MEDIENSPIEGEL 13.11.08
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Programm
- Polizei: Kritik von Anti-Folter-Komitee
- PNOS-Affe: Auch Friso will auffallen
- SD: Anti-deutsche Hetze
- Sportgewalt: Referendum in LU
- Big Brother: Bilanz Euro 08
- Hanf: Teurer Hans Dampf in allen Gassen
- Leistungsdroge Kokain
- Maurice Bauvaud
- Anti-Atom: neue Bewegung
- Kapital & Krise (auch beim Widerstand)
- Homophobie und Jugendverbände
- Gipfel-Soli-News 11.11.08
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REITSCHULE
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Nov 08: Beteiligt Euch an der
Vorplatz-Präsenz!!!
PROGRAMM:
Do 13.11.08
20.30 Uhr - Tojo - Aufzeichnungen aus
einem Irrenhaus von label beiruth. Mit Ruth Schwegler und Paed
Conca.
20.30 Uhr - Kino - UNCUT -
Warme Filme am Donnerstag: LOVE MY LIFE - Koji Kawano, Japan 2006
20.00 Uhr - Frauenraum - BarOmeter
- elektronische Leckerbissen zu lesbisch-schwulem Chillen mit DJ FRATZ,
Janine, Sharone & DJ ELfERich
Fr 14.11.08
20.30 Uhr - Tojo - Aufzeichnungen aus
einem Irrenhaus von label beiruth. Mit Ruth Schwegler und Paed
Conca.
20.30 Uhr - Frauenraum - Deseo de
Tango
21.00 Uhr - Kino - Dogma und mehr: OPEN
HEARTS - Susanne Bier, Dänemark 2002
22.00 Uhr - Dachstock - Kano (UK)
Support: Greis (chlyklass/CH), DJ's Kermit & Blade >
Hiphop & Grime
Sa 15.11.08
20.30 Uhr - Tojo - Aufzeichnungen aus
einem Irrenhaus von label beiruth. Mit Ruth Schwegler und Paed
Conca.
21.00 Uhr - Kino - Dogma und mehr: OPEN
HEARTS - Susanne Bier, Dänemark 2002
22.00 Uhr - Dachstock - DJ Vadim
(Ninja Tune/UK) & Paco Mendoza (Raggabund/Caramelo Criminal/ARG)
feat. Caramelo Criminal & Elijah (CH) >
Reggae/Hiphop/Latin
Infos: www.reitschule.ch
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POLIZEI & FOLTER
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20min.ch 13.11.08
Antifolterkomitee prangert die Schweiz an
Das Antifolterkomitee des Europarates hat Übergriffe von
Polizisten in
der Schweiz - vor allem in Genf - kritisiert. Die grosse Mehrheit der
in der Schweiz inhaftierten Personen werde indessen korrekt behandelt.
Das geht aus dem Bericht hervor, den der Ausschuss am Donnerstag zu
seinem letzten Besuch in der Schweiz im September/Oktober 2007
publizierte.
Der Bundesrat weist in einer Stellungnahme darauf hin, dass die
hiesigen Behörden nach dem Besuch des Komitees bereits
verschiedene
Empfehlungen umgesetzt haben, um den Schutz der Personen in
Polizeigefängnissen, Ausschaffungszentren, Strafanstalten und
Erziehungsheimen zu verbessern.
Die Delegation des "Europäischen Ausschusses zur Verhütung
von Folter
und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe" hatte
2007 verschiedene Hafteinrichtungen in den Kantonen Aargau, Bern, Genf,
Solothurn, Wallis und Zürich besucht.
Im Zentrum der Kritik steht die Genfer Polizei. "Wir sind über
diese
Befunde überrascht und besorgt. Derartige Beschwerden haben wir in
der
Schweiz noch nicht erlebt", sagte der belgische Delegationsleiter des
Antifolterkomitees, Marc Nève.
In über zehn Fällen hätten Festgenommene über
"Würgetechniken" geklagt,
die angewendet würden, um im Mund versteckte oder gerade
verschluckte
Drogen freizulegen. Auch seien Personen in unerlaubter Weise mit
Polizeihunden bedroht worden, obwohl sie bereits in Handschellen
wehrlos am Boden lagen.
Quelle: SDA/ATS
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PNOS
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20min.ch 13.11.08
Ricardo Lumengo als Affe verunglimpft
von Nina Jecker
Ein Oberländer Rechtsextremer beleidigt auf seiner Website
Nationalrat Lumengo. Jetzt sollen die Richter einschreiten.
Nach heftigen Verbalat tacken gegen Miss Schweiz Whitney Toyloy
gerät
nun der dunkelhäutige Bieler Nationalrat Ricardo Lumengo in die
Schuss
linie der Partei national orientierter Schweizer (Pnos): Auf der neuen
Website "Nationaler Beobachter Berner Oberland" nennt der
Pnos-Oberland-Vorsitzende Mario Friso ihn den "bunten Parlamentarier"
und "ignorant", weil er glaube, das Schweizer Volk vertreten zu
können
ohne hiesige Wurzeln zu haben.
Besonders übel: Auf dem Bild neben dem Text ist ein Affe mit einer
Banane abgebildet - eine Anspielung auf die Bananenwurf-Attacke gegen
Lumengo am 1. Mai.
"Das ist ein rassistischer Angriff", kommentiert Lumengo den
Web-Eintrag. Der Politiker zählt nun auf die Behörden: "Ein
solcher
Verstoss gegen das Antirassismusgesetz muss von Amtes wegen geahndet
werden." Wegen eines ähnlich beleidigenden Bildes im Blog der
Freiheitspartei habe ein Gericht bereits ein Verfahren eröffnet -
der
Entscheid steht noch aus.
Friso: "Vor einer Anklage fürchte ich mich nicht. Es gibt
schliesslich
viele Interpretationsmöglichkeiten, wenn neben einem Bild ein Name
steht."
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ANTI-DEUTSCHE
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20min.ch 13.11.08
Rechte schüren Hass gegen Deutsche
Von Lukas Mäder
Die rechten Parteien machen Arbeitsteilung: Während die Junge SVP
gegen
die "unkontrollierte Ost-Zuwanderung" aus Rumänien und Bulgarien
argumentiert, nehmen sich die Schweizer Demokraten ein heikleres Thema
vor: Sie wollen die starke Zuwanderung aus Deutschland zum Thema machen.
Die Deutschen in der Schweiz haben in letzter Zeit einen schweren
Stand. Während das nördliche Nachbarland vor wenigen Jahren
noch als
hip galt, weht den deutschen Zuwanderern inzwischen ein eisiger Wind
entgegen. Durch die Personenfreizügigkeit hat ihre Zahl stark
zugenommen, woran viele Schweizer keine Freude haben — und dies auch
unverblümt äussern.
Diese weitverbreitete latente Abneigung gegen die Deutschen wollen die
Schweizer Demokraten (SD) nun politisch nutzen. "Wir werden die starke
Zuwanderung von Deutschen in unserer Kampagne thematisieren", sagt
SD-Präsident Bernhard Hess. Seine Partei fahre nur die soziale
Schiene.
Er wolle die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust, drohendes Lohndumping
und importierte Arbeitslosigkeit ansprechen, so Hess gegenüber 20
Minuten Online.
Mit Ost-Bettler zum Sieg
Bernhard Hess spricht von strategischer Arbeitsteilung, obwohl sie
nicht abgesprochen ist: Während die SD das heikle Thema der
deutschen
Zuwanderung bearbeiten, wird die Junge SVP (JSVP) sich stärker um
die
Erweiterung auf Rumänien und Bulgarien kümmern. Die
Ost-Zuwanderung,
die Mogelpackung und die drohende Arbeitslosigkeit nennt
SVP-Nationalrat Lukas Reimann (SG) als Themen ihrer Kampagne, die die
JSVP heute in Bern mit einer Medienkonferenz eröffnet hat.
Dabei spielt die JSVP auch die Karte der drohenden Rezession:
"Angesichts des schwankenden Arbeitsmarktes und der drohenden Rezession
muss die Schweiz jetzt einem wahrscheinlichen Anstieg der
Arbeitslosigkeit vorbeugen", sagte Reimann. Die unkontrollierte
Zuwanderung sei der stärkste Faktor für Arbeitslosigkeit und
horrende
Sozialkosten. Die Partei setzt dieses Argument auch ins Bild: Die
Plakatentwürfe zeigen Bettler und Obdachlose und nennen als Grund
dafür
die Ostzuwanderung.
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SPORT
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20min.ch 13.11.08
Gegen Gewalt an Sportveranstaltungen
Die Fan-Dachorganisation United Supporters Luzern (USL) hat das
Referendum "Nein zu Polizeiwillkür" eingereicht.
Der Beitritt des Kantons Luzern zum Konkordat über Massnahmen
gegen
Gewalt an Sportveranstaltungen kommt somit vors Volk. 3111
Unterschriften konnte die USL beim Amt für Gemeinden einreichen,
wie
einer Medienmitteilung der Fan-Dachorganisation vom Donnerstag zu
entnehmen ist. Für das Zustandekommen des Referendums sind 3000
Unterschriften erforderlich.
Die USL ist der Meinung, dass das Konkordat über Massnahmen gegen
Gewalt an Sportveranstaltungen mit "erheblichen Mängeln" behaftet
sei.
Es lasse einschneidende Freiheitsbeschränkungen auf Vedacht zu,
verankere polizeiliche Willkür auf Gesetzesebene und verstosse
gegen
übergeordnetes Bundesrecht, schreibt die USL.
Quelle: SDA/ATS
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BIG BROTHER
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Bund 13.11.08
Die Krux mit der Technik
Polizeikorps der Euro-08-Austragungsstädte tauschen am Schweizer
Polizei-Informatik-Kongress Erfahrungen aus
Anita Bachmann
Wie viel Technik darf es sein? In dieser Frage waren sich die
Polizeikorps der Host-Citys der Euro 08 nicht einig. Grossereignisse
sind nur dank technischer Hilfe zu bewältigen, bringen diese aber
auch
schneller zum Erliegen.
Als die orange Invasion während der Euro 08 am zweiten Spieltag in
Bern
ihren Höhepunkt fand, stürmten 150000 Fans in die Fanzonen,
und die
Bundesstadt drohte zu bersten. Wie sich der Bundesplatz füllte und
beinahe überquillte, beobachtete auch die Kantonspolizei Bern -
über
eine Videokamera. Bevor die Situation eskalierte, konnte die Polizei
deshalb noch rechtzeitig alle Notausgänge öffnen.
Verantwortliche der
Polizeikorps der Host-Citys Bern, Basel, Zürich und Genf trafen
sich
gestern am Schweizer Polizei-Informatik-Kongress in Zürich und
tauschten ihre Erfahrungen vom Grosseinsatz aus.
Obwohl das Gesetz für die Videoüberwachung im
öffentlichen Raum im
Kanton Bern noch nicht in Kraft ist, war dies nicht der Grund für
den
spärlichen Einsatz von Kameras an der Euro 08 in Bern. "Die
Videoüberwachung diente bloss zur Überwachung der Massen",
erklärte
Jürg Coray, Chef Information Kantonspolizei Bern. Die Stadtpolizei
Zürich hingegen benutzte die Videokameras auch, um Einheiten zu
koordinieren: Während des emotionsgeladenen Spiels Türkei
gegen
Kroatien zündete ein Fan in der Masse eine Fackel an. Anhand einer
Videokamera wurde die Person geortet und eine Polizeieinheit in die
Menschenmenge geführt, wo sie den ausfälligen Fan verhaftete.
"Wäre die
Lage eskaliert, hätte die Einsatzleitung darauf reagieren
können",
sagte Andreas Moschin von der Kantonspolizei Zürich.
Polizisten mit GPS-Sender
Neben Videokameras kamen auch andere moderne technische Mittel zum
Einsatz: In Basel und Zürich waren viele Polizisten, Spotter oder
Wasserwerfer mit einem Tacker ausgerüstet. Das ansteckbare
Gerät ist
mit einem GPS-Sender versehen, sodass die Einsatzleiter auf digitalen
Karten jederzeit sehen konnten, wo sich wie viele Leute befinden und
wohin sie sich bewegten. "Wir haben eine andere
Führungsphilosophie",
sagte Peter Giger, Chef Lage Euro 08 der Kantonspolizei Bern. Im Kanton
Bern waren keine Tacker im Einsatz.
Doch auch die Kantonspolizei Bern schwört innovativer Technik
keineswegs ab. Im Hotel Blaulicht - das Lagezentrum aller
Blaulichtorganisationen in der Militärkaserne - wurde ein modernes
Informatikzentrum mit Schnittstellen zur Hooligandatenbank,
Drohnenbildern oder einer gemeinsamen Informationsplattform für
alle
Blaulichtorganisationen aufgebaut.
Keine technischen Spielereien
Dass die Technik aber gerade bei solchen Grossanlässen an Grenzen
stösst, mussten die Polizeien schnell erfahren. In Basel waren am
dritten Tag die Akkus der Tacker leer, weil sie ständig im Einsatz
waren, und in Bern erlag die Informationsplattform bereits am ersten
Tag der immensen Datenmenge. "Zum Glück hatten wir damit gerechnet
und
konnten auf ein erprobtes, einfacheres System zurückgreifen",
sagte
Giger. Er wünscht sich von den IT-Firmen künftig keine
technischen
Spielereien, sondern Instrumente, die alle verstehen und miliztauglich
sind. "Technik ist ein Hilfsmittel, Polizeiarbeit findet nach wie vor
auf der Strasse statt."
Kriminalistik-Zukunft
Kriminaltechnik "der neusten Generation" erarbeitet die Kantonspolizei
Bern mit der IT-Firma EDS. Mit einem Kriminalanalyseinstrument sollen
Daten über Verbrechen gesammelt und analysiert werden. Als
Grundlage
dient beispielsweise das normale Einbruchverhalten, gibt es
Abweichungen von dieser Norm, kann die Polizei gezielt eingreifen. "Bei
der Polizei werden grosse Mengen von Daten über Verbrechen
gesammelt,
nur passierte bisher damit meistens nichts", sagte Rico Galli,
Fachbereichsleiter bei der Kantonspolizei Bern. Künftig sollen
damit
Falldaten geografisch als sogenannte Hotspots dargestellt werden.
Zusammen mit den Verbrechensmuster könne aus den Daten statistisch
vorausgesagt werden, was wo passieren wird. (ba)
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HANS DAMPF
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WoZ 13.11.08
Cannabis-Die Zeit der Hanfläden ist vorbei. Jetzt wird schlechte
Qualität zu horrenden Preisen auf der Strasse verkauft -
dort, wo auch
die harten Drogen zu haben sind. Ein Augenschein in der Berner Szene.
Wer ist hier die Mafia?
Von Dinu Gautier
Die Berner Altstadt zur Jahrtausendwende: Hier schien, so heisst es,
fast immer die Sonne. Und wenn sie das tat, sammelten sich Hunderte von
Menschen auf der Münsterplattform, dem Park mit der Aussicht auf
Aare
und Alpen. Über dem Park schwebte eine Wolke von
süsslich-herbem Duft,
auf dem Rasen trommelten PerkussionistInnen und an den
Parkeingängen
wurde warnend gepfiffen, wenn die uniformierte Staatsmacht
anmarschierte, um einigen Unglücklichen die Blüten
abzunehmen, die
diese kurz zuvor in aller Selbstverständlichkeit in einem von
Dutzenden
polizeilich geduldeten Hanfläden in Parknähe gekauft hatten.
Es war dies der Höhepunkt des Laisser-faire, der Versuch
einer
tolerierenden Hanfpolitik. Läden zum Verkauf von
"Hanfduftkissen" und
"Badezusätzen" wurden zu der Zeit in weiten Teilen der
Deutschschweiz
gegründet. In Bern etwa existierten Ende 1996 erst drei
Hanfläden,
sechs Jahre später waren es laut Schätzungen des
Regierungsstatthalters
bereits gegen fünfzig Läden, die Cannabis verkauften. Sie
trugen Namen
wie Hemp it up, Evolution oder Sweet Dreams, die einen waren
spezialisiert auf Hanfblüten vom Feld (Outdoor-Gras), die anderen
verkauften potenteres, von künstlichen Lampen genährtes Kraut
(Indoor-Gras).
Nationalrat Alec von Graffenried (Grüne Freie Liste) war von 2000
bis
2007 Regierungsstatthalter von Bern. Von einer Romantisierung der
Hanfladenszene hält er nichts: "Es gab plötzlich
Läden mit
Tagesumsätzen von bis zu 30 000 Franken. Der Schutz der heissen
Ware
Hanf erforderte seitens der Händler immer weitergehende
Vorkehrungen,
bis hin zum Schusswaffeneinsatz und zur Schutzgelderpressung." Diese
"Entwicklung in Richtung mafiöser Zustände" habe er damals
aus
Sicherheitsgründen nicht mehr tolerieren können.
Die goldenen Zeiten
Der dreissigjährige Michael Mosimann sitzt im FourTwenty,
seinem
Laden in einem Kellergewölbe an der Kramgasse. Die
"goldenen Berner
Hanfzeiten" hat er erst zu ihrem Ende hin miterlebt. 2003
eröffnete er
den Laden. Zu Beginn waren die Umsätze gut, Mosimann
beschäftigte vier
Angestellte. Er war auch Präsident der Berner Sektion der
Hanfkoordination Schweiz.
Herrschten damals mafiöse Zustände in der Hanfladenszene?
"Nein, ganz
im Gegenteil!", sagt Mosimann, "wir haben uns zu der Zeit in einem
Verein organisiert, zwölf, dreizehn Läden." Man habe Cannabis
nur an
Volljährige und nur an KundInnen mit Wohnsitz in der Schweiz
verkauft,
"um dem Drogentourismus entgegenzuwirken". Man habe mit der
Drogenberatungsstelle Contact zusammengearbeitet und Verträge mit
der
Gewerkschaft GBI abgeschlossen ("keine Löhne unter 4000 Franken").
Natürlich seien die Umsätze hoch gewesen, es hätten aber
auch viele
Leute vom Geschäft gelebt, im Anbau, in der Verarbeitung der
Blüten,
bis hin zum Abpacken und im Verkauf. Die Gewinnmarge habe zu der Zeit
etwa dreissig Prozent betragen.
Und waren die Ladenbesitzer bewaffnet, wie das Alec von Graffenried
behauptet? "Ich glaube nicht, dass Ladenbesitzer Schusswaffen in ihren
Läden gehabt haben." Bei ihm habe es auch heute noch Pfefferspray
und
einen Baseballschläger - "aber das hat auch der
Antiquitätenhändler von
gegenüber". Überhaupt sei es sehr ruhig gewesen in Bern.
Es habe keine
Überfälle auf Läden gegeben.
Auch Sämi (Name geändert) hat den Beginn des neuen
Jahrtausends als
Hanfhändler miterlebt. Der 31-Jährige hatte zwar keinen
Laden, an
KundInnen hat es ihm dennoch nie gefehlt. Ein guter Verkäufer
muss er
gewesen sein, bevor er im Jahre 2004 aufhörte mit seinem
Geschäft. "Ich
bot günstigere Preise, eine bessere Auswahl und höhere
Qualität als
die Hanfläden", sagt er nicht ohne Stolz. Gekauft habe er direkt
vom
Bauernhof.
Wie hat er die entsprechenden Kontakte geknüpft? "Wir gingen
Felder
suchen. Wurden wir fündig, läuteten wir bei den Bauern und
stellten uns
vor." Eingekauft habe er ein Kilo für 2500 bis 3000 Franken.
Später
habe er auch einmal ein eigenes Hanffeld angepflanzt, versteckt in
einem Maisfeld. "Wir hielten uns an die strengen
Demeter-Bio-Richtlinien. Wir setzten also nicht nur keinen
Kunstdünger
ein, sondern richteten uns auch nach den Mondphasen." Mit der Zeit habe
er KundInnen aus halb Europa gehabt. Einem Franzosen habe er einmal
sechs Kilo verkauft. Dieser habe gefragt, ob er auch mit Kokain oder
Waffen zahlen könne. "Aber mit so was wollte ich überhaupt
nichts zu
tun haben", betont Sämi. Und auch ausgeraubt sei er worden,
insgesamt
dreimal. "Ich konnte natürlich nicht zur Polizei. Das ist das
Problem:
Erst durch die Illegalität entstehen mafiöse
Verhaltensweisen." In Bern
sei es aber insgesamt ruhig gewesen: "Der Kuchen war gross genug, alle
konnten sich ein Stück davon abschneiden."
Jede Menge Chemie
Doch die Ära ging zu Ende. Schweizweit wurden Hanfläden
dichtgemacht.
Im Sommer 2002 beschloss auch Regierungsstatthalter Alec von
Graffenried, die Läden zu schliessen. Das ging zwar nicht
über Nacht,
aber spätestens 2004 war der Handel in den Untergrund
verschwunden.
Zudem hatte das Bundesgericht den Bauern den Anbau von Hanf mit einem
THC-Gehalt von über 0,3 Prozent bereits im Jahr 2000 untersagt
(zum
Vergleich: Hochgezüchtete Indoorsorten bringen es gerne mal auf 25
Prozent THC-Gehalt). Angesichts der nun drohenden Gefängnisstrafen
gaben viele BäuerInnen den Anbau auf.
Dazu Sämi: "Heute wird mehr Indoor geraucht, häufig aus dem
Ausland",
und da stecke eine stattliche Menge Chemie drin. Auch abgesehen davon
sei die Qualität heute häufig schlecht: "Ein gutes Gras
braucht drei
Monate Trocknungszeit." Doch wer im Untergrund züchte, der
könne es
sich gar nicht leisten, so lange auf der Ware sitzenzubleiben.
Auch Michael Mosimann ist heute noch sauer, wenn er an die
Repressionswelle denkt. In seinem Laden nahm die Polizei 2004 eine
Razzia vor, in der Folge musste er all seine Angestellten entlassen.
"Wenn es von Graffenried darum ging, schwarze Schafe unter den
Läden zu
bekämpfen, dann hätte es ja keine generelle Ladenschliessung
gebraucht", meint er.
"Was heute auf der Gasse abgeht, das ist mafiös", so Mosimann. Da
würde
nur noch zerriebenes Kraut angeboten, mitunter gestreckt, angereichert
mit Quarzsand oder mit asbestartigen Fasern, die mit Haarlack ans Kraut
geklebt würden. Und: "Früher gab es eine klare Trennung der
Märkte."
Heute seien an den Orten, wo Gras verkauft werde, auch harte Drogen
erhältlich.
Das gilt es zu verifizieren. Hundert Meter vom Laden entfernt, auf der
Münsterplattform: "Gras?", zischt jemand von einem Bänkchen.
Für
zwanzig Franken gibt es ein kleines Säckchen. "Hast du auch
Kokain?" -
"Nein, aber der andere dort drüben hat welches." Das Wägen
des
erstandenen Cannabis ergibt: Es sind 0,7 Gramm, der Grammpreis
beträgt
also über 28 Franken.
Zurück im FourTwenty bei Michael Mosimann: "Früher hat man in
den Läden
zwischen sechs und zwölf Franken für ein Gramm bezahlt, je
nachdem, ob
es sich um In- oder Outdoor handelte", sagt er, bevor er einen
Krümel
des Gassengrases prüfend in den Mund nimmt: "Immerhin ist das hier
nicht schmeckbar gestreckt." In seinem Laden verkauft Mosimann heute
vor allem Raucherartikel wie Papierchen oder Wasserpfeifen sowie
Ausrüstungen für den Eigenanbau, also Lampen,
Lüftungsanlagen und
Dünger zur Pflanzenzucht.
Der 21-jährige Sven (Name geändert) ist einer, der selber
Hanf anbaut.
Dazu braucht es einiges an Infrastruktur: "Eine 600-Watt-Lampe reicht
für einen Quadratmeter Anbaufläche. Dazu benötigst du
viel Dünger, eine
gute Lüftung und gute Nerven." Gerade Geruchs- und Lichtemissionen
seien ein Problem, regelmässige Standortwechsel der Anlage seien
als
Vorsichtsmassnahme nötig. Ansonsten könne man nur hoffen,
dass die
Polizei nicht gerade kurz vor der Ernte vorbeischaue. "Die messen den
THC-Gehalt deiner Pflanzen. Erwischen sie dich am Anfang eines Zyklus,
so hast du Glück, denn die Pflänzchen enthalten in dieser
Phase kaum
THC." Ein Zyklus dauere etwa zweieinhalb Monate, wenn alles optimal
verlaufe, so könne er in seiner Anlage bis zu drei Kilo ernten.
Verkaufspreis: Zehn bis zwölf Franken pro Gramm. KundInnen? "Nur
Leute,
die ich kenne." Zurzeit verkaufe er aber fast nichts. "Es ist Herbst,
da rauchen alle von ihrem Balkon-Eigenanbau. Wäre ich ein guter
Kaufmann, so würde ich jetzt Outdoor-Gras kaufen und im
Frühling
weiterverkaufen."
Die Abstinenz-Ajatollahs
Gras bekommt heute also nur, wer sich auf die Gasse wagt oder
entsprechende Beziehungen hat. Das habe auch aus Sicht der
Suchtprävention Nachteile, sagt Fritz Brönnimann, der seit
zwanzig
Jahren für Contact arbeitet. Die Organisation hat sich einen Namen
gemacht als Präventions- und Beratungsstelle in Drogenfragen.
Fritz
Brönnimann ist Regionalleiter von Contact Bern, jährlich
berät sein
Team zwischen 250 und 300 CannabiskonsumentInnen.
"Die heutige Suchtpolitik ist reaktionärer geworden. Die
Abstinenz-Ajatollahs à la Verein Eltern gegen Drogen spüren
Aufwind,
dabei ist unsere Gesellschaft ja generell weit entfernt von
Enthaltsamkeit", so Brönnimann. Jedenfalls sei heute die
Nachfrage
nach Hanf etwa gleich hoch wie früher, die Repression habe kaum
eine
Abnahme des Konsums bewirken können. Die heutigen
Vertriebskanäle seien
von den Anbietern einfach diversifiziert worden. "Schlimm ist es, wenn
junge Menschen Cannabis konsumieren, ohne über den Umgang damit
informiert zu sein." Über die Hanfläden habe eine gewisse
Möglichkeit
bestanden, Präventionsbotschaften an CannabiskonsumentInnen
zu
bringen. Ohne Läden sei der Zugang zu diesen Leuten hingegen nur
erschwert möglich. "Grundsätzlich vertreten wir die Meinung,
dass kein
Drogenkonsum besser ist als Drogenkonsum. Wenn aber jemand Drogen
konsumiert, dann muss er über die Wirkungen und Risiken informiert
sein." Und solche gebe es zweifelsohne auch beim Cannabiskonsum, etwa
die Gefahr von Psychosen, die bei kiffenden Jugendlichen, sofern eine
Veranlagung dazu besteht, ausgelöst werden könnten, sagt der
Suchtexperte.
Gibt es denn einen direkten Zusammenhang zwischen Hanfladenschliessung
und der aktuell zu beobachtenden Kokainwelle? "Einen direkten
Zusammenhang sehe ich nicht. Ich würde sagen, das sind
verschiedene
Konsumentenszenen." Allerdings bestehe schon die Gefahr der Vermischung
von harten und weichen Drogen: "Ich spreche mit Sechzehnjährigen,
die
sagen, sie könnten leicht alle Arten von Drogen kaufen, wenn sie
wollten."
Überhaupt entwickle sich der Kokainkonsum gerade zu einem riesigen
Problem, sagt Brönnimann: "Es gab eine massive Zunahme in den
letzten
zwei Jahren." Schuld daran sei einerseits der Preiszerfall, heute koste
eine Linie Kokain manchmal weniger als ein Joint, andererseits sei es
auch eine Frage der gesellschaftlichen Dynamik: "Wir leben in
einer
sehr schnellen leistungsorientierten Gesellschaft, wo Fitness und
Coolness zählen; da passt Kokain als Droge dazu."
Und was hält Brönnimann von der Hanfinitiative (siehe
Kasten), die Ende
November zu Abstimmung kommt? "Eine Annahme würde uns schon vieles
erleichtern, wir könnten Gefährdete besser erreichen, und der
Schutz
von Jugendlichen würde gewährleistet." Zudem seien dann die
Herstellungsart, der Verkauf und der THC-Gehalt von Hanf kontrolliert
und geregelt.
Und was meint derjenige, der den tolerierten Hanfhandel in Bern damals
beendet hat? Alec von Graffenried: "Es ist nicht einzusehen, wieso wir
mündigen, verantwortungsvollen Erwachsenen den Konsum weiter
verbieten
wollen." Was den Handel angehe, so solle dieser staatlich kontrolliert
und in geregelte Bahnen gelenkt werden.
Einzig Indoor-Pflanzer Sven ist gegen die Initiative: "Die würde
wohl mein Geschäft kaputt machen."
die hanfinitiative
Am 30. November kommt die Hanfinitiative zur Abstimmung. Sie will
folgende Bestimmungen in der Verfassung festschreiben:
≥ 1. Der Konsum psychoaktiver Substanzen der Hanfpflanze sowie ihr
Besitz und Erwerb für den Eigenbedarf sind straffrei.
≥ 2. Der Anbau von psychoaktivem Hanf für den Eigenbedarf ist
straffrei.
≥ 3. Der Bund erlässt Vorschriften über Anbau, Herstellung,
Ein- und
Ausfuhr von sowie Handel mit psychoaktiven Substanzen der Hanfpflanze.
≥ 4. Der Bund stellt durch geeignete Massnahmen sicher, dass dem
Jugendschutz angemessen Rechnung getragen wird. Werbung für
psychoaktive Substanzen der Hanfpflanze sowie Werbung für den
Umgang
mit diesen Substanzen sind verboten.
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WoZ 13.11.08
DrogenAbstimmung Die Betäubungsmittelgesetz-Revision genügt
nicht - nur
ein Ja zur Hanf-Initiative bringt Bewegung in die Drogenpolitik.
Nüchtern betrachtet
Von Bettina Dyttrich
Die Forderungen sind nicht neu. Drogenfachleute wiederholen sie seit
Jahren: Der Konsum von Betäubungsmitteln muss straffrei sein. Der
Staat
soll den Handel mit Cannabis regeln. Werbung für alle (auch
legale)
Drogen ist zu verbieten. Auch mit der Abstimmung vom 30. November
erreichen wir diese Ziele nicht. Aber wir könnten ihnen ein
Stück näher
kommen.
Nur im Notfall Heroin
Die eine Vorlage, die Revision des Betäubungsmittelgesetzes, ist
kaum
umstritten. Nur die Mehrheit der SVP, rechte Kleinparteien und obskure
Gruppierungen sind dagegen. Die Revision schreibt das
Viersäulenprinzip
(Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression) im Gesetz
fest. Zur Therapie gehört die Heroinabgabe, die vielen
Abhängigen das
Leben gerettet hat. Nur rechte FanatikerInnen bestreiten das noch. Die
Revision bringt auch (endlich!) die Zulassung von Hanf als Heilmittel
und strafmildernde Umstände für DealerInnen, die selber
drogenabhängig
sind.
Das Gesetz schafft die rechtlichen Grundlagen für das, was bereits
passiert. Weiter geht es allerdings nicht. Anbau, Herstellung, Erwerb
und Besitz von Betäubungsmitteln bleiben strafbar. Die Hürden
für die
heroingestützte Behandlung bleiben hoch: "Der Bundesrat sorgt
dafür,
dass Heroin nur betäubungsmittelabhängigen Personen
verschrieben wird,
bei denen andere Behandlungsformen versagt haben oder deren
Gesundheitszustand andere Behandlungsformen nicht zulässt." Heroin
wird
also weiterhin strenger gehandhabt als Methadon. Warum? Heroin ist ein
natürliches Produkt aus Schlafmohn. Methadon ist synthetisch. Die
Wirkung ist so nah verwandt, dass sich Heroinsucht mit Methadon
behandeln lässt. Abhängig machen beide; der Methadonentzug
wird sogar
als noch unangenehmer beschrieben als der Heroinentzug. Einziger
entscheidender Unterschied: Methadon verursacht kaum Euphorie, es
"fährt nicht so gut ein". Und das spielt unausgesprochen bis heute
eine
Rolle: "Wenn die schon nicht aufhören wollen, soll es wenigstens
keinen
Spass machen." Zwingli lässt grüssen.
Die unterschiedliche Wirkung ist der Grund dafür, dass viele
Heroinabhängige trotz Methadon weiter Heroin konsumieren. Ein
seltsames
System: Wenn die Süchtigen wiederholt bewiesen haben, dass sie
nicht
anders können, bekommen sie dann doch Heroin. Nur - einige sterben
vorher. Mit sauberem Heroin würden sie wahrscheinlich noch leben.
Doping für den Alltag
"Die Befürchtung bleibt, dass eine ausgeweitete Drogenabgabe einen
vorläufigen Endpunkt in der Drogenpolitik darstellen könnte",
schrieb
Patrick Walder 1994 in der WOZ. Er hatte recht. Mit dem Verschwinden
der offenen Drogenszenen verlagerten sich die Suchtprobleme
endgültig
weg von der Strasse in die Clubs und Büros. Sie wurden
privatisiert.
Von der "Pharmakologisierung des Alltags" (wie es der deutsche
Drogenexperte Günter Amendt nennt) sind inzwischen fast alle
betroffen.
Doch die Ausgrenzung geht weiter. Wogegen sich die Empörung
richtet
(kampftrinkende Jugendliche, RaucherInnen, "Dopingsünder"),
scheint
zufällig.
Paradox ist die Empörung immer: Die heutige
Hochleistungsgesellschaft
kann ohne Drogen - legale, illegale oder rezeptpflichtige - nicht
funktionieren. Gleichzeitig bedrohen die Drogen dieses Funktionieren;
der Grat zwischen Leistungssteigerung und Schädigung ist
schmal.
Drogen als Genuss- und Kultmittel gehören zu allen Kulturen der
Welt.
Ihr Konsum kann angenehm und sinnvoll sein, aber Selbstschädigung
ist
nichts Schönes, im Dienst des Kapitalismus schon gar nicht.
Einfache Reaktionsmuster sind deshalb fehl am Platz: Die zum Teil
fragwürdigen Antirauchkampagnen machen das Rauchen nicht zu einer
rebellischen linken Tätigkeit. Und wenn sich die SVP nach Jahren
der
Alkoholverharmlosung plötzlich über Botellones empört,
sollte die
(Stammtisch-)Linke nicht anfangen, ihrerseits Alkohol zu verharmlosen.
Auch beim Hanf ist Verniedlichung falsch: Gerade weil er nicht harmlos
ist, ist die Hanf-Initiative sinnvoll.
Die Annahme dieser Initiative, über die wir ebenfalls am 30.
November
abstimmen, würde einiges ändern: Kiffen wäre straffrei,
der Bund würde
das Angebot kontrollieren und den Jugendschutz regeln. Werbung für
Cannabis wäre verboten. So weit war auch der Bundesrat schon
einmal. Er
schlug 2001 im Revisionsentwurf des Betäubungsmittelgesetzes genau
dasselbe vor. Die Zeit schien reif. Dass das Verbot niemanden am Kiffen
hinderte, war offensichtlich. Die linken Parteien, die FDP und die
Mehrheit der CVP waren sich einig. Doch noch vor der Parlamentsdebatte
kippte die Stimmung. Und so kam es, dass der Nationalrat im Sommer 2004
überraschend beschloss, auf die vorgeschlagene Revision gar nicht
erst
einzutreten.
Die Medien spielten bei diesem Stimmungsumschwung eine wichtige Rolle.
"Widerstand gegen Cannabisfreigabe: Experten schlagen Alarm" titelte
die "SonntagsZeitung". Auch international häuften sich die
Skandalberichte. Dabei ging es fast immer um zwei Behauptungen;
erstens: Der heutige Hanf ist viel stärker und gefährlicher
als das
harmlose Kraut aus der Hippiezeit. Zweitens: Der heutige Hanf löst
Psychosen aus.
Die erste Behauptung hat einen wahren Kern. Weil der Freilandanbau
praktisch unmöglich geworden war, stiegen PflanzerInnen auf
Indoorplantagen um. Die hochgezüchteten, rund um die Uhr
beleuchteten
Pflanzen haben tatsächlich einen sehr hohen Gehalt des Wirkstoffs
THC.
Trotzdem gilt es zu relativieren: Früher war wohl das Kraut
schwächer,
dafür war viel mehr hochpotentes Haschisch, also Hanfharz, auf dem
Markt, etwa der berühmte "Schwarze Afghan".
Die zweite Behauptung ist falsch. Es gehört zum Allgemeinwissen
von
KifferInnen, dass Hanfkonsum unangenehm sein kann, wenn es einem
schlecht geht. Und dass er für Menschen mit psychischen Problemen
ein
ernsthaftes Risiko darstellt. Aber dass Hanf gesunde, durchschnittlich
belastbare Menschen plötzlich in die Schizophrenie stürze,
ist Unsinn.
Wenn dem so wäre, hätte die starke Zunahme des Hanfkonsums
die Anzahl
Schizophreniebetroffener spürbar ansteigen lassen.
Der Hanf vom Schwarzmarkt ist von sehr unterschiedlicher Qualität.
Das
liegt am Schwarzmarkt, nicht am Hanf. Bei einer Annahme der
Hanf-Initiative wäre möglich, was beim Alkohol
selbstverständlich ist:
dass der THC-Anteil auf der Packung steht und der Staat einen
Höchstanteil festlegt.
Vom Ständerat lernen
Die Hanf-Initiative wäre, wie die Revision des
Betäubungsmittelgesetzes, eine Anpassung der Rechtslage an die
Realität. Das sehen auch die FDP und die NZZ so, die für ein
Ja
plädieren. Der Bundesrat müsste die Initiative ebenfalls
unterstützen,
er hat sie ja sozusagen selber vorgeschlagen. Aber er will nicht: "Der
Bundesrat vertritt die Meinung, der Umgang mit Cannabis solle nicht auf
Verfassungsstufe, sondern im Betäubungsmittelgesetz geregelt
werden."
Dieses Argument ist richtig und doch absurd. Denn die Regelung
scheitert immer wieder am Widerstand des Nationalrats.
Vernunft ist lernbar. Das zeigt der Ständerat - die
drogenpolitisch
vernünftigere Kammer, weil er näher am Alltag der Kantone
dran ist. Am
Alltag, wo sich zeigt, dass das Abstinenzdogma nicht funktioniert. Der
Ständerat sagt einstimmig Ja zur
Betäubungsmittelgesetz-Revision. Nur
bei der Hanf-Initiative hat ihn der Mut verlassen: Er verwarf sie ganz
knapp mit 18 zu 19 Stimmen. Aber auch Mut ist lernbar.
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KOKAIN
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WoZ 13.11.08
Durch den Monat mit Irene Caspar Frey (Teil 2)
Warum Kokain?
Interview: Bettina Dyttrich
WOZ: Sie arbeiten schon seit fast fünfzehn Jahren im Suchtbereich.
Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Irene Caspar Frey: Die Zahl der Heroinkonsumenten hat klar
abgenommen.
Generell hat eine Verschiebung von den dämpfenden zu eher
anregenden
Substanzen stattgefunden, vor allem zu Kokain. Das hängt auch mit
dem
Preiszerfall zusammen: Vor fünfzehn Jahren kostete ein Gramm
Kokain
700, 800 Franken, heute kostet es 50. Ausserdem konsumieren immer
jüngere Menschen Cannabis. Aber Alkohol ist mit 300 000
Abhängigen
weiterhin das verbreitetste Suchtmittel. Im Vergleich dazu ist Heroin
ein verschwindendes Problem. Übrigens ist sauberes Heroin viel
weniger
schädlich als Alkohol.
Haben sich auch die Behandlungsmethoden verändert?
Ja. Ursprünglich war die Suchtbehandlung ja eine Domäne der
Sozialarbeit. In den letzten zehn Jahren hat eine Medizinalisierung
stattgefunden. Heute wissen wir, dass der grösste Teil der
Menschen mit
einer Suchtstörung noch zusätzliche psychische Störungen
hat. Darum ist
die psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung ein wichtiger
Aufgabenbereich unserer Klinik. Betrachtet man die Schicksale unserer
Patienten, so zeigt sich, dass der Konsum häufig eine
Überlebensstrategie darstellt - die aber leider neue Probleme
verursacht.
Wie steht es um die körperliche Gesundheit?
Hier haben wir vor allem mit den Spätfolgen der früheren
Drogenpolitik
zu tun. Bis Ende der achtziger Jahre war die Spritzenabgabe verboten,
und damals haben sich sehr viele mit Hepatitis und HIV angesteckt.
Heute ist der Gesundheitszustand der Heroinabhängigen viel
besser. Als
ich 1994 anfing, gehörte das Aufschneiden von Abszessen zur
Tagesordnung. Dank einigermassen sauberen Konsumbedingungen kommt das
heute fast nicht mehr vor.
Welche Probleme gibt es mit Kokain?
Kokain ist für den Körper sehr schädlich, führt zu
Gefässverengungen
und kann einen Herzinfarkt verursachen. Die körperliche
Abhängigkeit
ist nicht sehr stark, dafür ist die psychische enorm. Die Gier
nach der
Substanz kann sehr zerstörerisch sein.
Wie therapieren Sie das?
Es hat sich gezeigt, dass verhaltenstherapeutische Methoden hier sehr
wirksam sind. Im Zentrum steht die Frage: Warum konsumiere ich? Welche
Verhaltensstrategien kann ich lernen, um meine Konsummuster zu
verändern?
Warum konsumieren die Leute denn?
Kokain wirkt leistungssteigernd, erhöht das Selbstwertgefühl,
man fühlt
sich grossartig, bis die Wirkung nachlässt und ein Stimmungstief
folgt.
Viele konsumieren am Morgen Kokain, um leistungsfähig zu sein
für den
Tag. Am Abend brauchen sie dann eine beruhigende Substanz, um wieder
"runterzukommen". Es ist normal geworden, die Befindlichkeit mit
psychoaktiven Substanzen zu regulieren. Der Konsum dient der Anpassung
an unsere auf Leistung getrimmte Gesellschaft.
Was machen Sie denn, wenn jemand sagt: Ich nehme Kokain, um den
Berufsstress auszuhalten?
Wir schauen genau an, wo der Stress herkommt und wie er sich abbauen
liesse. Es ist ja selten der Beruf allein, der die Leute
überfordert.
Wir suchen Strategien, um den Alltag anders anzugehen.
Vielleicht sollte die Person einfach einen weniger stressigen Job
suchen?
Das war bisher noch nie nötig. Es gab immer andere
Möglichkeiten.
Ihre eigene Arbeit ist sicher auch oft belastend. Trotzdem wirken Sie
entspannt.
Ich denke, das ist ein professioneller Habitus, den man mit der Zeit
bekommt. Als ich mit der Arbeit im Suchtbereich anfing, ging sie mir
sehr nahe und beschäftigte mich auch in der Freizeit. Darum ist
Supervision in Berufen, in denen man mit Menschen mit schwierigen
Schicksalen zu tun hat, so wichtig. Mit der Zeit lernt man eine gute
Mischung aus Nähe und Distanz. Der Aufbau einer vertrauensvollen
Beziehung ist wichtig für eine erfolgreiche Behandlung. Das gilt
es
auch auszuhalten, denn ohne Nähe ist meines Erachtens keine
Therapie
möglich. In der Therapie geht es nicht um Mitleid, aber um ein
Mitfühlen. Es braucht die Fähigkeit, sich ein Stück weit
in die
Situation der Patienten zu versetzen.
Das tönt nach einer Gratwanderung.
Ich hatte auch schon schlaflose Nächte. Ich kann ja nicht jedes
Mal,
wenn es jemandem schlecht geht und er sich selbst gefährden
könnte,
einen Fürsorgerischen Freiheitsentzug anordnen. Dann gehe ich nach
Hause und frage mich: Lebt er wohl morgen noch?
Die Ärztin Irene Caspar Frey, 53, leitet die Poliklinik für
Diagnostik,
Behandlung, Beratung (DBB) in Horgen. Sie berät und behandelt
Menschen,
die Probleme mit legalen oder illegalen Substanzen haben.
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MAURICE BAVAUD
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WoZ 13.11.08
Maurice Bavaud-Der Bundesrat hat den Hitler-Attentäter Bavaud in
einer
Erklärung rehabilitiert. Es genügen ihm dazu sieben
Sätze.
Die Schweiz war feige
Von Ralph Hug
"In memoriam Maurice Bavaud" ist die Erklärung betitelt, die
Bundespräsident Pascal Couchepin am 9. November abgab. Genau an
diesem
Tag vor siebzig Jahren, unmittelbar vor der Reichskristallnacht
und
dem Auftakt zur Judenvernichtung, versuchte der 22-jährige
Neuenburger
Theologiestudent Bavaud, in München vor der Feldherrenhalle Adolf
Hitler mit einem Pistolenschuss zu töten. Das Attentat misslang.
Bavaud
wurde gefasst, der Volksgerichtshof verurteilte ihn zum Tod. Er starb
am 14. Mai 1941 in Berlin-Plötzensee unter dem Schafott. Bavaud
habe
wohl das Verhängnis, das Hitler über die ganze Welt brachte,
vorausgeahnt: "Damit verdient er unsere Erinnerung und Anerkennung",
heisst es in der knappen bundesrätlichen Erklärung. Zustande
kam sie
aufgrund einer Motion von SP-Nationalrat Paul Rechsteiner, der ein
Anliegen des Comité Maurice Bavaud aufnahm.
Der zweite Anlauf
Schon 1998 hatte sich der Bundesrat auf eine Anfrage von Rechsteiner
mit Bavaud befasst. Er führte damals aus, Bavaud habe
"möglicherweise"
das Verhängnis von Hitler vorausgeahnt. Daher verdiene er
Anerkennung
und einen Platz in unserem Gedächtnis. Auch räumte er Fehler
der
Behörden ein, insbesondere der Schweizer Gesandtschaft in Berlin
unter
Hans Frölicher. Es habe Versäumnisse gegeben, man habe die
Verantwortung nur unzureichend wahrgenommen. In Couchepins
Erklärung
wird dieses Eingeständnis wiederholt und präzisiert: "Aus
heutiger
Sicht hatten sich die Schweizer Behörden damals zu wenig für
den
Verurteilten eingesetzt und sahen von einer Intervention
gegenüber den
deutschen Behörden ab."
Es ist offenkundig, dass sich der Bundesrat im Fall des
Hitler-Attentäters immer noch nicht zu einer klaren Sprache
durchringen
kann. Dies hatten Niklaus Meienberg, Villi Hermann und Hans Stürm
in
ihrem Dokumentarfilm "Es ist kalt in Brandenburg (Hitler töten)"
aus
dem Jahr 1980 getan. Sie kritisierten den Nazi-freundlichen Gesandten
Frölicher und dessen Parteinahme für die braunen Machthaber.
Frölicher
hielt Bavauds Attentat für "verabscheuungswürdig" und sah
sich nicht
veranlasst, sich für den Inhaftierten besonders einzusetzen. Er
mochte
ihn nicht einmal in der Todeszelle besuchen. Frölichers Ungeist
ist
aber kein Einzelfall. Im Politischen Departement, wo er vorher in der
Abteilung für Auswärtiges tätig gewesen war, herrschte
dieselbe
elitär-anpasserische Haltung. Und zwar bis ganz nach oben zum Chef
Giuseppe Motta. Der katholisch-konservative Aussenminister bewunderte
den italienischen Diktator Mussolini und pries öffentlich dessen
"erhabene Willenskraft". Wegen Motta und Frölicher war die
Schweiz
eines der ersten Länder, die den Putschisten Franco noch vor Ende
des
Spanischen Bürgerkriegs anerkannten.
Meienbergs Verdienst
Dank Meienbergs Recherchen kam ans Licht, dass Bavaud aus der
Todeszelle hätte gerettet werden können, wenn der politische
Wille dazu
vorhanden gewesen wäre. Denn es stand die Möglichkeit eines
Austausches
von Schweizer Gefangenen gegen deutsche Saboteure im Raum, die in der
Schweiz im Gefängnis sassen. Doch Bern lehnte aus Gründen der
Staatsraison ab. Die Schweiz wollte sich vor den Nazis nicht mit dem
Engagement für einen Attentäter kompromittieren, der in
Hitler eine
"Gefahr für die Menschheit, für die Unabhängigkeit der
Schweiz und für
die christlichen Kirchen in Deutschland" sah. Man tat also nicht nur
"zu wenig" für Bavaud. Man liess ihn ganz einfach in der
Todeszelle
sitzen, und Bavauds Eltern wurden systematisch über ihren Sohn im
Ungewissen gelassen. Ein Gnadengesuch wurde nie gestellt. Villi Hermann
glaubt, den Grund dafür zu kennen: "Wäre er aus einer noblen
Familie
gekommen, wäre er ausgetauscht worden. Doch Bavaud war halt nur
ein
Pöstlersohn", sagt er zur WOZ.
Immerhin ist Bundespräsident Couchepin im Westschweizer
Fernsehen
etwas deutlicher geworden als in der schriftlichen Erklärung.
Befragt
zu Bavaud und dem Verhalten der Behörden, sprach er von
"lâcheté"
(Feigheit). Bavauds Nachkommen sind mit der Erklärung nicht
zufrieden.
Sie haben eine klare Entschuldigung für das damalige Versagen des
Staates erwartet. Und auch dafür, dass die Bundespolizei, wie die
WOZ
1998 enthüllte, sogar im Auftrag der Gestapo in der Schweiz gegen
Bavaud ermittelt und verleumderische Angaben über ihn gemacht
hatte.
Für den Theologen Peter Spinatsch vom Comité Bavaud hat die
Erklärung
zwei Seiten. Einerseits suggeriere sie ein falsches Bild von Bavaud,
denn dieser sei ein Analytiker gewesen und habe das Verhängnis
nicht
bloss "vorausgeahnt", sondern klar erkannt. Und es sei auch
verharmlosend, von einem mangelhaften Einsatz der Behörden zu
sprechen,
wenn man kaum etwas zu seiner Rettung getan habe.
Anderseits wertet es Spinatsch positiv, dass Bavaud als ein rational
und aus triftigen Gründen Handelnder dargestellt wird: "So wird er
als
Attentäter rehabilitiert." Dies sei wichtig in Abgrenzung zu der
These,
dass Bavaud von einem wirren Studienkollegen abhängig gewesen und
von
diesem zum Attentat auf den Führer angestiftet worden sei. Diese
Auffassung vertritt Klaus Urner, ehemaliger Leiter des Archivs für
Zeitgeschichte an der ETH, in seinem Bavaud-Buch "Der Schweizer
Hitler-Attentäter" (1980). Das Comité Bavaud will Bavaud
als
Symbolgestalt der helvetischen Freiheitsgeschichte im Gedächtnis
der
Schweiz verankern. Dazu fehlt aber noch einiges. Zu Ehren eines anderen
frühen Hitler-Attentäters wurde soeben in Berlin ein Denkmal
enthüllt:
Der Schreiner Georg Elser versuchte 1939 im Münchner
Bürgerbräukeller
Hitler durch eine Bombe zu töten. Der Versuch scheiterte, Elser
wurde
im KZ Dachau erschossen. Noch gibt es für Bavaud in der Schweiz
kein
Denkmal.
www.maurice-bavaud.ch
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ANTI-ATOM
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WoZ 13.11.08
Atommüll-Seit letzter Woche weiss die Schweiz, in welchen Regionen
ein
Endlager gebaut werden könnte. Der Anfang einer völlig neuen
Bewegung.
Es geht los: Zehn Jahre Zoff
Von Susan Boos (Text) und Florian Bachmann (Fotos)
Der Mann sieht nicht aus, als sei er es gewohnt, zornig zu sein. Seine
Stimme bebt leicht, als er sagt, sie hätten genug. Es reiche,
wirklich!
Er kommt aus Stadel, einer Zürcher Landgemeinde westlich von
Bülach,
und amtet als Vizegemeindepräsident.
Tags zuvor hat seine Gemeinde erfahren, dass auf ihrem Boden ein
Atomendlager gebaut werden könnte. Überrascht habe es sie,
sagt er,
dass die Nagra, die Nationale Genossenschaft für die Lagerung
radioaktiver Abfälle, auch ihre Gemeinde als möglichen
Standort
auserkoren habe. Sicher, man müsse einen Platz für den
Atommüll finden.
Sie hätten auch nichts gegen Kernkraftwerke, bestimmt nicht, aber
unabhängig davon: Stadel müsse schon genug ertragen mit dem
Verkehr,
den der Kiesabbau mit sich bringe, und dem Fluglärm.
Stadel liegt in der Anflugschneise nach Kloten. Im Zweiminutentakt
ziehen die Flieger übers Dorf. Das reicht, sagt der
Vizegemeindepräsident, sie würden sicher keine Steine werfen,
wie das
andere täten, aber ein Endlager, das würden sie nie hinnehmen!
Er ist wütend, wirklich wütend, wie noch einige, die sich an
diesem
Freitagmorgen in Bülachs Stadthalle versammelt haben. Die
Arbeitsgruppe
Tiefenlager im Zürcher Unterland, die AG TiZU, in der sich die
betroffenen Gemeinden organisiert haben, hat zu einer Medienkonferenz
eingeladen, um klar zu machen, dass sie nichts von den
Nagra-Plänen
hält.
Die leidige Geschichte der Nagra
Die Nagra hatte am Donnerstag letzter Woche zusammen mit dem Bundesamt
für Energie (BFE) die "möglichen geologischen Standortgebiete
für
Tiefenlager radioaktiver Abfälle" präsentiert. Sie stellten
eine bunt
gefleckte Karte vor. Drei grosse gelbe Flecken in den Kantonen Aargau
und Zürich (vgl. Karte) zeigen, wo der hochradioaktive Abfall
hinkommen
könnte. Die Standorte heissen Zürcher Weinland,
nördliche Lägern (das
die AG TiZU betrifft) und Bözberg. Einige grüne Flecken
deuten an, wo
sich ein Lager für mittel- und schwachaktiven Müll einrichten
liesse.
Einer dieser Flecken findet sich im südlichen Randen im Kanton
Schaffhausen, einer im Kanton Solothurn am Fusse des Juras und einer in
der Innerschweiz am Wellenberg.
Besonders dieser Flecken in Nidwalden schlägt ein wie eine
Kriegserklärung. Damit haben die NidwaldnerInnen nicht
gerechnet. Vor
über zwanzig Jahren hatte die Nagra in ihrem Kanton ein erstes
Sondiergesuch eingereicht. Damals war die Regierung dafür, weil
sie
hoffte, das Projekt würde Geld bringen. Doch die Bevölkerung
kämpfte
dagegen, erzwang das Mitspracherecht und mehrere Abstimmungen. Die
Bevölkerung sagte immer Nein zum Lager, das letzte Mal 2002.
Damals glaubten die NidwaldnerInnen, der Kampf sei ausgestanden.
Doch
jetzt ist der Wellenberg wieder auf der Liste. Aber diesmal könnte
es
wirklich ungemütlich werden. Denn inzwischen ist das neue
Kernenergiegesetz in Kraft, das zwar eine Volksabstimmung vorsieht -
doch wird die ganze Schweiz über das Endlager abstimmen und nicht
nur
die betroffene Region.
"Wir sind nicht blauäugig", sagte der Nidwaldner Regierungsrat Leo
Odermatt gegenüber der "Neuen Luzerner Zeitung": "Wenn es zu einer
Abstimmung kommt, ist es logisch, dass alle anderen Kantone dafür
sind.
Wer will den radioaktiven Abfall in seinem Kanton, wenn ein anderer Ort
zur Auswahl steht?"
Der Bund beeilte sich zu versichern, die Neuevaluation des Wellenbergs
finde "aufgrund rein geologischer Kriterien statt", es sei nicht
vorstellbar, dass dort einst Atommüll gelagert werde.
Die Nagra ihrerseits wird in den nächsten Wochen in die
grünen und
gelben Flecken reisen, um die Bevölkerung zu informieren. "Es ist
der
Nagra ein Anliegen, ein offener Gesprächspartner für alle
Interessierten zu sein. Unser Ziel ist, in rund zehn Jahren die
Standortwahl für die Tiefenlager im Einvernehmen mit den Regionen
abzuschliessen", sagt Thomas Ernst von der Nagra-Geschäftsleitung.
Das
heisst: zehn Jahre Zoff von Schaffhausen und Zürich über den
Aargau bis
hin nach Solothurn und der Innerschweiz.
Ob das die Nagra wollte? Aber was will sie schon?
Seit dreissig Jahren sucht sie einen geeigneten Platz, um den
Atommüll
loszuwerden. Seit dreissig Jahren sät sie Zorn und Widerstand,
weil sie
Gemeinden kaufte, weil sie unseriös arbeitete, weil niemand den
atomaren Dreck unterm eigenen Garten haben will. In ihrer ersten
Ausgabe im Oktober 1981 enthüllte die WOZ, wo die Nagra ihre
ersten
Sondierbohrungen zu machen gedachte. Unter anderem waren schon die
Gemeinden Leuggern, Riniken und Weiach dabei, die heute immer noch auf
der Karte als mögliche Standorte fungieren. Weiach war schon
damals
dagegen. Es kam zu deftigen Protesten, wie später auch im
Schaffhausischen, als die Nagra in Siblingen bohren wollte. Mancherorts
gingen die Bauern mit Mistgabeln auf die Nagra-Leute los. Nur in den
Gemeinden, die in der Nähe eines Atomkraftwerkes lagen, wurde die
Nagra
freundlicher empfangen. Selbst das hat sich inzwischen geändert,
doch
davon später.
Anfang der achtziger Jahre ging es noch um das "Projekt Gewähr":
Als
1979 das Atomkraftwerk Gösgen den Betrieb aufnahm, bestimmte das
Energiedepartement: Wenn die Nagra bis 1985 nicht in der Lage sei,
nachzuweisen, dass sie den Atommüll sicher entsorgen könne,
dürften
nicht nur "keine neuen Kernkraftwerke bewilligt, sondern müssten
auch
die bestehenden Werke abgestellt" werden. Die Nagra konnte die Auflage
nicht erfüllen - doch abgestellt wurden die AKWs deshalb nicht.
Erst vor drei Jahren befanden die Schweizer Atomaufsichtsbehörden,
die
Nagra habe den "Entsorgungsnachweis" erbracht. Die Nagra wollte
damals
das Hochaktivlager im Zürcher Weinland bauen. Doch das Weinland
wehrte
sich und forderte, man müsse Alternativstandorte evaluieren. Der
Bundesrat ging darauf ein und verlangte, die Nagra müsse eine neue
Auslegeordnung machen - und genau das ist nun vergangene Woche
geschehen.
Zürcher Regierung wehrt sich
In der Bülacher Stadthalle ist am Freitag auch Regierungsrat
Markus
Kägi aufgetreten. Der SVP-Mann sagte, "zum jetzigen
Zeitpunkt" sei die
Zürcher Regierung klar gegen ein Endlager auf Kantonsboden. Der
Kanton
habe mit dem Flughafen und dem Verkehr schon genug zu tragen. Er,
Kägi,
sei hier, um den betroffenen Gemeinden zu zeigen, dass sie sich auf die
Regierung verlassen könnten.
Am selben Morgen ist Regierungsrat Kägi mit demselben Referat auch
in
Benken aufgetreten. Benken ist nicht Bülach. Benken liegt mitten
im
Zürcher Weinland. Genau hier hat die Nagra vor zehn Jahren eine
Sondierbohrung vorgenommen, hier würde sie gerne das Lager
für
hochradioaktiven Atommüll bauen.
Zur Pressekonferenz im Benkemer Gemeindehaus hat das Forum
Opalinuston
eingeladen, dem die umliegenden Gemeinden angehören. Die Benkemer
Gemeindepräsidentin Verena Strasser führt durch die
Veranstaltung. Inge
Stutz, SVP-Kantonsrätin aus Marthalen, steht ihr bei. Beide
bemühen
sich, nichts Falsches zu sagen. Man sei froh, dass die Nagra jetzt auch
noch andere Standorte bezeichnet habe, damit sei eine wichtige
Forderung des Forums Opalinuston erfüllt worden. Nein, man wehre
sich
nicht grundsätzlich gegen ein Endlager. Ja, man werde sich am
bevorstehenden Prozess unvoreingenommen beteiligen. Ein
Gemeindevertreter sagt am Schluss laut und vernehmlich, wenn es sein
müsse, werde man halt in den sauren Apfel beissen und das Endlager
akzeptieren. Seine Kollegen, die daneben sitzen, nicken. In dieser
Runde ist niemand überrascht und niemand wütend. Die, die
nicht
einverstanden sind, waren nicht eingeladen.
Zum Beispiel Jean-Jacques Fasnacht, Arzt im Dorf und seit Jahren
engagiert im Kampf gegen das Endlager. Ein bisschen freut er sich
über
den neuen Schub in der Endlagerfrage. Endlich steht Benken nicht
mehr
allein. Der Nagra traut er nicht und den Behörden auch nicht, weil
sie
zu stark mit den AKW-Betreibern verbandelt sind. Unabhängige
ExpertInnen, die ein Endlagerprojekt beurteilen, gibt es nicht -
es
sei denn, die EndlagergegnerInnen engagieren sie. Aber es könne
doch
nicht Aufgabe der KritikerInnen sein, für die
Qualitätssicherung
aufzukommen, sagt Fasnacht. Deshalb müssten sie doch eigentlich -
wie
das zum Beispiel in Schweden der Fall ist - vom Staat oder den
AKW-Betreibern Mittel erhalten, um ihre eigenen ExpertInnen finanzieren
zu können, sagt Fasnacht. Wahrscheinlich, sinniert er, sei es ganz
gut,
dass jetzt so viele neue Gemeinden als mögliche Standorte
auserkoren
worden seien. Jetzt könne man den Widerstand vernetzen.
Widerstand von Gesetzes wegen
Und da kündigt sich tatsächlich eine völlig neue
Bewegung an:
Schaffhausen muss schon von Gesetzes wegen gegen jegliches Endlager
kämpfen: 1983 wurde in der Kantonsverfassung (gegen den Willen der
damaligen Regierung) verankert, dass sich die Regierung gegen ein
Atommülllager auf Kantonsgebiet zur Wehr setzen muss. Die
betroffenen
Solothurner Gemeinden haben ebenfalls umgehend verlauten lassen, man
sei einstimmig gegen ein Endlager (allein die SVP meinte, man
würde
gegen ein jährliches Entgelt von 100 Millionen Franken dem Lager
zustimmen). Sogar die Aargauer Regierung ist sauer, dass drei der
möglichen Standorte auf ihrem Kantonsgebiet liegen. Landammann
Peter C.
Beyeler (FDP) meinte verstimmt: Weil der Aargau schon heute im Bereich
von drei Kernkraftwerken liege, sei es nicht akzeptabel, dem
KKW-freundlichen Kanton jetzt auch noch ein Endlager unterjubeln zu
wollen. Auch hier versprach die Regierung, die Gemeinden in ihrem
Widerstand "voll zu unterstützen".
Was heisst ...?
≥ Schwach- und mittelradioaktiver Abfall (SMA): Dieser Abfall
fällt
vor allem beim Rückbau eines AKWs an. Er macht etwa neunzig
Prozent des
Volumens aus, strahlt aber nicht so stark.
≥ Hochradioaktiver Abfall (HAA): Dabei handelt es sich zum Beispiel um
gebrauchte Brennelemente. Sie strahlen massiv, sind hochgiftig und
weisen Halbwertszeiten von 24 000 und mehr Jahren (Plutonium) auf.
≥ Opalinuston: Das ist eine dicke Tonschicht, die vor 180 Millionen
Jahren als Meeressediment entstanden ist. Diese Schicht zieht sich
durchs Mittelland, gilt als geologisch relativ ruhig und
wasserundurchlässig, was für ein Endlager wichtig ist.
≥ Standorte für Hochaktivlager: Die Nagra favorisiert seit Jahren
das
Gebiet im Zürcher Weinland auf dem Gebiet der Gemeinden Benken,
Marthalen, Trullikon, sie hält aber auch den Bözberg AG
zwischen Brugg
und dem Fricktal für "sehr geeignet". Als weiteren möglichen
Standort
bezeichnet sie die nördlichen Lägern, das Gebiet nordwestlich
von
Bülach. An diesen Standorten könnte auch ein Kombilager
für HAA und SMA
gebaut werden.
≥ Standorte für Schwach- und Mittelaktivlager: Ursprünglich
wollte die
Nagra den mittel- und schwachaktiven Abfall im Wellenberg NW
unterbringen, scheiterte aber am Widerstand der Bevölkerung.
Mögliche
weitere Standorte für ein solches Lager befinden sich im Kanton
Solothurn am Jurasüdfuss und im Südranden in Schaffhausen.
Diese
Standorte eigenen sich nicht für ein HAA-Lager.
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KAPITAL & KRISE
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WoZ 13.11.08
Finanzkrise-Demos Warum sich die Wut bisher nicht auf der Strasse
entladen hat und wie konkrete Forderungen dennoch Tausende zur
Demonstration vom Samstag mobilisieren sollen.
Schimpfen allein ändert nichts
Von Dinu Gautier
Die Mobilisierungen anlässlich der Finanzkrise waren bisher ein
kleines
Desaster. Eine Woche nach dem 68-Milliarden-Deal zur Rettung der UBS
standen 500 Leute auf dem Paradeplatz in Zürich, so wenige, dass
sogar
die Trams noch fahren konnten. Eine Woche später in Bern
versammelten
sich 200 Seelen zu einer nicht nur temperaturmässig etwas
unterkühlten
Kundgebung. Nicht besser erging es autonomen Kreisen in Biel, wo vor
einer Woche gerade einmal 60 Personen die Abschaffung des Kapitalismus
forderten. Und in Basel, wo ein Ad-hoc-Komitee von Privatpersonen zu
"Donnerstagsdemos" aufgerufen hatte, liessen sich in den letzten drei
Wochen nie mehr als die paar Dutzend der "üblichen
Verdächtigen"
mobilisieren, weshalb das Komitee die Übung nun abgebrochen hat.
Schweizweit ist die Ernüchterung gross, und die OrganisatorInnen
der
verschiedenen Kundgebungen sind sich im Grundsatz einig, dass es
einerseits vielen Leuten (noch) an konkreter persönlicher
Betroffenheit
fehlt und dass andererseits ein grosser Nachholbedarf besteht, was
eigene Analysen und Forderungen betreffe.
"Wir sind etwas ratlos und bemalen Schilder mit unseren alten,
angestaubten Sprüchen", sagt etwa Mathias Stalder, der sich an der
libertären Mobilisierung in Biel beteiligt hat. "Und wir haben es
nicht
einmal geschafft, viele unserer eigenen Leute zu mobilisieren,
geschweige denn in die Breite zu gehen." Das käme nicht von
ungefähr,
man habe es in den letzten Jahren versäumt, an eigenen, konkreten
Inhalten zu arbeiten. Stattdessen sei man "überall hingerannt, wo
es
gerade gebrannt hat".
Selbstkritisch zeigt sich auch der Präsident der
JungsozialistInnen,
Cédric Wermuth: "Am Anfang haben wir uns auf die Forderung nach
der
Rückzahlung der Boni beschränkt und es dabei verpasst, die
Diskussion
auf Grundsätzlicheres auszuweiten." Immerhin habe die Juso als
Organisation profitiert, habe man doch zwischen siebzig und hundert
neue Mitglieder gewinnen können.
Auch Peter Sigerist vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) ist
sich bewusst, dass es für eine Bewegung mehr braucht "als
Schimpfen".
Zwar sei im Gespräch auf der Strasse, in den Leserbriefspalten und
in
Umfragen zu sehen, dass die Leute empört seien. "Gleichzeitig
herrscht
aber eine grosse Verunsicherung, was und ob man überhaupt etwas
verändern kann." Sigerist verweist auf die gut besuchte
Veranstaltung
des Denknetzes (vgl. Seite 10) als Beleg für einen hohen
Diskussions-
und Analysebedarf in der Linken. "Man muss jetzt neue Formen des
Sozialismus diskutieren, aber nicht einfach nur mit den alten
Ansätzen
und Begriffen." Doch vorerst versuchen die Gewerkschaften, die noch
immer vorhandene Empörung in der Bevölkerung an konkrete
Forderungen zu
knüpfen. So wird im Aufruf zur vom SGB lancierten Kundgebung vom
Samstag in Zürich (vgl. Seite 1) nicht wie bisher nur gegen
"Abzockerei" gewettert, sondern auch ein Impulsprogramm für die
Wirtschaft und ein Ja zur AHV-Initiative gefordert. "Was ist uns mehr
wert: der Finanzplatz oder eine hundertmal günstigere
Stärkung der
wichtigsten sozialen Säule in diesem Land?", fragt Sigerist. Trotz
der
bisherigen Mobilisierungsprobleme rechnet er mit einigen Tausend
TeilnehmerInnen. Und überhaupt wisse man ja in diesen
"überraschungsvollen, hektischen Zeiten nie, wann die Bereitschaft
zu
handeln - und nicht nur zu parlieren - plötzlich viele packt".
Roland
Sidler von der Unia Region Bern wiederum warnt: "Wenn die Linke nicht
mobilisiert, dann laufen wir Gefahr, von der Rechten überlaufen zu
werden. Und dann wird es ganz ungemütlich in diesem Land".
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HOMOPHOBIE
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Beobachter 23/08 14.10.08
Homosexualität
Schweigen im Walde
Text: Oliver Demont
Bild: Matthias Willi
Im Cevi und lesbisch? In der Jungwacht und schwul? Schweizer
Jugendverbände tun sich schwer mit der Homosexualität. Wird
darüber
gesprochen, dann meist abfällig.
Er hatte sein Coming-out vor dem Sommerlager: Blauringleiter David S.
David S. (Name der Redaktion bekannt) ist homosexuell und leitet eine
Jungwacht- und Blauringgruppe im Kanton Aargau. Zwei Wochen vor dem
diesjährigen Sommerlager spricht er in der Leiterrunde Klartext.
Es ist
Mittwochabend, die Sitzung zu Ende, David nervös. Er kündigt
an, dass
er noch etwas sagen möchte. Ein Mitleiter scherzt: "Jetzt kommt
sicher,
dass er schwul ist." Es kommt. Stille, dann Kommentare wie: "Hey, das
ist doch kein Problem!" Der 21-Jährige fühlt sich erleichtert.
Nicht immer reagieren die Leiterinnen und Leiter jedoch so offen und
locker wie bei David. Die 17-jährige Jasmin Fausch leitete zwei
Jahre
lang eine Blauringschar im Kanton St. Gallen. Als sie und ihre Freundin
von ihren Mitleiterinnen zusammen im Dorf gesehen werden, beginnt das
Mobbing. "Sie tratschten herum, dass ich lesbisch sei, zerrissen sich
hinter meinem Rücken die Mäuler und ignorierten mich.
Irgendwann wurden
mir die Spannungen im Leitungsteam zu viel." Jasmin schmiss den Bettel
hin und beendete ihr freiwilliges Engagement als Leiterin.
David gehört - Jasmin gehörte - zu den 93'000 Jugendlichen
und Kindern
in der Schweiz, die ihre Freizeit in einem der drei grossen
Jugendverbände Pfadi, Cevi und Blauring-Jungwacht verbringen.
Jugendverband, das heisst, mit Schlafsack und Zelt ins Sommerlager zu
reisen, an verregneten Samstagen heisse Spuren im Wald zu verfolgen und
anschliessend Cervelats über dem Feuer zu bräteln. Aber nicht
nur: In
den Jugendverbänden übernehmen Heranwachsende als Leiterinnen
und
Leiter Verantwortung für die ihnen anvertrauten Kinder. Wer die
Jugendverbandskarriere bis zur Leitungsfunktion mitmacht, durchlebt
seine ganze Jugendzeit in den Verbänden.
Eine dichte Zeit, vom ersten Pickel bis zum ersten Sex. Das sexuelle
Frühlingserwachen fordert die Heranwachsenden - und einige von
ihnen
erhalten mit ihrer Homosexualität noch eine knifflige
Zusatzaufgabe
gestellt. Das weiss auch Brigitte Röösli von der
Lesbenorganisation
Schweiz: "Junge Lesben und Schwule sind einem hohen psychischen Druck
ausgesetzt. Zu erkennen, dass man anders ist als die anderen, ist
schwierig, gerade in der Jugendzeit. Davon zeugt auch die Tatsache,
dass homosexuelle Jugendliche gemäss internationalen Studien vier-
bis
siebenmal häufiger Suizid begehen als ihre heterosexuellen
Altersgenossen." Rund zehn Prozent der Menschen sind homosexuell.
Hochgerechnet auf die Mitgliederzahl sind also rund 9000
Angehörige von
Pfadi, Cevi oder Blauring-Jungwacht lesbisch oder schwul. Eine
stattliche Minderheit.
Katholische Kirche: Kein Kommentar
Zwei Monate später. David erklärt, weshalb er vor
versammelter
Leiterrunde verkündete, dass er schwul ist. "So im Nachhinein ist
es
schon etwas komisch, dass ich mich vor den anderen Leitern für
meine
Sexualität erklärte. Ein heterosexueller Leiter tut das ja
auch nicht.
Aber ich mochte meinen Freund nicht mehr länger verstecken, auch
wenn
mir das Coming-out vor dem Leitungsteam schwerfiel." David wünscht
sich, dass die Verbandsspitzen das Thema in der Leiterausbildung
aufgreifen. Und er glaubt, dass in den Jugendverbänden die
Sensibilität
für die schwierige Situation vieler homosexueller Jugendlicher
fehlt.
Daniel Ritter, Mitglied der Geschäftsleitung von Blauring und
Jungwacht, gibt zu: "Bei uns ist das kein vordringliches Thema. Und es
wird auch nicht explizit in der Leiterausbildung erwähnt."
Ähnlich
klingt es bei den Pfadis: "Homosexualität wird in den
Ausbildungsunterlagen der Leitenden nicht spezifisch thematisiert",
sagt Andrea Adam, Kommunikationsverantwortliche der Pfadibewegung
Schweiz. Wer die sonst fortschrittliche Auseinandersetzung der
Jugendverbände mit Jugendfragen kennt, ist überrascht, dass
zu
sexueller Identitätsfindung keine qualifizierten Aussagen gemacht
werden. Warum schweigen die Jugendverbände zum Thema
Homosexualität
konsequent?
Sexualpädagoge Lukas Geiser von "Lust und Frust", einer
gemeinsamen
Fachstelle für Sexualpädagogik der Schulgesundheitsdienste
der Stadt
Zürich und der Zürcher Aids-Hilfe: "Ich finde es wichtig,
dass sich die
Verbandsspitzen in den Leitbildern und in der Ausbildung mit dem Thema
Sexualität auseinandersetzen. Sexualität allgemein ist nach
wie vor ein
heisses Thema, so auch Homosexualität. Die Jugendverbände
sollten sich
dessen annehmen und Homosexualität als eine akzeptierte Lebensform
anerkennen." Solch ein öffentliches Bekenntnis durch die
Verbandsspitzen sei auch für junge Lesben, Schwule und Bisexuelle
wichtig, die dadurch in ihrer Identität gestärkt würden.
Geiser ist
sich sicher, dass "mit einer solchen Positionierung auch den anderen
Jugendlichen klar signalisiert würde, dass Diskriminierung
aufgrund der
sexuellen Ausrichtung im Jugendverband nicht toleriert wird".
Daniel Ritter von Blauring und Jungwacht teilt Geisers Ansicht: "Wir
sollten das Thema Sexualität konkretisieren." Ritter selbst
hätte keine
Mühe, wenn sich sein Jugendverband positiv zu homosexuellen
Lebensformen äussern würde. Was das für die Zukunft
konkret bedeutet,
bleibt dennoch ungewiss - denn Blauring und Jungwacht haben die
katholische Kirche im Rücken, die die homosexuelle Lebensform
ablehnt.
Es besteht eine finanzielle Abhängigkeit von der Kirche, die
Blauring
und Jungwacht mit namhaften Beträgen unterstützt.
Müssten die Verbände fürchten, dass diese Geldquelle
rasch versiegt,
wenn sie sich in Sachen Homosexualität aus dem Fenster lehnen? Auf
Anfrage liess Pater Roland-Bernhard Trauffer vom Gremium der
Deutschschweizer Bischöfe ausrichten, dass man sich nicht zu solch
hypothetischen Fragen äussere. Sprich: Die Kirche bleibt im Dorf,
solange die beiden katholischen Jugendverbände sich nicht
öffentlich
zur Akzeptanz homosexueller Lebensform bekennen.
Immer wieder Vorurteile
Dass sich besonders Jugendverbände mit kirchlichem Hintergrund mit
Lesben und Schwulen in ihren Reihen schwertun, zeigt sich auch im
Verein christlicher junger Frauen und Männer, kurz Cevi. Vertreter
evangelikaler Cevi-Gruppen äusserten im November 2003 an einer
Tagung
der Cevi-Region Bern zum Thema "Christ sein und Homosexualität"
die
Ansicht, Homosexualität sei widernatürlich, die
gleichgeschlechtliche
Liebe lasse sich nicht mit der Bibel - und somit mit dem Christsein -
vereinbaren.
Diese Haltung gegenüber Homosexuellen im Cevi erfuhr die
29-jährige
Gina Gasser am eigenen Leib. Sie und ihre heutige Freundin lernten sich
in einem Ausbildungskurs im Cevi kennen. "Wir standen offen zu unserer
Liebe und verheimlichten sie nicht", sagt sie. Der Abteilungsleiter
intervenierte und führte neben religiösen Ansichten ins Feld,
dass die
Eltern negativ reagieren könnten, wenn ihre Kinder in der Obhut
einer
lesbischen Leiterin sind. Auch fürchtete er sich davor, dass
Zeitungen
darüber berichten könnten. "Seine Reaktion war wirklich
unterste
Schublade", erinnert sich Gina. Ihre Freundin zog die Konsequenzen und
trat aus der Cevi-Abteilung aus.
"Das ist echt ätzend"
Doch es gibt auch andere Ansichten im Cevi. Die Gruppe Pink Cevi
beweist Courage und macht Schwule, Lesben und Bisexuelle im Verband
sichtbar. Daniel Senn leitet die Gruppe zusammen mit anderen und weiss
um die Brisanz des Themas: "Pink Cevi ist ein schwaches
Pflänzchen, auf
das immer wieder Kritik hagelt. Wir verstehen uns deshalb nicht als
Gruppe, die schrill für die Rechte von Lesben und Schwulen
kämpft,
sondern bieten hauptsächlich Beratung für Lesben und Schwule
im Cevi."
David S. und Jasmin Fausch sind froh, ihre Andersartigkeit nicht mehr
verstecken zu müssen. Dennoch: Vorurteile gegenüber Lesben
und Schwulen
halten sich hartnäckig. Am Ende des Gesprächs erwähnt
David, dass es
ihn trifft, wenn fälschlicherweise Homosexualität mit
Pädophilie
gleichgesetzt wird - was besonders im Zusammenhang mit seiner Funktion
als Leiter öfter vorkommt: "Das ist echt ätzend, aber leider
verbreitet." Und Jasmin erzählt, wie die anderen Leiterinnen
plötzlich
Angst hatten, dass "ich etwas von ihnen wolle. Das ist Quatsch." Es
sind genau solche Vorurteile und Sprüche, die es Jugendlichen
schwermachen, offen zu ihrer Homosexualität zu stehen. "Und ich
kenne
einige, die sich nicht getrauen, im Jugendverband offen dazu zu
stehen", sagt Gina.
Links zum Artikel:
Beratungsplattform rund um Homosexualität: www.rainbowline.ch
Seite für junge lesbische und bisexuelle Frauen: www.rainbowgirls.ch
Jugendberatung und Information: www.tschau.ch
Fachstelle für Sexualpädagogik: www.lustundfrust.ch
Homosexualität im Cevi: www.pinkcevi.ch
Lilli - eine Site für junge Frauen und Männer, die
Sexualität thematisiert und entsprechend Fragen beantwortet.
Artikel zum Thema:
Beobachter 3/07
Homosexualität: Und plötzlich ist mein Kumpel schwul
Beobachter 23/04
Homosexualität: Schwule Fussballer? Gibts nicht!
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GIPFEL-SOLI-NEWS 11.11.08
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- Bericht: Gerichtsprozess ASEM 2007 in Hamburg
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Mehr: http://gipfelsoli.org/Newsletter/5698.html