12.11.08
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo, DS, Kino)
- Sauberkeitswahn: die Gitterfrage
- Drogenpolitik: Porträt
- 90 Jahre Generalstreik
- Progr-Plädoyer
- Quartierentwicklung Lorraine
- Stop Murder Music: Erreur de casting au Metropop
- Anti-Atom
- Randstand Luzern: Grossandrang

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REITSCHULE
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Nov 08: Beteiligt Euch an der Vorplatz-Präsenz!!!

PROGRAMM:

Mi 12.11.08
19.00 Uhr - SousLePont - Lettland Spezialitäten
20.30 Uhr - Tojo - Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus von label beiruth. Mit Ruth Schwegler und Paed Conca.

Do 13.11.08
20.30 Uhr - Tojo - Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus von label beiruth. Mit Ruth Schwegler und Paed Conca.
20.30 Uhr - Kino - UNCUT - Warme Filme am Donnerstag: LOVE MY LIFE - Koji Kawano, Japan 2006
20.00 Uhr - Frauenraum - BarOmeter - elektronische Leckerbissen zu lesbisch-schwulem Chillen mit DJ FRATZ, Janine, Sharone & DJ ELfERich

Fr 14.11.08
20.30 Uhr - Tojo - Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus von label beiruth. Mit Ruth Schwegler und Paed Conca.
20.30 Uhr - Frauenraum - Deseo de Tango
21.00 Uhr - Kino - Dogma und mehr: OPEN HEARTS - Susanne Bier, Dänemark 2002
22.00 Uhr - Dachstock - Kano (UK) Support: Greis (chlyklass/CH), DJ's Kermit & Blade > Hiphop & Grime

Sa 15.11.08     
20.30 Uhr - Tojo - Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus von label beiruth. Mit Ruth Schwegler und Paed Conca.
21.00 Uhr - Kino - Dogma und mehr: OPEN HEARTS - Susanne Bier, Dänemark 2002
22.00 Uhr - Dachstock - DJ Vadim (Ninja Tune/UK) & Paco Mendoza (Raggabund/Caramelo Criminal/ARG) feat. Caramelo Criminal & Elijah (CH) > Reggae/Hiphop/Latin


Infos: www.reitschule.ch

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kulturagenda.be 13.11.08

Aus einem Irrenhaus

"Die Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus" von Label Beiruth und "Sogar Theater" basieren auf einem freiwilligen Aufenthalt in der Psychiatrie.
Tojo Theater der Reitschule, Bern. Mi., 12.11., bis Sa., 15.11., 20.30 Uhr

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Kano im Dachstock

Grime ist "Schmutz, der sich in Schichten über Dinge ausbreitet", lehrt uns das Dictionary. Rapper Kano (UK), am Do, 13.11., im Fri-Son in Fribourg zu Gast, ist einer der bekanntesten Vertreter des Musikgenres, das Hip-Hop, Elektro und agressive Rhymes vermengt. Ob seine messerscharfen Raps eine schmierige Spur in den Ohren hinterlassen? Sicher ist, Kano-Fan Greis wärmt die Bühne für ihn auf.
Dachstock der Reitschule, Bern. Fr., 14.11., 22 Uhr

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Kino Reitschule: "Open Hearts"

Nach einem Unfall ist Joachim querschnittgelähmt und schottet sich zunehmend ab. Darunter hat insbesondere seine Partnerin Cecilie zu leiden. Marie, die Unfallverursacherin, hat ein schlechtes Gewissen und ersucht ihren Mann Niels - er ist der zuständige Krankenpfleger - sich um die junge Frau zu kümmern. Doch aus dem anfänglichen Trostversuch entwickelt sich Leidenschaft. In ihrer Heimat war der Film von 2002 der dänischen Regisseurin Susanne Bier ein Kassenschlager. Auftakt des 3-teiligen Zyklus "Susanne Bier - Dogma und mehr".
Kino der Reitschule, Bern. Fr., 14.11., und Sa., 15.11., 21 Uhr

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SAUBERKEITSWAHN
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20min.ch 11.11.08

Posse um Gitter gegen Alki-Szene

Damit Alkis und Randständige nicht mehr auf das Mäuerchen bei der Berner Neuengass-Unterführung sitzen können, hat die Stadt einen Zaun aufgestellt.

Seit Anfang Juni bringt das zwei Meter hohe Gitter den GPB-DA-Stadtrat Luzius Theiler auf die Palme: "Mit einer Intervention beim Bauinspektorat und einem Vorstoss im Parlament haben wir darauf aufmerksam gemacht, dass der Zaun widerrechtlich errichtet wurde." Grund: Für das Gitter gebe es bisher keine Baubewilligung. "Sollte die Stadt den illegalen Zaun nicht entfernen, behalten wir uns rechtliche Schritte vor", droht Theiler. Aber inzwischen hat die Stadt ihre Hausaufgaben doch noch gemacht. Beim Regierungsstatthalteramt liegt ein Baugesuch auf, das demnächst publiziert wird.

mar

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grünepost.ch 11.11.08

Weg mit dem illegalen Gitterzaun bei der Neuengass-Unterführung!

Darf sich die Stadt systematisch über ihre eigenen Vorschriften hinwegsetzten?

Anfangs Juni dieses Jahres wurde der Eingang zur Neuengass-Unterführung mit einem engmaschigen Drahtgitter von gut 2 m Höhe umzäunt. Zweck des hässlichen Gitters ist es, die früher zum öffentlichen Raum gehörigen Sitzgelegenheiten entlang der Aussenseite des Baus abzusperren und damit z. B. den Leuten auf der Gasse die letzte bescheidene Möglichkeit zum Ausruhen wegzunehmen. Diese kleinliche Massnahme ist auch durch das neue Bahnhofreglement, welches sich auf ein Verbot von "Sitzen und Liegen auf Boden und Treppen" beschränkt, nicht abgedeckt.

Mit einer Intervention beim Bauinspektorat und einem Postulat im Stadtrat hat die GPB-DA darauf Aufmerksam gemacht, dass die für Zäune über 1.20 m nötige Baubewilligung fehlt und der Zaun deshalb widerrechtlich errichtet wurde.

Mitte August bestätigte Bauinspektor Charles Roggo in einem Mail, dass es sich beim Gitterzaun um eine bewilligungspflichtige bauliche Massnahme handelt, für die bisher kein Baugesuch eingereicht wurde. Er berief sich jedoch auf die (juristisch umstrittene) Möglichkeit, das Gitter während dreier Monaten ohne Bewilligung als ‚Fahrnisbau' stehen zu lassen. Roggo sicherte jedoch zu: "Ich habe die Liegenschaftsverwaltung als Auftraggeber des Gitterzauns aufgefordert, diesen bis spätestens Ende September 2008 abzuräumen oder alternativ innerhalb derselben Frist ein Baugesuch einzureichen. Das Bauinspektorat wird weitere Massnahmen einleiten, falls die Frist unbenutzt verläuft."

Eine telefonische Nachfrage beim Bauinspektorat im Oktober ergab, dass das Baugesuch noch "in Vorbereitung" sei. Bis heute wurde es nicht publiziert und käme, sollte es doch noch eingereicht werden, viel zu spät.

Die Grüne Partei Bern - Demokratische Alternative GPB-DA ist befremdet, wie die Stadt unter dem Vorwand der Herstellung von "Sicherheit und Ordnung" ihre eigene Rechtsordnung systematisch missachtet und so ein miserables Vorbild abgibt.

Sollte die Stadt Bern den illegalen Zaun nicht entfernen, behält sich die GPB-DA rechtliche Schritte vor.

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DROGENPOLITIK
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BZ 12.11.08

Ein Leben mit Drogen

"Die Gasse wäre schnell wieder da"

Martin Kaiser

Evelyn G. hat vor 14 Jahren die Gasse gegen die kontrollierte Heroinabgabe getauscht. Nur deshalb habe sie überlebt. Ein Nein zur Revision des Betäubungsmittelgesetzes wäre deshalb verheerend, sagt G. - nicht nur für sie.

Das Leben hätte der heute 50-jährigen Bernerin Evelyn G. eine ganz andere Geschichte schreiben können. Doch statt das Studium in Germanistik, Linguistik und Musikwissenschaften abzuschliessen und mit diesem Rucksack ihren Weg zu gehen, wurde der damals 26-Jährigen gerade die Zeit an der Uni zum Verhängnis. Die Eigenverantwortung, die Selbstständigkeit, die von ihr verlangt wurden, hätten sie schlicht überfordert, erinnert sie sich. "Ich war tief unzufrieden, weil ich mich nicht motivieren konnte, weil ich ohne Druck von aussen nicht fähig war, etwas zu leisten."Genau zu jener Zeit habe ein Kollege sie zum x-ten Mal gefragt, ob sie Heroin probieren möchte. Bis dahin standhaft, gab sie nach. "Ich war betrunken und probierte es. Und es war genau das Gefühl, das ich schon lange gesucht hatte." Auf Drogen fühlte sie sich sicher, geborgen, aufgehoben. Ganz anders als im nüchternen Leben. Wobei sie wirklich nüchtern schon seit Jahren nicht mehr war. Vor dem Heroin hatte der Alkohol ihr Leben mitbestimmt. Vom nüchternen Leben habe sie als Teenager Abschied genommen, sagt sie.

200 Franken am Tag

G. wurde schnell abhängig. Als kurz darauf ihre Mutter erkrankte und starb, blieb sie definitiv hängen. Am 2.Februar 1992, am Tag, als der Platzspitz geräumt wurde, fing G. in Zürich eine neue Arbeit an. Tagsüber leitete sie einen Buchladen. Abends und nachts dröhnte sie sich zu.Hatte Sie das Heroin bisher gesnieft, begann sie, sich den Stoff jetzt in die Venen zu drücken. Immer mehr. Mit der Zeit so viel, dass sie am Arbeitsort Geld veruntreute, entlassen wurde und auf der Gasse landete. Ihre Sucht habe sie damals 200 Franken gekostet. Jeden Tag.

Zufall und Glück

Der Zufall holte sie von Zürich und von der Gasse weg. "Es war um meinen Geburtstag herum. Meine Schwester suchte mich, warum auch immer, und fand mich, wie auch immer." Zurück in Bern, machte sie weitere Entzugsversuche. Hatte sogar einen Therapieplatz. Alles vergeblich. "Ich war noch nicht so weit."Das Heroin zog sie zurück auf die Gasse. Nach Solothurn. Sie dealte. Prostituierte sich. Zwei Jahre lang. Dann wurde sie verhaftet. Mit Glück und Ausreden entkam sie einer Gefängnisstrafe. Zwei Monate bedingt auf zwei Jahre. "Ich hatte Panik vor dem Knast." Damals war der kalte Entzug Programm. "Sie wollten uns den Teufel austreiben."

Koda war die Wende

Am Tag der Gerichtsverhandlung rief sie bei Koda an, dem Berner Programm zur kontrollierten Drogenabgabe. Sommer 1994. Sie wurde aufgenommen. Wog 45 Kilo. Litt unter chronischer Gelbsucht. Heute noch. "Viel länger hätte ich es nicht mehr gemacht. Für mich war das die Wende."Evelyn G. kam von der Gasse weg. Nahm nach und nach weniger Drogen. Irgendwann nur noch die zwei täglichen Spritzen bei Koda. Reines, weisses Heroin. Bis heute. G. arbeitet als Köchin in einer Genossenschaftsbeiz in Bern. Lebt alleine. Die Beiz ist ihr soziales Leben. Ihr Leben ist heute geregelt. Stabil. Aushaltbar. Ohne Abstürze. Aber immer noch nicht ganz ohne Drogen.

Wäre es nicht erstrebenswert, vom Heroin wegzukommen?

Natürlich. Das Aufhören alleine ist für mich aber kein Lebensinhalt.

Warum nicht?

Dazu müsste ich zu viel ändern. Meinen Alltag. Meine Gewohnheiten.

Und das geht nicht?

Ich müsste einen direkten Ersatz finden für das Gefühl, welches mir das Heroin gibt. Das gibt es derzeit aber nicht.

Die Probleme sind noch da

Heute, 14 Jahre, nachdem sie die Gasse gegen die kontrollierte Herionabgabe getauscht hat; jetzt, wo sie ihr Leben wieder im Griff hat;?jetzt, wo sie Tritt gefasst hat in der Gesellschaft und nicht mehr am Rand steht - jetzt wird ihr noch einmal der Spiegel vorgehalten. Beim Gedanken daran, dass Herr und Frau Schweizer am 30. November die Teilrevision des Betäubungsmittelgesetzes und damit die gesetzliche Verankerung der kontrollierten Heroinabgabe ablehnen könnten, kommt in Evelyn G. die Angst hoch.

Warum ist die kontrollierte Heroinabgabe aus Ihrer Sicht nötig?

Ich sage nicht, dass Koda das alleine Seligmachende ist. Für mich ist das eher eine letzte Station. Früher folgte auf eine lange Drogenabhängigkeit begleitet von unzähligen gescheiterten Entzugsversuchen und Therapien zwangsläufig früher oder später der Tod.

Und heute?

Heute muss nicht jeder diesen Weg bis zu Ende gehen. Die Drogenabgabe setzt dort ein, wo alles andere versagt hat, wo auch wir selber versagt haben. Wenn man jetzt sagt, das brauche es nicht, nur weil man nicht mehr täglich die Bilder vom Letten sieht, dann finde ich das hirnrissig. Das Problem ist damit nicht verschwunden.

Was passierte Ihrer Meinung nach?

Es würde sich wieder eine offene und sichtbare Szene bilden. Das ginge sehr schnell.

Und was hiesse es für Sie: Gingen Sie zurück auf die Gasse?

Das kann ich zumindest nicht ausschliessen. Ich hätte extreme Existenzangst. Die Aussicht, dass das Koda geschlossen werden könnte, zöge mir den Boden unter den Füssen weg. Für mich wäre dann alles in Frage gestellt. Und das ist mit 50 schlimmer als vielleicht mit 20.

Der ganze Film noch einmal

Evelyn G. wirkte bisher ruhig beim Gespräch. Überlegt. Sicher. Jetzt zeigt sie Gefühle. Zieht heftiger an der Zigarette. Kaut ihre Lippen. Die richtigen Worte zu finden fällt ihr schwerer. Sie wirkt beunruhigt. Geldstress. Beschaffungsstress. Prostitution. Es ist fast so. als ob der ganze schlechte Film bei G. noch einmal innerlich ablaufen würde.

Die Gegner der Betäubungsmittelgesetzrevision sagen, mit der kontrollierten Heroinabgabe erschwere man den Süchtigen den Ausstieg.

Das ist Unsinn. Es gibt klare Auflagen, um in die kontrollierten Heroinabgabe zu kommen. Wer kurz auf Drogen ist, hat keine Chance. Man muss zudem mehrere Entzüge gemacht haben, also schwerstsüchtig sein.

Das sei menschenverachtend, sagen die Gegner auch.

Ich bin heute 50. Mir geht es das erste Mal im Leben wirklich gut. Das ist doch nicht menschenverachtend. Die Frage ist vielmehr, ob nicht das, was danach käme, menschenverachtend wäre.

Aber hat man, wenn man ohne Beschaffungs- und Finanzierungsstress Heroin bekommt, überhaupt noch das Ziel, von der Droge wegzukommen?

Das kann man nicht verallgemeinern. Die Jungen reden immer wieder vom Ausstieg. Und sie sollten das auch machen, unter tatkräftiger Unterstützung des Teams. Bei Leuten in meinem Alter aber spielt die Perspektive vom Leben an sich mit hinein. Natürlich wäre es mein grösster Wunsch, aufzuhören. Für mich sind aber viele Züge halt einfach schon abgefahren.

Ein Leben lang Drogen?

Kinder, sagt Evelyn G., hätte sie Kinder gehabt, dann wäre sie heute vielleicht drogenfrei. Aber eben, das sei einer dieser Züge, die abgefahren sind. Was sie hingegen von den Drogen wegtreiben könnte, wäre eine stabiles und auch intimes soziales Umfeld. Sie denke viel über ihre Zukunft nach. Möchte von der Quartierbeiz weg, in der sie seit 12 Jahren arbeitet. Etwas anderes machen. "Sonst komme ich hier nie weg."

An was denkt sie? "Es gibt verschiedene Projekte", sagt Evelyn G. Nichts spruchreifes aber. Doch. Etwas eigenes möchte sie machen. "Einen Buchladen aufmachen zum Beispiel."

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Die Vorlage

Vier Säulen zementieren

Am 30.November gelangt die Revision des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG) zur Abstimmung. Die Vorlage geht auf eine parlamentarische Initiative der nationalrätlichen Gesundheitskommission zurück und will das Vier-Säulen-Prinzip (Prävention, Therapie, Schadenminderung, Repression) als Grundlage der Schweizer Drogenpolitik gesetzlich verankern. Damit fände nicht zuletzt auch die vom Volk in einer Referendumsabstimmung 1999 beschlossene und bis Ende 2009 befristete heroingestützte Behandlung Einzug ins BetmG. Gegen das Gesetz hat ein Komitee aus dem Umkreis von EDU und mit Hilfe der SVP das Referendum ergriffen. Alle anderen Parteien und über 30 Organisationen empfehlen ein Ja.

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GENERALSTREIK
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20min.ch 10.11.08
http://www.20min.ch/news/schweiz/story/26553802 (mit Fotos)

Bewaffnete Soldaten gegen Streikende

von Lukas Mäder

Die Schweiz am Rande eines Bürgerkriegs: Vor 90 Jahren begann der Generalstreik, der vier Tage dauerte und in Grenchen drei Tote forderte. Zwar kapitulierten die Streikenden schliesslich bedingungslos, doch der Streik brachte längerfristig den Arbeitsfrieden in der Schweiz.

Dramatische Szenen spielten sich auf dem Münsterplatz mitten in Zürich am Sonntagnachmittag, 10. November 1918 ab: Trotz Versammlungsverbot fanden sich rund 7000 Personen zu einer Streikkundgebung ein. Bewaffnete Truppen der Armee waren ebenfalls anwesend, erstmals seit ihrer Anwesenheit in Zürich ausgerüstet mit den grauen Stahlhelmen. Als die Demonstranten den Platz nicht räumen wollten und begannen, die Soldaten zu belästigen, räumte die Armee den Platz — gewaltsam und mit Schüssen in die Luft und gegen den Boden. Eine halbe Stunde und 660 verschossene Patronen später waren die Streikenden vertrieben. Bilanz: Abgelenkte Kugeln verletzen vier Demonstranten, ein Schuss aus einer nicht-militärischen Pistole verletzt einen Soldat tödlich.

Streikfreudige Stimmung in der Schweiz

Die Stimmung war aufgeheizt in den ersten Novembertagen 1918, noch bevor der landesweite Generalstreik begann. Die Kriegsjahre hatten die Kluft zwischen Unternehmern, die von Kriegsgewinnen profitierten, und der Arbeiterschaft, die unter zunehmender Armut litten, vergrössert. Die gute Konjunktur und der Aktivdienst machten Arbeitskräfte begehrt. Dadurch stiegen auch die Erfolgsaussichten von Streiks, die ab 1917 stark zunahmen.

Der zweitägige Streik der Zürcher Bankangestellten Ende Oktober 1918 galt einigen Bürgerlichen als Generalprobe für die Revolution. Der Bundesrat beschloss eine bewaffnete Intervention, am 7. November marschierten eidgenössische Truppen in Zürich ein. Empörung war die Reaktion der organisierten Arbeiterschaft. Das Oltner Aktionskomitee (OAK) unter Führung des Sozialdemkraten Robert Grimm rief deshalb einen eintägigen Proteststreik am Samstag, 9. November aus. Das genügte den Zürchern nicht: Sie führten den Streik weiter mit der Forderung, dass die Truppen aus der Stadt abgezogen werden. Bereits am Sonntag kam es zu den erwähnten Auseinandersetzungen auf dem Münsterplatz.

Soziale Forderungen

Das Oltner Aktionskomitee kam unter Druck: Entweder schliesst es sich den Zürchern an, oder es verliert seinen schweizweiten Führungsanspruch über die Arbeiterschaft. Der Entscheid fiel zugunsten eines landesweiten Generalstreiks aus, der auf den 12. November ausgerufen wurde — unbefristet. Zu den Forderungen des Streikkomitees gehörten unter anderem: Neuwahl des Nationalrats im Proporzwahlrecht, die 48-Stunden-Woche, eine Alters- und Invalidenversicherung sowie eine Vermögenssteuer zum Abbau der Staatsverschuldung.

Der Landesstreik mit rund 250 000 Streikenden verlief weitgehend ruhig. Nicht zuletzt, weil die Gewerkschaften Massnahmen wie Alkoholverbote durchsetzten. In Basel sorgten die Kantonsregierung und die Streikführung sogar zusammen für einen geordneten Ablauf des Streiks. Zu Ausschreitungen kam es an einigen Orten, an denen die Armee aufmarschierte. In Grenchen erschoss eine Patrouille drei Streikende, weil diese die Soldaten mit "Es leben die Bolschewiki" und erhobenen Fäusten anpöbelten. Der Major des betreffenden Füsilierbattallions sagte später aus: "Ich bin überzeugt, dass ich recht getan habe. Einen Schuss in die Luft abzugeben hielt ich nicht für zweckmässig, einmal weil dadurch Unschuldige, z.B. Leute in den Fenstern gefährdet werden, und sodann weil das Schiessen in die Luft den Eindruck gemacht hätte, dass wir Angst haben."

Bedinungsloses Ende des Streiks

Nach dem ersten Überraschungseffekt, den der Generalstreik hatte, gewann der harte Flügel im Bürgerlichen Lager schnell wieder an Boden. Auch weil der Bund mit Hilfe von Armee oder Studenten wichtige Dienste notdürftig aufrecht erhalten konnte. Der Bundesrat forderte deshalb das bedingungslose Ende des Streiks. Das OAK fürchtete, dass die Armee den Streik niederschlage, und fügte sich schliesslich am Morgen des 14. Novembers. Am nächsten Tag nahmen die Streikenden fast überall ihre Arbeit wieder auf.

Direkte Folgen hatte der Landesstreik in erster Linie für viele Streikende, gegen die ein Prozess eröffnet wurde oder die Sanktionen des Arbeitgebers gewärtigen mussten. Aber der Streik hatte auch arbeitspolitische Folgen. Bereits 1919 wurde die Arbeitszeit auf 48 Stunden wöchentlich verkürzt. Branchenverbände und der Bund zogen neu die Gewerkschaften stärker in Entscheidungsfindungsprozesse ein. Eine Folge des Landesstreiks ist auch der Arbeitsfrieden, der in den 1930er-Jahren zustande kam. Bereits 1919 wollte der Bund eine gesamtschweizerische Friedenspflicht bei Gesamtarbeitsverträgen (GAV) einführen, scheiterte aber noch. Diese Pflicht sah vor, dass Konflikte zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern durch Verhandlungen zu lösen sind, Kampfmassnahmen wie Streiks sind verboten. Der Arbeitgeberverband und die Gewerkschaften unterzeichneten 1937 das sogenannte Friedensabkommen für die Metallindustrie, das laut Historischem Lexikon der Schweiz fälschlicherweise als Bundesbrief der Wirtschaft in der Schweizer Mythologie verankert ist. Denn ein vollständiger GAV mit Regeln zu Löhnen oder Arbeitszeit wurde erst 1974 eingeführt.

Quellen:
Historisches Lexikon der Schweiz
Willi Gautschi, Der Landesstreik 1918, 1968
Generalstreik 1918 in Grenchen. Dokumentation von Alfred Fasnacht (Museums-Gesellschaft Grenchen)

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PROGR
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Bund 11.11.08

Plädoyer für den Progr

Stephan "Stuwi" Aebersold

Im Oktober 2004 startete in Bern die Zwischennutzung des ehemaligen Progymnasiums mit dem "Progr" als Zentrum für Kulturproduktion. Von Anfang an war für alle klar, dass dies ein Ende haben würde, weil die Stadt eine "finanziell lukrative Lösung" für den Standort anstrebte. Niemand ahnte aber damals, dass sich das mutige Experiment zu einem durchschlagenden Erfolg entwickeln würde.

Bisher haben dort weit über 200 Kunstschaffende mit einem riesigen Output gearbeitet: Es entstanden mehr als 500 Kunstobjekte, 85 Filme, 30 Tonträger und 10 Tanzprojekte; die Zahl der Performances, Workshops, Vorträge und Lesungen bewegt sich um die 200.

Die Produktivität stieg mit der Zeit: Über 300 Konzerte, 200 Ausstellungen, mehr als 120 Tanz- und Theaterveranstaltungen zogen bisher mehr als 200000 Besucher an. Auch international hinterlässt der Progr Spuren: 25 Theaterprojekte, 145 Performances und über 2500(!) Konzerte mit Ursprung im Progr wurden weltweit abgehalten.

Der Progr mit der stadtbekannten Café-Bar "Turnhalle" ist zu einem zentralen Anziehungs- und Treffpunkt der Stadt Bern geworden und ermöglicht dem Besucher einen direkten und unkomplizierten Zugang zu lebendigem, aktuellem Kunstschaffen. Bern verfügt damit über eine schweizweit einmalige Form der Kulturproduktion. Der Progr ist ein Aushängeschild für die Marke Bern und wirkt belebend für die Oberstadt, deren Gastronomie und Läden auch davon profitieren.

Er schafft Synergieeffekte und ermöglicht Gemeinschaftsproduktionen, vor allem aufgrund der aussergewöhnlichen Arbeitsbedingungen. Im Weiteren sorgt er für Stabilität und Kontinuität im bernischen Kulturschaffen. Er ermöglicht das Arbeiten in Gemeinschaften, das viel schlankere Infrastrukturen im Vergleich zu 80 einzelnen Ateliers erfordert.

Ich als Musiker stehe in einem wertvollen Austausch mit anderen Kunstschaffenden und -richtungen; andere wiederum konnten von unserem Bandraum und seiner Infrastruktur profitieren. Meine Kreativität, mein Wissen hat durch dieses Biotop zugenommen, mein Netzwerk ist gewachsen.

Im Sommer 2009 soll dies ein Ende haben. Ein Gesundheitszentrum soll in den Mauern des Hauses entstehen, sofern Stadtrat und die Stimmberechtigten der Stadt dies wollen. Das Gebäude würde im Baurecht für eine Dauer von 80 Jahren aus der Hand gegeben; danach kann die Stadt es zurückkaufen.

Für die Übernahme des Gebäudes bezahlt der Investor nur 2,4 Millionen Franken und als jährlichen Baurechtszins nur 320000 Franken. Zum Vergleich: Die heutige Mieterschaft des Progr entrichtet 600000 Franken Jahreszins. Lukrativ? Nein, und ein Gesundheitszentrum mitten in Bern wird auch kein Aushängeschild sein. Die Oberstadt würde am Abend wieder unbelebter sein, Speichergasse und umliegende Gassen wohl auch wieder unsicherer.

Es fragt sich, ob das geplante Vorhaben der richtige Weg ist. Soll tatsächlich zerstört werden, was sich als Institution und Treffpunkt etabliert hat? 1864 wurde nach erbitterten Debatten im Stadtrat mit einer knappen Mehrheit der Abbruch des Christoffelturms beschlossen, eine Entscheidung, die heute zu Recht bedauert wird. Auch in diesem Fall wird die Entscheidung nicht rückgängig gemacht werden können. Noch ist es aber nicht zu spät, um mit Mut und Begeisterung für den Progr am heutigen Standort einzustehen. Der Progr als Zentrum für Kulturproduktion, als Stätte der Begegnung mitten in der Stadt ist eine wertvolle, günstige und vernünftige Investition; dies kann und sollte sich Bern weiterhin leisten; eine solche Chance kommt kein zweites Mal.

Und schliesslich - der Progr lebt! Was lebt und gedeiht, sollte gepflegt, weitergeführt und nicht zerstört werden.

Was lebt und gedeiht, soll gepflegt, weitergeführt und nicht zerstört werden.

Der Autor

Stephan "Stuwi" Aebersold, geboren 1963, ist gelernter Hochbauzeichner, bildete sich in Organisationsentwicklung undCoachingweiterundistGitarrist der Berner Band "RayWilko", die imProgr ihr Übungslokal hat.

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QUARTIERENTWICKLUNG
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grünepost.ch 5.11.08

Bezahlbare Wohnungen und ein Quartiertreff im Herzen der Lorraine

Postulat für bezahlbare umweltgerechte Wohn- und Arbeitsplätze und für einen Lorraine- Quartiertreff am Centralweg 9

Die Gesamtplanung Lorraine beinhaltet u.a. die gezielte Quartierentwicklung zur Schaffung von neuem Wohnraum. Zudem fehlt seit langem ein Quartiertreff in der Lorraine.

Das Gebäude am Centralweg 9/9a in der Lorraine gehört der Stadt bzw. dem Fonds für Boden- und Wohnbaupolitik. Es befindet sich in einem sehr schlechten baulichen Zustand. Es soll daher zur Neuüberbauung in Baurecht abgetreten werden. Zurzeit wird das Gebäude noch von der Autogarage Alcadis AG genutzt, deren Mietverhältnis vorläufig bis 30.04.2009 erstreckt wurde.

Die zur Verfügung stehende Parzellenfläche eignet sich für ca. 20 grössere Wohnungen, Atelier- und Gewerberäume und einen Quartiertreff im Erdgeschoss. Die offenbar vorgesehene unterirdische Einstellhalle ist demgegenüber infolge der erstklassigen Erschliessung durch den ÖV unnötig und würde nur Kosten und Mehrverkehr verursachen.
Der Gemeinderat wird ersucht, z.H. der Betriebskommission des Boden und Wohnbaufons folgende Vorgaben für die Überbauung festzulegen:

* Der sozialen Struktur des Quartiers angepasste, auch für BewohnerInnen mit tiefem bis mittlerem Einkommen bezahlbare, behindertengerechte Wohnungen und Arbeitsräume

* Mindestens Minergie-Standart oder ähnliche Verbrauchswerte

* Verzicht auf eine Einstellhalle

* Integration eines Quartiertreffs unter direktem Einbezug der vbg und der Quartiervereine in die Planung

5. 11. 2008

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STOP MURDER MUSIC
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20 Minuten 11.11.08

Erreur de casting au Metropop

Municipal de la police, Marc Vuilleumier est soulagé que l'artiste controversé Capleton n'ait pas prononcé de propos homophobes à son concert au Metropop Festival samedi soir.

"Il a respecté un engagement écrit et signé à ce sujet à notre demande. Mais sur le fond, la présence de ce chanteur à Lausanne est en effet discutable."

Etait-ce une erreur de casting? "Si les organisateurs connaissaient la réputation sulfureuse de ce Jamaïquain avant sa venue, alors oui. J'ose espérer qu'ils ont compris la leçon", souligne Marc Vuilleumier, qui ne peut imaginer que ce concert n'ait été maintenu que pour des raisons financières.

(fnd)

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ANTI-ATOM
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Bund 11.11.08

Renaissance der Proteste

In Deutschland stoppen massive Proteste den Atommülltransport nach Gorleben

Erich Aschwanden, Berlin

Die Diskussion über verlängerte Laufzeiten für Kernkraftwerke und die ungelöste Endlagerfrage verleihen der Anti-Atom-Bewegung neuen Aufschwung.

Schon gestern Morgen hätten elf Castor-Container mit hoch radioaktivem Abfall im Zwischenlager Gorleben in Niedersachsen ankommen sollen; gestern Abend stand der Atommüll noch immer auf dem Verladebahnhof, wo er für die letzten 20 Kilometer von der Bahn auf Camions verladen worden war. Selbst das massive Polizeiaufgebot konnte die Blockaden auf den beiden möglichen Routen zum Endlager nicht verhindern. Der Kampf gegen den Transport aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague wurde zur eindrücklichen Machtdemonstration für die Anti-Atomkraft-Bewegung, die in den letzten Jahren Mühe gehabt hatte, den Widerstand zu organisieren.

Alle Fässer zurückholen?

Bei den Atomkraftgegnern war die Freude über die geglückten Störmanöver gross. "Die Kette der Atommüllskandale und das Gerede von Laufzeitverlängerungen für die AKWs hat viele Menschen wachgerüttelt. Statt des Comebacks der Atomenergie erleben wir in diesen Tagen die Renaissance der Anti-Atom-Bewegung", erklärte Jochen Stay von der Kampagne "X-tausendmal quer".

Vor allem die Vorgänge in der Schachtanlage Asse, wo seit 1965 radioaktive Abfälle gelagert werden, erregen die Gemüter. Aus dem ehemaligen Salzbergwerk tritt mit Cäsium-137 belastete Lauge aus. Laut dem deutschen Umweltminister Sigmar Gabriel ist Asse "die problematischste kerntechnische Anlage, die wir in Europa finden". Inzwischen gibt es in seinem Ministerium Überlegungen, alle eingelagerten Fässer zurückzuholen. Die Schwierigkeiten in Asse haben der Öffentlichkeit bewusst gemacht, dass die Endlagerfrage in Deutschland noch keineswegs gelöst ist.

Die Schweiz als Vorbild

Theoretisch gibt es zwar einen Standort für ein "Nukleares Entsorgungszentrum". Bereits 1977 hat nämlich das Bundesland Niedersachsen den Salzstock bei Gorleben als Endlager bestimmt. Die hoch radioaktiven Abfälle sollen also dort gelagert werden, wohin sie gestern mit dem Castor-Transport hätten gebracht werden sollen. Heftige Proteste der Bevölkerung haben dazu geführt, dass die geologischen Erkundungen im Jahr 2000 gestoppt wurden. Die Tatsache, dass Gorleben und Asse nur rund 100 Kilometer voneinander entfernt liegen und ähnliche geologische Eigenschaften aufweisen, haben die Zweifel an diesem in erster Linie aus politischen Überlegungen gewählten Standort weiter wachsen lassen.

Umweltminister Gabriel würde den Auswahlprozess noch einmal eröffnen und in ganz Deutschland nach der geeigneten geologischen Formation suchen. Als Vorbild gilt dem SPD-Politiker die Schweiz: "Dort wird gemäss internationalen Kriterien der beste Standort gesucht. Dort werden nicht wie bei uns die Kriterien entlang einem Standort definiert." Sein Staatssekretär Michael Müller doppelte gestern im ARD-"Morgenmagazin" nach: "Wir wollen ein offenes Verfahren. Es gibt ja beispielsweise auch durch das Verfahren in der Schweiz Kriterien, wie man es anders machen könnte als in Deutschland."

CDU wehrt sich

Gegen ein solches Vorgehen haben sich die Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern, wo die CDU und CSU an der Macht sind, bisher erfolgreich zur Wehr gesetzt. Auch hier kommt wieder der Faktor Schweiz ins Spiel. Sollte sich nämlich das Gebiet von Benken im Zürcher Weinland als geeignet herausstellen, dürfte der Druck auf das Gebiet nördlich des Rheins weiter zunehmen.

Nicht nur in der Endlagerfrage gehen die Positionen der Partner in der grossen Koalition diametral auseinander. Die Sozialdemokraten halten am Ausstiegsbeschluss fest, der vorsieht, dass der letzte Meiler im Jahr 2021 vom Netz geht. Die CDU/CSU ist angesichts steigender Strompreise in den letzten Monaten auf einen klar kernenergiefreundlichen Kurs eingeschwenkt. Sollte sie nach der Bundestagswahl 2009 zusammen mit der FDP eine Regierung bilden, würden die AKW-Laufzeiten höchstwahrscheinlich verlängert. Der Widerstand gegen die Castor-Transporte hat aber eindrücklich gezeigt, dass das Thema Atomkraft erneut enorm zu mobilisieren vermag.

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Bund 11.11.08

Das Milliardengrab in Zwentendorf

1978 entschied sich Österreich gegen Atomenergie

Rudolf Gruber, Wien

Anderswo in der EU wird heftig über den Ausstieg aus der Atomenergie debattiert. Österreich tat diesen Schritt schon vor 30 Jahren: Im November 1978 verhinderte ein Referendum die Inbetriebnahme des bereits fertiggestellten und einzigen Kraftwerks Zwentendorf.

Zugleich war die Abstimmung der Anfang einer breiten Bürgerbewegung. Nach dem Referendum wurde das sogenannte Atomsperrgesetz beschlossen, das in Österreich seit 30 Jahren die Erzeugung von Nuklearenergie verbietet. Die Baukosten für Zwentendorf betrugen nach heutigem Wert über eine Milliarde Euro.

Vielfältige Auswirkungen

Der 5. November 1978 hatte nicht nur energiepolitische Folgen. Zugleich war "Zwentendorf", wie dieses Referendum seither nur noch verkürzt genannt wird, die Geburtsstunde der österreichischen Grünen - und ein Durchbruch der direkten Demokratie: Erstmals hatten Bürger in einer so bedeutenden Frage wie der energiepolitischen Zukunft gegen die parlamentarische Mehrheit entschieden. Letztlich war Zwentendorf der Anfang vom Niedergang der sozialdemokratischen Alleinregierung unter dem legendären Bundeskanzler Bruno Kreisky. Vier Jahre später verlor er die absolute Mehrheit.

Die Anti-Atom-Bewegung war in den Sechzigerjahren von Vorarlberg ausgegangen - die dort führende Lokalzeitung hatte einen regelrechten Aufstand gegen die Pläne für ein grenznahes Schweizer Atomkraftwerk in Rüthi (SG) angezettelt. Als 1971 das Projekt Zwentendorf beschlossen wurde, erfasste die Protestwelle ganz Österreich. Nach der von der EU-Kommission im vergangenen Juli veröffentlichten Umfrage lehnt nach wie vor eine überwältigende Mehrheit der Österreicher (86 Prozent) Atomstrom ab.

Solarenergie in Zwentendorf

Allerdings, ganz "atomfrei" ist selbst Österreich nicht geblieben: Über Importe fliesst auch Atomstrom ins österreichische Netz, Experten schätzen den Anteil am heimischen Bedarf auf zehn Prozent. Auch ist Österreich bisher nicht aus der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) ausgestiegen. Wien subventioniert die Euratom jährlich mit rund 40 Millionen Euro.

Mittlerweile ist Zwentendorf eine Art Museum: Ein Besuch in dem stillgelegten Kraftwerk ist zugleich eine Zeitreise in die Anfänge des Computerzeitalters. Jetzt will der niederösterreichische Energieversorger die Ruine Zwentendorf endlich aus dem Dornröschenschlaf wecken: Die Anlage soll für die Gewinnung von Solarenergie umgebaut werden.

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RANDSTAND LUZERN
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Neue Luzerner Zeitung 12.11.08

Gassechuchi

Grossandrang im Fixerraum

Im neuen Fixerraum in der Gassechuchi herrscht Hochbetrieb. Nach knapp drei Wochen ziehen die Betreiber eine positive Bilanz. Braucht es bald mehr Personal?
Von Silvia Weigel

Die Luft ist grau, verraucht. In einer Ecke hockt halb zusammengesunken ein Pärchen und kocht Kokain auf einem Löffel. Heroinsüchtige beugen sich über dampfende Alufolien, andere ziehen an Crackpfeifen. Im Nebenraum zieht sich eine Frau eine Spritze auf. Eine Betreuerin mit Plastikhandschuhen überwacht sie und die anderen. Im Vorraum warten schon die Nächsten.

Zwischen 90 und 100 Süchtige rauchen oder spritzen sich ihre harten Drogen täglich in den beiden neu eingerichteten Räumen über der Gassechuchi am Geissensteinring. Zehn bis zwölf Personen lassen sich beraten. Walter Bösch leitet die Kontakt- und Anlaufstelle (K+A) und ist vom grossen Andrang selbst überrascht.

"Hierher kommen sie sowieso"

Seit zweieinhalb Wochen läuft die Pilotphase, und "es läuft besser, als wir es uns vorgestellt haben, viel besser als im alten Fixerraum im Geissmättli", sagt Bösch. Höchstens dreissig Süchtige seien es dort pro Tag gewesen. Meistens kamen weniger als zehn, während sich die Szene im Krienser Salesiapark traf. "Der Weg ins Geissmättli war zu weit. Hierher kommen sie sowieso", sagt Gassechuchi-Leiterin Yolanda Mathys. Neue Süchtige oder Dealer habe die K+A nicht angezogen.

300 Konsumationen am Tag

Ob das Pilotprojekt dauerhaft weiter- geführt wird, entscheidet die kantonale Drogenkonferenz Anfang Februar. Dabei spielt die Nutzungsfrequenz ebenso eine Rolle wie die gesundheitliche Entwicklung der Abhängigen und die Situation in und um die Gassechuchi. 300 bis 350 Konsumationen gibt es pro Tag. Die für die Fortführung des Betriebs notwendige Zahl von 50 wird damit um mehr als das Sechsfache übertroffen.

Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Ein Mitarbeiter überwacht den Einlass und führt Buch über die Besucher: Geschlecht, Wohnort und Häufigkeit ihres Drogenkonsums werden notiert.

"In der Pilotphase führen wir Statistik", erklärt Bösch. Die Statistik besagt auch, dass Süchtige aus der ganzen Zentralschweiz hierherkommen. Trotzdem gebe es keinen Konflikt mit dem regulären Betrieb der Gassechuchi. "Die mit dem Drogenkonsum einhergehende Nervosität und Hektik konnte wie erhofft in geregelte Bahnen gelenkt werden", heisst es in einer Pressemitteilung der Stadt. Minderjährige und Drogenneulinge dürfen die K+A nicht betreten, und Unbekannte werden zuerst befragt. Durchmogeln kann sich niemand, denn von aussen lassen sich die Türen nur mit Schlüssel öffnen.

Mitarbeiter reichen nicht aus

Ganz so harmonisch läuft es aber nicht immer. "Wir haben schon Leute, die aggressiv sind und auch mal die Faust ausfahren", sagt Bösch. Deshalb sei es so wichtig, dass die K+A personell gut besetzt sei. Derzeit sind von den sechs Mitarbeitern immer zwei bis

drei anwesend ­ alle sind medizinisch geschult. "Aber bei dem derzeitigen

grossen Andrang reicht das nicht mehr", sagt Bösch. Ob der Personalbestand erhöht werden kann, ist zurzeit noch offen.

Finanziert wird das Projekt K+A vom Zweckverband für institutionelle Sozialhilfe und Gesundheitsförderung, also von den Gemeinden und dem Kanton. Veranschlagt sind laut Edwin Berchtold, stellvertretender Geschäftsführer des Vereins für kirchliche Gassenarbeit, vorerst 450 000 Franken jährlich. "Aber wenn der Personalschlüssel erhöht wird, kann das auch deutlich teurer werden", sagt Berchtold.

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Reaktionen

Anwohner sehen es "neutral bis positiv"

Befürchtungen, der neue Fixerraum könne Drogendealer in die Gegend der Gassechuchi locken, kann die Polizei nicht bestätigen; für eine offizielle Stellungnahme sei es aber noch zu früh. Laut Hugo Stadelmann, Präsident der Quartiergemeinschaft Sternmatt, gibt es keine Probleme im Quartier: "Im Gegenteil: Die Konsumenten gehen da hin, um ihr Kokain zu rauchen oder sich etwas zu spritzen ­ so passiert das wenigstens nicht auf der Strasse." Beschwerden von Anwohnern habe es bisher nicht gegeben. Die so genannte Echogruppe, in der Nachbarschaft, Quartiervereine, Betreiber und Polizei organisiert sind, äussert sich laut Pressemitteilung der Stadt "neutral bis positiv" zum Projektstart.
sy