MEDIENSPIEGEL 5.2.09
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Programm
- Grosse Halle: Blinde Insel für alle Sinne
- Voodoo Rhythm und der Beat-Man-Way
- Ritalin als Kokain-Ersatz
- Anti-WEF-Demo Genf: In die Enge getrieben, Waffen-"Arsenal" als Ausrede für Polizeibrutalität
- UBS-Gefangene: Verhältnismässige U-Haft-Dauer
- Gifelsoli-News 5.2.09: Berlusconi und der G8-Gipfel 2009
- Neu: Indymedia Linksunten
- Antisemitismus: Kirchenknatsch, Türkei
- CH + Fremdenfeindlichkeit
- Big Brother Google getarnt als Seitensprung-Controlling
- AKW Mühleberg: Risse tiefer und länger

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REITSCHULE
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- Feb 09: Beteiligt Euch an der Vorplatz-Präsenz!!!

PROGRAMM:

Do 05.02.09
20.00 Uhr - Kino - Kurdischer Filmzyklus - Hêlîn, Sibel Akkulak, Türkei 2007, 13 Min; Handful of Ash, Nabaz Ahmed, Irak 2007, 33 Min
21.00 Uhr - Kino - Close-up Kurdistan, Yüksel Yavuz, D 2007, 104 Min

Fr 06.02.09
20.00 Uhr - Kino - Kurdischer Filmzyklus - Kevoka Spî, Viyan Mayî, Irakisch-Kurdistan 2008, 30 Min
20.30 Uhr - Kino - Vinterland, Hisham Zaman, Norwegen 2007, 52 Min. In Anwesenheit des Regisseurs
21.45 Uhr - Kino - The land of legend, Rahim Zabihi, Kurdistan/Iran/D 2008, 73 Min
22.00 Uhr - Frauenraum - Popshop special: Frauendisco POPSHOP - Katzenball mit Kami Katzes Mix aus 60ties, R&B, Soul, Beat and Exotica sounds... women only
23.00 Uhr - Dachstock - DJ-Kicks presents !K7 Tour featuring The Glimmers (Bel) & DJ's Dactylola & Ereccan Stil: Postdisco-Punk-Electro-Housetech

Sa 07.02.09
19.00 Uhr - Kino - Kurdischer Filmzyklus - Musikliebe, Yusuf Yesilöz, Schweiz 2008, 53 Min. In Anwesenheit des Regisseurs
20.15 Uhr - Kino - Gözmece, Aydin Sevinc, Türkei 2006, 45 Min. In Anwesenheit des Regisseurs. 2 Türen, Ali Biçer, Schweiz , 7 Min
21.15 Uhr - Kino - Dol - Tal der Trommeln, Hiner Saleem, Autonome Region Kurdistan/F/D, 2006, 94 Min
22.00 Uhr - SousLePont - Guts Pie Earshot (D), Support: L-N/A (CH) Stil: Revolting Breakbeat. Punk live cello and drums
22.00 Uhr - Dachstock - Cool & Deadly: Phenomden & The Scrucialists, jugglin & after show by: Boss Hi-Fi (ZH) ls Moya (More Fire Sound, BE). Stil: Finest Reggae

So 08.02.09
19.00 Uhr - Progr - Kurdischer Filmzyklus: Entwicklung des kurdischen Filmschaffens - Chancen und Risiken: Gespräch und Filme im Gedenken an den Halil Uysal
20.00 Uhr - Frauenraum - Sex am Sonntag (mit Barbetrieb ab 19.00 Uhr): Querelle - Ein Pakt mit dem Teufel. Rainer Werner Fassbinder, D/F 1982

Infos: www.reitschule.ch & www.grossehalle.ch

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BLINDE INSEL
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Bund 5.2.09

Ein Erlebnis für alle Sinne

In der "Blinden Insel" werden Gäste von Blinden und Sehbehinderten bedient - und lauschen Texten von Autoren

Julie Brunner

Zum sechsten Mal lädt das Restaurant Blinde Insel in der Grossen Halle der Reitschule zu einem Diner in totaler Dunkelheit ein. Neben den Sinnen sollen in diesem Jahr auch die Gedanken sensibilisiert werden - durch Texte bekannter Autoren zum Thema Klimawandel.

"Wär redt dänn scho vom Klima, ich redä übers Wätter." So lautet eine Zeile des Textes "Tusig Donnerwetter", den Pedro Lenz speziell für die "Blinde Insel" verfasst hat. Jedermann rede immerzu und bei jeder Gelegenheit über das Wetter, doch niemand spreche je über das Klima. Diese Beobachtung sei der Ansatz für seinen Text. Pedro Lenz ist einer der sechs bekannten Autoren (siehe Box), die für die "Blinde Insel" Kurztexte zum Thema Klimawandel geschrieben und auf Band aufgenommen haben. Während des Nachtessens soll jeweils eine der Aufnahmen eingespielt werden.

Die Gedanken anregen

Bereits zum sechsten Mal schlägt das Restaurant Blinde Insel sein Zelt in der Grossen Halle der Reitschule Bern auf. In völliger Dunkelheit wird den Gästen von sehbehinderten und blinden Menschen ein 3-Gang-Menü serviert. Im abgedunkelten Zelt müssen sich die Gäste zurechtfinden - und erleben, wie es ist, nicht sehen zu können. "Wenn das Sehen wegfällt, sind die anderen Sinne umso mehr gefordert", sagt Giorgio Andreoli vom Betriebsteam Grosse Halle der Reitschule. Das Nachtessen in der "Blinden Insel" werde so zu einem besonderen Erlebnis.

Neu sollen in diesem Jahr auch die Gedanken angeregt werden. "Die Atmosphäre im Dunkeln bietet die Gelegenheit, sich intensiv mit einer Thematik auseinanderzusetzen", sagt Andreoli. Dieser Überlegung sei die Idee der vertonten Kurztexte entsprungen. Der Klimawandel eigne sich als Thema besonders, weil eine Sensibilisierung in diesem Bereich notwendig sei.

Autoren für das Projekt hat Andreoli schnell gefunden; auch Pedro Lenz liess sich überzeugen. Die Herausforderung bestehe darin, ein politisches Thema literarisch zu verarbeiten, sagt er.

Ausstellung zum Weiterdenken

Vor und nach dem Essen lädt eine interaktive Ausstellung zum Thema zur Vorbereitung oder Vertiefung der Gedanken ein. Fotografien führen dem Besucher Landschaftsveränderungen vor Augen. Wie viel Energie für die Produktion und den Transport diverser Lebensmittel nötig ist, wird anhand von Gewichten "fühlbar" gemacht. Zudem können Besucher auf einem Hometrainer vor dem Zelt einige Minuten in die Pedalen treten. Die dadurch erzeugte Energie wird für das Abspielen der Tonaufnahmen verwendet. Auch die Küche steht im Zeichen des Klimawandels. Die Zutaten, welche die Köche für die Gerichte verwenden, stammen aus der Region.

In Bern können die Gäste die "Blinde Insel" nur temporär geniessen. Anders als in Zürich und in Basel ist kein fixes Restaurant geplant.

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"Blinde Insel"

Vom 13. Februar bis zum 28. März empfängt das Restaurant Blinde Insel in der Grossen Halle der Reitschule Bern seine Gäste. Für 44 Franken wird ein Dreigang-Menü serviert. Die "Blinde Insel" ist jeweils von Mittwoch bis Samstag geöffnet. Ab 18.45 ist Barbetrieb, und die Ausstellung zum Thema Klimawandel kann besucht werden. Das Nachtessen beginnt jeweils um 19.30. Bekocht werden die Gäste von Restaurationsbetrieben aus Stadt und Kanton Bern. Mit dabei sind die Dampfzentrale, die Eventmakers aus Uettligen und der Bio-Hof Heimenhaus aus Kirchlindach. Jeden Abend wird während des Essens ein Text eines bekannten Autors eingespielt. Zu hören sind die Stimmen von Franz Hohler, Endo Anaconda, Grazia Pergoletti, Pedro Lenz, Greis und Johanna Lier. Das Detailprogramm findet sich unter www.grossehalle.ch. Reservationen sind unter 078 854 58 66 oder im Internet möglich. (jub)

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VOODOO RHYTHM
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WoZ 5.2.09

Voodoo Rhythm Records-Das Berner Label steckt in finanziellen Nöten. Wegen der Suisa.

Der Beat-Man-Weg

Tom Combo

Unlängst erhielt ich eine Mail vom Label Voodoo Rhythm Records, wo drin stand, dass die Suisa nachträglich für die hauseigene Tonträgerproduktion 42 500 Franken fordert. Voodoo Rhythm produziert zu sehr fairen Konditionen und stellt den Bands die Tonträger zum Selbstkostenpreis zur Verfügung, damit diese sie auf Touren mit möglichst hohem Gewinn verkaufen können. Tatsächlich ist der Direktverkauf - gerade für Bands im Nischenbereich - eine wichtige Einnahmequelle.

Die Suisa argumentiert nun dahingehend, Voodoo Rhythm habe die Tonträger nicht angemeldet. Sie handle demnach im Interesse der Bands, die teilweise Mitglieder bei der Suisa oder anderen Urheberrechtsgesellschaften sind. Da sich die Suisa an den von Voodoo Rhythm im Internet publizierten Preisen orientierte, fiel der geforderte Betrag zu hoch aus. Er dürfte sich letztlich um rund 20 000 Franken belaufen. Doch auch das kann das Kleinlabel nicht bezahlen.

Labelchef Beat-Man rief deswegen zu einer Spendenaktion auf. Auf Anfrage sagt er, dass die Suisa rechtlich gesehen richtig handle. Er betont aber auch, er wolle Musik machen und nicht einen Kampf gegen die Suisa führen beziehungsweise als Galionsfigur dafür herhalten. Er sei Musiker und alleinerziehender Vater und hätte weder die Zeit noch das Geld dazu. Ausserdem fände er es sehr sinnvoll, dass die Suisa die Rechte der KünstlerInnen unterstütze.

Nun aber finden Clubs, Bands und EinzelinterpretInnen, dass die Suisa ebendiese Unterstützung nicht leistet. Ich mag mich erinnern, dass es - als sich die Suisa Ende der neunziger Jahre so richtig für die alternative Szene zu interessieren und von Clubs Nachzahlungen und Pauschalen zu verlangen begann - plötzlich weniger Konzerte gab und ich dafür zu manchem Benefizabend für das jeweilige Clublokal eingeladen wurde. Und ich mag mich an Suisa-Songlisten erinnern, die ich ausfüllen musste, ohne Mitglied zu sein und obwohl ich nur Eigenmaterial vortrug. Ich erinnere mich weiter an russische und US-amerikanische Bands, für die Abgaben bezahlt wurden, die nie bei den Bands ankamen. Deshalb sollte sich die Suisa aus dem alternativen Bereich raushalten, weil hier der Verwaltungsaufwand zu hoch ist angesichts der kleinen Beträge, um die es geht, und weil die Suisa von den Mechanismen im Low-Budget-Bereich nichts versteht. Udo Jürgens wird es freuen, wenn ihm dafür ein wenig mehr Zeit gewidmet wird.

Voodoo-Rhythm-Bands werden künftig wahrscheinlich über die Suisa etwas mehr Geld bekommen, insgesamt aber weniger verdienen, weil der wichtigere Direktverkauf weniger lukrativ wird.

Lustig: Am selben Tag, als der Spendenaufruf kam, stiess ich ebenfalls auf diese Meldung: Die Suisa-Stiftung für Musik hat an den Solothurner Filmtagen den mit 5000 Franken dotierten Publikums preis für den beliebtesten Musikclip an das Team Adrian Winkler, Mario Winkler und Nella Lombardi verliehen, und zwar für den Clip "The Beat-Man Way". Irgendwie scheint die Suisa vom Beat-Man Way jedoch nicht viel zu halten. Die Bands und VeranstalterInnen jedoch schon. Beat-Man sagt, Clubs wie das ISC in Bern hätten schon Benefizveranstaltungen geplant. Und die ersten Voodoo-Rhythm-Bands hätten ihm schon einen Tag nach dem Aufruf Geld über PayPal zugeschickt. Obwohl ich zwar nicht bei Voodoo Rhythm unter Vertrag stehe, aber für das Label immerhin mal einen Text für ein Booklet geschrieben habe, geht das Honorar für diesen Artikel mit Gruss an die Suisa ebenfalls an Voodoo Rhythm.


Tom Combo ist Autor und Musiker. Weitere Informationen: www.voodoorhythm.com

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DROGENHANDEL
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20min.ch 4.2.09

Billige Dröhnung mit dem Kinder-Medikament Ritalin

von Patrick Marbach

Berner Junkies holen sich dank Ritalin den billigen Kick. Mit dem Medikament läuft ein Handel, in den offenbar auch Kinder verwickelt sind.

"Ritalin ist der beste Koks-Ersatz", schwärmt der Berner Szenekenner J.J.*. Vor allem als Cocktail, zusammen mit Heroin, entfalte das Medikament eine aufputschende Wirkung. Ritalin wird üblicherweise jungen Patienten mit ADHS (siehe Box) verabreicht. "Es gibt aber genug Kinder, die wissen, wie sie ihr Sackgeld aufbessern können", behauptet J.J. "Weil Ritalin in grossen Mengen verschrieben wird, fällt es nicht auf, wenn sie ein paar Packungen weiterverkaufen." So komme man sehr günstig an den Stoff. Noch billiger geht es laut J.J. über die Krankenkasse: "Inzwischen ist bekannt, was man dem Psychiater vorspielen muss, damit man das Zeug auf Rezept bekommt."

Apothekern und Drogenfachleuten ist das Problem bekannt: "Wir haben solche Fälle bei uns in der Beratung", sagt Fritz Brönnimann von Contactnetz. "Allerdings nicht in Massen", ergänzt Oberarzt Christoph Bürki von der Drogenabgabestelle Koda. Hauptdroge bleibe das Kokain. Im Rahmen einer Studie habe er versucht, Ritalin als Ersatz dafür einzusetzen. Es habe sich aber nicht als sinnvolles Ausstiegsmittel erwiesen.

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Info-Box

Ritalin wäre für Zappelkids

Die Störung ADHS verunmöglicht Kindern, länger stillzusitzen oder sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Obwohl nur drei Prozent aller Kinder darunter leiden, hat die Abgabe des Betäubungsmittels Ritalin enorm zugenommen. Kritiker befürchten, dass das Medikament oft missbraucht wird - etwa von Studenten als "Hirndoping". Neuste Tierversuche zeigen, dass Ritalin im Gehirn ähnliche Veränderungen bewirkt wie Kokain.

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20min.ch 3.2.09

Gefährlich

Ritalin verändert wie Kokain das Hirn

Hohe Dosen von Ritalin können im Gehirn von Mäusen Veränderungen verursachen, die jenen bei Kokainabhängigen ähneln. US-Forscher warnen davor, das Medikament als Aufputschmittel zu missbrauchen.

Yong Kim von der Rockefeller Universität in New York und seine Kollegen spritzten gesunden Mäusen für zwei Wochen täglich entweder den Ritalin-Inhaltsstoff Methylphenidat oder Kokain. Wie sie im Fachmagazin "PNAS" berichten, waren die durch Ritalin und Kokain verursachten Veränderungen im Belohnungszentrum des Hirns zum Teil sehr ähnlich.

Ritalin wird üblicherweise Kindern mit Aufmerksamkeitsproblemen und Hyperaktivität verschrieben. Laut den Wissenschaftlern sind diverse Studien zum Schluss gekommen, dass die ärztlich verschriebene Einnahme bei diesem so genannten ADHS-Syndrom sicher ist.

Ein Bericht zeigte kürzlich aber, dass in den USA mehr als 7 Millionen Menschen Methylphenidat einnehmen, um sich aufzuputschen und die geistige Leistungsfähigkeit zu steigern. Die Studie zeige, dass dies gefährlich sei, sagte Nora Volkow, die Direktorin des Nationalen Instituts für Drogenmissbrauch.

Volkow warnte davor, Kinder und Jugendliche mit ADHS nicht mehr mit Ritalin oder ähnlichen Präparaten zu behandeln. Studien hätten gezeigt, dass die Medikamente in vom Arzt verschriebenen Mengen nicht zu Abhängigkeit führten. Im Gegenteil: ADHS-Kinder nähmen später häufiger Drogen und Ritalin könne dieses Risiko vermindern.
Quelle: SDA/ATS

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ANTI-WEF-DEMO GENF
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WoZ 5.2.09

Anti-Wef-Demo - Die globalisierungskritische Bewegung, polizeilich in die Enge getrieben, sucht nach Raum für Kreativität. Demobericht vom letzten Samstag in Genf.

Vier Meter Papiermaché, abgeführt und weggesperrt

Von Dinu Gautier

Die Polizei bestimmt die Choreografie des Schauspiels, an diesem Samstag nachmittag in Genf. Hier rast ein Wasserwerfer eine Strasse runter und putzt en passant die Fensterscheiben einiger Geschäfte. Dort explodiert eine Tränengaspetarde, worauf aus allen Himmelsrichtungen Kamerateams, DemonstrantInnen und Schaulustige angerannt kommen, verzweifelt den Ort suchend, wo etwas passiert. Auf dass dann dort, wo die Polizei gerne eine klare Frontlinie hätte, tatsächlich ein paar Flaschen geflogen kommen - und sei es von vermummten Zivilpolizisten, die ihre KollegInnen in Uniform absichtlich verfehlen. Andernorts wiederum rennen Greiftrupps an Bushaltestellen, um vermummte Jugendliche festzunehmen und sich mit deren Kollegen kurz, aber heftig zu prügeln. Das Tränengas wird vom Wind durch die Strassen geweht, alle weinen: Touristen, Demonstrantinnen, Polizisten, Hunde.

Das Ritual nimmt seinen Lauf: die alljährliche Groteske, wenn jene ihre Stimme oder gar ihre Fäuste gegen das Treffen der selbsternannten Weltelite in Davos erheben wollen, die nicht am "kritischen Dialog" mit dem Weltwirtschaftsforum (Wef) interessiert sind. Da gibt es von staatlicher Seite eine klare Strategie: Sie heisst Repression. Sie ist zigfach erprobt. Und sie ist erfolgreich.

Kontrollierte Szenerie

Es ist die Polizei, die bereits am Morgen die Bühne für diesen Protest gestaltet. Sie stehen an den Strassen ecken, die Polizeikräfte aus allerlei Kantonen. Es sind viele (ihr Einsatz wird eineinhalb Millionen Franken kosten), sie tragen Helme, Beinschoner, manche sind vermummt. Ihre martialische Präsenz macht deutlich, dass hier ganz böse Gestalten auftreten werden, dass es gefährlich sein wird, sich ihnen anzuschliessen.

Als sich Anfang Nachmittag die gut tausend DemonstrantInnen besammeln, wird ein Polizeikessel gebildet, der räumlich klar definiert, wer DemonstrantIn (gefährlich, drinnen) und wer ZuschauerIn (mühsam, draussen) ist. Die Kontrolle der Szenerie geht aber noch weiter: Von ausserhalb des Kessels kommt das Maskottchen der Anti-Wef-Bewegung angefahren: Mafalda, die argentinische Comicfigur, vier Meter hoch und aus Papiermaché. Sie grinst zwar fies, passt aber als polizeilich unvorhergesehene Requisite nicht wirklich zum medial heraufbeschworenen Treffen der Steineschmeisser und Schaufensterzerstörerinnen. Mafalda wird sofort verhaftet und in den vergitterten Innenhof eines nahe gelegenen Polizeipostens gesperrt.

Am Rednerpult wird es dann als Erfolg gefeiert, dass man sich überhaupt versammeln durfte, angesichts des Demonstrationsverbotes, das die (linke) Stadtregierung ausgesprochen hatte. In der Kälte stehend, umzingelt, fühlt sich das aber gar nicht wie ein Erfolg an. Jetzt spricht Jean Ziegler vom "Tanz der Vampire in Davos", von der sinkenden Entwicklungshilfe, von hungernden Kindern, von skandalösen Bankenrettungspaketen in Milliardenhöhe.

Die Krise gibt den Wef-GegnerInnen Recht. Man hat es ja immer gesagt. Nur: Was hat man nun davon? Ein Demonstrant ruft: "Genug der Ansprachen, schreiten wir zur Tat." Die Frage ist nur, welche Tat? Was ist zu tun? Wo sind die Rezepte? Man ist ratlos. Die dort oben in Davos sind zwar auch ratlos, haben es aber einfacher, weil sie möglichst bald zum Courant Normal zurückkehren wollen. Dafür braucht es kaum Fantasie (mal abgesehen von der Formulierung reuiger Besserungsgelöbnisse). Hier unten muss man sehr kreativ sein, wenn man eine Veränderung, ein anderes System sich nur schon vorstellen, geschweige denn vermitteln und einen konkreten Weg dorthin aufzeigen will.

Demonstration der Schwäche

Ein Polizeikessel, freilich, ist kein Ort, wo sich Kreativität besonders frei entwickeln und erleben lässt. Nur eine Handvoll Clowns übt sich gerade vergnügt und recht erfolgreich in der Umkehrung der Situation: Mit einer Schnur "fesseln" sie ausserhalb des Kessels einen Wasserwerfer. Aber es sind Clowns, die kann man ja nicht ernst nehmen. Immerhin lachen und handyfilmen zahlreiche PassantInnen.

Drinnen, im Kessel, kommt der ehemalige Genfer Solidarités-Nationalrat Pierre Vanek gerade vom Rednerpult, wo er ausgebuht worden ist: "Meine Partei hat den Demoaufruf ursprünglich nicht mitunterzeichnet, weil der Aufruf zu platt und zu wenig konkret gewesen ist und ich nicht verstehe, wieso man so weit von Davos weg demonstriert." (Genf als Standort der Wef-Stiftung, von Privatbanken und einer globalen Rohstoff-Handelsbörse befinde sich im Herzen des kapitalistischen Sys tems, heisst es im Demoaufruf). Man müsse die Kapitalismuskritik konkreter an aktuelle soziale Fragen knüpfen: "Das hier ist eine Demonstration der Schwäche, wir müssten jetzt eigentlich 10 000 Menschen sein, mindestens." Gekommen sei er, weil das Demoverbot nicht akzeptabel sei und es nun auch um das Recht zur freien Meinungsäusserung gehe.

In der Menge werden die Sprechchöre lauter. "Demo jetzt! Demo jetzt!" Und: "Police partout, justice nulle part" ("Überall Polizei, nirgends Gerechtigkeit"). Die Frustration steigt. OrganisatorInnen verhandeln mit der Polizei. Die se will weiterhin alleine Regie führen, der Umzug bleibt verboten.

Jetzt versuchen die Vermummten von "Revolutionär gegen Wef", das Zepter zu übernehmen. Eine Demo formiert sich, zwanzig Meter weiter wird der Umzug von einer Polizeikette gestoppt. Die Frustrationsfalle schnappt zu: Es fliegen Flaschen, die Polizisten knüppeln, dann kommt das Tränengas. Die FotografInnen fotografieren, die Kameras filmen, die Bilder sind gemacht. Sie werden zur nachträglichen behördlichen Rechtfertigung für die Dutzenden von Präventivverhaftungen vom Mittag herhalten müssen. Es folgen die eingangs beschriebenen Szenen.

Am Abend bleibt einmal mehr festzuhalten, dass die globalisierungskritische Bewegung hierzulande taktisch in einer Sackgasse steckt. Denn es sind Momente des kollektiven Erfolgs, seien sie auch nur symbolischer Natur, die eine Bewegung am Leben erhalten, die Menschen daran glauben lassen, gemeinsam sei etwas zu erreichen. Und mit Demonstrationen in Schweizer Städten während des Wefs sind diese offenbar nach wie vor nicht zu holen. Aber wer weiss schon, in Zeiten der Krise, was morgen sein wird. Vielleicht strömen sie ja bereits nächstes Jahr nach Davos und übernehmen die Regie, die kreativ-zornigen Massen.

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Tribune de Genève 5.2.09

La police montre "l'arsenal" saisi lors de la manif anti-WEF

Des sprays au poivre, des bouteilles incendiaires, un piolet, voilà le genre d'objets trouvés sur des manifestants.

Alors que la police genevoise est accusée de brutalité lors de la manifestation anti-WEF de samedi, elle dévoile le matériel saisi sur certains manifestants. Petit inventaire à la Prévert: des sprays au poivre, des sprays de couleur, une lampe à pétrole, un piolet de montagne, des cagoules, des couteaux suisses, des hampes de drapeaux, des bouteilles vides, des bouteilles pleines (d'essence), des pétards, des tracts anticapitalistes, une pince coupante, des lunettes et masques de protection, des gants, une cannette de bière, un t-shirt noir, de la corde et du câble électrique. L'usage de beaucoup de ces objets semble évident, que ce soit dans un but offensif ou défensif (pour se protéger des gaz lacrymogènes).

De son côté, le Parti du travail a diffusé hier un communiqué dénonçant "la violence exercée par la police sur les manifestants pacifiques" qui se sont fait encercler et gazer "durant plusieurs heures" devant la poste du Mont-Blanc. Le PdT prévient les membres du Conseil d'Etat, "qui bafoue la liberté d'expression", qu'ils ne seront plus les bienvenus lors des célébrations du 1er Mai et du 9 Novembre.

Antoine Grosjean

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La Liberté 5.2.09

Manif à Genève

Une mère matraquée pour rien?

La manifestation anti-WEF samedi dernier à Genève devrait donner lieu à une plainte contre les policiers. Une mère, qui ne manifestait pas, affirme avoir reçu des coups de matraque. Elle cherchait à franchir un cordon policier pour récupérer son garçon de 10 ans. La police nie toute disproportion dans l'intervention incriminée. ATS

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Tribune de Genève 4.2.09

Une femme et son fils malmenés: tout le film

Antoine Grosjean

Manif Anti-Wef

Un photographe de la "Tribune" a assisté à la scène. Il raconte.

La police semble avoir eu la main lourde lors de la manifestation anti-WEF de samedi dernier. Au moins dans un cas. Comme le révélait Le Matin Bleu hier, une femme et son fils de 10 ans se plaignent d'avoir été matraqués alors qu'ils ne participaient pas au rassemblement. Le photographe Patrick Gilliéron Lopreno, qui couvrait l'événement pour la Tribune de Genève, a assisté à la scène (voir photos). Il raconte.

Il est entre 15 h 30 et 16 h samedi. Les affrontements qui ont commencé à la rue de Berne quelques instants plus tôt, entre les forces de l'ordre et certains manifestants, atteignent le bas de la rue de Chantepoulet. Des gaz lacrymogènes sont tirés aux alentours de la librairie Payot. Les policiers forment un cordon pour barrer la rue. "J'ai alors remarqué une altercation entre les gendarmes et une femme accompagnée d'un homme", raconte Patrick Gilliéron Lopreno, qui s'approche à ce moment-là. "Ils voulaient traverser le cordon, mais les policiers les en empêchaient. L'homme et la femme poussaient, les policiers sont devenus de plus en plus violents, des coups partaient. Je ne pourrais pas l'affirmer à 100%, mais il me semble qu'il y a eu des coups de matraque. "

Le photographe "mitraille" la scène. "La femme s'est mise à pleurer, poursuit-il. Elle criait: Mon fils! en disant qu'il était chez Payot et qu'elle avait peur pour lui à cause des gaz lacrymogènes. L'homme qui l'accompagnait, en larmes lui aussi, hurlait. " Finalement, l'enfant a pu sortir de la librairie et retrouver sa mère.

Notre collègue, croyant l'incident clos, braque un bref instant son objectif sur d'autres scènes. Soudain, il constate que la femme et son fils fuient devant une charge de police, sur le trottoir opposé de la rue de Chantepoulet. "Elle courait, en larmes, avec son fils. Je n'ai pas compris pourquoi les policiers les poursuivaient. La femme et l'enfant sont tombés. "

La police ne fait aucun commentaire en l'état

C'est à cet endroit, dans le renfoncement d'une porte où elle dit avoir cherché à se mettre à l'abri, que la femme aurait été molestée. "Quand un policier a vu que je prenais des photos, il m'a menacé de sa matraque, et je me suis éloigné", confie notre photographe. Dans Le Matin Bleu, la mère raconte qu'elle a les jambes couvertes de bleus et que son fils est resté 24 heures en observation à l'hôpital. Elle annonce vouloir porter plainte.

Du côté de la police genevoise, à ce stade, on ne fait aucun commentaire. "Pour l'instant, nous n'avons pas reçu de plainte, explique le porte-parole Patrick Pulh. Nous nous prononcerons quand ce sera fait. Mais nous n'avons pas attendu l'article du Matin Bleu pour établir ce qui s'est passé, comme nous le faisons chaque fois dans nos rapports d'intervention. Pour nous, les éléments sont clairs. " A l'Observatoire genevois des pratiques policières, qui assurait samedi une permanence juridique, on dénonce un dispositif policier agressif, tout en reconnaissant que, dans les actes, les choses ont été moins "dramatiques" que lors de précédentes manifestations.

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UBS-GEFANGENE
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WoZ 5.2.09

UBS-Farbkleckse

Kinder im Knast

Am 17. Januar wurde die Fassade des UBS-Hauptsitzes am Zürcher Paradeplatz rot und grün bekleckst. Zwei Schüler, 15- und 16-jährig, wurden kurz nach der Aktion in beträchtlicher Entfernung zum Paradeplatz im Rahmen einer Personenkontrolle festgenommen. Bis am 29. Januar, zwölf Tage lang, sassen die beiden in Untersuchungshaft. Die Jugendanwaltschaft wirft ihnen die Beteiligung an einer Sachbeschädigung im Umfang von mehreren Zehntausend Franken vor, nachdem die UBS Strafanklage gegen unbekannt erhoben hat.

Ist dieses Vorgehen verhältnismässig? Oder wollen die Behörden vielmehr ein Exempel statuieren? Untersuchungshaft kann nur bei dringendem Tatverdacht angeordnet werden, aufgrund von Spuren am Tatort oder bei einem Verdächtigen oder wegen Aussagen Dritter. Grundsätzlich gelten im eidgenössischen Jugendstrafrecht dafür dieselben Kriterien wie bei Erwachsenen: Flucht- oder Verdunkelungsgefahr. HaftrichterInnen könnten demnach schon Zehnjährige in U-Haft stecken. Sie werden strikt getrennt von erwachsenen Häftlingen untergebracht, meist in speziellen Jugendgefängnissen. Gemäss Silvio Stierli von der Oberaufsicht der Jugendstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich kann ein fehlendes Geständnis die Untersuchungshaft zudem aus technischen Gründen in die Länge ziehen: "Es müssen dann Beweismittel gesammelt und beispielsweise Gegenüberstellungen veranlasst werden. Besteht in einem Strafverfahren Verdunkelungsgefahr, geht es oft nicht ohne U-Haft."

Rosmarie Müller, für den Fall zuständige Jugendanwältin in der Stadt Zürich, kann zu einem laufenden Verfahren gar nichts sagen. UBS-Sprecher Dominique Gerster, FDP-Präsident der Zürcher Stadtkreise 4 und 5, erklärt: "Wir haben die Kleckse wieder abgewischt." dgr

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GIPFELSOLI-NEWS 5.2.09
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gipfelsoli.org/Newsletter 5.2.09

5.2.2009 La Maddalena

- Strategie der Spannung: Berlusconi singt für G8
- Berlusconi und Frattini produzieren Sicherheit
Mehr. http://www.gipfelsoli.org/Newsletter/6047.html

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INDYMEDIA LINKSUNTEN
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Indmedia 5.2.09

Indymedia linksunten online ::

AutorIn : IMC linksunten         

(((i))) linksunten.indymedia.org ist seit dem 2. Februar 2009 online und nach anfänglichen Geschwindigkeitsproblemen und einem temporären Umzug auf einen anderen Server nun auch benutzbar.

Wie bei DIY-Projekten üblich kam und kommt es noch immer zu kleineren Problemen, gerade weil wir Teile der Website selbst programmiert haben. Bei Fehlern oder Problemen könnt ihr uns gerne per Mail unter linksunten@indymedia.org oder im Chat in #linksunten auf irc.indymedia.org kontaktieren.     

Communiqué vom 02.02.2009

Nach einem knapp einjährigen Organisationsprozess steht linksunten.indymedia.org ab sofort als strömungsübergreifende Plattform für unabhängige Berichterstattung zur Verfügung. Auf mehreren Treffen in verschiedenen Städten im Südwesten Deutschlands wurde die politische Zielsetzung des Projektes festgelegt und in einem Mission Statement veröffentlicht. Als Teil der Aufnahme in das Netzwerk der Independent Media Centres (IMC) wurden Moderationskriterien verfasst, anhand derer die Beiträge von den ModeratorInnen sortiert werden. In den letzten Wochen haben wir unsere Homepage aufgebaut.

MedienaktivistInnen können ModeratorInnen werden, wenn sie von einem/einer ModeratorIn auf der internen Mailingliste vorgeschlagenen wurden und es innerhalb einer Woche keinen Widerspruch gab. Außerdem sollten sie regelmäßig an den Treffen von Indymedia linksunten teilnehmen.

Es gibt auf linksunten.indymedia.org die Möglichkeit sich anonym anzumelden, um einen Account-Namen zu registrieren und dadurch Kontinuität und Wiedererkennung zu ermöglichen. Alle Inhalte können natürlich auch ohne Anmeldung und ohne vorherige Moderation veröffentlicht werden. Zusätzlich können angemeldete NutzerInnen den Status von GenossInnen erhalten, wenn mindestens eine moderierende Person ihnen vertraut. Innerhalb eines Tages teilt dieseR ModeratorIn die Freischaltung auf der internen Mailingliste mit. GenossInnen können eigene Inhalte nachträglich ändern, sowie Kollektivartikel mit autonomer Rechteverwaltung erstellen. Weiter gibt es verschiedene Rollen für die technische Wartung und Entwicklung der Website. Zukünftige Techies müssen an mindestens einem Treffen von IMC linksunten teilnehmen und sich schon zuvor als ModeratorInnen engagiert haben.

Indymedia linksunten soll eine Plattform für emanzipatorische Berichterstattung zu politischen Ereignissen und Themen sein. Sie soll lokale Vernetzung fördern und ist gleichzeitig ins globale Indynetz integriert. Bereits im Entstehungsprozess hat uns die Solidarität anderer IMCs bei der Suche nach Servern außerhalb Europas geholfen. Zugleich waren der Testserver von Indymedia linksunten indirekt von der Repression gegen Indymedia UK betroffen. Auch IMC linksunten hat durch die Veröffentlichung von Modulen für das von vielen IMCs genutzten Content Management Systems Drupal unter einer freien Software-Lizenz das Netzwerk solidarisch unterstützt.

Bei der technischen Realisierung der Website haben wir uns an den Bedürfnissen politischer Medienarbeit orientiert. Anonymes Veröffentlichen wird durch das OpenPosting-Prinzip realisiert. Die Sicherheit von AutorInnen und LeserInnen soll durch ein freies https-Zertifikat verbessert werden, für welches das Root-Zertifikat von CaCert importiert werden muss. IP-Adressen werden wir selbstverständlich nicht speichern.

Transparenz der Moderation soll durch Versionsgeschichten, einsehbare Listen versteckter und zensierter Inhalte und öffentliche Mailinglisten gewährleistet werden. Die Mobilisierungsfähigkeit soll durch einen Kalender und eine Terminliste zusätzlich unterstützt sowie deren Vernetzungsaspekt hervorgehoben werden. Gleichzeitig wird so auch ein chronologisches Archiv aufgebaut. Technische Hürden beim Verfassen von Inhalten sollen durch einen HTML-Editor mit menügeführter Integration von Fotos abgebaut werden. Bildergalerien und Audioplayer sollen Präsentation und Wiederverwendung von Fotos und Audiodateien ermöglichen.

Viel Zeit haben wir auf die Darstellung und Moderation von Ergänzungen und Kommentaren verwendet. Ergänzungen werden hervorgehoben, indem nicht-inhaltliche Kommentare eingeklappt dargestellt werden. Diskussionen werden durch die Möglichkeit auf Ergänzungen und Kommentare zu antworten gefördert und übersichtlicher. Kommentare können dynamisch ausgeklappt und die Sortierung in Ergänzungen und Kommentare kann aufgehoben werden.

Besonderes Augenmerk haben wir auf die Mehrsprachigkeit von linskunten.indymedia.org gelegt. Sowohl Inhalte als auch Menüs können leicht übersetzt werden. Dies ist im mehrsprachigen Dreyeckland die Voraussetzung für grenzüberschreitende Medienarbeit. Gerade in Hinblick auf den NATO-Gipfel Anfang April 2009 wird linksunten auch in Frankreich genutzt werden. Wir laden euch vom 25. bis zum 31. März ins Convergence Center im Autonomen Zentrum KTS Freiburg ein, um mit uns das Medienzentrum aufzubauen und für den Protest gegen den Gipfel zu nutzen.

¡Venceremos!

IMC linksunten

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ANTISEMITISMUS
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Newsnetz 5.2.09

Der Zorn der christlichen Fundis gegen die Juden

Antijudaismus und Antizionismus haben in den christlichen Kirchen eine lange Tradition. Es hat Methode, dass Papst Benedikt XVI. den Holocaustleugner und Bischof Richard Williamson rehabilitiert hat.

Papst Benedikt XVI. ist in wenigen Tagen von der umjubelten Pop-Ikone zum reaktionären Fundi mutiert. Mit der Rehabilitierung des Holocaustleugners und Antisemiten Richard Williamson als Bischof löste er weltweit einen Sturm der Entrüstung aus. Die Juden sind geschockt, Deutschland ist geschockt, sogar weite Teile der katholischen Welt sind geschockt. Ausgerechnet ein deutscher Papst nimmt einen Leugner der Gaskammern an seine Brust. Und dieser Williamson ist obendrein Vertreter der sektenhaften katholischen Lefebvre-Fraktion, der Pius-Priesterbruderschaft.

Der Antijudaismus in der katholischen Kirche und im Abendland hat tiefe religiöse und politische Wurzeln. Er begann mit der Kreuzigung von Jesus. Ausgerechnet die Juden, das auserwählte Volk Gottes, schlugen den Messias ans Kreuz. Und: Die Juden liessen sich nicht zum Christentum - dem angeblich einzig wahren Glauben - bekehren. Ein religiöser Widerspruch, der für Traditionalisten und Fundamentalisten unter den Christen kaum auszuhalten ist. Seit 2000 Jahren warten sie vergeblich darauf, dass die Juden in den Schoss der christlichen Kirche finden und Jesus als Messias anerkennen. Diese Kränkung sitzt im Vatikan tief, zumal sich die Heilsgeschichte laut Bibel erst dann erfüllen kann, wenn sich die Juden haben bekehren lassen.

Die Juden als Sündenböcke

Die Ausgrenzung der Juden fand auch in weltlichen und politischen Belangen ihre Fortsetzung. Im Mittelalter durften sie in unseren Breitengraden beispielsweise kein Handwerk ausüben - damals der goldene Boden für die bessere Gesellschaft. So waren Juden gezwungen, ihren Lebensunterhalt mit Handel zu verdienen. Als die Handelswege an Bedeutung gewannen, gelangten sie zu Reichtum. Bald leihten sie Geld gegen Zins aus und gründeten Banken.

Damit zogen sie den Neid auf sich, wurden beargwöhnt und bald als geizig charakterisiert. Für totalitäre und reaktionäre Regimes gaben sie die idealen Sündenböcke ab. Sie wurden immer wieder verfolgt, geächtet und ausgegrenzt. Ein Höhepunkt dieser Hetzkampagne waren die Protokolle der Weisen von Zion. In geheimen Zusammenkünften sollen die einflussreichsten Juden einen Plan entwickelt haben, wie sie heimlich eine Weltregierung bilden und die Weltherrschaft übernehmen könnten. Die Protokolle der geheimen Weltverschwörung der Juden sollen Geheimdienstleuten in die Hände gefallen sein. In Wirklichkeit wurden die Protokolle von Antisemiten zu politischen Propagandazwecken erfunden, wie Gerichte einwandfrei festgestellt haben.

Der Neid auf das von Gott auserwählte Volk schwingt nach

Trotzdem hat sich Hitler auf diese gefälschten Protokolle gestützt, um den Holocaust zu legitimieren. Er begründete den Zweiten Weltkrieg unter anderem damit, er müsse die geheime Weltregierung der Juden zerschlagen und sie ausrotten, um die Welt endlich vom Bösen zu befreien.

Fundamentalistische Christen konnten ihre Ressentiments gegenüber den Juden bis heute nicht überwinden. Der Neid auf das von Gott auserwählte Volk schwingt immer noch nach. Er wird genährt vom Zorn, dass dieses angeblich unbelehrbare Volk Jesus gekreuzigt hat und bis heute noch nicht als den Sohn Gottes und Messias anerkennt.

Es ist deshalb kein Zufall, dass die Gläubigen in den katholischen Kirchen bis in die Neuzeit in den Gottesdiensten dafür gebetet haben, dass sich die Juden zum Christentum bekehren und Jesus anerkennen mögen.

Benedikt XVI. zeigt sein reaktionäres Gesicht

Dieser politische und rassistische Affront wurde erst durch das 2. Vatikanische Konzil in den 1960-er Jahren beseitigt. Doch der erzkonservative Erzbischof Marcel Lefebvre schluckte den Beschluss nicht, weshalb er sich mit seinen reaktionären Bischöfen und Priestern der Pius-Priesterbruderschaft von der katholischen Kirche trennte.

2007 hat Papst Benedikt, der früher als radikaler Sittenwächter der katholischen Kirche gefürchtet war, die lateinische Messe wieder zugelassen. Hatte er sich am Anfang seines Pontifikates versöhnlich und gemässigt geben, zeigt er nun wieder sein wahres reaktionäres Gesicht. Ausdruck davon ist eben auch die Rehabilitierung der Lefebvre-Bischöfe. Er verbrüdert sich damit mit einem Holocaustleugner und nimmt es in Kauf, dass er die katholische Kirche in eine Krise stürzt. Seine reaktionäre Gesinnung und die Wahrung der Reinheit der katholischen Lehre sind ihm offensichtlich wichtiger als der Friede in seiner Kirche.

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Bund 5.2.09

Papst gibt dem Druck nach

Vatikan Nach tagelangem öffentlichem Druck hat der Vatikan den erzkonservativen Bischof Richard Williamson zum Widerruf seiner Holocaust-Leugnung aufgefordert. Williamson müsse seine Aussagen widerrufen, bevor er als Bischof wieder eingesetzt werden könne. Zugleich müsse die Priesterbruderschaft Pius X. das II. Vatikanische Konzil und die Lehren der folgenden Päpste anerkennen, bevor ihre Mitglieder vollständig rehabilitiert werden könnten. (sda)

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Verspätete Schadensbegrenzung

Papst Benedikt XVI. fordert Holocaust-Leugner Williamson auf, seine Äusserungen zurückzunehmen

Dominik Straub, Rom

Nach wochenlangen weltweiten Protesten unternimmt der Papst erstmals einen ernsthaften Versuch der Schadensbegrenzung.

"Die Äusserungen von Monsignore Williamson sind absolut inakzeptabel und werden vom Papst streng abgelehnt", heisst es in einer gestern verbreiteten Mitteilung des Vatikans. Um zu seinen bischöflichen Aufgaben zugelassen zu werden, müsse sich dieser "in absolut unmissverständlicher Weise öffentlich von seinen Positionen zur Schoah distanzieren". Williamson hatte in einem Interview die Existenz von Gaskammern im Dritten Reich und die Ermordung von Millionen Juden in deutschen Konzentrationslagern bestritten.

Von diesen Äusserungen Williamsons habe Papst Benedikt XVI. bei seinem Entscheid, die Exkommunikation der Lefebvre-Bischöfe aufzuheben, "keine Kenntnis gehabt", heisst es weiter im Communiqué.

Es ist das erste Mal seit der Aufhebung der Exkommunikation Williamsons und dreier weiterer Lefebvre-Bischöfe am 24. Januar, dass der Vatikan Williamson beim Namen nennt; in der Vergangenheit hatte Papst Benedikt XVI. bloss allgemein die Leugnung des Holocausts als inakzeptabel bezeichnet und dem jüdischen Volk seine Solidarität bekundet. Auf eine konkrete Aufforderung an Williamson, seine menschenverachtenden Äusserungen zurückzunehmen, hat der Pontifex bisher verzichtet - was innerhalb und ausserhalb des Vatikans und der katholischen Kirche für Kopfschütteln gesorgt und zu harscher Kritik geführt hatte.

Überraschende Kehrtwende

Welche Konsequenzen es hätte, sollte Williamson sich weigern, seine Aussagen zu widerrufen, ist nicht klar. Mit der Aufhebung der Exkommunikation sei für die vier Lefebvre-Bischöfe lediglich "eine äusserst schwerwiegende kanonische Strafe" beseitigt und die Tür zum Dialog geöffnet worden; die rechtliche Situation der Pius-Bruderschaft habe sich damit nicht geändert, präzisiert der Vatikan in der gestrigen Mitteilung. Dies bedeute, dass die Gemeinschaft bis auf weiteres "keinerlei kirchenrechtliche Anerkennung durch die katholische Kirche" geniesse. Auch deren Bischöfe hätten trotz der Aufhebung der Exkommunikation keine kanonische Funktion und könnten in der katholischen Kirche kein Amt ausüben.

Um die volle Anerkennung als Gemeinschaft zu erlangen und um offiziell ein Bischofsamt ausüben zu können, verlangt der Papst nun nicht nur den Widerruf von Williamson, sondern auch - als unabdingbare Bedingung - die "volle Anerkennung des II. Vatikanischen Konzils und der Lehren der Päpste Johannes XXIII., Johannes Paul I., Johannes Paul II. und Benedikt XVI." durch alle vier Lefebvre-Bischöfe. Der Vatikan zeigt sich in der Mitteilung weiterhin bereit, die "offenen Fragen" zu diskutieren, um zu einer "vollen und zufriedenstellenden Lösung der Probleme zu gelangen, aus denen die schmerzhafte Trennung" entstanden sei.

Die Aufforderung an Williamson kommt angesichts der bisherigen defensiven Haltung des Vatikans in dieser Sache eher überraschend. Noch am Tag zuvor hatte der Papst auf eine Intervention der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die eine "sehr eindeutige" päpstliche Erklärung zur Leugnung des Holocausts gefordert hatte, sehr pikiert reagiert: In einem kühl gehaltenen Communiqué erwiderte der Vatikan, dass der Papst seine Meinung "mehrfach" und "unmissverständlich" zum Ausdruck gebracht habe und dass die Verurteilung von Aussagen, die den Holocaust leugneten, "nicht klarer" hätte ausfallen können. Mit anderen Worten: Für den Papst ist die Sache erledigt, weitere Erklärungen sind überflüssig.

Stattdessen begannen im Vatikan, zumindest laut Medienberichten, Verschwörungstheorien zu blühen: Indem das von Williamson bereits im November geführte Interview erst am 21. Januar - also nach der Unterzeichnung des Dekrets zur Aufhebung der Exkommunikation - ausgestrahlt wurde, habe man den Papst absichtlich ins Messer laufen lassen, um die Versöhnung mit der Fundamentalisten-Sekte zu hintertreiben. Die Hintermänner dieses Komplotts befänden sich im Vatikan, es handle sich um Gegner Benedikts XVI., schreibt die von Silvio Berlusconis Bruder Paolo herausgegebene Zeitung "Il Giornale". Das rechtsgerichtete Revolverblatt nennt freilich keine Quellen.

Abenteuerliche Behauptung

Etwas abenteuerlich mutet auch die Behauptung des vatikanischen Presseamts an, wonach Benedikt XVI. von den Äusserungen Williamsons nichts gewusst habe: Die antisemitische Einstellung nicht nur Williamsons, sondern der meisten Mitglieder dieser Bruderschaft ist seit Jahren bekannt; noch im Jahr 1989 hatte Sektengründer Marcel Lefebvre für Schlagzeilen gesorgt, weil er einen Kriegsverbrecher in seinem Kloster versteckt hatte. Normalerweise prüft Benedikt XVI. jede einzelne Bischofsernennung sehr genau - dass er dies ausgerechnet bei der Rückgängigmachung der Exkommunikation der äusserst umstrittenen Traditionalisten-Bischöfe unterlassen haben könnte, würde doch sehr erstaunen.

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Basellandschaftliche Zeitung 5.2.09

CJA kritisiert den Papst

Grosser Unmut über die Entscheidung von Papst Benedikt herrscht bei der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft (CJA) beider Basel. In einer Presseerklärung kritisiert die Gruppierung, dass der exkommunizierte Bischof Williamson durch den Papst wieder in die Kirche aufgenommen worden ist. Williamson habe öffentlich geleugnet, dass Millionen von Juden in Gaskammern ermordet wurden, kritisiert die CJA. "Es besteht kein Zweifel, dass Bischof Williamson ein notorischer Antisemit und Holocaustleugner ist", schreibt die CJA in ihrer Mitteilung. Die Arbeitsgemeinschaft weist daraufhin, dass sich der Bischof in der Schweiz mit seinen Äusserungen strafbar machen würde und dass jede Form von Antisemitismus eine "Sünde gegen Gott und die Menschlichkeit ist". Die CJA könne nicht verstehen, "wie der Vatikan seine Rehabilitierung und die Absage an den Antisemitismus moralisch miteinander vereinbaren kann." (bz)

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punkt.ch 5.2.09

Papst Benedikt XVI.

Schweizer Juden besorgt

Die Aufregung über den Papst lässt nicht nach. Seit Benedikt XVI. einen Holocaust-Leugner rehabilitiert hat, machen sich auch die Schweizer Juden Sorgen um den religiösen Frieden. Wenn die katholische Kirche Holocaust-Leugner dulde, werde der Dialog mit ihr zur Farce, heisst es etwa.
Unterdessen versucht der Vatikan, den Papst aus dem Schussfeld zu nehmen. Der Pontifex sei Opfer einer Verschwörung geworden, hiess es. Gleichzeitig aber forderte Rom Holocaust-Leugner Richard Williamson auf, seinen Aussagen abzuschwören. seite 4

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Papst-Debatte: Schweizer Juden sind in Aufruhr

Benedikt XVI. und die unsägliche Rehabilitierung eines Holocaust-Leugners. Die Schweizer Juden fürchten um den religiösen Frieden.

Schon von Amtes wegen befasst sich Herbert Winter mit dem Verhältnis Katholiken - Juden. Winter ist Präsident des Israelitischen Gemeindebu nde s (SIG). Und er macht sich Sorgen.
Seit der Papst Holocaust-Leugner Richard Williamson rehabilitiert hat, sieht Winter den Dialog der Religionen gefährdet. Gelinde gesagt.
Auch die katholische Basis ist unzufrieden mit dem Papst. Christen melden sich bei Winter, entschuldigen sich für Benedikt XVI. Das würde der Papst besser selber tun. Sich erklären, wie das die Kanzlerin Angela Merkel verlangt. Immerhin. Auch die Schweizer Bischofskonferenz hat die Holocaust-Leugnung verurteilt. "Eigentlich eine Selbstverständlichkeit ", sagt Winter. Im Interesse des religiösen Friedens wolle der SIG den Dialog mit der Bischofskonferenz weiterführen . "Wenn auch kritisch ", sagt Winter.
Als Leiter des Zürcher Lehrhauses fördert Michel Bollag den interreligiösen Austausch. Bollag sagt: "Der Dialog mit der katholischen Kirche wird zur Farce, wenn Deklarationen wie jene von Bischof Williamson gemacht werden."

Ohne jede Sensibilität

Offiziell will der Papst keinen Fehler eingestehen. Der Vatikan versucht glauben zu machen, der Pontifex sei Opfer einer Verschwörung. Aber: Holocaust- Leugner Williamson wurde gestern aufgefordert, seine Aussagen zu widerrufen.
Doch der Schaden ist da. Yves Kugelmann, Chefredaktor der jüdischen Zeitung "Tacheles ", sagt: "Der Papst handelt ohne jede Sensibilität". Gerade die Kirche habe eine Verantwortung, weil sie half, antijüdische Stereotypen in der Gesellschaft zu implementieren. "Holocaust-Leugnung ist ein Straftatbestand und die Kirche darf sich da nicht zum Komplizen machen." (blu)

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20min.ch 5.2.09

Holocaust-Debatte

Bischöfe begrüssen Aufruf des Vatikans

Die Schweizerische Bischofskonferenz (SBK) begüsst die Forderung des Vatikans an den erzkonservativen Bischof Richard Williamson, seine Äusserungen zum Holocaust zu widerrufen.

Wie SBK-Sprecher Walter Müller am Donnerstag gegenüber "Heute Morgen" von Radio DRS erklärte, habe der Vatikan mit seiner Erklärung "noch einmal Klarheit schaffen können über Dinge, die der Vatikan schon einmal gesagt hatte".

Der Vatikan habe offensichtlich ein Problem, eine Sprache zu sprechen, die gehört werde. Mit der Erklärung aus Rom sei man nun einen Schritt weiter. Die Reaktionen der Gläubigen in der Schweiz gingen von Lob bis zu Drohungen des Kirchenaustrittes, sagte Müller weiter. Es gebe aber mehr Kritik.

Nach tagelangem öffentlichem Druck hatte der Vatikan Bischof Williamson aufgefordert, sich "eindeutig und öffentlich" von seinen Äusserungen zu distanzieren. Wie das Staatssekretariat des Vatikans am Mittwoch mitteilte, muss er die Leugnung widerrufen, bevor er als Bischof wieder eingesetzt werden kann.

Williamson hatte in einem Interview mit dem schwedischen Fernsehen gesagt, er denke, dass "200 000 bis 300 000 Juden in den Konzentrationslagern gestorben" seien, aber "nicht ein einziger von ihnen in Gaskammern".
Quelle: SDA/ATS

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20min.ch 5.2.09

Vatikan in der Defensive

Kritik am Papst reisst nicht ab

Nach langem Schweigen hat Benedikt XVI. den Holocaust-Leugner Williamson endlich zum Widerruf aufgefordert. Doch das reicht nicht, meinen Kritiker.

Die Kritik an Papst Benedikt XVI. reisst nicht ab: Die Aufforderung des Kirchenoberhaupts vom Mittwoch an Bischof Richard Williamson, sich von seinen Äusserungen zum Holocaust zu distanzieren, reicht nach Ansicht des Zentralrats der Juden und zahlreicher Geistlicher nicht aus. Vielmehr müsse der Vatikan sich vollständig von den ultrakonservativen Pius-Brüdern abwenden, zu denen auch Williamson gehört, erklärte etwa Zentralrats-Generalsekretär Stephan Kramer.

Kramer erklärte bei handelsblatt.com, mit einer Kirche, der auch die Bruderschaft angehöre, könne es von Seiten der Juden keinen partnerschaftlichen Dialog geben. "Der Papst muss sich entscheiden, auf welcher Hochzeit er tanzen will", sagte der Zentralrats-Generalsekretär.

Entweder stehe Benedikt XVI. für die Kirche der Aufklärung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil oder für die Kirche des Traditionalismus mit den Pius-Brüdern. "Beides geht nicht", sagte Kramer. Es stehe zu befürchten, dass der Papst einen Kurswechsel der gesamten Kirche hin zum Fundamentalismus vollziehen wolle "auch unter Inkaufnahme hoher Verluste bei liberalen katholischen Kirchenmitgliedern".

Huber besorgt über Ökumene

Die evangelische Kirche in Deutschland (EKD) äusserte sich besorgt um die Zukunft der Ökumene. Die Leugnung des Holocausts durch Williamson, die man überhaupt nicht verharmlosen dürfe, sei "bei weitem nicht das einzige Problem, das wir in diesem Zusammenhang zu bedenken haben", sagte der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Wolfgang Huber im Bayerischen Rundfunk.

Jeder wisse, dass die Pius-Bruderschaft das Zweite Vatikanische Konzil und das "Kirche sein" aller anderen christlichen Kirchen weit radikaler leugne als das in päpstlichen Äusserungen in letzter Zeit der Fall gewesen sei, sagte Huber. Im aktuellen Dekret des Vatikans werde eine Änderung dieser Haltung jedoch nicht verlangt.

Der Braunschweiger Landesbischof Friedrich Weber kritisierte im ARD-Morgenmagazin, dass der Papst die Generalaudienz am Mittwoch nicht zum Anlass genommen habe, sich persönlich zur Holocaust-Leugnung zu äussern. "Das wäre ein deutliches Signal gewesen, dass der Papst zu den Ergebnissen des zweiten Vatikanums steht. Vor allen Dingen zu der Grundüberzeugung, die die katholische Kirche und ich denke jeder Christ teilen, dass es keinen Antisemitismus geben darf und dass der mit dem christlichen Glauben unvereinbar ist", sagte der evangelische Geistliche.

Deutliche Worte des Papstes "früher gewünscht"

Der St. Galler Bischof Markus Büchel begrüsst die deutlichen Worte Papst Benedikts XVI. an Williamson. Er hätte sich die Aufforderung zum Widerruf allerdings "früher gewünscht".

Büchel und die Bistumsleitung äusserten sich am Donnerstag in einem offenen Brief kritisch zur Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der erzkonservativen Pius- Bruderschaft und zur "unsäglichen Leugnung des Holocaust durch den Lefebvre-Bischof Richard Williamson".
Man erwarte, dass die Bischöfe und Priester der Pius- Bruderschaft glaubwürdig zum Zweiten Vatikanischen Konzil bekennten, insbesondere zur positiven Einstellung zum Judentum, wie sie in der Erklärung "Nostra aetate" festgeschrieben sei.

Marx nimmt Papst gegen Merkel-Kritik in Schutz

Derweil nahm der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Marx, Papst Benedikt XVI. gegen die Kritik von Kanzlerin Angela Merkel in Schutz. Merkel hatte den Papst aufgefordert, sich deutlich von Williamson zu distanzieren. "Mich hat diese Äusserung gewundert", sagte Marx der "Süddeutschen Zeitung" und fügte an: "Der Papst hat deutlich Stellung genommen gegen jede Leugnung des Holocaust. Er hat klargemacht, dass Antisemitismus bei uns in der Kirche keinen Platz hat. Meiner Ansicht nach ist damit alles gesagt."

Der CDU-Politiker Georg Brunnhuber sagte der "Financial Times Deutschland", im Vatikan sei man über die Diskussion in Deutschland entsetzt. "Es herrscht der Eindruck, dass alle antikatholischen Ressentiments, die in Deutschland schlummern, jetzt an die Oberfläche kommen", wurde Brunnhuber zitiert.

(AP/SDA)

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Info-Box

Priesterbruderschaft St. Pius X.

Die Bruderschaft hat ihre Zentrale seit 1971 in Ecône im Unterwallis; der offizielle Sitz befindet sich in Menzingen ZG. Gegründet wurde die Bruderschaft Ende der 1960er Jahre vom französischen Erzbischof Marcel Lefebvre.

Der Grund für die Abspaltung vom Vatikan und die Exkommunikation der Geistlichen 1988 war, dass der 1991 gestorbene Lefebvre und seine Anhänger die Kirchenreformen des Zweiten Vatikanischen Konzils der 1960er Jahre ablehnten. Die Traditionalisten, die die Messe im lateinischen Ritus feiern, vertreten ein antiliberales Weltbild, das sich an der Zeit des Ancien Régime (vor der Französischen Revolution von 1789) orientiert.

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WoZ 5.2.09

Türkei-Israels Kriegspolitik im Gazastreifen stösst in der türkischen Bevölkerung auf grosse Ablehnung. Das ruft auch AntisemitInnen auf den Plan.

Spiel mit dem Feuer

Jetzt werden sich die Juden rächen, mutmassen türkische Zeitungen. Nach der heftigen Kritik des türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan am Vorgehen des israelischen Militärs im Gazastreifen werden die TouristInnen aus Israel ausbleiben, fürchten die einen. Die Buchungen von Türkeireisen seien in den letzten Wochen in Israel um bis zu siebzig Prozent gesunken. Dabei war die Türkei bislang eines der beliebtesten Urlaubsziele der Israelis. Andere glauben, dass nun die jüdische Lobby in den USA auf eine Resolution im Kongress drängen wird, in der Ankara wegen des Völkermordes an den ArmenierInnen Anfang des 20. Jahrhunderts verurteilt werden soll.

Fünf jüdische Organisationen unter Federführung des American Jewish Committee (AJC) haben inzwischen einen offenen Brief an Tayyip Erdogan geschrieben, in dem sie ihn auffordern, gegen den zunehmenden Antisemitismus in seinem Land vorzugehen. Auch der Radiosender des israelischen Militärs berichtet von Antisemitismus am Bosporus: JüdInnen würde der Zugang zu türkischen Hotels verwehrt.

Auf den landesweiten Demonstrationen in der Türkei gegen die Einsätze des israelischen Militärs im Gazastreifen waren antisemitische Parolen tatsächlich keine Seltenheit. Am Geschäft eines Juden nahe der Istanbuler Universität sei ein Schild angebracht worden: "Kauft hier nicht ein - solange der Laden einem Juden gehört!", beklagt sich das AJC in Ankara.

Erdogans Nahoststrategie

Erdogan verfolgt mit seiner Israelkritik zwei Ziele: Zum einen will sich Ankara in seiner Rolle als Regionalmacht zum neuen Sprecher der arabischen Welt im Nahostkonflikt aufschwingen. Vor allem aber liess wohl der Blick auf die Kommunalwahlen im kommenden Monat den Ministerpräsidenten zum lautstarken Verteidiger der Sache der PalästinenserInnen im Gazastreifen werden. Umfragen im Auftrag seiner Partei, der AKP, bestätigen ihm: Über neunzig Prozent der TürkInnen sympathisieren mit den PalästinenserInnen - und nur ein Prozent sehen sich an der Seite Israels. Das Erziehungsministe rium liess denn auch während des Gaza­konfliktes täglich alle SchülerInnen an den öffentlichen Schulen zu einer Schweigeminute für die Opfer der israelischen Aggression antreten. Erdogan erklärte Israel zum Hauptschuldigen an der Eskalation des Konfliktes. Für seinen Justizminister Mehmet Sahin ist das Land gar der "grösste Provokateur des internationalen Terrorismus". Fast drei Viertel der türkischen Wähler Innen halten solche scharfen Sprüche für angemessen. Doch es ist ein Spiel mit dem Feuer. Niemand weiss, ob damit nicht auch viele antisemitische Geis ter geweckt werden.

Offenes Konstantinopel

Antisemitismus war am Bosporus viele Jahrhunderte ein Fremdwort. Juden und Jüdinnen gab es hier schon im vierten Jahrhundert vor Christus. Die jüdische Gemeinde wuchs vor allem unmittelbar nach der Eroberung Konstantinopels durch Sultan Mehmet II. Mitte des 15. Jahrhunderts. In Spanien hatte damals der König seine jüdischen UntertanInnen vor die Alternative gestellt, entweder zum christlichen Glauben überzutreten oder das Land zu verlassen. Der osmanische Sultan Bayezit II. dagegen lud die Vertriebenen nach Konstantinopel ein. Für ihn waren die Juden so etwas wie Teil eines Konjunkturprogrammes für die Stadt. Er benötigte Händler und Handwerker für den Wiederaufbau Konstantinopels - und viele JüdInnen zogen an den Bos porus.

Eine "Judenfrage" gab es - im Gegensatz zur "Griechenfrage", der "Armenierfrage" oder der "Kurdenfrage" - bislang nie in der Türkei. Dann, 2003, töteten islamistische Terroristen mit Bombenanschlägen auf zwei Synagogen in Istanbul 24 Menschen und verletzten 250 weitere. Seither warnen Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Istanbul wie der erfolgreiche Geschäftsmann Ischak Alaton vor Antisemitismus auch in der Türkei.

Bekannte Muster

Alaton verweist auf eine ansonsten liberale Zeitung, die vor einiger Zeit von einem "Garnhändler und Wucherer mosaischer Herkunft" und einem "im Ausland flüchtigen jüdischen Geschäftsmann" berichtete. Unvergessen ist auch die "Ehrung" eines ermordeten jüdischen Unternehmers durch einen türkischen Industriellen: "Er war Jude, aber er war ein guter Mensch."

Es gibt weitere Beispiele: Unliebsame Personen oder politische Gegner Innen werden neuerdings als "Kryptojuden" bezeichnet. Vor wenigen Tagen erst präsentierte sich der Vorstand eines Kulturvereins in der sehr westlich ausgerichteten StudentInnenstadt Eskisehir der Presse mit Schildern vor seinem Vereinshaus, auf denen stand: "Juden und Armenier haben hier keinen Zutritt - Hunde dürfen rein." Und vergangene Woche schliesslich wurde in Istanbul die Zelle einer islamistischen Organisation ausgehoben. In deren Unterkunft fand sich der Plan für einen Mordanschlag auf einen ortsansässigen Rabbi, wie die Zeitung "Hürriyet" berichtete.

Die türkische Regierung rudert inzwischen zurück, nicht zuletzt zurechtgewiesen vom Generalstab, der in einer knappen Erklärung versicherte, er habe keine Probleme mit Israel. Immerhin bezieht die türkische Armee israelische Rüstungsgüter im Wert von rund einer Milliarde US-Dollar. Nun hat das offizielle Ankara auch das Amt für Religionsangelegenheiten auf Trab gebracht. In einem ersten Schritt werden alle Imame im Land offiziell davor gewarnt, Reden zu halten, die als antisemitische Stimmungsmache verstanden werden könnten.

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RASSISMUS
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WoZ 5.2.09

Rassismus und Fremdenfeindlichkeit - Die Schweiz hat sich als Nation erschaffen, indem sie Minderheiten ausgegrenzt hat. Das prägt unser nationales Selbstverständnis bis heute. Wie ist dieser Mechanismus zu brechen?

"Anarchie überzieht uns"

Von Hans Ulrich Jost

Ich weiss, es ist banal, auf die Barbaren zurückzugreifen, um das Problem Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Ausgrenzung anzugehen. Dennoch ist diese alte Geschichte aufschlussreich, weil sie zeigt, wie unsere westliche Kultur bei der Suche nach ihrem Selbstverständnis schon in ihren Anfängen der Logik der Ausgrenzung verfiel.

In der Tat wurde der Begriff Barbar im alten Griechenland anfänglich nur zur Bezeichnung all jener Menschen eingesetzt, die nicht Griechisch sprachen. Sehr rasch fand jedoch insofern eine wertende Aufladung statt, als Barbar auch in abwertendem Sinne das kulturelle Gefälle in Bezug auf die griechische Zivilisation bezeichnete. Seither haben sich alle Zivilisa tionen, die sich gegenüber den andern, den Fremden, zu situieren versuchten, dieser Ausgrenzungsstrategie bedient.

Dieses Denkmuster ist auch den SchweizerInnen nicht fremd. Der Basler Historiker Jacob Burckhardt, viel gepriesen für seine Verteidigung des Humanismus, spricht vom "Königsrecht der Kultur zur Eroberung und Knechtung der Barbarei, welche nun blutige innere Kämpfe und scheussliche Gebräuche aufgeben und sich den allgemeinen sittlichen Normen des Kulturstaates fügen" müsse. Und Gonzague de Reynold, ein Freiburger Aristokrat und enger Berater von drei katholisch-konservativen Bundesräten, schrieb 1909: "Aber wir werden zudem auch noch von Barbaren überfallen […] Diese Slaven, diese Griechen, diese Südamerikaner, diese Orientalen sind alles grosse, unzivilisierte Kinder, die mit geschmacklosem Tand und grossem Luxus, mit nebulösen Philosophien, mit subversiven Ideen und mit moralischen und physischen Krankheiten zu uns kommen. Wenn wir nur stark genug wären, ihnen unsere Kultur aufzuzwingen! Aber nein: Sie sind es, die bei uns Propaganda machen, und was für eine und mit welchen Mitteln! Und die Anarchie überzieht unsere Städte. Das ‹Asylrecht› hatte seine Berechtigung zu einer Epoche, als man für die wesentlichsten Freiheitsrechte kämpfte - es ist heute zu einer Gefahr geworden." Man könnte diesen kleinen Text geradezu als Magna Charta jener seit einem Jahrhundert immer wieder aufkommenden fremdenfeindlichen, rassistischen und rechtsradikalen Bewegungen der Schweiz bezeichnen.

Juden, Zigeuner, Arbeiterinnen

Die wohl folgenreichste Instrumentalisierung von Ausgrenzung und Rassismus geschah - und geschieht heute leider wieder - im Namen der Nationalstaaten. Dabei ist wichtig, klarzustellen: Nation und Volk sind Fiktionen, mit denen sich in der Moderne Macht und Herrschaft organisierten. Nehmen wir uns zuerst das Problem "Volk" vor. Bei der konkreten Schaffung der Nationalstaaten ist es praktisch nie gelungen, das Volk einfach als die Gesamtheit der EinwohnerInnen eines Staatsgebietes zu organisieren und zu integrieren. Es fanden sich immer Minderheiten, die, aus welchen Gründen auch immer, formell oder informell ausgegrenzt und diskriminiert wurden. In der Schweiz waren dies 1848 die Juden und Jüdinnen. Die Bundesverfassung anerkannte bekanntlich nur Bürger christlicher Konfessio nen. Später kamen die ZigeunerInnen faktisch in eine ähnliche Lage.

Ähnliche Auswirkungen ergaben sich beim Aufbau der Nation. Die Nation rechnet von Anfang an mit Feinden. Feinde sind dabei nicht nur die AusländerInnen und die Fremden, sondern eben auch jene Bevölkerungsteile, die sich angeblich nicht loyal zum Staat verhalten. So diskriminierte man die sozialistische Arbeiterschaft jahrzehntelang als vaterlandslose Gesellen. Und wie wenn dies nicht genügt hätte, wurden die Sozialisten kriminalisiert, indem man sie mit den anarchistischen Attentaten in Verbindung brachte. Terrorismus war schon damals ein beliebtes Schlagwort zur Mobilisierung der Masse mit dem Ziel, Zustimmung zur vorherrschenden Politik und Loyalität gegen über dem Staat zu sichern.

"Ein gesondertes Volk Gottes"

Der deutsche Philosoph und Sozio loge Georg Simmel (1858-1918) hat in einem 1908 unter dem Titel "Der Streit" veröffentlichten Aufsatz einige interessante Überlegungen zur Frage von Ausgrenzung, Aggression und Konflikten vorgetragen. Folgende Gedanken sind dabei zentral: Erstens hat Simmel festgehalten, dass der Zusammenhalt einer Gruppe, das heisst der Aufbau gemeinsamer innerer Werte und Interessen, ein sehr schwieriger Prozess ist. Dasselbe Resultat wird leichter erreicht, wenn die Gruppe auf ein Feindbild hin gesteuert wird. Zweitens: Spannungen und Konflikte innerhalb einer Gruppe entladen sich oft nicht in Bezug auf die Ursache, sondern als Ersatzhandlung gegenüber einem sogenannten Sündenbock.

Solche Mechanismen findet man allenthalben in der Geschichte. Im Kampf der Freisinnigen für den Bundesstaat erwies sich beispielsweise die "Jesuiten hatz" als eine der erfolgreichsten Strategien zur Mobilisation der eigenen Anhängerschaft. "Hussa! Hussa! Die Hatz geht los!", hat selbst Gottfried Keller für ein massenhaft verteiltes antijesuitisches Flugblatt gedichtet. Und bei der Abstimmung zur neuen Bundesverfassung von 1874 hatte ein Aargauer Fabrikant eine lebensgrosse Jesuitenpuppe - an einem Galgen aufgehängt - von seinen Arbeitern durch die Stadt führen und verbrennen lassen.

In den Jahren der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kam es zur ersten Welle rechtsradikaler Bewegungen, bei denen Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisozialismus, ­Antisemitismus, Antifeminismus und Rassismus eine zentrale Rolle spielten. Der Erfolg solcher radikaler Bewegungen liegt nicht zuletzt in einer engen Wahlverwandtschaft zur vorherrschenden politischen Kultur. Um 1900 setzte sich auch in den gemäs sigten bürgerlichen Oberschichten ein nationales Selbstverständnis durch, das Ausgrenzungen oder Fremdenfeindlichkeit beförderte. So schrieb etwa der freisinnige Staatsrechtler und Publizist Carl Hilty 1897: "Die schweizerische Eidgenossenschaft ist nach unserer Auffassung ein von Gott gewolltes und mit einem ganz besonderen Berufe ausgestattetes staatliches Gebilde, ein gesondertes Volk Gottes." Ein Jahrhundert später hat Christoph Blocher eine ähnliche Wahnvorstellung vorgetragen, als er sagte: "Es ist nicht wichtig, ob ich an den lieben Gott glaube. Wichtig ist nur, ob der liebe Gott an mich glaubt."

Man kann die Strategie der Ausgrenzung in ihrer historischen Entwicklung bis zum heutigen Tage weiterverfolgen. Die Fichierung der politischen Opposition beispielsweise begann schon vor dem Ersten Weltkrieg. Der Arbeitgeberverband der schweizerischen Maschinen- und Metallindustriellen verfügte damals über eine Kartei mit 70 000 Eintragungen, die es möglich machte, gewerkschaftlich aktive Arbeiter zu isolieren und ihnen die Arbeitsmöglichkeit im ganzen Lande zu sperren. Die dann nach dem Zweiten Weltkrieg im Zeichen eines hysterischen Antikommunismus angefertigten Fichen der Bundespolizei führten zu ähnlichen Resultaten.

Antisemitismus nicht legitimieren

Ein Beispiel aus der jüngsten Zeit, das uns heute in starkem Masse beschäftigt, ist die Fremdenfeindlichkeit. Sie hatte 1970 zu einer heftig umstrittenen Abstimmung geführt, an der 46 Prozent der Stimmenden die fremdenfeindliche Initiative von James Schwarzenbach befürworteten. Von der SVP übernommen, bestimmt dieses Programm nun seit über dreissig Jahren die politische Agenda. Wie um 1900 verbindet sich diese Strategie mit einem Nationalismus, der sich kaum gewandelt hat. Ausserdem wird in gleichem Sinne wie vor hundert Jahren das Ausland als Barbarei verketzert. So hatte Christoph Blocher beispielsweise 1992 die Euro päische Union mit einem Schwall von abwertenden Assoziationen zu stigmatisieren versucht. Unter anderem, indem er sagte: "Anpassung ist das Gebot der Stunde. Man muss sich der gesteigerten Kriminalität anpassen. Man muss sich der misslichen Asylpolitik anpassen. Dann muss sich die Schweiz vor allem Europa anpassen."

Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Ausgrenzung sind tief im kulturellen Bewusstsein der heutigen Gesellschaft eingegraben. Das heisst nicht, dass es sich um quasi anthropologische Konstanten handelt. Kultur wird vom Menschen gemacht und ist veränderbar. Deshalb braucht es einen permanenten kritischen Einsatz in den öffentlichen Debatten, wobei es nicht nur darum geht, sich den Exzessen der Rechtsradikalen und NationalistInnen entgegenzustellen. Ebenso wichtig ist die Kritik des vorherrschenden kulturellen Verständnisses der gesellschaftlichen und politischen Eliten. Man darf einen latenten, sogenannt salonfähigen Antisemitismus oder andere Praktiken der Ausgrenzung nicht einfach damit entschuldigen, dass dies in einer bestimmten Epoche zum Gemeingut gehört habe. Dass General Henri Guisan offenbar auch antisemitische Vorurteile pflegte, versuchte man zu verniedlichen, indem man sie als allgemeine, damals weit verbreitete Zeiterscheinung banalisierte. Damit legitimierte man jedoch eine nicht akzeptierbare rassistische Haltung im Nachhinein. Und da es sich bei General Guisan um eine geradezu mythische nationale Leitfigur handelte, machte man aus dem Antisemitismus eine beinahe salonfähige Geisteshaltung.

Religion als Minenfeld

Nur mit einer wachen Kritik dieser sogenannt "gewöhnlichen" Haltungen in Bezug auf Ausgrenzung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus können die kulturellen Perspektiven einer Gesellschaft überprüft und, falls not wenig, verändert werden. Denn gerade mit einer zwiespältigen Haltung der selbst ernannten Meinungsmacher wird jene Grauzone geschaffen, in der sich die fremdenfeindlichen und rassistischen Gruppen erst richtig entfalten können.

Der Kampf gegen die Praktiken von Ausgrenzung und Rassismus hat aber auch seine Tücken. Wie verhält man sich, wenn eine gesamtgesellschaftlich diskriminierte Gruppe selber solche Ausgrenzungen, und dies vielleicht in radikaler Weise, praktiziert? Vor diesem Problem stehen wir beispielsweise bei der Frage der Minarette. Kann man sich für diese Sache einsetzen, wenn die betreffende Gemeinschaft selbst schwer tolerierbare Diskriminierungen, beispielsweise den Frauen gegenüber, pflegt?

Wir befinden uns hier im Minenfeld der Religionen und der Glaubensfreiheit. Persönlich bin ich der Ansicht - und meine historischen Studien haben mich diesbezüglich bestätigt - dass man Religionen insgesamt eher mit Skepsis begegnen sollte. Betrachtet man die gesellschaftliche und politische Praxis der Religionen in der Geschichte, so stellt man fest, dass deren im Glauben verwurzelter Wahrheitsanspruch nicht selten zu aggressiven Ausgrenzungen der sogenannt Nichtgläubigen, zu blutigen Kriegen und Massakern geführt hat. Und Amerikas Gesellschaft, die heute mit einer Kirche auf rund 900 EinwohnerInnen die grösste Dichte an Religionsstätten hat, brilliert nicht gerade mit einer konflikt- und gewaltfreien Gesellschaft. Auch wenn Religionen zum innersten Gehalt von Kulturen zählen, kann man diese nicht ausnahmslos als humane Errungenschaft der Gesellschaft akzeptieren.

Allerdings sollte man in dieser heiklen Situation nicht mit Aggression und Ausgrenzung vorgehen, sondern versuchen, mit einem kritischen Dialog den nicht akzeptierbaren Haltungen ent gegenzutreten. Unser Problem ist, dass wir selbst immer wieder, ohne dass wir es wirklich realisieren, der Barbarei verfallen. So wie die Griechen die Barbaren zu Sklaven machten, so unterwirft heute die kapitalistische Weltordnung die Erwerbstätigen dem Profitstreben. Dabei werden Arbeitslosigkeit und Verarmung - und damit auch gnadenlose gesellschaftliche Ausgrenzungen - bewusst in Kauf genommen.

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Hans Ulrich Jost

Fremdenfeindlichkeit ist wieder einmal aktuell: Die erweiterte Personenfreizügigkeit wird mit rassis tischen Argumenten bekämpft, und im März wird das Parlament über die Minarettverbotsinitiative debattieren. Der Text auf dieser Seite basiert auf einem Referat, das der Lausanner Historiker Hans Ulrich Jost im November 2008 an einer Tagung von Amnesty International und den Demokratischen Jurist Innen gehalten hat.


Mehr historische Hintergrundinfor mationen zum Thema sind zu finden in:

Hans Ulrich Jost: "Die reaktionäre Avantgarde. Die Geburt der neuen Rechten in der Schweiz um 1900". Chronos Verlag. Zürich 1992. 176 Seiten. 36 Franken.

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BIG BROTHER GOOGLE
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punkt. 5.2.09

Ab sofort nimmt Google die Seitenspringer an die Leine

Der Dienst ortet jeden Handy-Nutzer, den man will - Paartherapeut Klaus Heer sieht die Affäre vor dem Aus

Wissen Sie, ob Ihre Frau wirklich beim Coiffeur ist? Sind Sie sicher, dass Ihr Mann tatsächlich Überstunden macht?
Google zeigts Ihnen! Direkt auf dem Handy.
Der Suchmaschinengigant hat gestern seinen neuen Dienst "Latitude" lanciert. Dieser macht das Fremdgehen zwar nicht unmöglich. Aber viel, viel riskanter. Denn "Latitude " zeigt auf dem Handy den Standort von allen Leuten an, die einem nahestehen - oder weiterhin nahestehen sollen.

Liebesfalle Handy

"Im Szenario des Misstrauens stellt der neue Google-Dienst fürs Handy eine Perfektion dar", sagt Paartherapeut Klaus Heer. Das Handy ist das häufigste Hilfsmittel beim Fremdgehen, etwa für heimliche Verabredungen. Aber es ist auch der häufigste Grund dafür, dass Fremdgehen auffliegt. "Das Handy ist ein offen zugängliches Spiegelbild des Lebens ", sagt Heer. "Die meisten Leute haben wenig Skrupel, das Partner- Handy durchzusehen, wenn es unbeaufsichtigt herumliegt." Doch mit dem neuen Google- Dienst wird das Handy noch gefährlicher. Denn mit "Latitude " kann man sich "per Handy gegenseitig überwachen und gegebenenfalls sogar überführen", sagt Heer. So funktioniert der Google- Dienst "Latitude" seite 7  

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Google weiss, wo sich Ihre Freunde befi nden

Der neue Google-Dienst Latitude zeigt die Position befreundeter Handy-Nutzer

Google hat gestern seinen Karten- Dienst Google Maps um die neue Funktion Latitude erweitert. Über das Google-Konto aktiviert, kann man Freunde einladen und wenn diese akzeptieren, erscheint deren Profilbild auf der Google-Karte im Handy-Display. So weiss man schnell, welche Freunde sich in der Nähe befinden. Und will man sich spontan verabreden, liefert Latitude die Wegbeschreibung zu deren Standort.

Datenschutzbedenken

"Aus der Sicht des Datenschutzes ist wesentlich, dass alle Beteiligten freiwillig der Nutzung des Google-Dienstes Latitude einwilligen", sagt Bruno Baeriswyl, Präsident der Vereinigung der schweizerischen Datenschutzbeauftragten. Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes will Google zerstreuen: "Bei Google Latitude hat der Nutzer die volle Kontrolle darüber, ob und wem er seinen Standort mitteilen möchte", sagt Google-Sprecher Matthias Meyer. So kann man beispielsweise für jeden seiner Kontakte individuell einstellen, wie viele Informationen dieser sehen kann.
Google Latitude steht ab sofort kostenlos für die meisten BlackBerry-Handys und für Mobiltelefone zur Verfügung, die Windows Mobile 5.0 oder Symbian S60 nutzen. In Kürze soll der Dienst auch auf dem iPhone funktionieren.
www.google.ch/latitude
bartosz.wilczek@punkt.ch

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ANTI-ATOM
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20min.ch 4.2.09

Mühleberg

Risse am AKW immer länger und tiefer

Die Risse im AKW Mühleberg sind offenbar viel länger und tiefer als noch vor zehn Jahren. Doch die Eidgenössische Aufsichtsbehörde sagt, dass diese die Sicherheit des AKWs nicht beeinflussen.

Insgesamt neun Risse zieren die am stärksten betroffene Schweissnaht der Reaktorhülle des Kernkraftwerks Mühleberg. Der längste ist 91 Zentimeter lang, der tiefste 2,4 Zentimeter tief. Das sind mehr als zwei Drittel der 3,1 Zentimeter dicken Wand, wie der "Beobachter" schreibt.

Diese Zahlen stammen aus einem unveröffentlichten Sicherheitsbericht aus dem Jahr 2007, der der Zeitschrift vorliegt. Publizieren wollte die Betreiberin des Atomkraftwerks, die BKW, den Sicherheitsbericht jedoch nicht.

Erstaunlich, da der letzte Bericht anscheinend noch öffentlich zugänglich war. Bei der BKW wollte man gegenüber 20 Minuten keine Stellung nehmen. Die Risse im Atomkraftwerk wurden vor 20 Jahren entdeckt und in den Neunzigerjahren entsprechend saniert. Nur werden die Risse laut "Beobachter" trotzdem immer länger: Vor zehn Jahren waren die Risse erst halb so lang wie heute.

Derzeit wartet das fast 40-jährige AKW Mühleberg auf eine unbefristete Betriebsbewilligung vom Bund. Diese könnte in den nächsten Monaten erteilt werden. Die besorgten Anwohner des Kernkraftwerks verlangen nun komplette Akteneinsicht.

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beobachter.ch 03/09 6.2.09

AKW

Von Rissen darf keiner wissen

Text: Otto Hostettler

Die Risse im Kernmantel des bald 40-jährigen AKW Mühleberg werden immer grösser. Trotzdem will man eine unbefristete Betriebsbewilligung - und hält die Sicherheitsberichte unter dem Deckel.

 massgebliche Sicherheitsfragen des Atomkraftwerks Mühleberg. Obschon sie für das fast 40-jährige AKW derzeit vom Bund eine unbefristete Betriebsbewilligung verlangt, bleibt ein umfassender Sicherheits bericht unter Verschluss. Eigenartig: Der letzte solche Bericht ("SIB 89") war noch öffentlich, genauso wie die entsprechenden Berichte anderer Schweizer Atomanlagen.

Dabei birgt eine vertrauliche Expertise  der BKW von 2007, die dem Beobachter vorliegt, brisante Details zu den Rissen an den Schweissnähten des Kernmantels. Diese waren vor bald 20 Jahren entdeckt worden. In einer aufwendigen Reparatur wurden Mitte der neunziger Jahre vier Zuganker als Klammern um den Kernmantel gebaut. Als die BKW vor zehn Jahren eine unbefristete Bewilligung verlangte (und nur eine befristete erhielt), liess Bundesrat Moritz Leuenberger bei der deutschen Prüfanstalt TÜV eine Expertise über mögliche Folgen der Risse erstellen. Der TÜV kam - damals - zum Schluss, die Risse seien kein Sicherheitsrisiko.

Den riesigen Klam mern zum Trotz - der 157 Seiten starke vertrauliche BKW-Bericht belegt das Ausmass einer beunruhigenden Entwick lung: Die am stärksten betroffene hori zon tale Schweissnaht Nummer elf weist inzwischen neun Risse auf, die sich gesamthaft über 2,4 Meter erstrecken - also fast über einen Viertel des Umfangs des Kernmantels.

Der längste dieser Risse misst 91 Zentimeter. Vor zehn Jahren war der längste noch 48 Zentimeter lang, die Gesamtlänge aller Risse nicht einmal halb so gross wie heute. Der tiefste Spalt misst gemäss der nie ver öffentlichten Expertise 2,4 Zentimeter. Er durchdringt die 3,1 Zentimeter dicke Wand des Kernmantels um mehr als zwei Drittel.
Anzeige:

Ein Blechteil fällt in den Reaktorkern

 Nuklearsicherheitsinspektorat) hält in ihrem Jahresbericht summarisch fest, die Risse hätten "keinen Ein fluss auf den sicheren Betrieb der Anlage".

Doch im AKW Mühleberg gibt es noch andere Probleme. Auch an der Kernsprüh leitung sind Risse aufgetaucht. Und aus der Pendenzenliste der Aufsichts behörde geht hervor, dass sogar der Ablauf der Morgen sitzung im AKW zu wünschen übrig lässt.

Die Hintergründe der Vorfälle im AKW muss man sich aus den verschiedenen Publikationen der Aufsichtsbehörde zusammentragen: So ereignete sich beispielsweise während der Jahresrevision im August 2007 bei der sogenannten Brennelement-Wechselmaschine (einer Art Kran im Reaktorgebäude) eine denkwürdige Panne. Bei einem Test öffnete sich fälschlicherweise ein Greifer, so dass ein Kasten mit gebrauchten Brennelementen auf den Boden des Brennelement beckens "abrutschte". Im Aufsichtsbericht heisst es dazu lapidar, zwei Luftschläuche seien vertauscht angeschlossen - und das Versehen bei der Funktionskontrolle über sehen worden.

Wenige Tage später Phase zwei im Wechselmaschinendebakel: Das frisch sanierte Gerät wird über dem offenen Reaktor ausprobiert. Just zum Zeitpunkt, da mit dem Kran die Brennelemente in den Reaktorkern eingesetzt werden, löst sich ein Blechteil von der Maschine - das gute Stück entschwindet im Reaktorkern. Im Aufsichtsbericht heisst es beschwichtigend: "Das Teil konnte nicht geborgen werden. Es wurde jedoch nach gewiesen, dass der Verlust dieses Kleinteils die Sicherheit der Anlage nicht gefährdet."

Sabotageschutz und andere Geheimnisse

Über die Sicherheit von Mühleberg ist ausser den gebetsmühlenartigen Äusserungen, das Werk erfülle alle sicherheitsrelevanten Anforderungen, wenig zu erfahren. Die sogenannte periodische Sicherheits überprüfung (PSÜ), die eine sicherheitstechnische Gesamtschau über das AKW aufzeigen soll und die die BKW auf Geheiss der Aufsichtsbehörde für das Bewilligungsverfahren schon vor drei Jahren erstellen musste, rückt die BKW nicht heraus - angeblich aus Gründen des Sabotageschutzes. "Zudem unterliegen diese Dokumente dem Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnis", behauptet BKW-Sprecher Sebastian Vogler.

Anwohner des AKW verlangen nun vor Bundesverwaltungsgericht die Herausgabe der Akten. Jürg Joss, Aktivist von Fokus Anti-Atom und unermüdlicher Kritiker von Mühle berg: "Es ist offensichtlich, dass die BKW mit Investitionen in die Sicherheit zuwartet, weil sie nicht weiss, wie lange Mühleberg noch betrieben werden kann. Ich finde diese ökonomische Abwägung angesichts des Risikos fatal." Der Basler SP-Nationalrat und Atomkritiker Rudolf Rechsteiner doppelt nach: "Ich finde diese Geheimniskrämerei angesichts der Risiken vollkommen verfehlt."

Während der Sicherheitsbericht vorderhand unter dem Deckel bleibt, ist die Stellungnahme der Aufsichtsbehörde Ensi dazu im Internet nachzulesen. Gemäss dieser muss die BKW eine ganze Reihe sicherheitstechnischer Analysen und Konzepte nachliefern, um die Folgen möglicher Hochwasser, Brände, Erdbeben oder Flugzeugabstürze abzuschätzen.

Zu spät für den Entscheid des Bundes

Etliche dieser Hausaufgaben muss die BKW erst Ende 2009 oder noch später erledigen. Das Sicherheitskonzept für den rissigen Kernmantel etwa muss sie erst bis Ende 2010 überarbeiten. Eigenartig: Bis die Betreiberin damit ihren Sicherheitsbericht vervollständigt hat, dürfte der Bund die Betriebsbewilligung längst erneuert haben. Entscheiden wird das Bundesamt für Energie nämlich bereits in den kommenden Monaten.

Unabhängig davon führt die Aufsichts behörde ihre Pendenzenliste weiter. Was die BKW noch nicht erledigt hat, war darin bisher mit  "offen" bezeichnet. Neuerdings hat die Kontrollbehörde für diese Rubrik aber eine neue Bezeichnung gefunden: Sie heisst jetzt "in Bearbeitung" - was nicht ganz so nachlässig klingt.

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Artikel zum Thema (Ausgabe: 18/08):
Atomkraftwerke: Die Kosten werden schöngerechnet
http://www.beobachter.ch/konsum/technologien/artikel/die-kosten-werden-schoengerechnet/
Heinz Karrer: "Unsere finanzielle Lage ist solide"
http://www.beobachter.ch/konsum/technologien/artikel/unsere-finanzielle-lage-ist-solide-1/