MEDIENSPIEGEL 13.11.08
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Programm
- Polizei: Kritik von Anti-Folter-Komitee
- PNOS-Affe: Auch Friso will auffallen
- SD: Anti-deutsche Hetze
- Sportgewalt: Referendum in LU
- Big Brother: Bilanz Euro 08
- Hanf: Teurer Hans Dampf in allen Gassen
- Leistungsdroge Kokain
- Maurice Bauvaud
- Anti-Atom: neue Bewegung
-  Kapital & Krise (auch beim Widerstand)
- Homophobie und Jugendverbände
- Gipfel-Soli-News 11.11.08

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REITSCHULE
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Nov 08: Beteiligt Euch an der Vorplatz-Präsenz!!!

PROGRAMM:

Do 13.11.08
20.30 Uhr - Tojo - Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus von label beiruth. Mit Ruth Schwegler und Paed Conca.
20.30 Uhr - Kino - UNCUT - Warme Filme am Donnerstag: LOVE MY LIFE - Koji Kawano, Japan 2006
20.00 Uhr - Frauenraum - BarOmeter - elektronische Leckerbissen zu lesbisch-schwulem Chillen mit DJ FRATZ, Janine, Sharone & DJ ELfERich

Fr 14.11.08
20.30 Uhr - Tojo - Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus von label beiruth. Mit Ruth Schwegler und Paed Conca.
20.30 Uhr - Frauenraum - Deseo de Tango
21.00 Uhr - Kino - Dogma und mehr: OPEN HEARTS - Susanne Bier, Dänemark 2002
22.00 Uhr - Dachstock - Kano (UK) Support: Greis (chlyklass/CH), DJ's Kermit & Blade > Hiphop & Grime

Sa 15.11.08     
20.30 Uhr - Tojo - Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus von label beiruth. Mit Ruth Schwegler und Paed Conca.
21.00 Uhr - Kino - Dogma und mehr: OPEN HEARTS - Susanne Bier, Dänemark 2002
22.00 Uhr - Dachstock - DJ Vadim (Ninja Tune/UK) & Paco Mendoza (Raggabund/Caramelo Criminal/ARG) feat. Caramelo Criminal & Elijah (CH) > Reggae/Hiphop/Latin


Infos: www.reitschule.ch

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POLIZEI & FOLTER
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20min.ch 13.11.08

Antifolterkomitee prangert die Schweiz an

Das Antifolterkomitee des Europarates hat Übergriffe von Polizisten in der Schweiz - vor allem in Genf - kritisiert. Die grosse Mehrheit der in der Schweiz inhaftierten Personen werde indessen korrekt behandelt.

Das geht aus dem Bericht hervor, den der Ausschuss am Donnerstag zu seinem letzten Besuch in der Schweiz im September/Oktober 2007 publizierte.

Der Bundesrat weist in einer Stellungnahme darauf hin, dass die hiesigen Behörden nach dem Besuch des Komitees bereits verschiedene Empfehlungen umgesetzt haben, um den Schutz der Personen in Polizeigefängnissen, Ausschaffungszentren, Strafanstalten und Erziehungsheimen zu verbessern.

Die Delegation des "Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe" hatte 2007 verschiedene Hafteinrichtungen in den Kantonen Aargau, Bern, Genf, Solothurn, Wallis und Zürich besucht.

Im Zentrum der Kritik steht die Genfer Polizei. "Wir sind über diese Befunde überrascht und besorgt. Derartige Beschwerden haben wir in der Schweiz noch nicht erlebt", sagte der belgische Delegationsleiter des Antifolterkomitees, Marc Nève.

In über zehn Fällen hätten Festgenommene über "Würgetechniken" geklagt, die angewendet würden, um im Mund versteckte oder gerade verschluckte Drogen freizulegen. Auch seien Personen in unerlaubter Weise mit Polizeihunden bedroht worden, obwohl sie bereits in Handschellen wehrlos am Boden lagen.

 Quelle: SDA/ATS

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PNOS
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20min.ch 13.11.08

Ricardo Lumengo als Affe verunglimpft

von Nina Jecker

Ein Oberländer Rechtsextremer beleidigt auf seiner Website Nationalrat Lumengo. Jetzt sollen die Richter einschreiten.

Nach heftigen Verbalat tacken gegen Miss Schweiz Whitney Toyloy gerät nun der dunkelhäutige Bieler Nationalrat Ricardo Lumengo in die Schuss linie der Partei national orientierter Schweizer (Pnos): Auf der neuen Website "Nationaler Beobachter Berner Oberland" nennt der Pnos-Oberland-Vorsitzende Mario Friso ihn den "bunten Parlamentarier" und "ignorant", weil er glaube, das Schweizer Volk vertreten zu können ohne hiesige Wurzeln zu haben.

Besonders übel: Auf dem Bild neben dem Text ist ein Affe mit einer Banane abgebildet - eine Anspielung auf die Bananenwurf-Attacke gegen Lumengo am 1. Mai.

"Das ist ein rassistischer Angriff", kommentiert Lumengo den Web-Eintrag. Der Politiker zählt nun auf die Behörden: "Ein solcher Verstoss gegen das Antirassismusgesetz muss von Amtes wegen geahndet werden." Wegen eines ähnlich beleidigenden Bildes im Blog der Freiheitspartei habe ein Gericht bereits ein Verfahren eröffnet - der Entscheid steht noch aus.

Friso: "Vor einer Anklage fürchte ich mich nicht. Es gibt schliesslich viele Interpretationsmöglichkeiten, wenn neben einem Bild ein Name steht."

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ANTI-DEUTSCHE
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20min.ch 13.11.08

Rechte schüren Hass gegen Deutsche

Von Lukas Mäder

Die rechten Parteien machen Arbeitsteilung: Während die Junge SVP gegen die "unkontrollierte Ost-Zuwanderung" aus Rumänien und Bulgarien argumentiert, nehmen sich die Schweizer Demokraten ein heikleres Thema vor: Sie wollen die starke Zuwanderung aus Deutschland zum Thema machen.

Die Deutschen in der Schweiz haben in letzter Zeit einen schweren Stand. Während das nördliche Nachbarland vor wenigen Jahren noch als hip galt, weht den deutschen Zuwanderern inzwischen ein eisiger Wind entgegen. Durch die Personenfreizügigkeit hat ihre Zahl stark zugenommen, woran viele Schweizer keine Freude haben — und dies auch unverblümt äussern.

Diese weitverbreitete latente Abneigung gegen die Deutschen wollen die Schweizer Demokraten (SD) nun politisch nutzen. "Wir werden die starke Zuwanderung von Deutschen in unserer Kampagne thematisieren", sagt SD-Präsident Bernhard Hess. Seine Partei fahre nur die soziale Schiene. Er wolle die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust, drohendes Lohndumping und importierte Arbeitslosigkeit ansprechen, so Hess gegenüber 20 Minuten Online.

Mit Ost-Bettler zum Sieg

Bernhard Hess spricht von strategischer Arbeitsteilung, obwohl sie nicht abgesprochen ist: Während die SD das heikle Thema der deutschen Zuwanderung bearbeiten, wird die Junge SVP (JSVP) sich stärker um die Erweiterung auf Rumänien und Bulgarien kümmern. Die Ost-Zuwanderung, die Mogelpackung und die drohende Arbeitslosigkeit nennt SVP-Nationalrat Lukas Reimann (SG) als Themen ihrer Kampagne, die die JSVP heute in Bern mit einer Medienkonferenz eröffnet hat.

Dabei spielt die JSVP auch die Karte der drohenden Rezession: "Angesichts des schwankenden Arbeitsmarktes und der drohenden Rezession muss die Schweiz jetzt einem wahrscheinlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit vorbeugen", sagte Reimann. Die unkontrollierte Zuwanderung sei der stärkste Faktor für Arbeitslosigkeit und horrende Sozialkosten. Die Partei setzt dieses Argument auch ins Bild: Die Plakatentwürfe zeigen Bettler und Obdachlose und nennen als Grund dafür die Ostzuwanderung.

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SPORT
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20min.ch 13.11.08

Gegen Gewalt an Sportveranstaltungen

Die Fan-Dachorganisation United Supporters Luzern (USL) hat das Referendum "Nein zu Polizeiwillkür" eingereicht.

Der Beitritt des Kantons Luzern zum Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt an Sportveranstaltungen kommt somit vors Volk. 3111 Unterschriften konnte die USL beim Amt für Gemeinden einreichen, wie einer Medienmitteilung der Fan-Dachorganisation vom Donnerstag zu entnehmen ist. Für das Zustandekommen des Referendums sind 3000 Unterschriften erforderlich.

Die USL ist der Meinung, dass das Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt an Sportveranstaltungen mit "erheblichen Mängeln" behaftet sei. Es lasse einschneidende Freiheitsbeschränkungen auf Vedacht zu, verankere polizeiliche Willkür auf Gesetzesebene und verstosse gegen übergeordnetes Bundesrecht, schreibt die USL.

 Quelle: SDA/ATS

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BIG BROTHER
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Bund 13.11.08

Die Krux mit der Technik

Polizeikorps der Euro-08-Austragungsstädte tauschen am Schweizer Polizei-Informatik-Kongress Erfahrungen aus

Anita Bachmann

Wie viel Technik darf es sein? In dieser Frage waren sich die Polizeikorps der Host-Citys der Euro 08 nicht einig. Grossereignisse sind nur dank technischer Hilfe zu bewältigen, bringen diese aber auch schneller zum Erliegen.

Als die orange Invasion während der Euro 08 am zweiten Spieltag in Bern ihren Höhepunkt fand, stürmten 150000 Fans in die Fanzonen, und die Bundesstadt drohte zu bersten. Wie sich der Bundesplatz füllte und beinahe überquillte, beobachtete auch die Kantonspolizei Bern - über eine Videokamera. Bevor die Situation eskalierte, konnte die Polizei deshalb noch rechtzeitig alle Notausgänge öffnen. Verantwortliche der Polizeikorps der Host-Citys Bern, Basel, Zürich und Genf trafen sich gestern am Schweizer Polizei-Informatik-Kongress in Zürich und tauschten ihre Erfahrungen vom Grosseinsatz aus.

Obwohl das Gesetz für die Videoüberwachung im öffentlichen Raum im Kanton Bern noch nicht in Kraft ist, war dies nicht der Grund für den spärlichen Einsatz von Kameras an der Euro 08 in Bern. "Die Videoüberwachung diente bloss zur Überwachung der Massen", erklärte Jürg Coray, Chef Information Kantonspolizei Bern. Die Stadtpolizei Zürich hingegen benutzte die Videokameras auch, um Einheiten zu koordinieren: Während des emotionsgeladenen Spiels Türkei gegen Kroatien zündete ein Fan in der Masse eine Fackel an. Anhand einer Videokamera wurde die Person geortet und eine Polizeieinheit in die Menschenmenge geführt, wo sie den ausfälligen Fan verhaftete. "Wäre die Lage eskaliert, hätte die Einsatzleitung darauf reagieren können", sagte Andreas Moschin von der Kantonspolizei Zürich.

Polizisten mit GPS-Sender

Neben Videokameras kamen auch andere moderne technische Mittel zum Einsatz: In Basel und Zürich waren viele Polizisten, Spotter oder Wasserwerfer mit einem Tacker ausgerüstet. Das ansteckbare Gerät ist mit einem GPS-Sender versehen, sodass die Einsatzleiter auf digitalen Karten jederzeit sehen konnten, wo sich wie viele Leute befinden und wohin sie sich bewegten. "Wir haben eine andere Führungsphilosophie", sagte Peter Giger, Chef Lage Euro 08 der Kantonspolizei Bern. Im Kanton Bern waren keine Tacker im Einsatz.

Doch auch die Kantonspolizei Bern schwört innovativer Technik keineswegs ab. Im Hotel Blaulicht - das Lagezentrum aller Blaulichtorganisationen in der Militärkaserne - wurde ein modernes Informatikzentrum mit Schnittstellen zur Hooligandatenbank, Drohnenbildern oder einer gemeinsamen Informationsplattform für alle Blaulichtorganisationen aufgebaut.

Keine technischen Spielereien

Dass die Technik aber gerade bei solchen Grossanlässen an Grenzen stösst, mussten die Polizeien schnell erfahren. In Basel waren am dritten Tag die Akkus der Tacker leer, weil sie ständig im Einsatz waren, und in Bern erlag die Informationsplattform bereits am ersten Tag der immensen Datenmenge. "Zum Glück hatten wir damit gerechnet und konnten auf ein erprobtes, einfacheres System zurückgreifen", sagte Giger. Er wünscht sich von den IT-Firmen künftig keine technischen Spielereien, sondern Instrumente, die alle verstehen und miliztauglich sind. "Technik ist ein Hilfsmittel, Polizeiarbeit findet nach wie vor auf der Strasse statt."

Kriminalistik-Zukunft

Kriminaltechnik "der neusten Generation" erarbeitet die Kantonspolizei Bern mit der IT-Firma EDS. Mit einem Kriminalanalyseinstrument sollen Daten über Verbrechen gesammelt und analysiert werden. Als Grundlage dient beispielsweise das normale Einbruchverhalten, gibt es Abweichungen von dieser Norm, kann die Polizei gezielt eingreifen. "Bei der Polizei werden grosse Mengen von Daten über Verbrechen gesammelt, nur passierte bisher damit meistens nichts", sagte Rico Galli, Fachbereichsleiter bei der Kantonspolizei Bern. Künftig sollen damit Falldaten geografisch als sogenannte Hotspots dargestellt werden. Zusammen mit den Verbrechensmuster könne aus den Daten statistisch vorausgesagt werden, was wo passieren wird. (ba)

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HANS DAMPF
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WoZ 13.11.08

Cannabis-Die Zeit der Hanfläden ist vorbei. Jetzt wird schlechte Qualität zu horrenden Preisen auf der Strasse ­verkauft - dort, wo auch die harten Drogen zu haben sind. Ein Augenschein in der Berner Szene.

Wer ist hier die Mafia?

Von Dinu Gautier

Die Berner Altstadt zur Jahrtausendwende: Hier schien, so heisst es, fast immer die Sonne. Und wenn sie das tat, sammelten sich Hunderte von Menschen auf der Münsterplattform, dem Park mit der Aussicht auf Aare und Alpen. Über dem Park schwebte eine Wolke von süsslich-herbem Duft, auf dem Rasen trommelten PerkussionistInnen und an den Parkeingängen wurde warnend gepfiffen, wenn die uniformierte Staatsmacht anmarschierte, um einigen Unglücklichen die Blüten abzunehmen, die diese kurz zuvor in aller Selbstverständlichkeit in einem von Dutzenden polizeilich geduldeten Hanfläden in Parknähe gekauft hatten.

Es war dies der Höhepunkt des Lais­ser-faire, der Versuch einer tolerieren­den Hanfpolitik. Läden zum Verkauf von "Hanfduftkissen" und "Badezusätzen" wurden zu der Zeit in weiten Teilen der Deutschschweiz gegründet. In Bern etwa existierten Ende 1996 erst drei Hanfläden, sechs Jahre später waren es laut Schätzungen des Regierungsstatthalters bereits gegen fünfzig Läden, die Cannabis verkauften. Sie trugen Namen wie Hemp it up, Evolu­tion oder Sweet Dreams, die einen waren spezialisiert auf Hanfblüten vom Feld (Outdoor-Gras), die anderen verkauften potenteres, von künstlichen Lampen genährtes Kraut (Indoor-Gras).

Nationalrat Alec von Graffenried (Grüne Freie Liste) war von 2000 bis 2007 Regierungsstatthalter von Bern. Von einer Romantisierung der Hanf­ladenszene hält er nichts: "Es gab plötz­lich Läden mit Tagesumsätzen von bis zu 30 000 Franken. Der Schutz der heissen Ware Hanf erforderte seitens der Händler immer weitergehende Vorkehrungen, bis hin zum Schusswaffeneinsatz und zur Schutzgelderpressung." Diese "Entwicklung in Richtung mafiöser Zustände" habe er damals aus Sicherheitsgründen nicht mehr tolerieren können.

Die goldenen Zeiten

Der dreissigjährige Michael Mosi­mann sitzt im FourTwenty, seinem La­­den in einem Kellergewölbe an der Kramgasse. Die "goldenen Berner Hanfzeiten" hat er erst zu ihrem Ende hin miterlebt. 2003 eröffnete er den Laden. Zu Beginn waren die Umsätze gut, Mosimann beschäftigte vier Angestellte. Er war auch Präsident der Berner Sek­tion der Hanfkoordination Schweiz.

Herrschten damals mafiöse Zustände in der Hanfladenszene? "Nein, ganz im Gegenteil!", sagt Mosimann, "wir haben uns zu der Zeit in einem Verein organisiert, zwölf, dreizehn Läden." Man habe Cannabis nur an Volljährige und nur an KundInnen mit Wohnsitz in der Schweiz verkauft, "um dem Drogentourismus entgegenzuwirken". Man habe mit der Drogenberatungsstelle Contact zusammengearbeitet und Verträge mit der Gewerkschaft GBI abgeschlossen ("keine Löhne unter 4000 Franken"). Natürlich seien die Umsätze hoch gewesen, es hätten aber auch viele Leute vom Geschäft gelebt, im Anbau, in der Verarbeitung der Blüten, bis hin zum Abpacken und im Verkauf. Die Gewinnmarge habe zu der Zeit etwa dreissig Prozent betragen.

Und waren die Ladenbesitzer bewaffnet, wie das Alec von Graffenried behauptet? "Ich glaube nicht, dass Ladenbesitzer Schusswaffen in ihren Läden gehabt haben." Bei ihm habe es auch heute noch Pfefferspray und einen Baseballschläger - "aber das hat auch der Antiquitätenhändler von gegen­über". Überhaupt sei es sehr ruhig gewesen in Bern. Es habe keine Überfälle auf Läden gegeben.

Auch Sämi (Name geändert) hat den Beginn des neuen Jahrtausends als Hanfhändler miterlebt. Der 31-Jährige hatte zwar keinen Laden, an Kund­Innen hat es ihm dennoch nie gefehlt. Ein guter Verkäufer muss er gewesen sein, bevor er im Jahre 2004 aufhörte mit seinem Geschäft. "Ich bot güns­tigere Preise, eine bessere Auswahl und höhere Qualität als die Hanfläden", sagt er nicht ohne Stolz. Gekauft habe er direkt vom Bauernhof.

Wie hat er die entsprechenden Kontakte geknüpft? "Wir gingen Felder suchen. Wurden wir fündig, läuteten wir bei den Bauern und stellten uns vor." Eingekauft habe er ein Kilo für 2500 bis 3000 Franken. Später habe er auch einmal ein eigenes Hanffeld angepflanzt, versteckt in einem Maisfeld. "Wir hielten uns an die strengen Demeter-Bio-Richtlinien. Wir setzten also nicht nur keinen Kunstdünger ein, sondern richteten uns auch nach den Mondphasen." Mit der Zeit habe er KundInnen aus halb Europa gehabt. Einem Franzosen habe er einmal sechs Kilo verkauft. Dieser habe gefragt, ob er auch mit Kokain oder Waffen zahlen könne. "Aber mit so was wollte ich überhaupt nichts zu tun haben", betont Sämi. Und auch ausgeraubt sei er worden, insgesamt dreimal. "Ich konnte natürlich nicht zur Polizei. Das ist das Problem: Erst durch die Illegalität entstehen mafiöse Verhaltensweisen." In Bern sei es aber insgesamt ruhig gewesen: "Der Kuchen war gross genug, alle konnten sich ein Stück davon abschneiden."

Jede Menge Chemie

Doch die Ära ging zu Ende. Schweizweit wurden Hanfläden dichtgemacht. Im Sommer 2002 beschloss auch Regierungsstatthalter Alec von Graffenried, die Läden zu schliessen. Das ging zwar nicht über Nacht, aber spätestens 2004 war der Handel in den Untergrund verschwunden. Zudem hatte das Bundesgericht den Bauern den Anbau von Hanf mit einem THC-Gehalt von über 0,3 Prozent bereits im Jahr 2000 untersagt (zum Vergleich: Hochgezüchtete Indoorsorten bringen es gerne mal auf 25 Prozent THC-Gehalt). Angesichts der nun drohenden Gefängnisstrafen gaben viele BäuerInnen den Anbau auf.

Dazu Sämi: "Heute wird mehr Indoor geraucht, häufig aus dem Ausland", und da stecke eine stattliche Menge Chemie drin. Auch abgesehen davon sei die Qualität heute häufig schlecht: "Ein gutes Gras braucht drei Monate Trocknungszeit." Doch wer im Untergrund züchte, der könne es sich gar nicht leisten, so lange auf der Ware sitzenzubleiben.

Auch Michael Mosimann ist heute noch sauer, wenn er an die Repressionswelle denkt. In seinem Laden nahm die Polizei 2004 eine Razzia vor, in der Folge musste er all seine Angestellten entlassen. "Wenn es von Graffenried darum ging, schwarze Schafe unter den Läden zu bekämpfen, dann hätte es ja keine generelle Ladenschliessung gebraucht", meint er.

"Was heute auf der Gasse abgeht, das ist mafiös", so Mosimann. Da würde nur noch zerriebenes Kraut angeboten, mitunter gestreckt, angereichert mit Quarzsand oder mit asbestartigen Fasern, die mit Haarlack ans Kraut geklebt würden. Und: "Früher gab es eine klare Trennung der Märkte." Heute seien an den Orten, wo Gras verkauft werde, auch harte Drogen erhältlich.

Das gilt es zu verifizieren. Hundert Meter vom Laden entfernt, auf der Münsterplattform: "Gras?", zischt jemand von einem Bänkchen. Für zwanzig Franken gibt es ein kleines Säckchen. "Hast du auch Kokain?" - "Nein, aber der andere dort drüben hat welches." Das Wägen des erstandenen Cannabis ergibt: Es sind 0,7 Gramm, der Grammpreis beträgt also über 28 Franken.

Zurück im FourTwenty bei Michael Mosimann: "Früher hat man in den Läden zwischen sechs und zwölf Franken für ein Gramm bezahlt, je nachdem, ob es sich um In- oder Outdoor handelte", sagt er, bevor er einen Krümel des Gassengrases prüfend in den Mund nimmt: "Immerhin ist das hier nicht schmeckbar gestreckt." In seinem Laden verkauft Mosimann heute vor allem Raucherartikel wie Papierchen oder Wasserpfeifen sowie Ausrüstungen für den Eigenanbau, also Lampen, Lüftungsanlagen und Dünger zur Pflanzenzucht.

Der 21-jährige Sven (Name geändert) ist einer, der selber Hanf anbaut. Dazu braucht es einiges an Infrastruktur: "Eine 600-Watt-Lampe reicht für einen Quadratmeter Anbaufläche. Dazu benötigst du viel Dünger, eine gute Lüftung und gute Nerven." Gerade Geruchs- und Lichtemissionen seien ein Problem, regelmässige Standortwechsel der Anlage seien als Vorsichtsmassnahme nötig. Ansonsten könne man nur hoffen, dass die Polizei nicht gerade kurz vor der Ernte vorbeischaue. "Die messen den THC-Gehalt deiner Pflanzen. Erwischen sie dich am Anfang eines Zyklus, so hast du Glück, denn die Pflänzchen enthalten in dieser Phase kaum THC." Ein Zyklus dauere etwa zweieinhalb Monate, wenn alles optimal verlaufe, so könne er in seiner Anlage bis zu drei Kilo ernten. Verkaufspreis: Zehn bis zwölf Franken pro Gramm. KundInnen? "Nur Leute, die ich kenne." Zurzeit verkaufe er aber fast nichts. "Es ist Herbst, da rauchen alle von ihrem Balkon-Eigenanbau. Wäre ich ein guter Kaufmann, so würde ich jetzt Outdoor-Gras kaufen und im Frühling weiterverkaufen."

Die Abstinenz-Ajatollahs

Gras bekommt heute also nur, wer sich auf die Gasse wagt oder entsprechende Beziehungen hat. Das habe auch aus Sicht der Suchtprävention Nachteile, sagt Fritz Brönnimann, der seit zwanzig Jahren für Contact arbeitet. Die Organisation hat sich einen Namen gemacht als Präventions- und Beratungsstelle in Drogenfragen. Fritz Brönnimann ist Regionalleiter von Contact Bern, jährlich berät sein Team zwischen 250 und 300 CannabiskonsumentInnen.

"Die heutige Suchtpolitik ist reaktio­närer geworden. Die Abstinenz-Ajatollahs à la Verein Eltern gegen Drogen spüren Aufwind, dabei ist unsere Gesellschaft ja generell weit entfernt von Enthaltsamkeit", so Brönnimann. Je­den­falls sei heute die Nachfrage nach Hanf etwa gleich hoch wie früher, die Repression habe kaum eine Abnahme des Konsums bewirken können. Die heutigen Vertriebskanäle seien von den Anbietern einfach diversifiziert worden. "Schlimm ist es, wenn junge Menschen Cannabis konsumieren, ohne über den Umgang damit informiert zu sein." Über die Hanfläden habe eine gewisse Möglichkeit bestanden, Präventionsbotschaften an Cannabiskonsument­Innen zu bringen. Ohne Läden sei der Zugang zu diesen Leuten hingegen nur erschwert möglich. "Grundsätzlich vertreten wir die Meinung, dass kein Drogenkonsum besser ist als Drogenkonsum. Wenn aber jemand Drogen konsumiert, dann muss er über die Wirkungen und Risiken informiert sein." Und solche gebe es zweifelsohne auch beim Cannabiskonsum, etwa die Gefahr von Psychosen, die bei kiffenden Jugendlichen, sofern eine Veranlagung dazu besteht, ausgelöst werden könnten, sagt der Suchtexperte.

Gibt es denn einen direkten Zusammenhang zwischen Hanfladenschliessung und der aktuell zu beobachtenden Kokainwelle? "Einen direkten Zusammenhang sehe ich nicht. Ich würde sagen, das sind verschiedene Konsumentenszenen." Allerdings bestehe schon die Gefahr der Vermischung von harten und weichen Drogen: "Ich spreche mit Sechzehnjährigen, die sagen, sie könnten leicht alle Arten von Drogen kaufen, wenn sie wollten."

Überhaupt entwickle sich der Kokainkonsum gerade zu einem riesigen Problem, sagt Brönnimann: "Es gab eine­ massive Zunahme in den letzten zwei Jahren." Schuld daran sei einerseits der Preiszerfall, heute koste eine Linie Kokain manchmal weniger als ein Joint, andererseits sei es auch eine Frage der gesellschaftlichen Dynamik: "Wir leben­ in einer sehr schnellen leistungs­orientierten Gesellschaft, wo Fitness und Coolness zählen; da passt Kokain als Droge dazu."

Und was hält Brönnimann von der Hanfinitiative (siehe Kasten), die Ende November zu Abstimmung kommt? "Eine Annahme würde uns schon vieles erleichtern, wir könnten Gefährdete besser erreichen, und der Schutz von Jugendlichen würde gewährleistet." Zudem seien dann die Herstellungsart, der Verkauf und der THC-Gehalt von Hanf kontrolliert und geregelt.

Und was meint derjenige, der den tolerierten Hanfhandel in Bern damals beendet hat? Alec von Graffenried: "Es ist nicht einzusehen, wieso wir mündigen, verantwortungsvollen Erwachsenen den Konsum weiter verbieten wollen." Was den Handel angehe, so solle dieser staatlich kontrolliert und in geregelte Bahnen gelenkt werden.

Einzig Indoor-Pflanzer Sven ist gegen die Initiative: "Die würde wohl mein Geschäft kaputt machen."

die hanfinitiative

Am 30. November kommt die Hanfinitiative zur Abstimmung. Sie will folgende Bestimmungen in der Verfassung festschreiben:

≥ 1. Der Konsum psychoaktiver Substanzen der Hanfpflanze sowie ihr Besitz und Erwerb für den Eigenbedarf sind straffrei.

≥ 2. Der Anbau von psychoaktivem Hanf für den Eigenbedarf ist straffrei.

≥ 3. Der Bund erlässt Vorschriften über Anbau, Herstellung, Ein- und Ausfuhr von sowie Handel mit psychoaktiven Substanzen der Hanfpflanze.

≥ 4. Der Bund stellt durch geeignete Massnahmen sicher, dass dem Jugendschutz angemessen Rechnung getragen wird. Werbung für psychoaktive Substanzen der Hanfpflanze sowie Werbung für den Umgang mit diesen Substanzen sind verboten.

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WoZ 13.11.08

DrogenAbstimmung Die Betäubungsmittelgesetz-Revision genügt nicht - nur ein Ja zur Hanf-Initiative bringt Bewegung in die Drogenpolitik.

Nüchtern betrachtet

Von Bettina Dyttrich

Die Forderungen sind nicht neu. Drogenfachleute wiederholen sie seit Jahren: Der Konsum von Betäubungsmitteln muss straffrei sein. Der Staat soll den Handel mit Cannabis regeln. Werbung für alle (auch legale) Drogen ist zu verbieten. Auch mit der Abstimmung vom 30. November erreichen wir diese Ziele nicht. Aber wir könnten ihnen ein Stück näher kommen.

Nur im Notfall Heroin

Die eine Vorlage, die Revision des Betäubungsmittelgesetzes, ist kaum umstritten. Nur die Mehrheit der SVP, rechte Kleinparteien und obskure Gruppierungen sind dagegen. Die Revision schreibt das Viersäulenprinzip (Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression) im Gesetz fest. Zur Therapie gehört die Heroinabgabe, die vielen Abhängigen das Leben gerettet hat. Nur rechte FanatikerInnen bestreiten das noch. Die Revision bringt auch (endlich!) die Zulassung von Hanf als Heilmittel und strafmildernde Umstände für DealerInnen, die selber drogenabhängig sind.

Das Gesetz schafft die rechtlichen Grundlagen für das, was bereits passiert. Weiter geht es allerdings nicht. Anbau, Herstellung, Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln bleiben strafbar. Die Hürden für die heroingestützte Behandlung bleiben hoch: "Der Bundesrat sorgt dafür, dass Heroin nur betäubungsmittelabhängigen Personen verschrieben wird, bei denen andere Behandlungsformen versagt haben oder deren Gesundheitszustand andere Behandlungsformen nicht zulässt." Heroin wird also weiterhin strenger gehandhabt als Methadon. Warum? Heroin ist ein natürliches Produkt aus Schlafmohn. Methadon ist synthetisch. Die Wirkung ist so nah verwandt, dass sich Heroinsucht mit Methadon behandeln lässt. Abhängig machen beide; der Methadonentzug wird sogar als noch unangenehmer beschrieben als der Heroinentzug. Einziger entscheidender Unterschied: Methadon verursacht kaum Euphorie, es "fährt nicht so gut ein". Und das spielt unausgesprochen bis heute eine Rolle: "Wenn die schon nicht aufhören wollen, soll es wenigstens keinen Spass machen." Zwingli lässt grüssen.

Die unterschiedliche Wirkung ist der Grund dafür, dass viele Heroinabhängige trotz Methadon weiter Heroin konsumieren. Ein seltsames System: Wenn die Süchtigen wiederholt bewiesen haben, dass sie nicht anders können, bekommen sie dann doch Heroin. Nur - einige sterben vorher. Mit sauberem Heroin würden sie wahrscheinlich noch leben.

Doping für den Alltag

"Die Befürchtung bleibt, dass eine ausgeweitete Drogenabgabe einen vorläufigen Endpunkt in der Drogenpolitik darstellen könnte", schrieb Patrick Walder 1994 in der WOZ. Er hatte recht. Mit dem Verschwinden der offenen Drogenszenen verlagerten sich die Suchtprobleme endgültig weg von der Strasse in die Clubs und Büros. Sie wurden privatisiert. Von der "Pharmakologisierung des Alltags" (wie es der deutsche Drogenexperte Günter Amendt nennt) sind inzwischen fast alle betroffen. Doch die Ausgrenzung geht weiter. Wogegen sich die Empörung richtet (kampftrinkende Jugendliche, RaucherInnen, "Dopingsünder"), scheint zufällig.

Paradox ist die Empörung immer: Die heutige Hochleistungsgesellschaft kann ohne Drogen - legale, illegale oder rezeptpflichtige - nicht funktionieren. Gleichzeitig bedrohen die Drogen dieses Funktionieren; der Grat zwischen Leis­tungssteigerung und Schädigung ist ­schmal. Drogen als Genuss- und Kultmittel gehören zu allen Kulturen der Welt. Ihr Konsum kann angenehm und sinnvoll sein, aber Selbstschädigung ist nichts Schönes, im Dienst des Kapitalismus schon gar nicht.

Einfache Reaktionsmuster sind deshalb fehl am Platz: Die zum Teil fragwürdigen Antirauchkampagnen machen das Rauchen nicht zu einer rebellischen linken Tätigkeit. Und wenn sich die SVP nach Jahren der Alkoholverharmlosung plötzlich über Botellones empört, sollte die (Stammtisch-)Linke nicht anfangen, ihrerseits Alkohol zu verharmlosen. Auch beim Hanf ist Verniedlichung falsch: Gerade weil er nicht harmlos ist, ist die Hanf-Initiative sinnvoll.

Die Annahme dieser Initiative, über die wir ebenfalls am 30. November abstimmen, würde einiges ändern: Kiffen wäre straffrei, der Bund würde das Angebot kontrollieren und den Jugendschutz regeln. Werbung für Cannabis wäre verboten. So weit war auch der Bundesrat schon einmal. Er schlug 2001 im Revisionsentwurf des Betäubungsmittelgesetzes genau dasselbe vor. Die Zeit schien reif. Dass das Verbot niemanden am Kiffen hinderte, war offensichtlich. Die linken Parteien, die FDP und die Mehrheit der CVP waren sich einig. Doch noch vor der Parlamentsdebatte kippte die Stimmung. Und so kam es, dass der Nationalrat im Sommer 2004 überraschend beschloss, auf die vorgeschlagene Revision gar nicht erst einzutreten.

Die Medien spielten bei diesem Stimmungsumschwung eine wichtige Rolle. "Widerstand gegen Cannabisfreigabe: Experten schlagen Alarm" titelte die "SonntagsZeitung". Auch international häuften sich die Skandalberichte. Dabei ging es fast immer um zwei Behauptungen; erstens: Der heutige Hanf ist viel stärker und gefährlicher als das harmlose Kraut aus der Hippiezeit. Zweitens: Der heutige Hanf löst Psychosen aus.

Die erste Behauptung hat einen wahren Kern. Weil der Freilandanbau praktisch unmöglich geworden war, stiegen PflanzerInnen auf Indoorplantagen um. Die hochgezüchteten, rund um die Uhr beleuchteten Pflanzen haben tatsächlich einen sehr hohen Gehalt des Wirkstoffs THC. Trotzdem gilt es zu relativieren: Früher war wohl das Kraut schwächer, dafür war viel mehr hochpotentes Haschisch, also Hanfharz, auf dem Markt, etwa der berühmte "Schwarze Afghan".

Die zweite Behauptung ist falsch. Es gehört zum Allgemeinwissen von Kiffer­Innen, dass Hanfkonsum unangenehm sein kann, wenn es einem schlecht geht. Und dass er für Menschen mit psychischen Problemen ein ernsthaftes Risiko darstellt. Aber dass Hanf gesunde, durchschnittlich belastbare Menschen plötzlich in die Schizophrenie stürze, ist Unsinn. Wenn dem so wäre, hätte die starke Zunahme des Hanfkonsums die Anzahl Schizophreniebetroffener spürbar ansteigen lassen.

Der Hanf vom Schwarzmarkt ist von sehr unterschiedlicher Qualität. Das liegt am Schwarzmarkt, nicht am Hanf. Bei einer Annahme der Hanf-Initiative wäre möglich, was beim Alkohol selbstverständlich ist: dass der THC-Anteil auf der Packung steht und der Staat einen Höchstanteil festlegt.

Vom Ständerat lernen

Die Hanf-Initiative wäre, wie die Revision des Betäubungsmittelgesetzes, eine Anpassung der Rechtslage an die Realität. Das sehen auch die FDP und die NZZ so, die für ein Ja plädieren. Der Bundesrat müsste die Initiative ebenfalls unterstützen, er hat sie ja sozusagen selber vorgeschlagen. Aber er will nicht: "Der Bundesrat vertritt die Meinung, der Umgang mit Cannabis solle nicht auf Verfassungsstufe, sondern im Betäubungsmittelgesetz geregelt werden." Dieses Argument ist richtig und doch absurd. Denn die Regelung scheitert immer wieder am Widerstand des Nationalrats.

Vernunft ist lernbar. Das zeigt der Ständerat - die drogenpolitisch vernünftigere Kammer, weil er näher am Alltag der Kantone dran ist. Am Alltag, wo sich zeigt, dass das Abstinenzdogma nicht funktioniert. Der Ständerat sagt einstimmig Ja zur Betäubungsmittel­gesetz-Revision. Nur bei der Hanf-Initiative hat ihn der Mut verlassen: Er verwarf sie ganz knapp mit 18 zu 19 Stimmen. Aber auch Mut ist lernbar.

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KOKAIN
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WoZ 13.11.08

Durch den Monat mit Irene Caspar Frey (Teil 2)

Warum Kokain?

Interview: Bettina Dyttrich

WOZ: Sie arbeiten schon seit fast fünfzehn Jahren im Suchtbereich. Was hat sich in dieser Zeit verändert?

Irene Caspar Frey: Die Zahl der He­roinkonsumenten hat klar abgenommen. Generell hat eine Verschiebung von den dämpfenden zu eher anregenden Substanzen stattgefunden, vor allem zu Kokain. Das hängt auch mit dem Preiszerfall zusammen: Vor fünfzehn Jahren kostete ein Gramm Kokain 700, 800 Franken, heute kostet es 50. Ausserdem konsumieren immer jüngere Menschen Cannabis. Aber Alkohol ist mit 300 000 Abhängigen weiterhin das verbreitetste Suchtmittel. Im Vergleich dazu ist Heroin ein verschwindendes Problem. Übrigens ist sauberes Heroin viel weniger schädlich als Alkohol.

Haben sich auch die Behandlungsmethoden verändert?

Ja. Ursprünglich war die Suchtbehandlung ja eine Domäne der Sozialarbeit. In den letzten zehn Jahren hat eine Medizinalisierung stattgefunden. Heute wissen wir, dass der grösste Teil der Menschen mit einer Suchtstörung noch zusätzliche psychische Störungen hat. Darum ist die psychiatrisch-psycho­therapeutische Behandlung ein wichtiger Aufgabenbereich unserer Klinik. Betrachtet man die Schicksale unserer Patienten, so zeigt sich, dass der Konsum häufig eine Überlebensstrategie darstellt - die aber leider neue Probleme verursacht.

Wie steht es um die körperliche Gesundheit?

Hier haben wir vor allem mit den Spätfolgen der früheren Drogenpolitik zu tun. Bis Ende der achtziger Jahre war die Spritzenabgabe verboten, und damals haben sich sehr viele mit Hepatitis und HIV angesteckt. Heute ist der Gesundheitszustand der Heroinab­hängigen viel besser. Als ich 1994 anfing, gehörte das Aufschneiden von Abszessen zur Tagesordnung. Dank einigermassen sauberen Konsumbedingungen kommt das heute fast nicht mehr vor.

Welche Probleme gibt es mit ­Kokain?

Kokain ist für den Körper sehr schädlich, führt zu Gefässverengungen und kann einen Herzinfarkt verursachen. Die körperliche Abhängigkeit ist nicht sehr stark, dafür ist die psychische enorm. Die Gier nach der Substanz kann sehr zerstörerisch sein.

Wie therapieren Sie das?

Es hat sich gezeigt, dass verhaltenstherapeutische Methoden hier sehr wirksam sind. Im Zentrum steht die Frage: Warum konsumiere ich? Welche Verhaltensstrategien kann ich lernen, um meine Konsummuster zu verändern?

Warum konsumieren die Leute denn?

Kokain wirkt leistungssteigernd, erhöht das Selbstwertgefühl, man fühlt sich grossartig, bis die Wirkung nachlässt und ein Stimmungstief folgt. Viele konsumieren am Morgen Kokain, um leistungsfähig zu sein für den Tag. Am Abend brauchen sie dann eine beruhigende Substanz, um wieder "runterzukommen". Es ist normal geworden, die Befindlichkeit mit psychoaktiven Substanzen zu regulieren. Der Konsum dient der Anpassung an unsere auf Leis­tung getrimmte Gesellschaft.

Was machen Sie denn, wenn jemand sagt: Ich nehme Kokain, um den Berufsstress auszuhalten?

Wir schauen genau an, wo der Stress herkommt und wie er sich abbauen liesse. Es ist ja selten der Beruf allein, der die Leute überfordert. Wir suchen Strategien, um den Alltag anders anzugehen.

Vielleicht sollte die Person einfach einen weniger stressigen Job suchen?

Das war bisher noch nie nötig. Es gab immer andere Möglichkeiten.

Ihre eigene Arbeit ist sicher auch oft belastend. Trotzdem wirken Sie entspannt.

Ich denke, das ist ein professioneller Habitus, den man mit der Zeit bekommt. Als ich mit der Arbeit im Suchtbereich anfing, ging sie mir sehr nahe und beschäftigte mich auch in der Freizeit. Darum ist Supervision in Berufen, in denen man mit Menschen mit schwierigen Schicksalen zu tun hat, so wichtig. Mit der Zeit lernt man eine gute Mischung aus Nähe und Distanz. Der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung ist wichtig für eine erfolgreiche Behandlung. Das gilt es auch auszuhalten, denn ohne Nähe ist meines Erachtens keine Therapie möglich. In der Therapie geht es nicht um Mitleid, aber um ein Mitfühlen. Es braucht die Fähigkeit, sich ein Stück weit in die Situation der Patienten zu versetzen.

Das tönt nach einer Gratwanderung.

Ich hatte auch schon schlaflose Nächte. Ich kann ja nicht jedes Mal, wenn es jemandem schlecht geht und er sich selbst gefährden könnte, einen Fürsorgerischen Freiheitsentzug anordnen. Dann gehe ich nach Hause und frage mich: Lebt er wohl morgen noch?

Die Ärztin Irene Caspar Frey, 53, leitet die Poliklinik für Diagnostik, Behandlung, Beratung (DBB) in Horgen. Sie berät und behandelt Menschen, die Probleme mit legalen oder illegalen Substanzen haben.

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MAURICE BAVAUD
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WoZ 13.11.08

Maurice Bavaud-Der Bundesrat hat den Hitler-Attentäter Bavaud in einer Erklärung rehabilitiert. Es genügen ihm dazu sieben Sätze.

Die Schweiz war feige

Von Ralph Hug

"In memoriam Maurice Bavaud" ist die Erklärung betitelt, die Bundespräsident Pascal Couchepin am 9. November abgab. Genau an diesem Tag vor siebzig Jahren, unmittelbar vor der Reichskris­tallnacht und dem Auftakt zur Judenvernichtung, versuchte der 22-jährige Neuenburger Theologiestudent Bavaud, in München vor der Feldherrenhalle Adolf Hitler mit einem Pistolenschuss zu töten. Das Attentat misslang. Bavaud wurde gefasst, der Volksgerichtshof verurteilte ihn zum Tod. Er starb am 14. Mai 1941 in Berlin-Plötzensee unter dem Schafott. Bavaud habe wohl das Verhängnis, das Hitler über die ganze Welt brachte, vorausgeahnt: "Damit verdient er unsere Erinnerung und Anerkennung", heisst es in der knappen bundesrätlichen Erklärung. Zustande kam sie aufgrund einer Motion von SP-Nationalrat Paul Rechsteiner, der ein Anliegen des Comité Maurice Bavaud aufnahm.

Der zweite Anlauf

Schon 1998 hatte sich der Bundesrat auf eine Anfrage von Rechsteiner mit Bavaud befasst. Er führte damals aus, Bavaud habe "möglicherweise" das Verhängnis von Hitler vorausgeahnt. Daher verdiene er Anerkennung und einen Platz in unserem Gedächtnis. Auch räumte er Fehler der Behörden ein, insbesondere der Schweizer Gesandtschaft in Berlin unter Hans Frölicher. Es habe Versäumnisse gegeben, man habe die Verantwortung nur unzureichend wahrgenommen. In Couchepins Erklärung wird dieses Eingeständnis wiederholt und präzisiert: "Aus heutiger Sicht hatten sich die Schweizer Behörden damals zu wenig für den Verurteilten eingesetzt und sahen von einer ­Intervention gegenüber den deutschen Behörden ab."

Es ist offenkundig, dass sich der Bundesrat im Fall des Hitler-Attentäters immer noch nicht zu einer klaren Sprache durchringen kann. Dies hatten Niklaus Meienberg, Villi Hermann und Hans Stürm in ihrem Dokumentarfilm "Es ist kalt in Brandenburg (Hitler töten)" aus dem Jahr 1980 getan. Sie kritisierten den Nazi-freundlichen Gesandten Frölicher und dessen Parteinahme für die braunen Machthaber. Frölicher hielt Bavauds Attentat für "verabscheuungswürdig" und sah sich nicht veranlasst, sich für den Inhaftierten besonders einzusetzen. Er mochte ihn nicht einmal in der Todeszelle besuchen. Frölichers Ungeist ist aber kein Einzelfall. Im Politischen Departement, wo er vorher in der Abteilung für Auswärtiges tätig gewesen war, herrschte dieselbe elitär-anpasserische Haltung. Und zwar bis ganz nach oben zum Chef Giuseppe Motta. Der katholisch-konservative Aussenminister bewunderte den italienischen Diktator Mussolini und pries öffentlich dessen "erhabene Willenskraft". Wegen ­Motta und Frölicher war die Schweiz eines der ersten Länder, die den Putschisten Franco noch vor Ende des Spanischen Bürgerkriegs anerkannten.

Meienbergs Verdienst

Dank Meienbergs Recherchen kam ans Licht, dass Bavaud aus der Todeszelle hätte gerettet werden können, wenn der politische Wille dazu vorhanden gewesen wäre. Denn es stand die Möglichkeit eines Austausches von Schweizer Gefangenen gegen deutsche Saboteure im Raum, die in der Schweiz im Gefängnis sassen. Doch Bern lehnte aus Gründen der Staatsraison ab. Die Schweiz wollte sich vor den Nazis nicht mit dem Engagement für einen Attentäter kompromittieren, der in Hitler eine "Gefahr für die Menschheit, für die Unabhängigkeit der Schweiz und für die christlichen Kirchen in Deutschland" sah. Man tat also nicht nur "zu wenig" für Bavaud. Man liess ihn ganz einfach in der Todeszelle sitzen, und Bavauds Eltern wurden systematisch über ihren Sohn im Ungewissen gelassen. Ein Gnadengesuch wurde nie gestellt. Villi Hermann glaubt, den Grund dafür zu kennen: "Wäre er aus einer noblen Familie gekommen, wäre er ausgetauscht worden. Doch Bavaud war halt nur ein Pöstlersohn", sagt er zur WOZ.

Immerhin ist Bundespräsident Couche­pin im Westschweizer Fernsehen etwas deutlicher geworden als in der schriftlichen Erklärung. Befragt zu Bavaud und dem Verhalten der Behörden, sprach er von "lâcheté" (Feigheit). Bavauds Nachkommen sind mit der Erklärung nicht zufrieden. Sie haben eine klare Entschuldigung für das damalige Versagen des Staates erwartet. Und auch dafür, dass die Bundespolizei, wie die WOZ 1998 enthüllte, sogar im Auftrag der Gestapo in der Schweiz gegen Bavaud ermittelt und verleumderische Angaben über ihn gemacht hatte. Für den Theologen Peter Spinatsch vom Comité Bavaud hat die Erklärung zwei Seiten. Einerseits suggeriere sie ein falsches Bild von Bavaud, denn dieser sei ein Analytiker gewesen und habe das Verhängnis nicht bloss "vorausgeahnt", sondern klar erkannt. Und es sei auch verharmlosend, von einem mangelhaften Einsatz der Behörden zu sprechen, wenn man kaum etwas zu seiner Rettung getan habe.

Anderseits wertet es Spinatsch positiv, dass Bavaud als ein rational und aus triftigen Gründen Handelnder dargestellt wird: "So wird er als Attentäter rehabilitiert." Dies sei wichtig in Abgrenzung zu der These, dass Bavaud von einem wirren Studienkollegen abhängig gewesen und von diesem zum Attentat auf den Führer angestiftet worden sei. Diese Auffassung vertritt Klaus Urner, ehemaliger Leiter des Archivs für Zeitgeschichte an der ETH, in seinem Bavaud-Buch "Der Schweizer Hitler-Attentäter" (1980). Das Comité Bavaud will Bavaud als Symbolgestalt der helvetischen Freiheitsgeschichte im Gedächtnis der Schweiz verankern. Dazu fehlt aber noch einiges. Zu Ehren eines anderen frühen Hitler-Attentäters wurde soeben in Berlin ein Denkmal enthüllt: Der Schreiner Georg Elser versuchte 1939 im Münchner Bürgerbräukeller Hitler durch eine Bombe zu töten. Der Versuch scheiterte, Elser wurde im KZ Dachau erschossen. Noch gibt es für Bavaud in der Schweiz kein Denkmal.

www.maurice-bavaud.ch

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ANTI-ATOM
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WoZ 13.11.08

Atommüll-Seit letzter Woche weiss die Schweiz, in welchen Regionen ein Endlager gebaut werden könnte. Der Anfang einer völlig neuen Bewegung.

Es geht los: Zehn Jahre Zoff

Von Susan Boos (Text) und Florian Bachmann (Fotos)

Der Mann sieht nicht aus, als sei er es gewohnt, zornig zu sein. Seine Stimme bebt leicht, als er sagt, sie hätten genug. Es reiche, wirklich! Er kommt aus Stadel, einer Zürcher Landgemeinde westlich von Bülach, und amtet als Vizegemeindepräsident.

Tags zuvor hat seine Gemeinde erfahren, dass auf ihrem Boden ein Atomendlager gebaut werden könnte. Überrascht habe es sie, sagt er, dass die Nagra, die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, auch ihre Gemeinde als möglichen Standort auserkoren habe. Sicher, man müsse einen Platz für den Atommüll finden. Sie hätten auch nichts gegen Kernkraftwerke, bestimmt nicht, aber unabhängig davon: Stadel müsse schon genug ertragen mit dem Verkehr, den der Kiesabbau mit sich bringe, und dem Fluglärm.

Stadel liegt in der Anflugschneise nach Kloten. Im Zweiminutentakt ziehen die Flieger übers Dorf. Das reicht, sagt der Vizegemeindepräsident, sie würden sicher keine Steine werfen, wie das andere täten, aber ein Endlager, das würden sie nie hinnehmen!

Er ist wütend, wirklich wütend, wie noch einige, die sich an diesem Freitagmorgen in Bülachs Stadthalle versammelt haben. Die Arbeitsgruppe Tiefenlager im Zürcher Unterland, die AG TiZU, in der sich die betroffenen Gemeinden organisiert haben, hat zu einer Medienkonferenz eingeladen, um klar zu machen, dass sie nichts von den Nagra-Plänen hält.

Die leidige Geschichte der Nagra

Die Nagra hatte am Donnerstag letzter Woche zusammen mit dem Bundesamt für Energie (BFE) die "möglichen geologischen Standortgebiete für Tiefenlager radioaktiver Abfälle" präsentiert. Sie stellten eine bunt gefleckte Karte vor. Drei grosse gelbe Flecken in den Kantonen Aargau und Zürich (vgl. Karte) zeigen, wo der hochradioaktive Abfall hinkommen könnte. Die Standorte heissen Zürcher Weinland, nördliche Lägern (das die AG TiZU betrifft) und Bözberg. Einige grüne Flecken deuten an, wo sich ein Lager für mittel- und schwachaktiven Müll einrichten liesse. Einer dieser Flecken findet sich im südlichen Randen im Kanton Schaffhausen, einer im Kanton Solothurn am Fusse des Juras und einer in der Innerschweiz am Wellenberg.

Besonders dieser Flecken in Nidwalden schlägt ein wie eine Kriegserklärung. Damit haben die Nidwaldner­Innen nicht gerechnet. Vor über zwanzig Jahren hatte die Nagra in ihrem Kanton ein erstes Sondiergesuch eingereicht. Damals war die Regierung dafür, weil sie hoffte, das Projekt würde Geld bringen. Doch die Bevölkerung kämpfte dagegen, erzwang das Mitspracherecht und mehrere Abstimmungen. Die Bevölkerung sagte immer Nein zum Lager, das letzte Mal 2002.

Damals glaubten die Nidwaldner­Innen, der Kampf sei ausgestanden. Doch jetzt ist der Wellenberg wieder auf der Liste. Aber diesmal könnte es wirklich ungemütlich werden. Denn inzwischen ist das neue Kernenergiegesetz in Kraft, das zwar eine Volksabstimmung vorsieht - doch wird die ganze Schweiz über das Endlager abstimmen und nicht nur die betroffene Region.

"Wir sind nicht blauäugig", sagte der Nidwaldner Regierungsrat Leo Odermatt gegenüber der "Neuen Luzerner Zeitung": "Wenn es zu einer Abstimmung kommt, ist es logisch, dass alle anderen Kantone dafür sind. Wer will den radioaktiven Abfall in seinem Kanton, wenn ein anderer Ort zur Auswahl steht?"

Der Bund beeilte sich zu versichern, die Neuevaluation des Wellenbergs finde "aufgrund rein geologischer Kriterien statt", es sei nicht vorstellbar, dass dort einst Atommüll gelagert werde.

Die Nagra ihrerseits wird in den nächsten Wochen in die grünen und gelben Flecken reisen, um die Bevölkerung zu informieren. "Es ist der Nagra ein Anliegen, ein offener Gesprächspartner für alle Interessierten zu sein. Unser Ziel ist, in rund zehn Jahren die Standortwahl für die Tiefenlager im Einvernehmen mit den Regionen abzuschliessen", sagt Thomas Ernst von der Nagra-Geschäftsleitung. Das heisst: zehn Jahre Zoff von Schaffhausen und Zürich über den Aargau bis hin nach Solothurn und der Innerschweiz.

Ob das die Nagra wollte? Aber was will sie schon?

Seit dreissig Jahren sucht sie einen geeigneten Platz, um den Atommüll loszuwerden. Seit dreissig Jahren sät sie Zorn und Widerstand, weil sie Gemeinden kaufte, weil sie unseriös arbeitete, weil niemand den atomaren Dreck unterm eigenen Garten haben will. In ihrer ersten Ausgabe im Oktober 1981 enthüllte die WOZ, wo die Nagra ihre ersten Sondierbohrungen zu machen gedachte. Unter anderem waren schon die Gemeinden Leuggern, Riniken und Weiach dabei, die heute immer noch auf der Karte als mögliche Standorte fungieren. Weiach war schon damals dagegen. Es kam zu deftigen Protesten, wie später auch im Schaffhausischen, als die Nagra in Siblingen bohren wollte. Mancherorts gingen die Bauern mit Mistgabeln auf die Nagra-Leute los. Nur in den Gemeinden, die in der Nähe eines Atomkraftwerkes lagen, wurde die Nagra freundlicher empfangen. Selbst das hat sich inzwischen geändert, doch davon später.

Anfang der achtziger Jahre ging es noch um das "Projekt Gewähr": Als 1979 das Atomkraftwerk Gösgen den Betrieb aufnahm, bestimmte das Ener­giedepartement: Wenn die Nagra bis 1985 nicht in der Lage sei, nachzuweisen, dass sie den Atommüll sicher entsorgen könne, dürften nicht nur "keine neuen Kernkraftwerke bewilligt, sondern müssten auch die bestehenden Werke abgestellt" werden. Die Nagra konnte die Auflage nicht erfüllen - doch abgestellt wurden die AKWs deshalb nicht.

Erst vor drei Jahren befanden die Schweizer Atomaufsichtsbehörden, die Nagra habe den ­"Entsorgungsnachweis" erbracht. Die Nagra wollte damals das Hochaktivlager im Zürcher Weinland bauen. Doch das Weinland wehrte sich und forderte, man müsse Alternativstandorte evaluieren. Der Bundesrat ging darauf ein und verlangte, die Nagra müsse eine neue Auslegeordnung machen - und genau das ist nun vergangene Woche geschehen.

Zürcher Regierung wehrt sich

In der Bülacher Stadthalle ist am Freitag auch Regierungsrat Markus ­Kägi aufgetreten. Der SVP-Mann sagte, "zum jetzigen Zeitpunkt" sei die Zürcher Regierung klar gegen ein Endlager auf Kantonsboden. Der Kanton habe mit dem Flughafen und dem Verkehr schon genug zu tragen. Er, Kägi, sei hier, um den betroffenen Gemeinden zu zeigen, dass sie sich auf die Regierung verlassen könnten.

Am selben Morgen ist Regierungsrat Kägi mit demselben Referat auch in Benken aufgetreten. Benken ist nicht Bülach. Benken liegt mitten im Zürcher Weinland. Genau hier hat die Nagra vor zehn Jahren eine Sondierbohrung vorgenommen, hier würde sie gerne das Lager für hochradioaktiven Atommüll bauen.

Zur Pressekonferenz im Benkemer Gemeindehaus hat das Forum Opalinus­ton eingeladen, dem die umliegenden Gemeinden angehören. Die Benkemer Gemeindepräsidentin Verena Strasser führt durch die Veranstaltung. Inge Stutz, SVP-Kantonsrätin aus Marthalen, steht ihr bei. Beide bemühen sich, nichts Falsches zu sagen. Man sei froh, dass die Nagra jetzt auch noch andere Standorte bezeichnet habe, damit sei eine wichtige Forderung des Forums Opalinuston erfüllt worden. Nein, man wehre sich nicht grundsätzlich gegen ein Endlager. Ja, man werde sich am bevorstehenden Prozess unvoreingenommen beteiligen. Ein Gemeindevertreter sagt am Schluss laut und vernehmlich, wenn es sein müsse, werde man halt in den sauren Apfel beissen und das Endlager akzeptieren. Seine Kollegen, die daneben sitzen, nicken. In dieser Runde ist niemand überrascht und niemand wütend. Die, die nicht einverstanden sind, waren nicht eingeladen.

Zum Beispiel Jean-Jacques Fasnacht, Arzt im Dorf und seit Jahren engagiert im Kampf gegen das Endlager. Ein bisschen freut er sich über den ­neuen Schub in der Endlagerfrage. Endlich steht Benken nicht mehr allein. Der Nagra traut er nicht und den Behörden auch nicht, weil sie zu stark mit den AKW-Betreibern verbandelt sind. Unabhängige ExpertInnen, die ein End­lagerprojekt beurteilen, gibt es nicht - es sei denn, die EndlagergegnerInnen engagieren sie. Aber es könne doch nicht Aufgabe der KritikerInnen sein, für die Qualitätssicherung aufzukommen, sagt Fasnacht. Deshalb müssten sie doch eigentlich - wie das zum Beispiel in Schweden der Fall ist - vom Staat oder den AKW-Betreibern Mittel erhalten, um ihre eigenen ExpertInnen finanzieren zu können, sagt Fasnacht. Wahrscheinlich, sinniert er, sei es ganz gut, dass jetzt so viele neue Gemeinden als mögliche Standorte auserkoren worden seien. Jetzt könne man den Widerstand vernetzen.

Widerstand von Gesetzes wegen

Und da kündigt sich tatsächlich eine völlig neue Bewegung an:

Schaffhausen muss schon von Gesetzes wegen gegen jegliches Endlager kämpfen: 1983 wurde in der Kantonsverfassung (gegen den Willen der damaligen Regierung) verankert, dass sich die Regierung gegen ein Atommülllager auf Kantonsgebiet zur Wehr setzen muss. Die betroffenen Solothurner Gemeinden haben ebenfalls umgehend verlauten lassen, man sei einstimmig gegen ein Endlager (allein die SVP meinte, man würde gegen ein jährliches Entgelt von 100 Millionen Franken dem Lager zustimmen). Sogar die Aargauer Regierung ist sauer, dass drei der möglichen Standorte auf ihrem Kantonsgebiet liegen. Landammann Peter C. Beyeler (FDP) meinte verstimmt: Weil der Aargau schon heute im Bereich von drei Kernkraftwerken liege, sei es nicht akzeptabel, dem KKW-freundlichen Kanton jetzt auch noch ein Endlager unterjubeln zu wollen. Auch hier versprach die Regierung, die Gemeinden in ihrem Widerstand "voll zu unterstützen".

Was heisst ...?

≥ Schwach- und mittelradio­aktiver Abfall (SMA): Dieser Abfall fällt vor allem beim Rückbau eines AKWs an. Er macht etwa neunzig Prozent des Volumens aus, strahlt aber nicht so stark.

≥ Hochradioaktiver Abfall (HAA): Dabei handelt es sich zum Beispiel um gebrauchte Brenn­elemente. Sie strahlen massiv, sind hochgiftig und weisen Halbwertszeiten von 24 000 und mehr Jahren (Plutonium) auf.

≥ Opalinuston: Das ist eine dicke Tonschicht, die vor 180 Millionen Jahren als Meeressediment entstan­den ist. Diese Schicht zieht sich durchs Mittelland, gilt als geologisch relativ ruhig und wasserundurchlässig, was für ein Endlager wichtig ist.

≥ Standorte für Hochaktivlager: Die Nagra favorisiert seit Jahren das Gebiet im Zürcher Weinland auf dem Gebiet der Gemeinden Benken, Marthalen, Trullikon, sie hält aber auch den Bözberg AG zwischen Brugg und dem Fricktal für "sehr geeignet". Als weiteren möglichen Standort bezeichnet sie die nördlichen Lägern, das Gebiet nordwestlich von Bülach. An diesen Standorten könnte auch ein Kombilager für HAA und SMA gebaut werden.

≥ Standorte für Schwach- und Mittelaktivlager: Ursprünglich wollte die Nagra den mittel- und schwachaktiven Abfall im Wellenberg NW unterbringen, scheiterte aber am Widerstand der Bevöl­kerung. Mögliche weitere Standorte für ein solches Lager befinden sich im Kanton Solothurn am Jurasüdfuss und im Südranden in Schaffhausen. Diese Standorte eigenen sich nicht für ein HAA-Lager.

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KAPITAL & KRISE
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WoZ 13.11.08

Finanzkrise-Demos Warum sich die Wut bisher nicht auf der Strasse entladen hat und wie konkrete Forderungen dennoch ­Tausende zur Demonstration vom Samstag mobilisieren sollen.

Schimpfen allein ändert nichts

Von Dinu Gautier

Die Mobilisierungen anlässlich der Finanzkrise waren bisher ein kleines Desaster. Eine Woche nach dem 68-Milliarden-Deal zur Rettung der UBS standen 500 Leute auf dem Paradeplatz in Zürich, so wenige, dass sogar die Trams noch fahren konnten. Eine Woche später in Bern versammelten sich 200 Seelen zu einer nicht nur temperaturmässig etwas unterkühlten Kundgebung. Nicht besser erging es autonomen Kreisen in Biel, wo vor einer Woche gerade einmal 60 Personen die Abschaffung des Kapitalismus forderten. Und in Basel, wo ein Ad-hoc-Komitee von Privatpersonen zu "Donnerstagsdemos" aufgerufen hatte, liessen sich in den letzten drei Wochen nie mehr als die paar Dutzend der "üblichen Verdächtigen" mobilisieren, weshalb das Komitee die Übung nun abgebrochen hat.

Schweizweit ist die Ernüchterung gross, und die OrganisatorInnen der verschiedenen Kundgebungen sind sich im Grundsatz einig, dass es einerseits vielen Leuten (noch) an konkreter persönlicher Betroffenheit fehlt und dass andererseits ein grosser Nachholbedarf besteht, was eigene Analysen und Forderungen betreffe.

"Wir sind etwas ratlos und bemalen Schilder mit unseren alten, angestaubten Sprüchen", sagt etwa Mathias Stalder, der sich an der libertären Mobilisierung in Biel beteiligt hat. "Und wir haben es nicht einmal geschafft, viele unserer eigenen Leute zu mobilisieren, geschweige denn in die Breite zu gehen." Das käme nicht von ungefähr, man habe es in den letzten Jahren versäumt, an eigenen, konkreten Inhalten zu arbeiten. Stattdessen sei man "überall hingerannt, wo es gerade gebrannt hat".

Selbstkritisch zeigt sich auch der Präsident der JungsozialistInnen, Cédric Wermuth: "Am Anfang haben wir uns auf die Forderung nach der Rückzahlung der Boni beschränkt und es dabei verpasst, die Diskussion auf Grundsätzlicheres auszuweiten." Immerhin habe die Juso als Organisation profitiert, habe man doch zwischen siebzig und hundert neue Mitglieder gewinnen können.

Auch Peter Sigerist vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) ist sich bewusst, dass es für eine Bewegung mehr braucht "als Schimpfen". Zwar sei im Gespräch auf der Strasse, in den Leserbriefspalten und in Umfragen zu sehen, dass die Leute empört seien. "Gleichzeitig herrscht aber eine grosse Verunsicherung, was und ob man überhaupt etwas verändern kann." Sigerist verweist auf die gut besuchte Veranstaltung des Denknetzes (vgl. Seite 10) als Beleg für einen hohen Diskussions- und Analysebedarf in der Linken. "Man muss jetzt neue Formen des Sozialismus diskutieren, aber nicht einfach nur mit den alten Ansätzen und Begriffen." Doch vorerst versuchen die Gewerkschaften, die noch immer vorhandene Empörung in der Bevölkerung an konkrete Forderungen zu knüpfen. So wird im Aufruf zur vom SGB lancierten Kundgebung vom Samstag in Zürich (vgl. Seite 1) nicht wie bisher nur gegen "Abzockerei" gewettert, sondern auch ein Impulsprogramm für die Wirtschaft und ein Ja zur AHV-Initiative gefordert. "Was ist uns mehr wert: der Finanzplatz oder eine hundertmal günstigere Stärkung der wichtigsten sozialen Säule in diesem Land?", fragt Sigerist. Trotz der bisherigen Mobilisierungsprobleme rechnet er mit einigen Tausend TeilnehmerInnen. Und überhaupt wisse man ja in diesen "überraschungsvollen, hektischen Zeiten nie, wann die Bereitschaft zu handeln - und nicht nur zu parlieren - plötzlich viele packt". Roland Sidler von der Unia Region Bern wiederum warnt: "Wenn die Linke nicht mobilisiert, dann laufen wir Gefahr, von der Rechten überlaufen zu werden. Und dann wird es ganz ungemütlich in diesem Land".

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HOMOPHOBIE
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Beobachter 23/08 14.10.08

Homosexualität

Schweigen im Walde

Text: Oliver Demont
Bild: Matthias Willi

Im Cevi und lesbisch? In der Jungwacht und schwul? Schweizer Jugendverbände tun sich schwer mit der Homosexualität. Wird darüber gesprochen, dann meist abfällig.

Er hatte sein Coming-out vor dem Sommerlager: Blauringleiter David S.
David S. (Name der Redaktion bekannt) ist homosexuell und leitet eine Jungwacht- und Blauringgruppe im Kanton Aargau. Zwei Wochen vor dem diesjährigen Sommerlager spricht er in der Leiterrunde Klartext. Es ist Mittwochabend, die Sitzung zu Ende, David nervös. Er kündigt an, dass er noch etwas sagen möchte. Ein Mitleiter scherzt: "Jetzt kommt sicher, dass er schwul ist." Es kommt. Stille, dann Kommentare wie: "Hey, das ist doch kein Problem!" Der 21-Jährige fühlt sich erleichtert.

Nicht immer reagieren die Leiterinnen und Leiter jedoch so offen und locker wie bei David. Die 17-jährige Jasmin Fausch leitete zwei Jahre lang eine Blauringschar im Kanton St. Gallen. Als sie und ihre Freundin von ihren Mitleiterinnen zusammen im Dorf gesehen werden, beginnt das Mobbing. "Sie tratschten herum, dass ich lesbisch sei, zerrissen sich hinter meinem Rücken die Mäuler und ignorierten mich. Irgendwann wurden mir die Spannungen im Leitungsteam zu viel." Jasmin schmiss den Bettel hin und beendete ihr freiwilliges Engagement als Leiterin.

David gehört - Jasmin gehörte - zu den 93'000 Jugendlichen und Kindern in der Schweiz, die ihre Freizeit in einem der drei grossen Jugendverbände Pfadi, Cevi und Blauring-Jungwacht verbringen. Jugendverband, das heisst, mit Schlafsack und Zelt ins Sommerlager zu reisen, an verregneten Samstagen heisse Spuren im Wald zu verfolgen und anschliessend Cervelats über dem Feuer zu bräteln. Aber nicht nur: In den Jugendverbänden übernehmen Heranwachsende als Leiterinnen und Leiter Verantwortung für die ihnen anvertrauten Kinder. Wer die Jugendverbandskarriere bis zur Leitungsfunktion mitmacht, durchlebt seine ganze Jugendzeit in den Verbänden.

Eine dichte Zeit, vom ersten Pickel bis zum ersten Sex. Das sexuelle Frühlingserwachen fordert die Heranwachsenden - und einige von ihnen erhalten mit ihrer Homosexualität noch eine knifflige Zusatzaufgabe gestellt. Das weiss auch Brigitte Röösli von der Lesbenorganisation Schweiz: "Junge Lesben und Schwule sind einem hohen psychischen Druck ausgesetzt. Zu erkennen, dass man anders ist als die anderen, ist schwierig, gerade in der Jugendzeit. Davon zeugt auch die Tatsache, dass homosexuelle Jugendliche gemäss internationalen Studien vier- bis siebenmal häufiger Suizid begehen als ihre heterosexuellen Altersgenossen." Rund zehn Prozent der Menschen sind homosexuell. Hochgerechnet auf die Mitgliederzahl sind also rund 9000 Angehörige von Pfadi, Cevi oder Blauring-Jungwacht lesbisch oder schwul. Eine stattliche Minderheit.

Katholische Kirche: Kein Kommentar

Zwei Monate später. David erklärt, weshalb er vor versammelter Leiterrunde verkündete, dass er schwul ist. "So im Nachhinein ist es schon etwas komisch, dass ich mich vor den anderen Leitern für meine Sexualität erklärte. Ein heterosexueller Leiter tut das ja auch nicht. Aber ich mochte meinen Freund nicht mehr länger verstecken, auch wenn mir das Coming-out vor dem Leitungsteam schwerfiel." David wünscht sich, dass die Verbandsspitzen das Thema in der Leiterausbildung aufgreifen. Und er glaubt, dass in den Jugendverbänden die Sensibilität für die schwierige Situation vieler homosexueller Jugendlicher fehlt.

Daniel Ritter, Mitglied der Geschäftsleitung von Blauring und Jungwacht, gibt zu: "Bei uns ist das kein vordringliches Thema. Und es wird auch nicht explizit in der Leiterausbildung erwähnt." Ähnlich klingt es bei den Pfadis: "Homosexualität wird in den Ausbildungsunterlagen der Leitenden nicht spezifisch thematisiert", sagt Andrea Adam, Kommunikationsverantwortliche der Pfadibewegung Schweiz. Wer die sonst fortschrittliche Auseinandersetzung der Jugendverbände mit Jugendfragen kennt, ist überrascht, dass zu sexueller Identitätsfindung keine qualifizierten Aussagen gemacht werden. Warum schweigen die Jugendverbände zum Thema Homosexualität konsequent?

Sexualpädagoge Lukas Geiser von "Lust und Frust", einer gemeinsamen Fachstelle für Sexualpädagogik der Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich und der Zürcher Aids-Hilfe: "Ich finde es wichtig, dass sich die Verbandsspitzen in den Leitbildern und in der Ausbildung mit dem Thema Sexualität auseinandersetzen. Sexualität allgemein ist nach wie vor ein heisses Thema, so auch Homosexualität. Die Jugendverbände sollten sich dessen annehmen und Homosexualität als eine akzeptierte Lebensform anerkennen." Solch ein öffentliches Bekenntnis durch die Verbandsspitzen sei auch für junge Lesben, Schwule und Bisexuelle wichtig, die dadurch in ihrer Identität gestärkt würden. Geiser ist sich sicher, dass "mit einer solchen Positionierung auch den anderen Jugendlichen klar signalisiert würde, dass Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung im Jugendverband nicht toleriert wird".

Daniel Ritter von Blauring und Jungwacht teilt Geisers Ansicht: "Wir sollten das Thema Sexualität konkretisieren." Ritter selbst hätte keine Mühe, wenn sich sein Jugendverband positiv zu homosexuellen Lebensformen äussern würde. Was das für die Zukunft konkret bedeutet, bleibt dennoch ungewiss - denn Blauring und Jungwacht haben die katholische Kirche im Rücken, die die homosexuelle Lebensform ablehnt. Es besteht eine finanzielle Abhängigkeit von der Kirche, die Blauring und Jungwacht mit namhaften Beträgen unterstützt.

Müssten die Verbände fürchten, dass diese Geldquelle rasch versiegt, wenn sie sich in Sachen Homosexualität aus dem Fenster lehnen? Auf Anfrage liess Pater Roland-Bernhard Trauffer vom Gremium der Deutschschweizer Bischöfe ausrichten, dass man sich nicht zu solch hypothetischen Fragen äussere. Sprich: Die Kirche bleibt im Dorf, solange die beiden katholischen Jugendverbände sich nicht öffentlich zur Akzeptanz homosexueller Lebensform bekennen.

Immer wieder Vorurteile

Dass sich besonders Jugendverbände mit kirchlichem Hintergrund mit Lesben und Schwulen in ihren Reihen schwertun, zeigt sich auch im Verein christlicher junger Frauen und Männer, kurz Cevi. Vertreter evangelikaler Cevi-Gruppen äusserten im November 2003 an einer Tagung der Cevi-Region Bern zum Thema "Christ sein und Homosexualität" die Ansicht, Homosexualität sei widernatürlich, die gleichgeschlechtliche Liebe lasse sich nicht mit der Bibel - und somit mit dem Christsein - vereinbaren.

Diese Haltung gegenüber Homosexuellen im Cevi erfuhr die 29-jährige Gina Gasser am eigenen Leib. Sie und ihre heutige Freundin lernten sich in einem Ausbildungskurs im Cevi kennen. "Wir standen offen zu unserer Liebe und verheimlichten sie nicht", sagt sie. Der Abteilungsleiter intervenierte und führte neben religiösen Ansichten ins Feld, dass die Eltern negativ reagieren könnten, wenn ihre Kinder in der Obhut einer lesbischen Leiterin sind. Auch fürchtete er sich davor, dass Zeitungen darüber berichten könnten. "Seine Reaktion war wirklich unterste Schublade", erinnert sich Gina. Ihre Freundin zog die Konsequenzen und trat aus der Cevi-Abteilung aus.

"Das ist echt ätzend"

Doch es gibt auch andere Ansichten im Cevi. Die Gruppe Pink Cevi beweist Courage und macht Schwule, Lesben und Bisexuelle im Verband sichtbar. Daniel Senn leitet die Gruppe zusammen mit anderen und weiss um die Brisanz des Themas: "Pink Cevi ist ein schwaches Pflänzchen, auf das immer wieder Kritik hagelt. Wir verstehen uns deshalb nicht als Gruppe, die schrill für die Rechte von Lesben und Schwulen kämpft, sondern bieten hauptsächlich Beratung für Lesben und Schwule im Cevi."

David S. und Jasmin Fausch sind froh, ihre Andersartigkeit nicht mehr verstecken zu müssen. Dennoch: Vorurteile gegenüber Lesben und Schwulen halten sich hartnäckig. Am Ende des Gesprächs erwähnt David, dass es ihn trifft, wenn fälschlicherweise Homosexualität mit Pädophilie gleichgesetzt wird - was besonders im Zusammenhang mit seiner Funktion als Leiter öfter vorkommt: "Das ist echt ätzend, aber leider verbreitet." Und Jasmin erzählt, wie die anderen Leiterinnen plötzlich Angst hatten, dass "ich etwas von ihnen wolle. Das ist Quatsch." Es sind genau solche Vorurteile und Sprüche, die es Jugendlichen schwermachen, offen zu ihrer Homosexualität zu stehen. "Und ich kenne einige, die sich nicht getrauen, im Jugendverband offen dazu zu stehen", sagt Gina.


Links zum Artikel:

Beratungsplattform rund um Homosexualität: www.rainbowline.ch

Seite für junge lesbische und bisexuelle Frauen: www.rainbowgirls.ch

Jugendberatung und Information: www.tschau.ch

Fachstelle für Sexualpädagogik: www.lustundfrust.ch

Homosexualität im Cevi: www.pinkcevi.ch

Lilli - eine Site für junge Frauen und Männer, die Sexualität thematisiert und entsprechend Fragen beantwortet.

Artikel zum Thema:
Beobachter 3/07
Homosexualität: Und plötzlich ist mein Kumpel schwul

Beobachter 23/04
Homosexualität: Schwule Fussballer? Gibts nicht!

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GIPFEL-SOLI-NEWS 11.11.08
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gipfelsoli.org/Newsletter 11.11.08

11.11.2008 Strasbourg/ Baden-Baden -- Heiligendamm -- Huntsville

- Material zur DHL-Kampagne
- Nein zum Krieg! Nein zur Nato!
- Straßburger holen sich Erfahrungswissen aus Bukarest
- Polizei und Verwaltungsbehörden erörtern gemeinsames Vorgehen beim NATO-Gipfel
- Strasbourg/Baden-Baden/ Kehl: Gegen die Kriegstreiberei der NATO
- Neues zum Versammlungsgesetz in Bawü
- Aktionstag 13. Dezember: Solidarität mit den Angeklagten im mg-Prozess
- Bericht: Gerichtsprozess ASEM 2007 in Hamburg
- G8-Gipfel: Steinewerfer auf Bewährung verurteilt
- Canada's G8 summit set for June 2010
Mehr: http://gipfelsoli.org/Newsletter/5698.html