MEDIENSPIEGEL 8.1.09
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (DS)
- Anti-WEF 2009: Demo GE + Party BE
- Obdachlose schlafen auch im Freien
- Club-Leben: Prestige gibt auf
- Sans-Papiers ZH nach den Aktionstagen
- Prozess wegen rechtsextremen Anschlag
- Gescheiterter Anti-Drogen-Krieg
- Atomaufsicht mit gutem Schlaf
- Wahlkampfkrieg in Gaza
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REITSCHULE
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- Jan 09: Beteiligt Euch an der
Vorplatz-Präsenz!!!
- Restaurant Sous Le Pont vom
1.-12.1.09 geschlossen
PROGRAMM:
Do 8.1.09
20.30 Uhr - Kino - Wunschfilm: Adam's
Apples, Anders Thomas Jensen, Dänemark 2005
Fr 9.1.09
20.30 Uhr - Tojo - Bloup von
Duo Luna-tic. Judith Bach & Stéfanie Lang
21.00 Uhr - Kino - Wunschfilm: Adam's
Apples, Anders Thomas Jensen, Dänemark 2005
22.00 Uhr - Dachstock - Steady Beat Service: Doreen Shaffer (JAM/Skatalites) & The
Moon Invaders (BEL)
Sa 10.1.09
14.30 Uhr - Schützenmatte - Gaza-Demo
21.00 Uhr - Kino - Wunschfilm: Down
by Law, Jim Jarmusch, USA/ Deutschland 1986
23.00 Uhr - Dachstock - Liquid Session:
Zero Tolerance (UK), Utah Jazz (UK), Ayah MC (UK) Support: TS Zodiac.
Infos: www.reitschule.ch
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Bund 8.1.09
Sounds: Doreen Shaffer
Ska-Zückerchen
Dass Musik ein Jungbrunnen ist, beweist die grosse alte Dame des
jamaikanischen Ska: Doreen Shaffer gibt mit ihrer lieblichen Stimme dem
Offbeat-Sound eine süsse Note.
Es ist vielleicht kein Zufall, dass das erste Stück auf Doreen
Shaffers
Solo-Album "Adorable" von 1997 "Sugar, Sugar" heisst. Denn Shaffers
Stimme ist süss - aber nicht süsslich: vielmehr sanft-weich
und
freundlich. Doreen Shaffer ist allerdings in einem musikalischen Metier
tätig, in dem es gemeinhin eher rassig zu- und hergeht: im Ska.
Doch
Frau Shaffers delikate Stimme macht diese Musikrichtung, die sich durch
ihren hüpfenden Offbeat auszeichnet, sehr melodiös und so
auch für
Nicht-Eingeweihte äusserst geniessbar.
Dabei gehört Doreen Shaffer zur Band, die den Ska Anfang der
Sechzigerjahre erfunden hat: Die Skatalites waren Studiomusiker, die
kombinierten, was ihnen gefiel: Jazz, Rhythm'n'Blues, Rock'n'Roll,
Mento - und der Ska war geboren. Zu Beginn kopierte man gängige
Hits
aus den USA. So entstand auch Doreen Shaffers allererstes Lied,
"Adorable You". Die junge Sängerin schwärmte für Dinah
Washington und
ihren Hit "What a Difference a Day Makes". Shaffers Version davon,
"Adorable You", ist ein gemütlich schunkelndes Liebesliedchen, dem
muntere Bläser einen neckischen Rhythmus geben. Und über dem
Offbeat
schlendert Shaffers Stimme, begleitet von einem jazzigen Saxofon.
Zu den Skatalites stiess Shaffer per Zufall - sie war im
legendären
Studio One zum Vorsingen, als sie Lloyd Knibb traf, den Schlagzeuger
der Skatalites, und schon bald zum einzigen weiblichen Mitglied der
legendären Formation wurde. Die 1964 gegründete Band
löste sich 1965
allerdings bereits wieder auf. Der musikalische Einfluss der Skatalites
auf die gesamte jamaikanische Musik, insbesondere den Reggae, war
dennoch enorm. Dies war vielleicht der Grund dafür, dass man sich
noch
1983 an die Skatalites erinnerte und die Band von einem Festival
animiert wurde, sich wieder zu vereinen. Nicht nur das: Seither touren
die Ska-Urgesteine unermüdlich durch alle Welt; Doreen Shaffer ist
eines der letzten Originalmitglieder. Nun tauscht sie die Veteranen
gegen eine jüngere Crew ein und kommt gemeinsam mit den belgischen
Moon
Invaders nach Bern. (reg)
Reitschule Dachstock
Freitag, 9. Januar, 22 Uhr.
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ANTI-WEF
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Bund 8.1.09
Anti-WEF: Demo in Genf, Party in Bern
Stadt Bern Mit Tränengas, Gummischrot und 242 festgenommenen
Personen
endete die Anti-WEF-Kundgebung vom 19. Januar 2008 in Bern. Das
nächste
Weltwirtschaftsforum beginnt am 28. Januar: 48 Staatschefs und 200
Regierungsmitglieder treffen sich in Davos, um über die
Finanzkrise zu
debattieren. Und natürlich planen auch die Globalisierungskritiker
bereits in allen Landesteilen ihre Gegenveranstaltungen. In der
Bundesstadt dürfte es dieses Jahr für einmal relativ ruhig
bleiben.
"Der Widerstand konzentriert sich heuer auf die Stadt Genf, wo am 31.
Januar die grosse, nationale Anti-WEF-Demonstration stattfinden soll",
sagt Marc Heeb vom Stadtberner Polizeiinspektorat. In Bern sei seines
Wissens nur eine kleine, friedliche Kundgebung geplant. "Es handelt
sich dabei um die Tanzparade ,Dance out Moneymania', welche bereits
offiziell bewilligt wurde." Schliesslich sei die Veranstaltung -
früher
unter dem Namen "Dance out WEF" - immer ordentlich und friedlich
über
die Bühne gegangen. Der diesjährige Umzug mit vier Musikwagen
soll laut
Mitorganisator Jonas Brüllhardt am 17. Januar um 15 Uhr beim
Bärengraben starten und sich dann zum Waisenhausplatz begeben.
Erwartet
werden 300 bis 500 Teilnehmende.
Tour durch die Lorraine
Gleichentags findet auch die 9. Auflage der Tour de Lorraine statt. Das
grosse Fest in verschiedenen Lokalen dies- und jenseits der
Lorrainebrücke entstand in Zusammenhang mit den Protesten gegen
das
Davoser Weltwirtschaftsforum. Das Motto der diesjährigen Tour
lautet
"Stop the Game" und bezieht sich auf die Finanzkrise und die riesigen
Verluste der Banken, welche die Allgemeinheit zu tragen hat. "Mit dem
Gewinn aus dem Anlass werden Projekte unterstützt, welche eine
öffentliche Auseinandersetzung mit Themen wie soziale
Gerechtigkeit,
Umverteilung und Chancengleichheit auslösen", sagt Mitorganisator
David
Böhner. (pas)
[i]
Das Programm des Festes gibts unter www.tourdelorraine.ch
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OBDACHLOS
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Bund 8.1.09
Bedrohliche Kälte für Clochards
Auch wenn es in Bern genügend Notbetten gibt, schläft manch
ein Randständiger bei klirrender Kälte im Freien
Pascal Schwendener
Die arktische Kälte treibt derzeit viele Obdachlose in
Notunterkünfte.
Einzelne Betten sind zwar noch frei. Dennoch schlafen auch in der
Bundesstadt Menschen auf Pappkartons, auf Lüftungsschächten
oder unter
Brücken.
Die Kälte kam aus Osteuropa. Seit Tagen schon hält sie das
Land fest im
Griff, und die Bise verstärkt sie noch. Tagsüber liegen die
Werte
aktuell bei minus drei Grad, nachts sinkt das Quecksilber gar auf neun
Grad unter null. Und ein Ende der Eiszeit ist nicht absehbar.
Niemand trifft das garstige Wetter härter als die Obdachlosen, die
der
Kälte Tag und Nacht ausgesetzt sind. In Polen, Deutschland,
Frankreich
und Italien hat der Frost bereits erste Todesopfer gefordert. Und auch
in Zürich starb Anfang Winter ein Clochard auf einer Parkbank.
Gestern
schlugen nun die Sozialwerke von Pfarrer Ernst Sieber Alarm:
Sämtliche
Notbetten in Zürich seien belegt. "Und auch mit zusätzlichen
Plätzen
geraten wir an die Grenzen", sagte Pressesprecher Mark Wiedmer.
215 Notbetten sind fast belegt
Wie sieht die Situation in Bern aus, wo das Parlament vor zwei Jahren
die Notbetten bei der Drogenanlaufstelle an der Hodlerstrasse wegen
"geringen Bedarfs" gestrichen hat? "Wir sind in der glücklichen
Lage,
dass wir im Gegensatz zu Zürich noch immer ausreichend
Übernachtungsmöglichkeiten anbieten können", sagt der
städtische
Obdachlosen-Koordinator Markus Nafzger. Die Stadt habe
Leistungsverträge mit fünf verschiedenen Trägerschaften
abgeschlossen,
die insgesamt 215 Plätze anböten - vom Passantenheim der
Heilsarmee und
der Frauen-Wohngemeinschaft über "Wohnen Bern" und "Schwandgut"
bis zum
Projekt Albatros für Drogenabhängige. "85 bis 90 Prozent der
Betten
sind derzeit ausgelastet", sagt Nafzger. Aber in jeder Institution
seien durchschnittlich pro Nacht noch ein, zwei Plätze
verfügbar. "Das
Phänomen, dass Menschen über Nacht keine Bleibe finden, ist
in der
Bundesstadt in den letzten Jahren verschwunden", sagt der Experte.
"Sobald die kalte Jahreszeit anbricht, solidarisieren sich die
Randständigen und nehmen einander gegenseitig für ein paar
Tage in
einer Wohnung auf." Sowohl die Heilsarmee als auch der Verein Sleeper
bestätigen Nafzgers Beobachtungen. "Erstaunlicherweise" gebe es
trotz
der klirrenden Kälte noch immer freie Plätze, heisst es
unisono. Nur in
Ausnahmefällen habe mal eine Person auf einem Sofa oder auf einer
Matratze am Boden nächtigen müssen.
Schlafen in der Telefonkabine
Dennoch verbringen auch in Bern Menschen ihre Nächte auf der
Gasse,
weiss Silvio Flückiger, Leiter der Interventionstruppe Pinto. Auf
nächtlichen Rundgängen finden Flückiger und sein Team
Personen, die
trotz den bedrohlichen Temperaturen unter dem Gefrierpunkt im Freien
verharren. "Sie suchen Schutz in geschützten Ecken, schlafen auf
Lüftungsschächten, in Hauseingängen und zusammengekauert
in
Telefonzellen." Andere schlagen ihr Lager unter Brücken auf oder
errichten ein Zeltlager im Wald. Wieder andere halten sich die Nacht
durch auf den Beinen, um sich dann frühmorgens in einem
Aufenthaltsraum
der Heilsarmee einzufinden und sich dort auszuruhen. "Wir nehmen mit
diesen Leuten das Gespräch auf und raten ihnen, sich in eine
Notschlafstelle zu begeben", erklärt Flückiger. Doch es gebe
ein
knappes Dutzend Randständige, die jedes karitative Angebot
ablehnten.
Unflexible Öffnungszeiten
"Diese Personen können oder wollen die minimalsten
Spielregeln nicht
einhalten, die in einer Notschlafstelle gelten", sagt Flückiger -
sei
es aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur oder aufgrund ihres
Suchtverhaltens. In solchen Fällen bleibt den Street-Workern nur
eines:
"Wir bieten ihnen einen winterfesten Schlafsack an." Schliesslich
könne
man niemanden zwingen, in einem Haus zu übernachten, es sei denn,
die
Person gefährde offensichtlich ernsthaft ihre Gesundheit. "Dann
kann
man sie mit einem fürsorgerischen Freiheitsentzug in eine
Institution
einweisen."
Aufgrund der gemachten Erfahrungen schätzt Pinto-Leiter
Flückiger das
städtische Angebot an Notschlafplätzen als genügend ein.
Mit einem
Vorbehalt allerdings: Spätabends werde es in der Hauptstadt
schwierig,
noch eine Unterkunft für einen Obdachlosen zu finden. Nach 22 Uhr
bleibe eigentlich nur noch der "Sleeper" beim Henkerbrünnli offen.
"Sonst sind alle Türen zu."
--
Wohnführer
In der Stadt Bern bestehen verschiedene Angebote für Menschen mit
Wohnproblemen, insbesondere für obdachlose Personen. Es gibt
niederschwellige, begleitete und betreute Wohnungsangebote. Im Internet
ist der Wohnführer, der vor vier Jahren letztmals aktualisiert
wurde,
unter www.bern.ch/stadtverwaltung/bss/soza/obdachlos
zugänglich. (pas)
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CLUBLEBEN
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Bund 8.1.09
"Prestige"-Betreibern fehlte Geld und Lust
Stadt Bern Still und leise hat vor Kurzem ein Nachtclub das Zeitliche
gesegnet, der im Sommer 2001 mit lautem Getöse in Betrieb genommen
worden war. Die Rede ist vom "Prestige" im City West, das sich als Ess-
und Tanzlokal einen Namen machen wollte. "Prestige"-Gründer Toni
Mitidieri bestätigte auf Anfrage einen Bericht der "Berner
Zeitung",
wonach er und Ex-"Guayas"-Chef Claudio Paredes die Segel gestrichen
hätten. Er habe schon eine ganze Weile aufhören wollen, sagt
der
umtriebige Geschäftsmann, der am Casinoplatz die Caffé Bar
Insania und
einen Coiffeursalon führt. Das Verhalten des jungen Partyvolkes,
welches den Alkohol oft selber mitschleppt oder schon stark angeheitert
in Nachtlokalen aufkreuzt, missfiel ihm zusehends. Es habe immer wieder
Scherereien gegeben mit betrunkenen und zum Teil aggressiven
Gästen,
sagt Mitidieri. Dem "Prestige", gemäss der ursprünglichen
Idee der
Gründer für 25- bis 40-Jährige konzipiert, passierte das
Schlimmste,
was einem Club passieren kann: Es geriet in Verruf. Die Folgen: weniger
Besucher, weniger Umsatz, finanzielle Probleme.
Liegenschaftsbesitzer Marc Wirz verfolgte die Geschehnisse rund um das
"Prestige" mit zunehmender Sorge. Ihm wollte nicht in den Kopf, wieso
die Betreiber es nicht schafften, ein funktionierendes
Sicherheitskonzept auf die Beine zu stellen und nach Feierabend rund
ums Lokal sauberzumachen. Wirz ärgerte aber auch, dass Mitidieri
und
Paredes eine Mietzinsreduktion wünschten, obwohl sie mit den
ordentlichen Mietzahlungen im Rückstand waren. Deshalb hielt er
Ausschau nach Nachmietern. Fündig geworden ist er bei der Wincasa,
welche den Nachtclub, den Mitidieri und Parades geräumt haben, in
Büros
umfunktioniert. Die Immobilienfirma breitet sich auch in den
Räumen des
Thai's Restaurant aus, das Anfang Woche dichtgemacht hat. Wirz mag nach
dem Ende der Geschäftsbeziehung mit den einstigen
"Prestige"-Betreibern
keine schmutzige Wäsche waschen. Man habe sich gütlich
geeinigt. Damit
sei die Sache für ihn erledigt, sagt er. (ruk)
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SANS-PAPIERS ZH
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bleiberecht.ch 7.1.09
Gemeinsame Fraktionserklärung von SP, Grüne und AL im
Gemeinderat Zürich: Die Sans-Papiers ziehen aus - die Probleme
bleiben
Nach einer sechzehntägigen Kirchenbesetzung der Predigerkirche,
gefolgt
von einem Gastrecht in der Kirche St. Jakob, werden die gegen 150
Sans-Papiers und Mitglieder des Bleiberechts-Kollektivs ihre aktuelle
Aktion heute beenden.
Wir sprechen den Betroffenen unsere Solidarität aus. Dies bleibt
trotz
Regierungsrat Hollensteins Zugeständnis, eine
Härtefallkommission
einzusetzen, bitter nötig. Denn der Regierungsrat nimmt weiterhin
seine
Verantwortung nicht wahr, in seinem eigenen Zuständigkeitsbereich
für
eine menschenwürdige Umsetzung der Nothilfe zu sorgen und der
Härtefallregelung des neuen, verschärften Asyl- und
Ausländergesetzes
Geltung zu verschaffen.
Vergessen wir nicht: Diese Härtefallregelung wurde bewusst im
neuen
Gesetz als Ergänzung zu den Verschärfungen geschaffen, weil
absehbar
war, dass die neuen Bestimmungen Hunderte von Menschen in eine
auswegslose Situation bringen würde. Ohne Aufenthaltsstatus
dürfen sie
nicht in der Schweiz bleiben. Aber sie können gleichzeitig unser
Land
nicht legal verlassen, da das neue Ausländergesetz genauso die
illegale
Ausreise unter Strafe stellt. Eine Papierbeschaffung ist in solchen
Fällen auch den Behörden nicht möglich: sonst wären
die Betroffenen
nämlich bereits ausgeschafft worden.
Dass Regierungsrat Hollenstein bisher die faktische Nichtumsetzung der
Härtefallregelung gestützt hat, ist vor diesem Hintergrund
völlig
unverantwortlich. Zudem hat die aktuelle, schikanöse Ausgestaltung
der
Nothilfe das offensichtliche Ziel, die Leute zum Untertauchen in die
vollständige Illegalität zu drängen. Dass sich diese
Menschen, denen
zum Überleben praktisch nur die Kleinkriminalität bleibt,
kaum in
Fischenthal oder Sternenberg niederlassen, sondern in den Städten
untertauchen, ist ein Effekt, den der Regierungsrat offenbar bewusst in
Kauf nimmt!
Regierungsrat Hollenstein und der Gesamtregierungsrat muss nun seine
Verdrängungspolitik beenden und seine politische Verantwortung
wahrnehmen. Wir fordern konkret:
1. Eine rasche Einsetzung der versprochenen Härtefallkommission
2. Eine sofortige Angleichung der Zürcher
Härtefallrichtlinien zumindest an die bereits vorliegenden
eidgenössischen Vorschläge
3. Eine rasche Verbesserung der Nothilfe: Ausgabe der Nothilfe von Fr.
8.50 in Bargeld statt in Migros-Gutscheinen. Ausgabe von Fahrkarten
für
behördlich angeordnete Reisen. Abschaffung der wöchentlichen
Umplatzierung (die im behördlichen Neusprech "Dynamisierung"
genannt
wird). Aufhebung der unterirdischen Notunterkünfte.
All diese Veränderungen sind mit dem aktuellen, scharfen Gesetz
bestens
vereinbar und in der alleinigen Verantwortung des Regierungsrats
umsetzbar. Für die auch in anderen Bereichen herrschenden
offenkundigen
Missstände im Zürcher Migrationsamt sind weder der Bund noch
das neue
Asyl- und Ausländergesetz verantwortlich!
--
Medienmitteilung: Sans-Papiers setzen sich weiter für ihre Rechte
ein / Gespräche mit Parteien werden gesucht
3170077961_5dca16666c_mDie Sans-Papiers werten die Aktion der letzten
19 Tage als Teilerfolg. Mit der versprochenen Härtefallkommission
gibt
es ein konkretes Zugeständnis. Auch die Tatsache, dass die
Missstände
im Zürcher Migrationsamt langsam an die Öffentlichkeit
gelangen, ist
ein Ergebnis der Kirchenbesetzung. Noch bleibt aber der Alltag der
Sans-Papiers unverändert und die Papierlosen werden im Kanton
Zürich
als Menschen zweiter Klasse behandelt.
Die Vollversammlung der Sans-Papiers hat am Dienstag bis tief in die
Nacht über das weitere Vorgehen diskutiert. Eine Mehrheit
entschied
sich, heute den St. Jakob zu verlassen um den weiteren Kampf für
ein
menschenwürdiges Leben, für das Recht zu Arbeiten und
für einen
geregelten Aufenthaltsstatus zu planen. Da sich alle beteiligten
Sans-Papiers als Kollektiv verstehen, verlassen sie heute gemeinsam die
Kirche.
Die Papierlosen werden sich weiterhin offensiv für ihre Rechte
einsetzen. Deshalb fragen die Papierlosen noch diese Woche die Parteien
des Kantons Zürich um einen Termine für ein Gespräch an.
Mit einer
Delegation möchten die Papierlosen die Parteien über ihre
Probleme
informieren und aufzeigen, dass mit dem heutigen Regime kein
menschenwürdiges Leben im Kanton Zürich möglich ist. In
den vergangenen
Tagen hat sich gezeigt, dass nur wenige Politiker über die Praxis
der
Nothilfe im Kanton Zürich informiert sind.
Die Sans-Papiers weisen darauf hin, dass in der Umsetzung der Nothilfe
keinerlei Verbesserungen erreicht wurden. Weiterhin wird die Nothilfe
in Form von Migros-Gutscheinen ausbezahlt (8.50 Franken pro Tag). Viele
Asylbewerber müssen wöchentlich die Nothilfezentren wechseln.
Diese so
genannte Dynamisierung führt zu psychischen Problemen und ist
reine
Schikane. Für die wöchentliche Reise in die neue
Notunterkunft werden
keine Zugtickets zur Verfügung gestellt, obwohl gemäss
Sozialamtsvorsteher Hofstetter ein Anspruch darauf bestünde. Damit
will
der Kanton Zürich die Menschen bewusst in die Kriminalität
treiben.
Diese Praxis könnte Regierungsrat Hollenstein in eigener Kompetenz
jederzeit ändern.
Im Jahr 2008 wurde kein einziges Härtefallgesuch vom Kanton
Zürich an
den Bund weitergeleitet. Regierungsrat Hollenstein versucht die
politische Verantwortung von sich zu weisen. Doch die Sans-Papiers
betonen, dass er sich nicht länger hinter dem Bund, dem
Gesamtregierungsrat oder auch dem Kantonsrat verstecken kann. Denn es
handelt sich um einen Verwaltungsakt.
Kein Mensch ist illegal, Bleiberecht jetzt!
---
WoZ 8.1.09
Sans-Papiers
Enttäuscht von Zürcher Regierung und Kirche
Während siebzehn Tagen hielten rund 150 Sans-Papiers die
Predigerkirche
in Zürich besetzt, um gegen die Lebensbedingungen unter dem
Nothilferegime und die Härtefallpraxis des Kantons Zürich zu
protestieren. Danach waren sie drei Tage in der Kirche St. Jakob zu
Gast. Am Dienstagabend hat das Bleiberechtkollektiv in einer
Vollversammlung beschlossen, die Kirche St. Jakob, wie von deren
Pfarrer Anselm Burr gewünscht, am Mittwoch zu verlassen. Eine
Minderheit wollte in der Kirche verbleiben, darunter viele, die noch
nicht lange genug in der Schweiz sind, um ein Härtefallgesuch
stellen
zu können. Das Gespräch mit Sicherheitsdirektor Hans
Hollenstein vom
Montag hat für sie nichts gebracht, da er sich weigerte, an der
kantonalen Nothilfepraxis etwas zu ändern. Der Entscheid der
Vollversammlung wurde damit begründet, dass ein Verbleib in der
Kirche
derzeit kaum zu weiteren Ergebnissen führen würde. Die
Sans-Papiers
zeigten sich jedoch enttäuscht von der Haltung der Kirche, die
sich vor
den Medien als Freundin und Helferin aufspielt, in Wirklichkeit aber
die Schutzsuchenden lieber gestern als heute aus ihren Räumen
wirft.
Eine Delegation der Sans-Papiers will noch diese Woche die Parteien des
Kantons Zürich um Gesprächstermine anfragen, um ihnen ihre
Probleme zu
schildern und sie um Unterstützung zu bitten. nol
--
Die Kraft der Schützlinge
Von Noëmi Landolt (Text) und Florian Bachmann (Foto)
Zürcher Kirchenbesetzung-Die Aktion war nicht nur bemerkenswert,
weil
sie die unhaltbare Zürcher Härtefallpraxis publik machte.
Sondern auch,
weil sich die Flüchtlinge in einer Basisbewegung selbst wehrten.
Beobachtungen in der Prediger- und der St.-Jakob-Kirche.
Es war ein ungewöhnliches Bild, das sich am vergangenen Sonntag
und in
den Wochen davor jeden Morgen in der Zürcher Predigerkirche bot.
Ein
Haufen verschlafener Menschen in Wollsocken und langen Unterhosen, die
durch die Kirche schlurften, Schlafsäcke zusammenrollten, Decken
falteten. Irgendwo dazwischen die Sigristin, die daran erinnerte, dass
in einer Viertelstunde die Orgel- oder Gesangsprobe begänne.
Zu Klavierbegleitung von Fanny Mendelssohn und Rachmaninow und dem
Sopran einer Frau in rotem Pulli wurde also am Sonntag aufgeräumt
und
geschrubbt, bis alles für den Umzug in die Kirche St. Jakob am
Stauffacherplatz bereit war. Der Präsident der Kirchgemeinde zu
Predigern, Daniel Lienhard, zeigte sich überrascht ob der
Sauberkeit
seiner "GeiselnehmerInnen". Als solche hatten er und Pfarrerin Renate
von Ballmoos die BesetzerInnen gegenüber den Medien bezeichnet. Es
war
auch die Rede von Erpressung. Doch an diesem Morgen strahlte Frau von
Ballmoos wie nie zuvor und unterhielt sich eingehend mit den
Flüchtlingen - zum ersten Mal, wie viele BeobachterInnen sagten.
Decken, Essen und das Teezelt wurden mit einem Kleinbus in die Kirche
St. Jakob transportiert. Dort wurden die Sans-Papiers begrüsst von
Jutta Müller, Präsidentin der Kirchenpflege Aussersihl,
und von
Pfarrer Anselm Burr. Im abendlichen Gottesdienst versicherte Burr die
Sans-Papiers seines Engagements und seiner Freundschaft. Die
Gastfreundschaft fand jedoch am Mittwoch ein Ende. Schliesslich gibt es
am Freitag eine Veranstaltung in der Kirche.
Hilflos, aber entschlossen
Die Zürcher Bleiberechtbewegung nahm vor noch nicht mal zwei
Jahren mit
einem wöchentlichen Mittagstisch für Flüchtlinge im
Infoladen Kasama
ihren Anfang. Sie machte das erste Mal mit der dreitägigen
Besetzung
des Zürcher Grossmünsters im Dezember 2007 von sich reden.
Damals wie
heute lautet die Forderung, zumindest den Härtefällen eine
Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Der kantonale Sicherheitsdirektor
Hans Hollenstein versprach Änderungen in der kantonalen
Härtefallpraxis. Die Kirche versprach, sich für die Anliegen
der
Flüchtlinge starkzumachen. Doch die wohlklingenden Worte
verdampften
irgendwo im grauen Zürcher Januarhimmel. Nichts änderte sich,
im
Gegenteil. Das neue Asylgesetz, das am 1. Januar 2008 in Kraft trat,
verschlechterte die Lebensumstände der Asylsuchenden massiv.
"Wir haben im vergangenen Jahr verschiedene Aktionen gemacht, die
jedoch wenig bewirkt haben. Also haben wir uns für eine erneute
Besetzung entschieden", sagt die Bleiberechtaktivistin Sibylle Dirren.
Seit letztem Jahr seien viele neue Leute zur Bewegung gestossen - wohl
wegen der Möglichkeit, im Kasama die Migros-Gutscheine, mit denen
im
Kanton Zürich die Nothilfe ausbezahlt wird, in Bargeld zu
wechseln.
Dabei besteht das Bleiberechtkollektiv nicht aus Schweizer
AktivistInnen und "ihren Schützlingen", wie es unlängst in
einer
Zeitung stand. "Es hat sich eine gewisse Eigendynamik unter den
Flüchtlingen entwickelt. Ich denke, von den Schweizer
AktivistInnen
stellte sich niemand richtig vor, dass wir die Besetzung so lange
durchhalten. Das ist organisatorisch sehr anspruchsvoll, vor allem, 150
Leute auf dem gleichen Informationsstand zu halten."
Sämtliche Entschlüsse wurden an Voll versammlungen gefasst,
denen
jeweils eine Delegiertenversammlung vor ausging. Die Delegierten leiten
die Infos an ihre Gruppen weiter - so jedenfalls das System. Es
funktionierte allerdings noch nicht richtig, da viele Flüchtlinge
nicht
in Gruppen organisiert sind. Berhanu Tesfaye aus Äthiopien, der
seit
acht Jahren als abgewiesener Asyl bewerber in Zürich lebt, sagt:
"Bisher sind nur die Demokratische Vereinigung der Flüchtlinge,
die
International Federa tion of Iraqi Refugees und die Kongolesen in
Gruppen organisiert. Auch die anderen Flüchtlinge müssen sich
zu
Gruppen zusammenschliessen, damit die Informatio nen fliessen und wir
künftige Aktionen besser koordinieren können."
In der Entschlossenheit der Flüchtlinge drückten sich ihre
Verzweiflung
und ihre Wut über die Hilflosigkeit aus. Überwog früher
die Angst,
erkannt und verhaftet zu werden, sind nun viele Flüchtlinge
bereit,
sich zu exponieren, sei es an Demonstrationen oder in
Fernsehinterviews, wo sie offen über ihr Leben sprechen. Oft war
in der
Predigerkirche der Satz zu hören: "Ich habe nichts mehr zu
verlieren."
Die Probleme der Welt
Abgewiesene AsylbewerberInnen oder solche mit Nichteintretensentscheid
wohnen in sogenannten Notunterkünften, in denen oft prekäre
Verhältnisse herrschen. Da sie kein Bargeld erhalten, sind sie
gezwungen, schwarzzufahren. Werden sie erwischt, können sie die
Busse
nicht bezahlen und müssen für ein paar Tage in den Knast. Die
Asylsuchenden dürfen nicht arbeiten und sitzen darum in den
Unterkünften in irgendwelchen Käffern fest, zum Teil
über Monate
hinweg. Andere haben aufgrund des Arbeitsverbots ihren Job, ihre
Wohnung verloren. "Wenn das eine Abschreckungstaktik sein soll,
funktioniert sie nicht. Ich habe nur Kontakt zu meinen Eltern in
Algerien, und denen erzähle ich, dass alles gut läuft hier",
erzählt
Said, der seit acht Monaten in der Schweiz ist. Strenge Asylgesetze
verhindern nicht, dass auch weiterhin Menschen auf der Flucht vor
Armut, Hunger und Gewalt nach Europa kommen.
Vor dem Gefängnis haben die meis ten längst keine Angst mehr.
Schon zu
oft sind sie, die nicht hier sein dürfen, aber auch sonst nirgends
hingehen können, wegen illegalen Aufenthalts verhaftet worden.
"The
police will catch you anyway", sagte John aus Kenia an einer
Vollversammlung. Die Polizei kriegt dich so oder so, ob du nun eine
Kirche besetzt oder nicht. John wurde vor gut zwei Wochen vor seiner
Notunterkunft verhaftet und befindet sich nun in Untersuchungshaft. Das
Bleiberechtkollektiv ist mit Anwälten daran, mehr über die
Hintergründe
der Verhaftung zu erfahren.
Die Delegation, die am Montag das Gespräch mit dem Zürcher
Regierungsrat Hans Hollenstein führte, bestand grösstenteils
aus
Flüchtlingen. Bella da Costa aus Angola, die seit neun Jahren in
der
Schweiz lebt, war dabei: "Ursprünglich wollten wir, dass
Hollenstein zu
uns die Kirche kommt. Aber es war uns wichtiger, den Dialog zu suchen,
als auf dieser Forderung zu beharren." Hollenstein versprach, sich
für
die Bildung einer Härtefallkomission einzusetzen und abgewiesene
Gesuche noch einmal zu überprüfen. Aber er wünsche sich
mehr
Richtlinien vom Bund bezüglich der Umsetzung der
Härtefallregelung. Es
gehe nicht, dass die Kantone gegeneinander ausgespielt und an ihrer
Bewilligungspraxis gemessen würden. Dennoch wolle er dafür
sorgen, dass
Zürich sich in Sachen Härtefallpraxis im Mittelfeld bewege.
Am
Nothilferegime wird nichts geändert.
Dem Chef des Migrationsamtes, Adrian Baumann, war sichtlich unwohl.
Besonders als die Rede auf den Umstand kam, dass der Kanton Zürich
im
Jahr 2008 kein einziges Härtefallgesuch an den Bund weitergereicht
hatte. Er schwitzte und wollte nicht lange mit den Medien reden. Im
Anschluss an die Pressekonferenz sagte Hollenstein in ein Mikrofon:
"Ich kann nicht die Probleme der ganzen Welt lösen."
Trotz der vagen Antworten ist Bella da Costa nicht enttäuscht:
"Ich
dachte mir schon, dass es so rauskommt. Aber erfreut bin ich ganz und
gar nicht." Berhanu Tesfaye geht es ähnlich: "Ich glaube,
Hollenstein
hat die eigentlichen Probleme der Nothilfe nicht verstanden und sich
schon vor dem Treffen seine Meinung gebildet. Erstaunlich ist, dass
selbst die ‹kleinen› Dinge überhaupt keine Chance hatten. Dabei
dachten
wir, dass wir die einfach durchbringen. So wurde etwa das Anliegen, die
Nothilfe statt in Migros-Gutscheinen in Bargeld auszuzahlen,
kategorisch abgelehnt." Für Flüchtlinge, die schon
länger als fünf
Jahre in der Schweiz leben, gibt es nun die kleine Chance, ihren
Aufenthaltsstatus zu legalisieren. Andere Flüchtlinge wie Said
müssen
sich noch jahrelang hier durchschlagen, bis sich für sie etwas
verändern könnte.
Ein Gleichgewicht halten
Dass der Kampf der Sans-Papiers weitergeht, ist unbestritten. "Die
Leute sind extrem motiviert und froh, dass sie endlich aus ihren
Unterkünften her auskommen und etwas tun können", sagt
Sibylle Dirren.
"Wir haben dieses Jahr viel mehr Unterstützung erhalten als vor
einem
Jahr. Sowohl von Parteien als auch von anderen Gruppierungen und von
Privatpersonen, die Lebensmittel und Decken brachten. Dadurch haben wir
mehr Druck aufbauen können. Auch die Demonstration mit 2000 Leuten
hat
gezeigt, dass wir Kraft haben." Allerdings wurden die Schweizer
Unterstützungsstrukturen schwächer. Die meisten AktivistInnen
haben
diese Woche wieder angefangen zu arbeiten. Viele sind müde. Noch
lastet
die Verantwortung auf wenigen AktivistInnen - SchweizerInnen und
Flüchtlingen. Es ist schwierig, ein Gleichgewicht zwischen
Motivation
und falschen Hoffnungen zu finden und zu halten. Hadschi Said aus dem
Irak sagt: "Ich weiss, dass wir nur in kleinen Schritten vorwärts
kommen. Und ich weiss auch, dass einmal geschaffene Gesetze nur sehr
schwer zu ändern sind."
--
Dreimal Weihnachten in St. Gallen
Noch steht es, das markante Haus Rosen bergstrasse 53 direkt hinter dem
Bahnhof St. Gallen. Bald wird es abgerissen - zusammen mit dem halben
Quartier. Die alten Häuser mit günsti gen Wohnungen
müssen dem St.
Galler Fachhochschulzentrum und einem Bürohaus weichen. Das
Quartier,
dem das Ostschweizer Kulturmagazin "Saiten" seine aktuelle Nummer
widmet, war in den letzten Jahren ein Ort regen Kulturlebens und wilder
Feste.
Für einen würdigen Schluss sorgte in der Weihnachtswoche das
Solidaritätsnetz Ostschweiz. Flüchtlinge und solidarische
AktivistInnen
zogen in das Haus hinter dem Bahnhof ein. "Ziel der Aktion war die
Stärkung der Beziehungen zwischen Flüchtlingen, Migrantinnen
und
Migranten und Menschen aus der Schweiz", sagt Andreas Nufer, Pfarrer
der ökumenischen Kirchgemeinde Halden und Mitinitiant von
Solinetz.
"Und wir wollten gegen die Kälte im Asylwesen, im Speziellen gegen
die
Nothilfe protestieren." Die abgewiesenen Asylsuchenden, die mit acht
Franken Nothilfe pro Tag auskommen müssen, leben im ganzen Kanton
verstreut - die meisten immerhin in Wohnungen und nicht in
Zivilschutzanlagen. 2007 hat der Kanton St. Gallen 84
Härtefälle
bewilligt, im letzten Jahr 22 - auch dank der hartnäckigen Arbeit
von
Solinetz.
Andreas Nufer ist zufrieden mit der Aktion. Im Haus herrschte eine
Woche Hochbetrieb. Mehrere Hundert Leute kamen vorbei oder blieben
einige Tage, die vielen geschenkten Esswaren türmten sich im
Keller. In
der Wasch küche dampfte das Essen in grossen Töpfen,
Schreib-, Bastel-
und Politworkshops fanden statt, und Weihnachten wurde gleich dreimal
gefeiert. Sogar Ex-Miss-Schweiz Amanda Ammann kam zu Besuch und backte
zusammen mit Freundinnen und Flüchtlingen Weihnachtsguetzli.
Es ist gut, ein Haus zu haben. Auch in Zukunft: St. Gallen soll wieder
ein Volkshaus bekommen. Das ist einer der nächsten Pläne der
Solinetz-Aktivist Innen.
Bettina Dyttrich
---
Südostschweiz 8.1.09
SP und Grüne wollen Amnestie für Papierlose durchsetzen
Die Kirchenbesetzung durch Papierlose in Zürich zeigt nun auch auf
bundespolitischer Ebene Wirkung. SP und Grüne wollen das Thema
Sans
Papiers während der nächsten Session aufgreifen.
Von Simon Fischer
Bern. - Während das seit Jahrzehnten ungelöste Problem der
Sans Papiers
in letzter Zeit weitgehend aus der politischen Diskussion verschwunden
war, ist es durch die fast drei Wochen dauernde Kirchenbesetzung in
Zürich über die Festtage wieder in die nationalen
Schlagzeilen geraten.
Nachdem die Papierlosen ihre Aktion gestern beendet und die Kirche St.
Jakob am Stauffacher verlassen haben, wittern linke Bundespolitiker nun
Morgenluft und wollen das Thema wieder einmal aufs Tapet bringen. "Die
Schweiz schiebt das Problem im Gegensatz zu anderen Ländern seit
Jahren
vor sich hin", erklärt die Baselbieter SP-Nationalrätin
Susanne
Leutenegger Oberholzer. Der Bund sei nun gefordert, endlich etwas zu
unternehmen. Von Parlamentariern ihrer Partei seien deshalb
während der
Frühlingssession mehrere Vorstösse zum Thema zu erwarten.
Leutenegger Oberholzer fordert konkret eine Amnestie für
papierlose
Menschen, die seit mehreren Jahren in der Schweiz leben und sich hier
integriert haben. "Es braucht eine Legalisierung solcher Personen." Das
gelte vor allem auch für Kinder von Immigranten, die in der
Schweiz
aufgewachsen und in die Schule gegangen seien. Leutenegger Oberholzers
Parteikollege Andreas Gross pflichtet dem bei: "Die Schweiz könnte
sich
eine solche Amnestie durchaus leisten", meint der Zürcher
Nationalrat.
Härtefall-Regelung als Lotterie
Was Politikern von SP und Grünen vor allem sauer aufstösst,
ist der
Umstand, dass die Härtefall-Regelung für Sans Papiers von den
Kantonen
sehr unterschiedlich angewandt wird. "Es herrscht eine massive
Ungleichbehandlung von Papierlosen in unserem Land", sagt
SP-Präsident
Christian Levrat. Was es jetzt brauche, sei ein Machtwort aus Bern an
die Adresse der Kantone. Auch er rechnet für die kommende Session
mit
entsprechenden Vorstössen aus den eigenen Reihen: "Das wirkt
immer."
Auch Grünen-Präsident Ueli Leuenberger plädiert für
ein Bleiberecht für
langjährige Papierlose. Wer sich integriert habe und einen Job
finde,
solle auch arbeiten dürfen. Denn davon profitiere letztlich die
ganze
Gesellschaft. "Die Härtefall-Regelung ist für Sans Papiers
eine
Lotterie", sagt Leuenberger. Papierlose, die in einem liberalen Kanton
lebten, hätten Glück, alle anderen dagegen Pech.
Alles soll bleiben, wie es ist
Kein Gehör findet das linke Anliegen bei den Mitte- und
Rechtsparteien.
Es gebe keinen Handlungsbedarf bei der Härtefall-Regelung, meint
etwa
der Zuger CVP-Nationalrat Gerhard Pfister, Präsident der
Staatspolitischen Kommission. Über das Bleiberecht von Papierlosen
zu
entscheiden, müsse Aufgabe der Kantone bleiben. Und der
Zürcher
SVP-Nationalrat Hans Fehr erklärt, statt die Verantwortung dem
Bund
zuzuschieben, müssten die Kantone das Gesetz konsequent anwenden.
Ausserdem sei die Kirchenbesetzung in Zürich von linken Kreisen
für
eigene Zwecke inszeniert worden. Die Sans Papiers hätten sich
leider
instrumentalisieren lassen.
--
Sie gehen zurück in die "Bunker"
Zürich. - Die Zürcher Sans Papiers haben gestern das Ende
ihres 19 Tage
langen Protests in Zürcher Kirchen bekannt gegeben. Mit der Zusage
von
Regierungsrat Hans Hollenstein, sich für die Wiedereinführung
der
Härtefall-Kommission einzusetzen, sei ein Teilerfolg erreicht
worden,
teilte das Sans Papiers-Kollektiv "Bleiberecht" mit.
Die Vollversammlung der Sans-Papiers hatte am Dienstagabend
beschlossen, die Kirche St. Jakob gemeinsam zu verlassen. Dort hatten
die Sans Papiers Gastrecht erhalten, nachdem sie am Sonntag die
Besetzung der Predigerkirche beendet hatten. In der Nacht auf gestern
schliefen noch 60 bis 80 Sans Papiers in der Kirche, wie Michi Raissig
vom Kollektiv sagte. "Sie kehren zurück in die 'Bunker'", so
Raissig
und meinte damit die unterirdische Zivilschutzanlage in Uster und
andere Notunterkünfte für Migranten ohne
Aufenthaltsbewilligung im
Kanton.
---
Landbote 8.1.09
Besetzer wollen nun Dialog suchen
RETO FLURY
Die Kirchenbesetzer haben gestern die St.-Jakobs-Kirche geräumt.
Sie
wollen nun den politischen Weg gehen. Für den Fall, dass dies
nicht
fruchtet, drohen sie mit weiteren Aktionen.
zürich - Bis spät in die Nach haben rund 90 Sans-Papiers und
Sympathisanten am Dienstag über die Fortsetzung der Kirchenaktion
diskutiert. Dann entschied eine Mehrheit: Die Aktion wird abgebrochen.
Gestern haben die Papierlosen die St.-Jakobs-Kirche beim Stauffacher,
wo sie seit Sonntag als Gäste weilten, geräumt.
Als die Sans-Papiers Ende Dezember die Predigerkirche besetzten,
forderten sie eine humanere Härtefallpraxis und Nothilfe sowie
Papiere
für alle. Doch der Kanton wird seine Praxis nicht so schnell
ändern.
Dies hat Regierungsrat Hans Hollenstein (CVP) den Aktivisten am Montag
in einem Gespräch deutlichgemacht.
Für Michael Raissig vom Bleiberecht-Komitee war die Aktion dennoch
ein
"Teilerfolg". Wenn die von Hollenstein versprochene
Härtefallkommission
wirklich eingesetzt wird, werde sich die Lage der Sans-Papiers bestimmt
verbessern, sagte er gestern. Ausserdem sei die Öffentlichkeit
durch
die Besetzung auf die Lage der Sans-Papiers aufmerksam geworden.
Die Papierlosen und das Komitee geben sich damit aber nicht zufrieden.
Sie hielten an ihren Forderungen fest, sagte Raissig. Man verlange
weiterhin eine Aufhebung des Arbeitsverbots, ein regulärer Status
sowie
eine humanere Härtefallpraxis. "Wir wollen nun aber in den
politischen
Dialog eintreten." Die Sans-Papiers würden noch diese Woche mit
den
politischen Parteien das Gespräch suchen. Und das nicht nur mit
jenen
des linken Spektrums. "Es ist auch im Interesse der bürgerlichen
Parteien, dass die humanitäre Tradition der Schweiz
fortgeführt wird",
findet Raissig. Man sei sich bewusst, dass nun ein langwieriger Prozess
beginne. Deshalb seien auch keine weiteren Besetzungen geplant. Sollte
der politische Weg aber versanden, werden die Sans-Papiers gemäss
Raissig weitere Aktionen lancieren.
Entwurf auf dem Tisch
Unabhängig von der Kirchenbesetzung überarbeiten Bund und
Kantone
derzeit die Richtlinien für die Härtefallbewilligungen. Die
aktuelle
Weisung des Bundesamts für Migration (BfM) datiert vom 1. Januar
2008.
Laut dem Schreiben sollten unter anderem folgende Punkte
berücksichtig
werden: die Integration, die Aufenthaltsdauer, die Einschulung der
Kinder, der Leumund und der Gesundheitszustand. Voraussetzung ist, dass
der Asylsuchende seine Identität offenlegt.
Ein erster Entwurf für die neuen Empfehlungen des BfM liegt
momentan
bei der Vereinigung der kantonalen Migrationsbehörden (VKM), deren
Präsident der Zürcher Migrationsamts-Chef Adrian Baumann ist.
Bettina
Dangel, Geschäftsführerin der VKM und Sprecherin des
Migrationsamts,
bestätigte gestern einen Bericht des "Tages-Anzeigers". Die
Kantone
möchten vor allem zwei Bereiche genauer geklärt haben.
Erstens die
Frage, wie ein Sans-Papier seine Identität offenlegen muss, um als
Härtefall anerkannt zu werden. Das Zürcher Migrationsamt
verlangt heute
einen Pass. Und zweitens wie gut jemand die Landessprache sprechen muss.
Laut BfM-Sprecher Roman Cantieni soll künftig vermehrt auf das
stimmige
Gesamtbild einer Person als etwa auf die Art eines
Identitätspapiers
geachtet werden. Auf Nachfrage bestätigte er, dass ein Sans-Papier
für
das BfM auch ohne Papiere als Härtefall anerkannt werden kann -
falls
er gut Deutsch spricht, schon jahrelang hier lebt und arbeiten will.
--
Verständnis und harsche Kritik im Gemeinderat
Die Kirchenbesetzung war gestern Abend auch im Zürcher Gemeinderat
ein
Thema. Verschiedene Fraktionen äusserten sich dazu. Als
"unverantwortlich" bezeichneten es SP, Grüne und AL in einer
gemeinsamen Fraktionserklärung, dass Regierungsrat Hans
Hollenstein
bisher die "faktische Nichtumsetzung" der Härtefallregelung
gestützt
habe.
Diese Regelung sei bewusst als Ergänzung für das
verschärfte Gesetz
geschaffen worden. Es sei nämlich absehbar gewesen, dass
zahlreiche
Menschen sonst in eine ausweglose Situation kämen. Ohne
Ausweispapiere
könnten sie nicht legal in der Schweiz bleiben - aber auch nicht
legal
ausreisen. Die Papierbeschaffung sei in vielen Fällen kaum
möglich.
SVP ruft nach Polizei
Die Fraktionen forderten deshalb eine rasche Einsetzung der 2002
abgeschafften Härtefallkommission und eine sofortige Angleichung
der
Zürcher Richtlinien für die Behandlung von
Härtefällen. Ganz anders sah
es die SVP-Fraktion. Sie geisselte die Untätigkeit der
Stadtpolizei. Es
gebe keinen Anlass, einer Aktion wie der Kirchenbesetzung tatenlos
zuzusehen. Die Polizei habe auch in solchen Fällen einzuschreiten,
wie
sie dies tue, wenn jemand etwa eine Standaktion ohne Bewilligung
durchführe. Schliesslich forderte die SVP die Verzeigung eines der
Organisatoren des Bleiberecht-Kollektivs, "mindestens" wegen
Durchführung einer nicht bewilligten Aktion auf öffentlichem
Grund.
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NLZ 8.1.09
Politischer Vorstoss
Sans-Papiers Fall für Bundesrat
Die Kirchenbesetzer streben auf politischem Weg eine Verbesserung ihrer
Situation an. Und der SP-Nationalrat Andy Tschümperlin wendet sich
an
den Bundesrat.
Von Flavian Cajacob, Zürich
Fast drei Wochen nach Beginn der Besetzung der Predigerkirche im
Zürcher Niederdorf sind die letzten 80 der ursprünglich 150
Sans-Papiers aus der Kirche St. Jakob, in der sie während der
letzten
drei Tage Gastrecht genossen haben, abgezogen.
Minimales Ziel erreicht
Mit der am Montag von Regierungsrat Hans Hollenstein angekündigten
Schaffung einer "Härtefallkommission" sei ein minimales Ziel der
Aktion
erreicht worden, sagte ein Sprecher des Bleiberecht-Kollektivs, das die
abgewiesenen Asylbewerber während der Kirchenbesetzung
unterstützt hat.
Nach wie vor kritisieren die Papierlosen den Umstand, dass Zürich
die
Nothilfe in Form von Migros-Gutscheinen (statt mit Bargeld) ausbezahlt
und die Nothilfezentren im Wochentakt gewechselt werden müssen.
Dies
sei schikanös und führe bei den Betroffenen zu psychischen
Problemen.
Nun wolle man den Dialog mit den kantonalen Parteien suchen, um
aufzuzeigen, dass mit der Umsetzung der Nothilfe im Kanton Zürich
ein
menschenwürdiges Dasein nicht möglich sei.
Vertreter von SP und Grünen hatten bereits in den letzten Tagen
ihre
Solidarität mit den Papierlosen bekundet. Ganz anders allerdings
tönen
die Signale bei FDP und SVP: "Ich weiss nicht, für was das gut
sein
soll", sagte Alfred Heer, Nationalrat und Vizepräsident der
Kantonalzürcher SVP auf Anfrage. "Wir haben eine vom Volk
abgesegnete
Rechtsgrundlage, und die entscheidet, ob jemand in unserem Land bleiben
kann oder ob er gehen muss. Dazwischen gibts kaum Spielraum."
Diesen "Spielraum" umschreibt konkret die so genannte
Härtefallpraxis
(siehe Kasten). Der Entscheid, ob ein abgewiesener Asylbewerber als
Härtefall eingestuft wird, ist Sache der Kantone. Wie die Klausel
angewendet wird und wie gross die Bereitschaft ist, ein entsprechendes
Gesuch an den Bund weiterzuleiten, ist von Kanton zu Kanton
unterschiedlich. Die Kirchenbesetzer werfen dem Kanton Zürich denn
auch
vor, dass er in Sachen Härtefälle eine äusserst rigide
Praxis verfolge.
Tschümperlin reicht Vorstoss ein
Die Härtefallregelung bei den Sans-Papiers dürfte
demnächst auch das
Parlament in Bern beschäftigen. Der Schwyzer Nationalrat Andy
Tschümperlin (SP) will in den nächsten Tagen eine
Interpellation
einreichen, in der er sich beim Bundesrat nach konkreten Zahlen und
Erfahrungen mit der entsprechenden Regelung erkundigt. "Das Ganze ist
ein äusserst komplexes Thema", betonte Tschümperlin gestern
auf
Anfrage, "ich will nun beispielsweise wissen, wie der Bundesrat die
höchst uneinheitliche Umsetzung von Härtefallregelungen in
den Kantonen
beurteilt, und was unternommen werden kann, damit die Anwendung der
Regelung inskünftig möglichst einheitlich ausfällt."
--
Härtefälle
Letzte Chance für Abgewiesene
Seit 2007 können die kantonalen Migrationsämter abgewiesenen
Asylbewerbern, die seit mindestens fünf Jahren in der Schweiz
leben, in
"schwer wiegenden persönlichen Härtefällen" eine
Aufenthaltsbewilligung
erteilen. Nötig ist dafür eine Zustimmung des Bundes.
Kriterien sind u.
a. die bisherige Aufenthaltsdauer, die Integration, die fehlende
Möglichkeit der Wiedereingliederung im Herkunftsstaat oder die
Respektierung der Rechtsordnung. Gesuchsteller müssen ihre
Identität
offenlegen.
fwc
---
Tagesanzeiger 8.1.09
Wer überleben will, macht sich strafbar
Häne Stefan
Wie sieht der Alltag in den Notunterkünften für abgewiesene
Asylbewerber aus? Ismail Faye aus Sierra Leone, seit vier Jahren
illegal in der Schweiz, hat drei Quadratmeter Privatsphäre.
Von Dario Venutti
Kemptthal. - Das gute Leben liegt gleich in der Nähe und ist doch
unerreichbar fern. Villen aus der Gründerzeit umsäumen die
Notunterkunft in Kemptthal gegenüber dem Bahnhof. Im
Eingangsbereich
hängt ein Kulturveranstaltungskalender, der in diversen Sprachen,
von
Arabisch bis Albanisch, auf Ereignisse in der Stadt Zürich
hinweist.
Doch Ismail Faye war weder am Idaplatz-Fest noch je im Theater oder
Kino.
Der 46-jährige Mann aus Sierra Leone ist einer von derzeit 400,
die in
den vier Notunterkünften des Kantons (Kemptthal, Adliswil, Uster,
Altstetten) leben. Um ein Mindestmass an Ordnung und Sauberkeit
aufrechtzuerhalten, müssen die Bewohner die Unterkunft selber
reinigen.
Wer in Kemptthal die Küche putzt, erhält sieben Franken. Wer
die Gänge
wischt, drei. Für die Bewohner ist das die einzige
Möglichkeit, etwas
Geld zu verdienen. Seit das neue Asylgesetz in Kraft ist, wird ihnen
kein Bargeld mehr ausbezahlt, sondern sie erhalten Migrosgutscheine im
Wert von 60 Franken wöchentlich.
Jede Woche eine andere Unterkunft
Ismail Faye dagegen darf kein Geld verdienen. Seit die Behörden
vor
vier Jahren nicht auf sein Asylgesuch eingetreten sind, lebt er illegal
in der Schweiz. Deshalb wird von ihm gefordert, endlich auszureisen. Um
ihm den Aufenthalt möglichst unattraktiv zu machen, darf er sich
an den
Arbeiten in der Notunterkunft nicht beteiligen. Und er muss die
Unterkunft wöchentlich wechseln. Die letzte Woche verbrachte er in
Altstetten, diese Woche lebt er in einem 18 m2 grossen Raum zusammen
mit fünf andern abgewiesenen Asylbewerbern in Kemptthal. Am
schlimmsten
sei es in Uster, weil die Unterkunft unter der Erde liege und deshalb
kein Tageslicht zu sehen sei. Als er dort einmal Atemprobleme hatte,
musste er drei Tage warten, bis die Heimleitung einen Arzt rief, sagt
Faye. Weil er sich illegal in der Schweiz aufhält, bekommt er nur
in
Notfällen ärztliche Hilfe.
Solche Zustände kritisierten das Bleiberecht-Kollektiv und die
Sans-papiers während der Kirchenbesetzungen der letzten Wochen als
menschenunwürdig. Gemäss einer Sprecherin des Rotes Kreuzes
muss sogar
eine vierköpfige Familie aus Tschetschenien seit zwei Jahren in
einer
Notunterkunft leben. Ruedi Hofstetter, Leiter des kantonalen
Sozialamtes, will sich zu Einzelfällen nicht äussern. Er
entgegnet
lediglich, es sei im Sinne des neuen Asylgesetzes, dass Personen, die
illegal in der Schweiz leben, das Land verlassen.
Ismail Faye würde am liebsten in die USA auswandern. Dort leben
einige
seiner Verwandten, die wie er vor dem Bürgerkrieg in Sierra Leone
geflüchtet sind. Doch Faye besitzt keine Ausweispapiere, weshalb
er die
Schweiz nicht auf legalem Weg verlassen kann. Und die Schweiz kann ihn
nicht nach Sierra Leone ausschaffen, weil kein
Rückführungsabkommen
besteht. Sein Leben besteht deshalb hauptsächlich aus Warten.
Manchmal
liest er in einer Bibliothek englische Zeitungen und Zeitschriften, vor
allem den "Economist" und "Newsweek", "um mich auf dem Laufenden zu
halten und geistig zu fordern", wie er sagt. Am liebsten würde er
Bücher aus seinem Fach, der Geologie, lesen. Doch weil er keine
amtlichen Dokumente besitzt, kann er sich auch keinen
Bibliotheksleihschein beschaffen.
Gezwungen, schwarz zu fahren
Ismail Faye muss sich jede Woche zunächst beim Migrations- und
dann
beim Sozialamt melden, um die Nothilfe zu erneuern. Weil ihm die
Behörden für die Reise vom Standort der Notunterkunft nach
Zürich kein
Ticket geben, hat er zwei Möglichkeiten: entweder fährt er
schwarz,
oder er geht zu Fuss. "Bei uns stapeln sich die Bussen von abgewiesenen
Asylbewerbern, die ohne Ticket erwischt wurden", sagt die Sprecherin
des Roten Kreuzes. Weil die Verlängerung der Nothilfe die
Voraussetzung
für die Migrosgutscheine sei, trieben die Behörden die
abgewiesenen
Asylbewerber in die Kriminalität. Die letzte Busse zahlte Ismail
Faye
ab, indem er so lange wöchentlich auf zwei Migrosgutscheine
verzichtete, bis die 80 Franken beglichen waren.
Ismail Faye hat kürzlich nochmals einen Asylantrag in Bern
gestellt.
Das Echo auf die Kirchenbesetzungen hat ihn in seinem Glauben an ein
Wunder bestärkt.
Die Behörden dagegen warten darauf, dass ihn der Alltag
zermürbt und er freiwillig ausreist.
--
Kirche St. Jakob: Besetzung beendet
Zürich. - Die Besetzer sind im Verlauf des gestrigen Tages aus der
Kirche St. Jakob am Stauffacher ausgezogen, um "den weiteren Kampf
für
ein menschenwürdiges Leben" zu planen, wie die Vereinigung
Bleiberecht-Kollektiv mitteilte. Ihre Aktion, die 19 Tage gedauert hat,
wertet sie als Teilerfolg. Gar ein "konkretes Zugeständnis" sieht
sie
im Versprechen des zuständigen Regierungsrats Hans Hollenstein
(CVP),
sich für die Wiedereinführung einer Härtefallkommission
einzusetzen.
Bürgerliche verweigern Diskussion
Die ohne Bewilligung in der Schweiz lebenden Ausländer suchen nun
das
Gespräch mit den Parteien. Es habe sich gezeigt, dass nur wenige
Politiker über die Zürcher Praxis bei der Gewährung der
Nothilfe
informiert seien. "Wir hoffen, dass uns nicht nur die Linken, sondern
auch die Bürgerlichen zu einer Unterhaltung empfangen werden",
sagte
ein Sprecher. Diese Hoffnung wird sich nicht erfüllen. Es gebe
nichts
zu diskutieren, sagt Alfred Heer, SVP-Nationalrat und Kandidat
fürs
Präsidium der Zürcher SVP. FDP-Präsident Beat Waltiortet
bei seiner
Partei keinen Informationsmangel. Einen offiziellen Empfang werde es
nicht geben, zumal die Kirchenbesetzer mit ihrer Aktion im Freisinn
keine Sympathien geschaffen hätten. Gespräche mit einzelnen
Exponenten
der FDP seien aber stets möglich.
Für Diskussionen sorgte gestern auch Hollensteins Aufforderung an
den
Bund, klarere Regeln für den Umgang mit den illegal Anwesenden zu
schaffen - obschon beim Zürcher Migrationsamt längst ein
Vorschlag aus
Bern liegt (TA vom Mittwoch). Für den TA war Hollenstein nicht zu
sprechen. Über CVP-Präsident Markus Arnold liess er jedoch
ausrichten,
er weile an einem Seminar in Interlaken. Es sei mitnichten so, dass er
über die Arbeiten seiner Beamten nicht im Bild sei. Er habe vom
Schreiben aus Bern gewusst, habe es aber absichtlich nicht
erwähnt. In
dieser Phase sei es üblich, die Vorschläge als vertraulich zu
behandeln. Es sei jetzt an seinen Fachleuten, die Vorschläge zu
prüfen.
Erst dann komme die Politik zum Zug. (sth)
---
NZZ 8.1.09
Die Sans-Papiers hoffen jetzt auf die politischen Parteien
Auszug aus Kirche St. Jakob - Offen bleibt, wie Regierungsrat
Hollenstein seine Ankündigungen umsetzt
Nach ihrer Kirchenbesetzung kündigen die Papierlosen an,
ihren Kampf
fortzusetzen. Die Aussagen des Regierungsrats lassen Fragen zur Rolle
des Bundes und zu einer Härtefallkommission offen.
fri. Am Mittwoch sind die Papierlosen und die Aktivisten
des
Bleiberecht-Kollektivs aus der Zürcher Kirche St. Jakob am
Stauffacher
ausgezogen, wo sie seit Sonntag Gastrecht genossen hatten. Damit
brachen sie ihre Aktion gegen die Asylpolitik des Kantons Zürich
nach
19 Tagen ab. Zuvor hatten sie über zwei Wochen lang die
Predigerkirche
besetzt gehalten und dort mit der Kirchgemeinde zusammen Weihnachten
gefeiert, bevor sie an den Stauffacher zogen und am Montag unter der
Leitung des Kirchenratspräsidenten Ruedi Reich von
CVP-Regierungsrat
Hans Hollenstein zu einem Treffen empfangen wurden.
Müdigkeit rundum
Am Dienstagabend beredeten die Papierlosen laut einer Mitteilung
bis
tief in die Nacht ihr Vorgehen. Dabei waren sie sich offenbar uneins,
wie sich bereits in den ersten Stunden abgezeichnet hatte (NZZ 7. 1.
09). Auf eine gewisse Ermüdung liess schliessen, dass just am
Abend der
Entscheidung niemand mehr das für die Presse eingerichtete Telefon
abnahm, obwohl die Aktivisten zuvor praktisch rund um die Uhr
professionell Auskunft gegeben hatten. Am Morgen danach war
Müdigkeit
auch in der Kirche auszumachen. Bei einem Augenschein um 9 Uhr
schliefen zwei Dutzend Personen in Schlafsäcken und Wolldecken auf
dem
Boden. Laut der Gruppierung übernachteten 60 bis 80 Personen im
Gotteshaus.
Eine Mehrheit habe schliesslich einen Abzug beschlossen, heisst
es im
Communiqué. Nun wollen die Aktivisten zunächst auf anderem
Weg für ihre
Sache einstehen. Sie kündigten an, noch diese Woche die kantonalen
Parteien um Gespräche anzufragen. Sie möchten den Politikern
zeigen,
dass für sie im Kanton "mit dem heutigen Regime kein
menschenwürdiges
Leben möglich ist".
Bund bereits an präziseren Weisungen
Das Bleiberecht-Kollektiv verlangt, Sicherheitsdirektor
Hollenstein
solle sich nicht länger hinter dem Bund, dem Gesamtregierungsrat
oder
dem Kantonsrat verstecken und gewisse Forderungen in eigener Kompetenz
erfüllen. Hollenstein hatte zwar angekündigt, er werde
einigen Mängeln
in den Nothilfeunterkünften nachgehen und sich für die
Wiedereinführung
einer Härtefallkommission einsetzen. Dabei sprach er sich aber
deutlich
für zusätzliche Richtlinien des Bundes aus.
Solche Bestrebungen sind seitens des Bundesamts für
Migration
allerdings bereits im Gange. So hat dieses der Vereinigung der
kantonalen Migrationsbehörden (VKM) einen informellen Entwurf von
Weisungen zur Beurteilung von Härtefällen zukommen lassen.
Der Entwurf
ist bereits vor der Kirchenbesetzung eingegangen, wie Bettina Dangel,
Geschäftsführerin der Vereinigung und gleichzeitig Sprecherin
des
Zürcher Migrationsamts, bestätigte. Die Antwort der VKM, die
demnächst
erfolgen soll, betrifft laut Dangel unter anderem die für die
Härtefall-Anerkennung erforderlichen Identitätspapiere. Der
Kanton
Zürich verlangt dazu einen Reisepass oder, bei gewissen
Herkunftsländern, einen Nachweis, dass sich der Gesuchsteller um
die
Beschaffung von Papieren bemüht hat. Nähere Angaben zu den
Anliegen der
VKM waren nicht erhältlich. Die massgebliche politische
Vernehmlassung
bei den Departementen der Kantone folgt später.
Was für eine Härtefallkommission?
Wie sich Hollenstein eine neue Härtefallkommission
vorstellt, führte
er nicht aus. Bis im Frühjahr wolle sein Departement
Vorschläge
ausarbeiten, wurde verlautet. Geklärt werden muss bis dann, wer in
der
Kommission Einsitz nimmt, welches politische Gremium - Regierungsrat
oder Kantonsrat - sie einberuft und welche Kompetenzen ihr
überhaupt
erteilt werden. In die Überlegungen einfliessen dürften die
Erfahrungen, die der Kanton mit einer Härtefallkommission zwischen
1999
und 2002 gesammelt hatte. Die damalige Kommission war aufgrund eines
SP-Postulats geschaffen und später unter SVP-Regierungsrätin
Rita
Fuhrer wieder abgeschafft worden. Ihr gehörten Vertreter von
Gemeinden,
Kirchen, Fremdenpolizei und Hilfswerken an. Die Abschaffung war von den
elf Mitgliedern einstimmig beantragt worden.
Schon damals spielte die Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund
und
Kanton eine Rolle. Die Kommissionsmitglieder beklagten sich über
zu
wenig Kompetenzen und ihre lediglich beratende Funktion.
Einzelfälle zu
prüfen und Empfehlungen abzugeben, lag nicht in ihrer Befugnis.
Fuhrer
habe dem Gremium diese Kompetenzen nicht eingeräumt, meinten sie.
Die
Regierungsrätin erwiderte damals, der Bund gewähre dem Kanton
gar
keinen Spielraum. FDP, CVP und SP zeigten sich enttäuscht
über die
Abschaffung. Für die SVP hingegen war es ein "mutiger Entscheid".
Seither stand die Kommission mehrmals auf der Traktandenliste des
Kantonsrats, ohne jemals eine Mehrheit zu finden.
Auch im Stadtparlament ein Thema
Am Mittwochabend waren die Papierlosen zudem Thema im
Stadtzürcher
Gemeinderat. SP, Grüne und AL kritisierten in einer gemeinsamen
Fraktionserklärung Hollensteins "faktische Nichtumsetzung" der
Härtefallregelung. Diese sei als Ergänzung für das
verschärfte
Asylgesetz geschaffen worden. Die SVP beanstandete die
"Untätigkeit"
der Stadtpolizei; einer Kirchenbesetzung dürfe man nicht tatenlos
zusehen.
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20min.ch 7.1.09
Kirchenbesetzung
"Die Leute verstehen uns jetzt besser"
von A. Mustedanagic und M. Gilliand
Nach 19 Tagen Kirchen-Besetzung haben die Sans-Papiers am Mittwoch ihre
Aktion abgebrochen. Im Laufe des Nachmittages verliessen sie die
Zürcher Kirche St. Jakob am Stauffacher. Doch ihr Kampf ist damit
längst nicht beendet.
Die Vollversammlung der Sans-Papiers hatte sich am Dienstag bis tief in
die Nacht beraten und entschieden: "Aktion wird abgebrochen". Ganz
einig waren sie sich dabei aber nicht. "26 von uns wollten bleiben und
weiter für die Aktion einstehen", sagt Ayat Marashi, einer der
Besetzer. Man habe sich aber entschieden, mögliche Konfrontationen
zu
meiden und das weitere Vorgehen des Zürcher Regierungsrates Hans
Hollenstein abzuwarten.
Der Vorsteher der Sicherheitsdirektion hatte den Besetzern nach einem
Gespräch am Montag zugesichert, sich für eine Wiederbelebung
einer
kantonalen Härtefallkommission einzusetzen. Zudem sollen
abgelehnte
Härtefallgesuche noch einmal angeschaut werden. Die Besetzer
feiern
dies als "Teilerfolg": Die Missstände im Zürcher
Migrationsamt seien an
die Öffentlichkeit gelangt und hätten die nötigen Wogen
geschlagen.
"Jetzt ist die Zeit für all unsere anderen Anliegen gekommen",
sagt
Michael Raissig vom Bleiberecht-Komitee im Interview mit 20 Minuten
Online.
--
Info-Box
Härtefallkommission
Regierungsrat Hans Hollenstein, Vorsteher der Sicherheitsdirektion,
sicherte den Besetzern am Montag zu, sich für die Wiederbelebung
der
2002 abgeschafften Härtefallkommission einzusetzen. Aus welchen
Behörden und Organisationen sie bestehen könnte und welches
Gremium sie
einberufen würde, liess er dabei offen.
Erste Kritik an der abgeschafften Kommission tat der Winterthurer
Stadtpräsident Ernst Wohlwend in einem Interview mit dem
"Landboten"
kund. Er kritisierte, dass die Kommission "zahnlos" gewesen sei. Das
Gremium müsse in Zukunft mit mehr Kompetenz ausgestattet werden,
um
etwas bewirken zu können.
Bereits im März 2007 hatte sich das Zürcher Kantonsparlament
gegen eine Neuauflage der Kommission ausgesprochen.
(sda/amc)
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NEONAZIS CH
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Tagesanzeiger 8.1.09
Rechtsextremen drohen harte Strafen für Anschlag auf ein Asylheim
Nach einem feuchtfröhlichen Abend warfen sie einen
Molotow-Cocktail
gegen eine Aargauer Asylunterkunft. Nun ist die Untersuchung gegen die
fünf jungen Täter abgeschlossen.
Von Thomas Knellwolf
Es geschah in der Nacht auf Ostern 2008. Um ein Uhr in der Früh
flog
ein Molotow-Cocktail gegen die Asylunterkunft von Stein im Fricktal.
Die Glasflasche zerbarst am Rahmen eines Fensters des ersten Stocks.
Benzin entzündete sich, lief die Fassade der früheren
Bäckerei herunter
und verbrannte.
Zum grossen Glück der schlafenden Asylbewerber verfehlte der
nächtliche
Werfer die Scheibe knapp. So entstand am Gebäude, in dem zum
Tatzeitpunkt vierzig Personen untergebracht waren, nur geringer
Sachschaden.
Rassistische Motive
Kurz nach dem Anschlag konnte die Aargauer Kantonspolizei die
mutmasslichen Täter ermitteln und festnehmen. Es handelt sich um
vier
Männer und eine Frau. Vier von ihnen waren damals 17 Jahre alt,
einer
20. Drei stammen aus dem aargauischen Fricktal, je einer aus den
Kantonen Basel-Stadt und Baselland.
Gemäss Angaben der Kantonspolizei gestanden die rechtsextrem
Gesinnten
ihre Tat. Sie gaben an, ihr Anschlag sei rassistisch motiviert gewesen
und spontan nach einem feuchtfröhlichen Abend erfolgt.
Vier kommen vor Jugendgericht
Das Bezirksamt Rheinfelden hat nun die Untersuchung in der Sache
abgeschlossen. Demnächst übergibt es den Fall an die Aargauer
Staatsanwaltschaft und an die Jugendanwaltschaft, die für vier der
fünf
Beschuldigten zuständig ist. "Aller Voraussicht nach kommt es zu
einer
Anklage wegen Brandstiftung", erklärt der Rheinfelder
Bezirksamtmann-Stellvertreter Peter Schmid.
Entscheidet das Gericht, dass der einzige erwachsene Täter
wissentlich
Menschenleben gefährdet habe, sieht das das Strafgesetz eine
Freiheitsstrafe von nicht unter drei Jahren vor. Unter gleichen
juristischen Voraussetzungen hat auch ein Jugendgericht die
Möglichkeit, Haft von bis zu vier Jahren zu verhängen. Die
fünf
Beschuldigten befinden sich momentan auf freiem Fuss.
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DROGEN
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WoZ 8.1.09
Drogen - Die Bilanz des letzten Jahres zeigt einmal mehr: Die
weltweite Prohibitionspolitik ist gescheitert. Es braucht neue
Strategien.
Ein realer Krieg
Von Günter Amendt
Wer sagt, der "Krieg gegen die Drogen" sei verloren und die
internationale Drogenpolitik auf der ganzen Linie gescheitert, sagt
weder etwas Neues noch steht er alleine mit dieser Aussage. Weltweit
verlangen Fachleute nach einer Kosten-Nutzen-Analyse der
Uno-Drogenpolitik und nach Lösungen jenseits der vor fast hundert
Jahren verhängten Drogenprohibition. Man muss ideologisch schon
ziemlich verbohrt sein, wenn man nicht einsehen will, dass das
sogenannte Drogenproblem neu zu definieren ist. Eine drogenfreie Welt
zu versprechen, wie das in unzähligen Uno-Dokumenten noch immer
geschieht, ist Ausdruck einer grotesken Verkennung der Wirklichkeit.
Die Realitäten im Jahre 2008 sahen so aus: Es kursierten mehr
Kokain,
mehr Heroin, mehr Opium, mehr Haschisch und mehr Marihuana auf dem
Weltmarkt als je zuvor. Von allen Schauplätzen wurden Rekordernten
und
Rekordumsätze gemeldet, wobei die kontinuierlich wachsenden
Umsätze bei
Pharmadrogen hier nicht einmal berücksichtigt sind.
Der "War on Drugs" ist ein realer Krieg und keine Metapher.
Präsident
Richard Nixon hatte 1971 dazu aufgerufen. In den Gremien der Uno fand
er eine willige Gefolgschaft. Wie in kaum einem anderen internationalen
Konfliktfeld ist es VertreterInnen der USA gelungen, eine grosse
Koalition von JasagerInnen für ihre drogenpolitischen
Vorstellungen
zusammenzubringen. Prohibition und Repression bilden den Kern dieser
Politik.
In diesem Krieg führen US-Geheimdienste die Regie. Die Operationen
selbst werden zunehmend von privaten Militärfirmen
durchgeführt. Im
Rahmen dieser Operationen kommt es permanent zu Verstössen gegen
das
Völkerrecht und zu schweren Verletzungen von Menschenrechten.
Wesentlicher Bestandteil der Kriegsführung sind, neben bewaffneten
Operationen zu Lande, Gifteinsätze aus der Luft. In Lateinamerika
sind
Hunderttausende auf der Flucht vor Gift sprühenden Flugzeugen und
Helikoptern, die nicht nur die Kokapflanzen, sondern - kollateral -
auch Äcker, Brunnen, Vieh und Menschen vergiften. Ecuador hat
angekündigt, seinen Nachbarn Kolumbien beim Haager Gerichtshof
wegen
dieser übergreifenden Gifteinsätze zu verklagen. Die
Kokaökonomie
bedroht den Regenwald unmittelbar. Sowohl bei der Herstellung der Droge
wie beim Versuch, diese zu verhindern, werden hochtoxische Stoffe in
rauen Mengen über riesige Flächen verteilt.
Überproduktion
Dieser Krieg fordert Menschenopfer. Ihre Zahl ist schwer zu ermitteln.
Allein in Mexiko gab es vorletztes Jahr 2000 Kriegsopfer. 2008 waren es
bereits über 4000: Drogenhändler, Polizistinnen, Soldaten und
Zivilistinnen, die zwischen die Fronten gerieten. Ähnlich ist die
Lage
in Brasilien, Bolivien, Kolumbien und Ecuador.
In ihrem jüngsten Bericht vom November 2008 bestätigt die
Europäische
Drogenbeobachtungsstelle (EBDD) einen Trend, den sie schon in ihren
vorangegangenen Berichten festgestellt und beschrieben hat: Kokain ist
auf dem Weg zur Massendroge, und der Heroinkonsum in der EU nimmt
"besorgniserregend" zu. Das aber heisst: Das Kriegsziel wurde verfehlt.
Alle Kriegsanstrengungen waren vergebens. Dennoch wird dieser Krieg
fortgesetzt und mit dem Nato-Beschluss intensiviert, notfalls mit
Waffengewalt gegen afghanische Drogenbarone vorzugehen. Schliesslich
dient der Drogenkrieg auch immer zur Sicherung von Einflusssphären.
Nach wie vor kommt die Hauptnachfrage aus den USA. Schon bald nachdem
die beiden grossen kolumbianischen Kartelle von Cali und
Medellín ihre
Monopolstellung verloren hatten, verschob sich das Machtzentrum der
Kokaökonomie in die mexikanisch-amerikanische Grenzregion. Mehr
als
neunzig Prozent des gesamten in den USA konsumierten Kokains sollen
über Mexiko in die USA gelangen. In Mexiko beträgt der Wert
eines Kilos
Kokain um die 10 000 Dollar. Jenseits der Grenze, in den USA, hat das
Kilo einen Wert um die 100 000 Dollar - trotz des Überangebots.
Auch die afghanische Opiumökonomie steckt in einer
Überproduktionskrise. Hinter dem Rücken von Nato-Truppen
wurde seit der
Vertreibung der Taliban Schlafmohn in einem bis dahin nicht gekannten
Ausmass angebaut und zu Opium beziehungsweise Heroin verarbeitet. Eine
Rekordernte folgte der nächsten. Das rapide Anwachsen der
afghanischen
Drogenindustrie, die längst auch wieder Haschisch im Angebot hat,
wurde
in der Öffentlichkeit der Krieg führenden Nato-Staaten zwar
registriert
und kritisiert, unternommen wurde jedoch wenig. Untätigkeit und
taktische Duldung des Mohn- und Kokaanbaus waren immer schon
Bestandteil der Drogenkriegsstrategie, die in den ers ten Kriegsjahren
von den US-Truppen auf der Jagd nach Al-Kaida-Mitgliedern strikt
befolgt wurde. Auf diese Weise gelang es, Drogenbarone im Kampfgebiet
zu Bündnispartnern zu machen.
Nun verkündet die Nato einen Strategiewechsel. Lagerhallen,
Drogenlabors und die gesamte Infrastruktur der Distribution sollen
künftig als Angriffsziele gelten. Wem dieser Strategiewechsel am
Ende
dient, ist offen. Ökonomisch führt der Militäreinsatz zu
einer
Marktbereinigung, einem Abbau der Überproduktion. Das treibt die
Preise
nach oben und dient den Interessen der am Markt verbliebenen
Herstellerinnen und Händler. Andererseits können die in
Afghanistan
operierenden Nato-Truppen nicht länger ignorieren, dass die
Taliban
ihre Waffenbeschaffung und die Versorgung ihrer Kämpfer
schätzungsweise
zu drei Fünfteln aus den Einnahmen des Drogenhandels finanzieren.
Ob und wieweit es den Nato-Truppen gelingen wird, den Mohnanbau in
Afghanistan einzudämmen, mag für den Verlauf des "War on
Terror" von
Bedeutung sein. Die Auswirkung auf den globalen Opiummarkt ist jedoch
gering. Denn selbst wenn es der Nato gelänge, die Opium- und
Heroinproduktion in Afghanistan auf null zu bringen, würden
innerhalb
kurzer Zeit neue Anbieter aus anderen Anbauregionen in die
Marktlücke
vordringen.
Dass der Krieg gegen die Drogen militärisch nicht zu gewinnen ist,
räumen mittlerweile auch US-amerikanische Drogenkriegsstrategen
ein.
Sie fordern deshalb weitere flankierende Massnahmen. So soll die
Bevölkerung in den Anbaugebieten mithilfe finanzieller Anreize
motiviert werden, andere Agrarprodukte anzubauen. Die USA und die Uno
haben erhebliche Mittel in solche Substitutionsprogramme gesteckt -
ohne nachhaltige Wirkung. Denn es gibt kein gleichwertiges Agrarprodukt
mit Absatzgarantie, das den Mohn (oder die Kokapflanze) ersetzen
könnte. Die Erfahrungen in Lateinamerika zeigen, dass sich die
Landbevölkerung mehr oder weniger bereitwillig in ein
Substitutionsprogramm einspannen lässt, um etwas abseits neue
Setzlinge
hochzuziehen.
Auch das Hilfsprogramm "Mohn für Medizin" ändert nichts. Es
sieht vor,
die afghanische Mohnernte aufzukaufen, das Opium in Morphin umzuwandeln
und die so gewonnenen Medikamente kontrolliert dort zu verteilen, wo
das Medizinsystem nicht in der Lage ist, schmerzstillende Opiate zu
beschaffen. Dagegen ist entwicklungs- und gesundheitspolitisch nichts
einzuwenden, doch der illegale Markt bleibt davon unberührt. Denn
ökonomisch handelt es sich nur um eine Erweiterung des sowieso
bereits
existierenden legalen Opiummarktes für medizinische Zwecke.
Neue Märkte
In den Medien wird zwar kontinuierlich über die jährlichen
Zuwachsraten
der afghanischen Opiumökonomie berichtet. Doch welchen Weg der
Stoff
nimmt und wo er am Ende landet, interessiert kaum. Das Heroinproblem
wird im öffentlichen Bewusstsein nicht mehr als so bedrohlich
wahrgenommen wie noch vor zehn Jahren. Es ist auch weniger sichtbar im
öffentlichen Raum. Zwar gibt es noch immer in allen
europäischen
Staaten eine Heroinszene, die mit afghanischem Stoff beliefert wird,
doch die Nachfrage stagniert. So waren die afghanischen Händler
gezwungen, neue Absatzmärkte für ihre Überproduktion zu
erschliessen -
mit Erfolg. Ein erheblicher Teil des Stoffes floss in die benachbarten
Staaten Pakistan, Indien und Iran und die südlichen Republiken der
früheren Sowjetunion ab. Und ein Teil des Stoffes blieb im Lande
selbst
hängen. Es ist davon auszugehen, dass es in Afghanistan selbst
mittlerweile einige Hunderttausend Opiatabhängige gibt. In den
Ländern
entlang der Schmuggelrouten breitet sich das HI-Virus dramatisch aus.
Und nun schlägt der Angebotsdruck auf Europa durch.
Angesichts dieser Lage und der Bedrohung, die von ihr ausgeht, und vor
dem Hintergrund eines sich ständig wiederholenden Scheiterns
über
Jahrzehnte hinweg, ist es nicht akzeptabel, dass das Drogenproblem auf
eine sozial- und gesundheitspolitische Frage reduziert wird,
während
die Frage nach den Ursachen und den Antriebskräften ausgeblendet
bleibt. Welche ökonomischen Mechanismen sind verantwortlich
für das
ständig wachsende Angebot und den Druck auf die
Verbrauchermärkte? Das
ist die entscheidende Frage. Sie führt direkt zu der Frage, ob es
politisch noch zu verantworten ist, die Prohibition weiter
aufrechtzuerhalten. Über dieser Frage liegt ein Denkverbot.
Weg vom alten Kulturkampf
Die Bilanz von 2008 bestätigt einmal mehr, dass es an der Zeit
ist, das
Scheitern der Prohibitionspolitik einzugestehen und nach neuen
Strategien und Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Es geht um
Kriminalität,
Korruption und das Vordringen des organisierten Verbrechens in die
gesellschaftlichen Institutionen. Der legitime Anspruch einer
Gesellschaft, die Verbreitung von Suchtmitteln so niedrig wie
möglich
zu halten, ist Ausgangspunkt aller Überlegungen. Auf der Suche
nach
einer Strategie, die diesem Anspruch genügt, muss die Aufhebung
der
Prohibition eine Option sein.
Ein derart radikaler Paradigmenwechsel ist politisch nur dann
durchsetzbar, wenn die Risiken der neuen Strategie analysiert und
öffentlich benannt werden. Nach Jahrzehnten einer phasenweise
ideologisch hoch aufge ladenen Auseinandersetzung gilt es, sich vom
Kulturkampf der sechziger und siebziger Jahre des vergangenen
Jahrhunderts zu lösen wie auch von der Politik der Angst. Es ist
der
Tatsache Rechnung zu tragen, dass Menschen Drogen nehmen und nichts und
niemand sie davon abhalten kann. Abs tinenz als gesamtgesellschaftliche
Forderung ist weder durchsetzbar noch akzeptabel. Sie ist Ausdruck
eines totalitären Denkens.
Eine solche Strategie, die alle Aspekte des Problems erfasst, muss erst
noch erarbeitet werden. Ohne ein bestimmtes Lösungsmodell
präjudizieren
zu wollen, lässt sich schon heute sagen, dass die Aufhebung der
Prohibition gesellschaftlich nur dann akzeptabel ist, wenn der Staat
regulierende Rahmenbedingungen setzt und deren Einhaltung garantiert.
--
Günter Amendt
Der Drogenexperte Günter Amendt lebt in Hamburg und schreibt seit
langem für die WOZ. Sein neustes Buch heisst "Die Legende vom LSD"
und
erschien 2008 im Zweitausend eins-Verlag. 2003 veröffentlichte er
das
Buch "No Drugs. No Future" im Europa-Verlag. Der vorliegende Text
basiert auf einem Vortrag, den Amendt Ende 2008 an einem Treffen der
deutschen Linkspartei zur Drogenpolitik hielt.
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ANTI-ATOM
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Tagesanzeiger 8.1.09
"Ich kann trotz der Risiken der Kernkraftwerke ruhig schlafen"
Maise Felix
Als oberster Chef der neu organisierten Atomaufsicht muss Peter
Hufschmied gleich drei Gesuche für neue AKW beurteilen. Das
verlängere
deren Bearbeitung, sagt er.
Mit Peter Hufschmied sprach Felix Maise
Herr Hufschmied, die Strombranche plant nicht weniger als drei neue AKW
- in Gösgen, Beznau und Mühleberg. Macht das Sinn?
Es ist nicht Sache des Eidgenössischen
Nuklearsicherheitsinspektorats
(Ensi), den energiepolitischen Sinn von drei gleichzeitigen Gesuchen zu
kommentieren. Nach dem gesetzlichen Auftrag hat das Ensi die
sicherheitstechnischen Aspekte der Rahmenbewilligungsgesuche zu
prüfen.
Was beinhaltet dies?
Es wird primär eine Bewertung der Standorte bezüglich der
Gefährdungen
durch externe Ereignisse wie Erdbeben, Überflutungen oder extreme
Wettereinflüsse sein. Daraus werden sich die standortspezifischen
Anforderungen für die Projektierung der Anlagen ergeben. Eine
Bewertung
der verschiedenen Reaktortypen ist zu diesem Verfahrenszeitpunkt nicht
vorgesehen.
Jahrelang lagen keine solche Gesuche vor, nun gleich drei. Ist dies
für Sie ein Problem?
Die Gleichzeitigkeit von drei Gesuchen ist für das Ensi eine
Herausforderung und verlängert die Zeit für deren
Bearbeitung. Wir
rechnen, dass wir voraussichtlich bis Mitte 2010 brauchen.
Wenn bei einem schweren Störfall aus dem AKW Beznau
Radioaktivität
entweicht und der Wind diese Richtung Zürich bläst, sind Sie
als
oberster Wächter über die Sicherheit der Anlage
hauptverantwortlich für
die Katastrophe. Können Sie angesichts solcher Risiken noch ruhig
schlafen?
Ja. Ich kann trotz der Risiken ruhig schlafen. Denn erstens würde
ein
solches Ereignis nicht von einem Moment auf den anderen auftreten. Bis
eine derart kritische Situation eintritt, braucht es eine längere
Zeit,
in der man reagieren und den Austritt von Radioaktivität
verhindern
kann. Und die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Ereignis eintritt,
ist äusserst gering.
Die bisherige Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen
(HSK)
stand nicht im Verdacht, den AKW-Betreibern gegenüber sehr
kritisch zu
sein. Bringt die Neuorganisation eine schärfere Kontrolle?
Dass die HSK zu wenig kritisch sei, ist Ihre Einschätzung. Der
Ensi-Rat
wird auf eine kritische Haltung Wert legen und diese auch
öffentlich
dokumentieren.
Das grösste Problem der Atomenergienutzung ist derzeit wohl die
ungelöste Abfallfrage. Halten Sie persönlich eine
Stromproduktion, die
jahrtausendelang strahlenden Müll hinterlässt, für
nachhaltig?
Ja, ich halte die Kernenergienutzung für nachhaltig, auch
verglichen
mit anderen Energieformen. Denn ich bin überzeugt, dass wir
für das
Abfallproblem mit dem in der Schweiz entwickelten und auch im Ausland
anerkannten Konzept der geologischen Tiefenlagerung mit der
Möglichkeit
der Langzeitüberwachung sichere Lösungen finden werden. Im
Übrigen hat
das Schweizervolk die Kernenergienutzung an der Urne wiederholt
befürwortet und erwartet damit auch eine sichere Entsorgung. Das
Ensi
garantiert, dass das Konzept richtig umgesetzt wird.
Die Suche nach einem Schweizer Atommülllager dauert aber schon
Jahrzehnte, ohne dass ein Standort in Sicht ist. Erschweren die
AKW-Neubaupläne die Lösung der Entsorgungsfrage
zusätzlich?
Natürlich gibt es Kreise, welche die zwei Fragen
aneinanderkoppeln. Das
ist aus meiner Sicht aber nicht richtig, denn die Lager brauchen wir
unabhängig davon, ob es neue Kernkraftwerke gibt oder nicht.
Ohne die neuen AKW-Pläne wäre das politisch aber bestimmt
einfacher.
Da bin ich nicht sicher.
Der Ruf der Nagra ist nicht unbestritten. An der Spitze dieser
Genossenschaft der Werkbetreiber sitzt mit dem Glarner Ex-Regierungsrat
Pankraz Freitag neu ein Axpo- Verwaltungsrat. Das zerstreut die Zweifel
an der Arbeit der Nagra bestimmt nicht.
Ich glaube, dass die Nagra in Bezug auf ihre wissenschaftliche Arbeit
eine hohe Anerkennung geniesst - auch international. Gleichzeitig bin
ich froh, dass heute mit dem Sachplan zur Entsorgung nicht mehr die
Nagra selber, sondern der Bund die politische Führung des ganzen
Verfahrens übernommen hat. Die neue Kompetenzordnung ist ja auch
das
Resultat früherer, schlechter Erfahrungen etwa mit dem Standort
Wellenberg.
Die Schweizer AKW-Szene ist klein und personell eng verflochten. Auch
die meisten Atomkontrolleure kommen aus der Branche. Gibt es
überhaupt
genügend unabhängige Fachleute?
Die meisten Ensi-Mitarbeiter kommen aus der Forschung oder aus
Industriebereichen, die mit der Kernenergie nicht direkt verbunden
sind. Genügend qualifiziertes, unabhängiges Personal zu
finden, ist
aber tatsächlich eine der Herausforderungen, die wir im Ensi-Rat
anpacken müssen.
Anordnungen der Atomaufsicht haben in der Regel einschneidende,
finanzielle Folgen für die Werkbetreiber. Woher nehmen Sie die
Gewissheit, Entscheide ohne Rücksicht auf wirtschaftliche
Interessen
fällen zu können?
Die nehme ich unter anderem aus der personellen Zusammensetzung des
Ensi-Rates, die über jeden Zweifel erhaben ist und es erlauben
wird,
allen politischen und wirtschaftlichen Pressionen zu widerstehen.
Gerade durch die neue Struktur hat das Ensi eine stärkere Position
erhalten.
--
Ein Ingenieur als oberster Kontrolleur
Um die Atomaufsicht von der Bewilligungsbehörde für
Atomanlagen zu
trennen, wurde die Hauptabteilung für die Sicherheit von
Kernanlagen
(HSK) am 1. Januar aus dem Bundesamt für Energie ausgegliedert und
als
Eidgenössisches Nuklearsicherheits-Inspektorat (Ensi) mit einem
sechsköpfigen Aufsichtsrat verselbständigt.
Präsident des Ensi-Rats ist Peter Hufschmied. Der 59-Jährige
ist
selbstständiger Ingenieur und war zuvor Chef der Planungsfirma
Emch+Berger. Darüber hinaus war Hufschmied 15 Jahre lang Mitglied
der
Kommission für Nukleare Entsorgung, 2004 bis 2007 als
Präsident.
Die direkte Kontrolle der Atomanlagen üben die bisherigen
Mitarbeiter
der HSK aus, die alle ins Ensi übernommen wurden. Mit dem Umzug
vom
traditionellen Atomstandort Würenlingen ins nahe Brugg will das
Ensi ab
2010 die neu gewonnene Unabhängigkeit auch geografisch unter
Beweis
stellen. (mai.)
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GAZA
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gsoa.ch
Demo gegen die Bombardierungen im Gaza-Streifen
Datum: 10.1.2009 um 14:30
Schützenmatte, Bern
Kontakt Email: bern@gsoa.ch
Nach dem schrecklichen Angriff Israels auf den Gaza-Streifen finden auf
der ganzen Welt Protestaktionen und Demonstrationen statt. Auch in der
Schweiz wurden das Entsetzen und die Verurteilung der Lage im Nahen
Osten mit regionalen Protestaktionen auf die Strasse getragen.
Am Samstag 10. Januar findet in Bern eine gesamtschweizerische
Demonstration gegen diesen Krieg statt. Die GSoA wird diese
Demonstration mit organisieren.
Besammlungsort für die Demo ist die Berner Schützenmatte
(http://map.search.ch/bern/schuetzenmattstr.)
um 14:30 Uhr. Der Demozug
startet um 15 Uhr und führt via
Bollwerk-Speichergasse-Nägeligasse-Kornhausplatz-Kramgasse-Kreuzgasse
auf den Münsterplatz, wo die Schlusskundgebung stattfindet.
Sobald das Detailprogramm bekannt ist, wird es an dieser Stelle
veröffentlicht.
File : Demoaufruf_Deutsch.pdf (97 KB) [Datei herunterladen]
http://www.gsoa.ch/phpcms/linkbase/file.php?id=850&index=0
File : Demoaufruf_Französisch.... (115 KB) [Datei herunterladen
http://www.gsoa.ch/phpcms/linkbase/file.php?id=850&index=1
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WoZ 8.1.09
Israel/Palästina-Mit der Bombardierung der palästinensischen
Bevölkerung und mit dem Truppeneinmarsch in Gaza folgt die
israelische
Regierung einem Konzept, das bisher nie aufging. Und das auch diesmal
kaum aufgehen wird.
Der Wahlkampfkrieg
Von Uri Avnery, Jerusalem
Kurz nach Mitternacht zeigte der arabische Sender al-Dschasira, was
gerade im Gazastreifen geschieht. Plötzlich wurde die Kamera zum
dunklen Himmel gedreht. Er war pechschwarz, es war nichts zu sehen,
doch ein Geräusch zu hören: das erschreckende, entsetzliche
Dröhnen von
Flugzeugen. Es war unmöglich, nicht an die Zehntausende von
Kindern im
Gazastreifen zu denken, die dieses Geräusch im gleichen Augenblick
auch
hörten und die, gelähmt vor Furcht, auf das Fallen der Bomben
warteten.
"Israel muss sich gegen die Raketen verteidigen, die unsere
südlichen
Städte terrorisieren", verkündeten israelische Sprecher. "Die
Palästinenser müssen auf das Töten ihrer Kämpfer
reagieren", erklärten
Hamas-Sprecher. Und alle Welt spricht von einer Feuerpause, die es nie
wirklich gegeben hat.
Das Wichtigste an einer Feuerpause im Gazastreifen hätte die
Öffnung
der Grenzübergänge sein müssen. Ohne einen
ständigen Versorgungsfluss
gibt es im Gazastreifen kein Leben. Aber die Grenzübergänge
waren -
abgesehen von ein paar Stunden - nicht geöffnet. Die Blockade des
Gazastreifens mit seinen anderthalb Millionen Menschen ist eine
Kriegshandlung, genauso schlimm wie Bomben und Raketen. Sie lähmt
das
Leben: Sie zerstört Einkommensgrundlagen und bringt
Hunderttausende an
den Rand des Hungers, Krankenhäuser hören auf zu
funktionieren, Strom
und Wasserzufuhr sind unterbrochen.
Der Vorwand
Wer die Schliessung - egal unter welchem Vorwand - befohlen hat,
wusste, dass es unter diesen Umständen keine wirkliche Feuerpause
geben
konnte. Hinzu kamen kleine Provokationen. So wurde nach mehreren
Monaten, während deren kaum Kassam-Raketen abgefeuert worden
waren,
eine israelische Armee-Einheit in den Gazastreifen gesandt, um "einen
Tunnel zu zerstören, der nah an den Grenzzaun" herankam. Aus rein
militärischer Sicht wäre das Legen eines Hinterhalts auf
israelischer
Seite sinnvoller gewesen. Aber das Ziel war, einen Vorwand für die
Beendigung der Feuerpause zu finden - und zwar auf solche Weise, dass
den PalästinenserInnen die Schuld dafür gegeben werden
konnte. Und
tatsächlich: Nach mehreren solchen kleinen Aktionen, bei denen
Hamas-Kämpfer getötet wurden, rächte sich die Hamas mit
massivem
Raketenbeschuss. Die Feuerpause war beendet, und siehe da: Alle gaben
der Hamas die Schuld.
Was aber war das Ziel? Die israelische Aussenministerin Tsipi Livni
verkündete es offen: die Beseitigung der Hamas-Herrschaft im
Gazastreifen. Die Kassam-Raketen dienten nur als Vorwand. Dabei ist es
kein Geheimnis, dass die israelische Regierung die Hamas
anfänglich mit
aufbaute. Als ich einmal Yacob Peri, einen früheren Chef des
israelischen Inlandgeheimdienstes Schin Bet, dazu befragte, gab er die
rätselhafte Antwort: "Wir haben sie nicht geschaffen, aber wir
behinderten auch ihre Entstehung nicht."
Jahrelang haben die israelischen Behörden die islamische Bewegung
in
den besetzten Gebieten klar begünstigt. Waren andere politische
Aktivitäten hart unterdrückt, konnte die islamische Bewegung
in den
Moscheen frei arbeiten. Das Kalkül war einfach und naiv: Damals
wurde
die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO als Hauptfeind
betrachtet, Jassir Arafat war der Satan. Die islamische Bewegung
predigte gegen die PLO und gegen Arafat und galt daher als
Verbündete.
Mit dem Ausbruch der ersten Intifada 1987 nahm die islamische Bewegung
offiziell den Namen Hamas an und schloss sich dem Kampf an. Selbst dann
unternahm der Schin Bet fast ein Jahr lang nichts gegen sie,
während
Mitglieder der grössten PLO-Fraktion Fatah in grosser Zahl
exekutiert
oder verhaftet wurden. Erst nach einem Jahr wurden auch
Hamas-Mitgründer Scheich Ahmed Jassin und seine Kollegen verhaftet.
Mittlerweile ist die Hamas der Satan. Eine wirklich an Frieden
interessierte israelische Regierung hätte der Fatah-Führung
und den
PalästinenserInnen weitreichende Zugeständnisse gemacht. Sie
hätte die
Besatzung beendet, einen Friedensvertrag unterzeichnet, die
Gründung
eines palästinensischen Staates akzeptiert, sich auf die Grenzen
von
1967 zurückgezogen, einer vernünftigen Lösung für
das
Flüchtlingsproblem zugestimmt, die Gefangenen entlassen. All das
hätte
der Hamas Einhalt geboten.
Doch nichts davon geschah - im Gegenteil. Nach dem Mord an Arafat
nannte der damalige israelische Premierminister Ariel Scharon den
Arafat-Nachfolger Mahmud Abbas ein "gerupftes Huhn". Der
glaubwürdigste
Fatah-Führer Marwan Barghuti wurde auf Lebenszeit ins
Gefängnis
geschickt; statt einer grosszügigen Gefangenenentlassung gab es
belanglose und beleidigende "Gesten"; Abbas wurde systematisch
gedemütigt. Und die Hamas errang bei den palästinensischen
Wahlen 2006
- den demokratischsten Wahlen, die je in der arabischen Welt abgehalten
wurden - einen überwältigenden Sieg. Israel boykottierte die
gewählte
Regierung. Beim folgenden internen Kampf gewann die Hamas die Macht im
Gaza streifen.
Achtzig Tote für einen Sitz
Offiziell heisst der laufende Krieg "Gegossenes Blei". Genauer
wäre die
Bezeichnung "Wahlkampfkrieg". Militäraktionen in Wahlkampfzeiten
(im
Februar wird in Israel gewählt) haben Tradition: Während des
Wahlkampfs
1981 liess Ministerpräsident Menachem Begin eine irakische
Atomanlage
bombardieren, im Wahlkampf 1996 befahl Regierungschef Schimon Peres
eine Invasion des Libanon. Nach Beginn des jetzigen Krieges gewann laut
Umfragen die Arbeitspartei von Verteidigungsminister Ehud Barak innert
48 Stunden fünf Knessetsitze dazu. Das macht achtzig tote
PalästinenserInnen pro Sitz. Aber ein solcher Erfolg kann sich
rasch
wieder in Luft auflösen: Wenn der Krieg von der israelischen
Öffentlichkeit als Fehlschlag betrachtet wird. Oder wenn die
Bodenoffensive zu vielen israelischen Gefallenen führt.
Der Zeitpunkt wurde auch nach anderen Gesichtspunkten sorgfältig
gewählt: Über Neujahr sind viele westliche PolitikerInnen in
den
Ferien, ausserdem regiert in Washington immer noch George Bush und
unterstützt den Krieg enthusiastisch. Sein Nachfolger Barack Obama
schweigt mit dem Vorwand: "Es gibt nur einen Präsidenten." Sein
Schweigen lässt für seine Amtszeit nichts Gutes ahnen.
Israels Kriegskonzept ähnelt jenem des zweiten Libanonkriegs,
dessen
Fehler - so wird endlos beteuert - nicht wiederholt werden sollen: Die
zivile Bevölkerung wird durch unablässige Luftangriffe
terrorisiert,
was die Piloten nicht gefährdet. Wenn die Infrastruktur des
Gazastreifens völlig zerstört ist und Anarchie herrscht, so
das Kalkül,
werde sich die Bevölkerung erheben und das Hamas-Regime
stürzen.
Im Libanon ist diese Rechnung nicht aufgegangen. Dort hat sich die
bombardierte Bevölkerung, inklusive der christlichen Minderheit,
hinter
die Hisbollah geschart. Etwas Ähnliches wird auch jetzt geschehen.
Das Experiment
Vor einiger Zeit schrieb ich, die Gaza blockade sei eine Art
Experiment: Wie weit kann man eine Bevölkerung aushungern und ihr
Leben
zur Hölle machen, bevor sie dem Druck nachgibt? Bisher ist das
Experiment trotz grosszügiger Unterstützung von Europa und
den USA
nicht gelungen. Die Hamas wurde stärker, die Reichweite der
Kassam-Raketen nahm zu. Der derzeitige Krieg ist eine Fortsetzung des
Experiments mit andern Mitteln.
Tag für Tag und Nacht für Nacht sendet der arabische Kanal
von
al-Dschasira grauenhafte Bilder: verstümmelte Leichen, weinende
Angehörige; eine Frau zieht unter den Trümmern ihre junge
Tochter
hervor; Ärzte ohne Medikamente versuchen, Verletzte zu retten. Der
englischsprachige Al-Dschasira-Kanal zeigt dies nicht. Warum?
Millionen sehen die Bilder, die sich ihnen für immer ins
Gedächtnis
einprägen: schreckliches Israel, abscheuliches Israel,
unmenschliches
Israel. Eine ganze Generation von Hassenden wird her anwachsen. Das ist
der schreckliche Preis, den wir bezahlen werden, wenn die israelische
Öffentlichkeit den Krieg längst vergessen haben wird.
Und noch etwas wird sich tief eingraben: das Bild der
erbärmlichen,
korrupten, passiven arabischen Regime. Und die Mauer der Schande an der
Grenze zu Ägypten. Hier ist die einzige Öffnung zur Welt, die
nicht von
Israelis beherrscht wird. Nur von hier können Nahrungsmittel und
Medikamente kommen, doch die ägyptische Armee hält den
Durchgang
geschlossen.
Dies wird Konsequenzen haben. Die Nachfahren des ägyptischen
Staatsgründers Gamal Abdel Nasser und von Jassir Arafat, eine
ganze von
der Idee eines säkularen arabischen Nationalismus beseelte
Generation,
werden von der historischen Bühne gefegt. Übrig bleibt im
arabischen
Raum nur eine einzige Alternative: die des islamischen Fundamentalismus.
Der israelische Friedensaktivist Uri Avnery, geboren 1923, schreibt
regelmässig in der WOZ.