MEDIENSPIEGEL 5.3.09
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Kino, DS)
- Pnos: Kundgebung am Rand statt Demo
- Razzia BE: Rückblick in der WoZ
- Payerne-Fröntler
- Vor der Progr-Debatte im Stadtrat
- Bewaffnete Bahnpolizei mit weniger Zwangsmitteln
- ZH: Alltagsprobleme der Uniformierten
- Anti-WTO 2003: Paintball-Flic freigesprochen
- GE: Tränengas gegen Roma
- Biometrie-ID kommt schleichend
- Gemeinderat zur Asyl- und Ausländergesetz-Revision
- Heiratsverbot für Sans-Papiers
- Stadtrats-Debatte 12.3.09 zur Burgergemeinde
- Braunburger-Aufarbeitung
- Anti-Atom: AKW Mühleberg + Italiens Atomzukunft

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REITSCHULE
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PROGRAMM:

Mi 04.03.09
19.00 Uhr - SousLePont - Balkan Spezialitäten
19.30 Uhr - Grosse Halle - Blinde Insel, Küche: Eventmakers mit Texten von Grazia Pergoletti "FEVER"
20.30 Uhr - Tojo - Rock and Roll ist hier zum stehn, von Kumpane. Beyeler/Beyeler.

Do 05.03.09
19.30 Uhr - Grosse Halle - Blinde Insel, Küche: Eventmakers mit Texten von Grazia Pergoletti "FEVER"
19.30 Uhr - Kino - Filmreihe Intersexualität: Einführung zum Thema Intersexualität durch die Sozialwissenschafterin Kathrin Zehnder danach: Die Katze wäre eher ein Vogel ..., M. Jilg, Deutschland 2007. Mit anschliessender Diskussion

Fr 06.03.09
19.30 Uhr - Grosse Halle - Blinde Insel, Küche: Eventmakers mit Texten von Grazia Pergoletti "FEVER"
20.30 Uhr - Tojo - Rock and Roll ist hier zum stehn, von Kumpane. Beyeler/Beyeler.
21.00 Uhr - Kino - Filmreihe Intersexualität: Das verordnete Geschlecht, O. Tolmein und B. Rothermund, Deutschland 2001
22.15 Uhr - Kino - Filmreihe Intersexualität: Die Katze wäre eher ein Vogel ..., M. Jilg, Deutschland 2007
23.00 Uhr - Dachstock - Exploited Label-Tour feat. Shir Khan, Malente, Dex aka Daniel Dexter (DE) Krunked up/Banging Bastard-Electro-House-Techno

Sa 07.03.09
14.00 Uhr - Frauenraum - AMIE - Frauenkleidertauschbörse
19.30 Uhr - Grosse Halle - Blinde Insel, Küche: Eventmakers mit Texten von Grazia Pergoletti "FEVER"
20.30 Uhr - Tojo - Rock and Roll ist hier zum stehn, von Kumpane. Beyeler/Beyeler.
21.00 Uhr - Kino - Filmreihe Intersexualität: Erik(A) - Der Mann der Weltmeisterin wurde, K. Mayer, Österreich 2005
22.00 Uhr - SousLePont - T.V. Smith (GB) & DJ‘s - Punkrock
23.00 Uhr - Dachstock - Diskoquake: Yo! Majesty (US), Support: Dels (GB) & DJ's Radiorifle -Club/Rap/Elektro

So 08.03.09
20.00 Uhr - Frauenraum - Sex am Sonntag (mit Barbetrieb ab 19.00 Uhr): THE NAKED FEMINIST von Louisa Achille, USA, 2004; one night stand von Emily Jouvet, F. 2006

Infos: www.reitschule.ch

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WoZ 5.3.09

Intersexualität

Ob es ein Mädchen oder ein Junge wird, wissen viele Eltern schon, bevor das kleine Wesen auf der Welt ist. So wird es, noch ungeboren, in unser duales Geschlechtersystem eingeordnet. Doch immer wieder kommen Kinder zur Welt, die biologisch weder dem einen noch dem anderen Geschlecht zugeteilt werden können. Das verunsichert die Gesellschaft, und meist werden diese Kinder, noch bevor sie selber entscheiden können, operativ einem Geschlecht zugeordnet.

Im Kino in der Reitschule wird eine Reihe von Filmen gezeigt, die sich mit dem Thema Intersexualität auseinandersetzen. Zu sehen ist unter anderem der eindrückliche Spielfilm "XXY" (2007) der argentinischen Regisseurin Lucía Puenzo (siehe WOZ Nr. 8/09) oder der Dokumentarfilm "Erik(A) - der Mann, der Weltmeisterin wurde" (2005) von Kurt Mayer. Darin erzählt Erik Schinegger, der 1966 als Bauernmädchen Erika für Österreich den Weltmeistertitel in der Abfahrt holte, von seinem Leben. süs

Filmreihe Intersexualität in: Bern Kino in der Reitschule, Do, 5. bis Sa, 28. März. Do, 5. März, 19.30 Uhr: Einführung von Kathrin Zehnder, Sozialwissenschaft­lerin. www.reitschule.ch

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Bund 5.3.09

Yo! Majesty

Beastie Girls

Würde man ein Gefühl wie Wut irgendwie konservieren wollen, dann am besten so, wie es das amerikanische Frauenduo Yo!Majesty in seinem Elektro-Rap tut. Gegen Machismo und Chauvi-Hip-Hop schreien Shunda K und Jwl. B an - und bleiben dabei in Partylaune. Die beiden pressen ihre feministische Botschaft nämlich in richtig spannende Musik: Ihr Hochleistungsrap erinnert an andere Wilde im Musikbusiness und kreuzt Beastie-Boys-Punk mit Salt-'n'-Pepa-Schnoddrigkeit und dem Elektro-Furor von Basement Jaxx, die für Yo!Majesty einen Song produziert haben. (reg)

Dachstock Reitschule
Samstag, 7. März, 23 Uhr.

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PNOS-KUNDGEBUNG
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Indymedia 5.3.09

08.03.09 - 13.30 - Pnos Aufmarsch in Burgdorf verhindern!

AutorIn : antifa         

Am 08. März will die Partei national orientierter Schweizer "für Meinungsfreiheit und gegen die Antirassismusstrafnorm demonstrieren.
Die Laufdemonstration wurde inzwischen wegen der breiten Gegenmobilisierung verboten. Jedoch darf die Pnos laut Stadtregierung dennoch demonstrieren. Nämlich auf der Burgdorfer Schützenmatte. Und: Pnosvertreter Markus Martig gibt in der der Berner Zeitung vom 05.03.09 bekannt: "wir werden trotzdem marschieren."

Die Mobilisierung bleibt aufrecht erhalten. Auf nach Burgdorf! Verhindern wir gemeinsam diesen braunen Aufmarsch!

Spätestens 13.30 Uhr in Burgdorf: Nazi-Aufmarsch verhindern!
    
    
Karte von Burgdorf, inkl. Schützenmatte:
http://maps.google.ch/maps?f=q&source=s_q&hl=de&geocode=&q=sch%C3%BCtzenmatte+burgdorf&sll=46.362093,9.036255&sspn=4.617027,9.887695&ie=UTF8&ll=47.059057,7.625821&spn=0.008902,0.019312&t=h&z=16&iwloc=C

Link zum Flyer:
 http://ch.indymedia.org/media/2009/02//67448.pdf

Link zum Plaki:
 http://ch.indymedia.org/media/2009/02//67449.pdf


Kein Heimspiel für Nazis! Courage gegen Rechts!

Am 8. März 2009 möchte sich, mit dem Okay der Behörden, ein Gruselkabinett durch Burgdorf BE bewegen: Die Neonazis der PNOS wollen für die Abschaffung einer Strafnorm demonstrieren, gegen welche sie regelmässig verstossen: das Antirassismusgesetz.

Die Kleinstadt Burgdorf wird ihren Ruf als Tummelplatz für Rechtsextreme nicht los: Gewalttätige Übergriffe, Nazirock-Konzerte, Trauermärsche, (Vernetzungs-)Treffen im eigenen Clublokal - die Liste der Vorfälle ist erschreckend lang. Nun will die Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) - nicht wenige ihrer umtriebigsten Exponentinnen und Exponenten wohnen in der Region - der Gruselstory ein weiteres Kapitel anfügen: Unter dem Motto "Für Meinungsfreiheit - Antirassismusgesetz abschaffen!" soll am Sonntag, 8. März, von 14 bis 16 Uhr ein Umzug durch die Oberstadt stattfinden.

Rassistisch, ausländerfeindlich, antisemitisch

Tatsächlich sind, wie sich der Hammerskin und regionale PNOS-Kopf Markus Martig in der "Berner Zeitung" vom 27. Februar 2009 zitieren liess, einige Personen aus dem Umfeld der PNOS "vom Antirassismusgesetz betroffen" - und haben auch sonst einiges auf dem Kerbholz.

Einige Beispiele: Denise Friederich (aktuelles PNOS-Vorstandsmitglied) und Michael Haldimann (ehemaliges PNOS-Vorstandsmitglied), die beide als Paar in Burgdorf leben, wurden jüngst vor dem Bezirksgericht Aarau wegen Widerhandlung gegen die Antirassismus-Strafnorm verurteilt: Die Partei hatte auf ihrer Website ein nationalsozialistisches Parteiprogramm publiziert, das sich inhaltlich stark an das 25-Punkte-Programm der NSDAP anlehnte, und einen rassistischen Kalender samt antisemitischer Karikatur vertrieben.

Auch der langjährige Hammerskin und Anführer der völkisch-heidnischen Avalon-Gemeinschaft, Adrian Segessenmann, der heute in Kirchberg bei Burgdorf wohnt und ab und zu Artikel in der PNOS-Monatspostille "ZeitGeist" veröffentlicht, kam bereits mit der Antirassismus-Strafnorm in Konflikt: 1999 organisierte er einen Vortrag über die Waffen-SS, der dem Bundesgericht Anlass bot, bei der Anwendung der Strafnorm das Tatbestandsmerkmal "Öffentlichkeit" neu zu definieren: Öffentlich ist alles, was nicht im privaten Rahmen erfolgt.

Die Brüder Alex und Cédric Rohrbach aus Burgdorf, beide Musiker der Nazirock-Band "Indiziert" und der PNOS nahe stehend, haben sich 2004 mit ihrem CD-Erstling "Eidgenössischer Widerstand" Ärger in Deutschland eingehandelt: Die CD wurde von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auf den Index gesetzt, sie darf in Deutschland nicht mehr beworben oder über Internet vertrieben werden.

Die Meinungsfreiheit der Antidemokraten

Mit Erlaubnis der Behörden darf in Burgdorf eine rechtsextreme Partei demonstrieren, die in ihrem Weltbild zutiefst antidemokratisch und rassistisch ist und für ein autoritäres Herrschaftssystem einsteht, das die Menschenrechte mit Springerstiefeln tritt. Das jahrelange Verharmlosen und Tolerieren rechtsextremer Umtriebe und halbherzige Image-Aktionen à la "Courage" haben dazu geführt, dass Burgdorf immer wieder Schauplatz rechtsextremer Aktivitäten ist und sein wird. Eines ist schon jetzt klar: In der (Medien-)Öffentlichkeit wird die Stadt ihr Renommee als Spielwiese für Neonazis nicht abschütteln können. Da helfen auch die der PNOS auferlegten Einschränkungen wenig: keine Internetwerbung, Demo an einem Sonntagnachmittag in der menschenleeren Oberstadt.

Zeigen wir Courage und stören wir den Neonazi-Aufmarsch. Manifestieren wir auf vielfältigste Weise Widerstand gegen Rechts - mit Pfeif- und Lärmkonzerten, Mahnwachen, Transpiaktionen und Sitzblockaden.

Wir treffen uns am 8. März um 13.30 Uhr in Burgdorf.

Agrg, Antifa Bern, Antifa Oberland, Antifa Oberwallis, Autonome Antifa Freiburg im Breisgau, Autonome Gruppen Oberland, Bündnis alle gegen Rechts, Libertäres Antifaschistisches Kollektiv Thun, Repro, (Stand 2.März 2009 um 12Uhr)     

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Bund 5.3.09

Burgdorf nimmt Pnos an die kurze Leine

Pnos-Demonstration Am kommenden Sonntag will die rechtsextreme Pnos mit einem Umzug durch Burgdorf gegen die Rassismusstrafnorm demonstrieren ("Bund" von gestern). Im Internet mobilisieren sich inzwischen Rechtsradikale vom Oberland bis Deutschland; linksradikale Gruppierungen wie die Antifa haben zum Widerstand gegen den Pnos-Aufmarsch aufgerufen. Aus Sicherheitsgründen hat der Burgdorfer Gemeinderat nun aber entschieden, den Umzug zu verbieten und der Pnos stattdessen nur eine Platzkundgebung ausserhalb des Stadtzentrums auf der Schützenmatte zu erlauben. Der Gemeinderat reagiert mit dem Verbot auch auf verängstigte Bewohner der Oberstadt. "Die Sicherheit steht über allem", sagt die Burgdorfer Stadtpräsidentin Elisabeth Zäch (sp). Die Pnos habe die Möglichkeit, ihr Anliegen ausserhalb der Altstadt zu vertreten. "Wir akzeptieren die Schützenmatte nicht", sagt Markus Martig, Emmentaler Sektionspräsident der Pnos, auf Anfrage. Eine Eskalation scheint somit vorprogrammiert. Die Veranstalter der linksradikalen Gegenkundgebung haben laut Zäch kein Kundgebungsgesuch gestellt. Deren Aufmarsch sei nicht bewilligt, sagt sie.Wenige Tage vor der Demo geht in der Emmestadt langsam die Angst um. Ursprünglich hatte die Burgdorfer Exekutive die Pnos-Demo ganz verbieten wollen. Nachdem der Burgdorfer Regierungsstatthalter Franz Haussener aber eine Beschwerde der Pnos gutgeheissen hatte, erteilte der Gemeinderat die Bewilligung für den kommenden Sonntag. Haussener will das Verbot des Umzugs auf Anfrage nicht kommentieren. Er kritisiert aber die Kommunikation des Burgdorfer Gemeinderats: Erst am vergangenem Dienstag sei er von der Burgdorfer Sicherheitsdirektorin Beatrice Rechner (bdp) über die Demonstration informiert worden. Das Datum des Pnos-Umzugs habe er aus den Medien erfahren. Burgdorf hat im Gegensatz zu anderen Städten wie Bern kein Kundgebungsreglement. "Wir waren nie mit solch einer Demonstration konfrontiert", sagt Elisabeth Zäch. Die Stadt arbeite im Moment aber an einem Ortspolizeireglement im Hinblick auf die Reorganisation der Kantonspolizei. Dabei prüfe sie auch die Einführung eines Demo-Reglements. (tga)

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BZ 5.3.09

Nur eine Platzdemo

 Platzkundgebung statt Demozug: Das verordnen Burgdorfs Behörden aus Sorge um die Sicherheit. Die Pnos ist verstimmt.

Die Burgdorfer Behörden reagieren auf die breite Debatte über die für den Sonntag geplante Demo der rechtsradikalen Partei national orientierter Schweizer (Pnos): "Auf Grund einer aktuellen gemeinsamen Beurteilung der Sicherheitslage", teilen sie in Absprache mit der Kantonspolizei mit, "hat der Gemeinderat entschieden, die Bewilligung für einen Demonstrationszug aufzuheben und die Veranstaltung nur als Platzkundgebung zuzulassen." Zumal mittlerweile von rechts wie von links im Internet für den Anlass mobilisiert werde - den Behörden ist damit das Risiko gewalttätiger Zusammenstösse zu gross geworden.

Hörbar ungehalten

Auch mit einer Platzdemo gewähre die Stadt der Pnos das Recht auf freie Meinungsäusserung, erklärt Stadtpräsidentin Elisabeth Zäch. Nicht ohne anzufügen, dass die Polizei an einem einzigen überschaubaren Ort weit wirkungsvoller arbeiten könne als entlang einer längeren Route. Rechte und Linke seien so von vornherein besser zu trennen, die Gefahr von Zusammenstössen sinke automatisch - wobei: Sie sei ohnehin zuversichtlich, dass die Spezialisten der Polizei die Lage unter Kontrolle halten könnten.

Ob die Stadt auf die Pnos zählen kann? Deren Vertreter Markus Martig tönt jedenfalls hörbar ungehalten. Er werde sich sicher nicht damit zufrieden geben, "dass sie uns auf die Schützenmatte abschieben, wo uns keiner wahrnimmt", sagt er und kündigt spontan an: "Wir werden trotzdem marschieren."

Wieder zum Statthalter

Auf die Frage, ob er damit gewalttätige Zusammenstösse in Kauf nehme, relativiert Martig. "Natürlich wollen wir keine Gewalt." Notfalls müsse die Polizei den Weg freimachen, "damit wir unser Recht wahrnehmen können". Zuerst erhebe man nun beim Statthalter Beschwerde gegen den Gemeinderat. Was genau am Sonntag geschehe, "entscheiden wir dann spontan vor Ort".

Stephan Künzi

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Standpunkt

Die Pnos-Demo und die weite Welt

Stephan Künzi ist Leiter der Redaktion Burgdorf und Emmental

Irgendwie fühlen wir uns alle ohnmächtig vor dieser Demo, die Burgdorf am nächsten Sonntag hinnehmen muss. Die Stadtbehörden, die von Gesetzes wegen nicht anders konnten, als die Kundgebung der rechtsradikalen Partei national orientierter Schweizer (Pnos) zu bewilligen, trotz ihrer berechtigten Angst, dass es zu Zusammenstössen mit den bereits mobilisierten Gegendemonstranten aus der links-autonomen Szene kommen wird. Die Anwohnerinnen und Anwohner sowieso, die Demos gleich welcher Couleur nicht gewohnt sind und nun ihr beschauliches Städtchen bereits in Gewalt und Chaos versinken sehen. Und nicht zuletzt auch wir Journalistinnen und Journalisten, die zwar über das Geschehen an diesem Nachmittag berichten werden, dies aber auch nur mit Beklemmen tun werden, falls die befürchteten schlimmen Bilder tatsächlich Realität werden sollten.

Und so sind Ereignisse, die sonst der grossen Politik vorbehalten sind, plötzlich ganz nah. Nicht nur mit Blick auf das Thema, wofür die Rechtsradikalen auf die Strasse gehen wollen, mit Blick auf das Antirassismusgesetz also, für dessen Abschaffung die Pnos weibeln will. Offenbar als Reaktion darauf, dass in den letzten Monaten mehrere Exponenten aus ihren Reihen wegen rassistischer Aussagen verurteilt worden sind - nein, mit dieser Kundgebung rückt das nationale und internationale Geschehen noch aus einem andern Grund ins lokale Blickfeld.

Der Demo-Sonntag zeigt nämlich exemplarisch, wie rasch Demokratien westlichen Zuschnitts an ihre Grenzen stossen, sobald extremistische Kräfte im Spiel sind. Es ist, wie wenn wir - übrigens von ähnlichen Ohnmachtsgefühlen geplagt - mit einem Blick in die weite Welt über den Terrorismus oder über den radikalen Islamismus reden: Auf der einen Seite stehen gewaltbereite Kräfte, denen die Gesellschaft eigentlich mit ähnlich starken Mitteln begegnen müsste. Auf der anderen Seite steht der Wert der Freiheit, der einer solch machtvollen, den einzelnen automatisch einschränkenden Intervention völlig entgegensteht. Er ist für den Westen so grundlegend, dass er nicht einfach so leichtfertig geopfert wird.

Dies erhellt, warum eine - notabene legale - Gruppe wie die Pnos heute schlicht das Recht darauf hat, in aller Öffentlichkeit auf sich aufmerksam zu machen. Unabhängig davon, dass die von ihr verbreiteten rassistischen Ansichten höchst problematisch sind. Und unabhängig davon, dass ihr Auftreten nichts anderes als eine bewusste Provokation der links-autonomen Szene ist, die sich ihrerseits nicht davon abhalten lässt, voll darauf einzusteigen. Gewalt ist für diese Szene explizit ein Mittel, wenn es darum geht, missliebige Leute und Meinungen zu bekämpfen.

Zwei hoffnungsvolle Zeichen gibt es in Burgdorf mit Blick auf den Sonntag trotz allem. Die Grundlage für das erste hat der Gemeinderat gelegt, indem er der Pnos den Zug in die Oberstadt untersagt und die Demo auf eine Platzkundgebung beschränkt (Text rechts). Die Polizei kann so Rechte und Linke besser auseinanderhalten; dass sie dazu in der Lage ist, hat sie 2006 unter ähnlichen Vorzeichen in Langenthal bewiesen. Das zweite hoffnungsvolle Zeichen setzt wieder die grosse Politik. In der reichen Schweiz hatten bisher extremistische Strömungen nie lange Bestand und extremistische Forderungen kaum Chancen. Wie jüngst die Initiative für die Abschaffung des Antirassismusgesetzes: Sie scheiterte schon daran, dass nicht genug Leute unterschrieben.
stephan.kuenzi@bernerzeitung.ch

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punkt.ch 5.3.09

Burgdorf

Doch kein Pnos-Umzug

Die Pnos darf aus sicherheitspolizeilichen Gründen am Sonntag in Burgdorf nur eine Platzkundgebung ausserhalb des Altstadtbereichs durchführen.
Gemeinderat und Kantonspolizei haben den eigentlich geplanten Demonstrationszug doch noch verboten, weil die Sicherheitsbedenken zu gross seien.

Aufrufe im Internet

Seit öffentlich bekannt ist, dass die Pnos demonstrieren will, mobilisierten die linksextreme sowie die rechtsextreme Szene via Internet. Burgdorf solle nicht zum Schauplatz rechts- und linksextremer Auseinandersetzungen werden. Der Gemeinderat appellierte gestern an die Pnos, sich an die Auflagen und Anweisungen der Sicherheitskräfte zu halten

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Regionaljournal Bern DRS 4.3.09
http://real.xobix.ch/ramgen/srdrs/regibern/2009/rbe1704032009.rm?start=00:07:46.381&end=00:10:04.489

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derbund.ch 4.3.09

Nur Kundgebung statt Demozug

Die Partei national orientierter Schweizer (Pnos) wird kommenden Sonntag in Burgdorf nur eine Platzkundgebung durchführen dürfen. Nachdem links- und rechtsextreme Gruppen für einen Aufmarsch mobilisierten, verbot die Stadt einen Demozug.

Ursprünglich wollte die Stadt die Pnos-Demo überhaupt nicht bewilligen. Ein Rekurs der Veranstalter beim Regierungsstatthalter war dann aber erfolgreich. Burgdorf habe kein einschränkendes Kundgebungsreglement wie etwa Bern, argumentierte der Regierungsstatthalter.

Die Pnos will gegen den Antirassismusartikel demonstrieren. Linksautonome Kreise mobilisieren ihrerseits auf einschlägigen Internetseiten, um den Pnos-Aufmarsch am Sonntag zu verhindern.

Die Veranstalter der linksautonomen Gegenkundgebung hätten kein Kundgebungsgesuch gestellt, sagte Stadtpräsidentin Elisabeth Zäch auf Anfrage. Deren Aufmarsch sei demnach unbewilligt und werde entsprechend behandelt.

Burgdorf sei ein friedlicher und demokratischer Ort und die Stadt solle nicht zum Schauplatz rechts- und linksextremer Auseinandersetzungen werden, betont der Gemeinderat in einer Mitteilung. Er appelliert entsprechend an die Kundgebungsverantwortlichen beider Seiten.

Die Region Burgdorf war in den vergangenen Jahren verschiedentlich wegen rechtsextremen Umtrieben in die Schlagzeilen gekommen. Die Stadt ihrerseits engagierte sich im Rahmen diverser Projekte gegen Rassismus und Gewalt. Grössere Bekanntheit erlangte etwa die Aktion "Courage - für Menschen gegen Gewalt". (el/sda)

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20min.ch 4.3.09

Burgdorf

PNOS: Kundgebung statt Demo

Die Partei national orientierter Schweizer (PNOS) wird kommenden Sonntag in Burgdorf nur eine Platzkundgebung durchführen dürfen.

Nachdem links- und rechtsextreme Gruppen für einen Aufmarsch mobilisierten, verbot die Stadt einen Demozug. Ursprünglich wollte die Stadt die PNOS-Demo überhaupt nicht bewilligen. Ein Rekurs der Veranstalter beim Regierungsstatthalter war dann aber erfolgreich. Burgdorf habe kein einschränkendes Kundgebungsreglement wie etwa Bern, argumentierte der Regierungsstatthalter.

Die PNOS will am Sonntag gegen den Antirassismusartikel demonstrieren. Linksautonome Kreise mobilisieren ihrerseits auf einschlägigen Internetseiten, um den PNOS-Aufmarsch zu verhindern.

Kein Gesuch der Linksautonomen

Die Veranstalter der linksautonomen Gegenkundgebung hätten kein Demogesuch gestellt, sagte Stadtpräsidentin Elisabeth Zäch auf Anfrage. Deren Aufmarsch sei demnach unbewilligt und werde entsprechend behandelt.

Burgdorf sei ein friedlicher und demokratischer Ort und die Stadt solle nicht zum Schauplatz rechts- und linksextremer Auseinandersetzungen werden, betont der Gemeinderat in einer Mitteilung. Er appelliert entsprechend an die Kundgebungsverantwortlichen beider Seiten.

Die Region Burgdorf war in den vergangenen Jahren verschiedentlich wegen rechtsextremen Umtrieben in die Schlagzeilen gekommen. Die Stadt ihrerseits engagierte sich im Rahmen diverser Projekte gegen Rassismus und Gewalt. Grössere Bekanntheit erlangte etwa die Aktion "Courage - für Menschen gegen Gewalt".

Quelle: SDA/ATS

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RAZZIA BE
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WoZ 5.3.09

Überfall im Backstage

Von Dinu Gautier

Affäre "Elvis et moi"-Ein Überfall auf eine Bar in Freiburg, eine Band, die rückwärtsgewandten Ideologien huldigt, Hausdurchsuchungen in Berns "linksextremem Milieu": Suche nach Motiven bei Antifaschisten, einer Gartenzwergliebhaberin und an einer polizeilichen Waffenausstellung.

Die JournalistInnen scharen sich um einen Tisch im Hauptgebäude der Freiburger Kantonspolizei. Da liegen eine Pistole, Schlagringe, Feuerwerk, ein Halstuch, Messer, eine Gasmaske und noch einiges mehr. Den anwesenden Polizeikadern ist der Stolz anzumerken. Sie strahlen, als hätten sie gerade eine Untergrundarmee entwaffnet. Es ist Mittwoch, der 18. Februar. Tags zuvor hat die Freiburger Polizei in Bern, genauer "im linksextremen Milieu", acht Hausdurchsuchungen durchgeführt und sieben Personen festgenommen. Den 22-jährigen Alexander (Name geändert) hat sie in Untersuchungshaft genommen, die anderen sechs nach Verhören wieder freigelassen. Was war passiert?

Vier Monate zuvor, am 11. Oktober 2008, sollte in der Freiburger Bar "Elvis et moi" die italienische Darkwave-Band Camerata Mediolanense auftreten. Organisiert hatte den Anlass der des Rechtsextremismus bezichtigte Konzertveranstalter "Soleil Noir" (vgl. Text unten). Doch das Konzert sollte nie stattfinden.

Flucht in die Toilette

Valentine Jaquier, die Besitzerin der Bar "Elvis et moi" erinnert sich gut an jenen Samstagabend: "Die Musiker und der DJ assen gerade Raclette, als plötzlich das Fenster der Türe barst", erzählt sie. "Wie Wilde kamen sie hin eingerannt, zehn bis fünfzehn schwarz Vermummte. Sie schrien und begannen alles kaputt zu schlagen, die Instrumente, die Dekoration, einfach alles." Die Bandmitglieder seien in die Toilettenräume geflohen. Man habe sie als "Faschistin" beschimpft und am Schluss sogar noch eine Tränengaspetarde ins Lokal geworfen. "Ich habe nicht verstanden, was sie wollten. Ich bin das Gegenteil einer Faschistin", so die 34-Jährige. Mit den Blumen in ihren blonden Zöpfen und den Tattoos an den Schultern passt sie bestens ins Dekor der Bar. In einer Ecke steht ein fast lebensgrosses Plastikzebra, und von der Decke hängen Plastikskelette und -blumen. Jaquier wird auch Schneewittchen genannt - wegen ihres Auftretens, vor allem aber wegen ihrer Begeisterung für die grossen und kleinen Gartenzwerge, die den Bartresen bevölkern.

Lars Kophal, den Präsidenten von Soleil Noir, kenne sie aus ihrer Zeit als Kulturjournalistin bei "24heures", wo sie mit ihm zusammengearbeitet habe. "Er ist ein sympathischer Typ, und die Band, die hätte spielen sollen, macht schlicht und einfach schöne Musik. Ich kann nicht glauben dass die rechtsextrem ist." Ob sie denn nicht gewarnt worden sei? "Nein, nie." Jaquier glaubt, die Angreifer seien "einfach krank und von reinem Hass getrieben".

Die WOZ trifft Phillip (Name geändert), einen jungen Mann aus der antifaschistischen Szene in Bern, der den Überfall auf die Bar rechtfertigt, aber betont, er habe selber nicht daran teilgenommen. Wenn er über Soleil Noir und Valentine Jaquier spricht, wirkt er eher distanziert denn hasserfüllt.

"Wir wissen, dass Jaquier selber keine Rechtsextreme ist", sagt er. "Aber sie veranstaltet solche Konzerte nicht zum ersten Mal. Sie ist nicht dumm und kennt sich in der Darkwave-Szene aus, weiss, mit wem sie es zu tun hat - und sie wurde in der Vergangenheit im Vorfeld eines früheren, ähnlichen Konzertes in ihrer Bar gewarnt. Das Konzert hat damals trotzdem stattgefunden."

Und das rechtfertigt einen solchen kommandoartigen Überfall? "In der Vergangenheit wurden immer wieder Besitzer von Konzerträumen angeschrieben mit der Bitte, ihre rechtsextremen Gäste wieder auszuladen. Es wurden Warnungen verschickt, die Presse informiert und so weiter." Aber man habe feststellen müssen, dass in der Mehrzahl der Fälle der Effekt gleich null sei, dass die Konzerte trotzdem stattgefunden hätten. Hier habe es sich deshalb auch um eine "Machtdemonstra tion" gehandelt. Dabei seien bewusst keine Leute angegriffen worden - "Sachbeschädigung hingegen ist legitim". Denn die Musik, Konzerte seien zentral für die Rekrutierung in der Neonaziszene. Und Soleil Noir versuche gar, eine ganze Subkultur zu unterwandern. "Wenn wir ‹wehret den Anfängen› sagen, dann müssen wir auch dort ansetzen", sagt der Mann mit dem schwarzen Kapuzenpulli.

Darauf angesprochen, dass die Besitzerin nach dem Überfall psychologische Behandlung benötigte und einen Gross teil des Sachschadens (Jaquier spricht von 30 000 Franken) selber berappen musste, ist Phillip dann doch etwas Kritik zu entlocken: "Man hätte Jaquier nochmals explizit warnen können. Und möglicherweise hätte es auch gereicht, nur die Instrumente zu zerstören." Nichtsdestotrotz sei die Aktion ein Erfolg gewesen, habe sich doch Soleil Noir in der Folge aufgelöst.

Heterogene Antifa-Szene

In der Regel ist Berns antifaschis tische Szene meist eher indirekt aktiv. Sogenannte Recherche-Antifas wie die Gruppe Antifa Bern arbeiten ähnlich wie ein Nachrichtendienst. Sie verfolgen den Werdegang von Personen in der rechten Szene oder versuchen mit Tricks an vertrauliche Informationen über anstehende Konzerte und Mobilisierungen zu gelangen, um die Presse und mitunter gar die Polizei darüber zu informieren. Das etwa in Deutschland übliche Denunzieren von Einzelpersonen im Internet und bei ArbeitgeberInnen praktizieren sie nur zurückhaltend - häufig sei es nämlich nicht sinnvoll, wenn ein "Fascho" die Arbeitsstelle verliere und somit mehr Zeit für politische Aktivitäten habe, ist zu hören.

Dann gibt es Gruppen, die eher mobilisieren und Aktionen und Demonstrationen organisieren und auch gerne martialisch gekleidet auftreten.

Schliesslich gibt es Bündnisse verschiedener antifaschistischer Gruppen aus der Region, die grössere Veranstaltungen organisieren, wie etwa den Antifaschistischen Abendspaziergang, der seit dem Jahr 2000 praktisch jeden Frühling stattfindet, in seinen besten Zeiten bis zu 5000 Menschen zu mobilisieren vermochte und in Bern alljährlich zum sicherheitspolitischen Thema wird. Oder es werden mehrwöchige Sensibilisierungskampagnen veranstaltet, mit Konzerten, Vorträgen und Filmvorführungen.

An solchen Aktivitäten hat sich auch eine kleinere Gruppe beteiligt, die nun ins Visier der Freiburger Polizei geraten ist. Ihr hat die Mehrzahl der Hausdurchsuchungen und der Festnahmen gegolten.

Am Abend des "Elvis et moi"-Überfalls hatte die Polizei beim Bahnhof Freiburg nämlich Skimasken und Schlagstöcke gefunden und diese nach DNA-Spuren untersucht. In der DNA-Datenbank erzielten sie einen Treffer. Der nicht vorbestrafte Alexander war noch als Minderjähriger in eine Schlägerei verwickelt gewesen, weswegen er eine DNA-Probe hatte abgeben müssen. Alexander wurde freigesprochen, sein DNA-Profil ist aber in der Datenbank geblieben.

"Die Polizei muss Alexander observiert haben und einfach jene Personen verhaftet haben, die er an den allwöchentlichen Sitzungen der Gruppe getroffen hat", sagt Nicolas (Name geändert). Auch Nicolas wurde verhaftet, obwohl er über ein "gutes Alibi" verfüge: "Zu jener Zeit ging ich wegen einer Kreuzbandoperation an Krücken." In der Gruppe sei "Elvis et moi" kein Thema gewesen und er wisse von weiteren Verhafteten mit Alibi: "Einer war zum Beispiel zu jener Zeit in Istanbul." Nun habe die Polizei die Protokolle der Gruppe beschlagnahmt. Deren Inhalte seien zwar "strafrechtlich kaum relevant, vielleicht interessiert sich aber der Staatsschutz dafür".

Gings nur um DNA-Treffer?

Es fragt sich überhaupt, was die Polizei mit ihrer Strategie genau bezweckt. Einerseits sagt der Untersuchungsrichter, er gehe in erster Linie nicht von einer politisch motivierten Tat, sondern von einem Racheakt persönlicher Natur aus: Vor drei Jahren wurde ein Berner Antifaschist wegen Körperverletzung gegenüber einem Mitglied von Soleil Noir angezeigt und später verurteilt. Andererseits spricht die Polizei an derselben Pressekonferenz, mit Verweis auf das beschlagnahmte "Waffenarsenal", immer vom "linksextremen Milieu" und suggeriert, die Waffen könnten bei Demonstrationen gegen die Polizei eingesetzt werden.

Die "Pistole" auf dem Tisch bei der Pressekonferenz stellt sich auf Nachfrage als Air-Soft-Gun heraus, die Gasmaske als Militärgasmaske, die Pfeffersprays als legal erhältlich und die Feuerwerkskörper als herkömmliche Billigstprodukte von einem Kaliber, das man auch Kindern anvertrauen würde. Eine Guerilla hat die Polizei also nicht zerschlagen - es scheint derzeit eher so, als habe sie auf gut Glück gehandelt, darauf spekuliert, durch die den Verhafteten abgenommenen DNA-Proben weitere Treffer zu landen. Bisher hat sie aber keine solchen mitgeteilt.

Nach einer Woche in Untersuchungshaft wurde Alexander wieder entlassen. Zuvor führte die Polizei weitere Hausdurchsuchungen durch, die sie nicht kommentieren will. Immerhin musste sie eingestehen, dass sie aus Versehen auch das Büro einer Menschenrechtsgruppe durchsucht hatte.

Valentine Jaquier vertraut den Behörden dennoch: "Ich werde den Tätern im Gerichtssaal begegnen und erwarte, dass sie mir in die Augen schauen, sich entschuldigen und mir meinen Schaden begleichen."

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Ist die Schwarze Sonne rechtsextrem?

Der Präsident des Konzertveranstalters Soleil Noir, Lars Kophal, behauptet, seine Vereinigung sei "apolitisch" und ausschliesslich kulturell interessiert. Sie distanziere sich von jeder Ideologie, sei sie "vergangen, aktuell oder zukünftig".

Eine Behauptung, die sich leicht widerlegen lässt, nur schon wenn man die Selbstdarstellung auf der inzwischen gelöschten Homepage las: "Wir kotzen auf die wurzellose Modernität, den geistlosen Materialismus und den zerstörerischen Ultraliberalismus, die Arbeiterausbeutung durch das internationale Finanzkapital, die planetweite Globalisierungsvereinheitlichung, die grosse seichte Suppe des Multikulturalismus, die Amerikanisierung wie auch die Dritt-Weltisierung." Das ist zwar keine tagespolitische, jedoch eine gesellschaftspolitische Einordnung. Soleil Noir lehnt sich damit an das Gedankengut der rassistisch inspirierten Nouvelle Droite an. Das pessimistische und europazentrierte Kulturverständnis wird politisch verstärkt durch lobende Erwähnungen des faschistischen Ideologen Julius Evola. Das allein belegt aber noch nicht, dass bei Soleil-Noir-Veranstaltungen rechtsextreme politische Inhalte verbreitet werden.

Eine unpolitische Haltung beansprucht auch die italienische Band Camerata Mediolanense für sich, die in Fribourg hätte auftreten sollen (vgl. Text oben). In der Kritik steht die Band nicht wegen ihrer Musik, sondern wegen ihrer Auftritte bei rechtsextremen Veranstaltungen beziehungsweise wegen ihrer sympathisierenden Interviews in Neonaziblättern, beispielsweise im Blatt der inzwischen verbotenen deutschen Sektion von Blood and Honour. Nach 2002 lassen sich solche Auftritte und Interviews allerdings nicht mehr nachweisen (seit 2003 aktualisiert die Gruppe auch ihre Homepage nicht mehr). In der Schweiz ist die Camerata Mediolanense im Juli 2001 an einem grösseren Konzert im Waadtländer Schloss La Sarraz aufgetreten, wo an Büchertischen Schriften an der Schnittstelle zwischen rassistisch inspirierter Nouvelle Droite und Rechtsextremismus angeboten wurden. Selbst dem La-Sarraz-Veranstalter Yann Courtiau war es nach dem Konzert nicht mehr geheuer, in einem Mail an Mitbeteiligte schrieb er: "Wenn die Gruppen in ihrer Kunst zweideutig sind, dann bleibt das Kunst, wenn sich aber das Publikum uniform kleidet, so verliert die Kunst ihre Funktion zugunsten der Propaganda." Er kritisierte damit jene vielen KonzertbesucherInnen, deren Kleidung faschistische oder nazistische Vorbilder imitierten. Er umschrieb aber auch das gesellschaftspolitische Spannungsfeld, in dem sich die rechte Minderheit der Gothic/Dark-Wave-Szene bewegt. Und zu dieser Minderheit in der Szene gehört auch Soleil Noir.

Dieser Teil der Szene nimmt ästhetisierend Symbole und Ausdrucksformen aus dem grossen Fundus rückwärtsgewandter Ideologien (Konservative Revolution, Italienischer Faschismus, Rumänische Eiserne Garde) auf und behauptet, durch die Ästhetisierung ironisiere sie die gesellschaftspolitische Botschaft. Dies tut auch die Camerata Mediolanense. Mit den ungehobelten Tiraden und der Knüppeltaktmusik der Naziskinszene allerdings hat dies alles nichts zu tun.  

Hans Stutz

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PAYERNE-FRÖNTLER
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WoZ 5.3.09

"Un Juif pour l'Exemple"-Mit seinem neuen Roman erinnert der in Payerne lebende Jacques Chessex an ein trauriges Kapitel der Schweizer Geschichte und sorgt in der Region La Broye für Aufregung.

"Gott weiss warum"

Von Raphael Zehnder

"Einen Juden als Exempel" wollten der Möchtegern-Gauleiter Fernand Ischi und seine Bande 1942 in Payerne töten. Sie lockten den sechzigjährigen Berner Viehhändler Arthur Bloch am 16. April 1942 unter einem Vorwand vom Marktplatz in einen Stall. Dort erschlugen sie ihn, zerstückelten seine Leiche und versenkten sie im Neuenburgersee. Wenige Tage danach wurden sie gefasst, im Februar 1943 fand der Prozess statt: Zuchthaus lebenslänglich für Fernand Ischi, den Anführer, lebenslänglich für zwei weitere Angeklagte, zwanzig Jahre für einen minderjährigen Komplizen, fünfzehn für einen anderen Mittäter. Den Ideologen dieser Nazibande, den pfarreilosen Pfarrer Philippe Lugrin, schleusten deutsche Diplomaten über die Grenze ins Reich, wo ihn US-Soldaten 1945 festnahmen.

Nicht besser als die NachbarInnen

Das Verbrechen dieser fanatischen Figuren hat Chessex sein Leben lang beschäftigt: 1967 etwa veröffentlichte er den Text "Un crime en 1942", und die Figur des Georges Mollendruz im 1973 mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Roman "L'Ogre" (deutsch "Der Kinderfesser") erinnert stark an den hasszerfressenen Antisemiten Lugrin. Der Reminiszenzen ans Verbrechen von Payerne gäbe es noch etliche mehr in Chessex' Werk. Es geschah in seiner Heimatstadt, als der nachmalige Autor acht Jahre alt war.

Aus dem Fall, der auch verschiedentlich journalistisch aufgearbeitet wurde, macht Jacques Chessex mit "Un Juif pour l'exemple" einen kurzen, präzisen, scharfen Roman. Minutiös schildert er das Milieu, in dem das Gedankengut virulent war, das zu diesem Mord führte. Die Wirtschaftskrise als Nährboden für extremes Gedankengut, Antisemitismus, die Frontenbewegung: Es gibt erfreulichere Kapitel der Schweizer Geschichte.

Chessex' Roman ist ein Erfolg: 10 000 verkaufte Exemplare innert dreier Wochen in der Westschweiz, wo sonst Auflagen von unter 1500 Exemplaren die Regel sind, 30 000 bereits in Frankreich, Lob von "Le Monde" über "Paris-Match" bis zur Westschweizer Tagesschau. Das Nazithema ist ein Dauerbrenner. Das widerspiegelte unlängst etwa Jonathan Littells SS-Roman "Die Wohlgesinnten", das belegt zurzeit Peter Longerichs Himmler- Biografie. Nur sind bei Jacques Chessex die Bösen nicht im Ausland zu Hause, sondern mitten unter uns. In manchem Schweizer Dorf wissen die Älteren noch heute, wer der Nazi-Ortsgruppenleiter geworden wäre. Der Gedanke kann auch heute noch wehtun, denn er zwingt einen zu erkennen, dass "wir" nicht besser gewesen wären als unsere NachbarInnen.

"Dieses Buch ist zum Kotzen, nichts weiter", schreibt ein Journalist in der Regionalzeitung "La Broye", die in Payerne erscheint. Er wirft Chessex vor, das Verbrechen von 1942 nie verarbeitet zu haben und "fast sein ganzes Leben lang" Gift und Galle gegen seine Heimatstadt gespuckt zu haben. Und der Autor habe - in der Tat sind dies konstante Themen in Chessex' Werk - "ernsthafte Probleme mit Sex und Blut", was der Journalist mit blutigen Zitaten aus dem Buch zu belegen sucht. Der Stadtarchivar und ehemalige Lehrer Michel Vauthey, eigentlich ein Freund von Chessex' Stil, fühlte sich von diesem Buch verletzt: Payerne sei eine angenehme Stadt, in der es sich gut lebe, sagte er der Zeitung "24 heures". Es habe da nicht mehr Nazis gegeben als anderswo. "Wenn Jacques Chessex nicht von Zeit zu Zeit mit diesem Thema käme, spräche man nicht mehr davon."

Eine Strasse für Bloch

Auch Michel Roulin, Stadtpräsident des 8500-Einwohner-Orts Payerne, stört sich daran, dass diese 67 Jahre alte Geschichte zurückkehrt: "Ich denke an die Nachfahren der Schuldigen, die oft zitiert werden. Sie sehen ein weiteres Mal dieses Drama auftauchen, für das sie nicht verantwortlich sind. Wenn ich zur Familie gehören würde, würde mir das missfallen ... Payerne ist eine friedliche Stadt im Aufschwung. Wir sind weit entfernt von jenen Zeiten, auch wenn wir das Gedächtnis an das Opfer und seine Familie respektieren", sagte er gegenüber "24 heures".

Die Emotionen gehen also hoch in der Region La Broye. Man solle die Geschichte ruhen lassen, sagen vor allem Ältere. Andere äussern sich positiv über "Un Juif pour l'exemple", loben, dass Chessex dieses unangenehme Kapitel der Geschichte nicht unter den Teppich kehrt, erinnern - wie Christelle Luisier, die Präsidentin der Waadtländer Freisinnigen - an die Pflicht, diese Untat nicht zu vergessen. Sie unterstützen Chessex bei seinem Begehren, eine Strasse oder einen Platz in Payerne nach dem ermordeten Viehhändler zu benennen.

"Gott weiss warum", liess Arthur Blochs Witwe auf den Grabstein ihres Mannes schreiben. Arthur Bloch habe keine Ruhe gefunden unter der Grabplatte mit dieser Inschrift, knüpft Jacques Chessex an dieses Epitaph an, "das ironisch das Vertrauen und Misstrauen" der Witwe "gegenüber den Entschlüssen des Allmächtigen ausdrückt". Noch jetzt, als alter Schriftsteller, der diese Geschichte als kleiner Junge miterlebt habe, wache er manchmal nachts auf, verfolgt und verletzt davon, "und er glaubt, er sei das Kind, das er damals war und das die Seinen ausfragte. Es fragte, wo der Mann sei, den man ganz in der Nähe ermordet und in Stücke geschnitten hatte. Es fragte, ob er zurückkäme. Und wie man ihn empfangen würde. - Ist es wahr, dass er heute Abend umgeht? - Du sprichst von Arthur Bloch, antwortete man ihm sehr leise. Arthur Bloch, von ihm spricht man nicht. Arthur Bloch, das war vorher. Eine alte Geschichte. Schnee von gestern."

"Alles ist Wunde"

Chessex gibt deutlich zu verstehen, dass er diese Ansicht nicht teilt, denn er erinnert an die Verzweiflung der Hügel von Auschwitz und (mit dieser Erwähnung in einem Atemzug schiesst er allerdings weit übers Ziel hinaus) Payerne, an die Nazischande in Treblinka und den Schweinezüchterdörfern der Broye: "Alles ist Wunde. Alles ist Golgatha. Und die Vergebung ist so fern. Aber gibt es eine Wiederauferstehung? Gnade, Gott, bei der Rose des offenen Bauches. Gnade, bei der Dornenkrone und dem Stacheldraht der Lager. Erbarme Dich, Herr, unserer Verbrechen. Herr, erbarme Dich unser". Da lesen wir - angesichts des vom Menschen angerichteten Grauens - nackte Verzweiflung. Ein grosses, ein menschliches Buch.


Jacques Chessex: "Un Juif pour l'exemple". Grasset. Paris 2009. 104 Seiten. 28 Franken.

Journalistische Bücher zum selben Thema:

Hans Stutz: "Der Judenmord von Payerne". Rotpunktverlag. Zürich 2000. 137 Seiten. 29 Franken.

Jacques Pilet: "Le Crime nazi de Payerne". Editions Pierre M. Favre. Lausanne 1977. Antiquarisch.

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PROGR
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Bund 5.3.09

Progr: SVP prüft Beschwerde

Stadt Bern Gesundheitszentrum oder Künstlerprojekt? Falls der Stadtrat heute Abend beschliesst, dem Volk eine Variante zur künftigen Nutzung des Progr vorzulegen, droht die SVP mit einer Verwaltungsbeschwerde. Sie will nur dann auf den Rechtsweg verzichten, wenn in der Abstimmungsbotschaft darauf hingewiesen werde, dass das Künstlerprojekt die Wettbewerbsbedingungen nicht erfülle. "Wenn dem Volk schon Varianten vorgelegt werden, dann sollen diese wenigstens sauber deklariert werden", begründet Stadtrat Peter Bernasconi (svp) das Vorgehen. An einem Podium im Kornhausforum kreuzten gestern Befürworter und Gegner des Künstlerprojekts die Klingen. (bob)

Seite 21

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Progr droht zum Rechtsfall zu werden

Die SVP prüft eine Verwaltungsbeschwerde, falls der Berner Stadtrat heute eine Progr-Variantenabstimmung beschliesst

Gesundheitszentrum oder Künstlerprojekt? Die Stimmbürger sollen zumindest in der Botschaft zu einer Variantenabstimmung darüber informiert werden, dass das Künstlerprojekt die Wettbewerbsbedingungen nicht erfülle, fordert die SVP.

Bernhard Ott

Wie soll das einstige Progymnasium künftig genutzt werden? Heute Abend dürfte sich die Mehrheit im Stadtrat dafür entscheiden, den Stimmbürgern die Wahl zwischen dem Gesundheits- und Schulzentrum und dem Künstlerprojekt zu lassen. Ursprünglich hätte Mitte Mai aber nur über das erste Projekt abgestimmt werden sollen, das aus einem Architektur- und Investorenwettbewerb als Sieger hervorgegangen ist.

Mit dem wahrscheinlichen Entscheid für eine Variantenabstimmung sind jedoch beträchtliche Unsicherheiten verknüpft: Erstens schliesst die Firma Allreal als Investorin des Gesundheits- und Schulzentrums nicht aus, beim Entscheid für eine Variantenabstimmung ihr Projekt zurückzuziehen ("Bund" vom 3. März). Und zweitens droht die SVP mit einer Verwaltungsbeschwerde, da mit einer Variantenabstimmung womöglich übergeordnetes Recht verletzt würde. Eine solche Beschwerde hätte aufschiebende Wirkung, was den Entscheid über die Zukunft des Progr für mindestens ein Jahr vertagen würde.

Offene "Deklaration" verlangt

Gegen eine Variantenabstimmung sprach sich auch die Mehrheit der Finanzkommission aus. Das Projekt eines Gesundheits- und Schulzentrums habe sich in einem offenen Wettbewerb durchgesetzt. Es gebe keine plausiblen Gründe, davon abzuweichen, teilte die Kommission mit. Die Mehrheit der Kommissionsmitglieder zweifelte zudem daran, ob die Progr-Künstler den Betrieb des Zentrums längerfristig sichern können.

Laut der SVP kommt nun auch ein juristischer Vorbehalt ins Spiel. Mit einer Variantenabstimmung würden die Bestimmungen der interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen verletzt, sagt Stadtrat Peter Bernasconi. Der Gemeinderat habe gemäss diesen Bestimmungen dem Siegerprojekt der Allreal in Form einer Verfügung den Zuschlag gegeben. In diesem Fall könnten die Stimmberechtigten als "zuständiges, übergeordnetes Organ" nur über einen Vertragsabschluss mit den Initianten des Siegerprojekts befinden. Dies allein wäre in den Augen der SVP bereits Grund genug für eine Verwaltungsbeschwerde. Da Variantenabstimmungen aber derzeit "in Mode" seien, solle zumindest in der Abstimmungsbotschaft Transparenz geschaffen werden. "Wenn in der Abstimmungsbotschaft darauf hingewiesen wird, dass das Künstlerprojekt den Wettbewerbsbedingungen widerspricht, verzichten wir auf eine Beschwerde", sagt Bernasconi. Wenn dem Volk schon eine Variantenabstimmung vorgelegt werde, "dann sollen wenigstens die fragwürdigen Voraussetzungen des Künstlerprojekts offen deklariert werden", sagt Bernasconi. Sonst werde mit "ungleichen Ellen" gemessen, und die Stadt mache sich als Organisatorin von Wettbewerben unglaubwürdig.

Unterschiedliche Berechnungen

Als Unternehmer aus der Baubranche geht es Bernasconi im Wesentlichen darum, dass die Argumente der Liegenschaftsverwaltung in die Abstimmungsbotschaft aufgenommen werden. Die Liegenschaftsverwaltung kam nach einer Prüfung des Kaufangebotes der Progr-Künstler zu einem vernichtenden Ergebnis. So bleibe "aufgestauter Unterhalt" im Bereich Haustechnik von mehreren Millionen Franken bestehen. Die strengen Grenzwerte für Haustechnik gemäss neuer Energieverordnung führten dazu, dass Teilsanierungen rasch zu ganzheitlichen Erneuerungen führten, "deren Mehrkosten nicht absehbar sind", hielt die Verwaltung fest. Zudem sei der Bodenpreis an der zentralen Lage für eine kulturelle Nutzung zu teuer, da der Baurechtszins in der Höhe von 320000 Franken 34 Prozent der budgetierten Mietzinseinnahmen ausmache. Schliesslich seien die Kosten der Parkplatzersatzabgabe in der Höhe von gegen 800000 Franken im Künstlerprojekt nicht berücksichtigt ("Bund" vom 20. Februar).

Progr-Finanzchef Günther Ketterer konterte, dass der vorgesehene Unterhaltsbetrag in der Höhe von 220000 Franken ausreiche, da die Künstler Oberflächensanierungen meist selber ausführten und auch eine sukzessive Sanierung denkbar sei. Er beklagte, dass die Kalkulation der Liegenschaftsverwaltung "Angaben wie aus der Kalkulationsschulung" enthalte und auf das konkrete Kaufangebot der Künstler kaum eingehe. "Die Stadt glaubt uns einfach nicht, dass wir viel weniger Geld brauchen als ein Gesundheitszentrum", sagte Ketterer. Er räumte einzig ein, die Parkplatzersatzabgabe nicht einberechnet zu haben. "Wir hoffen, dass wir sie nicht zahlen müssen."

Stadtratsbeschluss angezweifelt

Als Sprecher der Finanzkommission wird Bernasconi heute aber nicht nur infrage stellen, ob das Künstlerprojekt den Wettbewerbsbedingungen entspricht. Er bezweifelt zudem, ob sich der Stadtrat am 6. November tatsächlich dafür ausgesprochen hat, dass der Gemeinderat dem Stadtrat das Künstlerprojekt als Variante vorlegen soll. Im Stadtratsprotokoll ist dieser Beschluss zwar enthalten. "Es hat jedoch niemand einen Antrag zur Durchführung einer Variantenabstimmung gestellt." Über die einzelnen Punkte des Stadtratsbeschlusses sei auch nicht einzeln abgestimmt worden. Bernasconi räumt ein, dass das betreffende Stadtratsprotokoll an einer späteren Sitzung wohl genehmigt worden ist. Solche "Ungereimtheiten" seien aber stossend.

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Argumentativer Häuserkampf um den Progr

Gestern fand im Kornhaus eine Diskussion über die künftige Progr-Nutzung statt - dabei wurden Fragen aufgeworfen, die schon länger unter den Nägeln brennen


Es war die wohl gepflegtere Debatte als jene, die der Stadtrat heute führen wird: An einem Podium kreuzten gestern Vertreter und Verfechter des Siegerprojekts und der Künstlervariante die Klingen, mit Respekt füreinander - und unter grossem Publikumsinteresse.

Simon Jäggi

Man könnte sie als ein Gipfeltreffen bezeichnen: die Podiumsdiskussion, die gestern im zurzeit leer stehenden Dachstock des Kornhausforums stattfand. Auf dem Podium sassen nicht weniger als sieben Teilnehmer, unter ihnen einige, welche die zukünftige Nutzung des ehemalige Progymnasiums am Waisenhausplatz in einem gewichtigen Masse mitbestimmt haben - und dies vielleicht auch weiter tun werden.

Da waren zum einen zwei Vertreter von Pro Progr, der Künstlerinitiative, welche das denkmalgeschützte Gebäude als Kulturzentrum erhalten möchte. Und da war zum anderen die Gegenseite: die Generalunternehmung Allreal, die Investorin des Siegerprojekts "Doppelpunkt", vertreten durch ihren Vizedirektor Stefan Creus. Da war Fernand Raval, Abteilungsleiter der städtischen Liegenschaftsverwaltung, und der Architekt Fritz Schär, der auf dem Podium die Planungs- und Baufachverbände vertrat, die um das Wettbewerbswesen in der Stadt bangen. Und da waren zwei Stadträtinnen, die heute entscheiden werden, ob es zu einer Variantenabstimmung zur künftigen Progr-Nutzung kommen wird.

Eine Million Franken investiert

Und da war der Moderator Bernhard Giger, neuer Leiter des Kornhausforum, der Fragen stellte, welche interessierten Zeitgenossen in Bern länger schon unter den Nägeln brennen. Dass dies offenbar nicht wenige sind, zeigte der eindrückliche Publikumsaufmarsch: 120 Zuhörer und Zuhörerinnen kamen ins Kornhaus - vier Mal mehr als beim Rededuell vor der Wahl ums Stadtpräsidium an gleicher Stätte. Moderator Giger wollte zunächst von der Generalunternehmung Allreal wissen, ob sie denn jemals noch an einem Wettbewerb in Bern teilnehme, wenn sich der Stadtrat für eine Variantenabstimmung entscheide. Vizedirektor Creus, der sich im Laufe der Diskussion als scharfzüngiger Redner erwies, mochte keine definitive Antwort geben. Was er aber gerne preisgab, waren Zahlen: "Nachdem wir im Wettbewerb den Zuschlag erhalten hatten, gingen wir voll in die Planung", so Creus. Inzwischen habe Allreal rund eine Million investiert.

"Wenn ein Wettbewerbsteilnehmer so viel Zeit und Geld investiert, muss es Sicherheit geben", meinte darauf Architekt Schär. Das Wettbewerbswesen sei ein hohes kulturelles Gut - und dieses werde durch einen Entscheid schwer beschädigt, wie ihn der Stadtrat im Herbst gefällt habe, als er sich dafür entschied, dem Künstlerprojekt eine Chance zu geben. "Der Stadtrat hat mitten im Verfahren plötzlich die Spielregeln geändert - und hier einen Riesenfehler gemacht", meinte Schär, der aber auch betonte, wie es ihn freue, dass die Politik endlich wahrnehme, was der Progr für Bern bedeute.

Auch ihr liege das Wettbewerbswesen sehr am Herzen, unterstrich SP-Stadträtin und Raumplanerin Gisela Vollmer. Den Hund sah sie darin begraben, dass die Stadt vor dem Wettbewerb keine Nutzung definiert habe. "Mit der Ausschreibung des Wettbewerbs waren wir in der Kommission nicht einverstanden, doch damals hiess es nur: Das ist ja noch alles offen, wir machen jetzt mal." Beim Architekturwettbewerb hätten die Künstler, hätten sie denn teilgenommen, gar keine Chance gehabt, zu reüssieren - etwa weil der Zuschlag an den Meistbietenden gehen sollte.

Und auch die Progr-Künstler wehrten sich gegen den Vorwurf, dem Wettbewerbswesen zu schaden. Der Stadtrat habe keinen Fehler gemacht: Es sei Ausdruck eines demokratischen Systems, dass ein Entscheid von einer weiteren Instanz nochmals überdacht werden könne. "Tatsache ist nun mal, dass Parlament und Volk auch noch ein Wörtchen mitzureden haben", so der Dirigent und Musiker Matthias Kuhn. Die Künstlerinitiative stelle keine Forderung, sondern eine Offerte: Der Progr sei kein Experiment, sondern ein Projekt, das heute schon funktioniere. Dass die Finanzierung seriös sei, bestätige selbst jemand wie der abtretende FDP-Präsident Thomas Balmer.

Dessen Parteikollegin Dolores Dana, FDP-Stadträtin, lobte zwar auch das Engagement der Progr-Künstler. Sie fragte aber, warum der Progr nicht auch an einem andern Ort funktionieren könne und sich die Künstler nicht mit derselben Energie für den Kauf eines privaten Gebäudes einsetzten - etwa der frei werdenden Schanzenpost.

Dass es wohl kaum eine andere städtische Liegenschaft geben würde, die zur Verfügung stünde, räumte Liegenschaftsverwalter Raval ein. Der Gemeinderat habe den Auftrag erteilt, nach Ersatzstandorten zu suchen - fündig sei man aber nicht geworden.

Allreal: "Wir haben noch Platz"

Einen überraschenden Vorschlag zog darauf der Allreal-Vizedirektor aus dem Hut: "Wir haben noch leere Flächen - diese könnten sie mieten", meinte Creus zu den Künstlern. Diese lehnten dankend ab: Dass der Progr in den letzten Jahren über sich hinausgewachsen sei, liege an der Lage und der Einzigartigkeit des Projekts. Müsse nach einem Ersatzstandort gesucht werden, was Jahre dauern könnte, bestehe die Gefahr, dass die Progr-Bewegung versiege - eines von vielen schwarzmalenden Argumenten, mit denen gestern schon gefochten wurde und die heute im Stadtrat bestimmt dankbar aufgenommen werden.

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BZ 5.3.09

Podium zum Progymnasium

"Stadt Bern ist ein Sorgenkind"

 Die Künstler wollen ihre Ateliers im ehemaligen Progymnasium behalten. Die Wettbewerbssieger bangen um ihr Projekt. An einem gut besuchten Podium kreuzten sie vor dem heutigen Stadtratsentscheid die Klingen.

"Vergesst es, keine Chance!" Diesen Bescheid kriegte Peter Aerschmann, Videokünstler und Mieter eines Progr-Ateliers, von verschiedener Seite, als er sich vor zwei Jahren am städtischen Investorenwettbewerb beteiligen wollte. Gestern sass er als Vertreter eines eigenen Projekts trotzdem auf dem Podium zum Thema "Progr: Künstler versus Wettbewerbsgewinner". Über 100 Personen kamen ins Kornhaus zum Schlagabtausch der ungleichen Konkurrenten. Heute entscheidet der Stadtrat, wie es beim gegenwärtig als Zentrum für Kulturproduktion genutzten Progymnasium weitergeht. Stefan Creus, Vizedirektor von Allreal, nahm als Vertreter des Wettbewerbsgewinners "Doppelpunkt" Platz. Sein Fürsprecher war in erster Linie Fritz Schär, Architekt und Präsident der kantonalen Kommission für Kunst und Architektur: "Wenn das Wettbewerbswesen permanent hintergangen wird, stirbt es", sagte er. Aber es sei seit über 100 Jahren Garant für ein hohes Niveau beim Bauen.

Wer schoss den Bock?

Allreal hat bereits eine Million Franken ins Projekt gesteckt. Dass sich Creus auch nach dem Gewinn des Wettbewerbs vor über einem Jahr immer noch einem Konkurrenten gegenübersieht, liegt am Stadtrat. Dieser blies am 6.November 2008 zum Marschhalt und liess die Künstlerinitiative Pro Progr, bestehend aus Mietern im Progymnasium, eine eigene Offerte ausarbeiten. Sie hatten nämlich realisiert, dass Baurechtszins und Kaufpreis in Reichweite liegen und längst nicht so hoch sind, wie ursprünglich von der Stadt gefordert. Für FDP-Stadträtin Dolores Dana ist klar: "Der Stadtrat hat am 6.November einen Bock geschossen." Die nachträgliche Zulassung sei "staatspolitisch fragwürdig". Nun sind zwei Projekte ausgearbeitet worden. Für Dana "ein Dilemma".

Dirigent und Pro-Progr-Vertreter Matthias Kuhn sieht das anders: "Wenn so etwas nicht sein dürfte, könnte man das Parlament und das Stimmvolk gleich weglassen." Es gehe hier darum, einen wichtigen Entscheid noch einmal zu überdenken. Support erhielt er von SP-Stadträtin Gisela Vollmer. Der Fehler sei viel früher gemacht worden. Die Stadt hätte die Nutzung bereits in der Ausschreibung des Wettbewerbs festlegen sollen.

Fernand Raval, Leiter der Liegenschaftsverwaltung der Stadt, in deren Besitz sich das Gebäude befindet, mahnte: "Im Nachhinein ist das leicht zu sagen." Moderator Bernhard Gyger, Leiter des Kornhausforums, wollte von ihm wissen, wie sicher die Finanzierung des Projekts Pro Progr denn sei. Raval erwiderte: "Wir haben Bedenken, dass es mittelfristig nicht mehr finanzierbar ist." Aerschmann hingegen ist überzeugt, dass es aufgeht. Das stützten selbst unabhängige Personen wie FDP-Präsident Thomas Balmer.

"Progr ist wichtig für Bern"

Creus, darauf bedacht, "Doppelpunkt" nicht einfach als Gesundheitszentrum darzustellen, offerierte Aerschmann und Kuhn Mietfläche. Kuhn lehnte dankend ab: "Nur der Progr in seiner Gesamtheit hat die Ausstrahlungskraft, um innert sechs Wochen 12 Millionen Franken aufzutreiben", begründete er. Dort hakte Schär ein: "Die Institution Progr ist wichtig für Bern. Sie strahlt sogar über die Landesgrenzen hinaus." Aber sie sei nicht ortsgebunden. Raval winkte ab, trotz gemeinderätlichem Auftrag habe man momentan keinen Alternativstandort. Gyger wollte von Schär wissen, wie die Baufachverbände, die er hier vertrete, bei einem stadträtlichen Ja zur Variantenabstimmung reagieren würden. "Sie würden wohl aktiv lobbyieren", sagte er. Denn Bern sei im Wettbewerbswesen "ein Sorgenkind".

Christoph Aebischer

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Regionaljournal Bern DRS 4.3.09
http://real.xobix.ch/ramgen/srdrs/regibern/2009/rbe7v705032009.rm?start=00:01:16.776&end=00:03:57.125

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Radio RaBe 4.3.09

Am runden Tisch duellieren sich heute die Progr-Projekte
rtsp://212.103.67.35:554/20090304.rm?start=11:04:28&cloakport=8080,554,7070

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BAHNPOLIZEI
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20min.ch 5.3.09

Weniger Kompetenzen

Polizei "light" für die Schweizer Bahnen

Bahnpolizisten sollen mit einer Schusswaffe ausgerüstet werden können. Die gleichen Kompetenzen wie die Kantonspolizei bekommen sie aber nicht: So können sie etwa keine Verdächtigen durchsuchen und vorläufig festnehmen.

Im Rahmen der Bahnreform 2 haben sich die Räte bereits früher auf den Grundsatz geeinigt, dass eine private Transportpolizei für die Sicherheit in Zügen sorgen soll. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, für diese Einheit ein Schusswaffenverbot im Gesetz zu verankern. Nach dem Ständerat hat nun aber auch der Nationalrat das Verbot aus der Vorlage gekippt. Entscheiden muss der Bundesrat.

Waffe im Zug

Insbesondere die Linke warnte vor dem Szenario eines Schussaffeneinsatzes in einem überfüllten Zug. Waffen trügen nicht zur Sicherheit, sondern zum Risiko im öffentlichen Verkehr bei, sagte Jacqueline Fehr (SP/ZH). Ein Polizist ohne Schusswaffe sei kein Polizist, hielt Max Binder (SVP/ZH) dagegen.

Verkehrsminister Moritz Leuenberger sicherte den Kritikern zu, dass der Bundesrat ein Schusswaffenverbot in der Verordnung festschreiben werde. Nur könne er nicht garantieren, dass dieses ewig halten werde. Bei einer veränderten politischen Situation könnten solche Grundsätze rasch ins Wanken geraten.

Keine Festnahmen

Selbst bewaffnet hätte ein Bahnpolizist nicht die gleichen Kompetenzen wie ein Kantonspolizist. So soll er etwa keine Verdächtigen durchsuchen und vorläufig festnehmen dürfen. Der Nationalrat schwenkte damit auf die Linie des Ständerats ein, nachdem er in einer ersten Fassung der Bahnpolizei noch weiter gehende Kompetenzen hatte geben wollen.

Eine bürgerliche Minderheit setzte sich weiterhin für diesen ursprünglichen Beschluss ein. Die Reisenden erwarteten von den Polizisten Kompetenz und die Möglichkeit zum angemessenem Handeln, sagte Binder. Für reine Sicherheitsdienste würde sich auch kein voll ausgebildeter Polizist rekrutieren lassen.

Drohende Rechstunsicherheit

Mehrere Rednerinnen und Redner, darunter Leuenberger, wiesen auf drohende Rechtsunsicherheiten hin. Offen sei etwa die Frage, was "vorläufig festnehmen" genau bedeute und wann Verdächtige an die Polizei übergeben werden müssten. Zudem sei unklar, bei Verletzung welcher Gesetze die Bahnpolizei einschreiten könne.

Das Gesetz über die Sicherheitsorgane in Transportunternehmen gehört zu den rasch realisierbaren Teilen der Bahnreform 2, die das Parlament 2005 zurückgewisen hatte. Ebenfalls zu dem Paket gehört das Personenbeförderungsgesetz.

Auch bei dieser Vorlage gab der Nationalrat der kleinen Kammer nach, indem er die Konzessionvergabe an die Einhaltung arbeitsrechtlicher Vorschriften und branchenüblicher Arbeitsbedingungen knüpfte.

Zustimmung fand auch der Vorschlag des Ständerats, dass rückzahlbahre Darlehen an Bahnunternehmen in bedingt rückzahlbare Darlehen umgewandelt werden können oder die Rückzahlung ausgesetzt werden kann. Von einer solchen Regelung profitiert bereits die SBB.

Zwischen den Räten bleibt dagegen strittig, welchen Teil eines Gewinns die Bahnunternehmen einer Spezialreserve zuweisen müssen. Der Nationalrat hielt an Rücklagen von 12 Millionen Franken oder eines halben Jahresumsatzes fest, während der Ständerat eine tiefere Limite von 10 Prozent beschlossen hatte.
Quelle: SDA/ATS

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UNIFORM
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20min.ch 5.3.09

Angriffe auf Polizei

"Die Uniform zieht den Hass der Gesellschaft an"

von David Torcasso

Angriffe gegen Ordnungshüter haben im Kanton Zürich um 20 Prozent zugenommen. Sogar Sanitäter werden bei ihren Einsätzen regelmässig bedroht.

Zwei Winterthurer Stadtpolizisten versuchten kürzlich einen 13-jährigen Türken zu verhaften, als sie plötzlich von dessen Familienangehörigen mit Pfefferspray attackiert wurden. Nur dank ­Verstärkung konnte die Lage unter Kontrolle gebracht werden.

Der Angriff auf die Polizisten ist kein Einzelfall. Gemäss Kriminalstatistik haben 2008 Gewalt und Drohungen gegen Beamte im Kanton Zürich um 20 Prozent zugenommen.

"Der Alltag ist rauer geworden, die Gewaltbereitschaft nimmt zu", bestätigt Marcel Strebel, Infochef der Kantonspolizei. Auch Michael Wirz, Sprecher der Stadtpolizei Zürich, sagt: "Der Respekt vor der Polizei geht immer mehr verloren."

Besonders bei familiären Problemen oder im Nachtleben werden Polizisten verbal attackiert oder gar verletzt. "Die Aggression ist so gross, dass wir bei Streitereien nur noch mit mehreren Patrouillen ausrücken."

Inzwischen müsse die Stapo sogar der Sanität Polizeischutz bieten. Allein im letzten halben Jahr wurden sechs Rettungssanitäter bei ihren Einsätzen mutwillig verletzt. "Sie möchten helfen, und werden dabei mit Füssen getreten oder ins Gesicht geschlagen", sagt Urs Eberle, Sprecher von Schutz & Rettung. "Alles was Uniform trägt - egal ob Polizei, Sanität oder Zugbegleiter - zieht heute den Hass der Gesellschaft auf sich."

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Info-Box
Prozessieren schwierig

Viele Beamte melden Übergriffe auf ihre Person gar nicht. Wen wunderts: Wird ein Polizist oder Sanitäter beschimpft, kann er meist nur Zivilklage einreichen. Entgegen der weit verbreiteten Meinung existiert "Beamtenbeleidigung" in der Schweiz nicht. Deshalb verzichten viele Polizisten auf eine Klage, schätzt Peter Gull von der Stapo Winterthur. Anders in Deutschland: Dort gibt es für jede Art von Beamtenbeleidigung einen eigenen Bussentarif.

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ANTI-WTO 2003
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WoZ 5.3.09

Polizeioffizier freigesprochen

Der Hauptmann der Genfer Polizei, der während einer Anti-WTO-Demonstration den Einsatz der Paintball-Waffe FN 303 angeordnet hatte, ist unschuldig. So das Verdikt in einer Sache, die die Genfer Justiz seit sechs Jahren beschäftigt.

Im März 2003 war Gewerkschafts sekretärin Denise Chervet durch Splitter eines Paintball-Geschosses im Gesicht verletzt worden und hatte wegen fahrlässiger Körperverletzung geklagt. Das erste Urteil sprach den schiessenden Polizisten frei: Er habe lediglich Befehle ausgeführt. Nun wäscht die Justiz auch den verantwortlichen Offizier weiss: Die Waffe stelle bei richtigem Einsatz kein "übermässiges" Risiko dar, der Angeklagte könne deshalb trotz "unentschuldbar fahrlässigen" Handelns nicht als schuldig betrachtet werden.

Die Paintball-Waffe FN 303, die die Anführer einer Demonstration "markieren" sollte, war den Kantonen für eine Testphase zur Verfügung gestellt worden. Sie ist zwar schuld daran, dass Denise Chervet noch heute Geschosssplitter im Gesicht hat, und führte zum Rücktritt des damaligen Genfer Polizeichefs und zur Abwahl der Polizeidirektorin, doch schuldig ist gemäss Justiz niemand - auch wenn die Waffe seither in allen Kantonen ausser Gebrauch ist. Denise Chervet überlegt sich einen Rekurs. "Ich weiss nicht, ob es die Sache eines Gerichts ist, über die Gefährlichkeit einer Waffe zu urteilen." hb

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TRÄNENGAS
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Tribune de Genève 5.3.09

La police a-t-elle lancé des lacrymogènes contre les Roms?

Intervention - La cheffe de la police a demandé l'ouverture d'une enquête interne.

Fedele Mendicino

L'association Mesemrom demande des comptes à la police genevoise. Selon Me Dina Bazarbachi, présidente du mouvement de soutien aux mendiants roumains de Genève, les forces de l'ordre ont dérapé la nuit du 17 au 18 février dernier lors d'une intervention à Vernier: "Deux policiers ont lancé deux bombes lacrymogènes dans un bâtiment désaffecté du chemin de la Renfile afin de déloger des Roms qui dormaient sur place. Parmi eux, deux enfants de 11 et 12 ans. " Interpellée par l'avocate de Mesemrom, la cheffe de la police, Monica Bonfanti, a d'ores et déjà confié une enquête à l'Inspection générale des services (IGS) afin de faire la lumière sur cette affaire.

"Ces accusations ne tiennent pas la route"

Le courrier adressé à la police est particulièrement précis. Lieu, heure, nombre de policiers, numéro de plaque du véhicule d'intervention. D'après Me Bazarbachi, "deux personnes apeurées ont sauté hors du bâtiment depuis le 1er étage et se sont blessées. Ces faits se sont déroulés sous le regard hilare des deux policiers. "

Contacté hier, Jean-Philippe Brandt, porte-parole de la police, estime que "si c'est vrai, c'est très grave, si c'est faux aussi…" Fait curieux, lorsque le responsable de communication jette un œil à la main courante, il ne retrouve aucune trace de l'intervention ce jour-là. S'agissait-il d'une opération de la police judiciaire? De faux policiers? Une invention des Roms, qui se sentent persécutés par les forces de l'ordre? Quoi qu'il en soit, l'IGS a du pain sur la planche. "Ces accusations ne tiennent pas la route, estime un policier sous le couvert de l'anonymat. On ne lance jamais des lacrymos dans un endroit fermé. A l'intérieur, on utilise un spray au poivre s'il le faut. "

Seule certitude, les interventions des policiers se multiplient dans les lieux désaffectés occupés par des Roms ou des sans-papiers.

"Avant, les mendiants dormaient sous les ponts, poursuit Jean-Philippe Brandt. Les agents de sécurité municipale nous le signalent et les Roms sont alors éloignés de ces lieux. Résultat: ils cherchent refuge sur des sites comme celui de Vernier, où se trouvent des entrepôts vides appelés à disparaître. C'est d'ailleurs là qu'Ikea compte s'installer dans le canton. "

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BIOMETRIE
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WoZ 5.3.09

Biometrie-Verharmlosungen von der Abstimmung

Erst der Pass, dann die ID

Wenn die Stimmberechtigten am 17. Mai "Ja" sagen zu den biometrischen Pässen, beginnt die Zeit der ernsten Mienen. Die neuen Pässe, die der Bundesrat ab 2010 einführen will, sollen mit einem Chip versehen sein, auf dem Fingerabdrücke und ein digitalisiertes Foto des Inhabers oder der Inhaberin - die biometrischen Daten - gespeichert sind. Lächelnde Gesichter im Halbprofil entsprechen nicht internationalen Vorgaben.

Vage Beteuerungen

Die Aufnahme eines "guten Fotos" sei eine "reichlich komplexe Angelegenheit", sagte Roman Vanek, Leiter der Abteilung Ausweisschriften des Bundesamts für Polizei (Fedpol) kürzlich an einem Hintergrundgespräch. Andere Probleme nannte er nicht. Ernste Mienen macht man beim Fedpol trotzdem, denn von den Bundesratsparteien stehen nur noch die FDP und die CVP hinter dem Projekt. SP und Grüne wollen es dem Bundesrat nicht mehr abnehmen, dass ein Ja am 17. Mai notwendig sei, damit die Schweiz weiterhin bei Schengen mitmachen kann.

Das Fedpol betreibt in dieser Situation einen amtlichen Vorabstimmungskampf. Die Botschaft lautet: Es gehe ja nur um die biometrischen Pässe - und die seien erstens harmlos und zweitens notwendig. Nur so könne die Reisefreiheit der SchweizerInnen und die Fälschungssicherheit des Passes gesichert werden. Eigentliche Passfälschungen, so mussten die Vertreter des Amtes am Donnerstag einräumen, sind zwar schon seit der Einführung des maschinenlesbaren und mit diversen drucktechnischen Sicherungen versehenen Passes 2003 "praktisch unmöglich". Würden nun die Fingerabdrücke im zentralen Informationssystem Ausweisschriften (ISA) des Bundesamts für Polizei gespeichert, liessen sich aber die Passerschleichungen (65 dokumentierte Fälle seit 2003 - bei insgesamt 3,9 Millionen Pässen) in Zukunft definitiv verhindern, heisst es. Das System ermögliche es zudem, den Erfassten rasch und unkompliziert neue Ausweise auszustellen.

Nationalrat kuscht vor Verwaltung

Datenschutzprobleme sieht man beim Fedpol nicht. Das Amt selbst, die ausstellenden Behörden, das Grenzwachtkorps und die kantonalen Polizeien dürften das ISA nur zur Identitätsfeststellung, aber nicht zur Fahndung abfragen.

Der Zürcher Rechtsanwalt und Präsident von grundrechte.ch, Viktor Györffy, aber warnt: "Wenn die technischen Grundlagen erst einmal da sind, lässt sich das Recht schnell ändern." Er traut auch den Beteuerungen nicht, dass es weiterhin bei den bisherigen konventionellen Identitätskarten bleibe. Im Entwurf der Ausweisverordnung, mit dem Fedpol-Sprecher Guido Balmer am Hintergrundgespräch argumentierte, hat der Bundesrat tatsächlich nur den biometrischen Pass vorgesehen. "Die Verordnung kann er aber jederzeit ändern", sagt Györffy. "Entscheidend ist das Gesetz, und das lässt die bio metrische ID klar zu." Noch im März 2008 habe der Nationalrat auf einem Zusatz bestanden, wonach "alle Schweizer Staatsangehörigen in jedem Fall Anspruch auf eine herkömmliche, nichtbiometrische ID-Karte ohne Chip haben". Im Juni habe sich die grosse Parlamentskammer aber dem Druck der Verwaltung gebeugt und auf diesen Passus verzichtet. Györffy empfiehlt mit heiterer Miene, am 17. Mai ein Nein in die Urne zu legen.

Heiner Busch

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ASYL
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bern.ch 4.3.09

Revision des Asyl- und Ausländergesetzes:

Der Gemeinderat der Stadt Bern nimmt im Rahmen des Ver-nehmlassungsverfahrens Stellung zur anstehenden Revision des Asyl- und Aus-ländergesetzes und zur Änderung des Ausländergesetzes als indirekter Gegen-vorschlag zur "Ausschaffungsinitative".

Der Bundesrat will die Asylverfahren beschleunigen und konsequenter gegen Missbräuche vorgehen. Er hat deshalb im Januar ein Vernehmlassungsverfahren zur Revision des Asyl- und des Ausländergesetzes eröffnet.  Der Gemeinderat der Stadt Bern zeigt sich zwar erstaunt, dass nur kurze Zeit nach Inkrafttreten der Teilrevision des Asylgesetzes am 1. Januar 2008 erneut eine Revision ansteht. Er begrüsst aber die im Gesetzesentwurf gemachten Verbesserungen im Verfahrensbereich, insbesondere die Beschleunigung und Vereinfachung der Verfahrensabläufe.

Wichtigste Änderungen

Der Gemeinderat nimmt zu den wichtigsten Änderungen wie folgt Stellung:

* Flüchtlingsbegriff: Personen, die einzig wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind, sollen in der Schweiz nicht mehr als Flüchtlinge anerkannt werden und daher kein Asyl erhalten. Der Gemeinderat empfiehlt, diese Änderung abzulehnen. Er empfindet es als fragwürdig, wenn auf Gesetzesstufe Ausschlussgründe bezüglich der Flüchtlingseigenschaft festgelegt werden. Gerade die Nachteile, die einer Person durch Dienstverweigerung oder Desertion entstehen können, sind massgeblich für eine Flüchtlingsanerkennung.

* Aufhebung der Möglichkeit, im Ausland ein Asylgesuch einzureichen: Bis anhin konnten auf Schweizer Botschaften im Ausland Asylgesuche eingereicht werden. Diese Möglichkeit soll aufgehoben werden. Der Gemeinderat empfiehlt, diese Änderung abzulehnen. Die alte Regelung ermöglicht es Asylsuchenden, vor Ort angehört zu werden. Damit müssen sie nicht zwingend den Weg bis an die Schweizergrenze auf sich nehmen. Der Gemeinderat ist der Ansicht, dass dadurch die Zahl der Personen, die später unter Umständen als abgewiesene Asylsuchende in den Städten leben, reduziert werden kann.

* Ausgestaltung der vorläufigen Aufnahme / Wohnsitznahme: Vorläufig aufgenommene Personen, die Sozialhilfe beziehen, sollen neu einem Wohnort oder einer Unterkunft im Kanton zugewiesen werden. Der Gemeinderat vertritt den Grundsatz der Gleichbehandlung von vorläufig aufgenommenen und anderen Ausländern und Ausländerinnen. Mit der Einschränkung der freien Wohnsitzwahl schränkt man nach seiner Meinung auch die Integration dieser Personengruppe ein. Der Gemeinderat empfiehlt diese Änderung abzulehnen.

"Ausschaffungsinitative": Gemeinderat begrüsst indirekten Gegenvorschlag

Gleichzeitig mit dem Revisionsentwurf des Asyl- und Ausländergesetzes befindet sich der indirekte Gegenvorschlag des Bundesrates zur sogenannten "Ausschaffungsinitative" in der Vernehmlassung. Dieser sieht vor, dass Ausländergesetz in zwei Bereichen zu ändern: Einerseits soll ein konsequenter Widerruf von ausländerrechtlichen Bewilligungen bei schwerwiegenden Straftaten erfolgen. Andererseits soll die Niederlassungsbewilligung nur bei erfolgreicher Integration erteilt werden. Der Gemeinderat befürwortet grundsätzlich diese Änderung des Ausländergesetzes. Er hält jedoch fest, dass sie für die Vollzugsorgane einen enormen personellen Mehraufwand bedeutet.

Informationsdienst der Stadt Bern

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HEIRATSVERBOT
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Bund 5.3.09

Heiratsverbot für Sans-Papiers

Nationalrat beschliesst Massnahmen gegen Scheinehen - Heirat nur bei rechtmässigem Aufenthalt

Ausländern, die sich mit einer Heirat den Aufenthalt in der Schweiz sichern wollen, soll ein doppelter Riegel geschoben werden: Der Nationalrat will die Ehe vom legalen Bleiberecht abhängig machen und die Frist zur Wiederausbürgerung verlängern.

Jürg Sohm

Bei ihrem "Kampf gegen Scheinehen" wollte die SVP ursprünglich von ausländischen Ehepartnern zwingend eine Aufenthaltsbewilligung oder ein Visum verlangen. So forderte es der heutige Parteipräsident Toni Brunner 2005 in einer parlamentarischen Initiative. Nicht nur wäre damit gegen das in Verfassung und Menschenrechtskonvention verankerte Recht auf Ehe verstossen worden. Konsequenz davon wäre ebenso gewesen, dass auch eine Schweizerin hierzulande keinen in München oder Hamburg wohnhaften Deutschen mehr hätte heiraten dürfen. Und dass sich japanische Touristen nicht mehr vor romantischer Schweizer Bergkulisse das Jawort hätten geben dürfen - der heimischen Tourismusbranche wäre ein attraktives Angebot abhandengekommen.

Das will auch die SVP nicht. Und so befand der Nationalrat gestern über eine etwas moderatere Fassung des Vorstosses, welche die vorberatende Kommission ausgearbeitet hatte. Konkret werden ausländische Brautleute verpflichtet, vor der Heirat ihren rechtmässigen Aufenthalt in der Schweiz nachzuweisen. Und die Zivilstandsbeamten sollen den Ausländerbehörden mitteilen, wenn sich illegal Anwesende das Jawort geben wollen. Mit 104 zu 68 Stimmen wurde der Vorstoss angenommen.

1000 Scheinehen jährlich

Mit dieser Verschärfung soll verhindert werden, dass sich Ausländer mit einer Ehe der verfügten Ausreise entziehen. Gegen 1000 Ehen jährlich werden laut einer nicht mehr ganz aktuellen Schätzung des eidgenössischen Amts für Zivilstandswesen allein zur Umgehung von Bestimmungen des Ausländerrechts geschlossen. Zum Beispiel von abgewiesenen Asylbewerbern. Wenn diese die gesetzte Ausreisefrist haben verstreichen lassen, sind sie nicht mehr "rechtmässig" in der Schweiz und sind somit künftig vom Heiratsverbot betroffen. In Europa kennen Dänemark, Norwegen, die Niederlande und Grossbritannien ähnliche Regelungen.

Betroffen sind ebenso Sans-Papiers - und zwar auch dann, wenn sie eine Landsfrau heiraten und somit nicht das Bleiberecht erwirken wollen. Laut Schätzungen gibt es rund 100000 Frauen und Männer, die ohne Bewilligung (aber von den Behörden meist unbehelligt) in der Schweiz leben, arbeiten und sogar ihre Kinder in die Schule schicken. Heiraten dürfen sie fortan nicht mehr.

SP und Grüne kritisierten dies scharf. Das Heiratsverbot ändere nichts an der Realität der Sans-Papiers, sagte Marlies Bänziger (grüne, ZH). "Sie ändern nichts daran, dass diese Leute in unserem Land leben und arbeiten; aber Sie sorgen für eine zusätzlich Diskriminierung." Damit werde die Verfassung verletzt. Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf verneinte dies. Die Vorlage sei vereinbar mit Verfassung und Menschenrechten.

Einbürgerung widerrufen

Gleichzeitig macht sich der Nationalrat daran, auch im Bürgerrecht den "Kampf gegen Scheinehen" zu verschärfen. Konkret soll die Frist verlängert werden, während der eine Einbürgerung widerrufen werden kann. Wird das Bürgerrecht mit "falschen Angaben" oder "Verheimlichung erheblicher Tatsachen" erschlichen, kann es heute innert fünf Jahren rückgängig gemacht werden. Neu soll dies während acht Jahren möglich sein. Zudem soll die Verjährungsfrist während eines Beschwerdeverfahrens stillstehen. Der Nationalrat hat die Behandlung dieser parlamentarischen Initiative des Luzerner CVP-Nationalrats Ruedi Lustenberger gestern aus Zeitgründen verschoben. Die Annahme durch den Rat ist aber absehbar.

Einbürgerungen erschlichen werden vor allem über das erleichterte Einbürgerungsverfahren für Ehegatten von Schweizern. Sie müssen sich nur fünf (statt wie bei der ordentlichen Einbürgerung zwölf) Jahre in der Schweiz aufhalten und drei Jahre verheiratet sein. Wie viele Ehen effektiv nur geschlossen werden, um die Schweizer Staatsbürgerschaft zu erlangen, ist indes nicht klar. Jährlich werden rund 100 Verfahren eröffnet - rund ein Prozent der 100000 erleichterten Einbürgerungen pro Jahr. Es fehlt bisher aber eine statistische Auswertung dieser Verfahren. Die vorberatende Kommission hält fest, dass es sich somit "nicht um ein Massenphänomen" handle. Die Kommissionsmehrheit will die Fristverlängerung trotzdem - vor allem, weil es sehr aufwendig sei, Scheinehen zu beweisen.

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Bürgerrechts-Revision

Das Bürgerrechtsgesetz soll revidiert werden. Das schreibt der Bundesrat in seiner Antwort auf einen Vorstoss im Nationalrat, der gute Kenntnisse und erfolgreiche Integration als Bedingung für die Einbürgerung konkreter festschreiben will. Der Bundesrat will die Revision "rasch vorantreiben" und bis Ende Jahr einen Gesetzesentwurf vorlegen. Geplant ist ein "verbessertes und zeitgemässes" Einbürgerungsverfahren. Einen Schwerpunkt soll die Frage der Integration darstellen. Offen ist, ob auch die Einbürgerung auf Antrag (und damit ohne Verfahren) der dritten Ausländergeneration aufgenommen wird, wie dies der Nationalrat im Grundsatz wünscht. (soh)

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STADTRAT 12.3.09
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11 Interpellation Rolf Zbinden (PdA): Berner Burgergemeinde mit der Einwohnerge-meinde vereinigen!
Geschäftsnummer 08.000286 / 08/436

Schon vor der Publikation von Katrin Rieders Buch "Netzwerke des Konservatismus" hat sich die PdA Bern in einer Medienmitteilung vom 15. Juli 2008 mit folgender Begründung für eine Vereinigung der Burger- mit der Einwohnergemeinde eingesetzt.
In der Stadt Bern ist genug Geld für eine humane Sozialfürsorge vorhanden. Dazu müssen wird nicht einmal die grossen Firmen heranziehen. Es reicht, wenn die Burgergemeinde mit der Einwohnergemeinde vereinigt wird.
Die Burgergemeinde weist ein Vermögen von 800 Mio. Franken aus; wenn ihr Grundbesitz richtig bewertet wird, sind es weit über eine Milliarde Franken Diesem Vermögen steht eine einzige gesetzliche Verpflichtung gegenüber: Die Burgergemeinde muss für die Fürsorgeleis-tungen ihrer Mitglieder aufkommen. Bei den Bernburgern haben im Jahr 2006 84 Menschen Fürsorgeleistungen bezogen, dies ist ein halbes Prozent der Bernburger. Bei der städtischen Bevölkerung sind 5 Prozent auf Fürsorgeleistungen angewiesen.
Die Burgergemeinde Bern ist ein Überbleibsel aus der Zeit vor der französischen Revolution. Das Vermögen der Burgergemeinde ist kein Privateigentum, es ist das Vermögen der Stadt Bern vor dem Einmarsch der Franzosen. Die politische Macht ist auf alle Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Bern übergegangen, genau gleich muss endlich auch das Vermögen an die Einwohnergemeinde gehen.

Alle Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Bern sollen demokratisch entscheiden, wie das Vermögen der Burgergemeinde und seine Erträge nach der Vereinigung zu verwenden sind. Es spottet jeder Demokratie, wenn nur die Nachkommen der Gnädigen Herren von Bern ent-scheiden können, welche Museen und welche Kulturveranstaltungen mit den Erträgen aus dem Vermögen gefördert werden sollen. Es spottet auch jeder sozialen Gerechtigkeit, wenn die Burgergemeinde wie bei der kommenden Überbauung Baumgarten Ost jede Wohnung um 50'000 Franken verbilligt. Leute mit kleinem Einkommen, die sich eine solche Wohnung trotz Verbilligung nicht leisten können, wären dringender auf Mietzinsreduktionen angewiesen.
Katrin Rieders Buch liefert noch ein weiteres Argument. In den 1930er Jahren war die Bur-gergemeinde eine Gefahr für die Demokratie. Sie hat vermögende burgerliche Faschisten über die Zünfte finanziell unterstützt und den Faschisten ihre Lokale (Zunftsäle und Casino) für Versammlungen zur Verfügung gestellt. Da die Burgergemeinde die braunen Flecken in ihrer Vergangenheit nur unter äusserem Druck aufarbeitet, muss man für kommende härtere Zeiten Schlimmes befürchten. Die Burgergemeinde könnte ihre Sympathie für undemokrati-sches, autoritäres Gedankengut wieder entdecken und ihr Vermögen für dessen Förderung einsetzen.

Aus diesen Gründen fragt die PdA Bern den Gemeinderat an:

1. Teilt der Gemeinderat die Auffassung, dass es im Interesse der Einwohnergemeinde Bern liegt, das historische Relikt der Burgergemeinde aufzulösen und mit der politischen Ge-meinde zu vereinigen?
2. Welche Möglichkeiten hat die Stadt Bern, um diese Vereinigung voranzutreiben?
3. Ist der Gemeinderat bereit, beim Kanton auf diese Vereinigung hinzuwirken?

Bern, 4. September 2008

Antwort des Gemeinderats
Einleitend weist der Gemeinderat die Unterstellung der Interpellanten und Interpellantinnen gegen die Burgergemeinde Bern, wonach diese eine Gefahr für unseren demokratischen Rechtsstaat darstellen könnte, in aller Schärfe zurück. Er empfindet solche €usserungen im höchsten Masse als unqualifiziert.

Zu Frage 1:
Nein. Die Burgergemeinde Bern ist eine durch die Verfassung des Kantons Bern garantierte öffentlich-rechtliche Körperschaft. Bezüglich der Verwendung des Vermögens ist die Burger-gemeinde nicht frei. Die Burgergemeinden haben bei der Verwaltung und Verwendung ihres Vermögens und dessen Erträge die Bedürfnisse der Einwohnergemeinde zu beachten (Art. 114 Gemeindegesetz, BSG 170.11). Die Burgergemeinde hat klare Aufgaben und wichtige Funktionen für die Öffentlichkeit zu erfüllen. Im Bereich der Waldpflege, der Kulturförderung, der Sozialhilfe und des Vormundschaftswesens ist die Burgergemeinde für die Öffentlichkeit tätig. Viele der gemeinnützigen und kulturellen Beiträge kommen der gesamten bernischen Öffentlichkeit zugute. Der Gemeinderat ist nicht der Ansicht, dass es im Interesse der Stadt Bern läge, die Burgergemeinde aufzulösen und mit der Stadt Bern zu vereinigen.

Zu Frage 2:
Die Burgergemeinde ist eine der vier in der kantonalen Verfassung vom 6. Juni 1993 (KV, BSG 101.1) vorgesehenen Gemeindearten. Für alle Gemeindearten gilt eine Bestandesga-rantie, welche das Gebiet wie auch das Vermögen umfasst (Art. 108 Abs. 1 KV).
Die Aufhebung der Burgergemeinde bräuchte aufgrund der Bestandesgarantie deren Zustim-mung (Art. 108 Abs. 3 KV). Zwangsfusionen sind im Kanton Bern nach geltendem Verfas-sungsrecht unzulässig. Die Burgergemeinden können somit ohne Verfassungsänderung nicht abgeschafft werden und ohne deren Zustimmung auch nicht mit der Einwohnergemeinde vereinigt werden. Die Stadt Bern hätte demnach keine Möglichkeit ohne Einverständnis der Bur-gergemeinde eine Fusion voranzutreiben.

Zu Frage 3: Der Gemeinderat ist nicht bereit auf eine Vereinigung hinzuwirken.

Bern, 17. Dezember 2008

- Auf Antrag des Interpellanten beschliesst der Rat Diskussion. -

Interpellant Rolf Zbinden (PdA): Vorerst möchte ich festhalten, dass mich die Antwort des Gemeinderats zumindest in einem Punkt mit einer gewissen Freude erfüllt hat. Der Gemein-derat streitet immerhin nicht explizit ab, dass die Burgergemeinde in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts eine Gefahr für die Demokratie darstellte. Die innere Struktur der Bur-gergemeinde hat sich seither nicht verändert, ihr Vermögen hat sich auch nicht reduziert. Dass die momentane Krise bereits mit der Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre verglichen wird, ist wohl auch dem Gemeinderat nicht entgangen. Unqualifiziert ist wohl die Ansicht, mit der die Möglichkeit ausgeschlossen wird, dass sich die Burgergemeinde in der heutigen Zeit wieder wie damals verhalten und auf die autoritäre Karte setzen könnte.
Bei der Haltung des Gemeinderats kann es die Burgergemeinde gut verschmerzen, dass mit Stephan Hügli einer der ihren abgewählt wurde. Wenn der Gemeinderat der Meinung ist, eine Vereinigung der Burgergemeinde mit der Einwohnergemeinde sei nicht im Interesse der Stadt Bern, so heisst dies Folgendes: Die Burgergemeinde kann gemäss Gemeinderat besser als die Einwohnergemeinde beurteilen, wie sich die Stadt in vielen Bereichen entwickeln soll. Dem Gemeinderat ist es anscheinend recht, dass nicht er, der Stadtrat und schliesslich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger entscheiden können, welche Kultur mit wie viel Geld ge-fördert werden soll, wo Wohnungen für die arme und die reiche Bevölkerung gebaut werden sollen, ob wie heute Wohnungen für Reiche oder ob neue Wohnungen auch für Arme subven-tioniert werden sollen. Offenbar hat der Gemeinderat in die auserlesenen Bernburger grösse-res Vertrauen als in die gemeine Stadtbevölkerung. Jedenfalls wissen die Wählerinnen und Wähler jetzt, wo sie stehen. Wenn sie RGM wählen, dürfen sie sich über zahlreiche partizipa-tive Rhetorik freuen; wenn sie jedoch demokratisch über die Verwendung des Burgervermö-gens entscheiden und die bürgerliche Revolution endlich zu Ende bringen möchten, haben sie von RGM leider gar nichts zu erwarten.

Fraktionserklärungen

Natalie Imboden (GB) für die GB/JA!-Fraktion: Die Diskussion über die Burgergemeinde hat im letzten August zu emotionalen Debatten Anlass gegeben. Anstoss gab die umfassende Studie über die Berner Burgergemeinde im 19. und 20. Jahrhundert: "Netzwerke des Konser-vatismus" der Historikerin Katrin Rieder, die das Buch öffentlich auflegte. Die GB/JA!-Fraktion ist der Ansicht, dass es legitim ist, im Parlament mit seiner politischen Verantwortung über die Zusammenlegung der Einwohnergemeinde und der Burgergemeinde zu diskutieren, und sie unterstützt die Forderung der Interpellation. Es ist der Fraktion durchaus bewusst, dass der politische Entscheid auf der kantonalen Ebene gefällt wird, weil es sich um die Frage der Kan-tonsverfassung handelt. Trotzdem können wir dazu Position beziehen.
Die Burgergemeinde ist unseres Erachtens demokratiepolitisch ein Anachronismus. Auch im schweizerischen Vergleich mit andern Städten ist die Berner Burgergemeinde ein Sonderfall.
Zur Vergangenheitsbewältigung: Der Umgang mit der eigenen Geschichte verlangt von jeder Gesellschaft und jedem Gemeinwesen - auch von einer politischen Gemeinde - den Willen zur Reflexion und auch zur Selbstkritik. Dies gilt auch für die frontistischen nazifreundlichen Tendenzen, die es auch in der Stadt Bern in den 30er- und 40er-Jahren gegeben hat, wie auch für die Aktivitäten und Vernetzungen einzelner Personen, unter anderem auch Bernbur-ger, wie jene des späteren Burgerratspräsidenten Georges Thormann. Dies ist in der Studie erwähnt.
Die kritische Aufarbeitung der Geschichte ist fortwährend notwendig. Die Diskussion um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg haben wir in den letzten Jahren stets wieder erfahren. Dies gilt auch für die Burgergemeinde und sie hat es bis anhin sträflich vernachlässigt, sich selber mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Es ist der Verdienst der grundliegenden Arbeit, endlich die Fakten auf den Tisch gelegt zu haben und es ist zu hoffen, dass weitere Studien folgen werden, die Forschung dabei unterstützt und nicht behindert wird sowie alle Archive geöffnet werden.
Die Diskussion um den Status der Burgergemeinde und die Forderung nach der Auflösung der Burgergemeinde ist nicht neu. "Es ist wohl keine Frage des öffentlichen Rechts im Kanton Bern so gründlich verpfuscht worden wie die Frage der Organisation unserer Gemeinden und der damit zusammenhängenden Bestimmung der Gemeindegüter", klagte im Jahr 1884 der freisinnige Politiker Rudolf Brunner-Stettler, ein Kritiker der damaligen Burgergemeindeorga-nisation. Nicht nur liberale und radikale Politiker, Politikerinnen gab es damals noch kaum, sondern auch Vertretungen der Arbeiterschaft haben den sogenannten "Gemeindedualismus" als Problem erachtet.
Die Burgergemeinden standen damals in der Phase der Gründung der modernen Eidgenos-senschaft im grundsätzlichen Widerspruch zu einer liberalen Grundgesinnung eines moder-nen Staatsaufbaus und den Grundsätzen des modernen Bundesstaats. Im Jahr 1848, als die Gleichheit aller Bürger, ohne jegliche Zurücksetzungen nach Geburt oder Stand, im Zentrum stand, stand bereits damals das aristokratische Prinzip einer Burgergemeinde in Widerspruch mit dem demokratischen Prinzip.
Was vom Ancien RŽgime von Bern übrig blieb, sind die Priviliegien der alten Ordnung. Wir sind der der Meinung, dass dies diskutiert und geändert werden muss.
Letztmals wurde die Frage anlässlich der Revision der Kantonsverfassung 1993 diskutiert, die sowohl der Grossrat wie auch das Stimmvolk angenommen haben. Aber bereits damals haben die Linken (SP, Grüne und Gewerkschaften) die Aufhebung der Burgergemeinden gefordert. Leider ohne Erfolg. Wir gehen mit dem Gemeinderat einig - und dies ist fast die einzige Über-einstimmung mit seiner Antwort -, dass hier ein demokratischer Prozess auf kantonaler Ebe-ne notwendig ist.
Neben diesen demokratie-politischen Aspekten geht es auch um vermögensrechtliche Be-trachtungsweisen. Hat man den Brief vor Augen, den der heutige Burgerratspräsident anläss-lich der letzten Diskussion im August 2008 verfasst hat, und worin er die damalige Güteraus-scheidung aus dem Jahr 1852 als richtig betrachtet, finden wir in der vorliegenden Dissertati-on doch etwas andere Aspekte und Einschätzungen.
Ich zitiere wieder den Freisinnigen Brunner: "Ich nenne es ein abnormes Verhältnis, wenn in einer Stadt von mehr als 40 000 Einwohnern nur circa 4000 Burger sich befinden, welche den Ertrag eines Gemeindeguts von vielen Millionen allein beziehen, während die Gesamtheit der Einwohner die öffentlichen Lasten der Gemeinde zu tragen hat". Dieser Analyse ist auch 150 Jahre später wenig beizufügen.
Die Verhältnisse haben sich geändert, Inzwischen gibt es 17 000 Burgerinnen und Burger in der Stadt Bern und ca. 120 000 Einwohnerinnen und Einwohner. Wird dieses Verhältnis auf-geteilt, müsste es hier im Saal ungefähr ein Sechstel Burgerinnen und Burger geben.
Die Vermögenssausscheidung aus dem Jahr 1852 ist aus heutiger Sicht mehr als nur asym-metrisch. Sie führte dazu, dass das Vermögen aus dem alten Bern sehr einseitig der Burger-schaft zugeteilt wurde und die Einwohnergemeinde Bern und der Kanton Bern als politischen Kanton erhielten nur relativ geringe Anteile. So bilanzierte der Kanton als Oberaufsicht zu einem späteren Zeitpunkt, dass "die Burgergemeinden beinahe durchgehends den Löwenanteil an den gemeinen Gütern an sich zu bringen wussten". Dies ist aus der Sicht des GB und der JA! eines der Probleme.
Die Burgergemeinde darf unseres Erachtens keine heilige Kuh sein. Selbstverständlich sind viele kulturelle, gesellschaftliche und soziale Aktivitäten der Burgergemeinde begrüssenswert und verdienstvoll. Angesichts der ungerechten Vermögensausscheidung ist diese Spendentä-tigkeit doch ein bisschen erstaunlich. Einerseits kann die Burgergemeinde entscheiden, wel-che Projekte zu unterstützen sind, sie kann also Kür machen, die politische Einwohnerge-meinde dagegen hat den Pflichtteil zu erfüllen, und es ist doch interessanter, Preise an Künst-lerinnen und Künstler zu vergeben als Kanalisationen und dergleichen zu finanzieren.
Fazit: Die GB/JA!-Fraktion unterstützt die Forderung, dass der Gemeindedualismus endlich zu bereinigen ist sowie Einwohnergemeinde und Burgergemeinde zusammenzuführen sind. Da-für ist ein demokratischer Prozess auf kantonaler Ebene unerlässlich. Wir unterstützen diesen und fordern, dass der alte Zopf aus dem Ancien RŽgime endlich abgeschnitten wird.

Jacqueline Gafner Wasem (FDP) für die FDP-Fraktion: Die FDP-Fraktion hat sich überlegt, ob sie sich zu diesem mehr als befremdlichen Vorstoss überhaupt äussern soll, nachdem die ablehnende Antwort des Gemeinderats an Eindeutigkeit eigentlich nichts zu wünschen übrig lässt. Wenn ich namens der FDP-Fraktion nun trotzdem eine kurze Stellungnahme abgebe, so einzig aus dem Grund, auch nicht die Spur eines Zweifels an ihrer Haltung in dieser Angele-genheit aufkommen zu lassen.
Was Herrn Zbinden offenbar vorschwebt, ist nichts weniger als eine Konfiskation des Vermö-gens der Burgergemeinde Bern, also eine Enteignung der Burgergemeinde Bern ohne Ent-schädigung, wie man sie unter anderem aus der Praxis der Unrechtsstaaten auf dem europäi-schen Kontinent in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kennt.
Geschichtskenntnisse scheinen aber ohnehin nicht die starke Seite des Interpellanten zu sein, sonst könnte er sich nicht zu der in gleich mehrfacher Hinsicht abstrusen Behauptung versteigen, dass das Vermögen der Burgergemeinde Bern kein Privateigentum sei, sondern das Vermögen der Stadt Bern vor dem Einmarsch der Franzosen.
Nachdem Herr Zbinden die offizielle Geschichtsschreibung vermutlich nicht als für sich ver-bindlich taxieren wird, aber doch möglicherweise die in seiner Interpellation erwähnte Buchau-torin Katrin Rieder als Expertin gelten lassen wird, empfehle ich ihm, zur Entstehungsge-schichte von Kanton, Einwohnergemeinde und Burgergemeinde in ihrer heutigen Form doch einmal die entsprechenden Passagen im Interview nachzulesen, das Frau Rieder der WOZ am 14. August 2008 gewährt hat, wonach das Vermögen des alten Stadtstaats Bern seiner-zeit zwischen drei Parteien aufgeteilt worden ist, dem Kanton Bern, der Einwohnergemeinde Bern und der Burgergemeinde Bern.
Wenn die Burgergemeinde Bern es dabei verstanden hat, aus dem Teil, den sie im Rahmen dieser Vermögensausscheidung vor über 150 Jahren erhalten hat, etwas zu machen und ih-ren Besitz zu erhalten und zu mehren, dann spricht das nicht gegen, sondern für sie und ist zudem für die Stadt wie den Kanton Bern eine höchst erfreuliche Tatsache, wenn man sich vor Augen führt, was an Institutionen und Projekten im Bereich Kultur, Soziales und Wissen-schaft nicht existieren würde und nicht möglich wäre, wenn die Allgemeinheit dabei nicht re-gelmässig auf die Burgergemeinde Bern zählen könnte.
Mit einem Schatzmeister vom Zuschnitt des Interpellanten wäre dagegen von der Substanz, mit deren Ertrag diese Leistungen finanziert werden, wohl bereits in wenigen Jahren nichts mehr da.
Ich gestatte mir noch einige kurze Bemerkungen zu den Ausführungen meiner Vorrednerin: Es floss relativ viel Wasser durch die Aare seit dieser seinerzeitige Exponent der radikalen Freisinnigen seine Ausführungen getätigt hat, die Natalie Imboden vorgängig zitiert hat. Aus heutiger Sicht verhält sich die Sache anders, als ein paar Jahre nach Entstehen der Eidgenossenschaft. Wenn sich die Stadt Bern, oder vielleicht besser gesagt, die Einwohnergemein-de Bern und der Kanton Bern damals allenfalls von der Burgergemeinde Bern über den Tisch ziehen liessen - ich kann es nicht beurteilen -, ist dies wahrscheinlich nicht unser heutiges Problem. Ich messe die heutige Burgergemeinde an dem, was sie heute für das Allgemein-wohl macht und in dieser Hinsicht bleibt zu hoffen, dass sie noch lange existiert.

Peter Wasserfallen (SVP) für die SVPplus-Fraktion: Die Burgergemeinde ist weder anachro-nistisch noch irgendein altes Vehikel. Da kann lange moniert werden, es sei damals bei der Güterausscheidung zwischen 1833 und 1852 undemokratisch zu und her gegangen. Wichtig ist doch zu sehen, dass es mehr oder weniger diejenigen Menschen waren, die später auch unseren Bundesstaat mitgestalteten. Es waren natürlich nur die Männer, sie waren die be-stimmende Kraft; die Frauen erhielten erst im Jahr 1971 das Stimmrecht.
Die Verfassung von 1848 würde heute auch niemand als undemokratisch einstufen. Genau diese Personen, die damals demokratisch legitimiert entscheiden konnten, haben sich ent-schieden, in der Stadt Bern die Gütertrennung durchzuführen. Es darf nicht vergessen wer-den, die Gütertrennung umfasste damals das Burgerspital, die Bibliotheken, das Burgerwai-senhaus etc. sowie Forst- und Allmendgüter. Letztere wurden erst interessant, als man nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderem im Tscharnergut zu bauen begann. Hätten sich diese Güter irgendwo im Oberland befunden, wäre die Burgergemeinde wahrscheinlich nicht in die-sem Umfang reich geworden. Sie besässe zwar einige schöne Gebäude in der Stadt, aber bei Weitem nicht dieses Grundeigentum, worauf heute gewohnt wird und dank den Mieterträgen entsprechend Gewinn erzielt werden kann. Im Jahr 1852 konnte man sich nicht vorstellen, dass dort weit ausserhalb der Stadt - da war Wald und Landwirtschaft - vielleicht in hundert Jahren Häuser gebaut würden.
Zur Vergangenheitsbewältigung: Es gibt zahlreiche Institutionen, die stammen aus einer Zeit, die brutal war.
Nun wird der Burgergemeinde aufgrund ein paar wenigen Exponenten zum Vorwurf gemacht, die ganze Institution sei nicht in Ordnung und sie stelle eine Gefahr für die Demokratie dar. Wir haben auch keine Sippenhaftung bei uns und die Burger waren garantiert nie eine Gefahr für unsere Demokratie. Dies wäre so, wie wenn wir sagen würden, die Amerikaner seien mit ihrer Sklaverei stets eine Gefahr gewesen für die Menschenrechte.
Jede Organisation hat ihre Hochs und Tiefs; einige Exponentinnen und Exponenten betrach-ten stets nur das Tief. Damals gab es faschistische Tendenzen in Europa, vor und während der Zeit des Ersten Weltkriegs waren es sozialistische. Tendenzen wird es immer geben und es gibt keine Vereinigung, die sich diesen entziehen kann. Nun hat es halt von der Burgerge-meinde einige getroffen.
Weshalb wünschen heute viele die Auflösung der Burgergemeinde? Ganz einfach, weil die Milchkuh geschlachtet werden könnte. Die Burgergemeinde hat jedoch in den letzten Jahr-zehnten bewiesen, dass sie das Vermögen sehr gut verwalten und die Gelder auch sinnvoll einsetzen kann. Über die Auflösung der Burgergemeinde an einen Geldtopf zu kommen - da macht die SVPplus-Fraktion nicht mit. Lassen wir das Ganze, wie es ist. Die Burgergemeinde ist weder anachronistisch noch schlecht, sondern schlicht eine traditionelle Institution, die wie die Aare und das Münster zur Stadt Bern gehört.
Peter Bernasconi (SVP): Um es gleich vorwegzunehmen: Ich bin Bernburger und stolz darauf. Ich möchte mich noch zur damals stattgefundenen Güterausscheidung äussern. Die Burger-gemeinde hat über die Jahrhunderte sehr gut gewirtschaftet und hat sich ein finanziell solides Fundament erarbeitet. Der Vorwand, gewisse Verbindungen in der Geschichte, die heute teil-weise aufgearbeitet ist, als Anlass zu nehmen, eine Vereinigung durchzuführen, ist voll und ganz ein Scheinargument. Es geht hier grundsätzlich um finanzielle Anreize. Bei der Güterausscheidung hatte man den Burgern damals das Land und diejenigen Güter zugewiesen, die keinen Wert besassen. Man hat ihnen nämlich die Landwirtschaftsgüter ausserhalb der Stadt zugeschrieben. Es ist heute bekannt, wie der Baulandpreis und die Attraktivität ausserhalb und im Zentrum der Stadt aussieht. Wenn man sich nun durch die stattgefundene Entwicklung wohlhabend machen konnte, war dies gewiss keine ungerechte Aufteilung, so wie es hier zur-zeit dargestellt wird. Diese Darstellung möchte ich in aller Form zurückweisen. Die Burgerge-meinde übernimmt beim Sozialwesen für die Stadt sehr grosse Beiträge. Die Burgergemeinde schaut zu denjenigen Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht selber bestreiten können. Diese - und nicht wenige - würden ansonsten von der Sozialhilfe der Stadt unterstützt. Kürz-lich ist ein Flugzeug aus Argentinien in Belp gelandet, weil einer festgestellt hat, dass er noch Burger ist. 20 Personen sind ausgestiegen und in der Almoserei der Burgergemeinde gelan-det.
Ich habe den Eindruck, dass diejenigen Personen, die den Vorstoss unterstützen, nicht wis-sen, wie sie beim Volk ankommen. Ich kann verstehen, dass es hier einzelne Exponenten gibt, die überhaupt nicht nachvollziehen können, wie es früher lief. Aber die Auflösung der Burgergemeinde ist mit Gewissheit nicht der richtige Weg.
Die Burgergemeinde leistet jedes Jahr für mehrere Millionen Franken Beiträge für den kultu-rellen Bereich. Wenn Sie nun auf diese Art und Weise an der Sache knabbern wollen, könnte dies vielleicht sogar zum Bumerang werden und negative Auswirkungen auf die Stadt haben. Bedenken Sie dies bitte.

Stadtpräsident Alexander Tschäppät für den Gemeinderat: Um Peter Bernasconi zu antwor-ten: Ich bin nicht Bernburger und bin auch stolz darauf. Der Gemeinderat ist froh, dass die Burger das erhaltene Vermögen sinnvoll einsetzen - sei dies nun im sozialen oder kulturellen Bereich - und damit sehr sorgfältig umgehen. Eine Sache, die sie damals "contre coeur" - da war eben Geld wichtiger als Wald und Land - übernommen haben.
Die Stadt Bern hat ein gutes Verhältnis mit der Burgergemeinde. In zahlreichen Fragen sind wir glücklich über ihre Existenz.
Weshalb wird das Thema diskutiert? Es kam eine kritische Dissertation auf den Markt, die zu Recht Fragen stellt, die gestellt werden sollen und dürfen. Ich erachte es als richtig, dass man sich nun ernsthaft, auch als Burger, selbstkritisch mit der Vergangenheit auseinandersetzt. Es ist auch richtig, dass einerseits die Burgergemeinde, andererseits die Stadt Bern Aufträge erteilt hat in der Absicht, die Vergangenheit näher unter die Lupe zu nehmen und aus den zum Vorschein kommenden Fehlern zu lernen. Aus den Fehlern, die vor 50 oder 60 Jahren begangen wurden, den Schluss zu ziehen, die Burgergemeinde sei irgendwie ein Relikt, das abgeschafft gehört, ist meines Erachtens ein allzu kühner Schluss.
Der Stadtarchivar wurde beauftragt, die in der Dissertation auftauchenden Fragen in Zusam-menhang mit der Stadt Bern kritisch zu beleuchten. Dabei wollen wir wissen,

- wie das Verhältnis der Stadt zur Burgergemeinde aussieht, beispielsweise wie die Güter-ausscheidung im Jahr 1852 und ihre Folgen zu betrachten sind;
- wie das Burger- und das Bürgerrecht verknüpft sind; da gab es Vorwürfe an Chefbeamte der Stadt Bern;
- welche Zusammenhänge zwischen Angehörigen in Spitzenpositionen der Verwaltung und gleichzeitig in Spitzenpositionen der Burgergemeinde bestehen, die in irgendwelcher Form nicht korrekt sind;
- wie es mit der Überbauung Villette und
- dem Verkauf der Felsenburg lief.

Die Antworten, seien sie nun angenehm oder nicht, sollen thematisiert werden. Dies legiti-miert schliesslich dazu, eine Aussage zur Institution Burgergemeinde Bern zu machen - bei-spielsweise ob sie allenfalls aufgelšst werden soll; wir sprechen dann vielleicht nicht nur von der Burgergemeinde der Stadt, sondern auch von anderen Burgergemeinden im Kanton Bern. Das Ergebnis kann in der Folge politisch diskutiert werden.
Ich kann als Stadtpräsident nur sagen, während meiner Zusammenarbeit mit der Burgerge-meinde haben wir in zahlreichen Fragen sehr gute Ergebnisse erzielt. Dies ermöglichte es auch, zu ausgeschiedenem Vermögen Sorge zu tragen, und deshalb ist heute Substanz vor-handen, auf die beim naturhistorischen Museum, bei Kulturinstitutionen, bei Sozialinstitutio-nen zurückgegriffen werden kann.
In Anbetracht all dieser Punkte sage ich: Es ist Vorsicht geboten, ableitend aus einer Disser-tation zu glauben, wir müssten Schritte einleiten, die letztlich historische Dimensionen an-nehmen würden. Für mich persönlich besteht kein wirklicher Handlungsbedarf, gestützt auf eine Dissertation unsere Kantonsverfassung in ihren Grundfesten abzuändern.

Beschluss
Der Interpellant ist mit der Antwort nicht zufrieden.

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BRAUNE BERNBURGER
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Solothurner Zeitung 5.3.09

Durchzogenes Abbild der Burger

In Bernburger-Schriften finden sich "durchaus Sympathien" für frontistische Organisationen

Die Burgergemeinde Bern hat ihre Archive durchforstet - und Hinweise auf Nazifreundlichkeit einiger früherer Exponenten gefunden. Sie bestätigen Aussagen einer Dissertation aus dem letzten Sommer. Die Einordnung und Bewertung der neuen Quellen wollen die Bernburger nun aber externen Historikern überlassen.

Samuel Thomi

Das Echo war gross, als die Berner Historikerin Katrin Rieder letzten Sommer in ihrer Dissertation Sympathien und Verstrickungen früherer Exponenten der Burgergemeinde Bern mit frontistischen Verbänden aufdeckte (vgl. Text unten). Burgergemeindepräsident Franz von Graffenried bekräftigte, die Aufarbeitung der Geschehnisse innerhalb der Gemeindestrukturen zu Beginn des letzten Jahrhunderts an die Hand zu nehmen und die eigenen Quellen durch Mitarbeiter der Burgerbibliothek auswerten zu lassen. Angefragte externe Historiker hätten abgelehnt.

"Durchgeschüttelt" im Glashaus

Bei der Präsentation dieser Quellenforschung räumte von Graffenried ein, dass es "tatsächlich Nazifreundlichkeiten" einiger Burger-Exponenten gab. Dagegen sei es nicht belegt, die Burgergemeinde als Ganzes mit fron-tistischen Bewegungen der 1930er-Jahre in Verbindung zu bringen: "Wir fanden keine Hinweise darauf, dass sich die Institution je dahingehend geäussert hätte." Er kommentierte: "Sicher hat es gewisse Veranstaltungen gegeben, die wir unter heutigen Umständen nicht bewilligen würden." Doch sei die Burgergemeinde damals "ein durchschnittlicher Verein wie jeder andere" gewesen. Für die Zukunft sei es "vielleicht gut, dass wir nun ein bisschen im Glashaus sitzen und gerade etwas <durchgeschüttelt> werden".

Über die Resultate der Dissertation Rieder wie auch diejenigen der nun selbst in Auftrag gegebenen Quellenforschung sei er "insgesamt schon etwas erstaunt". Allerdings hätte er sich auch "gut vorstellen können, dass es noch schlimmer kommt".

Aufgrund ausgewerteter Quellen präsentierte Christophe von Werdt Beispiele aus Burger-Zeitdokumenten der Jahre 1930 bis 1945. Demnach finden sich ...

- verschiedentlich antisemitisch-rassistische, eugenische oder fremdenfeindliche Argumentationsweisen. Diese seien "im Kontext der Zeit betrachtet wohl durchaus mit Dokumenten aus dem Stadt- oder Regierungsrat vergleichbar", so der Vertreter des Kleinen Burgerrats.

- 12 Prozent der 202 im gleichen Zeitraum behandelten Einburgerungsgesuche wurden abgelehnt. Darunter einige auch mit "eugenisch-gesundheitshygienischen Bedenken"; Bedenken dieser Art seien nicht immer ein Hinderungsgrund gewesen. Bürger seien auch deswegen als Burger aufgenommen worden.

Umstrittene Geldspenden

- Im genannten Zeitraum bewilligte der Kleine Burgerrat insgesamt 700 Franken (bei totalen Ausgaben von 78 000 Franken) Beiträge an rechtskonservative Organisationen. Das "beweist durchaus eine gewisse Sympathie für deren Zielsetzungen" - die Abstimmung war aber umstritten, wie das Resultat zeigt.

- Aus den gesichteten Quellen lasse sich der Schluss ziehen, so von Werdt, dass die Gemeinde "aus dem Blickwinkel unserere Zeit nicht immer angemessen" gehandelt habe. Die Quellen gäben jedoch "keine dahingehenden Hinweise, dass die Burgergemeinde oder ihre Exponenten überwiegend und in aussergewöhnlicher Weise einem der politischen Extreme zuneigten".

Auswerten und später einordnen

Von Graffenried bilanzierte: "Damals sind Dinge geschehen, die wir aus heutiger Sicht nicht verstehen und billigen können." Er könne sich dagegen "nicht vorstellen, wie ich reagiert hätten." Daher sei es wichtig, die Resultate "in einem angemessenen Vergleich" zu betrachten. Da es bis jetzt aber kaum historische Aufarbeitungen von Geschichten vergleichbarer Institutionen gebe, sei die Einordnung der Resultate "vorerst leider nicht möglich".

Der Entscheid darüber, wie die Quellen weiter aufgearbeitet werden sollen, falle demnächst.

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Ex-Frontist an der Burgerrats-Spitze

"Auffallend ist, dass in den 30er-Jahren den meisten Berner Sektionen frontistischer oder rechtskonservativer Organisationen während kürzerer oder längerer Zeit ein Obmann oder ein Gauführer vorstand, der aus dem Berner Patriziat stammte", schreibt Katrin Rieder im Buch "Netzwerke des Konservatismus" (vgl. Text unten). Als überraschendstes Beispiel zeigte die Historikerin an der Biografie Georges Thormanns, Burgerratspräsident 1968-84, Verflechtungen von Burgern mit der nazinahen Kampforganisation auf. Der Sohn des damaligen Rektors der Uni Bern wurde 1935 zum Gauführer der Nationalen Front Bern gewählt. Dazu ist polizeilich beispielsweise fesgehalten, dass er in der Nacht auf den 7. Mai 1937 mithalf beim Beschmieren der Berner Synagoge mit "Juda Verrecke"-Slogans und Hakenkreuzen. Dafür, und für eine frühere Schmierattacke an Hausfassaden, Trottoirs und Strassen mit kommunistischen Parolen, kam er vor Gericht.

Dennoch wurde der Architekt 1968 mit der "ausserordentlich hohen Zahl von 594 Stimmen" einstimmig vom Vize- zum Burgerratspräsidenten gewählt. Die Berner Tageszeitungen berichten darüber in der Folge ausgesprochen wohlwollend.

All das bestätigt nun auch die Quellenforschung der Burgergemeinde: "Keine Spur einer Diskussion" sei zur Wahl oder Thormann überhaupt in den Archiven auszumachen; in diesem Zusammenhang von Einzelpersonen auf die gesamte Burgergemeinde zu schliessen, greife trotzdem zu kurz, kommentierte gestern der aktuelle Burgerratspräsident Franz von Graffenried.

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NZZ 5.3.09

In Nazi-Zeit nicht immer angemessen reagiert

Quellensuche der Burgergemeinde Bern

 kfr. Im August 2008 setzte die Historikerin Katrin Rieder mit ihrer Dissertation zur Rolle der Bernburger in der Nazi-Zeit die Burgergemeinde in Zugzwang. Ein Hauptvorwurf lautete, man habe dieses düstere Kapitel der Geschichte nie aufgearbeitet. Rieder deckte insbesondere auf, dass Georges Thormann, 1968 zum Präsidenten des Burgerrats gewählt, als Gauführer der Nationalen Front Bern gewirkt und als solcher das Zunfthaus zum Distelzwang gemietet hatte.

 "Weniger als 1 Prozent Frontisten"

 Inzwischen hat die Burgergemeinde die Quellen der Jahre 1930 bis 1945 untersuchen lassen. Sie bewerte das geprüfte Material bewusst vorsichtig, wird in einer Stellungnahme betont. Sie räumt aber ein, der Bericht lasse den Befund zu, die Burgergemeinde und ihre Exponenten seien den Herausforderungen "aus dem Blickwinkel unserer Zeit nicht immer angemessen begegnet". Die vorhandenen Materialien gäben anderseits keine Hinweise darauf, dass sie "überwiegend und in aussergewöhnlicher Weise einem der politischen Extreme der Zeit zuneigten". Eine Auswertung der in der Dissertation rechtskonservativen oder frontistischen Organisationen zugeordneten Personen habe ergeben, dass in der fraglichen Zeit weniger als 1 Prozent der Behördenmitglieder frontistisch und etwa 10 bis 15 Prozent in rechtskonservativen oder rechtsbürgerlichen Gruppierungen aktiv gewesen seien.

 Zum frontistischen Wirken von Thormann wird angemerkt, dieses sei bei seiner Wahl nicht aktenkundig thematisiert worden. "Das Verdrängen/Totschweigen dieses unrühmlichen Kapitels der Schweizer Geschichte dürfte bis dahin für weite Teile der Nachkriegsgesellschaft kennzeichnend gewesen sein." Bestätigung findet die Aussage der Historikerin, dass die Gesellschaft zum Distelzwang mit Thormann ab März 1936 einen Mietvertrag für die Benützung des Zunftsaals als Geschäftsstelle der Nationalen Front abgeschlossen hatte. Kritisch vermerkt wird hingegen, dass nicht auch dessen Auflösung nach nur einem Jahr erwähnt worden sei, und zwar als Folge einer Aktion der Frontisten vom Mai 1937, welche die Grenzen der Legalität überschritt.

 Fragwürdiges Verhalten in Einzelfällen

 Wie die Quellen weiter zeigten, argumentierten nach 1930 Organe der Burgergemeinde oder einzelne Kommissionsmitglieder antisemitisch-rassistisch, eugenisch und fremdenfeindlich. Das sei zwar befremdlich, es lasse sich aber ohne weitergehende Einbettung in das zeitgenössische Umfeld nicht bewerten. Burgerratspräsident Franz von Graffenried sagte an der Medienorientierung, "die mit einem gewissen Tamtam" präsentierte Dissertation versuche, die Burgergemeinde als Hort frontistischer Sympathisanten darzustellen. Die offengelegten Quellen ergäben indes ein anderes Bild; jedenfalls sei der Versuch, über Einzelpersonen auf das Ganze zu schliessen, misslungen.

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ANTI-ATOM
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BZ 5.3.09

AKW Mühleberg

Gegner insistieren

Anwohner des AKW Mühleberg lassen nicht locker: Jetzt fordern sie beim Bundesverwaltungsgericht sofortige Akteneinsicht.

14 Anwohner des Atomkraftwerks Mühleberg doppeln beim Bundesverwaltungsgericht mit einer Beschwerdeergänzung nach: Sie fordern im laufenden Verfahren um die Aufhebung der Befristung der Betriebsbewilligung für das AKW "sofortige Einsicht in die vollständigen Akten". Das teilte die Anti-AKW-Bewegung Fokus Anti-Atom gestern mit.

Um was geht es? Die AKW-Gegner verlangten im Juni 2008 beim Bund Einsicht in die Sicherheitsberichte des AKW. Den abschlägigen Bescheid fochten sie im Dezember beim Bundesverwaltungsgericht an. Die Atomgegner begründen ihre Forderung damit, dass sie Einsicht in die Dokumente bräuchten, um ihre Einsprache gegen das AKW begründen zu können.

Die jetzt eingereichte Beschwerdeergänzung untermauern die AKW-Gegner gemäss ihren Angaben mit "brisanten Informationen" zu den vor 20 Jahren entdeckten Rissen im Kernmantel. Die Zeitschrift "Beobachter" hatte im Februar den vertraulichen Jahresbericht 2007 der BKW zum AKW Mühleberg publik gemacht und berichtet, dass die Risse länger und tiefer seien als noch vor 10 Jahren.
drh

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WoZ 5.3.09

Italien - Die Regierung Berlusconi setzt wieder auf Atomenergie. Doch die Bevölkerung wird dem Bau von neuen AKWs kaum zustimmen, und bereits haben mehrere Regionen als Standort entschieden abgesagt.

Ausstieg aus dem Ausstieg

Von Michael Braun, Rom

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy strahlte nach Kräften, als er letzte Woche das Ergebnis des bilateralen Gipfels mit Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi in Rom bekannt gab. "Unbegrenzte Zusammenarbeit" werde in Zukunft zwischen den beiden Ländern herrschen - unbegrenzte Partnerschaft beim Bau von vier Atomkraftwerken in Italien.

Und auch Berlusconi freute sich mächtig, verkündet er doch schon seit Jahren, dass die Zukunft der italienischen Energiepolitik nuklear ist. An der Pressekonferenz mit Sarkozy feierte er die gerade abgeschlossene "strategische Partnerschaft" als "Schlusspunkt für den ideologischen Fanatismus der Linken", der vor gut zwanzig Jahren Italien den völligen Ausstieg aus der Kernkraft beschert habe. Jetzt sollen südlich der Alpen vier AKWs mit einer Kapazität von je 1600 Megawatt errichtet werden. Die Technologie der Druckwasserreaktoren - auch AKWs der "dritten Generation" genannt - kommt aus Frankreich, und als Betreibergesellschaft ist eine Zusammenarbeit des französischen Energieriesen EDF mit Italiens grösstem Stromanbieter Enel vorgesehen.

Verfehlte Energiepolitik

Beide Gesellschaften - bei denen die jeweiligen Staaten die Hauptaktionäre sind - haben die Vereinbarung schon unterschrieben. Und auch gesetzlich ist Italiens "Ausstieg aus dem Nuklearausstieg" schon weit fortgeschritten: Der Minister für wirtschaftliche Entwicklung Claudio Scajola hat ein Gesetz zur Schaffung der Nationalen Atomagentur ins Parlament eingebracht, das nun mit der soliden Mehrheit der Berlusconi-Rechten rasch verabschiedet werden soll. "Noch in dieser Legislaturperiode", so Scajola, soll die Grundsteinlegung für das erste Kraftwerk erfolgen, das dann etwa im Jahr 2020 ans Netz ginge, während die andren drei AKWs "zügig folgen" sollen.

Schluss wäre so mit dem energiepolitischen Sonderweg Italiens, das als einer der wenigen Staaten Europas seit 1987 keine AKWs mehr betreibt. Nicht der "ideologische Fanatismus der Linken" stand jedoch hinter dieser Entscheidung, sondern ein Referendum vom November 1987, als ein Jahr nach der Katastrophe von Tschernobyl etwa achtzig Prozent der Abstimmenden für den Ausstieg votierten. Das Nein zur Nuklear energie wurde auch von den beiden damaligen Regierungsparteien, den Christdemokrat Innen und den Sozialist Innen, verfochten.

Damals hiess es aus allen politischen Lagern, Italien solle auf alternative Energien setzen. Gerade in diesem Bereich passierte dann aber jahrelang praktisch nichts. Entsprechend hat Italien heute bei der Stromerzeugung eine ungünstige Energiemischung, in der Gas und Öl dominieren und die das Land von den Schwankungen der Weltmarktpreise abhängig macht. Schlimmer noch: Italien kann seinen Strombedarf nicht selbst decken. Bis zu fünfzehn Prozent müssen vor allem aus Frankreich und der Schweiz, aber auch aus Griechenland importiert werden. Unvergessen ist im Land der totale Blackout vom September 2003, als wegen Leitungsproblemen in der Schweiz in ganz Italien für bis zu 24 Stunden die Lichter ausgingen.

Italiens bisherige Energiepolitik - kaum erneuerbare Energien, kaum Engagement für Energieeffizienz - heisst auch, dass das Land dramatisch im Hintertreffen ist, was die Ziele des Kio to-Protokolls und die Vorgaben der EU angeht. Laut diesen sollte das Land inzwischen seinen CO2-Ausstoss gegen über 1990 um 6,5 Prozent gesenkt haben. Stattdessen liegt er trotz leicht fallender Tendenz etwa sechs Prozent über dem Wert von 1990.

Die Kernenergie soll es jetzt richten. Doch da ist vorneweg das Problem, dass AKWs, wenn sie denn nach 2020 ans Netz gehen, das aktuelle Problem der zu hohen CO2-Emissionen gar nicht lösen können. Zweitens monieren Kritiker Innen, die Frage der Kosten sei völlig ungeklärt. Laut Hochrechnungen belaufen die sich für die vier Meiler auf zwanzig Milliarden Euro. "Die Privaten" würden das finanzieren, sagt dazu die ­Regierung in Rom - und das mitten in der Finanzkrise.

Absagen aus allen Ecken

Offen sind zudem die Standorte für die neuen AKWs. Ausgerechnet aus Sardinien, wo Berlusconis Rechte gerade erst die Regionalwahlen gewonnen hat, kam die erste Absage: Auf der Insel will die Regionalregierung kein AKW sehen. Absagen kommen aber auch aus allen anderen Ecken des Landes. Energieexperten wie der frühere Industrieminister Alberto Clo meinen deshalb, in einem Land, "in dem sich nicht einmal ein Mülldepot gegen den lokalen Bürgerprotest durchsetzen lässt", werde die Regierung spätestens hier scheitern. Ein Negativbeispiel hat Berlusconi gewiss noch in Erinnerung: Im Jahr 2003 wollte er der süditalienischen Region Basilicata ein nukleares Endlager bescheren, gab aber angesichts der heftigen Proteste seitens der Bevölkerung schnell wieder auf.

Kaum Gegenwind bekam Italiens Regierungschef dagegen vom oppositionellen Partito Democratico (PD). Der war damit beschäftigt, unmittelbar nach der Wahlniederlage in Sardinien und dem Rücktritt des Vorsitzenden Walter Veltroni seine Wunden zu lecken. Der PD machte gleich dort weiter, wo der als Politiker des Sowohl-als-auch verspottete Veltroni aufgehört hatte: Einige seiner VertreterInnen stellten sich gegen den Wiedereinstieg in die Kernenergie, während andere, wie der prominente frühere Präsident der Region Toscana und heutige Senator Vannino Chiti, ihn offen begrüssten.