MEDIENSPIEGEL 12.4.09
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (DS)
- Progr: GFL + SVP gegen "Künstlerlobby"
- Biel: Trip-huus droht Räumung
- Drogenszene Solothurn
- Heroin: Repression wirkungslos
- Burgdorf: Courage-Stapi-Zäch zur Pnos-Demo
- Asyl GL: Wenige Härtefälle anerkannt
- Analyse Nato-Gipfel
- Frankreich: Jagd auf Patrons
- Bizarre BKA-Pläne gegen RAF
- Anti-Atom: Profit für Atomendlager-Region
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REITSCHULE
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So 12.04.09
22.00 Uhr - SousLePont - Bleesch BE,
Rock PLATTENTAUFE, Support: Gsprächstoff BE, Rap/Pop
22.00 Uhr - Dachstock - CunninLinguists
USA, Substantial USA, DJ Draker
18.00 Uhr- Rössli - Piano-Bar
Mi 15.04.09
19.00 Uhr - SousLePont - BeNeLux
Spezialitäten
21.00 Uhr - Rössli-Bar - BIT-TUNER
- Konkret / Electronica
Do 16.04.09
20.30 Uhr - Kino - Tangos - el Exilo
del Gardel, F.E. Solanas, ARG 1985, OV/df, 119min, 35mm
21.00 Uhr - Dachstock - Zeni Geva
JAP - Maximum Metal-Core
22.00 Uhr - SousLePont - Früchte
des Zorns, Geigen-Punk
Fr 17.04.09
20.30 Uhr - Tojo - TITTANIC -
die Sechste Der Quotenknüller!
21.00 Uhr - Kino - Màs Tango,
A. Hannsmann, S. Schnabel, D/Arg 2006, OV/d, 56min, dvd
22.00 Uhr - Frauenraum - Festmacher&Frauenraum präsentieren: TECHTELMECHTEL@FRAUENRAUM
mit: TAMA SUMO Ostgut Ton, Panaroma-bar Resident, Berlin; DJ GIRLBE BE;
COLETON live BE BERRYBEATlive* ARIELLE* MYRIELLE EXPRESS* BONNIE HILL*
La FÉE VERTE *) Festmacher, BE - Electro
23.00 Uhr - Dachstock - DJ Krush
JAP - Hip Hop/Breakbeats/Electronica
Sa 18.04.09
21.00 Uhr - Kino - Tango Lesson,
S. Potter, GB/F 1996, OV/df, 100min, 35mm
23.00 Uhr - Dachstock - Dachstock
Darkside: Loxy Cylon/Renegade Hardware/uk Deejaymf cryo.ch VCA
Biotic Recs Antart - Drum'n'Bass
So 19.04.09
18.00 Uhr - Rössli - Piano-Bar
Infos: www.reitschule.ch
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kulturstattbern.derbund.ch
12.4.09
Never Ever Say Never Again
Von Gisela Feuz um 12:30 [ Rock & Pop ]
Unter dem Motto "Back in Black" betraten die vier Herren von The Never
Evers gestern die Dachstockbühne. Als Intro wurden denn auch die
ersten
Riffs des AC/DC-Brüllers angestimmt, was daraufhin folgte, hatte
allerdings mit Hardrock herzlich wenig zu tun.
"PowerSuperCatGarageStompSound" nennen es die vier adrett gekleideten
Never Evers, was sie da ihren Instrumenten abnötigen und Power
hatte
das ganze tatsächlich ordentlich. Da wurde wild mit den Augen
gerollt,
mit Gitarren und Bass gekonnt aus der Hüfte geschossen und
eptileptische Verrenkungen erster Güte praktiziert, kurz: grosses
Rock'n'Roll Kino veranstaltet, während dazu dem Publikum
äusserst
tanzbarer Garagen-Surf-Rock um die Ohren gehauen wurde.
Man wünschte sich gestern doch glatt, die Herren mögten ihr
Alters- und
Pflegeheim in Untererlinsbach ein Bisschen öfter verlassen. Wer
weiss,
vielleicht tun sie das in Zukunft ja auch, denn offiziell
aufgelöst hat
man sich ja trotz jahrelanger Pause und exklusiven "one time Reunion
Gigs" nie wirklich. Man darf also hoffen.
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PROGR
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Bund 11.4.09
Nun moniert auch die GFL Unregelmässigkeiten bei der
Progr-Abstimmung -
für den Berner Stadtpräsidenten Alexander Tschäppät
(sp) ist die Kritik
politisch motiviert
Neuer Wirbel um Progr-Vorlagen
Die Progr-Vorlage sei vom Ratsbüro übermässig
abgeändert worden, sagt
die GFL. Die SVP zieht ihre Beschwerde gegen die Abstimmung ans
Verwaltungsgericht weiter.
Bernhard Ott
Noch ist unklar, ob das Volk am 17. Mai überhaupt über die
Zukunft des
Progr abstimmen kann. Die SVP ist nach wie vor gewillt, den von
Statthalterin Regula Mader (sp) erwirkten Entzug der aufschiebenden
Wirkung ihrer Beschwerde gegen die Abstimmung vor Verwaltungsgericht
anzufechten, sagt Stadtrat Peter Bernasconi. Die SVP kritisiert, dass
der Stadtrat gar nicht befugt gewesen sei, dem Volk eine
Alternativabstimmung vorzulegen. Eine allfällige Vergabe des Progr
an
die Künstler würde gegen übergeordnetes Recht
verstossen. Zudem fehlten
im Abstimmungsbüchlein wichtige Informationen.
Das Vorgehen bei der Aufgleisung der Progr-Vorlage wird nun aber auch
von rot-grüner Seite kritisiert. "Es gibt keinen
Stadtratsbeschluss,
dem Volk eine Alternativabstimmung vorzulegen", sagt Stadtrat Daniel
Klauser (gfl). Das Stadtparlament habe über einen
Gemeinderatsantrag
zur Durchführung einer Variantenabstimmung entschieden. Das
Ratsbüro
habe daraufhin den Begriff "Variantenabstimmung" in
"Alternativabstimmung" abgeändert. Klauser räumt ein, dass es
um eine
"Spitzfindigkeit" gehe, da der Gemeinderat seinen Antrag bloss falsch
betitelt habe.
Druck von der Künstler-Lobby?
Klauser moniert zudem, dass das Ratsbüro zumindest in einem
Fall einen
vom Rat verabschiedeten Abänderungsantrag der Abstimmungsbotschaft
nicht vollständig berücksichtigt habe. Die GFL habe nichts
gegen das
Künstler-Projekt: "Aber das ganze Geschäft wurde von A bis Z
chaotisch
aufgezogen." Der Jungpolitiker zeigt sich erstaunt, dass die Stadt
trotz den Unregelmässigkeiten am Abstimmungstermin vom 17. Mai
festhalten wolle und vermutet einen "gewissen politischen Druck" hinter
diesem Vorgehen. Auch SVP-Stadtrat Bernasconi vermutet, dass "jemand
politisch Druck ausübt". Es gebe sonst keinen stichhaltigen Grund,
am
Abstimmungstermin festzuhalten, meint Bernasconi. Vom frühen
Abstimmungstermin würden jedenfalls nur die Künstler
profitieren. "Bei
einem Ja zum Künstlerprojekt entsteht ein moralischer Druck, den
juristischen Kampf gegen das unsorgfältig eingefädelte
Geschäft
einzustellen", sagt Bernasconi.
"GFL will Progr bodigen"
Stadtschreiber Jürg Wichtermann bestätigt, dass das
Ratsbüro den
Begriff "Variantenabstimmung" in "Alternativabstimmung" abgeändert
habe. Dabei handle es sich aber um eine "terminologische
Spitzfindigkeit", die Korrektur eines "groben Schreibfehlers". Die
Abänderung des Begriffes sei "rechtlich einwandfrei", da der
Stadtrat
inhaltlich über eine Alternativabstimmung befunden habe.
Stadtpräsident
Alexander Tschäppät (sp) weist darauf hin, dass die GFL die
Progr-Abstimmung ohnehin bodigen wolle und nun alles unternehme, um ihr
Ziel zu erreichen. Es mache keinen Sinn, nun
"Verschwörungstheorien" zu
entwickeln. "Lasst doch das Volk endlich entscheiden", sagt
Tschäppät.
Im Übrigen habe sich der Gemeinderat ursprünglich für
das
Gesundheitszentrum der Allreal ausgesprochen. "Wenn der Stadtrat
unserem Antrag gefolgt wäre, gäbe es jetzt keine
Diskussionen", sagt
Tschäppät.
Allreal-Sprecher Matthias Meier bestätigt, dass die Stadt der
Firma
einen möglichst baldigen Abstimmungstermin in Aussicht gestellt
habe.
Der Termin vom 17. Mai sei aber nicht vertraglich vereinbart. "Ein
solches Hin und Her wie in der Stadt Bern haben wir noch nie erlebt",
sagt Meier.
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SQUAT BIEL
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Indymedia 12.4.09
KEINE RÄUMUNG! KEIN ABBRUCH AUF VORRAT! ::
AutorIn : Kollektiv Trip-huus
Stellungsnahme des autonomen Freiraums Trip-huus
Bis jetzt haben wir versucht gemeinsam mit der Stadt Biel Lösungen
zu
finden. Wir haben uns damit zufrieden gestellt bis zum ersten August
das Gelände zu verlassen und sind auch auf ihre Forderung, die
Bauwägen
zu entfernen, eingegangen.
Nun wollen sie uns aber einen Vertrag aufzwingen, der ein Ende unserer
kulturellen und sozialen Aktivitäten bedeuten würde, was
unser
Hauptanliegen ist bei der Nutzung dieser Liegenschaft. Es ist vor allem
auch ein Versuch unser alternatives Vorgehen zu sabotieren und uns
auf
repressive Weise zu kontrollieren. Dazu waren sie nicht bereit diesen
Vertrag mit uns auszuarbeiten. Aus all diesen Gründen haben wir
kollektiv beschlossen nicht mehr darauf einzugehen.
Deshalb hat die Stadt Biel, vertreten durch ihren Anwalt, Lorenz
Fellmann nun ein Räumungsgesuch beim Bezirksrichter gestellt.
Seit fünf Monaten organisieren wir jedes Wochenende verschiedene
Veranstaltungen und einmal in der Woche eine Volksküche. Dadurch
ist
das Trip-huus inzwischen zu einem festen Bestandteil des kulturellen
Angebots in Biel geworden. Somit kann dieser Ort nicht einfach für
einen nutzlosen Abbruch verschwinden und wir können uns auf die
Unterstützung unserer zahlreichen BesucherInnen verlassen, um
diesen
alternativen Freiraum zu erhalten.
Wir fordern erneut, dass die Gebäude am Tulpenweg 4,6,8,12 und 14
nicht
abgerissen werden, bevor ein konkretes Bebaungsprojekt existiert und
dass bis dahin die Liegenschaft für ein alternatives Kultur-
und
Wohnprojekt benutzt werden kann.
Kämpft mit uns! Kommt an die Versammlung vor dem Stadtrat für
die
Übergabe der Petiton am 23. April 2009 um 17 Uhr 30!Kommt an die
Reclaim the Streets am 16. Mai 2009 um 14 Uhr beim Gaskessel! Trip-huus
bleibt!
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DROGENSZENE SOLOTHURN
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Berner Rundschau 11.4.09
Drogengeschäft floriert öffentlich
Anwohner ärgern sich über die unverhohlenen Drogendeals auf
Solothurns Strassen
Am Landhausquai und in der Vorstadt in Solothurn wird gedealt, was das
Zeug hält. Daran stören sich die Anwohner. Fast mehr noch
stören sie
sich aber an der Untätigkeit der Polizei.
Regula Bättig
"Jugendliche kommen hier in Solothurn einfacher an Kokain oder Speed
ran als an Zigaretten", sagt Roland F.* Stammtischgepolter, könnte
man
meinen. Doch F. kann seine Aussage erhärten, als Insider und guter
Kenner der Szene weiss er, was am Quai abgeht - ob er nun will oder
nicht. "Die Dealer da draussen scheren sich einen Scheiss um das Alter
ihrer Kunden", stellt er fest. Derweil sehe es bei den Zigaretten ganz
anders aus: "Wer unter 16 ist, kriegt so schnell keine Zigi. Noch nicht
mal an einem Automaten, denn ohne Jeton läuft ja nichts mehr."
Zeiten ändern, Dealer bleiben
In Rage bringt ihn nicht nur der Umstand, dass sich selbst Schüler
"am
Mürli" mit Kokain, Ecstasy oder anderen Drogen eindecken
können: "Diese
Typen gehen hier seit Jahr und Tag ihrem dreckigen Business nach -
völlig unbehelligt durch die Polizei."
Tatsächlich sind die meisten Dealer am Landhausquai bekannt.
Wie zum
Beweis schlendert ein dunkelhaariger Mann freundlich winkend an der
Fensterfront vorbei. Gut gekleidet, das Telefon am Ohr. "Mr. Big",
stellt F. fest: "Immer freundlich, immer busy." Auch andere haben
längst einen Spitznamen, schmeichelhaft ist keiner. Kurz darauf
geht
"Mr. Big" wieder vorbei. Einen zweiten Mann an seiner Seite, scherzend,
lachend. "So funktionieren die Deals", erklärt F. "Völlig
unspektakulär." Kein verschämtes Rumkramen also, keine
gestressten
Kontrollblicke.
Noch nicht mal die Kundschaft ist auffällig: "Schüler,
Büezer, Banker,
Ärzte; den wenigsten sieht mans an." Tagsüber laufe daher
kaum etwas,
"richtig los gehts kurz nach 16 Uhr".
Heute gefilzt, morgen zurück
"In den letzten zehn Jahren hat sich hier rein gar nichts
verändert",
findet der Langzeit-Beobachter. Was ihn nicht weiter erstaune, denn die
Polizei sehe man am Landhausquai kaum je. "Ausser man ruft sie her."
Wobei man dies besser nicht allzu häufig tue. "Sonst wird man
nicht
mehr ernst genommen - oder es wird einem zu verstehen gegeben, dass man
nervt." Auch komme es vor, dass man mehrere Stunden auf die Streife
warten müsse. Er bemängelt auch, dass man den Polizisten
einzelne
Delinquenten zeigen könne, derartige Hinweise aber meist ignoriert
würden. "Aber was solls. Die Leute sind ja eh schon tags darauf
wieder
im Geschäft." Das sei selbst dann der Fall, wenn man den Beamten
auch
die "Bunker" zeigen könne - eines jener Lager im Freien, aus denen
die
Drogen nach und nach verkauft werden. Dabei wäre es ein Leichtes,
dem
Problem Herr zu werden, findet F.: "Regelmässige
Polizeipräsenz, mehr
braucht es gar nicht." Doch der Wille, etwas zu verändern, fehle.
"Würden die Deals aber an der Hauptgasse oder in einem der
schicken
Wohnquartiere laufen, dann ginge es ruckzuck."
Mal schlimmer, mal besser
Der Frust beschränkt sich jedoch nicht auf die Nordseite der Aare.
Denn
die Dealer, die sind bekanntlich auch in der Vorstadt. Während
allerdings der Landhausquai fest in der Hand der (eher
unauffälligen)
Nordafrikaner ist, gilt die Vorstadt als schwarzafrikanisches Revier,
und diese fallen nun mal stärker auf. So realisieren auch
Ortsfremde
sofort, was in und um die Vorstadt herum abgeht. Doch scheint das
Geschäft mit den Drogen hier stärkeren Schwankungen
unterworfen zu sein
als am Landhausquai. "Mal ists schlimmer, mal ists besser", heisst es
immer wieder. Und momentan? Seis mal wieder schlimmer.
Gleich wie am Landhausquai kennen auch hier jene, die im Quartier
leben oder arbeiten, jene, die dealen. Und sie wissen Bescheid
über die
Gepflogenheiten der Szene: Zwar spiele sich vieles nach Sonnenuntergang
und in eher versteckten Ecken ab, doch scheint es auch hier ein
"Highnoon" zu geben. "Donnerstags ab 16 Uhr", berichtet ein
unfreiwilliger Beobachter, wie er sich selber nennt. Dann jeweils
kämen
grössere Lieferungen in Solothurn an. Von packenweise weissem
Pulver
ist die Rede. "Es sind die immer gleichen Autos, die immer gleichen
Leute. Doch die Polizei unternimmt nichts." Das Berner Nummernschild
reiche scheinbar schon, dass die Polizei kapituliere.
* Name der Redaktion bekannt
--
Stadtpolizei: "So ist unser Rechtssystem"
Es sind happige Vorwürfe, die da beidseits der Aare geäussert
werden.
Doch an Peter Fedeli, Kommandant der Stadtpolizei, prallen diese ab.
"Wir patroullieren sehr wohl", hält er fest. "Mal in Uniform, mal
in
Zivil. Mal gemeinsam mit Kantonspolizei, mal alleine." Zudem gelte
für
Landhausquai und Vorstadt der genau gleiche Auftrag wie für die
Hauptgasse. Nur: "Wenn eine Person kontrolliert wird, die
tatsächlich
<nicht sauber> ist und mit auf den Posten genommen wird, sind die
betreffenden Polizisten gut und gerne zwei Stunden beschäftigt",
sagt
Fedeli. "Natürlich sind die dann auch nicht mehr auf der Gasse
anzutreffen."
Dass Dealer, die gestern kontrolliert wurden, schon heute wieder
aktiv
sind, ärgert bisweilen auch den Kommandanten der Stadtpolizei.
"Aber so
ist unser Rechtssystem: Die Leute werden einvernommen, sie
unterschreiben das Protokoll und können den Posten verlassen."
Dieses
Rechtssystem macht es der Polizei auch nicht einfach, wenn sie einen
"Bunker" entdeckt. "Wenn wir den Zusammenhang zwischen Person und Stoff
nicht hieb- und stichfest nachweisen können, ist es gelaufen."
Auch sei es schwierig, dem Problem mit vermehrter Präsenz
oder
Kontrollen Herr zu werden. "Wenn wir den Landhausquai stark
kontrollieren, haben wir die Dealer in der Vorstadt und umgekehrt. Das
läuft dann auf ein Katz-Maus-Spiel raus." Optimal sei die
Situation in
den beiden Quartieren sicher nicht. "Die Toleranz ist grösser
geworden", glaubt Fedeli. "Es gehört halt einfach dazu, die Leute
haben
sich daran gewöhnt." Oder wie es ein Vorstädter sagt:
"Irgendwann
resigniert man einfach. Man mag sich noch nicht einmal mehr aufregen."
(rb)
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HEROIN
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Sonntagszeitung 12.4.09
Repression ist wirkungslos
Polizei beeinflusst Heroin-Abhängige nicht
Zürich Heroinabhängigkeit und -konsum werden durch den Preis
oder die
Polizeiaktivitäten nicht beeinflusst. Dies zeigt eine neue Studie
der
Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.
Die Untersuchung widerspricht vorab bürgerlichen
Gesundheitspolitikern.
Diese sind überzeugt, dass die tolerante Schweizer Drogenpolitik
zu
mehr Süchtigen führt. Als die Heroinpreise vor vier Jahren
sanken,
fürchtete auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG), dass dies
zu mehr
Neueinsteigern führen könnte. Diese Thesen widerlegen die
Autoren
Carlos Nordt und Ruedi Stohler.
Die Zahl der Neueinsteiger sank seit 1990 stetig - unabhängig vom
Grammpreis, der in den Achtzigerjahren bis zu 800 Franken betrug und
seit über einem Jahrzehnt unter 100 Franken liegt. Die Polizei
ging
Mitte der Neunzigerjahre am aktivsten gegen Heroinhandel und -besitz
vor. Ohne erkennbaren Effekt auf den Preis oder die Zahl der
Abhängigen.
Schlechtes Image führte zum Rückgang der Heroinsüchtigen
Dennoch ist die Zahl der jährlichen Neukonsumenten von 1050 im
Jahr
1990 auf rund 100 gesunken. "Die Attraktivität einer Droge wird
mehr
von ihrem Image bestimmt", so Nordt. Heroin wird durch die
Methadonabgabe eher als therapiebedürftige Suchtkrankheit
wahrgenommen.
Die Ergebnisse decken sich mit Thilo Becks Erfahrungen, Chefarzt der
Zürcher Drogenfachstelle Arud. Er stellt fest, dass die Politik
wenig
Einfluss auf die Konsumgewohnheiten hat. "In unserer
Leistungsgesellschaft sind stimulierende Substanzen gefragter."
Laut BAG sind direkte Zusammenhänge schwer nachweisbar. Das Amt
ist
verblüfft, dass es trotz tiefer Preise nicht mehr Süchtige
gibt, und
spricht von einem Glücksfall.Petra Wessalowski
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PNOS
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Bund 11.4.09
Die Burgdorfer Stadtpräsidentin Elisabeth Zäch (sp) zur
Pnos-Demonstration und zu den Zielen im ersten Amtsjahr
"Kein Hort der Rechtsextremen"
Während der Pnos-Demo in Burgdorf erlebte Elisabeth Zäch ihre
schwierigsten Stunden als Stadtpräsidentin. Sie sagt zudem, wieso
kulturell Interessierte den Teilverkauf der Localnet unterstützen
sollten.
Interview: Tobias Gafafer
"Bund":
Frau Zäch, bis vor 100 Tagen waren Sie Buchhändlerin. Kommen
Sie als Stadtpräsidentin überhaupt noch zum Bücherlesen?
Elisabeth Zäch: Ja, klar. Seither habe ich schon sieben
Bücher gelesen.
Das ist und bleibt mein Hobby und ist eine ganz grosse Bereicherung.
Sehr beeindruckt war ich von Philip Roths "Empörung" und von Klaus
Merz' "Der Argentinier".
Mit der Pnos-Demo hatten Sie gleich Ihre erste Feuerprobe. Hat Burgdorf
ein Problem mit Rechtsextremen?
Burgdorf ist wie andere Gemeinden dieser Grösse immer wieder damit
konfrontiert. Die Szene sucht gerne kleinere Städte aus, weil sie
dort
mit wenig Aufwand grosses Aufsehen erregt. In Burgdorf gab es zudem
Verurteilungen wegen der Rassismusstrafnorm. Ich verwahre mich aber
immer wieder dagegen, dass Burgdorf ein Hort der Rechtsextremen sei.
Dies bewies doch die spontane Aktion aller demokratischen Parteien, die
sich zu einem farbenfrohen Burgdorf und dem respektvollen Umgang mit
anderen Kulturen bekannten. Das hat mich sehr gefreut.
Sie setzten sich mit der Aktion Courage gegen rechtsextreme Gewalt ein.
Mit der Demo zielte die Pnos offenbar auch auf Sie. Was ging Ihnen
dabei durch den Kopf?
Ich stehe zu meiner Haltung. Es ist nur gut, wenn man weiss, dass ich
mich als Stadtpräsidentin gegen rechtsextremes Gedankengut
verwahre.
Aber es waren tatsächlich die schwierigsten Stunden in diesen 100
Tagen. Man wusste, dass eine extrem gewaltbereite Szene in die Stadt
kommt, und damit meine ich auch den Schwarzen Block. Die vermummten
Gestalten machen mir Angst. Trotz grossem Vertrauen in die Polizei
blieb eine bedrückende Ungewissheit. Umso erleichterter war ich,
dass
alles gut über die Bühne ging.
In Bern wurde die Stadt Burgdorf teils als klein kariert wahrgenommen.
Waren Sie tatsächlich "erleichtert", als die Demo in Bern
stattfand?
Ich war nicht erleichtert, dass die Demo in Bern stattfand, sondern
dass es nicht zu einer Konfrontation zwischen den beiden Szenen
gekommen ist. Grundsätzlich bin ich aber enttäuscht, dass
sich das
Gedankengut der Pnos hält. Genauso wenig Verständnis habe ich
für den
Schwarzen Block. So löst man keine politischen Probleme.
Kann ein Reglement in Zukunft solche Demos verhindern?
Auch ein Demoreglement kann uns die Grundsatzfrage der
Demonstrationsfreiheit nicht abnehmen. Es kann höchstens
Bedingungen
für die Bewilligungen festlegen. Wir werden aber ohnehin ein
Ortspolizeireglement erarbeiten müssen, und in diesem Rahmen
werden wir
uns der Sache annehmen. Es gilt, mit den Parteien auszuhandeln, wie
stark wir ins Recht der Demonstrationsfreiheit eingreifen können
und
wollen. Das ist demokratisch etwas vom Heikelsten.
Die Thuner Stimmberechtigten schmetterten den Verkauf der Energie Thun
an die Berner BKW jüngst wuchtig ab. Droht dem Verkauf der
Burgdorfer
Localnet im Mai an der Urne dasselbe Schicksal?
Wenn ich für etwas kämpfe, gehe ich auch davon aus, dass es
gelingt.
Der Teilverkauf der Localnet ist ein sinnvolles Geschäft, weil es
sowohl dem Unternehmen als auch der Stadt viel bringt. Das
Geschäft
wurde anders und seriöser als in Thun aufgegleist.
Geschäftsleitung und
Verwaltungsrat der Localnet stehen voll und ganz dahinter. Diese
Gremien waren auch für die Verkaufsgegner absolut
vertrauenswürdig.
Der Zeitpunkt für Liberalisierungen ist doch denkbar
ungünstig.
Es ist sicher psychologisch nicht die idealste Zeit. Zudem ist das
Geschäft sehr emotional beladen, weil man ein stadteigenes Werk
teilverkauft. Dass heisst aber nicht, dass man es nicht versuchen soll.
Politik will gestalten, und das heisst auch, dass sie etwas wagen muss.
Sind die grossen Investitionen in die Burgdorfer Infrastruktur ohne den
Verkauf möglich?
So absolut sehe ich das nicht. Aber wenn die Localnet nicht
teilverkauft wird, ist die Finanzierung der notwendigen Investitionen
sehr viel schwieriger oder gar unmöglich. Steuererhöhungen
wären dann
ein Thema und die intensive Suche nach Investoren, die der Stadt diese
Aufgaben abnehmen würden. Ob dafür die richtige Zeit ist? Ich
bezweifle
es.
Verstellt der Verkaufserlös von 39 Millionen Franken den Blick auf
die finanziellen Realitäten?
Die Localnet hat in den letzten Jahren sehr gut gewirtschaftet und
damit können wir nun 39 Millionen lösen. Mit diesem Kapital
wollen wir
einen Gegenwert schaffen und sinnvolle Investitionen in die
Infrastruktur der Stadt vornehmen, die der ganzen Bevölkerung
dienen.
Allerdings braucht es zuerst eine breite finanzpolitische Debatte. Wir
müssen überparteilich aushandeln, was wir uns in welcher
Priorität
leisten können und wollen.
Was würde bei einem Nein etwa mit der anstehenden Sanierung des
Casinotheaters passieren?
Das weiss ich noch nicht. Wir würden aber alles daran setzen, dass
wir
die Sanierung trotzdem schaffen. Das Casino ist ein wichtiger
Bestandteil unserer Kultur. Es darf auf keinen Fall geschlossen werden,
was leider wegen ungenügendem Brandschutzes und anderer
Mängel droht.
Deshalb sollten kulturell Interessierte den Teilverkauf
unterstützen.
Die kantonale Spitalpolitik ist unter Druck. Ist das Regionalspital
Emmental (RSE) in Burgdorf mittelfristig in der heutigen Form haltbar?
Ja, klar, denn es bietet Qualität. Der Einfluss der Stadt ist
offiziell
aber nicht sehr gross, weil das Spital dem Kanton gehört. Wichtig
ist,
dass wir in engem Kontakt stehen und die Stadt Burgdorf für einen
starken Standort lobbyiert, wo immer es sinnvoll ist. Genauso halten
wir es mit der Fachhochschule, die wir uns ebenfalls nicht
schmälern
lassen.
Was wollen Sie in Ihrem ersten Jahr als Stadtpräsidentin erreichen?
Ich will es schaffen, dass man mich als starke und partnerschaftliche
Stadtpräsidentin für alle wahrnimmt - in Stadt, Region und
Kanton.
Einen besonderen Fokus richte ich auf die Neuausrichtung des
Stadtmarketings.
"Wenn ich für etwas kämpfe, gehe ich davon aus, dass es
gelingt."
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ASYL
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Südostschweiz 12.4.09
Kritik am zu restriktiven Glarner Amt für Migration
In Glarus werden sehr wenige abgewiesene Asylbewerber als
Härtefall anerkannt. Steuer- zahler werden zu Abhängigen.
Von Daniel Fischli
Glarus. - Die Kantone können auch abgewiesenen Asylbewerbern eine
Aufenthaltsgenehmigung erteilen, wenn sie sich gut in die hiesige
Gesellschaft integriert haben, auf eigenen Beinen stehen können
und die
Rückkehr in das Heimatland zu einer persönlichen Notlage
führen würde.
Diese sogenannte Härtefallregelung wird allerdings je nach Kanton
höchst unterschiedlich gehandhabt.
Dies geht aus einer Studie der Schweizerischen Flüchtlingshilfe
hervor.
Während vor allem in der Westschweiz viele Härtefälle
anerkannt werden,
gehört Glarus zur Gruppe der restriktiven Kantone.
Haft statt Arbeit
Im letzten Jahr wurden im Kanton Glarus neun Gesuche bewilligt. Mit
rund 20 positiven Entscheiden läge Glarus im schweizerischen
Mittel,
mit deren 40 läge er gleichauf wie Waadt, der liberalste Kanton.
Wie durch die tiefe Anerkennungsquote gut integrierte Steuerzahler in
die Illegalität getrieben werden oder als Gefängnisinsassen
dem Staat
zur Last fallen, zeigen die Beispiele von Gülüzar Korkmaz,
Jubrayel
Murad und Sha'aban Rashid. Korkmaz ist untergetaucht und wird
polizeilich gesucht, Murad und Rashid sitzen im Glarner Gerichtshaus in
Durchsetzungshaft. Bericht Seite 3
--
Heute lebendig im Gefängnis, morgen vielleicht tot im Irak
Den zwei abgewiesenen Asylbewerbern Jubrayel Murad und Sha'aban Rashid
droht die Abschiebung in den Irak und damit der Tod. Die
Flüchtlingshilfe kritisiert den Kanton Glarus.
Von Daniel Fischli
Glarus. - Die Kantone wenden die Härtefallregelung im
Asylbereich
höchst unterschiedlich an. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der
Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom März dieses Jahres
(siehe
Box). Glarus wird zu den restriktiven Kantonen gezählt: "Diese
Kantone
haben sich offenbar dazu entschieden, von der Härtefallregelung
wenig
Gebrauch zu machen. Die Kriterien sind in diesen Kantonen nur schwer zu
erfüllen", heisst es in der Studie.
Vom Fleck weg verhaftet
Am eigenen Leib haben die beiden kurdischen Iraker Jubrayel Murad und
Sha'aban Rashid die restriktive Glarner Praxis erfahren. Beide sitzen
seit März im Gerichtshaus in sogenannter Durchsetzungshaft. Rashid
wurde bei einem Termin auf der Fachstelle für Migration vom Fleck
weg
verhaftet. Beide hatten den Status von "vorläufig Aufgenommenen",
da
ihre Asylgesuche abgelehnt worden waren, die Rückkehr in den Irak
aber
generell als nicht zumutbar betrachtet worden ist. Mit der
Änderung der
Praxis durch das Bundesamt für Migration (BFM) vor einem Jahr
verloren
sie ihr Aufenthaltsrecht in der Schweiz.
"Freiwillige" Rückkehr
Murad hatte als Härtefall ein Gesuch um eine
Aufenthaltsbewilligung
gestellt, das von der kantonalen Fachstelle für Migration
abgelehnt
worden ist. Rashid hat darauf verzichtet - da es als aussichtslos
angesehen werden musste. Rashid lebt seit fünf, Murad seit sieben
Jahren in der Schweiz. Beide arbeiteten im Gastgewerbe; ihre
Vorgesetzten haben sich für ihren Verbleib in der Schweiz stark
gemacht.
Da in den Irak (noch) keine Rückführungen unternommen werden
können,
können Murad und Rashid nicht zur Ausreise gezwungen werden. Sie
sollen
deshalb mit der Inhaftierung mürbe gemacht werden, damit sie
"freiwillig" zurückkehren. Beide befürchten aus
persönlichen Gründen,
im Irak getötet zu werden.
Das Verwaltungsgericht muss monatlich prüfen, ob die
Voraussetzungen
für die Haft noch gegeben sind, ob also noch Aussicht darauf
besteht,
den Willen der Gefangenen zu brechen. Wenn das Gericht zum Schluss
kommt, dass dies nicht mehr der Fall ist, müssen sie freigelassen
werden. Die Durchsetzungshaft darf aber in jedem Fall nicht länger
als
18 Monate dauern. Anschliessend haben die Betroffenen nur noch Anrecht
auf die lebensnotwendigsten Dinge und dürfen nicht arbeiten.
Sobald
Zwangsrückführungen in den Irak möglich sind, droht
Murad und Rashid
die Ausschaffung.
Rechtsanwältin Bettina Dürst-Hunziker aus Glarus vertritt
Sha'aban
Rashid und Jubrayel Murad. Sie berichtet, dass in den nächsten
Tagen
für Rashid die zweite Haftüberprüfung durch das
Verwaltungsgericht
ansteht. "Ich rechne damit, dass die Haft verlängert wird", so
Dürst.
In beiden Fällen sind Wiedererwägungsgesuche gegen die
Wegweisungsentscheide beim BFM hängig.
Die 33-jährige türkische Kurdin Gülüzar Korkmaz
wollte es nicht so weit
kommen lassen. Nach der Ablehnung ihres Härtefallgesuches ist die
Netstalerin Anfang Jahr untergetaucht. Eine Beschwerde ist beim
Departement Sicherheit und Justiz hängig.
Hohe Glarner Hürden
Den kantonalen Behörden steht bei Härtefällen ein
grosser
Ermessensspielraum zu. Zum einen können die Vorgaben des Bundes
eigenmächtig von den Kantonen verschärft werden. So schreibt
das
Asylgesetz einen Aufenthalt von mindestens fünf Jahren in der
Schweiz
vor. Der Kanton Glarus verlangt zehn Jahre. Zum andern operiert das
Gesetz mit dem Gummibegriff des schwerwiegenden Härtefalls.
Darunter
kann man alles oder nichts verstehen.
Bettina Dürsts Büronachbar, Rechtsanwalt Alban Brodbeck, will
Mitte
April auf der Fachstelle für Migration vorsprechen. Er erhoffe
sich,
dass Rashid und Murad aus der Durchsetzungshaft entlassen und als
Härtefälle anerkannt würden, erklärt er. Es sei
unsinnig, tüchtige
Arbeitskräfte ins Gefängnis zu sperren: "Sie sollen arbeiten
und nicht
als Gefangene dem Staat zur Last fallen."
"Im schweizerischen Mittel"
Der zuständige Regierungsrat Andrea Bettiga verteidigt die
Fachstelle
für Migration: "Meines Wissens liegen die Zahlen des Kantons
Glarus
klar im schweizerischen Mittel." Eine Harmonisierung durch für Mai
oder
Juni in Aussicht gestellte Weisungen aus Bern begrüsst er. "Eine
verbindliche Praxis wäre eine wertvolle Hilfe bei der Behandlung
der
Gesuche", erklärt der Justizdirektor.
Die SFH fordert von den Kantonen die Eröffnung einer
Beschwerdemöglichkeit gegen negative Entscheide an ein Gericht
sowie
die Einführung einer Härtefallkommission, die über die
Gesuche
entscheidet. Diesen Begehren kann Bettiga nicht viel abgewinnen. Je
nach Zusammensetzung würde eine Kommission keine Gewähr
für eine
harmonisierte Praxis bieten. Und der Rechtsweg sei bereits heute "in
den meisten Fällen" garantiert.
Hoffnung auf die Politik
Für Sha'aban Rashid engagiert sich ein Kollegenkreis aus jungen
Glarnerinnen und Glarnern. Sie besuchen ihn regelmässig im
Gefängnis,
um den eintönigen Tagesablauf aufzulockern - die Gefangenen sind
pro
Tag 23 Stunden in der Zelle eingeschlossen. Und sie sammeln Geld, um
die Anwaltskosten decken zu können. Die Gruppe hofft auf die
Politik:
Sie könnte für einen offeneren Umgang mit den
Härtefallgesuchen sorgen.
--
Kantonale "Härtefall-Lotterie"
Bern. - Seit dem 1. Januar 2007 sind die Kantone für die
Prüfung der
Härtefallgesuche zuständig. Die Schweizerische
Flüchtlingshilfe (SFH)
hatte damals vor einer "Härtefall-Lotterie" gewarnt. Nach zwei
Jahren
sehe sie ihre Befürchtungen weitgehend bestätigt, heisst es
in einem
Bericht vom März. In den Kantonen hätten sich sehr
unterschiedliche
Praktiken entwickelt. Grund dafür sei der grosse
Ermessensspielraum der
kantonalen Behörden.
Grundsätzlich spalten sich laut SFH die Kantone bei der Anwendung
in
zwei Lager: Einige Kantone begriffen die Härtefallbestimmung als
Chance, um bereits gut integrierten Menschen eine
Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Sie praktizierten eine liberale
Anwendung der Regelung. Andere Kantone würden dagegen die
Auffassung
vertreten, dass abgewiesene Asylsuchende nicht mit der Vergabe eines
Bleiberechts belohnt werden dürften.
Eine liberale Anwendung der Härtefallregelung eröffnet laut
SFH
Personen, die seit Langem in der Schweiz lebten und sich gut integriert
hätten, eine langfristige Perspektive. "Mit der Erteilung einer
Aufenthaltsbewilligung können sie und ihre Kinder aus dem
Schattendasein heraustreten und zu einem vollwertigen Teil unserer
Gesellschaft werden", heisst es im Bericht. Eine restriktive Praxis
dagegen führe nicht dazu, dass mehr Menschen die Schweiz
verliessen,
sie werde langfristig zur Folge haben, dass sich Parallelgesellschaften
bildeten aus Personen, die weder in ihrem Heimatland leben könnten
noch
Rechte in der Schweiz hätten.
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NO NATO
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linksunten.indymedia.org
11.4.09
Audio / Text: Analyse des NATO Gipfels von IMI (Informationsstelle
Militarisierung)
Created by: IMI / Radio Z.
Angesichts der wichtigen Beschäftigung mit der französischen
und
deutschen Polizeistrategie, die offensichtlich auf eine bewusste
Eskalation der Situation hinarbeitete, um die Proteste gegen den
NATO-Gipfel in Straßburg zu zerschlagen, droht die inhaltliche
Aufarbeitung des Gipfels ein wenig unterzugehen. Deshalb hier eine
erste vorläufige Analyse der Kernelemente.
Effektivierung von Krieg und Besatzung und Kollisionskurs mit Russland
von Jürgen Wagner
Neue Macht- und Arbeitsteilung
Eine wichtige Rolle spielte auf dem Gipfel der Versuch, eine neue
transatlantische Macht - und Arbeitsteilung auf den Weg zu bringen. Die
machtpolitisch geschwächten Vereinigten Staaten sind bestrebt, die
EU
stärker an den Kosten für die (militärische)
Aufrechterhaltung der
bestehenden Weltordnung zu beteiligen. Dafür bieten sie den
EU-Staaten
umgekehrt aber an, ihre Interessen künftig in deutlich
größerem Maße
als bislang zu berücksichtigen.
Dieses Angebot wurde bereits Anfang Februar auf der Münchner
Sicherheitskonferenz unterbreitet und nun zum Auftakt des NATO-Gipfels
von Präsident Barack Obama nochmals wiederholt: "Wir wollen nicht
herablassend auf Europa schauen", so Obama. "Wir wollen nicht der
Schutzpatron Europas sein, wir wollen der Partner Europas sein."
Gleichzeitig betonte er, die Militarisierung der Europäischen
Union,
die von Washington lange Zeit als rivalisierendes Projekt abgelehnt
wurde, sei aus Sicht Washingtons im Sinne der neuen Lastenteilung
begrüßenswert: "Je mehr militärische Fähigkeiten
wir sehen, desto
glücklicher werden wir darüber sein, desto effektiver werden
wir unsere
Fähigkeiten koordinieren können." (Spiegel Online, 3.4.09)
Dementsprechend fordert auch das Abschlussdokument des
Straßburg-Gipfels eine weitere Militarisierung der
Europäischen Union:
"Die NATO erkennt die Bedeutung stärkerer und effektiverer
EU-Verteidigungskapazitäten an." (Ziffer 20)
NATO-Strategie 2010
Eine der wohl wichtigsten Entscheidungen des Gipfels bestand darin, nun
auch offiziell die Erarbeitung eines neuen Strategischen Konzeptes in
Auftrag zu geben. Es soll "die längerfristige Rolle der NATO im
Sicherheitsumfeld des 21. Jahrhunderts ausarbeiten", heißt es in
der
Abschlusserklärung (Ziffer 1). Ziel ist es, das Konzept auf dem
nächsten NATO-Gipfel zu verabschieden.
Kernelement der Strategie soll der Comprehensive Approach sein. Der
Comprehensive Approach zielt darauf ab, "Stabilisierungseinsätze",
also
Besatzungen wie im Kosovo und in Afghanistan, künftig
"erfolgreicher"
durchführen zu können. Hierfür sollen zivile Akteure
eingebunden werden
und vor Ort Hand in Hand mit dem Militär zusammenarbeiten, um so
für
ein reibungsloses Funktionieren der Besatzung zu sorgen.
Durch diese Zivil-militärische Zusammenarbeit werden zivile
Akteure
jedoch systematisch zu integralen Bestandteilen westlicher
Militäreinsätze degradiert und damit für große
Teile der Bevölkerung
vor Ort zu Gegnern. Zivile Akteure werden so für die Durchsetzung
strategischer, wirtschaftlicher und politischer Zielen
instrumentalisiert und die Gewährleistung humanitärer Hilfe
hierdurch
erheblich erschwert, teils gar verunmöglicht. Aus diesem Grund
lehnen
Entwicklungsorganisationen diese Zivil-militärische Zusammenarbeit
ab,
erst vor kurzem etwa der Dachverband entwicklungspolitischer
Nichtregierungsorganisationen (VENRO). Dennoch wurde auf dem
NATO-Gipfel beschlossen, mit der Implementierung eines - weiterhin
geheimen - Aktionsplans zur Umsetzung des Comprehensive Approaches mit
Nachdruck fortzufahren und die Ergebnisse im Dezember 2009 zu
evaluieren (Abschlussdokument: Ziffer 18).
Prototypisch wird der Comprehensive Approach erstmals in großem
Stil
beim NATO-Einsatz in Afghanistan erprobt. VENRO befürchtet nun,
dass
die Zivil-militärische Zusammenarbeit künftig von Afghanistan
"auf
andere Konflikt- beziehungsweise Post-Konfliktszenarien übertragen
wird." Dies scheint tatsächlich genau der Plan zu sein. Die NATO
benötige eine grundsätzlich neue Strategie, so Angela Merkel
in ihrer
Regierungserklärung kurz vor dem NATO-Gipfel. "Das hört sich
einfach
an, ist aber vergleichsweise revolutionär", sagte Merkel und
forderte,
dass "die Nato mit ihren militärischen Mitteln Teil eines
umfassenden
und kohärenten Ansatzes" sein müsse, zu dem auch eine
Vielfalt an
zivilen Aktionen gehöre. "Dieses Grundverständnis, das wir
jetzt in
Afghanistan entwickelt haben, wird aber in Zukunft nicht der Einzelfall
sein, sondern muss zum strategischen Allgemeingut der Nato werden."
(süddeutsche.de,
27.3.09)
Ein zweiter wichtiger Aspekt, der höchstwahrscheinlich eine
wichtige
Rolle bei der Überarbeitung der NATO-Strategie spielen wird, ist
das
Bestreben, die NATO künftig "pro-aktiver", also schneller und
flexibler
einsatzfähig zu machen, wie es Obamas Sicherheitsberater James
Jones
nannte. Hierfür schlugen die derzeit wichtigsten Papiere zur
Erneuerung
des Strategischen Konzepts, eines von fünf ehemaligen hohen
NATO-Generälen und eines, erstellt von vier der wichtigsten
US-Denkfabriken, folgendes Maßnahmenbündel vor: Abschaffung
des
Konsensprinzips (zumindest auf allen Ebenen unterhalb des NATO-Rats);
Keine Mitspracherechte an NATO-Kriegen für die
Mitgliedsländer, die
sich nicht beteiligen; Übernahme der Einsatzkosten durch
sämtliche
NATO-Staaten und nicht nur diejenigen, die sich an einem Krieg
beteiligen.[3]
Sollte dieser Umbau der Entscheidungsstrukturen tatsächlich
umgesetzt
werden, würden die Machtverhältnisse innerhalb der NATO
drastisch
zugunsten der großen Staaten verschoben und die
Kriegsführungsfähigkeit
des Bündnisses erheblich gesteigert. Ein versteckter Hinweis, dass
an
eine Überabreitung der Strukturen und Entscheidungsprozesse
gedacht
wird, findet sich in einem weiteren auf dem Gipfel verabschiedeten
Dokument: "Wir müssen außerdem die NATO-Strukturen
reformieren, um eine
schlankere und kosteneffizientere Organisation zu schaffen. Wir werden
die Fähigkeiten der NATO vergrößern, dort wo unsere
Interessen
betroffen sind, eine wichtige Rolle im Krisenmanagement und der
Konfliktlösung zu spielen."[4]
Besatzung konkret: Afghanistan, Irak
Des Weiteren wurde Obamas neue Afghanistan-Strategie von den
Verbündeten vorbehaltlos begrüßt: Sie beinhaltet mehr
Hilfe, vor allem
aber eine Vergrößerung der Truppenanzahl, verbunden mit
einer
Eskalation der Kampfhandlungen - möglicherweise bis nach Pakistan:
"Die
Allianz stellt sich geschlossen hinter Obamas neue
Afghanistan-Strategie." (süddeutsche.de,
4.4.09) 62.000 Truppen
befinden sich gegenwärtig am Hindukusch, die USA haben bereits
zusätzlich 21.000 beschlossen und nun hat die NATO nachgezogen und
will
ebenfalls weitere 5.000 stellen.
Auch was den Irak anbelangt findet sich ein viel sagender Hinweis.
Angesichts der Tatsache, dass auch die neue US-Regierung die Besatzung
des Landes zumindest mittelfristig aufrecht erhalten will, hat die NATO
bereits im Dezember 2008 beschlossen, dass die "NATO Training Mission
in Iraq" künftig auch innerhalb des Landes agieren soll. Ihre
Aufgaben
umfassen Hilfe bei der "Absicherung der Grenzen", einer
"Verteidigungsreform" und dem Aufbau von
"Verteidigungsinstitutionen".[5]
Dieses Engagement, mit dem man den USA direkt bei der Besatzung unter
die Arme greift, soll nun offenbar verstetigt werden. Im
Abschlussdokument heißt es hierzu: "Wir erneuern unser Angebot an
die
irakische Regierung für einen Rahmen zur strukturierten
Kooperation als
Basis für eine langfristige Zusammenarbeit und begrüßen
die
diesbezüglich bereits erzielten Fortschritte." (Ziffer 11;
Hervorhebung
vom Autor) Nach den schweren Konflikten um den Irak-Krieg sind dies
Entscheidungen mit erheblicher Symbolwirkung - sowohl gegenüber
den USA
als auch gegenüber dem Rest der Welt, sie setzen ein "klares
Zeichen
für einen Neuanfang."[6]
Kollisionskurs mit Russland
Trotz der begrüßenswerten Absichtserklärung der
US-Regierung, den
nuklearen Abrüstungsprozess wieder in Gang zu bringen, wurde
ansonsten
gegenüber Russland ein harter Ton angeschlagen. "Die ohne die
Zustimmung der Regierung erfolgte russische Militärpräsenz in
den
georgischen Regionen Abchasien und Süd-Osstien ist besonders
Besorgnis
erregend. Darüber hinaus stellen Russlands Handlungen in Georgien
seine
Bereitschaft zur Einhaltung der fundamentalen OSZE-Prinzipien in Frage,
auf der Sicherheit und Stabilität in Europa aufbauen."
(Abschlussdokument: Ziffer 57)
In diesem Zusammenhang dürfte Moskau besondere Sorge bereiten,
dass
weiterhin auf die mehrfach als "rote Linie" bezeichnete NATO-Aufnahme
Georgiens und der Ukraine beharrt wird. Im Abschlussdokument
heißt es
hierzu: "Auf dem Gipfel in Bukarest haben wir uns darauf
verständigt,
dass die Ukraine und Georgien Mitglieder der NATO werden und wir
bestätigen nochmals alle Elemente dieser Entscheidung." (Ziffer
29)
Gleichzeitig wird im Abschlussdokument auf die Bedeutung der
NATO-Ukraine und NATO-Georgien-Kommissionen verwiesen, die zur
Jahreswende mit dem Ziel eingesetzt wurden, die Heranführung
beider
Länder an das Bündnis zu beschleunigen.
Auch in der Frage der NATO-Raketenabwehr, die zusätzlich zu den
US-Komponenten aufgebaut werden soll, hält man am bisherigen Plan
trotz
scharfer russischer Kritik fest. Zwar wird festgestellt, dass
"zusätzliche Arbeit erforderlich ist" (Ziffer 51) - ein Verweis
auf die
gravierenden technischen Probleme -, gleichzeitig wird aber der
Ständige NATO-Rat damit beauftragt, mit der Ausplanungen für
ein
Abwehschild fortzufahren, der nicht nur im Ausland stationierte
Truppen, sondern auch NATO-Territorium abdeckt und so russische Raketen
neutralisieren könnte (Ziffer 53).
Darüber hinaus finden sich in der Obama-Regierung zahlreiche
Befürworter einer "Globalen NATO", also dem Bestreben, das
Bündnis um
"befreundete" Demokratien außerhalb des euro-atlantischen Raums
zu
erweitern. Damit will man eine Konkurrenzorganisation zur UNO schaffen,
um das dortige Vetorecht Russlands und Chinas gegenüber
Militäreinsätzen auszuhebeln. Mit Bestürzung reagiert
man in Moskau auf
derartige Pläne, aus der NATO eine Art Alternativ-UNO mit Lizenz
zur
militärischen Gewaltanwendung zu machen. So äußerte
sich der russische
Nato-Botschafter Dmitri Rogosin kurz vor dem NATO-Gipfel: "Heute
bekommen wir weitere Hinweise darauf, dass die Nato ihre Rolle
globalisieren will. Faktisch geht es um die künftige
Möglichkeit,
Länder in die Allianz aufzunehmen, die mit dem euroatlantischen
Raum
nichts zu tun haben - wie etwa Australien, Japan, Neuseeland und
Indien." Vor diesem Hintergrund wolle die Nato anscheinend eine
"gewisse Demokratien-Liga" gründen. Doch der Versuch, den
UN-Sicherheitsrat durch solch ein Gremium zu ersetzen, bedeute eine
"ernsthafte Herausforderung an die meisten Länder der Welt." (Ria
Novosti, 13.3.09)
Dennoch wurde auf dem Gipfel beschlossen, mit Anders Fogh Rasmussen
einen erklärten Befürworter der "Globalen NATO" zum
nächsten
Generalsekretär des Bündnisses zu ernennen.[7] Auch im
Abschlussdokument des Gipfels findet sich der Verweis, künftig
noch
intensiver mit Nicht-NATO-Demokratien zusammenarbeiten zu wollen,
explizit genannt werden Australien, Japan, Neu-Seeland, Südkorea
mit
Blick auf deren Beiträge in Afghanistan (Ziffer 40).
Fazit
Auf dem NATO-Gipfel wurde der Eskalationskurs des Bündnisses
konsequent
fortgesetzt. Sämtliche Entscheidungen deuten auf eine
Intensivierung
des Kriegskurses hin. Allein schon deshalb wird man sich auch in
Zukunft weiter kritisch mit der NATO auseinandersetzen müssen.
Anmerkungen:
[1]Fünf Jahre deutsche PRTs in Afghanistan, VENRO-Positionspapier
1/2009.
[2]Fünf Jahre deutsche PRTs in Afghanistan, VENRO-Positionspapier
1/2009, S. 2.
[3] Vgl. The Washington NATO Project: Alliance Reborn: An Atlantic
Compact for the 21st Century, Februar 2009; Naumann,
Klaus/Shalikashvili, John/Lord Inge/Lanxade, Jacques/Breemen, Henk van
den: Towards a Grand Strategy for an Uncertain World: Renewing
Transatlantic Partnership, URL: http://tinyurl.com/5bujl9;
An interview with General James L. Jones, NATO Defense College,
Research Paper, Januar 2008.
[4] Declaration on Alliance Security, 3.4.2009, URL: http://www.nato.int/cps/en/natolive/news_52838.htm
[5] Final communiqué of The Meeting of the North Atlantic
Council at
the level of Foreign Ministers, NATO Presseerklärung, 3.12.2008
[6] Riecke, Henning: Mehr Einsatz in Afghanistan. Deutschland kann
Obama konkrete Kooperationsangebote machen, in: Internationale Politik,
Januar 2009, S. 39-44.
[7] Rasmussen, Anders Fogh, Address to the US Chamber of Commerce,
28.02.2008.
Jürgen Wagner, IMI (Informationsstelle Militarisierung)
http://www.imi-online.de/
Artikel als PDF
http://linksunten.indymedia.org/en/node/4738
Interview auf Radio Z Nürnberg - 10:20 Minuten
http://www.radio-z.net/
http://linksunten.indymedia.org/en/node/4739
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PATRONS
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Landbote 11.4.09
Die Franzosen jagen ihre Patrons
Stefan Brändle
In Frankreich häufen sich die Geiselnahmen von Firmenmanagern. Die
Regierung blieb bisher passiv, um nicht zusätzlich Öl ins
soziale Feuer
zu giessen.
Paris - Die Stimme zittert, halb aus Wut, halb aus Angst. "Ich habe
eine Familie zu ernähren, mit zwei Kindern und einer Frau, die
schon
arbeitslos ist", meint Thierry Mata, Ingenieur des Automobilzulieferers
Faurécia. Dass sein Posten bedroht sei, habe er seit
Längerem gewusst,
aber auf seine 62 Stellenbewerbungen habe er nur zwei Antworten
erhalten, negative.
Mata unterstützt die Geiselnahme, die am Donnerstag sein
Unternehmen
ausserhalb von Paris lahmlegte. Einen Nachmittag und Abend lang setzten
die Beschäftigten drei Manager des Peugeot-Tochterbetriebs in
ihren
Büros fest. "Glauben Sie, dass ich mich mit einer Abfindung von
5000
Euro zufriedengebe?", fragt Thierry Mata und zeigt auf die Chefetage.
"Das ist nicht einmal so viel, wie diese Leute da in einem Monat
verdienen."
Diese Leute da - sie machen harte Zeiten durch in Frankreich. Alle paar
Tage wieder sind am Fernsehen Firmenbosse zu sehen, die im weissen Hemd
und mit verrutschter Krawatte ihr Büro verlassen, nachdem sie eine
Nacht lang dort festgehalten wurden. Es gleicht einem
Spiessrutenlaufen, wenn sie sich jeweils einen Weg durch die
Beschäftigten bahnen und dann unter Polizeischutz ins nächste
Rathaus
fahren, wo unter behördlicher Aufsicht Verhandlungen mit den
Gewerkschaften beginnen. Meistens endet es mit dem Nachgeben der
Direktion.
Zerstochene Autopneus
Bei Caterpillar in Grenoble reduzierte sie den Abbau von 733 Stellen
etwa auf 600. Das aber erst, nachdem es hart auf hart gegangen war.
Aufgebrachte Beschäftigte hatten zuerst Metallstücke in die
Richtung
der Manager geworfen und ihre Autopneus zerstochen. Die Gewerkschaften
versuchten die Arbeiter vergeblich zurückzuhalten; die Manager
mussten
sogar in das Büro des Generaldirektors flüchten. Dort wurden
sie über
Nacht eingeschlossen. Nachdem die Chefs selbst versucht hatten, Pizzas
zu bestellen, wurden ihnen die Telefone und Handys abgenommen; ihre
Gattinnen wurden von den Arbeitern informiert. Am nächsten Morgen
wurde
verhandelt.
Andernorts wickeln sich die "séquestration", wie man in
Frankreich
sagt, in einem gesitteteren Klima ab - so etwa bei Sony in
Südwestfrankreich, bei 3M in Orléans oder beim
Klebbandhersteller Scapa
unweit der Schweizer Grenze. Meist geht es um die Zahl der zu
streichenden Stellen oder die Höhe der Entlassungsabfindungen -
und
meist erhalten die Streikenden Zugeständnisse.
Vertreter der konservativen Regierung üben Kritik: "Das ist nicht
gesund für die Demokratie", meinte der Staatssekretär
für
Kleinunternehmen, Hervé Novelli. "Diese Praktiken müssen
aufhören."
Auch Nicolas Sarkozy sprach sich diese Woche gegen die Aktionen aus.
"Man kann die Wut der Leute verstehen", meinte der Staatschef, der zwar
die "Gesetzwidrigkeit" anprangert, aber bisher davor zurückscheut,
die
Polizei einzusetzen.
Denn die Geiselnahmen stossen in Frankreich auf breite
Unterstützung.
Selbst der konservative "Figaro" - der am Freitag wegen eines
Druckerstreiks nicht erschien - räumt ein, dass sie "keine
lebhafte
Ablehnung bewirken". Die Sozialistische Partei verurteilt die
Gewaltanwendung genauso wie die "soziale Gewalt" bei Entlassungen und
"das Gefühl der Ungerechtigkeit" angesichts der
Millionenabfindungen
für Spitzenmanager. "Früher begehrten die Bauern gegen die
Seigneure
auf", erklärte der Vorsteher der Werbegruppe Publicis, Maurice
Lévy,
gegenüber amerikanischen Journalisten, die sich diese Woche
über die
radikalen Sitten in Paris informieren kamen. "Heute sind die Seigneure
eben die Firmenchefs."
Warnung vor Radikalisierung
Die Geiselnahmen sind nur der spektakulärste Ausdruck der
gespannten
Krisenstimmung in Frankreich. Im Norden des Landes und in Paris
unterbrachen Angestellte der Electricité de France (EDF)
stundenlang
den Strom von Tausenden von Haushalten; beim Schokoladehersteller Barry
Callebaut im Burgund blockierten Beschäftigte den Zugang zur
Fabrik.
Immer häufiger sind auch die Warnrufe vor einer Radikalisierung
der
Sozialkonflikte. In Pariser Buchhandlungen kursiert derzeit eine
Publikation namens "Der Aufstand, der kommt"; darin ruft ein
"unsichtbares Komitee" zur - gewaltlosen - Revolution wie
anlässlich
der Pariser Kommune 1871 auf. Obwohl die Autoren anonym bleiben, hat
das Büchlein in kurzer Zeit bereits 15 000 Käufer gefunden.
Soziologen hinterfragen derweil den Erfolg der Patroneinschliessungen.
Auf den ersten Blick haben die Beschäftigten meist Erfolg. Doch
sie
brauchen eine starke Medienbeachtung, und angesichts der Häufung
der
Geiselnahmen sinkt der Beachtungsgrad rapid. Viele Gewerkschafter
befürchten, dass die ursprünglichen Sozialpläne rasch
wieder aus den
Schubladen geholt werden, wenn sich die Spannung im Betrieb einmal
gelöst hat.lSTEFAN BRÄNDLE
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RAF
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Spiegel 11.4.09
Zeitgeschichte
Krieg der Lügen
Bizarre Polizeipläne im Kampf gegen die RAF
Aktenfunde belegen, wie das Bundeskriminalamt und das Stuttgarter
Landeskriminalamt die RAF mit einer Desinformationskampagne
bekämpfen
wollten.
Er war eine der meistgefährdeten Personen der Republik, sein Haus
glich
einer Festung, er führte ein Leben im Fadenkreuz derer, die der
Staatsmacht den Krieg erklärt hatten: Horst Herold, von 1971 bis
1981
Chef des Bundeskriminalamts (BKA), RAF-Jäger, Apologet der
Rasterfahndung. Noch im Ruhestand bekam er Personenschutz, fühlte
sich
der Terroristenjäger von Terroristen gejagt.
Wie weit Herold selbst bei seiner Jagd zu gehen bereit war, belegen
Dokumente aus den siebziger Jahren, die das Innenministerium
Baden-Württemberg jetzt nach über zweijährigen
Bemühungen von SPIEGEL
TV freigegeben hat.
Es sind Dokumente, die erstmals einen Blick erlauben auf die Planspiele
der Fahnder. Sie machen deutlich, unter welchem Druck die
Sicherheitsbehörden standen - und welche rechtlich
fragwürdigen
Ermittlungsmethoden sie ausbrüteten.
Eines dieser Dokumente stammt vom 31. August 1976. Ulrike Meinhof hat
sich vier Monate zuvor in ihrer Zelle erhängt, Andreas Baader und
Gudrun Ensslin stehen vor Gericht. Es ist der "Gesamtlagebericht
Terrorismus", den BKA-Chef Herold unter der Geheimhaltungsstufe
"VS-Vertraulich", Tagebuch-Nummer 136/76, dem Bundesinnenminister
vorlegt. Um "neue entscheidende Schläge gegen die
Terroristenszene"
führen zu können, so seine Analyse, "werden verstärkt
nachrichtendienstliche Mittel notwendig sein". Die
"Bekämpfungsinstrumente müssen kreativ weiterentwickelt
werden".
Wie kreativ Herold war, ist zum Teil bis heute geheim gehalten worden -
aus Sicht der Strafverfolger mit gutem Grund. Denn zwischen den mit
roten "Geheim"-Stempeln übersäten Aktendeckeln, die jetzt im
Hauptstaatsarchiv Stuttgart für Historiker aufbereitet werden,
finden
sich erstaunliche Papiere. Sie zeigen, wie manche Beamte die
Aufforderung von Kanzler Helmut Schmidt interpretierten, "bis an die
Grenzen des Rechtsstaates" zu gehen.
So hat Horst Herold schon im Oktober 1975, ein halbes Jahr nach dem
tödlichen RAF-Überfall auf die deutsche Botschaft in
Stockholm,
"Grundsätze der Desinformation zur Terrorismusbekämpfung"
ausarbeiten
lassen. Das Konzept verschickte der BKA-Boss unter eigenem Briefkopf
(Aktenzeichen "PR-50/75 geheim") an Ministerialdirigent Alfred
Stümper
im badenwürttembergischen Innenministerium.
Auf drei eng beschriebenen Seiten wird im Anhang zunächst der
Begriff
erläutert: "Desinformation ist ein neu zu schaffendes Kampfmittel,
das
neben die bisherigen Formen der Bekämpfung kriegsähnlicher
Aktivitäten
tritt." Gefälschte Nachrichten sollten durch "Einschleusung in
Presse,
Rundfunk, Fernsehen" oder in das RAF-Umfeld plaziert werden. Dienen
sollten die Maßnahmen dem "Eindringen in gegnerische
Gruppierungen mit
dem Ziel der Störung und Zerstörung", unter anderem "durch
Entheroisierung der Terroristen". Dies sollte
durch die "Förderung bandeninterner Konflikte", die "Entfremdung
der
revolutionären Basis" und durch die "Verwendung von
Überläufern,
Renegaten, V-Leuten" erreicht werden. Selbst vor der
"Bloßstellung
durch Offenlegung würdeloser Reaktionen" wollte man nicht
zurückschrecken: "zum Beispiel Weinen, Urinieren bei Festnahmen".
Horst Herold ist heute 85 Jahre alt. Er schließt nicht aus, "ein
solches Papier" weitergeleitet zu haben; aber konkret erinnern
könne er
sich an diese Strategie nicht: "Ich habe Tausende Vorlagen und Berichte
erstellt - nicht weil ich so fleißig war, sondern weil ich von
der
Notwendigkeit überzeugt war und bin, dem Terrorismus Einhalt zu
gebieten."
Angesichts des Schreckens, den die RAF im Deutschland der Siebziger
verbreitete, eine nachvollziehbare Position. Dass sich das BKA jedoch
einiger Mittel bedienen wollte, die eher den Usancen der
DDR-Staatssicherheit entsprachen als den Standards
bundesrepublikanischer Rechtsstaatlichkeit, war bislang unbekannt.
"Gegenüber Mördern ist auch List erlaubt, das steht in der
Strafprozessordnung", rechtfertigt sich Herold heute. Deshalb sah er
damals keine großen Einwände, "solche Gedanken zu
ventilieren".
Und ventiliert wurde fleißig: Am 11. November 1975 kamen der
Präsident
des Stuttgarter Verfassungsschutzes, Dieter Wagner, der Präsident
des
Landeskriminalamts,
Kuno Bux, und Polizeiinspekteur Reinhold Mikuteit zusammen, um das
Papier zu besprechen. Für eine erfolgreiche Desinformation
müssten
"konkrete Erkenntnisse der Polizei" mit den "nachrichtendienstlichen
Möglichkeiten des Verfassungsschutzes zusammengeführt
werden", so das
Protokoll, "dies kann nicht allein auf der obersten Ebene im Bund
geschehen", sondern auch auf Landesebene. Die schwäbische
Herrenrunde
überlegte also ernsthaft, beim Krieg der Lügen mitzumischen.
Die Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamts fertigte daraufhin
eine siebenseitige Modellplanung zur Desinformation an - ausgerechnet
jene Stuttgarter Staatsschützer, die sich bereits seit Monaten
außerhalb der Legalität bewegten, indem sie fünf Zellen
im
Terroristentrakt des Gefängnisses Stammheim hatten verwanzen
lassen, um
dort Gespräche der RAF-Verteidiger mit Andreas Baader, Gudrun
Ensslin
und Meinhof zu belauschen.
Nach den Festnahmen der ersten RAF-Generation gebe es ein
verändertes
Täterbild, analysierte der Staatsschutz Ende 1975,
"Aktionsschwerpunkte" seien nicht mehr zu erkennen. Deshalb seien "neue
Bekämpfungskonzepte" angebracht, die für die
"Einschüchterung" von
RAF-Sympathisanten sorgen sollten.
Die Stuttgarter Staatsschützer schlugen vor, ihre Pläne
"zusammen mit
Spezialisten anderer Behörden (BfV, BND, Bundeswehr - Gruppe
Psychologische Kriegführung)" zu erörtern und zu vertiefen.
Die Liste reicht von banaler "Fälschung von Flugblättern" und
"Anfertigung von Wandparolen", die aussehen sollten, als wären sie
von
RAF-"Gegenbewegungen" angebracht worden, bis zum systematischen
Belügen
der Medien: So sollte eine angeblich "undichte Stelle" bei einer
Polizeibehörde aufgebaut werden, "um über diesen
Informationsweg
Desinformationen an die Presseorgane geben zu können. Dabei ist
auch
die Suche nach diesem 'Leck' in die Überlegungen miteinzubeziehen".
Um die RAF-Leute in der Öffentlichkeit als "gewöhnliche
Kriminelle und
'miese Typen'" darzustellen, die "sich nicht scheuen, Anschläge
gegen
Unbeteiligte, gegen die Allgemeinheit und die Gesundheit" zu
verüben,
schlagen die Staatsschützer gar die "Planung von Anschlägen
auf (die)
Trinkwasserversorgung Berlin" vor - und auf "das Hamburger
Elektrizitätswerk".
Eine realitätsnähere Idee im LKA-Plan beschreibt detailliert
die
"Schaffung und Vertiefung bandeninterner Konflikte" unter den in
Stammheim einsitzenden RAF-Kadern. Die Staatsschützer weisen
darauf
hin, dass bei Zellendurchsuchungen Kassiber gefunden wurden, die
Spannungen zwischen Meinhof auf der einen und Baader sowie Ensslin auf
der anderen Seite belegten. Außerdem gebe es
"persönlichkeitsbezogene
Spannungen" zwischen Baader und Ensslin. Es "müsste geprüft
werden, ob
es möglich ist, gefälschte Zellenzirkulare in den Umlauf zu
bringen, um
damit die vorhandenen Konflikte zu verschärfen", schreiben die
Polizisten am 26. November 1975.
Akten über die Realisierung des Plans finden sich bislang keine.
Fakt
ist aber: Als Meinhof im Mai 1976 erhängt in ihrer Zelle
aufgefunden
wurde, zerstreute das BKA Zweifel an ihrem Selbstmord, indem es
Kassiberpassagen veröffentlichte. Sie belegen das tiefe
Zerwürfnis
zwischen Meinhof und Ensslin/Baader. Diese Kassiber waren angeblich bei
Zellendurchsuchungen von Beamten derselben LKA-Staatsschutz-Abteilung 8
gefunden worden, die fünfeinhalb Monate zuvor die
Desinformationspläne
entworfen hatte.
"Wir haben damals viele Ansätze verfolgt", erinnert sich der
ehemalige
LKA-Chef Bux, "aber das Desinformationskonzept wurde fallengelassen,
weil es weder rechtlich noch politisch durchsetzbar war." Auch Herold
würde heute solche Methoden als "untauglich" verwerfen. "Man
sollte die
Öffentlichkeit nicht vergrämen, wir brauchen sie auf unserer
Seite."
Dass man die Öffentlichkeit wohl vergrämt hätte, ahnte
auch der
Staatsschutz in seinem Gruselplan unter Punkt 2.1.7: "Mögliche
negative
Auswirkungen dieses Modells" seien "erheblicher Vertrauensschwund in
den Staat und seine Institutionen, falls Desinformation als solche
erkannt wird". HELMAR BÜCHEL, ULRIKE DEMMER
-----------------------
ANTI-ATOM
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AZ/MZ 11.4.09
Frick
"Die Region muss kämpfen, dass für sie etwas abfällt"
Wenn schon ein Atomendlager im Bözberg, dann sollen die Menschen
hier
auch davon profitieren. Heiner Keller aus Oberzeihen ruft im
Samstags-Interview zur Einheit auf.
Michael Mülli
Der Bözberg ist nebst dem Zürcher Weinland der zweite
Standort, den die
Nagra als "sehr geeignet" bezeichnet für ein Atomendlager für
hochradioaktive Abfälle. Für Heiner Keller sind zwei Dinge
klar: Das
Tiefenlager wird in den Bözberg kommen › und: Jetzt ist es
höchste
Zeit, Gegenleistungen zu fordern.
Heiner Keller ist Biologe und Präsident des "Forum Doracher ›
Lebendiges Oberzeihen". Der Verein fördert das kulturelle und
wirtschaftliche Leben in dieser Randregion. Ihr soll, so seine
Forderung, denn auch ein Teil der Wertschöpfung zufliesen, die ein
Atomendlager mit sich bringt. Das gehe nur gemeinsam. Deshalb hat er
unter www.g20.ch eine
Plattform
aufgeschaltet, die helfen soll,
Interessen und Kräfte der als geologisch geeignetes Standortgebiet
bezeichneten 20 Gemeinden rund um den Bözberg zu bündeln.
Nach der jüngsten Erweiterung des Radius für die Erstellung
von Zufahrt
und Empfangsanlage kommen zu den im Kern tangierten 20 Gemeinden bis zu
35 weitere dazu (AZ 8. 4.). Sie dürfen sich, ist auf der
G20-Homepage
nachzulesen, nicht gegeneinander ausspielen lassen. Geld, Arbeit und
Investitionen in Natur und Landschaft, Kulturgüter- und
Ortsbildschutz
sollten der Region schon jetzt zufallen. Die Abfälle seien ja auch
schon praktisch da.
Herr Keller, Sie sagen, Bözberg sei der Favorit für ein
Atomendlager. Wünschen Sie es sich sogar herbei?
Heiner Keller: Nein, das natürlich nicht. Aber der Standort
Wellenberg
war gescheitert, der Jura-Südfuss liegt im relativ dicht
besiedelten
Gebiet zwischen Olten und Aarau, und die drei übrigen sind an der
Landesgrenze zu Deutschland. Es ist wie Nünistei: Der Bözberg
bleibt
übrig.
Also zumindest abgefunden haben Sie sich damit?
Keller: Das Zeug ist da. Das Erschreckende ist ja, dass das radioaktive
Material heute auf der anderen Seite des Bözbergs im Zwischenlager
Würenlingen liegt › angeblich sicher.
Haben Sie eine fatalistische Haltung?
Keller: Die einen sind dafür, die anderen dagegen: Aber eine
solche
Haltung löst das Problem nicht. Es geht jetzt darum, einen
vernünftigen
Weg zu finden.
Es gibt ja ein Mitwirkungsverfahren. Warum meinen Sie, es genüge
nicht, sich bloss dort einzubringen?
Keller: Das ist eine Pseudomitwirkung. Wenn die Kriterien für den
Standort Bözberg sprechen, haben wir diesbezüglich gar keine
Wahl mehr.
Darauf, ob das Endlager kommt oder nicht, hat das Mitwirkungsverfahren
keinen Einfluss. Da bin ich völlig fatalistisch. Die Raumplanung
wird
versagen und einfach nachvollzogen werden. Auch in einer
Volksabstimmung könnten wir uns nicht wehren; wir würden
schlicht
überstimmt. Zum Sachplan geologische Tiefenlager, den der
Bundesrat vor
einem Jahr in Kraft gesetzt hat, gehört nun eben auch ein
Sachzwang.
Sie sehen das Endlager aber auch als Chance fürs Fricktal. Was
meinen Sie damit?
Keller: Das wird ein Milliardenprojekt. Es ist üblich, dass bei
grösseren Projekten der öffentlichen Hand fünf bis zehn
Prozent der
Baukosten für den ökologischen Ausgleich verwendet werden.
Das muss
auch hier geschehen. Die Region muss als Einheit auftreten und
dafür
kämpfen, dass für sie etwas abfällt.
Was könnte man konkret als Gegenleistung fordern?
Keller: Nebst langfristigen ökologischen Ausgleichsmassnahmen
für den
Naturschutz geht es schon in den nächsten Jahren darum, dass Geld
und
Arbeit im Zusammenhang mit dem Endlager in der Region bleiben. Die
Drucksachen sollen im Fricktal gedruckt werden. In einem künftig
leerstehenden Schulhaus soll die Nagra das Planungs- und
Informationszentrum einrichten. Örtliche Ingenieurbüros
sollen Aufträge
erhalten. Und warum soll man mit den radioaktiven Abfällen, die
nicht
nur strahlen, sondern auch noch wärmen, in der Gegend nicht heizen
können?
Wer müsste aktiv werden?
Keller: Das ist die Schwierigkeit. Die betroffene Region bildet keine
Einheit. Wir haben kein mediales Sprachrohr, sind durch die Bezirks-
und Konfessionsgrenze getrennt, und die Täler sind unterschiedlich
ausgerichtet. Auch die Replas können es nicht. Wir haben keine
entsprechende Tradition, wir liegen in dieser Region alle irgendwie
zwischendrin.
Woher erwarten Sie Unterstützung?
Keller: Die Lethargie ist dramatisch. Was ich mir erhoffe ist, dass es
jungen Leuten, die in dieser schönen Gegend neu Wohnsitz nehmen,
nicht
egal sein sollte, was hier passiert. Aber die Identifikation mit der
Wohnregion ist heute halt auch nicht mehr so stark. Das Leben findet
heute innerhalb einer Autostunde statt, der Radius ist grösser
geworden. Die Unterstützung muss von der Basis kommen; die Leute,
die
hier wohnen, sind eingeladen mitzumachen.
Was erwarten Sie von Ihrem Engagement? Was wünschen Sie sich damit
auszulösen?
Keller: Das ist noch schwierig zu sagen. Ich mache jetzt mal die
Homepage und werde sie alimentieren mit Gedanken. Ich hoffe, dass
irgendjemand diese Gedankenwelt teilt und sagt: Ich mache mit. Dann bin
ich offen. Wir könnten einen Verein gründen oder eine
Gruppierung ins
Leben rufen. Aber wenn sich niemand meldet, bleibe ich ein
Einzelkämpfer. Einen Businessplan habe ich nicht (lacht). Die
Aktualität wird dann von anderen gemacht. Ich muss ja nicht den
Takt
angeben. Da kommt noch viel auf uns zu, tropfenweise. Je mehr Leute die
gleichen Forderungen stellen, desto mehr können wir erreichen.
Auch
gegenüber den Gemeinden: Wenn wir es fertig bringen, dass sie
zusammenstehen und als Region auftreten › zum Beispiel in einem
Zweckverband ›, wäre das schön. Wir sind erst am Anfang.
In Bad Säckingen regt sich Widerstand, die deutschen Nachbarn
wollen am
Verfahren beteiligt werden. Erwarten Sie von dort Schützenhilfe?
Keller: Nein, auch nicht von Atomgegnern aus Basel oder anderswoher.
Wir dürfen uns nicht fremdbestimmen lassen, sondern müssen
für uns
schauen. Diese Einsicht fehlt mir in der laufenden Diskussion.
Jetzt wurde der Planungsperimeter für Umlad und Zufahrt erweitert.
Plötzlich fühlen sich weitere Gemeinden betroffen. Was
belastet mehr:
der Stolleneingang oder das Endlager selbst?
Keller: Das ist gehüpft wie gesprungen. Das Tragische ist, dass
alles,
wovon die Menschheit gesagt hat, es sei sicher, nicht von Bestand war.
Hier geht es um 100 000 Jahre. Wie zuversichtlich sind Sie, dass
die Anlage so lange hält?
Keller: Wer garantiert mir, dass bis dann nicht jemand eine Atombombe
loslässt? Das Zeug ist da, und es ist möglich, dass sich
irgendeine
verrückte Konstellation ergeben kann. Es ist ja gemacht, um
losgelassen
zu werden. Wenn so etwas passiert, geht das Tiefenlager Bözberg im
allgemeinen Fallout sowieso unter. Überdies: Ob die Menschheit
nochmals
100 000 Jahre überlebt, steht auch noch nirgends geschrieben. Das
sind
absurde Diskussionen. Zur Gefährlichkeit kann ich nichts sagen.
Aber
Transport und Umlad sind immer etwas Heikles, das bestreitet auch
niemand.
Sie hätten also lieber das Tiefenlager gerade unter Ihrem Haus als
den Eingang zum Zufahrtsstollen gleich vor Ihrer Haustür?
Keller: Wenn irgendwo etwas passiert, leidet das ganze Gebiet
gleichermassen. Es muss nicht direkt über dem Tiefenlager am
gefährlichsten sein.
Zurück zum erweiterten Perimeter: Was halten Sie davon?
Keller: Man müsste in diesen Perimeter auch das Zwischenlager und
die
bestehenden Atomkraftwerke einzeichnen. Deshalb ist man überhaupt
auf
diese fünf Kilometer gekommen. Ich behaupte: Bei der jetzt
angekündigten raumplanerischen Bestandesaufnahme für
Umladeanlage und
Zufahrt handelt es sich um ein Schattenboxen. Die Standorte der
Steinbrüche sind ebenso bekannt wie die Gleisanschlüsse.
Villigen hat
einen grossen Steinbruch: Hier könnte auch die enorme Menge an
Aushubmaterial, die beim Bau eines Zufahrtsstollens anfällt,
abgeführt
werden. Es ist doch klar, dass man solche Anlagen nicht auf einem
Hügel
baut.
Also eher nicht im Fricktal?
Keller: Nein.
Wie vertragen sich solche Immissionen mit dem geplanten Jurapark und
dem Tourismusland Fricktal?
Keller: Das tangiert einander nicht; an der Oberfläche würde
man überhaupt nichts vom Endlager merken.
Vor dem Hintergrund der kontrovers diskutierten Endlagerung:
Verträgt es neue Atomkraftwerke?
Keller: Was soll ich dazu sagen? Solange der Verbrauch an
Elektrizität
dermassen zunimmt, und daran ist nicht zu zweifeln, wird man diese
irgendwie produzieren müssen. Ich frage mich: Wohin führen
die
verschwenderischen Anwendungen des Stroms? Letztlich wird man nicht ums
Sparen herumkommen. Das haben wir noch nicht gelernt. Solange wir das
Wachstum nicht stoppen bzw. reduzieren können, wird man den
benötigten
Strom produzieren und zur Verfügung stellen müssen.
Atomkraftwerk ja
oder nein mündet für mich in die Frage: Wie sparen wir Strom?
Und zwar
massiv! Da habe ich wenig Hoffnung: Der Mensch ist nicht gemacht, um
zufrieden zu sein mit dem, was er hat.