MEDIENSPIEGEL 12.12.08
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo)
- Stop the Game-Demo 13.12.08
- 10 Jahre Passive Attack
- Lorraine-Fotobuch
- Burgdorf: Alternativen zu Alkistübli
- Recht: Unentgeltliche Prozessführung
- "Familienlobby" vs Euro Pride
- Nestlé: Heks, Wasser und Menschenrechte
- Anti-WEF-Basel: Polizei-"Reformen"
- Kunst: Naegeli wieder aktiv
- Griechenland: Demos & Soliaktionen
------------------------
REITSCHULE
------------------------
Dez 08: Beteiligt Euch an der
Vorplatz-Präsenz!!!
PROGRAMM:
Fr 12.12.08
20.30 Uhr - Tojo - Pamplona von
Jobert und Pancetta. Mit Eveline Dietrich & Robert Stofer
21.00 Uhr - Kino - Volver,
Pedro Almodóvar, E 2006
22.00 Uhr - Dachstock - A Dachstock-HipHop-Weekender: Prinz Pi (D) Neopunk Tour 2008 mit Casper & Maeckes
& Plan B
Sa 13.12.08
14.00 Uhr - Frauenraum - AMIE
Frauenkleidertauschbörse
20.30 Uhr - Tojo - Pamplona von
Jobert und Pancetta. Mit Eveline Dietrich & Robert Stofer
21.00 Uhr - Kino - Volver,
Pedro Almodóvar, E 2006
22.00 Uhr - Dachstock - A Dachstock-HipHop-Weekender: J-Live (USA) & Mr. Thing (UK), Blu Rum
13 & Band (USA), Support: DJ Kermit
Infos: www.reitschule.ch
---
Bund 11.12.08
"Pamplona"
Olé!
Reisen sind ja oft der Prüfstein für eine Beziehung - dies
erleben auch
Jobert und Pancetta, die Figuren der Clowns Eveline Dietrich und Robert
Stofer in "Pamplona". In ihrem ersten Stück "Zeltsam, ein
Stück
Beziehung" wurde gezeltet. Bevor das skurrile Duo nun in seinem neusten
Abenteuer in Finisterra landet, begegnet es in Spanien allerlei
Seltsamkeiten, von bewundernswerten Stieren bis zum omnipräsenten
heiligen Jakobus. Regisseur Reto Finger dirigiert die beiden Pilger auf
ihrer Reise. (reg)
Tojo-Theater Reitschule
Donnerstag, 11. Dezember, bis Samstag, 13. Dezember, 20.30 Uhr.
-----------------------------------------
STOP THE GAME 13.12.08
-----------------------------------------
stopthegame.ch
Demo 13.12.2008, Bern Bundesplatz, 15:00h
Das Bündnis STOP THE GAME! / L'alliance STOP THE GAME!
Im Oktober 2008 begannen verschiedene Gruppierungen und Einzelpersonen
damit, sich zu vernetzen und gründeten das Bündnis:
"Stop the Game!",
Stopp dem Spiel mit Profit und Kapital auf Kosten der Allgemeinheit.
Alle Gruppen verbindet zwei Gemeinsamkeiten, zum einen die
Kapitalismuskritik, zum andern der Wille, Alternativen zum bestehenden
System zu suchen. Das Bündnis ist vielfältig und versteht
sich als
Plattform zur Entwicklung von neuen Gesellschafts- und
Wirtschaftsformen. (Fortsetzung weiter unten…)
Kapitalismus überwinden
Ein Blick in die Geschichte der kapitalistischen Wirtschaft zeigt, dass
die derzeitige Finanzkrise nichts Neues ist. Eine Kette ähnlicher
Krisen und Zusammenbrüche lässt sich durch die letzten
eineinhalb
Jahrhunderte verfolgen. Es ist offensichtlich, dass diese
Wirtschaftsform zwangsläufig immer wieder Krisen hervorbringt.
Dementsprechend wird mit der derzeitigen Finanzkrise auch das heutige
Debakel nicht das Letzte gewesen sein. Zudem müssen wir uns vor
Augen
halten, dass auch der drohende Umweltkollaps und die schlechten
Lebensbedingungen vieler Menschen eine Folge der jetzigen
Wirtschaftsform sind. Aus diesen Gründen erstreckt sich unsere
Kritik
über die Finanzmärkte hinaus auf die tieferliegenden
Strukturen der
heutigen Ökonomie. Der Kapitalismus als Produktionsweise und
gesellschaftliches Verhältnis ist durch sein Wesen gezwungen, der
Logik
der Profitmaximierung zu folgen. Weder verfolgt er dadurch - trotz der
an sich ausreichenden Produktivkraft - das Ziel der
Bedürfnisbefriedigung noch ermöglicht er die Selbstbestimmung
der
Einzelnen. Wir lehnen deshalb den Kapitalismus als Ganzes ab.
Gemeinsam verändern
Um einen Ausweg aus dem Kapitalismus finden zu können, ist es
notwendig, die heutigen Zustände zu verstehen. Unter diesem
Gesichtspunkt setzen wir uns öffentlich mit den verschiedensten,
teilweise umstrittenen Modellen und Gegenentwürfen einer
möglicherweise
alternativen Gesellschaft auseinander. Diese Diskussionen sollen
breitere Kreise ansprechen und neue Perspektiven ermöglichen. Denn
eine
Veränderung der Gesellschaft und die Überwindung des
Kapitalismus
bedingen ein gemeinsames Bewusstsein der heutigen Widersprüche und
Missverhältnisse einerseits und die Bewusstwerdung der gemeinsamen
Interessen und vorhandenen Möglichkeiten andererseits. Dieses
Bewusstsein kann beim Einzelnen nicht von aussen geschaffen, sondern
lediglich angeregt werden. Aus diesem Grund wollen wir keine
fixfertigen Alternativen präsentieren, sondern laden zum aktiven
Mitdenken und -wirken ein.
Wohlstand für alle
Letzten Endes ist unser Ziel eine Gesellschaft jenseits des
Kapitalismus und aller anderen Formen der Unterdrückung: eine
gemeinsam
verwaltete Produktion, ausgerichtet an der Bedürfnisbefriedigung,
ermöglicht allen Menschen ein selbstbestimmtes Leben in Wohlstand.
Der
Ausbruch aus dem Zwang der Profitmaximierung versetzt uns ausserdem in
die Lage, nachhaltig und umweltgerecht zu produzieren und zu leben. Und
nicht zuletzt führt die Abkehr weg von der kapitalistischen
Konkurrenz
hin zu Solidarität, zu einer Veränderung der
zwischenmenschlichen
Beziehungen.
An Alternativen arbeiten
Aufgrund der Kritik und Ablehnung der heutigen Wirtschaftsform tragen
wir im Bündnis "Stop the Game!", alternative Modelle und
Gegenentwürfe
zusammen. Wir diskutieren sie kontrovers und versuchen aus diesen
Auseinandersetzungen Schlüsse für eine menschenwürdige
Gesellschaft zu
ziehen. Diese Diskussion wird im zum Grundsatzpapier gehörenden
Dokument "Alternativen zum Kapitalismus" abgebildet. Bei diesem sich
stetig verändernden Papier erheben wir keinen Anspruch auf
Vollständigkeit, sondern es soll als Diskussionsgrundlage und
Werkschau
der derzeitigen Debatte im Bündnis verstanden werden.
Hinter dem Bündnis "Stop the Game!" stehen folgende Gruppierungen:
[k:p] kritische perspektive, AA - Action Autonome, AA - Anarchistische
Aktion, ATTAC Schweiz, BfS - Bewegung für den Sozialismus, BAgR -
Bündnis Alle gegen Rechts, Dance Out WEF, FAU Bern - Freie
ArbeiterInnen Union, GPB-DA - Grüne Partei Bern - Demokratische
Alternative, JuLiA - Junge Linke Alternative, KABBA - Komitee der
Arbeitslosen und Armutsbetroffenen, Lucha Y Fiesta Antifascista, PdA
Bern - Partei der Arbeit, PdA Zürich - Partei der Arbeit, ZA -
Zürcher
AnarchistInnen. Weitere folgen.
------------------------------
PASSIVE ATTACK
------------------------------
Bund 11.12.08
10 Jahre Passive Attack
In Feierlaune
Seit einem Jahrzehnt sorgen die Promotionsfachleute von Passive Attack
dafür, dass Bern über das aktuelle Kulturgeschehen informiert
ist. Zum
Jubiläum gibts eine Ausstellung der besten Kulturplakate
(prämiert
wurden Dachstock- und Stadttheater-Plakate) und ein Fest, das gemeinsam
mit dem ebenfalls 10-jährigen Veranstaltungsmagazin
"Bewegungsmelder"
ausgerichtet wird. Für die gute Feierlaune sind das
One:Shot:Orchestra,
Baze, Aziz und diverse DJs zuständig. (reg)
Dampfzentrale
Freitag, 12. Dezember (Ausstellung/Prämierung), Samstag, 13.
Dezember (Jubiläumsfest), jeweils ab 22 Uhr.
http://www.passiveattack.ch/
---------------------
LORRAINE
---------------------
Bund 12.12.08
Quartier in Bewegung
Das Buch "Die Lorraine" zeigt überraschende Bilder aus der
Geschichte eines Stadtviertels
Vom Arbeiterquartier zum Trendviertel: Der Bildband "Die Lorraine"
zeigt die rasante Entwicklung eines eigensinnigen Berner Quartiers.
Die Geschichte der Lorraine als Stadtquartier hängt mit dem Bau
der
Brücken zusammen: Der Bau der Eisenbahnbrücke 1858 ("Rote
Brücke") und
der Lorrainebrücke 1929 zogen eine intensive Bautätigkeit auf
dem Areal
des einstigen Lorraineguts nach sich. Der Bildband "Die Lorraine", der
vom Verein "Läbigi Lorraine" im Anschluss an dessen
25-jähriges
Bestehen herausgegeben wird, verschafft einen Einblick in die bewegte
Geschichte des Quartiers - von der Pionierzeit über die
Häuserkämpfe
der 1980er-Jahre bis zur Gegenwart.
Bezeichnend für die Lorraine war und ist der Mix von Wohnen und
Arbeiten und die soziale Durchmischung des Quartiers. Das
Herzstück,
die 1860 erbaute Lorrainestrasse, präsentiert sich heute als
bunter
Spiegel des urbanen Lebens. Der Bildband zeugt von den baulichen
Veränderungen. So fiel der Errichtung der Gewerblich-Industriellen
Berufsschule anfangs der 1990er-Jahre ein ganzer Strassenzug zum Opfer.
In einzelnen Fällen wie dem Quartierhof zum Beispiel blieb der
Kampf um
den Erhalt der historischen Bausubstanz jedoch erfolgreich. (bob)
[i]
Die Lorraine,
Ein Fotobuch über das Lorrainequartier. Erhältlich in jeder
Buchhandlung. Einzelpreis: 38 Franken, Solidaritätspreis: 48
Franken.
Vernissage heute Freitag, 18 Uhr, Café Kairo.
---
BZ 12.12.08
Bilderbuch eines Stadtquartiers
Wer das Lorraine-Quartier kennen lernen will, muss nicht zwingend zu
Fuss unterwegs sein. Im neuen Fotoband "Hommage an ein Berner
Stadtquartier" werden auf fast 200 Seiten sieben Rundgänge im Bild
präsentiert.
Der Beginn der Besiedlung des Lorraine-Quartiers geht ins Jahr 1858
zurück. Damals wurde die Rote Brücke für Eisenbahn und
Fussgänger - vom
Nordring über die Aare in die Stadt - in Betrieb genommen. Das
Nordquartier wurde damit erstmals auch für den öffentlichen
Verkehr
erschlossen. Bilder aus jener Zeit machen den Auftakt im neuen
"Fotobuch Lorraine", welches der Verein für ein lebendiges
Lorraine-Quartier VLL soeben herausgegeben hat.
Bürgerlich und ärmlich
Das fast 200-seitige Werk dokumentiert anhand zahlreicher
Schwarz-Weiss-Bilder aber nicht nur die Anfänge des Quartiers. Das
Buch
ist in sieben fotografische Rundgänge gegliedert, wobei sich
historische Aufnahmen mit heutigen ergänzen. Das Bildmaterial
wurde aus
30 Quellen zusammengestellt. Auf ausführliche Texte wurde
verzichtet,
die Bilder sollen laut Herausgeber für sich sprechen. Ein
Spaziergang
führt durch das eigentliche Dorfzentrum, die 1860 erbaute
Lorrainestrasse, und dokumentiert eindrücklich den
bürgerlichen Baustil
in der vorderen Lorraine (mit dem 1894 erbauten Restaurant Du Nord),
der sich von jenem der Arbeiterhäuser im hinteren Teil des
Quartiers
unterscheidet. Thematisiert werden auch Grossbauten, wie die alte
Gewerbeschule (1939) und die neue Gewerblich-Industrielle Berufsschule
GIBB; oder die dominante Häuserzeile am Randweg, wo unmittelbar
nebenan
täglich Tausende von Zügen verkehren.
Uferweg und Gasexplosion
Beschaulicher ist es an der Aare unten: Die alte Brauerei Gassner, der
Uferweg und das Lorrainebad - Bau und Sanierungsarbeiten - werden
ebenso im Fotobuch präsentiert wie tragische Ereignisse: die
Gasexplosion am Nordring 8 (heutiges Postfinance-Gebäude), welche
1998
fünf Todesopfer forderte.
Die Hommage an ein sympathisches Berner Quartier ist gelungen, schade
nur, dass bei etlichen Bildern keine Legende steht. Wer die Lorraine
mit ihren Gebäuden und ihren Bewohnerinnen und Bewohnern nicht in-
und
auswendig kennt, kann bei jenen Bildern, die wirklich nur für sich
sprechen, nur rätseln.
sru
"Die Lorraine", ein Fotobuch, 196 Seiten, 38 Franken.
-------------------------------------------
RANDSTAND BURGDORF
-------------------------------------------
Berner Rundschau 11.12.08
Burgdorf hat das Problem erkannt - die Lösung ist aber
unbefriedigend
Um das Problem der Randständigen in den Griff zu bekommen, hat die
Burgdorfer Sozialdirektion ein Konzept für ein "Alkistübli"
ausgearbeitet. Das Projekt hätte die Stadt jährlich etwa 200
000
Franken gekostet. Dem Gemeinderat war das zu viel - er pfiff die
Sozialdirektion zurück. Diese muss nun bis im Sommer 2009 andere
Varianten vorlegen. (FWB) Seite 29
--
Handlungsbedarf besteht, aber ...
Burgdorf Problem der Randständigen erkannt - Konzept
"Alkistübli" wird aber nicht umgesetzt
fabienne wüthrich
Die Stadt Burgdorf erhält kein "Alkistübli". Der Gemeinderat
findet das
Projekt zu überdimensioniert - nun ist die Sozialdirektion
gefordert:
Sie soll Alternativen suchen.
Im Burgdorfer Stadtrat wurde das Thema immer wieder aufgenommen: die
Randständigen im Bahnhofquartier. So reichte die Jungfreisinnige
Stadträtin Christine Jost im Sommer eine Interpellation ein. Sie
stellte dem Gemeinderat folgende Fragen: "Wie wird die Situation mit
den Randständigen beurteilt; hat die Stadt die Möglichkeit,
alkoholisierten Personen den Zugang zu bestimmten Arealen zu
verwehren?" In einer nächsten Stadtratssitzung reichte
EVP-Parteipräsident Martin Aeschlimann ein Postulat betreffend
Randständige ein. Er forderte den Gemeinderat auf, ein
allfälliges
Reglement für die Burgdorfer Innenstadt zu prüfen - es soll
flankierende Massnahmen für Randständige beinhalten. Der
Prüfungsbericht muss gemäss dem Postulat bis Mitte 2009
vorgelegt
werden.
Kostenpunkt: 200 000 Franken
Die Anliegen der Vertreter des Stadtrates wurden ernst genommen: Die
Sozialdirektion arbeitete mit der Regionalstelle Oberaargau-Emmental
ein Konzept für ein "Alkistübli" aus. Das Konzept habe
beispielsweise
mit Betreuungskosten von 130 000 Franken gerechnet, sagt Annette Wisler
Albrecht, Gemeinderätin (SP) und Vorsteherin der Sozialdirektion.
Hinzu
wäre die Miete des Aufenthaltsraumes gekommen. Sie konkretisiert:
Pro
Jahr hätte das Burgdorf rund 200 000 Franken gekostet. Das Konzept
sei
schliesslich der Kommission für Soziales vorgelegt worden. "Die
Idee
ist nicht auf offene Ohren gestossen", sagt sie; "es hiess, die
Sozialdirektion solle Alternativen prüfen." Die Kommission stellte
einen dementsprechenden Antrag an den Gemeinderat. Dieser stimmte der
Kommission zu: Das Projekt sei für Burgdorf zu
überdimensioniert,
andere Lösungsvorschläge sollen gesucht werden.
Wisler versteht das: Im Sommer würden sich immer wieder rund 20
Randständige vor dem Coop aufhalten. "Das ist eine geringe Zahl,
und
die Hälfte der Leute stammt nicht einmal aus Burgdorf." 200 000
Franken
für 20 Personen - das würde die Stadt 10 000 Franken pro
Person und
Jahr kosten. "Das ist ein schlechtes Kosten-Nutzenverhältnis",
sagt
sie. Dass die Stadt Bern bereits ein "Alkistübli" betreibt, weiss
die
Gemeinderätin. Doch sie wiegelt ab: "Bern ist grösser, und
was gut für
die Stadt Bern ist, muss nicht unbedingt gut für unsere Region
sein."
Zwei Varianten werden geprüft
Laut Wisler sieht aber auch der Gemeinderat Handlungsbedarf, denn:
"Kinder und Senioren haben Respekt vor den Randständigen." Ein
anderer
Gesichtspunkt seien die Geschäfte. "Mehrere Beschwerden sind bei
mir
eingegangen; sie finden die Randständigen störend."
Nun wolle die Sozialdirektion Alternativen zu einem "Alkistübli"
prüfen. "Zwei Varianten schweben uns vor", sagt sie. Einerseits
solle
ein Konzept zur besseren Vernetzung des bestehenden Angebotes für
Randständige erarbeitet werden. "Wir möchten eine
Bedürfnisabklärung
durchführen, um zu eruieren, was die Randständigen in
Burgdorf
benötigen", sagt sie. Damit wolle die Sozialdirektion klären,
ob das
bestehende Angebot in Burgdorf ausreiche. Wer die Umfrage
durchführt,
ist gemäss Wisler im Augenblick noch nicht klar.
Die zweite Variante sei der Einsatz von Gassenarbeitern. "Wir
überlegen
uns, ob wir dafür eine zusätzliche Stelle schaffen sollen
oder unsere
Sozialarbeit ausreicht." Hier müsse sich die Stadt aber bewusst
sein:
"Das wird etwas kosten." Die Abklärungen würden nun einige
Zeit in
Anspruch nehmen. Welche der beiden Varianten sich besser für
Burgdorf
eigne, könne sie frühestens im nächsten Sommer sagen.
Wieviel die
beiden Lösungsansätze kosten würden, "wissen wir
momentan ebenfalls
nicht".
-------------
RECHT
-------------
Bund 11.12.08
Drogenkranker erhielt recht
Bundesgericht Auch ein vor Gericht eloquent auftretender Drogenkranker
hat Anrecht auf unentgeltliche Prozessführung. Das Bundesgericht
hat
einen Entscheid der Berner Justiz umgestossen, die dem Mann einen
"Armenanwalt" mit der Begründung verweigert hatte, dass er seine
Interessen ohne fremde Hilfe wahrnehmen könne.
Der Regierungsstatthalter von Thun liess im August 2008 einen
verwahrlosten Drogenkranken gestützt auf die Bestimmungen
über den
Fürsorgerischen Freiheitsentzug (FFE) auf unbestimmte Zeit in das
Psychiatriezentrum Münsingen einweisen. Der Betroffene rekurrierte
mit
Unterstützung eines Anwalts an das Berner Obergericht als
kantonale
FFE-Rekurskommission und ersuchte um Entlassung. Ferner verlangte er,
ihm sei der Anwalt als unentgeltlicher Rechtsbeistand zu bestellen.
Gesuche wurden abgelehnt
Das Obergericht wies nicht nur das Gesuch um Freilassung ab. Auch das
Gesuch um Bestellung eines "Armenanwalts" fand keine Gnade. Das Gericht
befand, es sei dem "eloquent" auftretenden Beschwerdeführer
möglich und
zumutbar gewesen, seine Interessen persönlich vor Gericht
sachgerecht
zu vertreten. Eine gegen diesen Entscheid eingereichte Beschwerde hat
das Bundesgericht nun gutgeheissen. Laut Bundesverfassung besteht ein
Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn die Interessen einer
Person in schwerwiegender Weise betroffen sind und der Fall in
tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, die
den
Beizug eines Anwalts erforderlich machen.
Zweifel an Zustand des Süchtigen
Der Umstand, dass sich der Drogenkranke anlässlich der Verhandlung
eloquent auftrat und darüber informiert war, dass er gegen den
Entscheid des Obergerichts eine Beschwerde einreichen kann, bedeutet
gemäss dem Bundesgericht noch nicht, dass er seine Interessen an
der
Verhandlung ohne fremde Hilfe hätte wahrnehmen können. Die
tatsächlichen Umstände im Zusammenhang mit der
Suchterkrankung des
Mannes, aber auch die Diagnose "Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom" lassen
laut Bundesgericht vielmehr begründete Zweifel daran aufkommen, ob
der
Drogenkranke befähigt war, seine Rechte vor Gericht ohne Anwalt
durchzusetzen. Der Fall geht zur neuen Beurteilung an das Berner
Obergericht zurück. (sda)
------------------------
HOMOPHOBIE
------------------------
tagesanzeiger.ch 11.12.08
Schwule reden nicht mit "Familienlobby"
Mit 5000 Unterschriften verlangt die "Familienlobby" den Stopp der
Schwulenparade in Zürich. Nun will die kirchliche Organisation mit
den
Schwulen über deren "Sünden" reden. Die Homosexuellen lehnen
ab.
Der Verein "Familienlobby" fordert das Verbot der Schwulenparade Euro
Pride im Frühling 2009 in Zürich. Mit 5000 Unterschriften
will die
Organisation den Anlass stoppen. "Homosexualität ist eine
Sünde",
begründet Daniel Regli, Präsident der Familienlobby und
Mitglied der
SVP, die Forderung. Deshalb habe man am Mittwoch den Organisatoren
angeboten, 4000 Unterschriften vorbeizubringen und dabei den Dialog zu
suchen, sagt Regli.
Die Organisatoren der Euro Pride in Zürich lehnen das
Gespräch klar ab,
wie Sprecher Michael Rüegg auf Anfrage sagt: "Wer über
Homosexualität
als Sünde redet, ist kein Gesprächspartner für uns." Mit
solchen
Äusserungen bewege man sich einige Jahrzehnte rückwärts,
sagt Rüegg.
Schwule informieren mangelhaft
Die Familienlobby kritisiert weiter "die mangelhafte Information der
Schwulenlobby." Laut Regli habe eine Studie des Bundes ergeben, "dass
es um die psychische Gesundheit vieler Homos schlecht bestellt ist,
dass sie weit überdurchschnittlich Drogen konsumieren und sechsmal
mehr
Suizidversuche aufweisen." Das werde von den Organisatoren der Euro
Pride verschwiegen, sagt Regli.
"Wer so etwas sagt, sollte sich überlegen, ob nicht gerade diese
Äusserungen dazu führen könnten, dass sich Schwule und
Lesben unwohl
fühlen", sagt Rüegg. Darüber hinaus gehe es dem Vorstand
der Euro Pride
physisch und psychisch gut und man beabsichtige auch nicht, Suizid zu
begehen.
Nicht alle stehen zu ihren Unterschriften
Um die von ihr als mangelhaft kritisierte Diskussion und Information
über die Homosexualität zu verbessern, hat die Familienlobby
keine
Aktionen geplant. Mit den 5000 Unterschriften gegen die Euro Pride
wolle man vor allem Öffentlichkeit erzeugen, sagt Regli. "Gegen
die
grosse Schwulenlobby kommen wir als kleine kirchliche PR-Organisation
gar nicht an."
Nicht alle Unterschriftensammler stehen jedoch offen zur Aktion gegen
die Schwulenparade. Die "Christen für die Wahrheit" wollten nicht,
dass
ihre 1000 Unterschriften den Homosexuellen übergeben werden, wie
Regli
auf Anfrage sagt.
"Meinung der Landeskirche wichtiger"
Der Einwand von Lesern auf Tagesanzeiger.ch, Gott habe alles Leben,
also auch die Schwulen geschaffen, lässt Regli nicht gelten: "Man
findet nirgends in der Bibel den Grundsatz, der das Leben nach dem
Lustprinzip propagiert." Schwulsein führe nicht zum Glück.
"Wir finden es schade, dass Leute mit solchen Ideen Aufmerksamkeit
erzeugen", sagt Rüegg. Für die Homosexuellen sei jedoch die
Meinung der
Landeskirchen wichtiger. "Dort gibt es eine grosse Anzahl Mitglieder,
die das Schwulsein ganz anders sehen."
---------------
NESTLÉ
---------------
Beobachter 12.12.08
Die zwei Gesichter des Herrn D.
Text: Otto Hostettler
Seit Nestlé-Generaldirektor Roland Decorvet im Stiftungsrat des
kirchlichen Hilfswerks Heks ist, gärt es an der Kirchenbasis. Denn
Nestlé verfolgt Interessen, die das Heks klar ablehnt.
Die Wahl von Roland Decorvet in den Stiftungsrat des kirchlichen
Hilfswerks Heks sorgt für Unmut. Denn Roland Decorvet ist nicht
irgendwer. Er ist Generaldirektor des Nahrungsmittelkonzerns
Nestlé,
der wiederum mit 280000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf der
ganzen Welt in den ersten neun Monaten dieses Jahres 81,4 Milliarden
Franken Umsatz verbuchte - 7,6 Milliarden Franken allein mit dem
Verkauf von Wasser. Ganz anders die Interessen des Hilfswerks: Das Heks
fordert den freien, kostenlosen Zugang zu Wasser als Menschenrecht.
Mehr noch: Der neue Stiftungsrat im kirchlichen Hilfswerk
repräsentiert
just jenen Konzern, der jahrelang und systematisch Arbeitsgruppen der
Antiglobalisierungsorganisation Attac bespitzeln liess (siehe
Beobachter Nr. 14). Mindestens drei Maulwürfe unterwanderten die
Attac.
Sie interessierten sich nicht nur für das Buch über
Nestlé, an dem eine
Autorengruppe arbeitete, sondern auch für den brasilianischen
Umweltschützer Franklin Frederick, der engen Kontakt zur Szene hat.
Hartnäckig kritisiert Franklin Frederick seit Jahren den
Nahrungsmittelkonzern für sein Geschäft mit Trinkwasser in
Brasilien.
Immer wieder reist er in die Schweiz, trifft Umweltorganisationen und
Hilfswerke, hält Vorträge bei Kirchgemeinden und hat dazu
beigetragen,
dass die Kirchen der Schweiz die sogenannte Wassererklärung
unterzeichneten. Darin wird Wasser als öffentliches Gut
bezeichnet, das
jedem Menschen zusteht. Eine Privatisierung von Quellen wird klar
abgelehnt.
"Das klingt wie blanker Hohn"
Ganz offensichtlich ist der umtriebige Umweltschützer aus
Brasilien dem
weltgrössten Wasserhändler ein Dorn im Auge. Dies geht aus
den
vertraulichen Berichten hervor, die die Securitas-Angestellte mit dem
Pseudonym Sara Meylan dem Nestlé-Konzern ablieferte und die dem
Beobachter in Auszügen vorliegen. Darin taucht immer wieder
Fredericks
Name auf.
Spitzelin Sara Meylan rapportierte fleissig, was Franklin Frederick
über die aktuelle juristische Auseinandersetzung mit Nestlé
in
Brasilien berichtet. Die Spionin notiert, dass Frederick nun bei den
Kirchen anklopfen wolle, wann welche Sitzung stattfindet et cetera.
Dazu lieferte die Agentin auch gleich die E-Mail-Adresse des
Umweltschützers für den Fall, dass sich Nestlé
für dessen Korrespondenz
interessieren sollte. Und sie vergisst nicht, ihre eigenen Auslagen zu
notieren: eine warme Schokolade und ein Glas Eistee für total Fr.
6.80,
fünf Franken Kollekte für die Saalmiete.
Das Hilfswerk, das sich Toleranz und Dialog auf die Fahne geschrieben
hat, wird auffällig einsilbig jenen gegenüber, die unbequeme
Fragen zum
neuen Stiftungsrat stellen. Der Stiftungsratspräsident und
liberale
Nationalrat Claude Ruey lässt die Fragen des Beobachters
unbeantwortet,
stattdessen publiziert das Heks eine ellenlange Stellungnahme: Die
Ausrichtung des Heks werde sich nicht ändern, heisst es etwa. Und:
"Roland Decorvet ist als Privatperson in den Stiftungsrat gewählt
worden und nicht als Vertreter seines Arbeitgebers."
Decorvet hat zuvor die Diskussion über seine Person selber
angeheizt:
Er, dessen Familie seit fünf Generationen aus Pfarrern besteht,
kanzelte gegenüber der Zeitung "Reformierte Presse" sowie dem
Magazin
des Heks die Kritiker als "politisch extrem links" und als
"minorité
négligeable" ab, also als vernachlässigbare Minderheit.
Gleichzeitig
behauptete der neue Heks-Stiftungsrat kühn: "Nestlé ist die
beste
Entwicklungsorganisation, die es gibt."
Zur Privatisierung von Wasser sagte er lakonisch: "Jeder sollte Zugang
zu sauberem Wasser haben. Aber Wasser ist für uns wie Wein. Es
gibt
trinkbaren Wein in verschiedensten Qualitäten und
Geschmacksrichtungen.
Wer etwas Spezielles haben möchte, soll dafür bezahlen."
Diese Aussage
kann Pierre Bühler, Theologieprofessor an der Uni Zürich,
nicht gelten
lassen: "Der Vergleich des Trinkwassers mit Wein unterschiedlicher
Qualität klingt wie blanker Hohn angesichts der Situation in der
Südhemisphäre." Bühler bezeichnet Decorvets
Äusserungen über die
"politisch extrem linken" Kritiker als "arrogantes Vorurteil" und als
"Provokation".
Decorvet gibt Fehler zu
Auch an der kirchlichen Basis ist das Unverständnis für den
neuen
Stiftungsrat gross. Pensionierte Pfarrer, frühere Heks-Mitarbeiter
oder
Entwicklungshelferinnen begehren auf. Einige kündigen an, ihre
Spendentätigkeit für das Hilfswerk zu überdenken. Alle
vom Beobachter
kontaktierten Personen sagen das Gleiche: Eine Führungsfunktion
bei
Nestlé ist mit dem Amt als Stiftungsrat beim Heks nicht
vereinbar. "Die
beiden Rollen führen zu Konflikten", sagt die Berner
Synodalrätin Pia
Grossholz. Als Mitglied der bernischen Kirchenregierung berichtete sie
letzte Woche im Kirchenparlament von 50 "bestürzten und
entsetzten"
Zuschriften, die sie erhalten habe. Zugleich verurteilte sie die
Bespitzelung von Franklin Frederick.
Gegenüber dem Beobachter sagt Grossholz: "Ich besuchte 2006 eine
Quelle
von Nestlé in São Lourenço, Brasilien. Dort habe
ich gesehen, wie sich
der Konzern nicht an Gesetze hielt und der Natur schadete." Und: "Die
beiden Rollen von Roland Decorvet sind nicht kompatibel."
Auf die breite Kritik will Decorvet nicht mehr reagieren. Stattdessen
stellt sich das Hilfswerk demonstrativ hinter den neuen Stiftungsrat
und lässt verlauten: "Decorvet hat an der letzten
Stiftungsratssitzung
erklärt, er habe einen Fehler begangen" und auf die Kritik
"überreagiert". Zudem habe er "ausdrücklich bekräftigt",
dass er sich
beim Heks als Privatperson engagiere und keinerlei Mandat seines
Arbeitgebers ausübe. Gern hätte sich der Beobachter von der
Privatperson Decorvet einige Fragen zu seiner Doppelfunktion
beantworten lassen. Doch die an ihn persönlich gerichtete Anfrage,
die
sein privates Engagement betrifft, wurde umgehend von seinem
Arbeitgeber beantwortet. Die Nestlé-Pressestelle meldet kurz und
bündig: "Alles ist schon gesagt worden betreffend Heks."
---
Kirchenbote 12.12.08
Das Schweigen des Kirchenbundes
Heks/ Der Nestlé-Manager im Heks-Stiftungsrat räumt Fehler
ein. Die Projekt-Politik von Heks soll gleich bleiben.
Franklin Frederick - der Name findet sich häufig in den
Spionage-Protokollen von Nestlé. Zwischen 2003 und 2004 hat der
Nahrungsmulti aus Vevey Globaliserungsgegner, darunter auch den
brasilianischen Wasseraktivisten Frederick, von einer Securitas-Spionin
aushorchen lassen.
Passiv. "Als jemand, der aus einer ehemaligen Militärdiktatur
kommt,
überrascht es mich, dass die Schweizer Kirchen schweigen", sagt
Franklin Frederick. Eigentlich hat er gute Gründe, auf kirchliche
Unterstützung zu hoffen. Denn im Auftrag der katholischen
Bischofskonferenz Brasiliens und des Ökumenischen Rats der Kirchen
hat
er 2004 die Erklärung zum "Wasser als Menschenrecht und
öffentliches
Gut" mit dem Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK) und der
hiesigen katholischen Bischofskonferenz ausgehandelt.
Warum aber schweigen seine Bündnispartner? Der Sprecher des
Kirchenbundes, Simon Weber, zeigt sich zwar "über die
Vorwürfe der
Spionage besorgt". Eine SEK-Stellungnahme werde es aber erst geben,
wenn die Strafuntersuchungen der Justiz zu den Bespitzelungen, die
Securitas im Auftrag von Nestlé durchgeführt hat,
abgeschlossen seien.
Befangen. 76 Nationalräte hatten weniger Probleme, jetzt schon
Kritik
zu formulieren. Anfang Dezember unterzeichneten sie einen "Appell
für
die Meinungs-äusserungsfreiheit und gegen Schnüffeleien durch
Nestlé
und Securitas". Der Kirchenbund hingegen ist in der Kritik an
Nestlé
"befangen", so notiert es der "Tages-Anzeiger". Denn im Juli
wählten
die Abgeordneten des SEK den Nestlé-Direktor Roland Decorvet
einstimmig
in den Stiftungsrat des Hilfswerks der evangelischen Kirchen Schweiz
(Heks).
"Pure life". Dass das Aus-spionieren nicht Roland Decorvet zur Last zu
legen ist, versichert allerdings auch Frederick. Aber indirekt gibt es
für ihn durchaus eine Verbindung. Denn bevor Nestlé die
Mineralwasserbrunnen seiner Heimatstadt São Lourenço
anbohrte und das
Wasser unter dem Namen "Pure life" in Pet-Flaschen vermarktete, wurde
dieses Modell schon seit 1999 in Pakistan erprobt. Dort war Decorvet
zwischen 2004 und 2007 Nestlé-CEO. Über den
Geschäftszweig Wasser hat
er bisher nicht geredet. Er betont lieber den Bau der Milchfabrik in
Kabirwala, die die Milch von 140 000 pakistanischen Bauern verarbeitet.
Mit Blick auf diesen Erfolg formulierte Decorvet denn auch
unbescheiden, Nestlé sei "die beste Entwicklungsorganisation,
die es
gibt".
Von dieser provokanten Aussage, die er zuerst in der "Handelszeitung"
machte und dann gegenüber der "Reformierten Presse" wiederholte,
nimmt
Decorvet heute Abstand. In einer Stellungnahme, die Heks an die
Kirchgemeinden versandte, räumt Decorvet ein, "Fehler begangen"
und
"überreagiert" zu haben. Das Eingeständnis kommt zur rechten
Zeit. Denn
bei Heks steht die alljährliche Weihnachtsspendenkampagne an.
Deshalb
stellt der Brief an die Kirchgemeinden jetzt klar: Die
Projektausrichtung von Heks bleibe trotz des neuen Stiftungsrats
unverändert.
Neue Töne. Über die Stellungnahme zeigt sich Pfarrer Dieter
Sollberger
von Horgen erleichtert. In seiner Gemeinde wurde schon über die
Stornierung der jährlichen Heks-Überweisungen nachgedacht.
"In der
Stellungnahme ist deutlich ein neuer Ton herauszuhören. Für
uns ist
dies ein wichtiger erster Schritt", so Sollberger. Delf Bucher
---
WoZ 11.12.08
Menschenrechte I
Nestlé am Pranger
"Jeder Mensch hat das Recht, zum Schutze seiner Interessen
Berufsvereinigungen zu bilden und solchen beizutreten." So heisst es im
Artikel 23, Abschnitt 4, der Uno-Menschenrechtsdeklaration, deren
Verabschiedung sich am Mittwoch zum sechzigsten Mal jährte. Das
Internationale Forum für Arbeitsrechte (ILRF) hat anlässlich
dieses
Jubiläums eine Dokumentation zusammengestellt, welche die
"fünf
schlimmsten Konzerne in Sachen Gewerkschaftsrechte" benennt. Neben den
US-Firmen Dole, Del Monte, Russell und Wal-Mart gehört auch der
Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé zu den Angeschuldigten.
Nestlé
verspreche seinen KundInnen "Gute Nahrung, gutes Leben", verstecke
jedoch gleichzeitig "eine dunkle Geschichte von
Menschenrechtsverletzungen und der Missachtung von Arbeiterrechten".
Seit Jahren wird das Unternehmen etwa auf den Philippinen und in
Kolumbien mit Gewalttätigkeiten gegen GewerkschafterInnen und
Repressalien gegen Gewerkschaftsorganisationen in Verbindung gebracht.
Das ILRF hat seinen Sitz in den USA und wird von Gewerkschaften,
Kirchen sowie dem US-Aussenministerium unterstützt.
www.laborrights.org
-------------------------------
ANTI-WEF BASEL
-------------------------------
bs.ch 8.12.08
Bericht über die Tätigkeit der vom Vorsteher des
Sicherheitsdepartementes des Kantons Basel-Stadt eingesetzten
Arbeitsgruppen betreffend "Datenschutz" und "polizeiliche Massnahmen"
im Zusammenhang mit der Anti-WEF-Demonstration vom 26. Januar 2008
http://www.bs.ch/mm/bericht_arbeitsgruppen_meier.pdf
---
Basler Zeitung 12.12.08
Die Basler Polizei erfindet sich neu
Nach missglücktem Einsatz bei Anti-WEF-Demo werden
Dienstvorschriften geändert
philipp loser
Der Polizeieinsatz bei der Basler Anti-WEF-Demonstration im Januar hat
Folgen. Mit neuen Dienstvorschriften sollen Grundrechtsverletzungen
künftig bei Grosseinsätzen verhindert werden.
Ab sofort rechtfertigt allein die Tatsache, an einer unbewilligten
Demonstration teilnehmen zu wollen, keine Festnahme mehr durch die
Polizei. "Es braucht mehr Verdachtsmomente", sagte der interimistische
Polizeikommandant Rolf Meyer gestern vor den Medien. Das ist eine
zentrale Erkenntnis der Expertengruppe, die sich nach der Januar-Aktion
mit polizeilichen Massnahmen und dem Umgang mit Datenschutz
beschäftigt
hatte.
Bei der unbewilligten Anti-WEF-Demonstration in Basel verhaftete die
Polizei Dutzende Unbeteiligte und hielt sie über Stunden im
Waaghof
fest. Eine Administrativuntersuchung hielt bereits im März fest,
dass
der Einsatz unverhältnismässig war. "Nun ging es darum, diese
Tatsache
vertieft zu analysieren und konkrete Schritte einzuleiten", sagte
Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass (FDP).
Im Schlussbericht der Expertenkommission werden Empfehlungen in den
verschiedensten Bereichen vorgeschlagen. Themen sind unter anderem:
Dauer von Polizeigewahrsam, korrekte Fesselung, Umgang mit
Journalisten, Benachrichtigung der Eltern bei Unmündigen,
Untersuchungen an Kleidern und am Körper.
Die Empfehlungen werden nun in Dienstvorschriften festgehalten, die ab
Januar gelten sollen. Gleichzeitig werden alle Polizeiangehörigen
mit
den neuen Regeln vertraut gemacht. "Die Basler Polizei ist auf einem
guten Weg, die Grundrechte konsequent umzusetzen", sagte
Staatsrechtsprofessor Markus Schefer, der damit in erster Linie
Grosseinsätze wie die Anti-WEF-Demonstration meint.
Vorbild. Schweizweit seien die Aufarbeitung des Einsatzes und die
Konsequenzen daraus einmalig, sagte Gass. Er hofft, dass die neuen
Dienstvorschriften auch für andere Schweizer Polizeikorps
wegweisend
sein werden. Er will das Thema an der kantonalen
Polizeidirektoren-Konferenz vorbringen. Meyer hat den Schlussbericht
gestern ausserdem an alle Schweizer Polizeikommandanten verschickt.
Neben den polizeilichen Massnahmen nimmt der korrekte Umgang mit
Datenschutz einen grossen Teil des Berichts ein. Der Spielraum des
Kantons bei den Bundesbehörden ist viel grösser als bisher
angenommen -
und soll in Zukunft auch genutzt werden. > Seite 23
--
Nicht jeder Demonstrant soll fichiert werden
Basel. Der Kanton will mehr Einflussnahme auf die Datenbank des
Inlandgeheimdienstes nehmen
Philipp Loser
Noch vor Wochen schob die Basler Regierung den Schwarzen Peter nach
Bern: Bei der Fichierung von Personen habe man bei den
Bundesbehörden
nichts zu melden. Ein Gutachten kommt nun zu einem anderen Schluss.
Die Datenbank des Inlandgeheimdienstes, des Dienstes für Analyse
und
Prävention, hat man sich als grosses schwarzes Loch vorzustellen.
Daten
werden angesaugt, abgelegt und entziehen sich dann jedem Einfluss von
aussen. "Der Staatsschutz besitzt heute eine massiv grössere
Datensammlung als während der Zeit der Fichenaffäre", sagt
Rechtsprofessor Markus Schefer (siehe Interview rechts).
Um in die Isis-Datenbank zu gelangen und fichiert zu werden, reicht
eine Anfrage der Kantonspolizei an die Behörden in Bern.
SP-Parlamentarierin Tanja Soland musste vor einigen Wochen diese
Erfahrung machen, etliche Teilnehmer einer unbewilligten Anti-WEF-Demo
im Januar dieses Jahrs ebenfalls. Im Rahmen einer längeren
Parlamentsdebatte stellte sich der Regierungsrat um Justizminister Guy
Morin (Grüne) auf den Standpunkt, auf diese Fichierung in Bern
keinen
Einfluss nehmen zu können. "Wir sind nicht zuständig", sagte
Morin im
September.
Spielraum. Ein Gutachten, das nach der missglückten Polizeiaktion
bei
der Anti-WEF-Demo im Januar in Auftrag gegeben und gestern den Medien
präsentiert wurde, kommt nun zu einem anderen Schluss. Der Kanton
kann
auf zwei Arten Einfluss auf die Fichierung von Personen in Bern nehmen:
Er kann erstens selber entscheiden, welche Daten die Polizei der
sogenannten Fachgruppe 9 (FG 9) weiterleitet. Die FG 9 ist der
verlängerte Arm der Bundesbehörden in Basel, sie ist vom Bund
bezahlt
und beim Kanton angestellt. Und der Kanton kann zweitens die Aufsicht
über die FG 9 regeln - heute fühlen sich weder Kanton noch
Bund für die
Beaufsichtigung der Staatsschützer zuständig.
In der Praxis. Anfang nächstes Jahr will die Justizdirektion eine
Verordnung präsentieren, in der diese Bereiche geregelt sind.
Anhaltspunkte, was in der Verordnung stehen könnte, gibt es im
Schlussbericht der Arbeitsgruppen zu lesen. Der entscheidende Satz:
"Besteht bei einer kontrollierten Person kein Verdacht auf eine
staatsschutzrelevante Gefahr, darf sie der FG 9 nicht gemeldet werden."
Die Empfehlungen sollen nun einerseits in die neue Verordnung und
andererseits in neue Dienstvorschriften für die Polizisten an der
Front
einfliessen. Das gilt auch für alle anderen Empfehlungen der
Arbeitsgruppen. Auch in der Geschäftsprüfungskommission (GPK)
wird der
Bericht zum Thema. Eine erste Reaktion von GPK-Präsident Jan
Goepfert
(SP) ist positiv: "Das Problem scheint erkannt zu sein."
--
"Ein Staatsschutz-Problem"
Rechtsprofessor Markus Schefer unterstützt den Kanton
Interview: Philipp Loser, Patrick Marcolli
Markus Schefer, Staatsrecht-Professor an der Uni Basel, war Mitglied
der Arbeitsgruppen, die den missglückten WEF-Einsatz der Polizei
beurteilten. Ein Thema war dabei auch das Verhältnis der
kantonalen
Behörden zum Inlandgeheimdienst.
BaZ: Herr Schefer, warum darf der Kanton beim Geheimdienst keine Daten
einsehen?
Markus Schefer: Wenn die Daten beim Dienst für Analyse und
Prävention
sind, stehen sie unter Bundeshoheit. Der Kanton hat keinen Einfluss
mehr.
Was nicht nachvollziehbar ist.
Ja, dies ist tatsächlich unbefriedigend, vor allem, weil auf
Bundesebene faktisch kein Einsichtsrecht existiert. Heute kann nur der
Datenschutzbeauftragte des Bundes Einsicht nehmen, und das genügt
nicht.
Als bekannt wurde, dass Basler Parlamentarier beim Staatsschutz
fichiert wurden, argumentierte die Regierung, keinen Einfluss auf die
Datenerhebung in Bern zu haben.
Das stimmt, wenn die Daten erst einmal in Bern sind. Bevor sie dorthin
gelangen, kann der Kanton aber auf zwei Ebenen sehr wohl Einfluss
nehmen. Erstens: Der Kanton kann mitbestimmen, welche Daten die Polizei
der Fachgruppe 9 (FG 9, der kantonale Ableger des Inlandgeheimdienstes)
weitergibt. Das ist bundesrechtlich zwar geregelt, aber derart vage,
dass es für den Kanton einigen Spielraum gibt. Die Praxis bis
heute
war, dass zwar nicht alle Daten weitergemeldet wurden, aber die
Kriterien dafür nicht klar waren. Nun geht es darum, diese
Kriterien
transparent zu machen. Zweitens kann der Kanton die FG 9
beaufsichtigen, was bis heute weder vom Bund noch vom Kanton konsequent
gemacht wurde. Im Rahmen einer kantonalen Verordnung zum Vollzug des
Bundesgesetzes für die Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) wird
die
Aufsicht momentan neu geregelt.
Kommt das nicht alles zu spät?
Natürlich! Aber wir sind wenigstens einer der ersten Kantone, die
überhaupt etwas machen. Ich hoffe, das wird einen Prozess
auslösen.
Dieser Prozess beim Staatsschutz scheint überfällig.
Ja, wir haben ein Problem mit dem Staatsschutz. Nach der
Fichenaffäre
wollte man ihn zurückbinden, stattdessen passierte das Gegenteil.
Wir
haben heute eine massiv grössere Datensammlung, als wir es
während der
Zeit der Fichenaffäre hatten. Aber auch hier bin ich optimistisch:
Die
anstehende Revision des BWIS geht in eine positive Richtung.
--
Kommentar
Regierung hat zu spät reagiert
Patrick Marcolli
Der Lernprozess der Kantonspolizei ist erstaunlich: Noch vor wenigen
Jahren wäre es unvorstellbar gewesen, dass als Folge eines
Fehlverhaltens der Polizei bei einer Demo ein so detaillierter
"Besserungskatalog" wie der gestern veröffentlichte aufgestellt
worden
wäre. Natürlich wird es darauf ankommen, ob die Vorschriften
im
Polizeialltag umgesetzt werden. Rolf Meyer, Kommandant ad interim, hat
sich in der Zusammenarbeit mit der Expertengruppe offenbar kooperativer
gezeigt als sein Vorgänger Roberto Zalunardo; er scheint willens,
von
seinen Untergebenen mehr Augenmass und Zurückhaltung einzufordern.
Der Staatsschutz des Bundes ist ein anderes Thema. Die Schnüffler
schlagen wie in Zeiten des Kalten Krieges über die Stränge.
Was der
Expertenbericht des Sicherheitsdepartements dazu zeigt und
Staatsrechtler Markus Schefer bestätigt: Die Basler Regierung hat
sich
zu lange hinter der Aussage versteckt, die Kantone seien gegen den
Berner Staatsschutz machtlos. Die Verordnung zur Aufsicht über den
Staatsschutz, die das Justizdepartement erarbeitet, kommt angesichts
der neuen Fichierungen sehr spät, politisch sogar zu spät.
Diesen
Spielraum hätte der Regierungsrat und insbesondere Justizminister
Guy
Morin früher nützen müssen, um den Datenfluss zu den
Staatsschützern in
Bern einzudämmen. patrick.marcolli@baz.ch
---
Basellandschaftliche Zeitung 12.12.08
Klare Regeln für den Einsatz
Nachspiel Polizei passt nach "Anti-WEF-Einsatz" Dienstvorschriften an
Das Sicherheitsdepartement zieht zahlreiche Lehren aus dem
unverhältnismässigen Polizeieinsatz.
Wegen des übertriebenen Polizeieinsatzes im Rahmen einer
unbewilligten
Anti-WEF-Demo am 26. Januar 2008 passt nun die Polizei diverse
Dienstvorschriften an. Dies aufgrund der Ergebnisse der Arbeitsgruppen
"Datenschutz" und Polizeiliche Massnahmen". Ihr Bericht wurde gestern
veröffentlicht.
Zudem orten die Arbeitsgruppen Handlungsbedarf in Sachen Datenaustausch
und Staatsschutz. Das Problem: Welche Daten können, welche
müssen die
kantonalen Behörden der Staatsschutzstelle in Bern melden? Dazu
macht
das Bundesgesetz keine klaren Vorgaben, erläutert
Staatsrechtsexperte
Markus Schefer. Deshalb wird nun das Basler Justizdepartement eine
Verordnung ausarbeiten, welche den Datenaustausch regeln soll. Zudem
soll ausgelotet werden, welche Aufsichtsmöglichkeiten es über
die
kantonale Staatsschutzstelle gibt. Der kantonale Datenschutzbeauftragte
müsse kontrollieren können, welche Daten die Polizei sammelt,
forderte
Schefer. (daw) Seite 25
--
Polizei passt Vorschriften an
Nach "Anti-Wef-Einsatz" Dienstvorschriften der Polizei werden
präzisiert
Die Lehren aus dem übertriebenen Polizeieinsatz vom Januar: Die
Polizei
braucht genauere Dienstvorschriften und vorsichtigeren Umgang mit Daten.
David Weber
Kurz nach dem Einsatz der Polizei gegen mutmassliche
Anti-Wef-Demonstranten (siehe Update) wurde derselbige noch als
"Erfolg" bezeichnet. Die unbewilligte Demonstration sei verhindert
worden. Nach heftiger Kritik am Vorgehen der Polizei und am
Einsatzbefehl wurde dieses Urteil schnell relativiert und eine ganze
Reihe von Massnahmen in die Wege geleitet.
Gestern nun folgte ein weiteres Kapitel in der umfangreichen
Aufarbeitung des Polizeieinsatzes vom 26. Januar 2008. Die beiden
Arbeitsgruppen "Datenschutz" und Polizeiliche Massnahmen" stellten
ihren gemeinsamen Bericht der Öffentlichkeit vor. Die
Arbeitsgruppen
sollten, laut Auftrag von Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass, die
Erkenntnisse und Empfehlungen aus der Administrativuntersuchung des
ehemaligen Strafgerichtspräsidenten Christoph Meier vertiefen.
Bereits
im März hatte dieser die bei der Polizeiaktion gemachten Fehler
aufgelistet, worauf sich die Polizeileitung bei den 25 zu unrecht
Festgehaltenen entschuldigt hatte.
Aufsichtsloser Staatsschutz
Der nun vorliegende Bericht zeigt, dass verschiedenste
Dienstvorschriften der Polizei ungenau formuliert sind oder waren.
Aufgrund der Ergebnisse der Arbeitsgruppen, die wiederum von Meier
geleitet und der auch Rechts- und Polizeiexperten angehörten,
werden
oder wurden diese Dienstvorschriften nun angepasst. Das Polizeipersonal
werde ab Januar 2009 entsprechend geschult, erklärte Gass gestern.
Einige der "dringenden Verbesserungen" (Meier) hat die Polizei seit
März bereits umgesetzt, beispielsweise eine verbesserte Triage, um
zu
verhindern, dass Unschuldige vorübergehend festgenommen werden.
Mehrere
Dienstvorschriften zu den im Bericht behandelten Polizeiaufgaben liegen
im Entwurf vor oder sie werden systematisch erarbeitet. Dazu
gehören
die Themenkreise Gesetzesgrundlagen, Personenkontrollen,
Polizeigewahrsam, Fesselung, Kleiderdurchsuchung, Medienfreiheit,
Jugendliche im Besonderen und Fragen der Datenbearbeitung sowie des
Datenschutzes.
Dass gerade der Datenschutzbereich ein nach wie vor ungelöstes
Problem
ist, machten die Experten der Arbeitsgruppe "Datenschutz" auch gestern
deutlich. Das Kernproblem besteht darin, dass die Kantonspolizei
einerseits eine traditionelle Polizeibehörde, andererseits aber
auch
der "verlängerte Arm des Inlandgeheimdienstes" sei, wie Markus
Schefer,
Staats- und Verwaltungsrechtsprofessor an der Uni Basel, darlegte. Der
Datenaustausch zwischen der Basler Polizei und Bern müsse klarer
geregelt werden, zum Beispiel bei Bewilligungen von Demonstrationen.
Bereits die Kantonspolizei müsse hier eine gewisse Filterfunktion
übernehmen, forderte Schefer. Wie Polizeidirektor Gass
erklärte, werde
man künftig genau analysieren, welche Informationen
staatsschutzrelevant sind.
Die Bundesgesetze und die Verordnungen regeln die Zusammenarbeit
zwischen dem Bundesstaatsschutz, seiner Basler Niederlassung (die
Fachgruppe 9 der Staatsanwaltschaft) sowie der Kantonspolizei nur sehr
vage. "Der jetzige Zustand ist nicht befriedigend", bilanziert die
Arbeitsgruppe im Bericht. Weiter besteht bei der kantonalen
Staatsschutzstelle ein "Aufsichtsmanko", wie Schefer erklärte.
Deshalb
wird das Basler Justizdepartement nun eine Verordnung ausarbeiten, die
unter anderem die bereits bestehenden Aufsichtsmöglichkeiten, etwa
durch den kantonalen Datenschutzbeauftragten, ausloten soll.
--
"Fehler analysieren"
Nachgefragt beim Basler Polizeidirektor
Herr Gass, können mit den geplanten Massnahmen Fehler, wie sie am
26. Januar passiert sind, vermieden werden?
Hanspeter Gass: Wir sind auf bestem Weg dazu. Es wurde uns im Bericht
attestiert, dass die Polizei gut auf Kurs ist. Fehler können aber
nie
ausgeschlossen werden, das liegt in der Natur der Sache. Wichtig ist,
dass man sie analysiert und Massnahmen trifft, damit sich die Fehler
nicht wiederholen. Unsere Arbeit hat wegweisenden Charakter. Es ist
wahrscheinlich noch nie in der Schweizer Polizeilandschaft ein Einsatz
so intensiv und wissenschaftlich aufgearbeitet worden. Die Erkenntnisse
dienen unserer Arbeit, aber wir werden sie auch anderen Polizeikorps
zur Verfügung stellen.
Werden auch zukünftig alle Personen, die ein Demo-Gesuch
unterschreiben, zur Überprüfung nach Bern gemeldet?
Gass: Nein. Wie gesagt, man muss bei einem Demo-Gesuch klar
analysieren, was relevant für den Staatsschutz ist und was nicht.
Wir
müssen vorsichtig mit dieser Datenweitergabe umgehen. Es hat in
diesem
Bereich eine starke Sensibilisierung stattgefunden. So wird
beispielsweise auch im neuen Informations- und Datenschutzgesetz der
Grundsatz der Datenvermeidung respektive der Datensparsamkeit in den
Vordergrund gestellt.
Ein Mitglied der Arbeitsgruppe erwähnte, dass die Zusammenarbeit
mit
der Polizei einfacher wurde, seit Rolf Meyer interi- mistischer
Polizeikommandant ist. War das mit ein Grund für die Trennung von
Kommandant Roberto Zalunardo?
Gass: Nein, sicher nicht. Wie gesagt, über die Gründe der
Trennung
wurde Stillschweigen vereinbart. Aber ganz generell: Rolf Meyer hat
sehr kooperativ mitgearbeitet. Die Zusammenführung von Praxis und
Theorie war wichtig. Das war auch deshalb wichtig, um zu zeigen, dass
eine solche Nachbearbeitung nicht gegen die Polizei gerichtet ist,
sondern auch für die Polizei gemacht wird. (daw)
--
Update
Vorgeschichte Nach Krawallen in anderen Städten griff die Polizei
in
Basel am 26. Januar 2008 rigoros durch. Eine unbewilligte Anti-Wef-Demo
sollte verhindert werden. 66 Personen wurden bis zu sechs Stunden im
Waaghof festgehalten, darunter auch Unschuldige. Eine Untersuchung
kritisierte den Einsatz als unverhältnismässig. (Daw)
Den ganzen Bericht finden Sie unter: http://www.bs.ch/mm/bericht_arbeitsgruppen_meier.pdf
--
Korrekturbedarf beim Datenschutz
Reaktionen Bei Basler Politikern kommt der Bericht gut an. Sie fordern
einen besseren Datenschutz
Toprak Yerguz
SP-Grossrätin Tanja Soland ist "grundsätzlich einmal froh"
über den
Bericht, den sie "ausführlich und recht genau" findet. Sie wurde
vom
Staatsschutz registriert, weil sie 2007 auf Anfrage der Polizei das
Gesuch für eine Anti-Wef-Demonstration mitunterzeichnet hatte. Sie
freut sich besonders über die Resultate der Arbeitsgruppe
"Datenschutz". Sie zitiert eine Passage des Berichts: "Besteht bei
einer kontrollierten Person kein Verdacht auf eine
staatsschutzrelevante Gefahr, darf sie der Fachgruppe 9 nicht gemeldet
werden." Die Verordnungen des Staatsschutzes seien "grundsätzlich
falsch" ausgeführt worden. Sie anerkennt jedoch den Willen des
Sicherheitsdepartements, eine externe Arbeitsgruppe einzusetzen und die
gängige Praxis zu ändern.
Urs Müller, Basta-Grossrat und Mitglied der
Geschäftsprüfungskommission, war bei der Vorstellung des
Berichts
zugegen und zeigte sich mit den Erkenntnissen der Arbeitsgruppen in
einer ersten Reaktion ebenfalls zufrieden. "Es ist Bewegung
spürbar",
sagte er zur Frage des Datenschutzes. Als das Thema im Grossen Rat
behandelt wurde, habe es von Seiten der Regierung noch geheissen, dass
der Kanton nichts machen könne: Die Anweisungen kämen vom
Bund. Nun
werde die Situation anders dargestellt: "Wir sehen, dass es einen
Handlungsspielraum gibt." Der Wille zur Besserung in Basel sei aber
nicht genug. Auf Bundesebene müsse weiter an der Verbesserung des
Datenschutzes gearbeitet werden: "Es braucht mehr Transparenz."
Handlungsbedarf in Bern
Dem stimmt auch SP-Ständerätin Anita Fetz zu. Sie hatte im
Ständerat
eine Motion eingereicht, die eine bessere Aufsicht des Staatsschutzes
verlangte. Bisher nahm die eidgenössische
Geschäftsprüfungsdelegation
diese Aufsichtsfunktion wahr. "Es ist doch undenkbar", sagt Fetz, "dass
sechs Milizparlamentarier 10 000 Akten kontrollieren sollen." So
könne
der Datenschutz nicht gewährleistet werden. Die von mehrheitlich
rot-grünen Ständeräten unterstützte Motion wurde
jedoch vom bürgerlich
dominierten Ständerat abgelehnt.
Damit ist das Geschäft allerdings noch nicht vom Tisch: Der
freisinnige
Nationalrat Peter Malama hat in Absprache mit Fetz und dem Baselbieter
SP-Ständerat Claude Janiak eine beinahe gleichlautende Motion in
den
Nationalrat gebracht. "Ich halte an der Motion fest, auch gegen den
Willen des Bundesrats", sagt Malama. Durch den veröffentlichten
Bericht
des Basler Sicherheitsdepartements fühle er sich in seinem
Ansinnen
bestärkt. "Das ist keine Frage von links oder rechts",
erklärt er seine
Unterstützung für die eher der Linken zugeordnete Motion, "es
besteht
Korrekturbedarf beim Datenschutz." Es sei parteiübergreifend die
Aufgabe der Parlamentarier, dafür einzustehen, betont Peter Malama.
--
Kommentar
Für die Bürger und die Polizei
David Weber
Auf die Polizei einzuprügeln ist einfach, wenigstens verbal. Gibts
Krawalle, hat sie versagt; wird ein Unschuldiger während Stunden
festgehalten, dann auch. Wer allerdings an jenem 26. Januar 2008 in der
Innerstadt war, dem wurde schnell klar: Bei diesem Einsatz wird
wirklich mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Den Einsatzbefehl hat man
im Nachhinein als "Fehlleistung" bezeichnet. Personen wurden ohne
gesetzliche Grundlage gefilmt, zu Unrecht festgehalten, Eltern von
Minderjährigen nicht informiert etc.
Die Reaktion von Polizeidirektor Hanspeter Gass war konsequent und
richtig. Nun werden die Dienstvorschriften für den täglichen
Einsatz
der Polizisten (bei Personenkontrollen oder Datenbearbeitung)
präzisiert. Warum aber, fragt man sich verwundert, war dies nicht
längst der Fall? Offenbar ist die Situation auch in anderen
Kantonen
nicht besser.
Die Arbeit der Polizeikräfte ist kompliziert genug. Je nach
Situation
werden verschiedene Rechtsordnungen relevant. Genau wegen dieser
Komplexität braucht es eindeutige Einsatzregeln, zum Schutz der
Bürger
› und der Polizeibeamten.
Was der Bericht punkto Datenaustausch zwischen Polizei, dem
Bundesstaatsschutz und seiner kantonalen Dependence zeigt, ist ein
Ärgernis. Klar ist hier nur, dass nichts klar geregelt ist. Dieses
Problem muss dringend auf Bundesebene gelöst werden. Bis dahin
gilt es,
den Aufsichtsspielraum über den kantonalen Staatsschutz und
Datenaustausch auszureizen. Und einen gewissen Spielraum hat der
Kanton, wie ein Gutachten der eidgenössischen
Geschäftsprüfungsdelegation zeigt. Das dürfte vor allem
Justizminister
Guy Morin erstaunen, der bei der Staatsschutzdebatte im Grossen Rat
hilflos erklärte, ihm seien die Hände gebunden.
---
bazonline.ch 11.12.08
http://bazonline.ch/basel/stadt/AntiWEFDemo-Neue-Regeln-fuer-Basler-Polizei/story/28651790
(mit Video-Intis)
Anti-WEF-Demo: Neue Regeln für Basler Polizei
Die Basler Polizei hat Lehren aus dem unverhältnismässigen
Einsatz
gegen die unbewilligte Anti-WEF-Demo vom vergangenen Jahr gezogen. Bis
im Januar sollen die aus den Berichten gewonnenen Erkenntnisse
umgesetzt werden.
Nachdem Ende März der ehemalige Strafgerichtspräsident
Christoph Meier
seinen Bericht vorgelegt und den Polizeieinsatz vom 26. Januar gegen
mutmassliche Teilnehmer einer nicht bewilligten Anti-WEF-Demonstration
als unverhältnismässig kritisiert hatte, wurden heute die aus
dem
Bericht Meier abgeleiteten Konsequenzen vorgestellt.
Rasche Umsetzung gefordert
Anhand des Berichts "Meier" erarbeiteten verschiedene Arbeitsgruppen
konkrete Empfehlungen. Die Arbeitsgruppe "Datenschutz" befasste sich
mit der Handhabung erkennungsdienstlicher Daten und dem Umgang mit
Daten, die vom Bundesamt für Polizei übermittelt werden. Ein
weiterer
zentraler Punkt ist die Datenweitergabe von Basel nach Bern sowie die
Datenlöschung und die Auskunftserteilung an Betroffene. (Lesen Sie
dazu
das Interview mit Staatsrechtler Markus Schefer über das
Verhältnis der
Basler Behörden zum Inlandgeheimdienst in der BaZ vom Freitag.)
Eine weitere Arbeitsgruppe befasste sich mit den polizeilichen
Massnahmen, die in ähnlichen Fällen künftig ergriffen
werden sollen.
Dazu gehört die Triage angehaltener Personen und insbesondere die
Behandlung Jugendlicher und die Kommunikation mit Eltern. Neu geregelt
werden sollen auch Fragen zu Fesselung, Unterbringung, Transport,
Kleiderdurchsuchung bis hin zur Dauer der Anhaltung.
"Einmalig in der Schweiz"
Regierungsrat Hanspeter Gass begrüsste den Bericht und die daraus
gewonnenen Erkenntnisse für die Polizeiarbeit: "Es ist wohl
einmalig in
der Schweiz, dass ein Polizeieinsatz so wissenschaftlich aufgearbeitet
wurde wie dieser." Verschiedene Optimierungen, wie die Infrastruktur
für die Unterbringung von angehaltenen Personen im Waaghof, seien
bereits vorgenommen werden, weitere Anpassungen befänden sich kurz
vor
dem Abschluss. Die angepassten Abläufe sollen ab sofort Eingang in
die
polizeiliche Ausbildung finden.
Mehr zum Thema in der Freitagsausgabe der Basler Zeitung.
--------------
KUNST
-------------
tagesanzeiger.ch 11.12.08
"Sprayer von Zürich" auf frischer Tat ertappt
Harald Naegeli ist in Düsseldorf wegen einer Sprüharbeit mit
dem Gesetz
in Konflikt geraten. Seine Verteidigung "Das ist Kunst!" half ihm
nichts.
Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft bestätigte entsprechende
Medienberichte vom Donnerstag. Wegen der Sprüherei an einem
Oktobermorgen wird nun wegen Sachbeschädigung ermittelt.
Als Naegeli ein Bürogebäude mit einem Graffiti verzieren
wollte,
stoppte ihn ein Zeuge und rief die Polizei. Angeblich hat sich der
Künstler aber inzwischen mit dem Hausbesitzer geeinigt und will
die
abstrakten Linien wieder entfernen lassen.
Auch in Zürich sind "Naegelis" aufgetaucht
Kürzlich sind auch in Zürich wieder Werke aufgetaucht, die
typische
Merkmale von Naegelis Sprüharbeiten aufweisen. Der Sprayer
streitet
jedoch ab, deren Urheber zu sein, obwohl alle vermeintlichen "Naegelis"
in der Umgebung seines Hauses im Quartier Hottingen gefunden wurden.
Als "Sprayer von Zürich" war Naegeli in den frühen
80er-Jahren
international bekannt geworden. Aufgrund seiner nächtlichen
Sprayaktionen musste der Künstler 1984 eine halbjährige
Haftstrafe
wegen Sachbeschädigung verbüssen. Charakteristisch für
Naegelis
Graffiti sind knapp skizzierte, dürre menschliche Figuren.
-----------------------------
GRIECHENLAND
-----------------------------
BZ 12.12.08
"Wir weinen auch ohne Tränengas"
Nach den Krawallnächten in Griechenland formiert sich unter
Schülern
und Studenten Widerstand gegen die Randalierer. Mehrere hundert
Jugendliche besetzten gestern in Athen friedlich Strassenkreuzungen und
Plätze.
"Geld für die Banken, Kugeln für uns", skandierten gestern
Tausende
Schüler und Studenten. Sie blockierten zentrale Kreuzungen und
zogen zu
Polizeistationen, um auf Probleme der Jugend aufmerksam zu machen.
Ausdrücklich distanzierten sie sich von den rund 4000
Randalierern, die
in den vergangenen Nächten Hunderte Geschäfte, Banken und
andere
Gebäude in Athen und weiteren Städten des Landes
verwüstet hatten. "Wir
werfen keine Steine", sagte ein Schüler im Fernsehen.
Zu Ausschreitungen kam es jedoch rund um die Technische
Universität.
Rund 200 Autonome, die sich dort verbarrikadiert haben, lieferten sich
Strassenschlachten mit der Polizei.
"Wir sind eure Kinder"
"Wir sind nicht die unbekannten Vermummten, wir sind eure Kinder",
hiess es in einem offenen Brief eines Mädchens, der gestern in der
linksliberalen Zeitung "Eleftherotypia" veröffentlicht wurde. "Ihr
habt
die Hosen voll und wartet auf den Tod. Ihr habt keine Fantasie mehr,
ihr verliebt euch nicht mehr, ihr entwerft nichts mehr. Ihr kauft und
verkauft nur", hiess es weiter. Das klingt wie eine Anklage gegen die
gesamte Gesellschaft. Die wiederum ist ratlos, wie es weitergehen soll.
"Es ist, als ob wir einen Kranken mit einer Vielzahl von Symptomen vor
uns hätten, aber nicht genau wissen, welche Krankheit er hat",
sagte
ein Soziologe gestern im Radio.
Kritiker argumentieren, das Land werde seit Jahrzehnten von zwei
Familien regiert: den konservativen Karamanlis und den Sozialisten
Papandreou. Derzeit ist Kostas Karamanlis dran. Dieser versuche mit
einer klassischen Methode, die Schmerzen zu lindern. Er verspricht
jedem Ladenbesitzer - sprich eigenen potenziellen Wählern - 10000
Euro
Soforthilfe und günstige Kredite für den Wiederaufbau seines
demolierten Geschäfts. Sein Kontrahent im ewigen Duell ist
Georgios
Papandreou. Er meint, Karamanlis könne die Bürger nicht
schützen, er
selbst müsse an die Macht.
Vetternwirtschaft
Griechenland sucht Wege aus der Krise. Doch die Politiker scheinen
keine neuen Ideen zu haben. "Sie versuchen uns wieder reinzulegen - mit
Geld. Wir wollen Reformen und Sensibilität", sagt die Studentin
Mania
Korila. "Ihr braucht kein Tränengas einzusetzen. Wir weinen auch
so",
lautet eine Parole der friedlich demonstrierenden Schüler und
Studenten.
Wer Verbindungen zu den jeweils Regierenden habe, der finde sofort gut
bezahlte Arbeit, weiss Volkes Stimme - in Athen regiere die
"Vetternwirtschaft". Für zahlreiche andere junge Menschen bleiben
-
selbst mit Studium - nur Übergangs- und Aushilfsjobs. Und hier
schliesse sich der Teufelskreis, meinten gestern gleich mehrere
Zeitungskommentatoren: "Erkenntnisse gibt es viele, Lösungen
allerdings
noch nicht."
Takis Tsafos
---
NZZ 12.12.08
Jugendliche greifen Polizeiposten in Athen an
(ap)
In Athen ist es am Donnerstag erneut zu Ausschreitungen gekommen.
Jugendliche griffen sechs Polizeiposten mit Steinen und Flaschen an.
Eine Person wurde mit Verletzungen ins Spital gebracht. Zahlreiche
Strassen waren blockiert, Polizeiautos wurden umgeworfen. In der Nacht
auf den Donnerstag hatten vermummte Jugendliche in Athen und
Thessaloniki Steine und Molotowcocktails auf Polizisten geworfen.
In der Nacht auf den Donnerstag fanden auch ausserhalb Griechenlands
Protestaktionen statt. In Madrid wurden laut der Polizei 9 Personen
festgenommen, nachdem rund 200 Demonstranten eine Polizeistation,
Banken und Geschäfte angegriffen hatten. In Barcelona wurden 2
Personen
festgenommen, 2 Polizisten wurden verletzt. Die Proteste waren
über das
Internet organisiert worden. In Kopenhagen demonstrierten etwa 150
Jugendliche, 63 wurden laut der Polizei nach Ausschreitungen
festgenommen. Vor der Botschaft Griechenlands in der italienischen
Hauptstadt Rom warfen Demonstranten Autos um. In Bordeaux steckten
Unbekannte vor dem griechischen Konsulat zwei Autos in Brand.
---
WoZ 11.12.08
Unbesetzt
Am Montag demonstrierten in Bern rund fünfzig Personen vor dem
griechischen Konsulat, um "ihre Solidarität mit den griechischen
AktivistInnen auszudrücken". Ein halbes Dutzend Polizeihunde, drei
Dutzend Polizeigrenadiere und zwei Reihen Gitterabsperrungen
hätten
verhindert, dass vor dem griechischen Konsulat Kerzen im Gedenken an
den in Athen von einem Polizisten erschossenen
Fünfzehnjährigen hätten
niedergelegt werden können, schreiben die OrganisatorInnen in
einer
Mitteilung auf indymedia.ch. dg
---
Griechenland-Seit Tagen liefern sich Tausende Jugendlicher
Strassenschlachten mit der Polizei. Auch Kinder aus besseren
Elternhäusern machen mit.
Mit langem Atem
Von Werner van Gent, Athen
Die Skoufastrasse verbindet zwei Welten. Auf der Schattenseite des
Lykavittoshügels liegt Exarchia, das ehemals bürgerlich
vornehme
Viertel hinter dem Polytechnikum und dem archäologischen
Museum; heute
Hochburg der Autonomen, Drogenumschlagplatz und für viele
AthenerInnen
ein verbotenes Gebiet. Auf der Sonnenseite beginnt Kolonaki, das
schicke Viertel einer selbstverliebten Schicht von Neureichen und
Arrivés, die sich mit viel Pomp in Szene setzen.
Die Skoufa überquert die soziale Wasserscheide Athens: Von
Exarchia aus
steigt die Strasse noch leicht an bis zur Anhöhe, auf der die
Agios-Dionysios-Kirche steht. Links und rechts liegen Buchhandlungen,
eine Klinik und die Chemische Fakultät der Universität. Dann
geht es
runter auf die Sonnenseite: hier werden teure Kleider feilgeboten und
viel, sehr viel Schmuck. Am Schluss mündet die Strasse auf den
Kolonaki-Platz mit seinen schicken und sündhaft teuren
Cafés, wo die
Kundschaft gerne fünf Euro für einen Kaffee bezahlt, damit
sie gesehen
wird.
Verwischte Grenzen
Am Montagabend haben die Jugendlichen, die bis dahin ihren Aufstand auf
das direkte Umfeld von Exarchia beschränkt hatten, diese
unsichtbare -
aber offenbar von allen respektierte - sozial-politische Wasserscheide
überwunden. Zunächst wurde das direkt auf der Anhöhe
liegende Café
Filyo in Mitleidenschaft gezogen, dann zog die randalierende Menge
weiter Richtung Kolonaki: Fensterscheiben gingen in Brüche,
Abfallcontainer wurden angezündet, Autos umgeworfen. Aus der
Nähe
betrachtet war es eine merkwürdige Mischung, die da explodierte:
Wut
und Frustration, aber auch Freude. Freude, dass endlich etwas in Gang
gekommen war. "Jetzt kommt Kolonaki dran", schrie ein junger Mann -
Frauen waren erstaunlich wenig anzutreffen unter den Radalierenden.
So klar Exarchia und Kolonaki für die AthenerInnen getrennt sind,
so
unklar bleibt indessen die soziale Basis dieses Aufstandes, auch wenn
er in Exarchia begann. Der von einem Polizisten nach einem Wortwechsel
in Exarchia erschossene Sechzehnjährige - der Zwischenfall, der
das
Ganze ins Rollen brachte - war der Sohn einer angesehenen
Juweliersfamilie aus Kolonaki. Aus Protest gegen staatliche
Willkür
blockierten im reichen Viertel Kifissia im Norden der Stadt
SchülerInnen die Hauptstrasse. Ihre Zerstörungswut richtete
sich nicht
nur gegen Banken und Luxusgeschäfte, sondern auch gegen kleine
Geschäfte und Kioske - beileibe keine Repräsentanten des
griechischen
Grosskapitals.
Hier liegt das Verwirrende der Krise. Als die autonome Bewegung noch
als autonome Bewegung auftrat, waren die Fronten klar getrennt: hier
die Kämpfer für Gerechtigkeit, die gegen den
allmächtigen Staat und
seine Pfeiler in der Wirtschaft kämpften, dort die Polizei, die
"Batsi"
- die Bullen. Die Autonomen sind immer noch da, doch ihre Bewegung hat
sich massiv ausgeweitet. Und dabei ist ihre Ideologie, wenn es denn
eine solche gegeben hat, definitiv auf der Strecke geblieben.
Übernommen hat die Jugend nur die Methoden sowie die totale
Ablehnung
der modernen griechischen Gesellschaft.
Exarchia war zwar der Ausgangspunkt des spontanen Aufstandes. Dorthin
zieht sich allabendlich auch jetzt noch der harte Kern der
StrassenkämpferInnen in den Schutz des Universitätsasyls
zurück - ein
Erbe aus der Zeit nach der Obristenjunta, als man eine Wiederholung der
brutalen Niederwerfung des Studentenaufstands vom November 1973 durch
die Armee für immer ausschliessen wollte. Doch jetzt sei Exarchia
plötzlich überall, kommentierte die konservative Tageszeitung
"Kathimerini". Exarchia als Lebensstil hat Besitz von einer
Gesellschaft ergriffen, die glaubte, das Armenviertel bleibe für
immer
dort, im Schatten des Lykavittoshügels.
Mit der Brechstange in die Bank
Es sind ungewohnte Bilder, welche die Griechen und Griechinnen in
diesen Tagen vorgesetzt bekommen. So zeigte das Fernsehen, wie ein
maskierter Jugendlicher unweit vom zentralen Syntagmaplatz mit einer
Brechstange rund zwanzig Minuten lang das Panzerglas einer Bank
bearbeitete. Er hat geschwitzt und wohl auch geflucht, bis das Glas
endlich nachgab, um dann einen kleinen Freudentanz aufzuführen.
Gleich
darauf warfen seine Gefährten eine Benzinbombe in das
Bankgebäude, das
daraufhin bald lichterloh zu brennen begann.
In der Öffentlichkeit wird jetzt die Frage gestellt, was schief
gelaufen ist, was dazu geführt hat, dass eine ganze Generation aus
dem
Ruder läuft. Dass das Bildungssystem eine Misere ist, in dem
Kinder von
klein an mit aberwitzigen Überstunden und Nachhilfeunterricht zu
Papageien erzogen werden, weiss man schon lange. Dass die
Chancengleichheit vorgegaukelt wird und am Ende doch wieder die
Parteizugehörigkeit der Eltern über die Vergabe von Stellen
entscheidet, weiss man auch. Dass das alles aber zu dieser
Gewaltexplosion geführt haben soll - das will man nicht wirklich
glauben. War da sonst noch was? Der Innenminister hat, wie schon bei
den verheerenden Waldbränden vor einem Jahr, etwas von Kreisen
gefaselt, die ein Interesse an der Destabilisierung Griechenlands
hätten. Ansonsten hätte der Staat perfekt funktioniert,
fügte er hinzu.
Dies wurde von sämtlichen Medien mit Kopfschütteln quittiert.
Die
Regierung, so viel ist klar, will auch diese Krise einfach aussitzen.
Und die sozialistische Opposition weiss nichts Besseres, als Neuwahlen
zu fordern. Rechts wie links werden Phrasen gedroschen. Alle wollen die
Nöte der Jugend erkannt haben, doch diese hat jetzt eine eigene
Agenda.