MEDIENSPIEGEL 10.12.08
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipp (DS)
- Bettelverbot Thun?
- Busse für Nazi-Video
- Christen gegen Euro Pride 09
- BE will AKW-Ausstieg
- Taser für LU-Luchse
- Gipfel-Soli-News 9.12.08
- Griechenland

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REITSCHULE
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Dez 08: Beteiligt Euch an der Vorplatz-Präsenz!!!

PROGRAMM:

Mi 10.12.08  
19.00 Uhr - SousLePont - Pazifische-Inseln Spezialitäten

Do 11.12.08
20.00 Uhr - Frauenraum - BarOmeter special - a farewell kiss: elektronische Leckerbissen zu lesbisch-schwulem Chillen mit DJ FRATZ, DJ GEISHA & DJ ELfERich
20.30 Uhr - Tojo - Pamplona von Jobert und Pancetta. Mit Eveline Dietrich & Robert Stofer
20.30 Uhr - Kino - UNCUT: Finn's Girl, Kanada 2007, Dominique Cardona, Laurie Cobert,

Fr 12.12.08
20.30 Uhr - Tojo - Pamplona von Jobert und Pancetta. Mit Eveline Dietrich & Robert Stofer
21.00 Uhr - Kino - Volver, Pedro Almodóvar, E 2006
22.00 Uhr - Dachstock - A Dachstock-HipHop-Weekender: Prinz Pi (D) Neopunk Tour 2008 mit Casper & Maeckes & Plan B

Sa 13.12.08
14.00 Uhr - Frauenraum - AMIE Frauenkleidertauschbörse
20.30 Uhr - Tojo - Pamplona von Jobert und Pancetta. Mit Eveline Dietrich & Robert Stofer
21.00 Uhr - Kino - Volver, Pedro Almodóvar, E 2006
22.00 Uhr - Dachstock - A Dachstock-HipHop-Weekender: J-Live (USA) & Mr. Thing (UK), Blu Rum 13 & Band (USA), Support: DJ Kermit

Infos: www.reitschule.ch

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kulturagenda.be 11.12.08

Prinz Pi und J-Live im Dachstock

Das Wochenende steht im Zeichen des Hip-Hop. Prinz Pi aus Berlin (Bild), früher bekannt als Prinz Porno, ist mit seinem neuen Album, "Neopunk", auf Tour. Tags darauf beschallt der berühmteste Ex-Ghetto-Englischlehrer von New-York das Reitschule-Gebälk: J-Live tritt mit Mr. Thing auf. Blu Rum 13 (USA) gibt einen drauf. (mfe)
Dachstock der Reitschule, Bern. Fr., 12.12., und Sa., 13.12., 22 Uhr
Rene Richter

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RANDSTAND THUN
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Thuner Tagblatt 10.12.08

Wird der Stadtrat ein generelles Bettelverbot in Thun fordern?

Die SVP hätte gerne das Betteln in Thun verboten. Doch der Gemeinderat sieht kaum Möglichkeiten, solche Gesetze umzusetzen. Er will die Motion allerdings annehmen, entscheiden darüber wird übermorgen der Stadtrat.

Am liebsten wäre der SVP, wenn in Thun niemand mehr betteln würde. Deshalb hat sie einen Vorstoss eingereicht, der ein Bettelverbot fordert und nun an der Sitzung des Stadtrats vom Freitag behandelt wird. "Wir fordern den Gemeinderat auf, in der Stadt Thun die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen", schreibt die SVP-Fraktion. Bis ein solcher Entwurf vorliege, sollen "ab sofort" strenge Kontrollen durchgeführt und die Bettelnden weggewiesen werden.

In der Stellungnahme des Gemeinderates schreibt dieser, dass eine Umsetzung einer solchen Forderung schwierig sei. So seien einerseits Fragen offen, welche Formen des Bettelns ein solches Verbot umfassen solle. Und andererseits erachtet der Gemeinderat es als schwierig, ein allfälliges Bettelverbot konsequent durchzusetzen.

Zusätzliche Stellenprozente

Im Weiteren steht in der Antwort: "Die nötigen Kapazitäten, um ein konsequentes und zeitgerechtes Einschreiten zu gewährleisten, sind nicht vorhanden und dürfen nicht unterschätzt werden. Trotz Aufgabenverzichtsplanung müssten zusätzliche Stellenprozente zur Verfügung gestellt werden." Bereits heute würden sowohl das Gewerbeinspektorat wie auch die Polizei einschreiten, wenn die Bettelei nach objektivem Massstab als Störung der öffentlichen Ordnung qualifiziert werde. "Dies geschieht bei bandenmässig organisiertem Betteln, bei aggressivem Auftreten, bei abstossender Zurschaustellung amputierter Glieder oder Ähnlichem", steht in der gemeinderätlichen Antwort.

Trotzdem ist der Gemeinderat bereit, die Motion (ein verbindlicher Auftrag) anzunehmen. Der Ball liegt nun übermorgen beim Stadtrat.
Franziska Streun

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NEONAZIS
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Nidwaldner Zeitung 10.12.08

Schüler wegen Drohung verurteilt

ur. Das Stanser Kantonsgericht verurteilte gestern einen ehemaligen Schüler aus Buochs zu 30 Tagessätzen à 80 Franken und einer Busse von 1000 Franken. Angeklagt war dieser der Sachbeschädigung, der Drohung und des unerlaubten Tragens von Waffen.

Im Zentrum der Gerichtsverhandlung stand ein Videoclip, das der Verurteilte gedreht hatte. Darauf zu sehen ist eine gespielte Szene, wie der damals 18-Jährige seinen ungeliebten Lehrer mit einem Gewehr hinrichtet. Über Kollegen gelangte das Video auf den Pausenplatz der Schule und wurde dort herumgezeigt. Frappant ist zudem, dass der Verurteilte zu dieser Zeit Kontakte zu Rechtsextremen pflegte.

Die Verteidigerin Myrjana Niederist legte das Video als "Jux und Bubenstreich" aus. Noch ist offen, ob der Fall vors Obergericht weitergezogen wird.

Seite 23

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Drohvideo endet mit Geldstrafe

Ein einstiger Schüler aus Buochs drehte ein Video, auf dem er seinen Lehrer gleichsam hinrichtet. Der Schüler war in den Dunstkreis Rechtsextremer geraten.

Von Urs Rüttimann

"Das Gericht hofft, dass Sie daraus gelernt haben", sagt Marcus Schenker, Kantonsgerichtspräsident des Kantons Nidwalden. "Wir hoffen, dass Sie ein guter Demokrat im schweizerischen Sinn werden und nicht an das glauben, was Ihnen rechtsextreme Kreise aus Deutschland weismachen wollen." Dabei ist das Gericht dem Strafantrag des Staatsanwaltes weit gehend gefolgt: 30 Tagessätze (statt der geforderten 40) zu 80 Franken, eine Busse von 1000 Franken und die Übernahme der Verfahrenskosten. Überführt worden ist der Angeklagte der Sachbeschädigung, der Drohung und der Widerhandlung gegen das Waffengesetz durch mehrfaches Tragen einer Waffe ohne Tragbewilligung.

Hinrichtungsvideo von Lehrer

Ihren Anfang nahm die Straftat im Bouchserwald: Im Dezember 2006 schoss dort der damals 18-jährige Verurteilte aus Buochs, der heute als Metzger arbeitet, sein neu gekauftes (kleinkalibriges) Flobertgewehr ein. Zusammen mit seinem Kollegen habe er mit dem Mobiltelefon zuerst ein kurzes Filmchen zu einer Fuchsjagd gedreht, gab er im Verhör zu Protokoll. Danach wurde eine Szene simuliert, auf welcher der Verurteilte symbolisch seinen "linken" Lehrer abknallt, mit dem er öfters Meinungsunterschiede aufgrund seiner rassistisch und nationalsozialistisch orientierten Meinung ausgetragen hatte. "Geh (Lehrer), lauf noch ein bisschen, ich erwisch dich schon noch", hört man den Verurteilten mit angelegtem Gewehr auf dem Videoclip rufen. Anschliessend schiesst er dem Opfer quasi hinterher.

Dieses Hinrichtungsvideo gelangte über Kollegen des Verurteilten auf das Schulareal, wo es sich rasch verbreitete. Im Mai 2007 erfuhr der betroffene Lehrer von Berufskollegen davon und meldete den Vorfall der Polizei. Die Polizei verhaftete den Beschuldigten sofort. Bei ihm zu Hause fand diese, nebst Waffen und Munition, rechtsradikale Musik und Embleme. Weiter konnte sie aus gelöschten Datenfragmenten ein Schreiben eruieren, auf dem sich der Verurteilte als Mitglied der Pnos (Partei national orientierter Schweizer) bezeichnet, sowie eine "Platzkundgebung", die Personen beim Hitlergruss zeigt.

Verbindung zu Rechtsradikalen

Der Lehrer beschrieb den verurteilten ehemaligen Schüler als jemanden , der sich sehr respektlos gegenüber Tieren und Menschen anderer Kulturen gezeigt hatte. In seiner 30-jährigen Lehrtätigkeit habe er noch nie so viel mit einem Schüler diskutiert wie mit dem Verurteilten. Auch wusste der Lehrer, dass sein Schüler in der Pnos verkehrte, die damals auf dem Schulareal aktiv wurde. Zur Anzeige bewegt hat ihn "der Respekt vor der Situation", die ihn nicht mehr gut schlafen liess, aber auch weil Eltern und Drittpersonen sich mit der Familie des Verurteilten solidarisierten und er nicht einmal von der Schulleitung Rückhalt bekam. Ausserdem spielte Angst um seine Familie mit.

Dass der junge Verurteilte durchwegs über "kriminelle Energien" verfügt, wie es der Staatsanwalt André Wolf formuliert, zeigt eine weitere Tat, die ihm nachgewiesen werden konnte. Im April 2007 zerkratzte er einem anderen Lehrer in der Nacht unter Alkoholeinfluss das Auto und schlug die Heckscheibe ein. Dies, weil ihn zwei Kollegen ohne grosse Überredungskünste dazu angestachelt hatten.

War Video bloss ein "Jux"?

Für die Verteidigerin Myrjana Niederist haben "Übermut und Freude am Drehen" zum Video mit der simulierten Tötung geführt. Für die Anklage einer "vorsätzlichen Drohung" fehlten ihr aber klare Motive. "Das Video war ein Jux, ein Bubenstreich." Weiter argumentierte sie, der Lehrer sei nie richtig von Angst gepackt worden. Auch habe er aufgrund seiner Haltung in der Schule seine Integrität bei Eltern und Lehrerkollegen verloren. Deshalb sei ihm das Video als Racheakt gegen den unliebsamen Schüler sehr willkommen gewesen.

Für den Staatsanwalt André Wolf indessen stand fest, dass der Verurteilte mit seinem Video bewusst seinen Lehrer bedroht hatte, vor allem wenn sein "nationalistisch orientierter Hintergrund" mitbetrachtet werde. "Der Angeklagte hegte starke negative Gefühle gegen seinen linken Lehrer und bezeichnete ihn als "inkompetenten Siech"", sagte Wolf während der Verhandlung. Ausserdem hat der Verurteilte beim Verhör ausgesagt, sein Lehrer habe ihn mehrmals des Rechtsextremismus beschuldigt, weil gelegentlich an den Wänden des Schulhauses Hakenkreuze aufgezeichnet gewesen seien.

Mildes Strafurteil

An der Verhandlung wurde der Verurteilte gefragt, ob er die beschlagnahmten Musik-CDs und Embleme der rechtsextremen Szene von der Polizei vernichten lassen wolle. Nur zögerlich ging er darauf ein. Weiter liess der Richter Marcus Schenker durchblicken, dass die Strafe härter ausgefallen wäre, wenn der Lehrer klar gesagt hätte, dass ihn das Hinrichtungsvideo in "Angst und Schrecken" versetzt hätte.

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HOMOPHOBIE
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Landbote 10.12.08

Petition soll "Euro Pride" verhindern

zürich - Die christlich-fundamentalistische Gruppierung "Familienlobby" will das Homosexuellen-Festival "Euro Pride 09" vom nächsten Frühling in Zürich verhindern. Gestern hat sie im Rathaus eine Petition mit 5000 Unterschriften eingereicht. Wie die Gruppierung mitteilt, werde sie sich weiterhin gegen die Homoparade einsetzen. Zu den angekündigten Massnahmen zählt auch das Gebet, auf dass Gott es im Mai 2009 stark regnen lasse. Die "Euro Pride" findet vom 2. Mai bis am 7. Juni statt und wird Zürich in dieser Zeit zum europaweiten Anziehungspunkt für Schwule und Lesben machen. Das Festival wird jedes Jahr in einer anderen Stadt ausgetragen, 2009 zum ersten Mal in der Schweiz. (sda)

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20 Minuten 10.12.08

Petition gegen Euro Pride 09

ZÜrich. Heftiger Widerstand gegen die Euro Pride 09: Die christlich-fundamentale Gruppierung Familienlobby hat gestern im Rathaus eine Petition mit 5000 Unterschriften eingereicht, um das Homosexuellen-Festival zu verhindern. Die Euro Pride findet vom 2. Mai bis am 7. Juni statt und wird Zürich zum europaweiten Anziehungspunkt für Schwule und Lesben machen. Geplant sind zahlreiche politische, sportliche und kulturelle Veranstaltungen. Zudem gibt es eine Parade durch die Innenstadt - falls die Familienlobby mit ihren Protestenerfolglos ist. Vorläufig will die Gruppe dafür beten, "dass Gott es im Mai stark regnen lasse".

Die Euro Pride wird jedes Jahr in einer anderen europäischen Stadt organisiert. Im kommenden Jahr findet das Festival erstmals in der Schweiz statt. SDA /ram

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Aargauer Zeitung 10.12.08

In den Farben des Regenbogens

Europride 09 Das grösste lesbischwule Festival Europas steigt im Mai und Juni in Zürich

Sidonia Küpfer

Zürich wird im Sommer zum Festzelt von Lesben und Schwulen aus ganz Europa. Als Höhepunkt steigt auf dem Stadthaus-Areal eine grosse Party. Für Michael Rüegg ist die Vergabe des Anlasses an Zürich eine grosse Ehre.

Das grösste lesbischwule Festival Europas, die Europride, findet 2009 in Zürich statt › was wird da in der Stadt los sein?

Michael Rüegg: Zürich wird während etwas mehr als eines Monats in die Farben des Regenbogens getaucht. Unter dem Dach "Europride" wird eine Vielzahl von Veranstaltungen durchgeführt: Angefangen bei den offiziellen Anlässen über die Parties bis hin zu den Kultur- und Sportprogrammen. Den Höhepunkt bilden das Stadtfest und die grosse Parade am letzten Wochenende.

Wo findet dieser Höhepunkt denn statt?

Rüegg: Mit dem Stadtfest gehen wir ins Zentrum von Zürich. Der Münsterhof wird zum Kulturplatz, das Stadthaus-Areal zur Party-Zone. Wir sind offen für alle, die Lust haben vorbeizukommen und sich das anzusehen.

Wie wichtig ist es für Sie, dass dieses Fest an so zentraler Lage über die Bühne geht?

Rüegg: Das hat für uns grossen symbolischen Charakter. Wir waren lange genug am Rand der Gesellschaft, jetzt feiern wir mitten in der Stadt.

Wie hat Zürich dieses Festival zugesprochen bekommen?

Rüegg: Das läuft ähnlich wie bei den Olympischen Spielen: Man bewirbt sich als Stadt. Die European Pride Organisers Association (EPOA) hat die Rechte am Titel "Europride" und vergibt den Event jährlich. Zürich trat gegen Mannheim und Tel Aviv an und bekam schliesslich die Zusage.

Was bedeutet es für Zürich, dass die Europride diesmal hier stattfindet?

Rüegg: Zürich war schon immer eine sehr schwulenfreundliche Stadt und hat eine lange Tradition darin, Menschen mit offenen Armen zu empfangen, die sonst kein Zuhause mehr hatten. Für mich ist die Vergabe der Europride auch eine Würdigung Zürichs als langjähriger Zufluchtsort.

Auf der Homepage der Europride gibt es ein Inserat, auf dem mit dem Slogan geworben wird "Zürich the Gay Capital of Switzerland". Stimmen Sie der Aussage, dass Zürich die schwule Hauptstadt der Schweiz sei, zu?

Rüegg: Zürich hat sich in den vergangenen Jahren erfolgreich für schwule und lesbische Touristen positioniert.

. . . und kann während der Europride möglicherweise mit der ersten lesbischen Stadtpräsidentin aufwarten, falls Corine Mauch gewählt wird.

Rüegg: Unser Verein ist politisch neutral. Aber wenn Zürich zur Zeit der Europride eine lesbische Stadtpräsidentin hätte, wäre das für uns natürlich grossartig.

Es regt sich Widerstand aus christlichen Kreisen. Die Familienlobby reichte gestern eine Petition für ein Verbot der Europride ein. Wie gehen Sie damit um?

Rüegg: Relativ gelassen. Uns wurde viel Unterstützung zugesagt, sei es vonseiten der Stadt oder vom Kanton. Zahlreiche Politiker finden gut, was wir tun. Dass es ein paar Leute gibt, die es nicht gut finden, damit muss man leben. Persönlich ist es natürlich verletzend, wenn man liest, was da geschrieben wird. Aber als Verein sagen wir, die Exponenten der Familienlobby äussern ihre Meinung, das ist ihr gutes Recht. Wir wollen nur, dass sie uns eben dieses Recht auf freie Meinungsäusserung auch zugestehen.

Hierzulande kennt man den Christopher-Street-Day (CSD) als lesbischwulen Grossanlass. Von seinen Wurzeln her ist er ein politischer Event. Welche Rolle spielt das politische Statement bei der Europride?

Rüegg: Vor kurzem fragte mich jemand: Warum macht ihr das eigentlich, ihr habt doch jetzt alles. Es stimmt, dass wir in den vergangenen Jahren in Westeuropa und auch in der Schweiz rechtlich grosse Fortschritte gemacht haben. Aber die Welt besteht nicht nur aus Westeuropa. In den USA, wo die Pride-Bewegung entstanden ist, gab es zuletzt gewaltige Rückschritte, für die Gleichstellung von Homosexuellen. Auch in Afrika, Asien oder nur schon in Osteuropa gibt es noch viel zu tun.

Und deshalb gibt es die Europride?

Rüegg: Fokus und Ausstrahlung der Europride sind international. Wir müssen schauen, dass es nicht zu Rückschritten kommt. Die rechtliche Seite ist das eine, die gesellschaftliche Seite etwas anderes.

2009 ist es 40 Jahre her seit den Ausschreitungen zwischen Homosexuellen und der New Yorker Polizei, an die der CSD erinnert › welche Rolle spielt der Jahrestag in Ihren Planungen?

Rüegg: Es ist ein Grund zurückzuschauen. Vor 40 Jahren gab es noch kein Frauenstimmrecht, Schwarze waren in den USA massiv benachteiligt › wir sind nicht die Einzigen, die in dieser Zeit viel erreicht haben. Heute ist klar: Rechte für Schwule und Lesben sind Menschenrechte und etwas ganz Zentrales.

Die Veranstaltung dauert einen ganzen Monat › kann man so lange feiern?

Rüegg: Das ist tatsächlich eine Herausforderung. Ich denke nicht, dass wir den Anspruch haben, dass das Publikum über vier Wochen im absoluten Festfieber ist › das war ja auch an der Euro 08 dieses Jahr nicht der Fall. Wir werden an der Parade und am Stadtfest mehr Leute haben als je zuvor, weil das auch viele mobilisiert, die sonst nicht an einen Christopher-Street-Day gehen würden.

Zur Person

Michael Rüegg (31) ist beim Verein Europride für die Kommunikation zuständig.

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Petition gegen die Europride

Die Familienlobby, ein christlicher Verein, will die Europride verhindern. Mit diesem Ziel reichte sie gestern im Zürcher Rathaus eine Petition gegen die Europride ein. 5000 Personen haben das Anliegen unterstützt und die Petition unterschrieben. Wie die Gruppierung gestern mitteilte, wird ihr Protest gegen die "grosse Homoparade" weitergehen. Dabei hält sich die Familienlobby an die benediktinische Regel "ora et labora": Sie will um göttlichen Beistand beten und darauf hoffen, dass Gott die Parade noch verhindert. An weltliche Hilfe von der Seite des Stadtrates glaubt der Verein hingegen weniger. Wie Daniel Regli, Präsident der Familienlobby, gestern erklärte, geht es seiner Vereinigung darum, dass in den Medien "ausgewogene Informationen zum Thema Homosexualität geboten würden". Zudem sollen wieder vermehrt"gelingende Partnerschaften und Familien nach christlichem Standpunkt" propagiert werden.

Die Organisatoren der Europride bedauern in einem Pressecommuniqué, "dass uns diese Gruppierung Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit und die freie Meinungsäusserung entziehen" wolle. Sie weisen auch darauf hin, dass sie keine religiösen Gefühle verletzen wollen. Im Gegenteil: Auch für viele Lesben und Schwule sei Religion ein wichtiger Teil ihres Lebens. Aus diesem Grund findet auch im Rahmen der Europride ein gemeinsamer ökumenischer Gottesdienst statt. (ske)

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ANTI-ATOM
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BZ 10.12.08

Energiestrategie

Regierung will AKW wegsparen

Der rot-grüne Regierungsrat betont einmal mehr, dass er "mittelfristig" den Ausstieg aus der Atomenergie anstrebe. Er will den Energieverbrauch pro Kopf um rund einen Drittel senken. Gelinge dies, brauche es keine AKW mehr.

"Wie steht der Regierungsrat zur Atomenergie?", fragt FDP-Grossrat Sylvain Astier (Moutier) die Regierung in einer Interpellation. Nachdem der Berner Energiekonzern BKW, der mit 52,5 Prozent mehrheitlich im Besitz des Kantons Bern ist, letzte Woche ein Rahmenbewilligungsgesuch für den Bau eines neuen Atomkraftwerks (AKW) in Mühleberg eingereicht hat, ist die von Astier im Juni gestellte Frage aktueller denn je. Dies umso mehr, als die rot-grüne Regierung letzte Woche keine Stellung genommen hat zum Gesuch der BKW. Sie will dies erst im jetzt lancierten Bewilligungsverfahren tun. Gestern nun hat die Regierung ihre Antwort auf Astiers Vorstoss veröffentlicht. Sie bestätigt darin ihre bekannte Haltung: "Das in der Energiestrategie 2006 gesetzte Ziel, dass mittelfristig Elektrizität im Kanton Bern ohne Kernkraft erzeugt werden soll, gilt unverändert."

Der Regierungsrat habe sich bei dieser Zielsetzung auf eine "sorgfältige Lagebeurteilung des Energiesektors" abgestützt, die der langfristigen Verfügbarkeit, den Kosten und den Risiken der verschiedenen Energieträger Rechnung trage, schreibt er. Der Anteil der Kernenergie am gesamten Energieverbrauch sei bereits heute "relativ klein". Er betrage rund 10 Prozent. Wie kommt die Regierung auf diese Zahl? Der Anteil der Elektrizität am gesamten Energieverbrauch in der Schweiz betrage 24 Prozent. Und davon mache die Kernkraft 40 Prozent aus.

Ein Drittel weniger Energie

Mit ihrer Energiestrategie verfolgt die Regierung das Ziel, den Energieverbrauch im Kanton Bern so weit zu reduzieren, "dass er zu einem massgebenden Teil durch erneuerbare Energieträger (inklusive der bestehenden Wasserkraft) gedeckt werden kann". Das Hauptziel sei die Verwirklichung der 4000-Watt-Gesellschaft bis im Jahr 2035, schreibt die Regierung. Gegenüber heute bedeute das eine Reduktion des Energieverbrauchs pro Kopf im Kanton Bern um rund einen Drittel.

Atomstrom einsparen

Auf Grund dieses Ziels und des laut Regierung "relativ kleinen" Anteils der Atomenergie am gesamten Energieverbrauch ist der Regierungsrat überzeugt, dass es in Zukunft keine AKW mehr braucht: "Der heutige Verbrauch von Strom aus Kernenergie soll demnach künftig nicht durch einen anderen Energieträger gedeckt werden müssen, sondern infolge der Verminderung des Energiebedarfs wegfallen", schreibt er. Mit anderen Worten: Die Regierung will den Atomstrom einsparen.

Die Regierung will aber nicht nur sparen, sondern auch die Auslandabhängigkeit bei der Energieversorgung reduzieren. Dies sei der einzige, langfristig Erfolg versprechende Weg, die Versorgung des Kantons Bern mit bezahlbarer Energie sicherzustellen, schreibt sie. Und: "Kernkraftwerke können dazu keinen wesentlichen Beitrag leisten." Heute ist die Energieversorgung im Kanton Bern zu über 80 Prozent von ausländischen Energieträgern abhängig.

Neues Energiegesetz

Was die Bürgerlichen von diesen Einschätzungen der rot-grünen Regierung halten, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Morgen wird Energiedirektorin Barbara Egger (SP) das revidierte Energiegesetz vorstellen und in die Vernehmlassung schicken. Mit diesem will die Regierung ihre Energiestrategie umsetzen.
Dominic Ramel

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Vorstoss

BKW-Aktien verkaufen?

FDP-Grossrat Ruedi Sutter (Grosshöchstetten) fordert zusammen mit anderen bürgerlichen Politikern den Regierungsrat dazu auf, die 2006 eingestellten Arbeiten zum Abbau der Kantonsbeteiligung am Energiekonzern BKW wieder aufzunehmen. Der Kanton ist mit 52,5 Prozent Mehrheitsaktionär der BKW. Die Regierung wehrt sich dagegen nicht a priori, will aber zuerst prüfen, wie sich die eingeleitete Strommarktliberalisierung auf eine Reduktion des BKW-Anteils auswirken würde. Sie will deshalb den Vorstoss nur als unverbindliches Postulat entgegennehmen. Der Grosse Rat wird darüber im Januar befinden.

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TASER LU
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NLZ 10.12.08

Luzerner Luchse erhalten Taser

Die Sondereinheit Luchs darf ab Januar Taser einsetzen. Dieser mache den Halunken mehr Angst als eine Pistole, sagt Beat Hensler.
von Luzia Mattmann

Ein Selbstmordgefährdeter will sich umbringen oder ein Bankräuber hält der Geisel ein Messer an den Hals: In solchen Situationen könnte in Luzern ab Januar ein Taser eingesetzt werden.

"Die Verletzungen, die mit dem Taser entstehen, sind viel geringer als die einer Dienstwaffe", sagt Beat Hensler, Kommandant der Kantonspolizei Luzern. "Und es werden keine Drittpersonen gefährdet." Anders als bei Schusswaffen werden nicht Projektile abgeschossen, sondern mit Drähten verbundene Pfeile, die in die Haut eindringen und im Körper des Getroffenen einen Elektroschock auslösen (siehe Box). Die Reichweite der Waffen beträgt 5 bis 7 Meter. "Wir werden rund ein Dutzend Taser anschaffen, die sich dann in den Einsatzfahrzeugen der Sondergruppe Luchs befinden", sagt Hensler. Ein Gerät kostet rund 1500 Franken.

Wo es möglich ist, will die Polizei zuerst den Taser einsetzen, statt sofort zur Schusswaffe zu greifen. "Erfahrungen aus Frankreich zeigen, dass die Taser häufig gar nicht abgefeuert werden mussten, weil die Täter schon bei deren Anblick aufgaben." Der Taser macht also mehr Angst als eine Schusswaffe? "Es sieht so aus", sagt Hensler.

Warum erst jetzt?

In allen anderen Deutschschweizer Polizeikorps ausser Uri sind bereits solche Elektroschockgeräte zugelassen. Warum hat Justiz- und Polizeidirektorin Yvonne Schärli den Taser erst jetzt in Luzern zugelassen? "Ich will, dass der Taser nur unter strengen Richtlinien eingesetzt werden darf", sagt Schärli, die dieses Anliegen in der Kantonalen Polizeidirektorenkonferenz aufs Tapet brachte. Jetzt sind die Taser da und die Richtlinien auch. Gemäss diesen Richtlinien gelten nun für alle Kantone die gleichen Regeln beim Einsatz von Tasern: So dürfen nur speziell ausgebildete Polizisten die Waffe einsetzen, und das nur in bedrohlichen oder gefährlichen Situationen. Für die ausführenden Polizisten wird ein Selbsttest mit dem Gerät empfohlen.

Im Ausland haben Elektroschockgeräte durch Todesfälle Aufsehen erregt. "Amnesty International konnte keine Fälle dokumentieren, bei denen der Einsatz der von uns verwendeten Geräte zu nachhaltigen Schäden oder gar zum Tod geführt hätten", sagt Hensler. Dass die Taser in nächster Zeit überhaupt eingesetzt werden, sei ohnehin fraglich: Die Luzerner Luchse hatten in den letzten paar Jahren laut Hensler keinen Einsatz, bei dem Schusswaffen verwendet wurden. Auch in den anderen Zentralschweizer Kantonen, in denen Taser erlaubt sind, ist es noch zu keinem Einsatz der Taser gekommen.

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Taser

Vier Widerhaken

Der Taser ist eine pistolenähnliche Waffe, die zwei oder vier mit Widerhaken versehene Projektile gegen den Körper der Zielperson schiesst. Danach schickt sie kurze Elektroschocks von 17 500 bis 50 000 Volt durch die mit den Projektilen verbundenen Drähte. Das Opfer sackt zusammen, sodass es festgenommen werden kann. Mit einem Taser können Angreifer, fliehende oder mit Suizid drohende Personen handlungsunfähig gemacht werden, ohne dass eine Schusswaffe eingesetzt werden muss. In der Schweiz dürfen Taser nur von speziell ausgebildeten Polizisten eingesetzt werden.

Gemäss Amnesty International sind in den USA seit 2001 insgesamt 280 Menschen an den Folgen eines Taser-Schocks gestorben, in Kanada seit Juli 2003 insgesamt 18. Die UNO-Kommission gegen Folter verurteilt den Einsatz von Tasern als "eine Form von Folter".
bem

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20min.ch 9.12.08

Kapo Luzern bekommt Taser

Als zweitletzte Kantonspolizei der Deutschschweiz wird die Luzerner Kapo 2009 mit Tasern ausgerüstet. Das so genannte Destabilisierungsgerät wird nach einer internen Ausbildung ausschliesslich von der Sondertruppe "Luchs" benutzt.

Ein Taser verschiesst auf kurze Distanz zwei Elektroden, welche der getroffenen Person in der Skelettmuskulatur einen elektrischen Impuls versetzt und sie vorübergehend bewegungsunfähig macht. Neben Luzern hat bis jetzt auch die Urner Kapo auf Taser verzichtet. Auch in der Westschweiz ist der Taser nicht im Einsatz.

Mit dem Taser erhalte man ein wirkungsvolles Gerät für bedrohliche und gefährliche Ausnahmesituationen, wird der Luzerner Kapo-Kommandant Beat Henseler zitiert. Laut Mitteilung der Justiz- und Sicherheitsdirektion vom Dienstag wird der Taser in Situationen benutzt, in denen auch die Schusswaffe eingesetzt werden kann.

Erfahrungen anderer Polizeikorps zeigten, dass mit dem Taser vermehrt auf Schusswaffeneinsatz verzichtet werden könne, heisst es weiter. So könnten Verletzungen oder gar Todesfälle bei Festnahmen vermindert werden.

Quelle: SDA/ATS

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GIPFEL-SOLI-NEWS 9.12.08
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gipfelsoli.org/Newsletter 9.12.08

9.12.2008 Griechenland -- Berlin -- Freiburg -- Strasbourg/ Baden-Baden -- Heiligendamm -- Genua

- Erklärung der Vollversammlung der besetzten Theaterschule von Thessaloniki
- Vorbereitung einer bundesweiten Demonstration
- Freiheit stirbt mit Sicherheit — Für unkontrollierte Versammlungen
- Schlampige Arbeit beim Verfassungsschutz Baden-Württemberg
- Kehler müssen beim NATO-Gipfel mit vielen Einschränkungen rechnen
- Vertrauensbonus für Polizei in Agenturmeldungen
- Italien: Freispruch von G8-Gegnern angefochten
Mehr: http://gipfelsoli.org/Newsletter/5843.html

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GRIECHENLAND
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Tagesanzeiger 10.12.08

"Mein kleiner Alex, für dich brennen wir Athen nieder"

Seit dem Tod des 15-jährigen Andreas Alexis Grigoropoulos entlädt sich die Wut der Jugend auf den griechischen Staat. Die Eltern schauen zu, weil sie selber gegen den Staat sind.

Von Kai Strittmatter, Athen

Am Morgen danach, als die Sonne aufgeht, liegt ein rosa Schimmer über der Akropolis, der allein der Morgenröte geschuldet ist.

Vom Lycabettus-Hügel aus betrachtet liegt die Stadt unter einem, als trage sie ein weisses Laken, als habe sie alle Asche abgeschüttelt.

Gestern Nacht, war von hier oben aus ein unwirkliches Lodern und Flackern zu beobachten in der Schneise, die die Strasse vom Hügel hinunter in die Stadt schlägt - als wollten riesige Fackeln den Weg zur Akropolis festlich erleuchten. Es war nach Mitternacht, als sich die Tür eines Lokals öffnete, ein junger Mann herausgelaufen kam und uns am Arm griff. "Gehen Sie von der Strasse, mein Freund", sagte er, und dann, kopfschüttelnd: "Athen brennt."

Morgendlicher Abstieg vom Hügel hinab in eine versehrte Stadt, die auch im Aufwachen nicht begreifen will, was da geschehen ist. Hie und da kokeln noch kleine Häuflein Asche, die die Taxifahrer im Slalom nehmen. Polizisten mit Trillerpfeifen an den Kreuzungen: Viele Ampeln wurden zerschlagen. Gebeugte Ladenbesitzer kehren ihre zu Eissplittern zerschlagenen Glastüren weg, in einem Geschäft liegt die mit Hämmern bearbeitete Türe noch als aus Millionen Kristallen geformter Glasteppich im Eingang. "Niemals", sagt einer, der im Türrahmen seines zerstörten Geschäfts steht. "Niemals hätte ich gedacht . . ." Seine Stimme bricht ab.

Wenn man die feine Skoufa nur eine Viertelstunde nach Nordwesten geht, gelangt man an den Ort, an dem alles begonnen hat: Exarchia. Das Viertel der Intellektuellen und Künstler. Das Viertel der vielen Buch- und Bioläden. Das Viertel der zornigen Jugend. Wandmalereien, Hammer und Sichel, das eingekreiste "A" der Anarchisten oder jener, die sich dafür halten. Hier hängt noch Tränengas in der Luft, hier haben sich Randalierer und Polizei bis in die Morgenstunden bekämpft. Hier ist, in einer kleinen Fussgängerzone, der Ort, an dem der 15-jährige Andreas Alexis Grigoropoulos von einer Polizeikugel in die Brust getroffen wurde.

Rund um einen kugelförmigen Poller ist eine Gedenkstätte entstanden: Töpfe mit Weihnachtssternen, Rosensträusse, brennende Kerzen. Oben auf dem Poller, wie zum Zeichen, ein umgedrehter Vorschlaghammer. Vorbeilaufende bekreuzigen sich. "Wir werden dich nicht vergessen", steht auf einem der zwischen die Blumen gelegten Brieflein: "Und wir werden dafür sorgen, dass sie dich nie vergessen."

An einer Plakatwand noch mehr Briefe: "Rache ist unser Glück" - "Mein kleiner Alex. Für dich brennen wir Athen nieder. Für dich brennen wir alle nieder, die nicht verstehen wollen." Dieser letzte Brief datiert vom Montag. In den Abendstunden dieses Tages gingen sie daran, ihre Versprechen wahr zu machen. "Griechenland ist in der grössten Krise seit dem Obristenregime 1974", glaubt der Schriftsteller Petros Markaris.

Tränengas und Schweldämpfe

Schon die Ankunft am Flughafen war Einstimmung. Taxifahrer, die sich weigerten, einen ins Stadtzentrum zu fahren. Polizisten, die mit der Achsel zuckten: "Zahlen Sie ihm ein neues Auto, wenn es ausbrennt?" Zu dem Zeitpunkt, abends um halb sieben, war eigentlich lediglich eine reguläre Demonstration der Linken angesetzt. Aber in Athen marschieren heute Wut und Gewalt stets mit. Die Randalierer nahmen die friedlichen Demonstranten als Deckung. Die Polizei reagierte. Bald lag eine Decke von Tränengas über dem Stadtzentrum, eine Decke, die im Verein mit den Schweldämpfen der schmelzenden Müllcontainer an jeder Ecke dafür sorgten, dass bald die halbe Stadt vermummt durch die Strassen lief.

Ecke Kolonaki-Platz und Skoufa-Strasse. Eine vornehme Wohngegend, eine edle Einkaufsstrasse, ein perfektes Ziel. Der erste Angriff. Zuerst hört man sie - anschwellende Schläge gegen Türen und Fenster kündigen ihr Kommen an, dann liefen sie über den Platz. Junge Leute, die ältesten Mitte zwanzig. Motorradhelm, Skimütze oder Palästinensertuch vor dem Gesicht trägt nicht einmal die Hälfte, dem Rest ist es egal, ob man sie sieht. Diese Nacht würde ihnen gehören.

Dann beginnt das Konzert der Hämmer und Stöcke: rhythmische Schläge, klirrendes Glas, die hysterisch heulenden Alarmanlagen der angegriffenen Autos, schnell überlagert von den kräftigeren, langsameren Sirenen der Geschäfte. Ein Konzert, das schnell in einen sich fortpflanzenden Kanon überging, mit immer neuen Wagen, immer neuen Ladentüren, die im Minutentakt zertrümmert wurden. Einer streckte seinen Arm durch das Loch in der Scheibe eines Ladens namens Celestino und nahm der Schaufensterpuppe die Tasche weg. Zurück blieb eine Modepuppe, die unter Perlenkette und Pelzjäckchen ein Che-Guevara-T-Shirt trug. Kolonaki-Schick.

Bald brennt Athen. Angesteckt werden dabei allerdings nur selten Läden und Gebäude. Die grösste Fackel ist der Weihnachtsbaum der Stadt Athen: Opfer der Schlacht, die sich die Autonomen dort mit der Polizei lieferten (nicht ohne zwischen zwei Steinwürfen das Feuerwerk mit der griechischen Version von "O Tannenbaum" zu begleiten.) Ansonsten trifft es vor allem die Müllcontainer: Sie brennen gut und sind als Barrikade zu gebrauchen.

Vor Vermummten läuft keiner weg

Bald rieselt es vielerorts von oben: Ganze Strassenzüge verwandeln sich in Sprinkleranlagen, weil die Anwohner versuchen, mit Schläuchen aus dem zweiten und dritten Stock auf eigene Faust die Feuer zu löschen. Von der Feuerwehr war oft so wenig zu sehen wie von der Polizei, die in der Skoufa-Strasse erst eine halbe Stunde nach dem Verwüstungszug eintraf.

"Der Anarchie ausgeliefert", wird am nächsten Tag eine Zeitung titeln, "Staat ohne Regierung", eine andere. Die Polizei entschuldigt ihre Zurückhaltung damit, dass man nicht weitere Todesfälle habe riskieren wollen. Viele Passanten streifen durch die Strassen: Schaulustige, Anwohner, friedliche Demonstranten. Wenn eine Gruppe Vermummter hammerschwingend heranprescht, läuft keiner weg. Sie wissen, nicht sie sind das Ziel, sondern die Schaufenster, vor denen sie stehen. Und wenn die dann eingeschlagen sind, ist das für nicht wenige der erste Moment in dieser Nacht, da sie das Handy vom Ohr nehmen - um ein Foto zu machen.

Xenia und Maria sind zwei Studentinnen, die mitmarschierten in der friedlichen Demonstration. Jetzt stehen sie in der Skoufa und schauen gebannt auf die brennenden Container. Eigentlich, sagt Xenia, möge sie keine Gewalt. "Doch ich bin glücklich. Etwas musste passieren. Die Gesellschaft musste aufwachen."

"Die Wut", sagt Petros Markaris, der grosse alte Mann der griechischen Kriminalliteratur und scharfzüngige Gesellschaftskritiker, "die Wut ist gross." Er glaubt nicht an das "Märchen" von 300 Linksradikalen aus dem Viertel Exarchia, die allein die Stadt in Brand gesetzt haben sollen. "Die Wut sitzt mittlerweile tiefer in diesem Land." Er spricht von der Wut auf einen Staat, der einen ersticke mit Bürokratie und den Cliquen untereinander aufgeteilt haben: "Griechenland ist eine Gesellschaft geschlossener Kreise geworden. Jeder Kreis verteilt die Ressourcen nur an seine Leute. Und jeder Kreis hält das Land für sein Ebenbild."

Korruption gab es immer im Land. "Aber nun werden die Zahlen ein paar Nummern zu gross. Und nie wird einer bestraft." Hinzu kommen Wirtschaftskrise und wachsende Armut. Ein Zweitjob ist in Griechenland nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

Der Zorn der Jugend. "Das war schon lange ein Topf, der kocht", sagt Andreas Delenikas von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen: "Da brauchte es nur einen Funken." Als Schüler leben junge Griechen jahrelang alle in der Furcht vor den Universitäts-Aufnahmeprüfungen, die über ihre Zukunft entscheiden. "Es ist deine Pflicht, Erfolg zu haben mit 18 Jahren", sagt Delenikas: "Den meisten gelingt es nicht. Sie erfahren ihre erste grosse Niederlage und Enttäuschung mit 18."Und die anderen? Stellen nach dem Uni-Abschluss fest, dass sie keine Arbeit bekommen. Die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland liegt zwischen 25 und 30 Prozent. Und wenn sie eine bekommen, dann schlecht bezahlt, ohne Urlaub, ohne Sozialversicherung. Man nennt sie die "700-Euro- Generation".

Früher halfen die Eltern noch ihren Kindern. Heute sind die Eltern selbst verschuldet oder bangen um ihre Arbeit. Mit Folgen: "Die Erwachsenen tolerieren die Wut ihrer Kinder", glaubt Petros Markaris, "weil sie selbst gegen den Staat sind." Egal ob Gewerkschaften, Regierung oder Opposition, allen gehe es nur um ihre Pfründe. Wer aber keine Hoffnung mehr hat und keinen Ausweg mehr sieht, dem bleibt nur die Wut. Wer zusieht, wie sich andere schamlos bereichern, schämt sich nicht, dort zuzuschlagen, wo der Reichtum sich zur Schau stellt.

Die Nerven der Polizei liegen blank

Der Funken. Am Samstagabend um neun Uhr schoss ein Polizist den 15-jährigen Andreas Alexis Grigoropoulos in die Brust. Der Junge verblutete an Ort und Stelle. Mehrere Augenzeugen schildern die Tat als kaltblütigen Mord. Der 37-jährige Polizist gehört zu den sogenannten Spezialwachen, die eigentlich nur zum Gebäudeschutz und nur unbewaffnet eingesetzt werden sollten. Er trug den Spitznamen "Rambo".

Auch Krimiautor und Polizeikenner Markaris weiss von anderen Fällen der Polizeigewalt, auch er ist überzeugt davon, dass es Mord war. Und doch will er der Polizei nicht alle Schuld geben. "Die Polizei ist nicht gut ausgebildet und hat mittlerweile alles Selbstvertrauen verloren. Den Polizisten wird aufgebürdet, was die Politik nicht lösen kann. Die Nerven liegen blank." Im Fernsehen trat ein Einsatzleiter der Spezialeinheiten auf, die nun schon vier Nächte in Folge in die Straßenschlacht geschickt werden: Seine Leute bekämen 600 Euro netto, referierte der Beamte, Überstunden würden nicht bezahlt: "Was glauben Sie, was für eine Qualität Sie dafür bekommen?"

Im Stadtviertel Exarchia funktionierte lange Jahre eine stille Übereinkunft zwischen Polizei und linksautonomer Szene: Man liess sich und die anderen in Ruhe, meist. Bis vor drei Jahren der berüchtigte Polizeiminister Viron Polydoras antrat und versprach, er werde "Exarchia säubern". Der Rechtspopulist musste abtreten, doch der Schaden blieb: Seiner Politik der Konfrontation, so Markaris, sei die Vendetta zwischen Autonomen und Polizei entsprungen.

Dienstag in Athen. Der getötete Andreas Alexis Grigoropoulos stammte aus einer wohlhabenden Familie. Die Mutter war Schmuckhändlerin, der Vater Bauingenieur. Er besuchte eine Weile die Moraitis-Schule, eine der vornehmsten und teuersten Schulen Athens, bis seine Leistungen nicht mehr gut genug waren. Viele Jugendliche der autonomen Szene in Exarchia kommen aus der Mittelschicht. Athen ist nicht Paris. In Athens Vorstädten blieb es ruhig. In Athen brannte das Zentrum. Am Nachmittag wird Andreas Alexis Grigoropoulos beigesetzt. Tausende strömen auf die Strasse, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.

Dienstag in Athen. 190 Brände gelegt und gelöscht. 130 Läden zerstört. Einer davon ist Celestino am Kolonaki-Platz. Die Schaufensterpuppe mit dem Pelz ist noch da. Vor ihrer Brust, vor ihrem T-Shirt aber ein grosser Pappdeckel. Che Guevara sieht man nicht mehr.

Dienstag in Athen. Die einzigen Feuer, die im Moment brennen, sind die auf dem Campus der Polytechnischen Universität. Die Polizei geht hier nicht rein, das Universitäts-Asyl ist ein Erbe des Widerstandes gegen die Obristen-Herrschaft. Ein paar Gruppen von Jugendlichen sitzen um Lagerfeuer. Nicht alle machen sich die Mühe, sich zu vermummen. Bald ist wieder Nacht.

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Bund 10.12.08

Trauer in Griechenland

Die konservative Regierung steht unter Druck - Opposition fordert Neuwahlen

Derek Gatopoulos, Athen (ap)

Die Kundgebungen und Krawalle in Griechenland gehen weiter. Die Regierung kündigte ein härteres Vorgehen gegen die Demonstranten an, wurde von der Opposition jedoch zum Rücktritt aufgefordert.

Tausende Menschen haben in der Nähe von Athen an der Trauerfeier für den durch eine Polizeikugel getöteten 15-jährigen Jungen teilgenommen. Auf dem kleinen Friedhof in der Athener Vorstadt Palaio Faliro waren ausser engen Verwandten und Freunden auch Schülervertretungen aus vielen Athener Gymnasien zusammengekommen. Auch Schüler aus Nordgriechenland und von der Insel Kreta hatten Blumen geschickt, berichtete das Fernsehen. Die Polizei beobachtete aus Helikoptern und aus diskreter Entfernung die Trauerfeier.

Auf zentralen Plätzen vieler Städte des Landes versammelten sich zeitgleich Zehntausende Schüler im Gedenken an den Jugendlichen, dessen Tod am Samstag eine Welle der Gewalt in ganz Griechenland ausgelöst hatte.

Polizeiquartier gestürmt

Bereits vor der Trauerfeier hatten Hunderte von Jugendlichen auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlamentsgebäude die Polizei mit Steinen beworfen und sich Handgemenge mit den Beamten geliefert. Auch in anderen Orten in Griechenland kam es zu neuen Krawallen. In der Stadt Patras stürmten und besetzten Demonstranten das Hauptquartier der Polizei. Rund 500 Personen drangen laut Angaben der Polizei in das Gebäude ein und warfen dabei Steine und Molotow-Cocktails.

Drohung der Regierung

Die Regierung verschärfte gestern ihren Ton gegenüber den Demonstranten. Ministerpräsident Kostas Karamanlis kündigte nach einem Treffen mit Staatschef Karolos Papoulis an, es werde nun hart durchgegriffen. Die "Chaoten" müssten isoliert und verurteilt werden, sagte er. "Wir werden keine Gnade für die Verantwortlichen zeigen." Niemand habe das Recht, diesen tragischen Vorfall als Alibi für Aktionen der rohen Gewalt zu missbrauchen, für Aktionen gegen unschuldige Menschen, gegen ihr Eigentum, gegen die ganze Gesellschaft und gegen die Demokratie, sagte der Ministerpräsident. Unruhestifter könnten nicht mit Nachsicht rechnen.

Opposition fordert Rücktritt

Wegen der Ausschreitungen steht Karamanlis' konservative Regierung, die im Parlament über nur eine Stimme Mehrheit verfügt, massiv unter Druck. Der sozialistische Oppositionsführer Georgios Papandreou forderte ihren Rücktritt. "Die Regierung kann die Krise nicht bewältigen, und sie hat das Vertrauen des griechischen Volkes verloren", sagte Papandreou. Politische Fehlentscheidungen und Versäumnisse der Regierung seien für die Unruhen verantwortlich, die einzige Lösung seien Neuwahlen.

Papandreou hatte vor der Beisetzung die Jugendlichen zu friedlichen Protesten aufgerufen. "Auf den Strassen trauert heute eine ganze Generation", sagte er. Die Menschen sollten "gegen die Gewalt des Staates demonstrieren, gegen die Gewalt gegen Landsleute". Alle Schulen und Universitäten in Griechenland blieben geschlossen. Für heute haben die Gewerkschaften zum Generalstreik aufgerufen.

Polizisten angeklagt

Die zwei Polizisten, die am Samstag im Athener Stadtteil Exarchia im Streifenwagen unterwegs waren, aus dem heraus Alexandros Grigoropoulos erschossen wurde, sind verhaftet und des Mordes sowie der Beihilfe zum Mord angeklagt worden.

Nach Polizeiangaben wurden bei den Auseinandersetzungen in der Nacht auf Dienstag landesweit mehr als 170 Menschen festgenommen, 87 allein in Athen. Mehr als 100 Menschen erlitten Medienberichten zufolge Verletzungen. Über das Ausmass der Schäden gab es vorerst noch keine Angaben.

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BZ 10.12.08

Rebellion der "700-Euro-Generation"

Woher kommt die Wut? Aufgeschreckt durch die Gewaltexzesse, sucht die griechische Öffentlichkeit nach den Ursachen.

Ein Land sucht nach Erklärungen. Griechenland durchlebt einen Albtraum. Was ist faul in unserer Gesellschaft, fragen Kommentatoren in den Medien. Offensichtlich reicht es als Erklärung nicht, auf die Chaotenszene zu verweisen. "Die nutzt jede friedliche Demonstration, um ihr Unwesen zu treiben", sagen viele Bürger.

"Die Sache geht viel tiefer", wischt der Chefredaktor der linken Zeitung "Avgi", Nikos Filis, die Stimme des Volkes beiseite. Es gebe in der Gesellschaft viel Wut. Die sogenannte "700-Euro-Generation" mache ihrem Protest Luft. "Sie sagt uns, dass etwas falsch läuft." Er spricht über Tausende junger Menschen, die nach jahrelangem Hochschulstudium und erstklassiger Qualifikation dennoch eine düstere Zukunft haben. "Sie haben mehrere Jahre lang gelernt, aber danach nur Teilzeitjobs gefunden", sagt Filis. Mit 700 Euro könnten sie keine Familie gründen oder sich keine Wohnung leisten. "Jetzt gehen sie auf die Strasse und sagen uns, was wir Älteren falsch gemacht haben", kommentiert die linksliberale Zeitung "To Vima".

Die Zeit der Militärdiktatur

Auch der Blick zurück in die dunklen Zeiten Griechenlands soll helfen, diesen Ausbruch der Gewalt zu erklären. "In den 70er-Jahren kämpften wir für die Demokratie und gegen die Obristenjunta (Militärdiktatur) in Griechenland und sangen Lieder von Mikis Theodorakis", sagt ein Psychologe im Fernsehen und erinnert an ein Lied des grossen griechischen Sängers zu einem Text des Schriftstellers Giannis Ritsos, der während der Diktatur als Kommunist mehrfach eingesperrt worden ist: "Bald werden die Freiheitsglocken läuten." Die nachfolgenden Generationen hätten eine völlig andere politische Welt erlebt, sagt er.

Nach der Wiederherstellung der Demokratie 1974 bildete sich ein 2-Parteien-System bestehend aus den Konservativen der Nea Dimokratia und der Pasok - der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung. Diese wechseln sich an der Macht ab. Viele Menschen empfinden dennoch seit Jahren Stillstand. Es sind Dynastien, die sich im Kampf um die Macht ablösen: Konstantinos Karamanlis und Andreas Papandreou in den 80er-Jahren, Kostas Karamanlis (Neffe) und Giorgos Papandreou (Sohn) heute. Beobachter verweisen darauf, das Land hänge praktisch am Tropf der milliardenschweren Subventionen der Europäischen Union. Glücklich sei vor allem, wer über die "Verbindungen" zur jeweils regierenden Partei verfügt. "Wir stehen am Rande des Zusammenbruchs", kommentierte die Athener Zeitung "Kathimerini".

Wenn die Nacht kommt, zeigen Jugendliche mit aller Gewalt ihren Hass auf diese politische Klasse und deren Günstlinge. Die Gruppe von einigen tausend jungen Leuten komme ihm vor wie ein modernes Lumpenproletariat, meint Nikos Maniatis, ein Gymnasiallehrer. Sie hätten sich von der Gesellschaft entfremdet und keine Hemmungen, brutale Gewalt anzuwenden. Und es gibt eine Verbindung zu den vielen arbeitslosen gebildeten und vor allem frustrierten jungen Leuten.

Technisch gut vernetzt

Den überforderten Behörden wird zum ersten Mal seit Jahren klar, dass sich die "Chaoten" sehr gut organisiert haben. Sie sind auch technisch gut vernetzt, um so blitzschnell neue Unruhen zu organisieren. "Wir müssen natürlich die Gewalt beenden", schreibt die Zeitung "Eleftherotypia" und mahnt: "Danach aber müssen wir lange nachdenken, wie es mit der Jugend weitergehen soll."
Takis Tsafos,

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Weihnachtsfeier abgesagt

Der Athener Bürgermeister Nikitas Kaklamanis hat laut einem Bericht der deutschsprachigen "Griechenland-Zeitung" wegen der Trauer um den 15-jährigen Alexis die öffentlichen Weihnachtsfeierlichkeiten abgesagt. Die bereits installierte Weihnachtsbeleuchtung soll von den grossen Plätzen der Innenstadt entfernt werden. Der Bürgermeister sprach im Namen des Stadtrates der Familie des getöteten Jungen sein Beileid aus. Er habe grosse Sorge um die sinnlose Gewalt, die in der Stadt herrsche. Den geschädigten Ladenbesitzern und Einwohnern versprach der Bürgermeister Unterstützung bei der Behebung der Schäden. Ausserdem stellte er Steuererleichterungen in Aussicht.
mh

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NLZ 10.12.08

"Es hat schon lange gebrodelt"

Griechenland kommt nicht zur Ruhe. Laut Werner van Gent geht es bei den Protesten jedoch längst nicht mehr nur um den Tod eines Jugendlichen.
Interview von Stefan Waldvogel

Herr van Gent*: Gegen wen richten sich die Proteste in Griechenland: Gegen die Polizei, den Staat oder die Korruption?

Werner von Gent: Hier in Griechenland sind der Staat und die Korruption eigentlich identisch. Die Polizei ist ebenfalls Teil davon und entsprechend verhasst. Der Tod des Jungen war lediglich der Auslöser. Es hat schon lange gebrodelt, und nun ist die Lage förmlich explodiert.

Gibt es konkrete Forderungen?:

van Gent: Nein, die Protestbewegung ist kaum zu fassen, und sie findet recht breite Unterstützung auch bei anderen Bevölkerungskreisen. Ich war gestern in der Stadt und habe Tausende von Menschen gesehen, die den Randalierern einfach zusahen. Das allgemeine Unbehagen gegen die Regierung ist enorm, die entlädt sich jetzt mit totaler Frustration und sogar Freude an der Zerstörung. Die Demonstranten machen alles kaputt. Ob kleine oder grössere Läden, es geht offenbar darum, einen möglichst grossen Schaden anzurichten, und das gelingt.

Von aussen hat man immer den Eindruck, die Griechen seien heissblütig, aber friedlich, täuscht dies?

van Gent: Sie haben Recht: Bisher gab es keine Gewalt gegen Menschen, ausser den Kämpfen mit der Polizei. Ich war selber auf der Strasse und machte mir um mich keine Sorgen. Mit den Unruhen kam es auch zu massenhaften Plünderungen. Das sind Kriminelle, die vom Chaos profitieren und zusätzlich zerstörerisch wirken. Mit den ursprünglichen Protesten, hat dies aber nichts

zu tun.

Welche Rolle spielen denn die Universitäten als Keimzelle des Protests?

van Gent: Sie sind weniger Keimzelle als Zufluchtsort. Es gibt ein uraltes Gesetz, welches nach dem Militärputsch von 1973 eingeführt worden war. Demnach gelten Universitäten als Asyl. Das ist hier schon fast eine heilige Sache und wurde von den Demonstranten ausgenutzt.

Aber es gibt schon länger eine Szene von Autonomen, die negativ auffiel. Wurde diese Szene unterschätzt?

van Gent: Ja. Die Probleme existieren schon länger, doch war ihre Zahl ziemlich begrenzt. Es waren weniger als 500, und in der Grossstadt Athen gehen sie schnell einmal unter. Dass aus diesem kleinen Kern so schnell eine grosse Bewegung wurde, das hat alle überrascht und schockiert. Es ist vielleicht zu vergleichen wie damals bei den Jugendunruhen in Zürich. Auch da gab es plötzlich eine breite Sympathie für ein paar Autonome. Hier ist es ähnlich, das Ausmass ist einfach zehnmal grösser.

Und die Regierung ist überfordert?

van Gent: Ich würde sagen, sie ist inexistent.

Wie geht es nun in Griechenland weiter?

van Gent: Ehrlich gesagt: Ich habe keine Ahnung. Die Stimmung ist sehr schlecht. Wie erwähnt ist die Bewegung nicht klar fassbar, es gibt eine grosse Eigendynamik und die Jungen organisieren sich dezentral via Handy, sodass sie kaum zu berechnen sind.

Mittlerweile ist ja nicht nur Athen betroffen, sondern auch die Touristeninseln. Was für Folgen erwarten Sie mittelfristig?

van Gent: Das war für mich ebenfalls überraschend, auch in Rhodos oder Kreta kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, und es wurde sogar eine Polizeiwache überfallen. Das ist natürlich schlecht für die Einheimischen, trifft aber sicher auch die Leute, die vom Tourismus leben. Kurzfristig ist zudem das Weihnachtsgeschäft hier am Boden. Das belastet die angeschlagene griechische Wirtschaft zusätzlich.

Und Sie persönlich, bleiben sie trotzdem in Athen?

van Gent: Vorerst muss ich für das Fernsehen weiter berichten, aber an Weihnachten will ich dann schon nach Hause.

* Werner van Gent ist Korrespondent des Schweizer Fernsehens.

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Krawalle Opposition fordert Neuwahlen

Während der Beisetzung des von Polizisten erschossenen 15-Jährigen und auch am späteren Abend ist es gestern in Athen erneut zu schweren Krawallen gekommen. Die mit dem Tod des Jugendlichen am Wochenende ausgelöste Welle der Gewalt in ganz Griechenland bedroht inzwischen den Bestand der konservativen Regierung, die im Parlament nur über die hauchdünne Mehrheit von einer Stimme verfügt. Der sozialistische Oppositionsführer Georgios Papandreou forderte gestern Neuwahlen. "Die Regierung kann die Krise nicht bewältigen, und sie hat das Vertrauen des griechischen Volkes verloren", erklärte er. Zugleich machte Papandreou politische Fehlentscheidungen und Versäumnisse für die Unruhen verantwortlich.

Regierung will Härte zeigen

Nach drei Nächten ausufernder Gewalt kündigte die Regierung gestern ein hartes Vorgehen gegen die Beteiligten an. "Niemand hat das Recht, diesen tragischen Vorfall als Alibi für Aktionen der rohen Gewalt zu missbrauchen, für Aktionen gegen unschuldige Menschen, gegen ihr Eigentum, gegen die ganze Gesellschaft und gegen die Demokratie", erklärte Ministerpräsident Konstantinos Karamanlis. Unruhestifter könnten nicht mit Nachsicht rechnen.

Dennoch kam es auch bei der Trauerfeier für den 15-jährigen Alexandros Grigoropoulos gestern Nachmittag zu Ausschreitungen. Bereitschaftspolizisten gingen mit Tränengas gegen jugendliche Trauergäste vor, die mit Steinen und Eisenstangen warfen und Mülltonnen anzündeten.

Zuvor hatten bereits Hunderte Jugendliche auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlamentsgebäude gewaltsam protestiert. Auch in anderen Orten in Griechenland von Saloniki im Norden bis zur Insel Kreta im Süden kam es zu neuen Krawallen.

"Wollen die Regierung stürzen"

Die Unruhen sind Ausdruck der wachsenden Unzufriedenheit mit der konservativen Regierung. "Wir wollen den Sturz der Regierung", sagte Petros Constantinou von der Sozialistischen Arbeiterpartei, die die Protestkundgebungen unterstützt. Alle Schulen und Universitäten in Griechenland blieben gestern geschlossen. Für heute riefen die Gewerkschaften zum Generalstreik auf.
ap

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gipfelsoli.org/Newsletter/5843.html 9.12.08

Erklärung der Vollversammlung der besetzten Theaterschule von Thessaloniki

Alexandros war unser Freund, unser Bruder, unser Sohn, unser Klassenkamerad und unser Genosse. Der Mord am 15jährigen Alexandros war der Tropfen, der das Fass all der Fälle von Morden an jungen Menschen, die der Polizei widersprachen, auf Aufforderung nicht an einer Straßensperre angehalten haben oder einfach - so wie Alexandros - zur falschen Zeit am falschen Ort waren, zum Überlaufen gebracht hat. Der Mord an Alexandros mit war kein isoliertes Ereignis, wie der Innenminister dreist behauptet. Seine Erklärung vollendet faktisch die Ankündigung des ehemaligen Justizministers Polydaros, wonach es nur eine Frage der Zeit sei, bis einem Polizisten das Temperament durchgehe und er schießen würde.

Der Polizemord am jungen serbischen Studenten Bulatovic im Jahre 1998 in Thessaloniki, der Mord am jungen Leontidis durch einen Polizisten in der Cassandrou Straße 2003, der Tod des 24jährigen Onohua, nachdem er im Sommer 2007 von einer Zivilstreife in Kalamaria gejagt worden war, der Mord an der 45jährigen Maria in Lefkimi im Zusammenhang mit einem Angriff der Polizei auf Menschen, die sich gegen eine Mülldeponie wehrten, der Mord am pakistanistischen Migranten in der Straße Petrou Ralli in Athen im letzten Monat, die alltägliche Erniedrigung und Gewalt gegen jeden kleine Missetäter bei Polizeiaktionen überall in Griechenland, die Schüsse gegen die TeilnehmerInnen von Studieredendemonstrationen im letzten Jahr, die gewaltsame Unterdrückung von Demonstrationen, der Tränengas-Krieg der Polizei, die Gewalt gegen jeden, der protestiert ... Und natürlich der tagtägliche Mord an wirtschaftlichen und politischen Flüchtlingen durch die Grenzpolizei. Selbst die Tode in den eisigen Wasser der Ägais oder den Minenfeldern von Evros: All dies ergibt das Bild der griechischen Polizei.

Der Mord am Alexandros mit seinen 15 Jahren erzeugte eine Welle der Wut und Verzweiflung bei hunderttausenden von Jugendlichen und Menschen jeden Alters. Es ist nicht nur die Abscheu und die Trauer über den Tod des jungen Mannes. Es gibt ein verbreitetes Bewusstsein, dass es für jeden von uns oder diejenigen die wir lieben, eine Kugel gibt, die auf ein unglückliches Zusammentreffen wartet und dieses Bewusstsein teilen wir alle als Brüder, Freunde und Eltern miteinander. Wir leben in einer sozialen Realität, die die Genauer belohnt, die uns manipulieren - die Politiker und den Klerus. Wir alle versuchen in einem Morgen ohne Zukunft zu überleben.

Wir haben die Zukunft uns die Verwaltung unserer Gesellschaft an Leute ohne Moral und Regeln übertragen, die keinen Respekt vor der Menschheit kennen.

In dieser Realität war der Mord am 15jährigen Alexandros der letzte Tropfen, der das Fass unserer Wut zum Überlaufen brachte.

Aber Wut ist nicht einfach nur ein Gefühl. Sie ist ein Kampf für soziale Gerechtigkeit. Eine Gerechtigkeit, von der jetzt deutlich wird, dass, solange sie in der sozialen Realität nicht existiert, es keinen sozialen Frieden geben wird, weil es nur Friedhöfe sind, die mit solcher Unterordnung und solcher sozialen Ungleichheit sozialen Frieden fordern können.

Weil wir jung sind wie Alexandros, weil wir einen Traum von Würde träumen wollen, wo der Staat und die Autoritäten nur Unterordnung und Verzweiflung verbreiten, weil wir leben wollen und nicht nur über den nächsten Winter kommen, wegen all dem sind wir wütend und kämpfen.

Wir werden Alexandros weder vergessen, noch wollen wir einen weiteren toten Alexandros durch Polizeikugeln.

Es wird keinen Frieden geben mit denen, die die Zukunft der Jugend zerstören, kein Eingreifen, keine Krokodilstränen für die heuchlerischen Minister. Liebe im Leben und Hoffnung für die Menschen. Einen täglichen sozialen Kampf mit unseren Klassenkameraden, unseren Freunden, unseren Familien und unseren GenossInnen für eine Gesellschaft ohne Wächter, für eine solidarische Gesellschaft.

Wir rufen alle Bewohner, alle StudentInnen und ArbeiterInnen auf, mit uns gegen die staatlich gedeckten Mörder auf die Straße zu gehen.

Die Vollversammlung der besetzten Theaterschule

Source: http://www.fau.org/artikel/art_081209-141610