MEDIENSPIEGEL 20.11.08
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Programm
- Wahlk(RH)ampf: Jimy Hofer auf RaBe
- Florapark: Parkschliessungs-Forderungen
- Wohnungs-Not: WERG bleibt
- Drogenpolitik: 250 Kilo Bundesheroin
- Police BE: Anti-WEF-Freisprüche
- Police LU: Lästige Parolen erlaubt
- Police SG: Wegweisung und Vermummungsverbot
- Police ZH: Datenbank für "Gewaltbereite"
- Fussball: Protectas wird reingewaschen
- Asylunterkunft in Länggasse
- Nestlé: Chef im HEKS-Stiftungsrat
- Anti-Atom: Widerstand in Nidwalden
- GB: 12'000 Neonazis geoutet
- Schnüffelstadt Bern im Stadtrat

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REITSCHULE
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Nov 08: Beteiligt Euch an der Vorplatz-Präsenz!!!

PROGRAMM:

Do 20.11.08
20.30 Uhr - Tojo - Walterli - Das Theater. Timmermahn/Marco Morelli/Ursula Stäubli
20.30 Uhr - Kino - Dogma und mehr: AFTER THE WEDDING - Susanne Bier, Dänemark 2006
22.00 Uhr - I Fluss - FIASKO TOUR: Egogrill, Misathrop, Audio88, Cocon & DJ Phonatic

Fr 21.11.08
19.00 Uhr - Frauenraum - Ausstellung von Sophie Roth, Vernissage
20.30 Uhr - Tojo - Walterli - Das Theater. Timmermahn/Marco Morelli/Ursula Stäubli
21.00 Uhr - Kino - Dogma und mehr: AFTER THE WEDDING - Susanne Bier, Dänemark 2006
22.00 Uhr - Dachstock - Gogo Ghouls Plattentaufe! Special Guests: Lombego Surfers (CH), Support: DJ Black Sally > Rock/Surf/Rockabilly

Sa 22.11.08
13.00 Uhr - Frauenraum - Ausstellung von Sophie Roth
20.30 Uhr - Tojo - Walterli - Das Theater. Timmermahn/Marco Morelli/Ursula Stäubli
21.00 Uhr - Kino - Dogma und mehr: AFTER THE WEDDING - Susanne Bier, Dänemark 2006
22.00 Uhr - SousLePont - Soli Abend "Music against Racism": Zirka (BE), Outlaw (BE), Ska-Punk, Punk and more
23.00 Uhr - Dachstock - Dachstock Darkside presents: Audio (Tech Freak Rec/UK), Support: Axiom (Renegade Hardware/CH), VCA (Biotic Rec/CH), Lewin (drumnbass.ch) > Drum'n'Bass

So 23.11.08
13.00 Uhr - Frauenraum - Ausstellung von Sophie Roth

Infos: www.reitschule.ch


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WAHLK(rh)AMPF
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Radio Rabe 19.11.08

Der parteilose Jimy Hofer will der neue Berner Stadtpräsident werden
http://beemy.catatec.ch:554/ramgen/20081119.rm?start=18:19:20

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FLORAPARK
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BZ 20.11.08

Bluttat in Bern

Litt die 22-jährige Täterin unter Wahnvorstellungen?

Eine 22-jährige Schweizerin hat das Tötungsdelikt im Florapark gestanden. Es scheint, als habe sie eine solche Tat lange vorgehabt.

In der Nacht von Montag auf Dienstag wurde im Florapark im Berner Monbijouquartier ein 52-jähriger Mann aus Sri Lanka getötet. Noch am Tatort konnte die Polizei die Täterin festnehmen. Wie die Polizei gestern mitteilte, hat die 22-jährige Schweizerin gestanden, den Mann erstochen zu haben. Mit mehreren Stichen eines Schnitzers fügte sie ihm die tödlichen Verletzungen zu. Laut der Polizei kam es vorgängig zu "sexuellen Handlungen in gegenseitigem Einvernehmen". Das Motiv sei offen.

Recherchen dieser Zeitung haben ergeben, dass sich die Frau gelegentlich auf dem Drogenstrich vor der Kleinen Schanze prostituiert hatte. Sie war aber nicht drogenabhängig. Am Montagabend nahm das spätere Opfer ihre Dienste in Anspruch.

Auf der Kleinen Schanze ist die Täterin seit längerem als gewalttätig bekannt. So demolierte sie im letzten August das Tourist Center im Bahnhof. Im letzten Jahr wurde die Täterin weit über ein Dutzend Mal von der Polizei in psychiatrische Institutionen eingewiesen. Sie arbeitete tagsüber auch in der Werkstatt einer solchen Institution.

Angeblich litt die Täterin unter Wahnvorstellungen. Sie habe schon mehrfach erzählt, dass sie seit ihrer frühen Jugend jemanden umbringen wolle. Aus diesem Grund nahm sie mehrere Medikamente. In den Stunden vor der Tat konsumierte sie zudem Alkohol.
azu/jsp

Seite 21

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Bluttat im Berner Florapark

Sie wollte seit Jahren töten

Die 22-jährige Frau, die im Berner Florapark einen Mann niedergestochen hat, wollte offenbar schon seit Jahren einen Menschen umbringen. Sie war in psychiatrischer Behandlung und schluckte Medikamente.

Die Täterin wurde in letzter Zeit immer häufiger auf der Kleinen Schanze in Bern gesehen. Das haben Recherchen dieser Zeitung ergeben. Dort bot sie sich auf dem Drogenstrich auch gelegentlich als Prostituierte an - obwohl sie selber nicht drogenabhängig sein soll.

Die junge Frau war in der Szene auf der Kleinen Schanze bekannt. Dort ist sie auch als gewalttätig aufgefallen. Angeblich soll sie in den letzten zwei Wochen mehrmals Männer verbal und tätlich angegriffen haben. Sie soll auch erzählt haben, dass sie schon seit zehn Jahren die Vorstellung hatte, einen Menschen mit einem Messer umzubringen.

Im Tourist Office randaliert

Nicht nur auf der Kleinen Schanze, sondern auch im Berner Bahnhof ist die Frau aufgefallen: Im letzten Sommer ist sie dort ausgerastet und hat im Tourist Office randaliert, worauf sie in die Psychiatrische Klinik gebracht werden musste. Sie wurde in diesem Jahr mindestens ein Dutzend Mal von der Polizei in verschiedene Psychiatrische Kliniken zurückgeführt.

Angeblich leidet die junge Frau unter Wahnvorstellungen und hatte verschiedentlich vor Zeugen geäussert, sie habe den Drang, einen Menschen zu töten. Bereits vor sieben Jahren habe sie jemanden mit dem Messer verletzt, prahlte sie. Zudem war sie offenbar schon seit Jahren in psychiatrischer Behandlung und musste jeden Tag verschiedene Medikamente schlucken.

Bevor sie die Bluttat in der Nacht vom Montag auf Dienstag begangen hatte, wurde sie abends auf der Kleinen Schanze beim Biertrinken gesehen. Darauf habe sie sich am Prostituierten-Treffpunkt auf der Kleinen Schanze einem Mann angeboten.

Bis die Polizei eintraf

Um Mitternacht schlenderten die beiden an der Synagoge und der US-Botschaft vorbei zum nahen Florapark. Im stillen Park, der von den Prostituierten als Arbeitsplatz genutzt wird, kam es zu sexuellen Handlungen gegen Bezahlung. Darauf griff sie den Mann an. Mit einem Messer, nach Polizeiangaben handelte es sich um einen Küchenschnitzer, stach sie wild auf ihr Opfer ein. Anwohner des Floraparks hörten laute Schreie und alarmierten die Polizei.

Immer wieder stiess die Frau zu - mindestens ein halbes Dutzend Mal. Als die Polizisten am Tatort eintrafen, sass die Täterin immer noch rittlings auf ihrem Opfer, wie Augenzeugen berichten. Sie, die auch die Reanimationsmassnahmen der Sanitätspolizei mitverfolgt hatten, wollen vor allem Einstiche am Hals und in der Bauchgegend gesehen haben. Der 52-jährige Freier verblutete am Tatort. Die junge Frau wurde im Park festgenommen.

Jürg Spori

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20min.ch 19.11.08

Florapark soll nachts geschlossen werden

von Nina Jecker

Bevor sie ihr Opfer mit einem Messer tötete, war die Täterin mit ihm im Florapark sexuell zugange. Park-Anwohner haben von solchen Szenen genug.

Seit Anwohnerin M.N.* in der Nacht auf Dienstag von den Todesschreien des im Florapark niedergestochenen Mannes aufwachte, steht für sie fest: "Die Anlage muss nachts geschlossen werden." In der Dunkelheit seien dort "sowieso nur Drögeler und Prostituierte mit ihren Freiern" unterwegs. "Wir hören fast jede Nacht Schreie und Streit aus dem Park", so ein zweiter Anwohner.

Auch im aktuellen Fall könnte es sich um eine Mi­lieu-Tat handeln: Zwischen der Täterin, einer 22-jährigen Schweizerin, und ihrem Opfer, einem 52-Jährigen aus Sri Lanka, kam es vor der Attacke laut der Polizei zu sexuellen Handlungen. Die Frau konnte kurz nach der Tat festgenommen werden.

Nun bekommen die Quartierbewohner politische Unterstützung: "Ich werde mich zusammen mit Parteikollegen dafür einsetzen, dass städtische Grünflächen künftig nachts geschlossen sind", so SVP-Grossrat Thomas Fuchs. Auch Stadtrat Reto Nause (CVP) hält eine Sperrstunde für Parks für sinnvoll. "Offene Drogen- und Milieuszenen dürfen nicht toleriert werden."

* Name der Red. bekannt

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WOHNUNGS-NOT
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bern.ch 19.11.08

Kurzmitteilung des Gemeinderats

Ferner hat der Gemeinderat

(...)

 *entschieden, dass die Stadt Bern für weitere zwei Jahre dem Gesetz über die Erhaltung von Wohnraum (WERG) unterstellt bleiben soll, und zwar vom 5. Februar 2009 bis 4. Februar 2011. Das Gesetz verfolgt sozialpolitische Ziele und dient der Bekämpfung der Wohnungsnot, wobei es nicht nur darum geht, Wohnraum schlechthin zu erhalten. Viel mehr ist mit dem WERG vorab günstiger und in sinnvollen Grösseneinheiten gestaffelter Wohnraum zu erhalten. Dies erachtete der Gemeinderat als notwendig, weil der Leerwohnungsbestand heute immer noch auf sehr tiefem Niveau ist. Er betrug am 1. Juni 2008 nur 0,38 Prozent (zum Vergleich 2006: 0,5 Prozent).

(...)

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DROGENPOLITIK
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Bund 20.11.08

250 Kilo Bundesheroin

Thun Der Bund bestellt im Ausland jährlich 250 Kilogramm Diacetylmorphin für die heroingestützte Behandlung (HeGeBe). Das entspricht einem Drittel des weltweit legal gehandelten Heroins. Das geheime Lager für den Stoff liegt versteckt im Berner Oberland. Gegenüber dem "Bund" erklären die Verantwortlichen, woher das Heroin stammt, wie es in die Schweiz gelangt und wie es hier verarbeitet und zu den Behandlungszentren transportiert wird. (pas)

Seite 19

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Das geheime Lager fürs Bundesheroin

Ein Drittel des legalen Heroins auf dem Weltmarkt wird in der Schweiz konsumiert. Woher es kommt, wohin es geht.

Pascal schwendener

250 Kilogramm reines Heroin wird jährlich von Staates wegen importiert und an Schwerstsüchtige im ganzen Land abgegeben. Die Firma, die den Stoff besorgt und kontrolliert, befindet sich im Berner Oberland.

Keine Namen, keine Fotos, keine Ortsangaben: Nur unter diesen Bedingungen sei man bereit, ein Interview zu gewähren, heisst es bei der Firma, die im Auftrag der Eidgenossenschaft den Stoff für die heroingestützte Behandlung aus dem Ausland importiert, kontrolliert und vertreibt. "Denn", so erklärt der Mitinhaber des Kleinunternehmens via E-Mail: "Diskretion ist in diesem heiklen Arbeitsumfeld äusserst wichtig." Selbst der Standort des Labors unterliege strengster Geheimhaltung. "Niemand ausser den Kontrollbehörden des Bundes und des Sicherheitsdienstes weiss, wo wir uns befinden. Und noch nie hat jemand anderes unsere Räume betreten."

Stoff für 100 Millionen Franken

Wir treffen R. in Thun, in einem stillen Café in Bahnhofsnähe. Der Mittdreissiger in der schwarzen Sportjacke ist gelernter Apotheker und seit Beginn des nationalen Heroinprogramms 1994 im Geschäft mit der heiklen Substanz. Es ist ein grosses, ein delikates Geschäft. 250Kilogramm reines Heroin sind jährlich für den legalen Schweizer Mark bestimmt. "Eine Menge, die einem Wert von vier Millionen Franken entspricht - inklusive Mehrwertsteuer." Derselbe Stoff auf der Gasse verkauft, würde - fünfmal verschnitten und zu einem Preis von 80Franken pro Gramm gehandelt - einen Preis von 100 Millionen Franken erzielen. Oder wie es R. ausdrückt: "Müssten alle Schweizer, die in der heroingestützten Behandlung sind, ihre Sucht wieder auf dem Schwarzmarkt befriedigen, so müssten sie dafür jedes Jahr gegen 100 Millionen Franken beschaffen" - den Löwenanteil davon durch Beschaffungskriminalität.

Doch der Stoff für die Heroinbehandlung ist sauber. "Unser Diacetylmorphin weist einen Reinheitsgehalt von 99 Prozent auf und ist somit fast gänzlich frei von Nebenwirkungen", sagt R. Und auch rechtlich gesehen sei das sogenannte Bundesheroin über jeden Zweifel erhaben. "Es stammt nicht vom Schlafmohnfeld eines Drogenbarons im Mittleren Osten, sondern von legalen Plantagen auf Tasmanien, in der Türkei oder Frankreich." Aus den dort gewonnen Kapseln des Papaver somniferum werde in einer Herstellerfirma in England das Morphin gewonnen und anschliessend zu Diacetylmorphin, landläufig Heroin, umgewandelt.

Es kommt in Fässern aus England

Das weisse Pulver wird schliesslich in Fässer verpackt und unter strengsten Sicherheitsvorschriften des Bundessicherheitsdienstes zur geheimen Firma im Berner Oberland gebracht. "Wir testen dann, ob die Ware den Bestimmungen des Schweizer Arzneimittelbuches entspricht, und liefern sie anschliessend zur Weiterverarbeitung an zwei Unternehmen, die das Heroin in ein spritzbares Flüssigprodukt oder zu Tabletten weiterverarbeiten", erzählt R. Bewaffnete Mitarbeiter einer Sicherheitstransportfirma holen die Ware dann in einem Behälter ab, der mit Handschellen an den Mann gekettet ist, und liefern sie an die 23 Behandlungszentren im Land.

Wenn nichts anderes mehr nützt

30000 Heroinabhängige gibt es in der Schweiz, ebenso viele Personen wie in der Stadt Thun das Stimmrecht haben. Doch nur 1300 Süchtige sind zu Heroingestützten Behandlung (Hegebe) zugelassen und erhalten dort das Heroin unter dem Medikamentennamen Diaphin. Strenge Vorschriften des Bundes regeln, wer Zugang zu der Substanz hat: Die Patienten müssen mindestens 18Jahre alt sein, mindestens 2 Jahre schwer heroinabhängig sein und mindestens zwei alternative Behandlungen (Entzüge oder Methadontherapie) hinter sich haben. Schliesslich müssen noch zwei unabhängige Stellen entscheiden: ein Arzt und eine für den psychosozialen Bereich verantwortliche Person. Erst wenn all diese Kriterien erfüllt sind, wird die Substanz von Staates wegen verabreicht.

Die Verordnung des Bundesrats von 1999 gibt als Ziel der Heroinverschreibung primär eine bessere Gesundheit, eine bessere soziale Integration vor, letztlich aber auch ein Leben ohne Drogen. "Das Heroin ist vergleichbar mit dem Wurm an der Angel", sagt R. "Damit ködert man die Schwerstsüchtigen, um sie für eine Therapie zu gewinnen."

Nicht immer wurde Heroin im Giftschrank aufbewahrt. Im alten Rom wird "Theriak" - ein opiumhaltiges Getränk - als Allheilmittel getrunken. Paracelsus setzt Opiumtropfen im Mittelalter gegen Krankheiten ein. Und nachdem Felix Hoffmann, der berühmte Chemiker von Bayer aus Morphin Diacetylmorphin synthetisiert und es unter dem Namen Heroin auf den Markt wirft, wird das Medikament 1898 schliesslich zum Kassenschlager: Die heroische Neuentwicklung wird gegen Husten, Schmerzen, Depressionen, Bronchitis und Asthma verabreicht; Kinder, Gebärende, Alte und Gebrechliche konsumieren es als Pulver, Saft oder Zäpfchen; der Alpenclub rät seinen Mitgliedern, das Zeug vor Hochgebirgstouren zu schlucken. Denn das neue Mittel erleichtere die Atmung.

Vom Arzneimittel zum Staatsfeind

Erst als die Konsumentinnen und Konsumenten um 1910 beginnen, sich den Stoff intravenös zu verabreichen, wird die Droge zum ernsthaften Problem. Heroin wird darum fortan staatlich kontrolliert. Der Schwarzmarkt kommt auf, die Preise steigen, und die Beschaffungskriminalität beginnt, bis die Substanz schliesslich 1912 staatsübergreifend verboten wird. 1931 gibt Bayer dem politischen Druck nach, stellt die Produktion ein und entfernt Heroin aus seiner Produktpalette. Stattdessen konzentriert sich die Firma auf ihre zweite, bahnbrechende Entdeckung: das Aspirin.

Ein Drittel gelangt in die Schweiz

"Heute werden weltweit noch 750 Kilogramm Heroin legal hergestellt", weiss R. Ein Drittel davon werde in der Schweiz konsumiert. "Der Rest ist hauptsächlich für medizinische Studien in Deutschland, Holland, Spanien, England und Kanada bestimmt." 750 Kilogramm klingt nach einer beträchtlichen Menge. Doch R. lacht: Im Vergleich zu den Mengen auf dem illegalen Markt sei das ein Klacks. "Neueste Schätzungen gehen davon aus, dass auf dem Schwarzmarkt jährlich 4000 bis 5000 Tonnen Heroin umgeschlagen werden."

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POLICE BE
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WoZ 20.11.08

Einseitige EDV

Stefan Blättler, der Kommandant der Berner Kantonspolizei, bewegt sich gerne auf juristischem Glatteis. Als sein Korps im Januar im Vorfeld einer Demonstration gegen das Wef im grossen Stil Jugendliche verhaftete, begründete er dies mit der Straftat des Landfriedensbruchs. Laut Gesetz macht sich wegen Landfriedensbruch strafbar, wer an einer "öffentlichen Zusammenrottung teilnimmt, die mit vereinten Kräften gegen Menschen oder Sachen Gewalttätigkeiten begeht". Blättler sagte hingegen, Landfriedensbruch liege auch dann vor, wenn physische Gewalt nur angedroht werde.

Lieber ans Gesetz als an Blättlers Worte scheint sich dann das Kreisgericht Bern-Laupen gehalten zu haben: Die WOZ weiss, dass Strafeinzelrichter Daniel Gerber am 17. Oktober drei Jugendliche von diesem Vorwurf freigesprochen hat. Gerber habe in der Urteilsbegründung gesagt, an diesem Tag sei es in ganz Bern nicht zu Landfriedensbruch gekommen, sagt eine der drei Angeschuldigten. Gerber selber mag das nicht bestätigen, da er zu abgeschlossenen Verfahren keine Auskunft erteile. Er will auch nicht sagen, was der Stand bei den anderen Verfahren ist. Insgesamt waren laut Polizei 25 Personen angezeigt worden, davon dreizehn wegen Landfriedensbruch.

Philipp Meyer von der Menschenrechtsgruppe Augenauf Bern: "Die Polizei hat mit Anzeigen im Nachhinein ihren unverhältnismässigen Einsatz zu legitimieren versucht. Wir vermuten, dass es aber effektiv sehr wenige Schuldsprüche gegeben hat."

Überprüfen lässt sich das nicht. Weder das Untersuchungsrichteramt noch das Kreisgericht geben diesbezüglich Auskunft, angeblich weil sie die Verfahren im EDV-System nicht nach Ereignis aufschlüsseln könnten. In der Vergangenheit schien das freilich kein Problem gewesen zu sein: Nach den Ausschreitungen anlässlich des SVP-Marsches am 6. Oktober 2007 wurde die Öffentlichkeit wiederholt über die Anzahl der Verurteilungen informiert. dg

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POLICE LU
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WoZ 20.11.08

Lästig darf sein

Die Polizei muss auch das Skandieren von Parolen hinnehmen, die sie als "lästig" erachtet. Das Amtsgericht Luzern-Stadt hat zwei junge Luzerner freigesprochen, die vor drei Jahren an einer unbewilligten 1.-Mai-Demo lautstark die Freilassung von Eingekesselten forderten. Am 1. Mai 2005 sperrten Hunderte von Polizisten in Kampfmontur die Luzerner Altstadt ab. Der Luzerner Stadtrat hatte an jenem Tag den Gewerkschaften das Kundgebungs­monopol vergeben, nachdem zuerst die rechtsextreme Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) eine Demo angekündigt, dann jedoch wieder abgesagt hatte. Weiter mobilisiert für eine Gegendemonstration hatte jedoch ein "Bündnis für eine starke 1.-Mai-Demo". Dieser Aufmarsch wurde dann von der Polizei auf der Seebrücke eingekesselt. Die rund 200 Eingekesselten setzten sich auf die Strasse. Hinter der Polizeikette versammelten sich neben Schaulustigen auch Leute, die ihr Missfallen lautstark äusserten: "Eins, zwei, drei, lasst die Leute frei!" Zwei junge Männer wurden daraufhin von Polizisten aus der Menge herausgegriffen und vom Untersuchungsrichter wegen Störung des Polizeidienstes zu Bussen verurteilt.

Bei der Verhandlung vor dem Amtsgericht rügte der Verteidiger den übertriebenen Polizeieinsatz und die voreingenommene Untersuchung durch eine Amtsschreiberin, die noch kurz zuvor bei der Polizei gearbeitet hatte. In der Urteilsbegründung hält das Amtsgericht nun auch noch fest, dass das Verhalten der Angeklagten - "auch wenn dieses von der Polizei als lästig empfunden worden sein mag" - nicht genügend intensiv gewesen sei, um den Polizeidienst zu stören. Ebenfalls freigesprochen wurde ein dritter Angeschuldigter. Er war aus dem Kessel her­aus verhaftet worden. Die Polizei hatte ihm nicht nachweisen können, dass er die Aufforderung zur Identitätskontrolle absichtlich überhört habe. Der Staatsanwalt hat nur gegen dieses letzte Urteil appelliert. Hans Stutz

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POLICE SG
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St. Galler Tagblatt 20.11.08

Wegweisung tritt Anfang 2009 in Kraft

St. Gallen. Nachdem die Referendumsfrist unbenutzt verstrichen ist, treten ab 1. Januar das Wegweisungsrecht und das Vermummungsverbot in Kraft, wie die St. Galler Staatskanzlei mitteilt. Das Vermummungsverbot gilt bei bewilligungspflichtigen Versammlungen oder Kundgebungen sowie im Umfeld von Sport- und anderen Veranstaltungen. Damit soll laut Staatskanzlei ein Zeichen gegen gewaltbereite Chaoten gesetzt werden, die Versammlungen und Demonstrationen missbrauchen, um unter dem Schutz der Vermummung Straftaten zu begehen.

Zudem kann die Polizei ab 1. Januar Personen von einem Ort wegweisen und fernhalten. Dies gilt, wenn Personen die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören oder beispielsweise unter Einfluss von Alkohol öffentliches Ärgernis erregen. Der öffentliche Raum soll nicht denjenigen überlassen werden, die die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens und des respektvollen Umgangs miteinander missachten, schreibt die Staatskanzlei. (red.)

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POLICE ZH
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NZZ 20.11.08

Sitzung des Zürcher Gemeinderats

Die Stadtpolizei soll potenzielle Hooligans erfassen dürfen

Der Rat sagt im Grundsatz Ja zur Verordnung für eine kommunale Datenbank

Ribi T.

Die Zürcher Stadtpolizei soll Daten gewaltbereiter Sportfans erfassen dürfen, auch wenn sie keine Straftat begangen haben. Gegner erwägen ein Referendum gegen die Verordnung.

rib. Wer in Zürich an einer Sportveranstaltung als gewaltbereit oder "Gewalt suchend" auffällt, muss künftig damit rechnen, dass er von der Polizei erfasst und in einer Datenbank registriert wird, auch wenn er keine Straftat begangen hat. Der Gemeinderat hat am Mittwochabend die dafür nötigen gesetzlichen Grundlagen grundsätzlich befürwortet. Bereits bei der ersten Behandlung der Vorlage im Februar dieses Jahres wehrten sich Vertreter von SVP, AL, Grünen und Teile der SP in Sorge um die Freiheitsrechte gegen die Verordnung. Mehrere ihrer Einwände wurden in der Überarbeitung der Vorlage berücksichtigt. So werden Einträge nach zwei Jahren gelöscht, wenn keine weiteren folgen. Zudem gilt das "Gaffen" oder Stören der polizeilichen Tätigkeit nicht mehr als Grund für eine Registrierung. In der vorberatenden Kommission hatte die bereinigte Verordnung mit dem Namen "Gamma" eine knappe Mehrheit gefunden. Der Rat hat ihr nun in erster Lesung mit 74 zu 44 Stimmen zugestimmt.

"Ein Gummiparagraf"

Doch auch diesmal blieben warnende Worte nicht aus. Sie entzündeten sich vor allem an der Definition des Begriffs "Gewalt suchend". Von einem Gummiparagrafen sprach Niklaus Scherr (al.). Personen vor der Gewaltausübung zu erfassen, öffne der Willkür Tür und Tor. Die Bestimmung, Gewalt suche, wer "eine Bedrohungslage schaffe", sei vage. Man klassifiziere ja auch nicht Personen als potenzielle Raser, nur weil sie ein Auto fahren, das hohe Geschwindigkeiten erreiche. Das sei eine "Fichierung auf Vorrat", so der Grüne Balthasar Glättli, die der Gesetzgeber nicht zulassen dürfe. Dass sich die Polizei schon heute Notizen über potenzielle Gewalttäter mache, rechtfertige es nicht, dieses Vorgehen zu legalisieren. Denn damit, ergänzte Martin Bürlimann (svp.), werde die Unschuldsvermutung faktisch abgeschafft. Es reiche, wie bisher, straffällige Hooligans in der nationalen Datenbank zu erfassen. Demgegenüber betonte die CVP die Bedeutung der präventiven Polizeiarbeit. Dem Hooliganismus beizukommen, sei ein zentrales Problem, das die geplanten Massnahmen rechtfertige.

"Leitplanken setzen"

Auch die FDP betonte, bei einem so gravierenden Problem müssten Leitplanken gesetzt werden. Die geplante Verordnung genüge dem Datenschutz. Es gehe um ein drängendes Gewaltproblem, sagte Polizeivorsteherin Esther Maurer. Und dafür müsse der Staat tragfähige Lösungen vorschlagen. Die Vorlage geht nun in die Redaktionskommission und wird Anfang 2009 zu Ende beraten. Die AL erwägt ein Referendum, falls sie in der Schlussabstimmung angenommen wird.

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NZZ 20.11.08

Massnahmenpaket gegen randalierende Fans

Gewalteskalationen an Sportveranstaltungen beschäftigen den Rat

cn

Die Massnahmen der Stadtpolizei gegen Ausschreitungen an Sportveranstaltungen zeigen Wirkung. Laut Polizeivorsteherin Esther Maurer werden deutlich weniger Gewalttaten von Fans verzeichnet.

cn. Der Gemeinderat der Stadt Zürich hat sich gestern Mittwoch ausführlich mit den Problemen befasst, die rund um Sportgrossveranstaltungen in unschöner Regelmässigkeit aufzutreten pflegen. Neben der Diskussion über die Einführung einer kommunalen Hooligan-Datenbank befasste sich das Parlament auch mit dem Massnahmenpaket, das die Stadtregierung gegen randalierende Fussball- und Eishockeyfans schnürte.

"Dialog, Deeskalation, Durchgreifen"

Grundlage der Diskussion war ein Bericht, den das Polizeidepartement aufgrund eines Postulats von Thomas Marthaler (sp.) verfasst hatte. Darin aufgelistet sind verschiedene Massnahmen, die auf die sogenannte 3-D-Strategie (Dialog, Deeskalation, Durchgreifen) der Stadtpolizei zurückgehen, um Gewalttaten vor und nach Sportveranstaltungen zu verhindern. So lässt es das neue Polizeigesetz zu, den Vereinen die Kosten für Polizeieinsätze in Rechnung zu stellen. Die eingeforderte Summe beträgt pro Saison zwischen 4 und 4,5 Millionen Franken. Die Kosten für einen "Hochrisiko-Match" bezifferte Polizeivorsteherin Esther Maurer auf gegen 250 000 Franken. Zum weiteren Vorgehen der Stadt gehören eine Präventionskampagne, ein gemeinsam mit Fan-Verantwortlichen durchgeführter runder Tisch, eine regelmässige Fachtagung der kommunalen Polizeivorsteher, eine bessere Aufklärung der Jugendlichen sowie die rigorose Einschränkung des Alkoholkonsums im Umfeld der Stadien.

"Massnahmen sind erfolgreich"

Polizeivorsteherin Esther Maurer betonte am Mittwoch vor dem Rat, dass die Massnahmen Wirkung zeigten und dass seit der Umsetzung des Massnahmenpakets deutlich weniger Gewalttaten verzeichnet würden. Postulant Thomas Marthaler reagierte dennoch etwas enttäuscht auf den Bericht und forderte, die Vereine vermehrt in Pflicht zu nehmen. Das Papier wurde vom Rat schliesslich mit drei Gegenstimmen zur Kenntnis genommen.

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FUSSBALL
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fcl.ch 20.11.08

Stellungnahme FC Luzern zu den Vorfällen vom 16.11.08 anlässlich des Spiels YB - FCL

Nach ausführlichen Gesprächen mit Beteiligten und Offiziellen sowie nach Auswertung vereinseigenen Videoaufnahmen nimmt der FC Luzern zu den Vorfällen vom 16.11.08 anlässlich des Spiels YB - Luzern wie folgt Stellung:

1. Wie von den Verantwortlichen des Stade de Suisse bereits kommuniziert, war der Entscheid das Transparent zu entfernen nicht richtig. Aus Sicht des FC Luzern war die Verhältnismässigkeit des Einsatzes, unter Anwendung von Schlagstöcken der Security Firma nicht gegeben. Erstens wurden keine Transparente mit Aussagen aufgehängt, die gegen Reglemente und Richtlinien der Swiss Football League verstossen. Zweitens wurden die besagten Transparente beim Eingang kontrolliert und nicht beanstandet. Drittens musste bei einem solchen Eingriff mit einer Eskalation der Situation gerechnet werden. Die Fanbegleiter des FC Luzern haben im Vorfeld des Einsatzes auf eine wahrscheinliche Eskalation aufmerksam gemacht. Zu diesem Schluss kommt - nach Sichtung der FCL-eigenen Videoaufnahmen - auch Jürg Häfeli, Präsident der Fankommission der Swiss Football League.

Wir begrüssen zwar die kritische Nachbeurteilung der Verantwortlichen des Stade de Suisse, bedauern aber diesen Vorfall mit unnötigen Verletzten ausserordentlich. Der FC Luzern wünscht den Betroffenen gute Genesung.

Es wurde unter den Verantwortlichen des Stade de Suisse, des FC Luzern und der beiden Fanprojekte beschlossen, dass in den nächsten Tagen ein Termin unter Einbezug der Fans vereinbart wird. Ziel dieses Treffens ist, die Sache im direkten Dialog und nicht via Medien zu bereinigen.

2. Der FC Luzern distanziert sich klar zu den Vorfällen die ausserhalb des Stadions während der zweiten Halbzeit und nach dem Spiel vorgefallen sind. Auch das Werfen von Gegenständen nach dem Security-Einsatz kann nicht toleriert werden.

Es liegt dem FC Luzern viel daran, in Zusammenarbeit mit dem Fanprojekt weiterhin eine gute Fankultur aufzubauen und zu unterstützten. Umso mehr bedauern wir diesen Vorfall ausserordentlich.

Stefan Bucher
Pressechef FC Luzern


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Bund 20.11.08

Ein Spiel mit langem Nachspiel

Fans des FC Luzern kritisieren erneut die Protectas SA - diese wird von der Swiss Football League entlastet

Ruedi Kunz

Hat Protectas bei ihrem Einsatz im Wankdorf-Gästesektor überreagiert? Die FCL-Fans sagen ja und erstatten Anzeige gegen die Firma. Nein, sagt der Fankommissions-Präsident der Swiss Football League nach dem Studium von Videobildern.

Die Zwischenfälle beim Meisterschaftsspiel YB - Luzern vom letzten Sonntag sorgten auch gestern für viel Gesprächsstoff. Auf den Homepages von Supportergruppen beider Vereine wurde rege der Einsatz der Protectas-Mitarbeiter im Gästesektor diskutiert, der mehrere Verletzte forderte ("Bund" vom 18.November). Der Tenor ist fast einhellig: Die Sicherheitsleute waren überfordert und die Auslöser der Schlägereien. Happige Vorwürfe an die Adresse von Protectas richtet der grösste Fanclub des FC Luzern, die United Supporters Luzern. Es stimme nicht, dass sich die Sicherheitskräfte lediglich gewehrt hätten, weil gewalttätige Luzern-Anhänger auf sie losgegangen seien. "Die Protectas-Mitarbeiter knüppelten bei ihrem Blocksturm ohne Vorwarnung wahllos auf Leute ein, die sich in der Nähe des Eingangs befanden, wo die beiden Transparente festgemacht waren."

"Extrem viel Widerstand"

Zu einem anderen Schluss kommt Jörg Häfeli, Präsident der Fankommission der Swiss Football League, nach der Sichtung von Videobildern. Die Bilder der Stadionkameras zeigten, dass die Angestellten der Firma Protectas auf "extrem viel Widerstand" gestossen seien, als sie im Sektor der FC-Luzern-Fans ein Transparent entfernen wollten. "Soweit ich es auf den Bildern sah, war das Vorgehen der Protectas korrekt", erklärte Häfeli gegenüber der Nachrichtenagentur SDA. Falsch sei es hingegen gewesen, die Firma Protectas anzuweisen, die beiden Transparente mit der Aufschrift "www.nein-zu-polizeiwillkür.ch" zu entfernen. Diese Internetseite wirbt für das Referendum gegen den Beitritt des Kantons Luzern zum Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt an Sportveranstaltungen. Laut Häfeli ist das Plakat, welches zuvor schon in anderen Stadien aufgehängt wurde, "gemäss den einschlägigen Regeln der Swiss Football League zulässig".

Häfeli schaute sich gestern aus eigener Initiative die Filmaufnahmen der Stadionbetreiber an.

Belastende Filme konfisziert

Die FCL-Fans zeigen sich unbeirrt: "Wir sind daran, Beweise zu ordnen, aussagekräftiges Videomaterial auszuwerten und sobald als möglich öffentlich zugänglich zu machen", schreibt United Supporters Luzern. Die Fangruppierung findet es "äusserst befremdlich", dass Fans, die die Übergriffe fotografierten oder filmten, die Kameras entrissen und erst wieder zurückgegeben wurden, als das belastende Bildmaterial gelöscht war. Sie kündigte im Weiteren an, einzelne Fans würden Anzeige gegen die Protectas einreichen.

Das Schweigen von Protectas

Die Firma Protectas mochte zu den neuen Vorwürfen nicht Stellung nehmen. "Wir haben alles gesagt, was es zu sagen gibt", sagte Sprecher Roman Lehmann auf Anfrage. Um dann noch anzufügen, was er bereits am Montag gesagt hatte: Das Einsatzteam sei angegriffen worden und habe die Schlagstöcke nur benutzt, um sich zu verteidigen. Charles Beuret, Pressesprecher des Stade de Suisse Wankdorf Bern, lässt nichts auf die Sicherheitsfirma kommen: "Es gibt kein Fehlverhalten von Protectas. Sie hat ihren Auftrag vollumfänglich erfüllt." Der Entscheid der Stadionleitung, die Transparente demontieren zu lassen, sei falsch gewesen.

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BZ 20.11.08

Videobilder entlasten Protectas

Videoaufnahmen aus dem Stade de Suisse entlasten den YB-Sicherheitsdienst. Der Präsident der Fankommission Jörg Häfeli hat die Bilder gesehen. "Der Einsatz der Protectas-Mitarbeiter im Gästeblock war verhältnismässig", sagt er.

Gestern erhielten die Stade-de-Suisse-Verantwortlichen Besuch von der Swiss-Football-League. Jörg Häberli, Präsident der Fankommission, wollte vor Ort abklären, was am vergangenen Sonntag beim Super-League-Spiel YB-Luzern im Gästeblock des Stade de Suisse wirklich geschah. Denn die Vorwürfe seitens verschiedener Luzerner Fanorganisationen sind happig. Beim Versuch, politische Transparente zu entfernen, hätten die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes Protectas mit Schlagstöcken wahllos auf Leute eingeschlagen, sagte Luzern-Fanarbeiter Christian Wandeler am Montag in dieser Zeitung. "Frauen und jugendliche Fans, die ihnen im Weg standen, wurden traktiert."

Gestern meldeten sich auch die United Supporters Luzern, eine unabhängige Dachorganisation aktiver Luzern-Fans, mittels Medienmitteilung zu Wort. "Der äusserst brutale Einsatz der Protectas-Leute führte bei vielen FCL-Fans zu Verletzungen", steht in der Mitteilung. Die Darstellung seitens der Young Boys sei falsch, wonach sich der Sicherheitsdienst lediglich gegen gewaltbereite Fans gewehrt hätte. "Die Gewalt ging einzig und alleine von den Protectas-Leuten aus." Dafür gebe es Dutzende Zeugen. Einige davon wurden in der Mitteilung angegeben.

Vorwürfe relativiert

"Ich nehme solche Fanaussagen ernst. Deshalb bin ich nach Bern gereist", sagte Fankommissionspräsident Jörg Häfeli. Er ist gleichzeitig Präsident der Fanarbeit Luzern, deren Fanarbeiter happige Vorwürfe an die Protectas machten. Diese werden nun von Häfeli relativiert.

In Bern erhielt Häfeli Einsicht in die Sicherheitsvideos des Stade de Suisse. Diese Stadionkameras haben während den Spielen jeden Winkel der Arena im Fokus. Normalerweise werden die Aufnahmen nach 72 Stunden gelöscht. In kritischen Fällen - wie in diesem - bleiben die Aufnahmen indes länger erhalten. "Dies könnte bei einer allfälligen Strafuntersuchung wichtig sein", sagt YB-Pressesprecher Charles Beuret.

Nach der Videokonsultation zieht Häfeli folgendes Fazit: "Die Aufnahmen zeigen, dass die Protectas ihren Auftrag durchgeführt hat und dabei von Luzern-Fans schwerstens behindert wurde." Auf die Frage nach Details, ob Schlagstöcke eingesetzt wurden oder ob die Sicherheitsleute auf Unbeteiligte eingedroschen haben, sagt Jörg Häfeli: "Auf Grund der Bilder, die ich gesehen habe, war der Protectas-Einsatz verhältnismässig."

"Mit Krücken angegriffen"

Weitere, etwas konkrete Angaben zum Inhalt der Videoaufzeichnungen macht YB-Pressesprecher Charles Beuret. "Als die Protectas-Mitarbeiter die Transparente entfernen wollten, wurden sie von Luzern-Fans mit Fahnenstangen und sogar mit Krücken angegriffen." Die Sicherheitsleute seien von zum Teil vermummten FCL-Anhänger zurückgedrängt worden. Besonnene FCL-Fans hätten sich dazwischengestellt und die eigenen Leute zurechtgewiesen. "Selbst als die Protectas aus dem Gästeblock gedrängt wurde, blieben die Schlagstöcke unbenutzt. Erst, als es darum ging, den angrenzenden Sektor voller YB-Fans und Familien zu schützen, wurden vereinzelt Schlagstöcke eingesetzt."

YB bedauert den Einsatz

Fankommisionspräsident Häfeli weist darauf hin, dass die Sicherheitsverantwortlichen die politischen Transparente hätten hängen lassen sollen. "Ultras wollen ihre Botschaften über Transparente kundtun. Das gehört zur Fankultur." Der Entscheid, die Transparente zu entfernen, sei falsch gewesen. "Das war die Ursache der folgenden Auseinandersetzung zwischen Sicherheitsleuten und Fans."

Dazu YB-Pressechef Beuret: "Der Entscheid, die Transparente zu entfernen, war ein Fehler. Wir bedauern ihn sehr."

Tobias Habegger

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20min.ch 19.11.08

Neue Vorwürfe gegen Sicherheitsleute

von Daniela Gigor

Luzerner Fans erheben neue, massive Vorwürfe gegen die Sicherheitsleute im Stade de Suisse. Die Liga-Fankommission kritisiert währenddessen den Einsatzbefehl.

"Ich sehe immer wieder die Bilder der Prügelei vor mir", sagt Eveline Hunkeler (29). Sie war am letzten Sonntag im Stade de Suisse in Bern, um den FCL anfeuern. Plötzlich sei hinter ihrem Rücken ein Chaos ausgebrochen. "Ich wollte noch weg, doch es war zu spät und plötzlich sackte ich zusammen." Als sie wieder zu sich kam, wurde sie notfallmässig verarztet. Tags darauf diagnostizierte Hunkelers Arzt einen Nasenbeinbruch. "Ich kann nicht schlafen und habe Schmerzen", so Hunkeler. Den Einsatz des Sicherheitsdienstes Protectas kann sie nicht verstehen und will nun Anzeige erstatten. Auch die Luzerner Fanorganisation United Supporters erhob gestern weitere Vorwürfe. So sollen Sicherheitsleute einem Fan die Kamera entrissen und belastendes Filmmaterial gelöscht haben.

Diese Schilderungen kann Jörg Häfeli, Präsident der Fankommission der Swiss Football League, weder bestätigen noch dementieren: "In den Sequenzen des Sta­dion-Videos, die ich bisher gesehen habe, gibt es nichts zu beanstanden." Vielmehr hätten die Leute der Protectas ihre eigene Haut retten müssen. Häfeli kritisiert aber den eigentlichen Befehl zum Demontieren zweier Fan-Transparente. Denn daraufhin sei Panik ausgebrochen. "Der Einsatz war ein Fehler."

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ASYL BERN
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Bund 20.11.08

Asylunterkunft bewegt Gemüter

Stadt Bern Vor zwei Wochen ist die Zivilschutzanlage an der Hochfeldstrasse in der hinteren Länggasse in Betrieb genommen worden ("Bund " vom 5. November). Mittlerweile hausen gegen 100 Personen aus unterschiedlichen Kulturen (Eritrea, Somalia, Georgien, Sri Lanka, Nigeria) in den unterirdischen Räumen, in die kein Tageslicht dringt. SP-Stadträtin Ursula Marti ist empört über die Zustände in der Anlage. Die Situation sei "menschenunwürdig und erschreckend", schreibt die in der Länggasse wohnende Politikerin in einer dringlichen Interpellation. Sie fordert den Gemeinderat auf, zu klären, wo allenfalls zusätzliche Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden können und wie sich die Platzverhältnisse in der Zivilschutzanlage an der Effingerstrasse präsentieren. Weiter will sie wissen, ob die Regierung bereit ist, sich beim Kanton einzusetzen, damit in den Unterkünften "ein funktionierendes Betriebs- und Betreuungskonzept sichergestellt ist".

SVP lanciert Petition

Aktiv geworden wegen der Unterkunft im Keller der Hochfeldschule ist auch die SVP der Stadt Bern. "Nein zur Asylbewerberunterkunft in der Länggasse", schreibt die Partei in einer Petition. Die Bundeshauptstadt erfülle bereits heute "einen grossen Auftrag im Bereich der Sozialhilfe und der Übernahme der Zentrumslasten", schreibt sie. Wenn überhaupt neue Asylzentren, so müssten diese in Grenznähe eingerichtet werden. (ruk)

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SCHNÜFFELMULTI
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Tagesanzeiger 20.11.08

Interessenkonflikt: Der Chef von Nestlé Schweiz ist Stiftungsrat des evangelischen Hilfswerks HEKS

Eine gefährliche Liaison von Wirtschaft und Kirche

Von Michael Meier

Die Wahl von Nestlé-Schweiz-Chef Roland Decorvet in den Stiftungsrat des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen der Schweiz (Heks) scheint zum Testfall zu werden, wie nahe Kirche und Wirtschaft zusammenarbeiten dürfen. Fünf Monate sind es her, dass die Abgeordnetenversammlung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds (SEK) den Nestlé-Kadermann ins Steuerungsgremium des kirchlichen Hilfswerks gewählt hat. Seither lässt die Kritik nicht nach, dass dessen Interessen mit jenen des Weltkonzerns unvereinbar seien.

Selbst der Zürcher Kirchenrat hatte den SEK zu prüfen aufgefordert, "wie auf die andauernde Kontroverse konstruktiv und öffentlich reagiert werden kann". Doch Decorvet tut in der "Reformierten Presse" seine Kritiker einfach als kleine Gruppe ab, "die politisch extrem links sind".

Gemäss den kantonalen Fachstellen für Ökumene, Mission und Entwicklungszusammenarbeit hat die Wahl irritierende Signalwirkung. Sie bedeute einen Imagegewinn für Nestlé. Umgekehrt riskiere das Heks, seine Glaubwürdigkeit zu verlieren, wenn es einen führenden Vertreter der Wasserprivatisierung bei ihm strategisch mitreden lasse.

Heks macht sich in seinen neuesten Kampagnen für das Recht auf Nahrung stark und damit für den Zugang aller zu sauberem Trinkwasser. Der Evangelische Kirchenbund seinerseits hat 2005 die "Ökumenische Erklärung zum Wasser als Menschenrecht und öffentliches Gut" unterzeichnet. Nestlé hingegen setzt beim Wasser auf eine Privatisierungspolitik, kauft Trinkwasserquellen auf und macht riesige Geschäfte mit Flaschenwasser in der ganzen Welt. Jetzt ist publik geworden, dass auch Franklin Frederick, der brasilianische Wasseraktivist und Autor der Erklärung, im Spionagefall bei Attac Waadt durch Securitas und Nestlé zu den Ausspionierten gehörte. (TA vom Mittwoch).

Über die divergierenden Interessen hinaus trennt den Nahrungsmittel-Multi und das Hilfswerk eine "institutionelle Unverträglichkeit". Die Wahl Decorvets in den Heks-Stiftungsrat ist für kritische Kirchenleute, wie wenn Novartis-Chef Vasella Einsitz nähme im Vorstand der Gewerkschaft Unia.

Partei nehmen für die Armen

In der Tat: Nestlé sucht im Süden vor allem den Profit. Das Heks hingegen versteht sich als anwaltschaftliche Stimme der stimmlosen Menschen im Süden. Nur so ist es als kirchliches Hilfswerk legitimiert. Der Jesus der Evangelien ergreift klar Partei für die Armen und Entrechteten, er ist Anwalt und nicht Vermittler. Das scheint der SEK auch zu vergessen, wenn er jährlich zum Open Forum Davos Wirtschaftscracks wie den früheren Nestlé-Welt-Chef Peter Brabeck einlädt. Statt als Anwalt Partei zu ergreifen, gebe er sich als Moderator mit Scheindialogen zufrieden, wirft man dem SEK vor.

Nichts dagegen, wenn die Kirchen mit der Wirtschaft in Dialog kommen, wie das beispielsweise im mehr privaten Gesprächskreis Kirche - Wirtschaft der Fall ist und wo auch heisse Eisen wie Mitbestimmung oder Gentechnologie debattiert werden. Nichts dagegen, wenn die Kirchen von der Wirtschaft Gelder für diakonische Werke erbitten. Blauäugig aber ist es, Wirtschaftsleute mit ins Boot zu holen, um gemeinsam Strategien zu erarbeiten.

Abt Martin Werlen zum Beispiel schart in seinem ökonomischen Beirat zur Sanierung des Klosters Einsiedeln Spitzenvertreter aus der Wirtschaft um sich - vom Novartis-Chef Vasella bis zu Roche-Konzernchef Franz Humer. Auch von Topbankern wie Rainer E. Gut oder Hans Vontobel lässt er sich beraten. Die vollständige Liste der 15 Beiratsmitglieder hat Werlen jedoch nie publiziert, weil die Topshots ihr Engagement als rein persönlich verstünden, unabhängig von der Funktion in ihrer Firma.

Stossend ist es, dass Werlen auch Fragen wie Vasellas Salär ins Private abzudrängen versucht. Er sei nicht bereit, Schlagwörter zu übernehmen, meinte er einmal. Wie viel Vasella verdienen solle, wisse er aus den Medien. "Was er mit seinem Vermögen macht, ist seine private Angelegenheit." So zu argumentieren, ist schlicht unredlich. Das Abzockerthema ist seit Jahren ein Politikum par excellence und wird heute als eine der Hauptursachen der Finanzkrise hinterfragt.

Der Versuch der Kirchen, ihre Allianzen mit den Wirtschaftscracks als harmlos auszugeben und so zu entpolitisieren, hat offenbar System. Auch Heks und SEK argumentieren, Decorvet vertrete nicht etwa Nestlé im Heks-Stiftungsrat, nein, er sitze als Privatmann ein. Ohne den Widerspruch zu erkennen, erklären sie gleichzeitig, man wolle von Decorvets Fähigkeiten als Finanzexperte profitieren. Diese aber bringt er nicht als Privatmann ins Heks ein, sondern als Berufsmann, eben als Nestlé-Kadermann. Dass die Kirchen die politische Brisanz ihrer Allianzen nicht erkennen, ist Symptom der Entpolitisierung in ihren Hilfswerken.

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20min.ch 19.11.08

Wie Nestlé dem Heks das Wasser abgräbt

von Thomas Pressmann

Nestlé soll einen Gegner der Wasserprivatisierung in Brasilien bespitzelt haben. Irritierend ist dabei, dass der Chef von Nestlé Schweiz im Stiftungsrat des Heks sitzt. Denn wogegen kämpft das Hilfswerk? - Genau: Gegen die Wasserprivatisierung. Jetzt bleiben die Spenden aus.

Eine Mitarbeiterin der Sicherheitsfirma Securitas bespitzelte offenbar während zwei Jahren Globalisierungskritiker aus dem Raum Genf. Dies geschah im Auftrag des Nahrungsmittelriesen Nestlé, wie das Westschweizer Fernsehen berichtete.
Nun wird bekannt, dass zu den Spionage-Opfern auch der Brasilianer Franklin Frederick gehört. Er setzte sich mit der Unterstützung von reformierten Kirchen in der Schweiz für freien Wasserzugang in Brasilien ein und bekämpft somit Projekte von Nestlé, welche beabsichtigen, das Wasser von dortigen Quellen zu privatisieren und zu vermarkten.

Durch die Spionage soll Nestlé beispielsweise gewusst haben, dass der Wasseraktivist Frederick am Open Forum in Davos 2004, der Gegenveranstaltung zum WEF, teilnehmen wird, berichtet der "Tages-Anzeiger" heute. Eine Strafuntersuchung der Behörden läuft und soll bis Ende Jahr abgeschlossen werden.

Nestlé-Chef engagiert sich im christlichen Hilfswerk - geht das?

Kritik an Nestlé und dessen Führungsperson in der Schweiz, Roland Decorvet, gibt es aber nicht nur wegen der Spionageaffäre - Decorvet selbst war während der Bespitzelungen vor drei Jahren noch gar nicht in der obersten Führungsetage von Nestlé Schweiz, erst seit diesem Jahr ist er Chef. Nun wurde er aber neben seiner Tätigkeit bei Nestlé in den Stiftungsrat des evangelischen Hilfswerks Heks gewählt - unter lautem Protest.

Obwohl der Schweizerische Kirchenbund den Generaldirektor des Nahrungsmittelriesen in die Leitung des Heks wählte, können Kirchenleute diese Entscheidung nicht verstehen. "Nestlé hat in wichtigen Fragen eine der unsrigen total entgegengesetzte Meinung", sagt Andrea Kindler Broder, Pfarrerin an der Heiliggeistkirche in Bern.

Erste Spender springen ab

Gerade beim Thema Wasser: Bei vielen Projekten untergrabe Nestlé die Bemühungen der Hilfswerke und sei eher Gegner denn Partner. "Wie kann Herr Decorvet diese Doppelfunktion unter einen Hut bringen?", fragt sie und spricht das an, was viele Kirchenvertreter denken: Nestlé und Hilfswerk zusammen, das gehe nicht. Auch Dieter Sollberger, Pfarrer von Horgen ZH, kann diese Wahl nicht verstehen. "Ich bin erstaunt und irritiert". Er könne die Wahl vor seinen Kirchenmitglieder nicht vertreten, bestätigt er einen Artikel der Zeitung "Reformiert".

Ehemals treue Spender verzichten nun darauf, das Heks weiter finanziell zu unterstützen, bestätigt der Direktor des Heks, Ueli Locher, auf Anfrage von 20 Minuten Online. Zudem habe er "zahlreiche" Gespräche mit Kirchenvertretern und Gremien führen müssen. An der Person Decorvet als Stiftungsrat will man aber festhalten.

Kritiker seien "extrem links"

Der Nestlé-Schweiz-Chef will auf Anfrage von 20 Minuten Online keine Stellung nehmen, provoziert dafür die Kirchenvertreter weiter. Seine Kritiker seien "extrem links" und machten "viel Lärm", erklärte er in einem Interview mit der Zeitung "Reformierte Presse". "Diese Verallgemeinerungen ärgern mich sehr", sagt Pia Grossholz, Vizepräsidentin der reformierten Kirchen Bern Jura Solothurn, "denn sie stimmen nicht".

Aller Kritik an ihrem Stiftungsrat zum Trotz setzt das Heks weiter auf den Nestlé-Schweiz-Chef. Man wolle aber den Dialog mit den verärgerten Spendern und Kirchenvertretern weiterführen, sagt Heks-Direktor Ueli Locher.

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livenet.ch 18.11.08

Nestlé - "die beste Entwicklungsorganisation"

"Wo bleibt die Toleranz gegenüber Industriellen?" Das fragt der Nestlé-Direktor Roland Decorvet, der im Juni in den Stiftungsrat des Hilfswerks Heks gewählt wurde. "Gewisse Leute glauben nicht, dass auch Nestlé-Mitarbeiter Gutes tun können."

Die reformierten Kirchen seien zunehmend tolerant gegenüber Andersgläubigen oder Homosexuellen. Aber wenn ein Nestlé-Direktor sich im Hilfswerk engagieren wolle, sperrten sie sich mit Vorurteilen dagegen, sagte Decorvet Anfang November der Reformierten Presse (RP). Die Wahl des Waadtländers, der als Missionarssohn in Afrika aufwuchs und 17 Jahre für Nestlé in Asien arbeitete, ist bei Vertretern der kirchlichen Entwicklungsarbeit auf scharfe Kritik gestossen.

"Diametraler" Gegensatz

Sie stellen sich auf den Standpunkt, nicht Decorvets Person, aber seine Funktion als Generaldirektor von Nestlé Schweiz sei problematisch: Denn die Interessen des Nahrungsmittelmultis stünden "grundsätzlich dem Auftrag des kirchlichen Hilfswerks diametral gegenüber: Die neue Heks-Kampagne propagiert die Entwicklung ländlicher Dorfgemeinschaften - Nestlé macht Geschäfte mit der Privatisierung von Wasser" (Zuschrift der reformierten Beauftragten für Mission und Entwicklung in der RP 45/2008).

"Milch von 150'000 pakistanischen Bauern"

Decorvet bezeichnet Nestlé als "die beste Entwicklungsorganisation, die es gibt". In fast allen Ländern der Welt produziere man vor Ort mit lokalen Rohstoffen. In Pakistan kaufe der Konzern Milch von 150'000 Bauern. Das sei landwirtschaftliche Entwicklung, betont Decorvet - Nestlé habe kein Interesse daran, die Leute ärmer zu machen. "Die Regierungen und Bevölkerungen lieben uns, denn wir schaffen Arbeitsplätze und investieren ins Land." Die Vertreter von gewissen Nichtregierungsorganisationen hat er als unbelehrbar erlebt. "Wenn wir in einem Land die Landwirtschaft entwickeln, sind wir Böse. Wenn wir nichts machen, sind wir auch böse."

Was ist Trinkwasser wert - ohne Preis?

In der Trinkwasser-Frage hält Roland Decorvet fest, dass jeder Mensch zu sauberem Trinkwasser Zugang haben sollte. Doch wie beim Wein gebe es auch beim Wasser verschiedene Qualitäten: "Wer etwas Spezielles haben möchte, soll dafür zahlen." Den Trinkwassermangel in der Dritten Welt findet auch der Nestlé-Direktor schlimm, doch die Schuld daran trügen die Regierungen. "Wir sind nicht für die Privatisierung von Wasser; das haben wir nie behauptet. Aber Wasser sollte für die Regierungen einen Preis haben." Der grösste Teil des in der Landwirtschaft eingesetzten Wassers versickere. Dort müsse die Beratung einsetzen.

Pfarrerssohn

Roland Decorvet hat mit der Familie seiner Frau in Madagaskar ein Waisenhaus aufgebaut. Sein Vater, Bruder, Grossvater, Schwiegervater und Urgrossvater waren oder sind Pfarrer. Der Kirchgänger ist nicht Pfarrer geworden, weil "Gott mit jedem ist, auch bei der Arbeit… Als Geschäftsmann kann ich genauso viel Gutes tun wie ein Arzt, ein Schreiner oder ein Metzger." Er sei bereit, zwölf Tage jährlich für das Heks einzusetzen. Nestlé wie das Hilfswerk hätten die gleichen Werte: sie wollten beide die Armut bekämpfen - einfach nicht mit denselben Mitteln.

Unverständnis und Empörung

Der Zürcher Theologieprofessor Pierre Bühler nimmt in einem Offenen Brief Decorvet (RP 46) wegen seines pauschalen Urteils über seine Kritiker aufs Korn. Er erwähnt das Profitstreben des Nestlé-Konzerns - von gleichen Zielen könne da nicht die Rede sein. Der Vergleich von Wasser mit Wein klinge ihm wie blanker Hohn in den Ohren. Gewinn mit der Privatisierung des Wassers (Nestlé) könne nicht angestrebt werden, wenn Wasser als öffentliches Gut verteidigt werde (Heks).

Wenn Decorvet seinen Konzern als die "beste Entwicklungsorganisation" hinstelle, sei das eine Provokation, schreibt Pierre Bühler. Er wünscht sich von Decorvet mehr Problembewusstsein: "dass Ihnen gewisse Spannungen (in Nestlés Geschäften) durchaus Sorge machen".

Quelle: Livenet / Reformierte Presse

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Reformierte Presse Nr. 45 7.11.08
Leider nicht online erhältlich.

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reformiert.info 31.10.08
http://www.reformiert.info/files_reformiert/2215_0.pdf

Das christliche Werk und der Konzernchef

NESTLÉ. Hat Nestlé-Chef Roland Decorvet Platz im Stiftungsrat des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen (Heks)? Sind Interessenkonflikte, etwa beim Thema Wasserprivatisierung, nicht vorprogrammiert? - Ein Personalentscheid führt zur Grundsatzdebatte in der reformierten Kirche.> Seite 3

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Verunsicherte Heks-Spender begehren auf

Heks-Nestlé/Der Protest gegen die Wahl von Nestlé-Chef Roland Decorvet in den Heks-Stiftungsrat wird lauter.

Vierzig Jahre lang hat die pensionierte Zürcher Pfarrerin Leni Altwegg Monat für Monat dem Heks treu gespendet: nämlich drei Prozent ihrer Lohnsumme. Jetzt hat die altgediente Drittweltengagierte ihre Zahlungen ans Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (Heks) vorläufig sistiert. Die Wahl Roland Decorvets, Generaldirektor Nestlé Schweiz, in den Heks-Stiftungsrat zeige "eine Tendenz zur schleichenden Anpassung an die Mächte dieser Welt". Und das könne sie nicht mittragen, so Leni Altwegg.
"Wir wissen nicht, wie wir diese Wahl vor unsern Kirchenmitgliedern vertreten können", erklärt Dieter Sollberger, reformierter Pfarrer in Horgen ZH: "Wie zwei so verschiedene Schuhe zusammengehen sollen - hier der Weltkonzern, dort das kleine Hilfswerk -, ist uns ein Rätsel." Bis dato durfte das Hilfswerk auf jährlich 40 000 Spendenfranken und regelmässige Kollekten aus Horgen zählen. "Wir sind seit Jahrzehnten loyal zum Heks - und möchten das bleiben: Aber wir sehen Erklärungsbedarf in der Wahl des Nestlé-Chefs", so Sollberger.

Verunsicherung

Horgen als Kirchgemeinde und Leni Altwegg als Einzelspenderin sind keine Sonderfälle: Das Heks wird derzeit mit Post zum Fall Decorvet eingedeckt. "Die Wahl verunsichert viele Pfarrpersonen und entwicklungspolitisch Engagierte", ist in einem offenen Brief der Ökumene-, Mission- und Entwicklungsbeauftragten (OeME) an den Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK) zu lesen. Nestlé gewinne durch die Partnerschaft mit dem Heks "an ethischem Ansehen" und poliere so sein Image auf.
Und das kann der Nahrungsmittelkonzern brauchen. Denn er ist in die Schlagzeilen geraten: wegen einer publik gewordenen Bespitzelung der globalisierungskritischen Gruppe Attac-Waadt durch eine Securitas-Agentin - im Auftrag von Nestlé.

Bespitzelung.

Und just diese zum Gerichtsfall avancierte Spionageaffäre, die auf die Jahre 2003 / 2004 zurückgeht, als Decorvet noch nicht Nestlé-Chef war, färbt jetzt auch auf die Auseinandersetzung rund um dessen Wahl in den Heks-Stiftungsrat ab.
Ende August zitierte die "Wochenzeitung" (WoZ) Passagen aus einem 77-seitigen Protokoll der Securitas-Spionin, das Nestlé Schweiz einem Waadtländer Zivilgericht hat aushändigen müssen. Danach interessierte sich die Spitzelin insbesondere auch für Reisen des brasilianischen Wasseraktivisten Franklin Frederick in die Schweiz. Dieser kämpfte damals gegen das Ansinnen von Nestlé, brasilianische Mineralquellen im Bundesstaat Gerais zu privatisieren und das Wasser unter dem Label "Pure Life" zu vermarkten. Erfolgreich notabene: Der Konzern gab den Plan auf.
Pikant: Franklin Frederick war und ist auch Fachexperte kirchlicher Gremien, namentlich der Fachstelle OeME der reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn: So beteiligte sich Frederick etwa an der Ausarbeitung der "Ökumenischen Erklärung zum Wasser als Menschenrecht". In diesem Dokument erklären der Schweizer Evangelische Kirchenbund (SEK) und die Schweizer Bischofskonferenz gemeinsam mit den brasilianischen Kirchen, Wasser sei "grundsätzlich ein gemeinsames Gut, das nicht zu privatisieren ist".

Befragung.

Jetzt fordert Franklin Frederick Nestlé Schweiz zur Stellungnahme auf, wie er gegenüber "reformiert." erklärt: "Ich will wissen, ob auch mein E-Mail-Verkehr überwacht worden ist und ob die Observierung bis heute weitergeht." Und auch Albert Rieger, Leiter der Berner Fachstelle OeME, will eine Klärung: "Ich erwarte, dass Herr Decorvet in seiner Doppelfunktion als Nestlé-Direktor und Heks-Stiftungsrat das ganze Ausmass der Bespitzelung offenlegt. Wurden auch Kirchenmitarbeiter in der Schweiz ausspioniert?"
"reformiert." hat Roland Decorvet die Fragen unterbreitet, allerdings bis Redaktionsschluss keine Antworten erhalten - wegen Ferienabwesenheit, so die Auskunft aus Vevey.
Rechtfertigung. Was sagt der SEK als zuständige Wahlbehörde zur wachsenden Kritik? Wenig Neues. SEK-Sprecher Simon Weber betont, Roland Decorvet sei "demokratisch und korrekt" gewählt worden. Und Heks-Geschäftsführer Ueli Locher unterstreicht, Decorvet sitze als "Privatperson" im Stiftungsrat. Der Nestlé-Chef teile "als Christ und Mensch" die Heks-Werte.
Ob die Antworten von SEK und Heks auf die Fragen der verunsicherten Basis genügen, wird sich zeigen. Denn inzwischen haben sich auch reformierte Kantonalkirchen zu Wort gemeldet. "Wir haben die symbolische Bedeutung der Wahl unterschätzt", sagt etwa die Zürcher Kirchenrätin Jeanne Pestalozzi selbstkritisch. Die Kirchenregierung wünsche eine öffentliche Aussprache zwischen SEK, Heks und Kritikern. Und die Berner Synodalrätin Pia Grossholz meint: "Roland Decorvet ist nicht in die Nestlé-Spitzelaffäre involviert: Aber er sollte klar dazu Stellung nehmen - und so zeigen, dass er den Rollenkonflikt Nestlé-Heks meistern kann." Samuel Geiser

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ref.ch/rna 7.10.08

Reformierte Nachrichten     

Offener Brief der kantonalen OeME-Beauftragten zur Wahl Roland Decorvets in den Heks-Stiftungsrat     

07. Oktober 2008 / 12:37:40

SCHWEIZ

Die Arbeitsgemeinschaft der kantonalen OeME-Beauftragten äussert sich in einem Offenen Brief zur "institutionellen Unverträglichkeit" der Wahl des Generaldirektors von Nestlé Schweiz, Roland Decorvet, in den Heks-Verwaltungsrat und sucht das Gespräch darüber.

RNA/comm.

Diese Wahl stelle einen Image-Gewinn für Nestlé, aber einen Vertrauensverlust für das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (Heks) dar. Der Brief richtet sich an die Abgeordnetenversammlung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, welche die Wahl vorgenommen hat. Die kantonalen OeME-Beauftragten suchen nun das Gespräch über diese Punkte.
Die institutionelle Unverträglichkeit wird anhand der Beispiele der Wasserprivatisierung und des Arbeitsrechts illustriert. Das Heks engagiere sich zusammen mit Alliance Sud für die Arbeitsrechte der Angestellten bei Nestlé Kolumbien und stehe gegen die Wasserprivatisierung durch Konzerne wie Nestlé für einen freien Zugang zum Wasser ein.
Siehe auch www.oeme.ch

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oeme.ch 7.10.08
http://www.oeme.ch/_kirchenweb/_ausgabeseiten/bericht.php?artikelid=513;
Offener Brief der OeME-Beauftragte der Evang.-reformierten Kirchen

Die Arbeitsgemeinschaft der Kantonalen OeME-Beauftragten äussert sich in einem Offenen Brief zur "institutionellen Unverträglichkeit" der Wahl des Generaldirektors von Nestlé Schweiz, Roland Decorvet, in den HEKS Verwaltungsrat und sucht das Gespräch darüber.

Von Doris Brodbeck, doris.brodbeck@oeme.ch

Diese Wahl stelle einen Image-Gewinn für Nestlé, aber einen Vertrauensverlust für HEKS dar. Der Brief richtet sich an die Abgeordnetenversammlung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenrats, welche die Wahl vorgenommen hat. Die Kantonalen OeME-Beauftragten suchen nun das Gespräch über diese Punkte.

Die Institutionelle Unverträglichkeit wird anhand der Beispiele der Wasserprivatisierung und des Arbeitsrechts illustriert. HEKS engagiert sich zusammen mit Alliance Sud für die Arbeitsrechte der Angestellten bei Nestlé Kolumbien und steht gegen die Wasserprivatisierung durch Konzerne wie Nestlé für einen freien Zugang zum Wasser ein.

Die Arbeitsgemeinschaft umschliesst die Beauftragten der deutschsprachigen Evangelisch-Reformierten Kirchen, die sich für die kirchliche Entwicklungszusammenarbeit einsetzen. Sie informiert auf der Website " www.oeme.ch aktuell über Entwicklungsfragen.
Für Auskünfte zum Offenen Brief stehen die beiden Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Kantonaler OeME-Beauftragten ab 13. bzw. 20. Oktober zur Verfügung: Ursula Walti, Aarau, und Peter Dettwiler, Zürich.

publiziert am 07.10.2008

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kirchenbote-online.ch 25.9.08
http://www.kirchenbote-online.ch/dedi/projekt01/index.php?idcatside=50&nid=730&archiv=1

Panorama

"Nur Esel verändern sich nicht"

Als Roland Decorvet, Generaldirektor von Nestlé-Schweiz, vor kurzem in den Stiftungsrat des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen der Schweiz HEKS gewählt wurde, stiess dies auf grosse Kritik. Will da Nestlé sein angeschlagenes Image aufpolieren?

Kirchenbote: Herr Decorvet, vor kurzem wurden Sie in den Stiftungsrat des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen der Schweiz gewählt. Ihre Wahl hat zahlreiche Proteste ausgelöst. Frauen aus der reformierten Berner Landeskirche sammeln Unterschriften gegen diese Wahl. Erstaunt Sie das?

Roland Decorvet: Grundsätzlich überrascht es mich nicht, dass für einzelne Vertreterinnen und Vertreter in NGOs die Kombination meines Engagements für die Kirche mit meiner Arbeit bei einem multinationalen Unternehmen nicht vereinbar ist. Es gibt aber auch die anderen Stimmen, die es begrüssen, dass sich Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft auch gemeinnützig im sozialen Bereich engagieren.

Sie wollen sich bei HEKS als Privatperson engagieren. Kritiker werfen Ihnen vor, dass es zum Interessenkonflikt mit dem Nestlé-Manager Decorvet kommen wird. Besteht diese Gefahr?

Nein. Ich bin als Privatperson im Stiftungsrat von HEKS und engagiere mich aufgrund meines christlichen Glaubens und meiner Werte für die Kirche und für HEKS. Ich habe mich nach meiner Rückkehr aus Pakistan als Privatmann bei der Waadtländer Kirche gemeldet und bin als Privatperson in den Stiftungsrat gewählt worden. Gleichzeitig möchte ich betonen, dass ich kein schlechtes Gewissen habe, weil ich bei Nestlé arbeite.

Mit Verlaub: Sie müssen aber zugeben, es ist verwirrend, dass sich das HEKS und kirchliche Gruppierungen für die Rechte der Gewerkschaften und die Autonomie der Bauern einsetzen, während Nestlé vorgeworfen wird, genau dies zu beschneiden. Gelingt dieser Spagat zwischen Nestlé und HEKS?

Gott sei Dank müssen nicht alle Pfarrer werden, um etwas Gutes zu tun. Abgesehen davon, dass in meiner Familie beinahe alle Pfarrpersonen sind. Für mich ist es kein Spagat. Man kann über Macht, über Einfluss oder Dominanz diskutieren, aber nicht darüber, dass Nestlé nichts für die Kleinbauern macht, im Gegenteil, Nestlé macht viel für ihre Entwicklung in armen Ländern. Ich liebe die Kleinbauern und es macht mich traurig, wenn die Menschen meinen, Nestlé mache nichts für die Kleinbauern. Ich war soeben vier Jahre in Pakistan, wo ich im Rahmen eines langfristigen Nestlé-Entwicklungsprojektes mit und für Kleinbauern arbeitete. Die Wirksamkeit dieses Projektes lässt sich belegen: Es wird sowohl von der pakistanischen Regierung wie auch von der UNO als eines der grössten und besten Entwicklungsprojekte im Land anerkannt. Zudem pflegt Nestlé als Organisation christliche Werte, die ich teile; Werte wie Nächstenliebe, Respekt oder Familie. Nur, weil sich einzelne Mitarbeitende von Nestlé nicht an diese Werte halten, heisst das noch lange nicht, dass die ganze Organisation schlecht ist. Ich kann nicht verstehen, dass gewisse Leute der festen Überzeugung sind, eine Firma könne nicht gleichzeitig Geld verdienen und den Menschen helfen.

Kritiker unterstellen Ihnen, dass Ihre Kandidatur erfolgt sei, um das Image von Nestlé zu verbessern. Welche Beweggründe liegen Ihrer Kandidatur zugrunde?

Als Protestant pflege ich den Wertepluralismus und habe einen hohen Arbeitsethos. Ich erachte es als meine Pflicht, Verantwortung zu übernehmen und mein Wissen und meine Erfahrung auch der Kirche zur Verfügung zu stellen. Wie ich bereits gesagt habe, habe ich als Privatmann der Waadtländer Kirche nach meiner Rückkehr aus Pakistan geschrieben, dass ich mich gerne für die Kirche engagieren möchte. Claude Ruey, der Präsident von HEKS, erhielt eine Kopie dieses Briefes. Dass meine Kandidatur mit dem Attac-Skandal zusammenfiel, ist reiner Zufall. Zudem: Sollten sich diese Vorwürfe als Tatsache erweisen, kann ich nur sagen, dass diese Aktion ein grosser Fehler war. In diesem Fall haben die Beteiligten von Nestlé Sanktionen zu erwarten. Ein solches Verhalten entspricht weder den Werten noch den Zielen von Nestlé.

HEKS versteht sich als Anwalt der Armen auf der Welt, setzt sich engagiert für diese ein und nimmt entsprechend politisch Stellung. Soll HEKS diesen Kurs weiterhin fahren? Wie sehen Sie die Arbeit von HEKS?

Ich bin noch nicht lange Stiftungsrat von HEKS und kann zur konkreten Arbeit von HEKS deshalb noch wenig sagen. Was ich aber sagen kann, ist, dass mich HEKS mit seiner Arbeit, seiner Haltung, seinen Mitarbeitenden und seinen Projekten überzeugt. Übrigens habe ich auch in meiner Funktion als Nestlé-Generaldirektor Schweiz ein Interesse daran, dass so schnell wie möglich so viele Menschen wie möglich der Armut entrinnen.

Nestlé gerät immer wieder mit negativen Meldungen in die Schlagzeilen. Stört Sie das nicht? Sehen Sie eine Möglichkeit, dass ein Wirtschaftsunternehmen wachsen und Gewinn erbringen kann und gleichzeitig sozial verantwortlich handelt?

Selbstverständlich kann man gleichzeitig Geld verdienen und sozial verantwortlich und nach ethischen Grundsätzen handeln.

Aber wie? Vielerorts bestimmen heute die Börse und die Aktionäre den Weg der Unternehmen. Glauben Sie, die Aktionäre hätten Verständnis, wenn eine Geschäftsleitung sozial gerechter handelt, dafür etwas weniger Gewinn erzielt?

Gewinn erzielen ist wertneutral, und deshalb auch nichts Schlechtes. Wer soll denn Steuern, Sozialabgaben etc. zahlen, wenn nicht die Menschen und Firmen, die eben Gewinne erzielen und deshalb Geld haben. Ohne Gewinn erhält der Staat keine Steuern und kann eine Infrastruktur für alle Menschen, wie wir sie etwa in der Schweiz haben, nicht ermöglichen und unterhalten.

Fakt bleibt, dass unser Wirtschaftssystem oder unsere Gleichgültigkeit Armut produziert. Der Hunger ist nach wie vor eines der grossen Probleme der Menschheit: Was lässt sich dagegen tun?

Es ist unsere Pflicht, verschiedenen Bevölkerungsgruppen eine Entwicklung zu ermöglichen und mitzuhelfen, dass es den Armen und Schwachen dieser Erde besser geht. HEKS setzt hier Schwerpunkte im Bereich der Entwicklung ländlicher Gemeinschaften, um in vielen Ländern einen wirkungsvollen Beitrag auf der Ebene des Dorfes, nah bei den Betroffenen zu leisten. Nestlé hat kein Interesse daran, dass die Armut in Drittweltländern weiter besteht. Denn je besser es den Menschen dort geht, desto eher kaufen sie unsere Produkte.

Wird Sie die Aufgabe bei HEKS verändern? Werden Sie andere Einsichten erhalten und diese dann auch in der Konzernspitze von Nestlé einbringen?

Nur Esel verändern sich nicht. Das Leben gleicht einer Reise, auf der man konstant lernt. Deshalb werde ich durch meine Tätigkeit bei HEKS sicher viel lernen, ich bin offen für Neues. Ich bin ja immer derselbe Mensch, ich bin ein Christ, und meine Werte sind dieselben, ob ich für HEKS oder Nestlé tätig bin. Die Spenderinnen und Spender von HEKS können von meiner Erfahrung als Finanzfachmann und Manager profitieren. Ich kann als Fachmann dazu beitragen, dass jeder Spendenfranken für HEKS so effizient wie möglich eingesetzt wird - denn jeder Spendenfranken ist für die Arbeit von HEKS wichtig.

Sollte jeder Manager einmal die Seite wechseln und beispielsweise einmal in seinem Leben in einer Notschlafstelle oder einem Heim für Asylbewerber arbeiten?

Ich finde es wichtig, dass ein Manager oder eine Managerin die Situation der "kleinen Leute", auch ihre Ängste und Sorgen, kennt, und sich für die Verbesserung ihrer Situation einsetzt. Deshalb finde ich es wichtig, dass man seine Kompetenz der Gemeinde und der Kirche zur Verfügung stellt. Wie man eine andere Lebenswelt kennen lernt, überlasse ich jedem selbst.

Interview: Tilmann Zuber

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ref.ch/rna 17.6.08

Reformierte Nachrichten     

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Kirche hat "Wächterfunktion über das Wertesystem"     

17. Juni 2008 / 11:17:41

SCHWEIZ

Der Generaldirektor von Nestlé Schweiz, Roland Decorvet, ist von den Abgeordneten des Kirchenbunds in den Stiftungsrat des Hilfswerks Evangelischer Kirchen Schweiz gewählt worden. Ständerat Dick Marty sprach in seinem Referat der Kirche "Wächterfunktion über das Wertesystem" zu.

RNA/comm.

In der heutigen Sitzung der Sommer-Abgeordnetenversammlung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) in Bellinzona wurden Jahresbericht und Jahresrechnung genehmigt. Zudem wurde der Generaldirektor von Nestlé Schweiz, Roland Decorvet, als Mitglied des Stiftungsrats des Hilfswerks Evangelischer Kirchen Schweiz (Heks) gewählt. Neben seiner internationalen Erfahrung seien vor allem das bisherige berufliche, kirchliche und soziale Engagement von Decorvet "glaubwürdiger Grund für seine Wahl", so der Präsident des Rates SEK, Thomas Wipf.
Die Tessiner Ständerätin Patrizia Pesenti forderte in ihrem Referat die protestantischen Kirchen auf, sich weiterhin in die Öffentlichkeit einzubringen. "Wir erleben eine Periode erstarkender fundamentalistischer Tendenzen", so Pesenti. Die von einem rationalistischen Geist geprägte protestantische Kultur könne wichtige Impulse geben für einen gemeinsamen Dialog der Verständigung.
Die Bedrohung durch Fundamentalismus und Terrorismus habe zu einer allgemeinen Abwertung der Werte der Menschlichkeit geführt, sagte auch Dick Marty, der erste und bisher einzige protestantische Tessiner im Ständerat. Die Kirche hätte zwar nicht das Monopol über die ethischen Werte, doch sie habe - zusammen mit anderen sozialen Akteuren - eine Wächterfunktion über das Wertesystem, das schlussendlich Menschlichkeit ausmache.

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ANTI-ATOM
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Bund 20.11.08

Atom-Opposition ist erstarkt

Neue Pläne für Endlager Wellenberg stossen im Kanton Nidwalden auf massive Opposition

Bereits zweimal hat sich der Kanton Nidwalden erfolgreich dagegen gewehrt, zum Standort für ein Atommüll-Endlager zu werden. Jetzt ist er zum dritten Mal als Standort im Gespräch. Der Widerstand ist gross.

"Nein, nicht schon wieder." Das hört seit zwei Wochen, wer sich in Nidwalden für Volkes Stimme interessiert. Am 6. November hatten Bundesrat Leuenbergers Bundesamt für Energie (BFE) und die Nagra den Sachplan geologische Tiefenlager vorgestellt. Darin ist der Wellenberg in Wolfenschiessen wieder als Endlager für atomare Abfälle vorgesehen. Atommüll ist nirgendwo willkommen. Nidwalden allerdings ist in einer besonderen Situation: Bereits zweimal hat sich der Kanton verweigert. 1995 hatte der Kanton ein Endlager mit 52 Prozent Nein und 2002 mit 57 Prozent das Gesuch der Nagra abgelehnt, einen Sondierstollen bauen zu können. Nachdem sich der Kanton also zweimal gewehrt und sich die Nagra aus dem Engelberger Tal zurückgezogen und ihrerseits weitere Wellenberg-Pläne entsorgt hatte, wähnte sich der Urkanton vor ihr für immer verschont.

Regierung jetzt dagegen

CVP-Ständerat Paul Niederberger ist alles andere als ein Wellenberg-Gegner der ersten Stunde, im Gegenteil. Sowohl 1995 wie 2002 hatte er die Nagra-Pläne unterstützt. "Die Schweiz muss die Lagerung radioaktiver Abfälle im eigenen Land lösen. Die Sicherheitskriterien sind dabei hoch anzusetzen", begründet er seine seinerzeitige Zustimmung. Jetzt aber sagt er: "Die Bevölkerung hat Nein gesagt. Die Demokratie und die Mitsprache des Volkes sind ein hohes Gut, das zu schützen ist."

Diese Haltung ist typisch für den Gesinnungswandel, der seit dem 6. November geradezu flächendeckend um sich zu greifen scheint. Die einstigen Befürworter sind zwar nicht zu Atomkraft-Gegnern mutiert. Gegen die beiden Volksverdikte aber mag sich niemand mehr stellen: Die Opposition gegen weitere Nagra-Pläne ist so breit abgestützt und so stark wie nie zuvor. Inzwischen hat sich auch der Regierungsrat in ungewöhnlich deutlichen Worten weiteren Wellenberg-Vorhaben widersetzt. Ebenfalls sind sämtliche bürgerlichen Parteien dagegen.

Der Jurist Peter Steiner ist Mitbegründer des MNA, des Komitees für die Mitsprache des Nidwaldner Volkes bei Atomanlagen. Der Name verrät, dass diese Mitsprache zuerst politisch und auch juristisch hart und langwierig erkämpft werden musste. "Jetzt geht das wieder los. Das ruft unschöne Erinnerungen wach, lässt neue Befürchtungen und damit die Furcht vor neuem Streit aufkommen", sagt der Präsident der Gegner. Der Wellenberg habe wahrlich Wellen geworfen, und zwar wie jahrzehntelang zuvor kein anderer Streit.

"Sündenfall"

Die Gegner vertrauten den Atommüll-Entsorgern stets ebenso wenig wie "Bern". Steiner fühlt sich denn auch bestätigt: "Wir sind über all die Jahre während unseres Kampfes hinweg misstrauisch geworden. Darum haben wir unsere Organisation wohlweislich nicht aufgelöst; und darum sind wir jetzt in der Lage, unseren Kampf sofort fortzuführen." Sank die Zahl der MNA-Mitglieder von einst 1000 auf 250, so treten laut Steiner seit dem 6. November "praktisch täglich ein Dutzend Neumitglieder bei".

Und die Unterstützung wächst auch ausserhalb des MNA. Peter Steiner will wissen, dass angesichts des Sachplans geologische Tiefenlager mit dem Wellenberg als möglichem Standort die Ausgangslage im nächsten Kampf sicher anders ist als 1995 und 2002, was "bereits spürbar" sei. Jetzt nämlich legitimiere sich der Widerstand auch gegen die bundesrätliche Ignoranz gegenüber zwei Volksentscheiden und damit einem demokratiepolitischen Sündenfall: "Das Hauptthema ist nun nicht mehr die Endlagerfrage. Jetzt geht es darum, dass die Urnenentscheide akzeptiert werden." Genau darauf pocht inzwischen ebenso CVP-Ständerat Paul Niederberger. Schliesslich hätten sowohl Bundesrat Leuenberger wie auch die Nagra nach dem zweiten Nein deutlich versichert, dass der Wellenberg vom Tisch sei. Was jetzt der Sachplan enthalte, widerspreche Treu und Glauben.

Der Nidwaldner Landammann Leo Odermann - Vertreter des links-grünen Demokratischen Nidwalden (ND), das mit der Wellenberg-Oppositon erstarkt ist - fühlt sich anders als zuvor viele Jahre "im Regierungsrat getragen und unterstützt". Doch frohlocken mag er nicht: "Niemand weiss, wie es nun weitergeht. Ich bin sehr besorgt."

Einfluss, Geld und Gutachten

Zu den unabhängigen und kritischen Geistern in Nidwalden gehört der Architekt Claus Niederberger aus Oberdorf. Er hatte 1970 landesweit Aufsehen erregt, weil es ihm gelungen war, an der Landsgemeinde das Frauenstimmrecht zu erkämpfen. Niederberger kennt in Nidwalden die Feinmechanik der Macht und vor allem die Spiele der Machthaber. Er verurteilt die neuen Wellenberg-Pläne mit scharfen Worten: "Die erneute Einbeziehung des Wellenbergs als Standort für Atommüll zeugt von Arroganz der wirtschaftlich und politisch Mächtigen in diesem Land. Meinen diese Kräfte wirklich, sie könnten bei uns nochmals mit Einfluss und Geld und mit Gutachten ihrer Experten unsere Volksentscheide gegen ein Atommülllager ausser Kraft setzen?"

Marksteine Imwellenberg-Streit

1986: Der Regierungsrat offeriert der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra), den Kanton als Sondiergebiet zu nutzen.

25. Juni 1995: Das Nidwaldner Stimmvolk lehnt den Wellenberg als Endlager mit 52 Prozent Nein-Stimmen ab.

22. September 2002: Das Volk lehnt das Nagra-Gesuch für den Bau eines Sondierstollens im Wellenberg mit 57 Prozent Nein-Stimmen ab. Energieminister Moritz Leuenberger und die Nagra versichern, weitere Wellenberg-Pläne gäbe es nicht mehr.

Juni 2003: Die Nagra beginnt mit dem Rückbau der Löcher für die Sondierbohrungen. Diese hatten zu Vorabklärungen für den Bau des Sondierstollens gedient. Die Genossenschaft für nukleare Entsorgung Wellenberg (GNW) und damit auch die Nagra ziehen sich damit aus Nidwalden zurück.

6. November 2008: Das Bundesamt für Energie (BFE) und die Nagra geben den Sachplan geologische Tiefenlager bekannt. Darin ist der Wellenberg als Endlager vorgesehen. Dagegen wehrt sich gleichentags die Nidwaldner Regierung unter Berufung auf die beiden Volks-Nein von 1995 und 2002. (hrf)

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NEONAZIS GB
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Tagesanzeiger 20.11.08

Unfreiwilliges Comingout von 12 000 Rechtsradikalen

Ein "Verräter" hat die gesamte Mitgliederliste der Britischen Nationalpartei ins Internet gestellt. Die Rechtsradikalen sind empört.

Von Peter Nonnenmacher, London

In dieser Haut möchte man nun wirklich nicht stecken. Dem "Verräter", der sich diese Woche mit der Britischen Nationalpartei (BNP) angelegt hat, blüht wohl einiges mehr als nur eine Strafanzeige. "An dessen Stelle würde ich heute Nacht nicht sonderlich gut schlafen", hat schon BNP-Sprecher Simon Darby gedroht.

Kein Wunder: Der Urheber der jüngsten BNP-Misere, der ein frustrierter früherer Mitarbeiter der Organisation sein soll, hat die britischen Rechtsradikalen aus dem Halbdunkel ihrer eigenen Aktionen gnadenlos ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Der "Verräter" stellte zum Wochenanfang die gesamte Mitgliederliste der BNP vom Vorjahr ins Netz - rund 12 000 Namen, Adressen, Kontaktnummern und Berufsangaben.

Vor allem letztere Daten sind seither auf erhebliches Interesse gestossen. Unter den BNP-Leuten finden sich nämlich Ärzte, Lehrer, Staatsbeamte, Firmenchefs, Wissenschaftler, Krankenschwestern. Auch ein Pfarrer der englischen Staatskirche sowie eine selbst ernannte "Hexe" stehen auf der Liste. Plus 16 Soldaten Ihrer Majestät (im aktiven Dienst).

Solche Mitgliedschaften bereiten den britischen Behörden wenig Freude. Einer Partei anzugehören, die rechtsextreme Positionen vertritt und nur Weisse in ihren Reihen duldet, verträgt sich kaum mit dem Anspruch der öffentlichen Dienste im Vereinigten Königreich. Bei der Polizei ist eine BNP-Mitgliedschaft sogar ausdrücklich verboten. Dennoch findet sich auf der Liste eine ganze Reihe ehemaliger Polizisten. An Ingenieuren, Häusermaklern, Fahrlehrern und Journalisten herrscht sowieso kein Mangel. Sogar ein Dozent für Menschenrechte und Datenschutz hat sich in den Dienst der BNP gestellt.

Unter den Betroffenen selbst hat die Enthüllung Empörung ausgelöst. Hinter vielen Namen findet sich auf der Liste immerhin der Vermerk, die Information sei "vertraulich" zu behandeln, damit die oder der Betreffende am Arbeitsplatz nicht zu Schaden kommt. Indes erkennt der BNP-Vorsitzende Nick Griffin in diesem Teil des "Verrats" auch etwas unerwartet Gutes. Nun sehe die Öffentlichkeit endlich mal, dass sich die BNP "aus ganz normalen Bürgern aus allen Lebensbereichen" zusammensetze - dass sie nicht einfach aus Bierflaschen schwingenden "Skinhead Oiks" bestehe.

Als "ein Verbrechen" betrachtet Griffin hingegen die Veröffentlichung der Adressen und Telefonnummern seiner - weissen - Schäfchen, die bereits über Schmähbriefe und jede Menge Anrufe beleidigender Art klagen. Die BNP, meint der Parteichef, werde notfalls mithilfe der europäischen Menschenrechtsgesetze gegen diese Verletzung der Privatsphäre ihrer Mitglieder vorgehen. (Bisher, bezeichnenderweise, war Griffins Partei strikt gegen jede europäische Menschenrechtsgesetzgebung.) Auch Innenministerin Jacqui Smith bestreitet das Recht auf Datenschutz nicht. Für sie sei es nie ein Problem gewesen, sich zu ihrer Labour-Mitgliedschaft zu bekennen: "Ich frage mich aber, warum sich BNP-Mitglieder, für ihre Parteizugehörigkeit sooft schämen."

In der Tat fürchtet die Labour-Regierung, dass die Rechtsradikalen ihre stillen Erfolge der letzten Jahre in der gerade beginnenden Rezession ausbauen können. Das alte, wüste Neonazi-Image der Partei hat Griffin immerhin schon durch eine moderatere Fassade ersetzt.

Stetig hat die BNP seit der Millenniumswende ihren Stimmenanteil bei Wahlen gesteigert, die Zahl ihrer Gemeinderatssitze erhöht. Dieses Jahr errang sie erstmals ein Mandat im Stadtrat von London. Im Ost-Londoner Stadtteil Barking kam sie auf 17 Prozent aller Stimmen. Und bei den Wahlen zum Europa-Parlament im kommenden Frühling rechnet sie sich gute Chancen für einen ersten Parlamentssitz in Strassburg aus.

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SCHNÜFFELSTAAT BERN
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Stadtratssitzung 23.10.08

8 Dringliche interfraktionelle Interpellation Fraktion GB/JA!, SP/JUSO, GFL/EVP (Hasim Sancar, GB/Giovanna Battagliero, SP/Rania Bahnan Büechi, GFL): Geheimdienstliche Bespitzelung auch in Bern
Geschäftsnummer 08.000238 / 08/261

Die Geschäftsprüfungskommission des Grossen Rates des Kantons Basel-Stadt hat am 23. Juni 2008 die Öffentlichkeit darüber informiert, dass mindestens sechs Ratsmitglieder vom Dienst für Analyse und Prävention (DAP) des Bundesamtes für Polizei überwacht und fichiert wurden. Die Fachgruppe 9 der Basler Staatsanwaltschaft hat aufgrund eines Auftrags des Staatsschutzes des Bundes gehandelt. Die bekannten sechs Ratsmitglieder des Grossen Rates von Basel-Stadt sind offenbar aufgrund ihres Migrationshintergrunds überwacht und fichiert worden.
Die kommunalen und kantonalen Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind vom Volk legitimierte politische Vertreterinnen und Vertreter und haben unter anderem die Aufgabe über den Staatsschutz zu wachen. Es ist rechtstaatlich und demokratie-politisch inakzeptabel, wenn gewählte Parlamentarierinnen und Parlamentarier bespitzelt und fichiert werden, nur aufgrund der Tatsache, dass sie gewählte Verteterinnen des Volkes sind und einen Migrationshintergrund haben. Grund für diese Fichierung und Überwachung sei offenbar die Information über die Wahl der sechs Migrantinnen und Migranten in einer pro-kurdischen Zeitung.
Es ist z.Z. nicht klar, ob auch andere lokale Parlamentarierinnen und Parlamentarier in Basel und in den anderen Kantonen bzw. Städten vom schweizerischen Staatschutz (DAP) bespitzelt und fichiert wurden. Wir vermuten, dass auch in der Stadt Bern und im Kanton Ratsmitglieder überwacht werden. Bis Ende 2007 war die Stadt Bern selber für die Polizei zuständig und hatte einen eigenen Informationsdienst gehabt. Mit Police Bern ging die Staatschutzstelle am 1.1.2008 von der Stadt zum Kanton, in der Stadt gibt es keinen eigenen Informationsdienst mehr.

Daher bitten wir den Gemeinderat um die Beantwortung folgender Fragen:

1. Wie stellt sich der Gemeinderat zu der Tatsache, dass vom Volk gewählte Mitglieder der Räte vom Staatsschutz überwacht werden?

2. Hat der Gemeinderat Kenntnis davon, ob Stadträtinnen und Stadträte aus Bern über wacht und fichiert wurden oder noch werden? Hatte der Gemeinderat bis Ende 2007 Kenntnis der sog. Positivliste und der Liste der Prüfungsanträge des DAP? In wie fern war der Informationsdienst der Stadt Bern an solchen Überwachungen beteiligt?

3. Wie hat der Gemeinderat bis Ende 2007 die Kontrolle über seinen Nachrichtendienst wahrgenommen?

4. Welche Möglichkeiten hat der Gemeinderat seit 2008 (Police Bern) auf Gemeindeebene Aktivitäten des Staatsschutzes in der Stadt Bern zu kontrollieren und ggf zu intervenieren?

5. In welcher Form gedenkt der Gemeinderat vom Kanton und Bund abklären zu lassen, ob die Berner Stadträtinnen und Stadträte von DAP überwacht werden und fichiert sind? Wird er sich dafür einzusetzen, dass die Betroffenen vollständige Einsicht in ihr Staatschutzdossier erhalten?

Begründung der Dringlichkeit:
Die Information aus Kanton Basel-Stadt über die Fichierung von sechs Ratsmitgliedern durch den DAP hat bei uns grosse Verunsicherung ausgelöst. Eine schnelle Bearbeitung dieser Angelegenheit durch den Gemeinderat ist für uns deshalb wichtig, sie macht aber auch aus rechtsstaatlichen Überlegungen Sinn. Ein schnelles Handeln ist zu dem erforderlich um einer allfälligen Vernichtung von Unterlagen zuvor zu kommen.

Bern, 3. Juli 2008


Antwort des Gemeinderats
Der Staatsschutz ist gemäss Bundesgesetz vom 21. März 1997 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS; SR 120) eine Bundesaufgabe. Die Kantone leisten dem Bund in diesem Bereich Amts- und Vollzugshilfe, d.h. sie arbeiten im Auftrag des Bundes. Die Verantwortung für die Tätigkeit der kantonalen Behörden gestützt auf das BWIS liegt grundsätzlich beim Bund. Gemäss Artikel 25 BWIS wird die parlamentarische Kontrolle von der Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte (GPDel) wahrgenommen. Durch die Kantone darf lediglich geprüft werden, ob die kontrollierten Verwaltungsabläufe den massgebenden Rechtsvorschriften entsprechen, namentlich, ob die Daten zur Wahrung der inneren-Sicherheit von übrigen polizeilichen Informationen getrennt bearbeitet werden. Einsicht in die Daten des Bundes kann das kantonale Kontrollorgan nur nehmen, soweit der DAP zustimmt (Art. 23 der Verordnung über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit, VWIS; SR 120.2). Der Gemeinderat ist entsprechend dieser Struktur nicht in die Kontrolle des Staatsschutzes involviert und über die entsprechenden Tätigkeiten auch nicht informiert.
Seit der Überführung der Stadtpolizei Bern in die Kantonspolizei Bern per 1. Januar 2008 verfügt die Stadt Bern über keinen eigenen Nachrichtendienst mehr. Für den Bereich des präventiven Staatsschutzes zeichnet die Kantonspolizei Bern verantwortlich. Sie handelt hauptsächlich im Auftrag des Dienstes für Analyse und Prävention (DAP) des Bundesamts für Polizei.
Die Informationsaufträge bzw. Informationspflichten, welche die Polizei gestützt auf das BWIS zu erfüllen hat, sind in den Artikeln 11 und 12 BWIS umschrieben.
Zum Fall im Kanton Basel-Stadt: Die GPDel führte in diesem Jahr beim DAP einen unangekündigten Besuch durch und prüfte, ob die von der GPK Basel-Stadt gemeldeten Personen im Staatsschutzinformationssystem ISIS registriert sind. Die GPDel nahm Einsicht in alle vorhandenen Daten (Medienmitteilung der Parlamentsdienste vom 3.7.2008).

Zu Frage 1: Der Gemeinderat ist der Ansicht, dass es bei der Überwachung von Personen im Sinn des präventiven Staatsschutzes unerheblich ist, ob es sich dabei um vom Volk gewählte Mitglieder eines Parlaments handelt. Für den Gemeinderat ist einzig entscheidend, dass die Aktivitäten des Staatsschutzes streng nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (vgl. insbesondere Art. 3 BWIS) erfolgen und keine darüber hinausgehenden Überwachungen stattfinden. Eine Bearbeitung von Daten ausserhalb der Schranken von Artikel 3 BWIS würde der Gemeindrat als gravierend und inakzeptabel beurteilen.

Zu Frage 2: Der damalige Informationsdienst der Stadtpolizei übte seine Tätigkeit im Rahmen von Artikel 11 und 12 BWIS aus. Wie einleitend dargelegt ist der Gemeindrat nicht in die Kontrolle der Staatsschutztätigkeiten involviert und hat keine Informationen darüber. Entsprechende Auskunftsersuchen sind gemäss Artikel 18 BWIS an den eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) zu richten.

Zu Frage 3: Der Gemeinderat hat aufgrund der genannten rechtlichen Regelungen keine direkte Möglichkeit, Aktivitäten des Staatsschutzes zu kontrollieren bzw. gegebenenfalls zu intervenieren.

Zu Frage 4: Siehe einleitende Ausführungen und Antwort auf Frage 3.

Zu Frage 5: Gemäss Artikel 18 BWIS kann jede Person beim Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten verlangen, dass er prüfe, ob im Informationssystem des Bundes rechtmässig Daten über sie bearbeitet werden. Das Auskunftsrecht betroffener Personen ist abschliessend im BWIS geregelt. Wie bereits dargelegt kann der Gemeinderat keine entsprechenden Abklärungen vornehmen. Ebenso wenig erhält der Gemeinderat Informationen zu Prüfungsergebnissen. Der Gemeinderat geht davon aus, dass eine allfällige unrechtmässige Datenbearbeitung durch die einleitend erwähnte Kontrolle der GPDel beanstandet und in der Zwischenzeit behoben worden wäre.

Bern, 3. September 2008

Interpellant Hasim Sancar (GB): Die Antwort des Gemeinderats ist minimalistisch. Sie beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die gesetzlichen Grundlagen aus dem Staatschutzgesetz und der Verordnung abzuschreiben. In Basel hat sich der Kantonsrat über alle Parteien hinweg über die Überwachung seiner Mitglieder empört. In Bern wo wir noch nicht wissen, ob eine solche Fichierung stattgefunden hat, tut der Gemeindrat so, als ob alles Bestens wäre. Das Beispiel Basel und die im Juli bekannt gewordene Fichierung eines WOZ Journalisten, sowie jene des grünen Politikers Balthasar Glättlis zeigen auf, dass sich Staatsschützer eben gerade nicht an die gesetzlichen Bestimmungen halten. Aus diesem Grund müsste der Gemeinderat ein Interesse daran haben, selbst zu überprüfen, was sein Nachrichtendienst in der Zeit vor Januar 2008 getan hat. Die Antworten auf die Fragen 2 und 3 sind falsch. Sowohl der damalige Kommandant der Stadtpolizei, als auch verschiedene Polizeidirektorinnen und Polizeidirektoren hatten Kenntnisse davon, welche Personen und Organisationen beobachtet wurden. Die sogenannte Beobachtungsliste wird dem Staatsschutz der Kantone vertraulich zur Kenntnis gegeben. Auf dieser Liste werden alle Personen und Organisationen aufgeführt, die von den kantonalen oder städtischen Staatsschutzdiensten im Auftrag des Bundes überwacht werden müssen. Der zuständige Gemeinderat ist für die Arbeit der Staatsschützer genauso verantwortlich, wie er es für die Sicherheitspolizei oder die Feuerwehr ist. Er muss von den entsprechenden Vorgaben, Weisungen und Aufträgen Kenntnis nehmen. Dies alleine schon zur Abschätzung der Arbeitslast, zur Personalplanung und um sicherzustellen, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Dies gilt umso mehr, als dass der Nachrichtendienst der Stadtpolizei keineswegs nur im Auftrag des Bundes gehandelt hat, sondern offensichtlich auch aus eigenem Antrieb Informationen gesammelt und Personen und Organisationen überwacht hat. Nicht umsonst war ein städtischer Staatsschutzbeamte regelmässig bei Vorgesprächen für Demonstrationen anwesend. Er ist es auch heute noch, nur bezieht er jetzt den Lohn vom Kanton. Die dürre Antwort des Gemeinderats ist noch vor einem anderen Hintergrund enttäuschend. Der Stadtpräsident hat Erfahrungen mit der Tätigkeit des Staatsschutzes gesammelt. Er weiss sehr wohl, dass es hier um äusserst heikle persönliche Daten geht und was geheime Beobachtung für die Betroffenen bedeutet. Nach dem Auffliegen des Fichenskandals war Alexander Tschäppät Gerichtspräsident und während 10 Monaten stellvertretender Ombudsmann in Fichen-Einsichtsverfahren. Gemeinsam mit dem Ombudsleuten Arthur Haefliger und Pierre Schrade hat er vielen Betroffenen geholfen zu ihren Fichen und Dossiers zu kommen. Dank dem Einschreiten dieser Ombudsstelle haben viele Leute ihre zum Teil sehr umfangreichen Fichen bekommen. Pierre Schrade war im übrigen während zwölf Jahren im Stadtrat und 1971 Stadtratspräsident. Alexander Tschäppät und Pierre Schrade waren bei ihrer Arbeit klar auf der Seite der Betroffenen. Das ist alles noch nicht so lange her, gerade mal 17 Jahre. Mit der Antwort des Gemeinderats sind wir teilweise zufrieden.

Direktor FPI Stephan Hügli-Schaad: Der Unterschied zum Fall Basel ist, dass es sich hier um eine hypothetische Anfrage handelt. Da die Stadt überhaupt keine Möglichkeit hat, davon Kenntnis zu haben, ist es unmöglich eine hypothetische Antwort auf eine ebensolche Frage zu geben. Dafür ist der Gemeinderat eben nicht verantwortlich. Wir sind für die Sicherheit in der Stadt Bern zuständig. Der Nachrichtendienst ist speziell geregelt und entzieht sich sowohl der kantonalen, als auch der städtischen Kontrolle. Die einzigen Kontrollorgane sind die eidgenössische Staatsschutzbeauftragten, an die sich jeder wenden kann um zu schauen, ob er irgendwo fichiert ist. Das ist eine Delegation der GPK die die Oberaufsicht ausübt.

Beschluss
Die Interpellantin Fraktion GB/JA!, SP/JUSO, GFL/EVP sind mit der Antwort des Gemeinderats teilweise zufrieden.