MEDIENSPIEGEL 2.5.09
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (tojo)
- Reitschule kulinarisch im Beobachter
- Bollwerk: Kraftort und Hauskauf-Objekt
- Demos bleiben erlaubt; Stadt will erneut Entfernungsartikel
- Christen statt Kultur: SP kritisiert Kornhausvermietung
- Progr: Leitartikel-Schlagabtausch
- FDP verteidigt Video-BigBrother Käser; Linke sauer
- Nothilfe-Berg: Eriz noch leer
- Kofmehl: Gespräch suchen
- Freikirchliche Attacke auf Euro-Pride
- 1. Mai Bern: Schwarzer Block + Rote Falken mit Ballons; Brandanschlag in ZH
- Neonazis marschieren in Basel
- SVP: erneut Migrations-Hetze
- Bürgerpatrouille Birsfelden
- Proteste gegen BKW-Kohle
- Neue AKW-Aufsicht; Mühleberg-Risse + -infoveranstaltung; Atomausstieg bis 2019 in Bern

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REITSCHULE
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Sa 02.05.09
20:30 Uhr- Auawirleben: "Für eine bessere Welt" von Roland Schimmelpfennig. HKB
21.00 Uhr - Kino - Havanna - die neue Kunst Ruinen zu bauen, F. Borchmeyer, D/CUB 2006, 85 Min., 35mm, OV/d
23.00 Uhr - Dachstock - Liquid Session: Calibre (Signature Recs/UK) & MC DRS (UK)

So 03.05.09:
08.00 Uhr - Grosse Halle/Vorplatz - Flohmarkt
09.00 Uhr - SousLePont - Brunch
18.00 Uhr - Rössli-Bar - Piano-Bar

Infos: www.reitschule.ch

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Bund 2.5.09

Krieg macht geil

Theater

"Meine Einheit ist total aufgerieben worden, aber ich will jetzt Sex", sagt Frau Leutnant und versucht, einen ihrer untergebenen, knackigen Soldaten unter die Dusche zu schleppen. So sexy sich zwar die toughe Überlebende präsentiert, der Mann will nicht. Aus Aberglauben, weil all die Soldaten, die mit ihren weiblichen Vorgesetzten herumgefummelt haben, nachher im Kampf umgekommen sind.
Den adrenalingedoptn modernen Soldatenalltag nimmt sich Roland Schimmelpfennig, einer der erfolgreichsten zeitgenössischen Dramatiker, in seinem Stück "Für eine bessere Welt" vor, das 2004 am Schauspielhaus Zürich aufgeführt worden ist. Geprägt sind die schnell wechselnden kurzen Szenen von Stimmungen, die mit ihrem coolen Pathos an Filme wie "Apocalypse Now" oder "Platoon" erinnern - und von Männerfantasien. Krieg macht Frauen geil, lautet eine der Botschaften des collageartigen Textes, der alte und neue Mythen mit modernem Werbetrash legiert. Wo der Horror neue Rituale schafft, da trifft die Göttin der Unterwelt auf Aliens.

Verbales Sperrfeuer

Alle sind sie blutjung, die durchtrainierten Kämpferinnen und Kämpfer, die mal irgendwo in Afrika, mal in Vietnam gegen das Böse antreten. Doch die Fronten zwischen Feind und Freund verschieben sich laufend, und zum gefährlichsten Gegner wird die eigene Paranoia.

Als ernsthaftes verbales Sperrfeuer inszeniert der junge deutsche Regeisseur Boris von Poser zusammen mit der Diplomklasse der Berner Schauspielschule den dramatischen Stoff, was der Künstlichkeit des Textes aber nicht bekommt.
So leidenschaftlich die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler sich auf der Bühne des Tojo-Theaters in der Reitschule der kaputten Gestalten annehmen, glaubwürdig wirken sie in ihrem atemlosen Eifer kaum. Der Regisseur verzichtet nämlich darauf, all die Klischees, die Schimmelpfennig in seinen Kriegsspielchen bemüht, zu unterlaufen. Als Comic oder Videogame verzerrt hätte die diskutable Vorlage aber durchaus Potenzial zu einer Reflexion der Wahrnehmung von Krieg in Zeiten der unbegrenzten medialen Möglichkeiten
(bnb)

[i]
Aufführungen heute, 20.30 Uhr, Tojo-Theater in der Reitschule.
8./9. Und 14./15./16. Mai, 20 Uhr, in der HKB, Sandrainstrasse 3, Bern.

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Solothurner Zeitung 2.5.09

Taumeln durch Dunkelzonen

Studierende der Berner Kunsthochschule haben sich unter Boris von Posers Regie Roland Schimmelpfennigs apokalyptische Collage "Für eine bessere Welt" angeeignet.

Roland Erne

Ein irgendwo (in Afrika?) versprengter Trupp stapft über verstreute Kampfanzüge. Wer da warum auch immer denn wen bekämpft, ist nicht auszumachen. "Das hier ist ein Drei- oder Vierfrontenkrieg, und im Grunde weiss niemand mehr, warum wir noch hier sind, oder ob wir nur noch hier sind, weil wir hier nicht wegkommen", heisst es einmal in "Für eine bessere Welt". Roland Schimmelpfennigs apokalyptische Szenenfolge spiegelt (inszenierten?) Krieg als globalen Dauerkonflikt und haltlose Existenzgrundlage.

Der 1967 geborene Erfolgsdramatiker hat viel reingepackt in sein stimmreiches Textkonglomerat, das Erzählpassagen mit dialogischen Sequenzen, (Trivial-)Mythen mit dem Kriegsgrauen und dessen medialer Aufbereitung verknüpft. Glasfressende Aliens geistern ebenso durch das gespenstische Geschehen wie Amor und Psyche oder ein Plakat-Girl, das sich eine Blechdose zwischen die Brüste klemmt. Es geht um Werbung für kalten Kaffee. Erinnerungen an eine ehedem unbelastete Vergangenheit kontrastieren mit den Verheerungen der Dschungelhölle - Ängste und Obsessionen wuchern.

Schimmelpfennigs gemischtgeschlechtliche militärische Einheit taumelt durch albtraumnahe Dunkelzonen, paralysiert auch von der Ahnung eines Massakers, das ein Leichenfeld zurückliess. "Überall staken die Reste menschlicher Körper in der Erde, wie Spargel. Ein Körper neben dem andren." Nichts ist mit klaren Fronten und verlässlicher Übersicht. Den alltäglichen Irrsinn dämpfen ein bisschen Sex und halluzinogener Stoff. Fehlgeleitete Schottenröcke im Transportgut spenden Restidentität. Vor allem aber grassiert der unversöhnliche Überlebenskampf um Wasser, Essbares und Munition, ehe sich Schimmelpfennigs traumatisierte Figuren der Variation eines archaischen Rituals ergeben, das ein mit Wodka narkotisiertes Paar dem Zusammenbruch zuführt.

Schimmelpfennigs 2003 von Falk Richter in der Marthaler Ära am Zürcher Schauspielhaus uraufgeführtes Stück "Für eine bessere Welt" hat sich nicht von ungefähr auch auf der Hörspielbühne durchgesetzt. Eine Radioinszenierung des Hessischen Rundfunks wurde zum Hörspiel des Jahres 2004 gekürt. Wie aber mit Worten evozierte Bilder auf die Bühne bringen, die es am Konkreten nicht fehlen lassen? - "Verschmorte Waffen, Fahrzeugresten überall auf dem völlig verbrannten Grund".

Für seine am diesjährigen Theatertreffen "Auawirleben" - Motto: "Blessed Places - Places Blessées" - erstmals gezeigte Inszenierung mit Studierenden der Berner Kunsthochschule hat Boris von Poser der Versuchung widerstanden, die surreale Collage mit einer vereinnahmenden Sound- und Video-Schiene aufzupeppen. Der bei Peter Zadek geschulte Regisseur vertraut vielmehr einem unverhohlen zeitkritischen Text, den sich das junge Ensemble (Robert Baranowski, Simon Derksen, Jan-Philip Frank, Newa Grahwit, Carolin Jakoby, Nadim Jarrar, Mirjam Kleber, Judith Koch, Pascale Pfeuti, Lukas Schneider, Pema Shitsetsang) im Tarn-Outfit auf der mit Armeekisten und Stuhlreihen abgesteckten Spielfläche (Ausstattung: Rudolf Jost) ohne kapriziöses Zutun angeeignet hat. Die reife Leistung für einen freilich streckenweise langatmigen zweistündigen Theaterabend kann indes nicht kaschieren, dass Schimmelpfennigs "Für eine bessere Welt" mit ermüdender Aufsässigkeit daherkommt.

Für eine bessere Welt Weitere Aufführungen: 2. Mai, Tojo Theater Reitschule (im Rahmen von "Auawirleben"); 8., 9., 14., 15., 16. Mai, Hochschule der Künste (Sandrainstr. 3, Bern).

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kulturstattbern.derbund.ch 29.4.09

Grazia Pergoletti am Mittwoch den 29. April 2009 um 16:10 Uhr
Kultur für Freaks und andere

Kultur ist derzeit überall in der Stadt: Neon-Velos pro Progr, Revolution der Tiere auf der Grossen Schanze, AUA WIR LEBEN immer noch, zum Glück. Und sie macht auch vor der Eishockey-WM nicht halt, sass ich doch gestern im Nünitram, umringt von Berlin-Hockeyclub-Fans in Vollmontur, die angeregt über Bertolt Brecht diskutierten. Kein Witz im Fall.

Im TOJO war gestern die Produktion "Hausprobe" des Theater M21 aus Hildesheim zu sehen, nach dem Kultroman "Freaks" von Joey Goebel. Fünf Freaks, wie sie im Buche stehen, die zusammen eine Band gründen und so endlich zu einer Art Familie kommen - etwas, was ihnen im richtigen Leben fehlt. Ein unfassbar komisches Theater-in-Concert, ironisch, lethargisch, charming. Mir hat es vor allem die sexsüchtige 80-jährige Opel angetan mit ihren reduzierten Keyboardeinlagen und dem falschen Hüftschwung. Sehr lustig, ideal fürs TOJO, das Publikum hat getobt.

Ich hatte letzten Sommer ebenfalls eine Bühnenadaption des Romans gesehen, am geliebten Theaterhaus in Jena. Die dortige Aufführung war wilder, ungehobelter und eine Spur ernster, was mich etwas mehr mit den Figuren mitfühlen liess. Aber auch die gestrige Show überzeugte. Ach, und falls Sie heute in den "Bus" steigen: Ziehen Sie sich warm an! Und verpassen Sie das Finale der Revolution der Tiere von Konsortium&Konsorten, morgen um 20 Uhr auf der Grossen Schanze nicht.

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REITSCHULE KULINARISCH
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Beobachter 1.5.09
http://www.beobachter.ch/konsum/freizeit/artikel/geniessen_kulinarier-aller-laender/ (mit Fotos)

Geniessen

Kulinarier aller Länder

...vereinigt euch! Die Arbeiterbewegung schlägt sich in der Berner Reitschule auch beim Essen nieder. Was hier auf den Teller kommt, ist entweder regional, fair produziert oder beides.

Text: Balz Ruchti; Fotos: Daniel Rihs

Die beiden Zürcher Damen ereifern sich in ihrem Zugabteil über den "Schandfleck". "Dass si das nöd öppe abriissed!", nörgelt die eine, während der Zug gemächlich in den Berner Bahnhof schaukelt. Rotschwarze Transparente lösen bei der Bourgeoisie Unbehagen aus. "Gäll?!", erwidert die andere. "Aber ebe"

Aber eben. Man kann sie mögen oder nicht, die Reithalle - sie gehört zu Bern, wie Münster und Bundeshaus. "Reitschule, nicht -halle", sagt Thomas Laube. Reithalle sagen nur die draussen. Die sich hier engagieren, bezeichnen sich als Reitschüler und Reitschülerinnen. "Schliesslich ist das eine Art Lebensschule." Töml lächelt. Der 47-Jährige ist Koch im "Sous Le Pont".

Tatsächlich unterscheidet sich der Reitschulknigge kaum vom Leitbild einer Volksschule: Keine Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung - verlangt wird einzig ein respektvoller Umgang mit Reitschule und Mitmenschen. Nichts also, wozu sich nicht auch ein gemässigter Bürgerlicher bekennen könnte. Leider hat die Reitschule bei denen aber einen viel zu schlechten Ruf.

Wer sich ins Innere des Gemäuers wagt, findet neben einem lichten Innenhof, Theater, Bar, Kino und Konzertsaal eben auch ein hübsches Beizli - das "Sous Le Pont". Der nahe Eisenbahnviadukt lässt grüssen.

"Hier waren die Stallungen", sagt Töml. "Als wir die alten Farbschichten ablaugten, roch es auf einmal wieder nach Pferdemist." Eine hüfthohe Brüstung mit schmiedeisernem Geländer schliesst an eine kleine Bühne. Auf dieser finden regelmässig Lesungen und Konzerte statt. Töml arbeitet seit zwölf Jahren hier. Eigentlich ist er gelernter Musiker; aber irgendwie habe das nie richtig funktioniert. So liess er sich im "Sous Le Pont" zum Koch anlernen.

Zwischen Rentabilität und Prinzipientreue

An den Tischen stehen unterschiedlichste Stühle, die ihre Vorleben in Landgasthöfen, Kasernen, vielleicht gar bürgerlichen Stuben zugebracht haben. Insgesamt finden rund 100 Gäste Platz. "Mittags verkaufen wir so um die 30 Menüs - aber es schwankt sehr von Mal zu Mal", sagt Sara Steiner. Die 22-Jährige arbeitet seit zwei Jahren hier im Service und tanzt routiniert zwischen Tischen und Gästen durch. "Ich bin in einer Genossenschaftskneipe aufgewachsen - ein Beizenkind." Neben dem Job absolviert sie eine Berufsmatur für Erwachsene.

Töml und Sara sind Mitglieder eines 15-köpfigen Kollektivs, welches das "Sous Le Pont" betreibt. Chef gibt es keinen: Die Reitschule ist eine Basisdemokratie; auch Kino, Theater und Konzertsaal werden von solchen Gruppen geführt. Im täglichen Betrieb ist von den Mitgliedern vor allem Mitdenken gefragt: Bestellungen machen, Arbeits- und Menüpläne schreiben. Etwas Hierarchie würde das Ganze sicher vereinfachen. "Es ist trotzdem schön zu sehen, dass es auch anders geht", sagt Sara. Und wenns einmal nicht ganz klappt, rennt halt jemand in die Migros und kauft Salat.

Normal kommt das Gemüse aber aus dem Gemüseladen im Lorrainequartier; das Fleisch bringt Metzger Iseli von ennet der Aare - "nicht mehr ‹bio› zwar, das war einfach zu teuer", sagt Sara. "Aber immerhin Schweizer Fleisch." Das Kollektiv stellt viele Ansprüche an sich. Bezahlbares Essen etwa. Das Menü mit Fleisch kostet am Mittag um die 16, abends 19 Franken; das "Gassenmenü für Leute mit wenig Kohle" - ein sättigendes Mahl mit Reis oder Teigwaren und Gemüse - gibt es schon für acht Franken. Letztlich muss sich auch das "Sous Le Pont" selbst tragen - ein steter Spagat zwischen Rentabilität und Prinzipientreue.

"Wir kaufen nichts von Multis wie Nestlé oder Kraft", sagt Sara. Was im "Sous Le Pont" auf den Teller kommt, ist entweder regional, fair produziert oder beides. Das Bier ist aus Einsiedeln und der Sirup vom Berner Sirupier, der mit Kreationen wie Rosenblüten, Alpenkräuter oder Zimt aufwartet. Es gibt Fair-Trade-Kaffee, der von nicht ausgebeuteten Bauern angebaut wird, und eine Alternative zur "Imperialistenbrause": Premium Cola, "von einem Hamburger Kollektiv". Zugleich fair produziert und regional ist das Putzzeug: Es wird in der Blindenwerkstätte Bern gefertigt.

Dass bei so viel Idealismus auch noch gut und abwechslungsreich gekocht wird, ist nicht selbstverständlich, aber Tatsache. Das Kollektiv kocht zusätzlich noch täglich vegetarisch, vegan und ein Fleischmenü. Mittwochs gibt es zudem Spezialitäten aus irgendeinem Winkel der Welt. Der letzte Mittwoch im Monat ist jeweils einer Schweizer Region gewidmet: "Letztes Mal war es Glarus - irgendetwas mit viel Ziger."

Obwohl die meisten Kollektivmitglieder Laien sind, ist das "Sous Le Pont" ein professioneller Betrieb. Bei Veranstaltungen in der Reitschule übernimmt es die Funktion einer Kantine. Ein Mitglied stellt das Wirtepatent. "Wir werden auch das Rauchverbot umsetzen", sagt Sara und drückt ihre Zigi aus. Das dürfte zwar einen Aufschrei geben - "aber schon ein paar Monate später wird sich niemand mehr daran erinnern, dass es je anders gewesen ist".

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Eigenwillige Vielfalt: Kultur in der Reitschule

Hof

Im Sommer wird der Innenhof von den verschiedenen Reitschule-Kollektiven vielseitig genutzt, etwa für Kino-Open-Air-Veranstaltungen mit Filmklassikern oder als Gartenbeiz des "Sous Le Pont".

Konzertsaal

Der Dachstock ist der Konzertsaal der Reitschule, in dem rund 800 Leute Platz finden. Konzerte werden von der Veranstaltungsgruppe ausschliesslich aus Freude an der jeweiligen Musik organisiert - vom Indie-Punk über Hip-Hop und Folk-Blues bis hin zu Free Jazz und New Rave. Das Motto dabei: "Musik, die nur gemacht wird, um sich zu verkaufen, bleibt draussen."

Theater

Das Reitschul-theater Tojo ist in erster Linie ein Gastspielbetrieb. Das Tojo-Kollektiv realisiert aber auch eigene Produktionen. Der Hauptakzent des Programms liegt auf Produktionen von freien Sprechtheatergruppen. Dazu kommen Performances, moderner Tanz, Lesungen, ab und zu Kinder- und Jugendtheater. Das Tojo-Theater ist auch eine Spielstätte für Variété und Kleinkunst. Mit günstigen Konditionen und risikofreudiger Programmauswahl wird versucht, junge Theaterschaffende und neue Gruppen zu fördern.

Kino

Das Kino in der Reitschule zeigt Filme, die in kommerziellen Kinos nicht zu sehen sind - zum Beispiel Werke, die unübliche Themen behandeln oder formal gegen die Sehgewohnheiten verstossen.

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Rezept für 4 Personen

Seitan-Pilzragout

1 kg Mehl, 1 TL Provençale-Mischung, 6 dl Wasser kneten, mit warmem Wasser bedecken, 1 Stunde stehen lassen.

1 kleine Dose Tomatenmark, 4 EL Sojasauce, 6 gehackte Knoblauchzehen, 2 geschnittene Zwiebeln andünsten, mit 2 l Gemüsebouillon ablöschen und zum Kochen bringen. Seitanteig waschen, bis das Wasser klar und der Teig kaugummiartig wird. Dann wie Spätzli in die Marinade schneiden und gut 30 Minuten kochen. 300 g gemischte Pilze klein schneiden und mit Zwiebel und Knoblauch in Öl anschwitzen. Abgetropftes Seitan dazugeben und mit Kräutern, Salz und Pfeffer würzen. Ragout mit Nüsslisalat anrichten.

Mehr Infos: http://www.reitschule.ch/reitschule/slp

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BOLLWERK
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Bund 2.5.09

Überbauung eines "Kraftortes"

Die Angst vor dem planerischen Wurf,

"Bund" vom 27. April

 So einige Berufsleute tragen dazu bei, Menschen an den Rand zu drängen und sie in hausgemachten Gettos verschwinden zu lassen. Ohne Skrupel plant eine Architektentruppe aus Bern nichts Geringeres als eine brachiale Überbauung des vitalistischen Kraftortes zwischen Reitschule und Waisenhausplatz.

Die Macht, Städte zu bauen, darf den Architekten nicht mehr in die Hände fallen, da ihre Baufantasien die Figur des Flaneurs ausser Acht lassen und die Bedürfnisse des Individuums notorisch ignorieren. Leider wird auch Bern von Architekten heimgesucht. Unverbesserliche Architekten machen sich daran, die Oase in der Berner Wüste in Verruf zu bringen und äffen rechte Haudegen von rechts nach. Solange Architektur Menschen einpfercht und einschränkt, hat sie im öffentlichen Raum nichts verloren.

Johannes Lortz,

Bern

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Bund 1.5.09

Bollwerk: Stadt kauft Häuser

Stadt Bern Der Gemeinderat will die Wohn- und Gewerbeliegenschaften Hodlerstrasse 18 und Hodlerstrasse 20 für 3,1 Millionen Franken kaufen. Die Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft der Drogenanlaufstelle seien in den 90er-Jahren renoviert worden und befänden sich in einem guten Zustand, heisst es in einer Mitteilung. Da alle Wohnungen und Gewerberäume vermietet seien, könne auch eine marktübliche Rendite erzielt werden.

Aufhorchen lässt der letzte Satz der Mitteilung, wonach sich die Stadt mit dem Kauf "Handlungsoptionen im Bereich des Bollwerks" sichern wolle. In einem verwaltungsexternen Bericht wurde jüngst das "von Gewalt geprägte Ambiente" des Perimeters beklagt ("Bund" vom 27. April). Es brauche "grosse, gebündelte Anstrengungen" und "klare Entscheidungen", um eine Gesamtplanung des Gebietes zwischen Waisenhausplatz und Schützenmatte an die Hand zu nehmen. Der Gemeinderat hatte den Bericht in Zusammenhang mit einem Vorstoss des Grünen Bündnisses (GB) in Auftrag gegeben. In der Antwort auf den Vorstoss räumt die Stadtregierung ein, dass die Schützenmatte "städtebaulichen Ansprüchen an eine citynahes Gebiet" nicht genügen könne. Konzeptionelle Überlegungen wolle er aber erst in rund 20 Jahren anstellen, wenn die Folgen des Bahnhofausbaus und des autofreien Bahnhofplatzes geklärt seien. Bis dahin will sich die Berner Stadtregierung mit der Verschiebung von Parkplätzen, dringlichen Sanierungen und der Errichtung eines Dachunterstandes für Car-Reisende begnügen. (bob)

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bern.ch 29.4.09

Kurzmitteilung des Gemeinderats

Ferner hat der Gemeinderat

- entscheiden, die Wohn- und Gewerbeliegenschaften an der Hodlerstrasse 18/20 für 3,1 Millionen Franken zuhanden des Fonds für Boden- und Wohnbaupolitik zu erwerben. Die beiden Gebäude aus dem Jahr 1900 wurden in den 90er Jahren umfassend renoviert und befinden sich in einem guten Zustand. Alle Wohnungen und Gewerberäumlichkeiten sind voll vermietet, womit die Gebäude eine marktübliche Rendite erzielen. Mit dem Kauf sichert sich die Stadt Handlungsoptionen im Bereich des Bollwerks.

Informationsdienst der Stadt Bern

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DEMO-VERREGLEMENTIERUNG
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Bund 2.5.09

Kundgebungen in den Hauptgassen Berns sollen nicht eingeschränkt werden - Statthalterin heisst Beschwerde gegen Teilrevision des Kundgebungsreglements gut

Innenstadt ist nicht Klosterplatz von Einsiedeln

Erfolg für die Verteidiger der Grundrechte: Demonstrationsumzüge durch Berns Hauptgassen bleiben erlaubt.

Daniel Vonlanthen

"Kundgebungen werden in der Regel nur als Platzkundgebungen, namentlich ohne Inanspruchnahme der Hauptgassen, bewilligt." Dieser Passus im Stadtberner Kundgebungsreglement ist nach Ansicht der Regierungsstatthalterin von Bern, Regula Mader, verfassungswidrig. Sie hiess eine Gemeindebeschwerde gut, die ein linkes Bündnis von über 20 Beteiligten eingereicht hatte, unter ihnen Augenauf, Gewerkschaftsbund, SP, GB und Demokratische Juristinnen und Juristen Bern. Letztere haben den Entscheid gestern publik gemacht.

Sicherheitsdirektor Reto Nause (cvp) hatte den Passus damals im Stadtrat eingebracht; Mitunterzeichner war GFL-Stadtrat Ueli Stückelberger. Das Stadtparlament befürwortete das faktische Umzugsverbot an seiner Sitzung vom 15. Mai 2008 mit 40 gegen 36 Stimmen. Nach juristischen Abklärungen begrüssten auch die Stadtkanzlei und der Gemeinderat die Verschärfung. Sie stützten sich dabei auf ein Urteil des Bundesgerichts, das ein Kundgebungsverbot auf dem Klosterplatz von Einsiedeln als rechtens erachtete.

Schutz einer Pilgerstätte

Das vom Bundesgericht geschützte Demonstrationsverbot auf dem Klosterplatz von Einsiedeln sei massgeblich unter "Berücksichtigung der primären Zwecksetzung dieser Örtlichkeit als Pilgerstätte ergangen", hält Regula Mader in ihrem Entscheid fest. Diese Zwecksetzung treffe aber auf die Berner Innenstadt nicht zu. Orte in der Innenstadt, wie die Hauptgassen, schlössen nicht generell die Durchführung von Kundgebungen aus, auch wenn der öffentliche Verkehr behindert werde und das Gewerbe Umsatzeinbussen beklage. Der verfassungskonforme Anspruch auf Durchführung einer Kundgebung bestehe dann, wenn ein geordneter Ablauf gesichert und die Beeinträchtigung der andern Benutzerinnen und Benutzer der Innenstadt zumutbar erschienen. Mader ortete in der Formulierung auch eine erhebliche Rechtsunsicherheit: Der Stadtrat habe sich nicht konkret dazu geäussert, in welchen Fällen ausnahmsweise eine sich in Bewegung befindliche Kundgebung zuzulassen wäre.

Gemeinderat Reto Nause zeigte sich gestern erstaunt über den Entscheid. Es gebe unterschiedliche Rechtsauffassungen in dieser Frage. Er liess es offen, ob die Stadt den Entscheid beim Verwaltungsgericht anfechten wird. Die vom Stadtrat verlangte Verschärfung des Kundgebungsreglements war auch eine Folge der Ausschreitungen an der Anti-SVP-Kundgebung 2007. Nause hatte argumentiert, je länger die Umzugsroute sei, desto weniger könne die Sicherheit aller gewährleistet werden. So oder so bleibt das Kundgebungsreglement ein Dauerbrenner: Mit der Initiative, welche die Einführung des Entfernungsartikels im Reglement verlangt, ist die nächste Debatte programmiert ("Bund" von gestern).

Der Verfasser der Gemeindebeschwerde, Michel Heinzmann vom Berner Advokaturbüro Advocomplex, erachtet die örtliche Einschränkung von Kundgebungen als verfassungswidrig und "unzulässige Kompetenzüberschreitung des stadtbernischen Gesetzgebers". Die Stadt sei nicht befugt, Voraussetzungen oder Einschränkungen zu treffen, die über die Kantonsverfassung hinausgingen. Demonstrationen zeichneten sich durch ihre "Appellfunktion" aus; um an die Bevölkerung zu appellieren, sei ein Umzug sinnvoll und notwendig. Grosse Kundgebungen stellten zudem eine logistische Herausforderung dar. Es sei unklar, ob der schubweise Anmarsch der Gruppen bereits als Umzug gelte.

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BZ 2.5.09

Demonstrations-Umzüge sind in Bern wieder erlaubt

Regierungsstatthalterin Regula Mader (SP) hat das Demo-Umzugsverbot im Kundgebungsreglement der Stadt Bern verworfen.

Demo-Züge durch Bern sollen gemäss Stadtrat nur noch in Ausnahmefällen erlaubt, Platzkundgebungen dagegen die Regel sein. Der entsprechende Artikel wurde nach der Anti-SVP-Kundgebung vom 6.Oktober 2007 ins Berner Kundgebungsreglement aufgenommen. Gestern hat Regierungsstatthalterin Regula Mader (SP) den Passus verworfen. Sie hiess eine Beschwerde linker Stadtparteien gut.

Maders Begründung: Das Reglement widerspreche der Versammlungs- und Vereinsfreiheit der Berner Kantonsverfassung. "Die Hauptstadt ist mit ihrer Zentrumsfunktion und der Nähe zum Bundeshaus ein besonders geeigneter Ort, um Anliegen möglichst wirksam kundzutun", steht in der Urteilsbegründung. Kundgebungen in der Innenstadt seien seit langem ein anerkannter Nutzungszweck des öffentlichen Grundes.

Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) beklagt sich: "Dieser Entscheid wird negative Auswirkungen auf den Berner Alltag haben." Die Stadt sei ein Brennpunkt für politische Ereignisse weit über die Schweiz hinaus. "Wir stehen vor einem Demo-Rekordjahr. Die Belastung auf den öffentlichen Grund ist bereits jetzt enorm." Zudem habe die Stadt das Reglement juristisch abklären lassen. "Aus unserer Sicht ist es legal."

FDP-Stadtrat Philippe Müller wirft Regula Mader Missachtung der Gewaltentrennung vor. "Seit Jahren steht sie im Dienst der Linken", sagt er. Regula Mader wollte zu diesem Vorwurf keine Stellung nehmen.
tob

Seite 36

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Regierungsstatthalterin hat entschieden

Demo-Züge sind wieder erlaubt

Regierungsstatthalterin Regula Mader (SP) hat das vom Stadtrat verabschiedete Demo-Umzugsverbot rückgängig gemacht. Sicherheitspolitiker Philippe Müller (FDP) sieht dadurch die Gewaltentrennung verletzt.

Vor gut einem Jahr hat der Stadtrat ein Umzugsverbot für Demonstrationen ins Berner Kundgebungsreglement aufgenommen. Demozüge sollten in der Hauptstadt nur in Ausnahmefällen gestattet werden, Platzkundgebungen der Normalfall sein. Die Linke hatte die Abstimmung im Parlament knapp verloren, weil die Bürgerlichen durch die GFL/EVP-Fraktion verstärkt wurden. Doch die unterlegenen Parteien (Grüne Partei, Grünes Bündnis und SP) reichten bei Regierungsstatthalterin Regula Mader eine Beschwerde gegen das verabschiedete Reglement ein.

Gestern hat SP-Mitglied Mader diese Beschwerde gutgeheissen und den entsprechenden Passus aus dem Kundgebungsreglement gestrichen. Der Artikel widerspreche der übergeordneten Kantonsverfassung, so die Begründung.

Gegen das Bundesgericht

Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) zeigt sich über den Entscheid erstaunt. "Ein leiser politischer Unterton schwingt in der Begründung mit", sagt er. Die Stadt habe das Kundgebungsreglement ebenfalls einer juristischen Prüfung unterzogen. Diese sei zum gegenteiligen Schluss gekommen. "In anderen Städten hat das Bundesgericht ähnliche Regeln akzeptiert."

Das weiss auch Regula Mader. "Die Verfassung des Kantons Bern geht in diesem Punkt über die Bundesverfassung hinaus", schreibt sie in ihrer Urteilsbegründung. Denn die Hauptstadt mit ihrer Zentrumsfunktion sei "ein besonders geeigneter Ort, um Anliegen möglichst wirksam kund zu tun".

"Im Dienst der Linken"

Genau deshalb habe der Stadtrat das Umzugsverbot eingeführt, entgegnet FDP-Stadtrat Philippe Müller, der die Sicherheitspolitik zu einem seiner Spezialgebiete zählt. "Gerade weil Bern das politische Zentrum ist, braucht es keine Umzüge. Mit einer Platzkundgebung auf dem Bundesplatz erreicht man genügend Aufmerksamkeit."

Müller bezeichnet Maders Begründung als "fadenscheinig", was ihn aber nicht erstaune. "Bei ihr vermischt sich die Richterfunktion ständig mit dem politischen Sendungsbewusstsein", sagt er. "Damit vermischt sich auch die Gewaltentrennung." Regula Mader stehe immer im Dienst der Linken. Als Beispiele nennt Müller die Progr-Debatte, die Sozialhilfe-Affäre oder die verhinderte Nachzählung nach den Gemeinderatswahlen 2004, als Regula Rytz (GB) mit wenigen Stimmen Vorsprung auf Alec von Graffenried (GFL) die Wahl schaffte. "SP-Mitglied Mader ist wie ein zweiter Rat in Bern", beklagt sich Müller. "Wenn die Linken im Parlament einmal verlieren, rennen sie gleich zur Regierungsstatthalterin. Dort gewinnen sie natürlich. Denn Maders Hilfe kommt mit einer erschreckenden Zuverlässigkeit."

Demo-Flut in Bern

Dass Politiker von ihrem Beschwerderecht Gebrauch machen, ist für Gemeinderat Reto Nause nachvollziehbar. Doch in diesem Fall hätten sie Bern einen Bärendienst erwiesen. "2009 wird für die Stadt ein Demo-Rekordjahr", sagt er. Umzüge fänden meist in Gassen statt, wo der Platz für Passanten und den öffentlichen Verkehr bereits knapp sei. "Der Druck auf die Benutzung des öffentlichen Raums nimmt jetzt noch zu."

Tobias Habegger

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Berner Rundschau 2.5.09

Demorecht sistiert

Statthalterin Mader heisst Beschwerde gut

Das vom Berner Stadtrat beschlossene Verbot von Kundgebungsumzügen verstösst gegen die Verfassung des Kantons.

Bruno Utz

Mit 40 zu 36 Stimmen hiess der Stadtrat im Mai 2008 einen Antrag der GFL/EVP und des heutigen Vorstehers der Polizeidirektion, Reto Nause (CVP), gut. Demnach sollen Kundgebungen in der Hauptstadt nur noch als Platzkundgebungen bewilligt werden. Diese Bestimmung widerspreche der Kantonsverfassung. Zudem führe die unklare und teilweise missverständliche Formulierung des neuen Artikels im Kundgebungsreglement "zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit", schreibt Regierungsstatthalterin Regula Mader. Sie hiess die Beschwerde einzelner Privatpersonen sowie Parteien und Verbände gut und hob den Beschluss des Stadtrates auf.

Im Entscheid hält Mader weiter fest, die Stadt Bern mit ihrer Zentrumsfunktion und als Hauptstadt mit unmittelbarer Nähe zum Bundeshaus und zum Rathaus sei ein besonders geeigneter Ort, um Anliegen öffentlich möglichst wirksam kundzu tun. "Die Durchführung von Kundgebungen in der Innenstadt stellt deshalb einen seit langem anerkannten Nutzungszweck öffentlichen Grundes dar."

 Die Demokratischen Juristinnen und Juristen reagierten erfreut auf den Entscheid.

 Dieser ist beim Verwaltungsgericht anfechtbar.

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Bund 1.5.09

Gemeinderat für Bischof-Initiative

Stadt Bern Wer sich trotz Aufforderung der Polizei nicht von einer Demonstration entfernt, muss mit einer Busse bis zu 5000 Franken rechnen. Der Gemeinderat stellt sich hinter die Initiative eines rechtsbürgerlichen Komitees rund um Ex-FDP-Grossrat Erwin Bischof, das die Aufnahme des sogenannten Entfernungsartikels ins Kundgebungsreglement verlangt. Die links-grünen Parteien lehnen den Artikel nach wie vor ab. (bob)

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Dritter Anlauf für den Entfernungsartikel

Der Gemeinderat will die Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration unter Strafe stellen - der Stadtrat soll eine rechtsbürgerliche Initiative annehmen

Wer sich trotz polizeilicher Aufforderung nicht von einer Demonstration entfernt, muss mit einer Busse rechnen. Der Gemeinderat heisst die Aufnahme des Entfernungsartikels ins Kundgebungsreglement gut und unterstützt eine rechtsbürgerliche Initiative.

Bernhard Ott

Sicherheitsdirektor Reto Nause (cvp) gibt sich zuversichtlich: "Der neue Stadtrat ist in sicherheitspolitischen Fragen empfänglicher und wird den Entfernungsartikel diesmal annehmen." Im Gespräch mit Manuel Willi, dem Regionalkommandanten der Kantonspolizei, habe er wiederholt die "störende Lücke" im Kundgebungsreglement festgestellt. Da die Organisatoren unbewilligter Demonstrationen oft aus der Anonymität heraus agierten, sei die Bestrafung der Teilnehmer entscheidend. "Heute kann die Polizei erst eingreifen, wenn Sachschäden entstanden sind." Damit es gar nicht erst so weit komme, brauche es die rechtlichen Voraussetzungen, um die Teilnahme an einer unbewilligten Manifestation unter Strafe zu stellen.

Bestärkt durch das Bundesgericht

Der Gemeinderat stellt sich daher hinter die Initiative "Keine gewalttätigen Demonstranten" des einstigen FDP-Grossrats Erwin Bischof. Ein Komitee rund um den einstigen Redaktor der rechtsbürgerlichen "Trumpf Buur"-Inserate hat das Volksbegehren vor Jahresfrist mit knapp 6000 Unterschriften eingereicht. "Uns geht es um die Sache, nicht um den Absender", sagt Nause. Die Initiative verlangt, dass sich Teilnehmer von Demonstrationen nach Aufforderung der Polizei entfernen. Ansonsten müssen sie mit einer Busse bis zu 5000 Franken rechnen. Der Stadtrat hat die Aufnahme des sogenannten Entfernungsartikels ins Kundgebungsreglement bereits in den Jahren 2005 und 2008 abgelehnt. Die rot-grüne Mehrheit sah die Grundrechte in Gefahr und stellte die Anwendbarkeit des Artikels infrage.

Bezüglich der Grundrechte sieht sich der Gemeinderat offenbar durch ein neues Urteil des Bundesgerichtes bestätigt. Es lehnte diesen Frühling dreizehn Beschwerden von linken Organisationen und Gewerkschaften gegen eine Verschärfung des Thuner Ortspolizeireglements ab, die unter anderem auch den Entfernungsartikel enthält. "Rechtlich ist der Entfernungsartikel kein Problem", sagt Nause.

SP befürchtet "Massenpanik"

Auch die Anwendbarkeit des Artikels im polizeilichen Alltag stellt der Stadtberner Sicherheitsdirektor nicht infrage. Generelle Aussagen hierüber seien jedoch schwierig, da das erste Kriterium jedes Polizei-Einsatzes die Verhältnismässigkeit darstelle. In der Stadt Bern werde es in diesem Jahr rund 500 Kundgebungen geben. "In Bern ist es nach wie vor möglich, legal und bewilligt zu demonstrieren", sagt Nause. Die rot-grünen Parteien teilen diese Einschätzung nach wie vor nicht. Das Grüne Bündnis (GB) ist "enttäuscht" über den "unverständlichen Entscheid" des Gemeinderates, heisst es in einer Mitteilung. Der Entfernungsartikel stelle alle Teilnehmer von Kundgebungen unter "Pauschalverdacht", die Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit werde dadurch "beschnitten". Das GB stellt auch die Anwendbarkeit des Artikels infrage, da Abgrenzungsprobleme zwischen Kundgebungsteilnehmern und Schaulustigen programmiert seien. Auch die SP hat Zweifel daran, ob die Polizei Demonstrationsteilnehmer von Unbeteiligten unterscheiden könne. Sie befürchtet gar eine "Massenpanik" bei der Auflösung einer grossen Kundgebung. Für die Junge Alternative (JA) stellt der Entfernungsartikel schlicht ein "willkürliches Machtinstrument" in der Hand der Polizei dar.

Bischof freut sich über Support

Initiant Erwin Bischof nimmt die Unterstützung der rot-grünen Stadtregierung erfreut zur Kenntnis. Der Stadtrat werde das Ansinnen aber auch diesmal ablehnen, da es trotz der Aufweichung der Fronten nach wie vor eine rot-grüne Mehrheit gebe. Falls der Stadtrat wider Erwarten die Initiative trotzdem gutheissen sollte, würde keine Abstimmung durchgeführt, weil Änderungen des Kundgebungsreglements in dessen Kompetenz liegen. Für diesen Fall droht die JA allerdings bereits mit dem Referendum.

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BZ 1.5.09

Neue Spielregeln für Demos

Die Regierung befürwortet die Initiative "Keine gewalttätigen Demonstranten" und damit eine Verschärfung des Reglements. Ein Entfernungsartikel soll eingeführt werden. Das hat der Stadtrat allerdings schon zwei Mal abgelehnt.

Bilder wie am 6.Oktober 2007 soll es in der Stadt Bern nicht mehr geben. Der Verein "Bern sicher und sauber" hat darum im letzten Frühjahr die Initiative "Keine gewalttätigen Demonstranten" eingereicht. Diese will das städtische Kundgebungsreglement verschärfen. Der Gemeinderat unterstützt die Initiative, wie er gestern mitteilte. Ins Demo-Reglement der Stadt soll ein Entfernungsartikel aufgenommen werden. Damit müssten sich Teilnehmende von einer Kundgebung entfernen, sobald sie von der Polizei darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Demonstration aufgelöst werden muss. Wer dieser Aufforderung nicht nachkommt, kann mit einer Busse von bis zu 5000 Franken bestraft werden.

Der dritte Anlauf

Der Gemeinderat erachtet es als "sinnvoll, einen Entfernungsartikel mit Strafnorm einzuführen". Die Polizei solle mit den entsprechenden Kompetenzen ausgestattet werden, findet er. Damit nimmt die Regierung den dritten Anlauf, das Kundgebungsreglement um einen solchen Artikel zu ergänzen. Sie hatte dies bereits bei Revisionen 2004 und 2008 vorgesehen. In beiden Fällen war dies aber vom mehrheitlich rot-grünen Stadtrat abgelehnt worden.Dementsprechend waren gestern die ersten Reaktionen auf den gemeinderätlichen Antrag: SP, Grünes Bündnis und Junge Alternative zeigten sich unzufrieden mit dem Vorgehen der Regierung. Eine Änderung der Rechtsgrundlage sei unnötig, schreibt die SP. Bereits heute könne eine Demonstration von der Polizei aufgelöst werden. Ein Entfernungsartikel sei in der Praxis nicht umsetzbar, finden GB und JA. Und: "Dadurch geraten alle Teilnehmenden einer Kundgebung unter Pauschalverdacht", so das Grüne Bündnis.

Für die Änderung des Reglements ist der Stadtrat zuständig. Nimmt er die Initiative an, ist keine Volksabstimmung nötig. Die Änderung würde nach einer Referendumsfrist in Kraft treten. Verwirft der Stadtrat hingegen die Initiative, hat das Stimmvolk das letzte Wort.
mm

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Saubanner, historisch

Fast genau ein Jahr nach dem fatalen 6.Oktober 2007 wars, als sich der kantonale Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP) in einer Rede damit brüstete, dass - der kantonalen Einheitspolizei sei Dank - endlich Ruhe und Ordnung herrsche in der verluderten links-grünen Stadt Bern. Mit Blick auf die lokale Demo-Kultur konstatierte er, dass es nun keine Saubannerzüge mehr gebe.

Das konnte die SP nicht recht glauben und verlangte per Vorstoss Klärung in der Saubannerfrage. In der gestern publizierten Antwort kommt der Gemeinderat zum ebenso knappen wie eindeutigen Verdikt: "Ein Saubannerzug im herkömmlichen Sinn fand in der Stadt Bern seit Jahren nicht mehr statt."

Ein Blick ins historische Lexikon der Schweiz zeigt, wie recht der Gemeinderat hat: Einen Saubannerzug herkömmlicher Ausprägung gab es in Bern erst einen, und zwar als sich eine Freischar zur Fasnachtszeit aus der Zentralschweiz in Richtung Genf bewegte und dabei durch Bern zog. Ziel des Saubannerzuges war es, von Genf, das damals zu Burgund gehörte, die in den Burgunderkriegen versprochene, aber noch nicht bezahlte Brandschatzsumme einzutreiben. Das war 1477 - und ist also tatsächlich schon einige Jahre her.

Adrian Zurbriggen

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Regionaljournal DRS Bern 30.4.09

Berner Gemeinderat versuchts nochmals - Wegweisung und Busse im Demo-Reglement (1:23)
http://real.xobix.ch/ramgen/srdrs/regibern/2009/rbe1730042009.rm?start=00:05:24.630&end=00:06:48.415

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CHRISTEN STATT KULTUR
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BZ 1.5.09

Kornhausbühne

SP gegen "Heilungen" im Kornhaus

Geld vor Geist? Die SP kritisiert, dass die Stadt die ehemalige Kornhausbühne an die christliche Bewegung Vineyard vermietet.

Wenn Rückenschmerzen plötzlich verschwinden, Depressionen in Minutenschnelle heilen, zu kurze Beine auf dem "Wunderstuhl" nachwachsen und "Entartungen" wie homosexuelle Neigungen weggebetet werden - dann ist dies in der freikirchlichen Bewegung Vineyard geschehen. Deren "Spezialität" ist nämlich der Heilungsdienst: Laut der Vineyard-Lehre lässt sich durch Gebet jede Krankheit heilen.

Dieser Freikirche will die Liegenschaftsverwaltung der Stadt nun die seit November 2008 leer stehende ehemalige Kornhausbühne vermieten (wir berichteten). Dies stösst SP-Fraktionschefin Giovanna Battagliero sauer auf: Sie fragt sich, ob das "sachliche Urteilsvermögen" der städtischen Liegenschaftsverwaltung "durch den missionarischen Eifer oder durch Geld getrübt worden ist". Laut Battagliero beträgt die "horrende Miete" für den vierten Stock des Kornhauses 10000 Franken pro Monat.

Die Liegenschaftsverwaltung rechtfertigte sich bei der Vergabe, dass die "ökumenisch orientierte Laienbewegung" durch ihren "professionellen Auftritt" überzeugte. Ausserdem setze sie sich für "einen praktisch gelebten Glauben und soziale Gerechtigkeit in der Region Bern" ein. Zudem liess die Liegenschaftsverwaltung den Leiter von Vineyard Bern das soziale Engagement seiner Bewegung loben.

SP-Fraktionschefin Battagliero will nun vom Gemeinderat wissen, wer sich sonst noch um die ehemalige Kornhausbühne bemüht hat und warum ausgerechnet Vineyard zum Zug gekommen ist.
azu

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Berner Rundschau 1.5.09

Ricardo Lumengo und die Vineyard-"Verknüpfung"

Berner SP kritisiert Kornhaus-Vermietung an die Freikirche

Samuel Thomi

Dass die Stadt Bern die ehemalige Probebühne des Stadttheaters im vierten Obergeschoss des Kornhauses zur Büronutzung an Vineyard Bern vermietet (s. Ausgabe vom 25. April), stösst der SP Stadt Bern sauer auf. In einer dringlichen Interpellation im Stadtrat verlangt sie daher Antworten, weshalb eine Freikirche und nicht eine kulturelle Institution wie die ebenfalls an den Räumen interessierte "Junge Bühne Bern" zum Zug kam.

Nebst Fragen nach dem Vergabe-Prozess stört sich Interpellantin Giovanna Battagliero auch an den Inhalten der neuen Kornhaus-Mieter: "Tatsache ist, dass Vineyard eine klar missionarische Bewegung ist", schreibt sie. Deren Leiter in Bern "glaubt, wir lebten in einer widergöttlichen Gesellschaft", so Battagliero. Als Beispiel zitiert sie Aussagen von der Homepage, wo Vineyard Homosexuellen nahelegt, "ihre <Entartung> wegzubeten".

"Immer für Minderheiten eingesetzt"

SP-Nationalrat Ricardo Lumengo, schon öfters an Vineyard-Anlässen aufgetreten, stösst sich auf Anfrage an der "intoleranten Haltung" der SP-Fraktionspräsidentin. Er kämpfe für die Akzeptanz aller Art von Minderheiten. Mit schwulenfeindlichen Äusserungen des Berner Gemeindeleiters Martin Bühlmann konfrontiert, reagiert Lumengo überrascht: "Ich habe mich immer für Minderheiten eingesetzt. Das gilt auch für Homosexuelle." Man könne nicht im Alltag tolerant sein und in Glaubensfragen Unterschiede machen. Mitglied bei Vineyard sei er nicht, habe aber "Verknüpfungen". Selber gehe er "als gläubiger Christ regelmässig" in die Afrikanische Gemeinde Biel.

Nicht Teil der reformierten Kirche

Von städtischer Seite wurde die Vermietung in einer Mitteilung so begründet, dass daraus keine übermässige, zusätzliche Nutzung der Infrastruktur resultiere. Vineyard, die sich bis vor zwölf Jahren noch zur Basilea-Bewegung zählte und an ihrem früheren Standort im Breitenrainquartier wiederholt Reklamationen aus der Nachbarschaft provozierte, verstehe sich als "ökumenisch- orientierte Laienbewegung innerhalb der reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn", wurde die Freikirche beschrieben. Das lässt Thomas Gehrig, Sprecher der Reformierten Landeskirche, nicht im Raum stehen: "Wir pflegen zwar institutionalisierte Kontakte zu Vineyard, strukturell sind sie aber nicht Teil von uns", auch wenn sie der reformierten Landeskirche nahe stünden.

 Von Vineyard war gestern am bisherigen Standort in der Zeughausgasse 14 für eine Stellungnahme niemand erreichbar.

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PROGR
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Bund 2.5.09

Das Grüne Bündnis lud gestern zur Medienkonferenz

Linkes Ja zu Progr

Am 17. Mai entscheidet das Berner Stimmvolk über die Vorlage betreffend die Zukunft des Kulturzentrums Progr. In einer Alternativabstimmung werden dabei zwei Nutzungsangebote vorgelegt: das Projekt "Doppelpunkt" der Allreal Generalunternehmung und das Projekt "Künstlerinitiative Pro Progr" der Künstler selbst.

Jung-Rot-Grün meldet sich zu Wort

An der gestrigen vom Grünen Bündnis organisierten Medienkonferenz nahmen verschiedene junge Stadtratsmitglieder teil: Christine Michel (gb), Nicola von Greyerz (juso), Michael Köpfli (glp) und Lea Bill (ja). Gemäss Michel hat das Areal des Kulturzentrums Progr das Potenzial dazu, eine "Kunstmeile" zu werden. Das Grüne Bündnis unterstütze deshalb die Künstlerinitiative, da diese eine öffentliche und kulturelle Nutzung des Areals vorsehe.

Auch für von Greyerz ist der Fall klar: Das Kulturzentrum bringe ein "kreatives Milieu mit nationaler und internationaler Ausstrahlung" hervor, sagt sie. Dank der vom Kulturzentrum bereitgestellten Infrastruktur könnten sich die Künstler "ganz auf ihre Arbeit konzentrieren". Zudem sei der Progr ein Garant für öffentliche Sicherheit, denn nur eine "belebte Stadt ist eine sichere Stadt". Auf die Frage, wie dies denn genau gemeint sei, weiss von Greyerz allerdings keine richtige Antwort und sagt lediglich: "Es gibt dadurch weniger dunkle Gassen, da mehr Leute auf den Strassen unterwegs sind."

Vorbehalte zu Rechtmässigkeit

Köpfli räumt ein, dass betreffend Rechtmässigkeit der kommenden Abstimmung "gewisse Vorbehalte" bestünden. Auch die Grünliberale Partei stelle sich jedoch hinter die Künstlerinitiative. Die geforderte Sicherheit und Transparenz in der Finanzierung ihres Projekts sei gewährleistet. Ausserdem habe der Progr viele Leute mit Kultur vertraut gemacht, die sonst "nichts damit am Hut hatten". Bill sagt abschliessend: "Auch alternative Kunst - Skurriles und Einzigartiges - muss seinen Platz haben." (kvm)

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Die SP Stadt Bern veranstaltet heute im Innenhof des Progr vor der Turnhalle von 17.00 bis 20.00 Uhr die Aktion "SP Pro Progr".

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Bund 2.5.09

Leitartikel Zur Progr-Abstimmung vom 17. Mai

Es geht nicht um Kunst oder Kommerz

Bernhard Ott

Auf den ersten Blick sind die Rollen klar verteilt: Hier sind die Progr-Künstler, die mit viel Idealismus und etwas weniger Geld für den Erhalt ihres "Zentrums für Kulturproduktion" im Stadtzentrum kämpfen. Dort ist die Allreal-Gruppe, ein Goliath auf dem Liegenschaftsmarkt, der ein Immobilienportefeuille von zwei Milliarden Franken bewirtschaftet. Hier ist die Kunst, dort ist der Kommerz. Oder, etwas provinzieller ausgedrückt: Hier ist Bern, dort ist Zürich. Aber ganz so einfach, wie uns das die Abstimmungspropaganda der Künstlerinitiative glauben machen möchte, sind die Rollen in diesem Stück nicht verteilt.

Das heutige Dilemma in der Frage um die Progr-Zukunft zeichnete sich bereits bei der Eröffnung vor über vier Jahren ab. "Vielleicht gibt es eine Alternative, um beizubehalten, was hier entsteht", sagte Progr-Geschäftsführerin Beate Engel Anfang Oktober 2004, zwei Monate nach dem Einzug der rund 80 Kunstschaffenden in die Räume des einstigen Progymnasiums. Die Politik vertrat damals noch eine klare Haltung: "Der Gemeinderat hat immer betont, dass die jetzige Nutzung des Progr eine Zwischenlösung ist", sagte Stadtpräsident Alexander Tschäppät (sp) Mitte 2005 im Stadtrat. Projekte wie der Progr könnten nur dank Steuergeldern realisiert werden. Im Übrigen sei es falsch, zu glauben, dass spannende Zwischennutzungen auch in 20 oder 30 Jahren noch gleich interessant seien. "Bleibt alles beim Alten, dann führt dies zu einer unproduktiven Trägheit der Szene", sagte Tschäppät.

Seit jener Stadtratsdebatte ist ein Wettbewerb durchgeführt worden. Die Jury unter dem Präsidium von Tschäppät hat nicht das kommerziellste Projekt prämiert - sonst ginge es in der Abstimmung vom 17. Mai um ein Hotel oder um Luxusappartements. Das Gremium hat sich für das Projekt "Doppelpunkt" der Bauart-Architekten und der Immobilienfirma Allreal entschieden. "Es handelt sich um eine attraktive und publikumsorientierte Nutzung", sagte Tschäppät bei der Präsentation. Das Projekt sieht nicht nur die Einrichtung eines Gesundheitszentrums und einer Schule für 160 Studierende der Lehrerbildung vor. Hof, Turnhalle und Aula bleiben dem Publikum zugänglich. Durch den Abriss der Trennmauer und die Aufhebung der Parkplätze soll der Hof ein Ort für kulturelle Veranstaltungen werden. Seit der Präsentation des Siegerprojekts hat sich der politische Wind aber gedreht. Die Künstler erwachten und unterbreiteten der Stadt - ausserhalb des Wettbewerbs - ein Kaufangebot, dessen Konditionen bis heute nebulös sind. Trotzdem wies der Stadtrat Anfang November 2008 das Projekt "Doppelpunkt" mit knapper Mehrheit zurück. Damit wollte er den Künstlern Zeit einräumen, um den Finanzierungsnachweis zu erbringen. Stadtpräsident Tschäppät hatte sich bis dahin kaum mehr für das Projekt "Doppelpunkt" engagiert. In einem Interview nach dem Stadtratsentscheid wurde klar, warum: "Vom Herzen her habe ich Verständnis für den Entscheid. Ist doch der Progr eine tolle Sache."

In der Realität ist das Herz aber nicht immer der beste Ratgeber: Der städtische Liegenschaftsverwalter Fernand Raval schätzte die Umbaukosten für den Progr einst auf 25 Millionen Franken - just jene Summe, welche die Allreal zu investieren bereit ist. Die Künstlerinitiative will das Gebäude für 12 Millionen Franken kaufen und renovieren. Der Finanzierungsnachweis besteht meistenteils aus Absichtserklärungen für Darlehen und einer Hypothek der Credit Suisse. Ein Grossteil der Geldgeber ist nach wie vor anonym, und auch das finanzielle Engagement des Milliardärs Hansjörg Wyss, dessen Auftritt in letzter Minute effektvoll inszeniert wurde, bleibt unklar. Kurz: Die Stadt würde sich auf einen doppelten finanziellen Blindflug begeben, sowohl was die Identität der Geldgeber als auch die Höhe ihres Engagements betrifft. Die Liegenschaftsverwaltung kam nach der Prüfung des Progr-Finanzierungsnachweises zu einem vernichtenden Ergebnis. Die Sanierung für 8 Millionen Franken sichere bloss die Gebrauchstauglichkeit für die ersten Jahre. Es bleibe aufgestauter Unterhalt in der Höhe von mehreren Millionen Franken. Die Künstler ihrerseits betonten, dass sie weniger Geld für den Unterhalt des Gebäudes brauchten als das Projekt "Doppelpunkt". Progr-Sprecher Peter Aerschmann sprach einmal davon, die Fassade des historischen Gebäudes durch Lehrlinge im Rahmen eines "Forschungsprojekts" sanieren zu lassen. Das klingt wenig vertrauenerweckend.

Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass bei einem Ja zum Künstlerprojekt dereinst der Steuerzahler für den Unterhalt des Progr aufkommen muss. Die Stadt Bern läuft zudem Gefahr, als Organisatorin von Investorenwettbewerben nicht mehr ernst genommen zu werden, da diese jederzeit infrage gestellt werden können. Als Standort für Künstlerateliers ist der Progr nicht zwingend, auch wenn die bisher diskutierten Alternativstandorte bei den Kulturschaffenden auf wenig Gegenliebe gestossen sind. Für den Durchschnittsverbraucher ändert sich mit einem Ja zum Projekt "Doppelpunkt" nichts. Er wird weiterhin die beliebte Café-Bar frequentieren und dort Konzerte besuchen können. Wer diese Konzerte organisiert, kümmert ihn in der Regel wenig.

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BZ 2.5.09

Progr-Abstimmung: DAs Projekt "Doppelpunkt"

"Bis unters Dach öffentlich"

Mischnutzung mit "Doppelpunkt" oder Künstlerhaus Progr? - das ist bei der Abstimmung vom 17.Mai die Frage. An dieser Stelle werden Klischees über und Vorurteile gegen den Wettbewerbssieger "Doppelpunkt" hinterfragt.

Das Projekt "Doppelpunkt" sei unnötig, sagen die Gegner im Abstimmungskampf zur Zukunft des ehemaligen Progymnasiums. Der heutige Progr würde zu Tode saniert, das Café Turnhalle würde zur Schickimicki-Beiz verkommen, und in wenigen Jahren würden die Spekulanten aus Zürich das Gebäude sowieso Gewinn bringend weiterverkaufen. Diese Vorurteile über "Doppelpunkt" hinterfragen und kommentieren in diesem Beitrag Fachpersonen, Gegner und Befürworter.

Vorurteil 1: Ein Gesundheitszentrum im Stadtzentrum ist überflüssig.

Johannes Luginbühl vom "Doppelpunkt"-Planerteam bei Bauart präzisiert: "‹Doppelpunkt› ist ebenso Bildungs- und Kulturzentrum. Genau dieses Mischkonzept überzeugte die Jury." Für Fritz Schär, Präsident der kantonalen Kunstkommission, ist klar: "Alter, Gesundheit und Pflege sind das Thema der Stunde." Fridolin Steiner, Vizepräsident des Vereins Berner Hausärzte, bleibt kritisch: "Die Grundversorgung in der Innenstadt ist gewährleistet." Finanziell interessant sei einzig die Spezialitätenmedizin, und diese wirke kostentreibend. In eine ähnliche Richtung geht die Einschätzung des Krankenkassenverbands Santésuisse. Dies vor dem Hintergrund staatlich garantierter Preise.

Vorurteil 2: Die Kultur ist ein reines "Deckmänteli".

Kommissionspräsident Schär verweist auf den Baurechtsvertrag, der "präzise Vorgaben" mache. Laut Luginbühl sind Aula, Turnhalle und Innenhof für solche Nutzungen vorgesehen. Peter Aerschmann vom Komitee des Konkurrenzprojekts "Pro Progr" ist dagegen überzeugt: "Der versprochene Nutzungsmix ist eine Mogelpackung. Allreal hat keine einzige Zusage von einem Kulturbetrieb vorgewiesen." Die im Progr eingemieteten Konzertveranstalter bee-flat, die anfänglich mit "Doppelpunkt" zusammenarbeiteten, erinnern an ausgesetzte Vertragsverhandlungen.

Vorurteil 3: Die Café-Bar Turnhalle verkommt zu einer Schickimicki-Beiz.

"Eine Planung existiert noch nicht. Die Ausgestaltung würde mit der Mieterin und den Restaurantbetreibern entwickelt", sagt Luginbühl. Natürlich werde der Betrieb in der Turnhalle "legalisiert", also den gesetzlichen Vorschriften angepasst. Doch das müsse nach Abschluss der heutigen Zwischennutzung sowieso geschehen. Die Infrastruktur solle ein Bistro-Restaurant mit Kulturbetrieb ermöglichen.

Die Betreiber der Café-Bar Turnhalle haben laut kürzlich versandtem Communiqué noch keine unterschriftsreifen Verträge. Entsprechende Verhandlungen seien nicht weiterverfolgt worden. "Es ist völlig offen, welche Art Lokal entstehen würde, so Videokünstler Aerschmann.

Vorurteil 4: Allreal hat ein Spekulationsobjekt günstig erstanden und will es teuer weiterverkaufen.

"Der Wettbewerb wurde als Investoren- und nicht als Sponsorenwettbewerb ausgeschrieben", stellt Schär erst einmal klar. Jurymitglied Werren sähe "nichts Verwerfliches" daran, wenn Allreal das Gebäude dereinst verkaufen würde. Ein Schnäppchen habe Allreal auf jeden Fall nicht gemacht. Die "hohen Auflagen" im Baurechtsvertrag müsste ein interessierter Käufer nämlich übernehmen. "Die Stadt bestimmt weiterhin die Regeln." Solche schränkten die Möglichkeiten eines Investors ein. Schär gibt zu bedenken, dass niemand wisse, was in 20 Jahren sei. Das gelte jedoch auch für das Künstlerprojekt.

Vorurteil 5: "Doppelpunkt" ist ein Zürcher Kommerzprojekt, aber immerhin solid finanziert.

Für Werren ist es normal, dass Allreal kommerzielle Überlegungen anstellt. Ein Konzept, das langfristig marktfähig bleibt, sei ja erklärtes Ziel des Wettbewerbs gewesen. "Bildung, Gesundheit und Kultur passen zum Gebäude und an diesen Ort in der Stadt." Gemäss Angaben von Allreal sind die Vorarbeiten weit gediehen und die Verträge mit den Trägern Spitalnetz Bern, Krankenkasse Swica, Physio 5, Brauerei Felsenau und der Neuen Mittelschule Bern vorbereitet. Für die Finanzierung in Höhe von 25 Millionen Franken hat sich Allreal vertraglich im Falle eines Zuschlags verpflichtet. Luginbühl von Bauart stellt fest, dass viele Mieter und das Planungsteam aus Bern seien. Nur der Investor stamme aus Zürich.

Vorurteil 6: Der Wettbewerb war falsch aufgegleist, und die Stadt hat sich ein Ei gelegt.

Sowohl Werren als auch Insider wie Schär loben den Planer- und Investorenwettbewerb. Er habe sich als geeignetes Instrument erwiesen, damit eine marktfähige und aus Sicht der Stadtentwicklung und der Denkmalpflege hochwertige Lösung habe gefunden werden können. Die Jury habe aus zehn guten Eingaben auswählen können, so Werren. Mangelhaft sei die Abstimmung zwischen Gemeinderat und Stadtrat gewesen. Schär weist auf die Bedeutung des Wettbewerbs hin, er garantiere mit seinen Regeln ein faires Vorgehen und gute Qualität. "Neben den Architekten sind übrigens gerade auch Kunstschaffende betroffen, wenn das Wettbewerbswesen Schaden nimmt", sagt Schär.

Vorurteil 7: Das historische Gebäude wird zu Tode saniert.

Im Jurybericht zum Wettbewerb wird den Teilnehmern "ein Interesse am Altbau und eine intensive Auseinandersetzung mit der historischen Substanz" attestiert. Von aussen werden bei "Doppelpunkt" nur neue Storen auffallen. Die Fassade wird saniert, und das Innenleben wird den künftigen Bedürfnissen angepasst. Die Böden bleiben erhalten. Einige Räume werden unterteilt. "Diese Eingriffe, die sich bewusst am Vorhandenen orientieren, können aber zurückgebaut werden", sagt Luginbühl.

Vorurteil 8: "Doppelpunkt" ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich und langweilig.

"Das Gebäude wird bis unters Dach öffentlich zugänglich", widerspricht Luginbühl: im linken Flügel als Schulhaus, im zentralen Teil als Restaurant und Kulturort und im rechten Teil als Gesundheitszentrum. Insbesondere der Hof sei dem Planungsteam ein Anliegen. Ohne Trennmauer und Parkplätze werde er viel offener sein. Die Aussenbestuhlung des Restaurants beschränke sich auf ein Podest. Daneben sollen mobile Stühle zur freien Verfügung stehen. Der Platz, schwebt ihm vor, müsse für verschiedene kulturelle Nutzungen offenstehen. Werren bekräftigt Luginbühls Aussagen. Nicht zuletzt im Umgang mit Öffentlichkeit habe "Doppelpunkt" gepunktet.

Christoph Aebischer  Stefanie Christ

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Nächste Woche

Vorurteile zu "Pro Progr"

Voraussichtlich am nächsten Dienstag äussern sich an dieser Stelle verschiedene Vertreter zu den Vorurteilen und Klischees zum Künstlerzentrum Progr. Die Abstimmung findet dann am 17.Mai statt. Das Stimmvolk kann zwischen zwei Projekten entscheiden, weil der Stadtrat dies so wollte. Eigentlich wäre nur der Wettbewerbssieger "Doppelpunkt" zur Auswahl gestanden. Das Parlament hat nachträglich eine Offerte der als Zwischennutzer eingezogenen Kunstschaffenden zugelassen. Der Kaufpreis und der Baurechtszins belaufen sich bei beiden Projekten auf 2,4 Millionen Franken und 320000 Franken. In einer Beschwerde wird das Vorgehen beanstandet. Zudem werde in der Abstimmungsbotschaft zu wenig auf die vorhandenen Unterschiede hingewiesen. Heisst Statthalterin Regula Mader die Beschwerde gut, wird die Abstimmung entweder abgesagt, oder das Resultat wird ungültig.
cab

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BIG BROTHER VIDEO
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Bund 2.5.09

FDP verteidigt Polizeidirektor

Videokameras "Echtzeitüberwachungen mit strengen Auflagen entsprechen einem Bedürfnis", schreibt die FDP Kanton Bern in einer Mitteilung und stärkt damit ihrem Polizeidirektor Hans-Jürg Käser den Rücken. Dieser hatte in den Ausführungsbestimmungen zum Polizeigesetz explizit auch Live-Überwachungen des öffentlichen Raums zugelassen und damit die Linke vor den Kopf gestossen. Im Grossen Rat sei klar gewesen, dass Videoaufzeichnungen nur zur Aufklärung von Verbrechen ausgewertet und sonst ungesehen vernichtet würden, monierten SP und Grüne ("Bund" von gestern). Die FDP bezeichnet dies nun als "Vorwahlkampfgeplänkel". "Echtzeitüberwachungen dürften auch in der Bevölkerung auf Zustimmung stossen", so die FDP. Sie betont zudem, dass die Bedingungen vom Regierungsrat und nicht von Käser alleine festgelegt worden seien. (rw)

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Bund 1.5.09

Linke empört über Käsers Live-Überwachung

Videokameras Ab dem 1. Juli können Gemeinden im Kanton Bern den öffentlichen Raum mit Videokameras überwachen. Der politische Konsens zwischen links und rechts wird nun aber durch die Ausführungsbestimmungen des Polizeidirektors arg erschüttert. Hans-Jürg Käser (fdp) will auch eine Echtzeitüberwachung zulassen. Im bisherigen Gesetzgebungsprozess war jedoch immer nur von Aufzeichnungen die Rede gewesen. Aufnahmen hätten nur zur Aufklärung eines Verbrechens ausgewertet und sonst nach 100 Tagen ungesehen vernichtet werden sollen.

"Was der Polizeidirektor hier vorlegt, widerspricht klar dem Willen des Gesetzgebers", sagt SP-Grossrat Markus Meyer. Auch die Grünen sind empört: "Ich fühle mich vom Polizeidirektor an der Nase herumgeführt", sagt Kopräsident Blaise Kropf. Käser verteidigt sich: Live-Überwachungen würden nur sehr zurückhaltend bewilligt. (rw)

Kommentar rechts, Seite 29

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"Big Brother" durch die Hintertür

Polizeidirektor Hans-Jürg Käser lässt Live-Videoüberwachung zu - obschon der Grosse Rat davon nichts wissen wollte

Ab dem 1. Juli können öffentlicher Raum und öffentliche Gebäude im Kanton Bern mit Videokameras überwacht werden. Der politische Konsens war nur möglich, weil auf Echtzeitüberwachung verzichtet wurde - nun wird sie durch die Hintertüre doch eingeführt.

Reto Wissmann

"Was der Polizeidirektor hier vorlegt, widerspricht ganz klar dem Willen des Gesetzgebers", sagt SP-Grossrat Markus Meyer. Er hat im letzten Jahr als Kommissionspräsident die Revision des Polizeigesetzes begleitet und weiss, wovon er spricht. In Rage bringen Meyer die Ausführungsbestimmungen zur Videoüberwachung, die Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (fdp) gestern vorgelegt hat. Diese sieht explizit eine Echtzeitüberwachung des öffentlichen Raumes vor. Gemeinden können künftig also nicht nur Aufnahmen von Überwachungskameras aufzeichnen und bei Bedarf durch die Kantonspolizei zur Verbrechensaufklärung auswerten lassen; sie dürfen das Geschehen an neuralgischen Punkten auch live am Bildschirm mitverfolgen.

Genau dies wollten aber Meyer und viele andere Grossrätinnen und Grossräte verhindern. "Wir sprechen hier ausdrücklich von Bildaufzeichnungen. Es läuft also eine Kamera, und wenn irgendetwas passiert, hat man die Möglichkeit, die von der Kamera aufgezeichneten Bilder durch eine Fachstelle der Kantonspolizei auswerten zu lassen", hatte Meyer im September bei der Gesetzesberatung klar gemacht. Und weiter: "Es geht hier ganz klar nicht um den Big Brother, genau das wollen wir nicht."

Heute fühlt sich Meyer hinters Licht geführt: "Es ist extrem problematisch, wenn ein solch sensibler Bereich durch die Hintertüre geregelt wird." Heikel findet Meyer auch, dass gemäss Verordnung nicht nur Polizisten, sondern zum Beispiel auch Hauswarte hinter den Monitoren sitzen können. Die ausschliessliche Auswertung der Aufnahmen durch die Polizei und der Verzicht auf Live-Überwachung seien Voraussetzungen für den breiten Konsens im Grossen Rat gewesen, so Meyer. Die Änderung des Polizeigesetzes war mit 115 gegen 5 Stimmen angenommen worden. Auch ein grosser Teil der SP-Fraktion hatte dafür gestimmt.

SP und Grünen fehlt Verständnis

Die SP-Präsidentin fühlt sich vom Polizeidirektor ebenfalls hintergangen: "Der Gesetzgeber war klar gegen Echtzeitüberwachung. Ich habe kein Verständnis für Käsers Verordnung", sagt Irène Marti Anliker. Die SP habe sich konstruktiv an der Gesetzesarbeit beteiligt und sei nun hinters Licht geführt worden. "Käser hätte schon in der Gesetzesberatung klar sagen müssen, dass er die Echtzeitüberwachung zulassen will", sagt Marti. Damals habe sich aber lediglich FPS-Hardliner Jürg Scherrer für die Live-Überwachung eingesetzt. Für die Linke sei dies kein Thema gewesen, da es den Bürgerinnen und Bürgern noch mehr das Gefühl gegeben hätte, permanent überwacht zu werden. Die SP will der Sache nun nachgehen und klären, ob die Verordnung mit dem Gesetz konform ist.

Auch die Grünen verlangen eine Klärung. "Ich fühle mich vom Polizeidirektor an der Nase herumgeführt", sagt Kopräsident Blaise Kropf. Dass dieser die Echtzeitüberwachung "durch die Hintertüre" einführe, sei "nicht gerade vertrauenerweckend".

Käser: "Das ist ein Bedürfnis"

Auf die Vorwürfe angesprochen, relativiert Käser zunächst: "Wir werden die Echtzeitüberwachung nur sehr dosiert zulassen", sagt der Polizeidirektor. Da jede Videoüberwachung der Gemeinden einer Bewilligung der Kantonspolizei bedürfe, habe man genügend Steuerungsmöglichkeiten. Auf die Frage, warum er denn bei der Gesetzesberatung seine Pläne nicht offen und klar dargelegt habe, sagt Käser: "Ich habe keine Veranlassung gesehen, auf etwas einzugehen, das kein Thema war." In der Sache verteidigt Käser die Live-Überwachung. Sie sei an neuralgischen Punkten nötig und entspreche "in Einzelfällen" einem Bedürfnis.

Um den "Eingriff in die Persönlichkeitssphäre bei der Echtzeitüberwachung abzuschwächen", sollen die Gesichter der erfassten Personen übrigens mit technischen Mitteln ("Privacy-Filtern") unkenntlich gemacht werden. Laut Verordnung soll die "einschränkungslose Bildanzeige" erst eingeschaltet werden, wenn eine "kritische Situation" erkennbar wird.

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Kommentar

Käser missachtet den Grossen Rat

Reto Wissmann

Die Videoüberwachung des öffentlichen Raums wird heutzutage breit akzeptiert. Ein grosser Teil der Bevölkerung erhofft sich davon mehr Sicherheit und nimmt dafür Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre in Kauf. Auch politisch herrscht im Kanton Bern unterdessen praktisch Konsens. Bereits ab Juli können die Gemeinden deshalb mit der Überwachung von Plätzen, Strassen und Gebäuden beginnen.

Doch der Konsens im Grossen Rat - für den die Linke viel Kreide fressen musste - basiert auf klaren Einschränkungen. Niemand wollte dem Staat die Lizenz zur totalen Überwachung des öffentlichen Raums geben. Videoaufzeichnungen sollten nur zur Aufklärung schwerer Straftaten und nur durch Spezialisten der Polizei ausgewertet werden. Mit einer Verordnung macht es Polizeidirektor Hans-Jürg Käser nun aber durch die Hintertür möglich, dass Hauswarte oder andere Gemeindeangestellte live am Bildschirm beobachten, was auf dem Pausenplatz oder vor dem Bahnhof passiert. Käsers Versprechen, Echtzeitüberwachung nur sehr zurückhaltend zu bewilligen, ist nicht viel wert. Eine solch sensible Frage bedarf politischer Klärung und darf nicht jenen überlassen werden, die bei der Polizeidirektion und der Kantonspolizei gerade das Sagen haben.

Ein Jahr vor den Wahlen will sich der Polizeidirektor als sicherheitspolitischer Hardliner profilieren. Sollte Käsers Verordnung einer juristischen Überprüfung nicht standhalten, ginge der Schuss aber hinten hinaus. Exekutivpolitiker, die den Willen des Gesetzgebers missachten, kommen bei vielen Wählern nicht gut an.

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BZ 1.5.09

Ab Juli darf im öffentlichen Raum gefilmt werden

Ab Juli dürfen die Gemeinden den öffentlichen Raum mit Kameras überwachen. Die Regierung hat die Verordnung erlassen.

In grosser Einigkeit - mit 115 gegen nur 5 Stimmen - hatte der Grosse Rat im September 2008 die Rechtsgrundlage für die Videoüberwachung im öffentlichen Raum geschaffen. Jetzt hat der Regierungsrat die erforderlichen Ausführungsbestimmungen zum revidierten Polizeigesetz verabschiedet. Mit der ergänzten Videoverordnung sei der Einsatz von Videoüberwachungen zur Vorbeugung von kriminellen Handlungen abschliessend geregelt, teilte die Regierung gestern mit.

Umfassendes Konzept

Für die Gemeinden bestehe kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf mehr. Sie müssten jedoch ihre internen Zuständigkeiten regeln und ein umfassendes Konzept für den Videoüberwachungseinsatz ausarbeiten. Zudem müssen sie alle fünf Jahre die Wirksamkeit der eingesetzten Kameras evaluieren.

Zuerst Kameras ausschalten

Mit Inkrafttreten der neuen Regelung müssen alle Kameras ausgeschaltet werden, die von den Gemeinden trotz fehlender Grundlage bereits angebracht worden sind. Sie dürfen erst wieder eingeschaltet werden, wenn sie gemäss der neuen Regelung bewilligt sind.

Diese sieht so aus: Die Gemeinden entscheiden, wo sie Kameras installieren wollen, und bezahlen diese auch. Anbringen dürfen sie die Kameras aber nur, wenn die Kantonspolizei zustimmt. Damit soll eine einheitliche, "verhältnismässige" Praxis erreicht werden. Kameras dürfen laut Gesetz nur an Orten montiert werden, "an denen Straftaten begangen worden sind oder an denen mit Straftaten zu rechnen ist". Die Standorte der Kameras müssen "deutlich" gekennzeichnet werden, schliesslich soll von ihnen auch eine präventive, abschreckende Wirkung ausgehen.

Die Kameras dürfen nur Bilder aufzeichnen, keinen Ton. Und: Es wird keine "aktive Echtzeitüberwachung" geben - das heisst: Nirgends wird ein Polizist hinter Monitoren sitzen, auf denen er live alle Ecken einer Stadt überwachen kann.

Nur die Polizei wertet aus

Die Aufnahmen dürfen ausschliesslich von der Kantonspolizei ausgewertet werden. Die Gemeinden zum Beispiel haben keine Einsicht. Die Bilder werden nur angeschaut und analysiert, wenn eine Anzeige oder ein Strafantrag eingeht oder wenn ein Verdacht besteht, bei dessen Klärung die Aufzeichnungen als Beweismittel helfen können. Ansonsten müssen alle Aufnahmen nach 100 Tagen gelöscht werden.
drh

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NOTHILFE-BERG
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Thuner Tagblatt 1.5.09

Eriz

Asylbewerber kommen (noch) nicht

Weitere Abklärungen haben bedingt: Das neue Sachabgabezentrum für Asylbewerber im Eriz bleibt vorläufig noch leer.

Eigentlich hätten heute die ersten abgewiesenen Asylbewerber das Sachabgabezentrum im Eriz beziehen sollen. Doch daraus wurde nichts. "Es sind Abklärungen im Gang", sagt der Erizer Gemeindepräsident Fritz Kropf. In welche Richtung sie gehen, wollte er nicht preisgeben, versicherte aber: "Wir werden in den nächsten Tagen informieren."

Damit können die Erizer zumindest vorläufig aufatmen. Sie waren Sturm gelaufen, als bekannt wurde, dass der Kanton das ehemalige Huttwiler Ferienheim Unterschwand im Eriz gekauft hatte, um dort abgewiesene Asylbewerber unterzubringen (wir berichteten). An der Grundstimmung in der Bevölkerung habe sich in den letzten Wochen nichts geändert, sagt Kropf. "Die Menschen sind wenig erfreut über den Entscheid des Kantons."
rop

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KOFMEHL
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Berner Rundschau 1.5.09

Konkreteres erfahren

Kulturfabrik Kofmehl ernsthaft gefährdet?

Noch immer keinen Reim machen kann man sich in der Kulturfabrik Kofmehl Solothurn auf die heftigen Angriffe durch Solothurns Stadtpräsident Kurt Fluri, der am Dienstag den Kofmehl-Betrieb als "ernsthaft gefährdet" eingestuft hatte, wenn nicht auf gewisse Anlässe mit "aggressivem Publikum" verzichtet werde. Auch hatte Fluri das Thema Öffnungszeiten angeschnitten und gedroht, man werde mit dem Kanton verhandeln, ob die heutigen Öffnungszeiten bis 4 Uhr verkürzt werden könnten. Pipo Kofmehl, Leiter der Kulturfabrik, signalisierte dass er zusammen mit dem Kofmehl-Patronat - ihm gehören Gemeinderäte wie Marco Lupi (FdP) oder Markus Schneider (SP) an - Kurt Fluri treffen möchte. "Wir wollen das Gespräch mit ihm suchen", so Kofmehl, der vor allem Konkreteres zu den Anliegen der Stadt erfahren will. Zum Thema "Öffnungszeiten" meinte er lediglich, dazu gebe es verschiedene Ansichten - "auch bei der Polizei". (ww)

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HOMOPHOBIE
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Bund 2.5.09

Euro-Pride 09 erstmals in der Schweiz - freikirchliche Störmanöver

"Orchestrierte Kampagne"

Ab heute wird Zürich einen Monat lang europäisches Mekka der Schwulen und Lesben sein. Die Euro-Pride 09 wartet mit über 200 Veranstaltungen auf - zum Missfallen freikirchlicher Kreise.

Die Veranstalter der Euro-Pride 09 haben im Vorfeld Medienberichte zu einer Strafanzeige gegen den Präsidenten der freikirchlichen "Familienlobby" bestätigt. Sie werfen den Gegnern des europäischen Homosexuellen-Festivals eine "orchestrierte Kampagne" gegen die Euro-Pride vor.

 Die Schreiben der "Familienlobby" an Sponsoren und Partner enthielten diskriminierende Aussagen. Weil Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung im Unterschied zu Rasse, Herkunft oder Religion jedoch kein Straftatbestand sei, stütze sich die bei der Zürcher Staatsanwaltschaft eingereichte Anzeige auf das Bundesgesetz gegen unlauteren Wettbewerb.

 Laut Euro-Pride-Mediensprecher Michael Rüegg gehen die ehrverletzenden Schreiben in die Tausenden. Die "Familienlobby", die vor einem Jahr die Euro-Pride per Petition an den Stadtrat zu verhindern versuchte, habe sich dazu bekannt. Die Kritik konservativ-kirchlicher Kreise an der Euro-Pride sorgte bereits am letzten Montag im Zürcher Kantonsparlament für einen Eklat. EDU-Sprecher Michael Wirz hatte moniert, Zürich werde mit "staatlichen Sponsorengeldern" zu einer Werbeplattform für den homosexuellen Lebensstil umfunktioniert und wende sich damit "vom Segen Gottes ab", wie der "Tages-Anzeiger" berichtete. Das sei diskriminierend, konterten die anderen Parteien.

220 Veranstaltungen

 Die Euro-Pride wird am Samstag in der Sihlcity mit einem Konzert offiziell eröffnet. Vom 2. Mai bis zum 6. Juni stehen 220 Veranstaltungen auf dem Programm. Die ersten drei Wochen stehen im Zeichen des Filmfestivals "Pink Apple" und des Kulturfestivals "Warmer Mai" sowie diverser Podien und Fachtagungen. Danach gibt es einen grossen Sportevent.

 Zum Abschluss folgt am 5. und 6. Juni ein Stadtfest mit einer 2,5 Kilometer langen Schwulen- und Lesbenparade. Als offizielle Redner angesagt sind die frischgebackene neue Zürcher Stadtpräsidentin und bekennende Lesbe Corine Mauch sowie der deutsche Politiker und Publizist Daniel Cohn-Bendit.

40-jähriger Kampf

 Zum Festival erwarten die Veranstalter rund 50000 Schwule und Lesben aus ganz Europa. Die Zürcher Euro-Pride ist gleichzeitig der 40. Gedenkanlass der europäischen Homosexuellen an die weltweiten Anfänge der Homosexuellen-Protestbewegung in den USA. Diese begannen 1969 nach einer illegalen Polizeirazzia in der Stonewall-Bar in New York. (sda)

[@]

Alle Informationen
unter http://www.europride09.eu

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1. MAI
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Bund 2.5.09

2000 Personen nahmen am 1.-Mai-Umzug teil - doppelt so viele wie im vergangenen Jahr

"Wir haben recht bekommen"

Regierungspräsidentin Egger war die Hauptrednerin an der 1.-Mai-Kundgebung in Bern. "Seit Jahren haben wir gemahnt", sagte sie. An der Kundgebung beteiligten sich anfänglich auch Autonome.

Philipp Schori

Am Tag der Arbeit auf die Strasse gehen? Wann, wenn nicht jetzt?, könnte man denken. Die Schlagzeilen der vergangenen Monate zeichnen jedenfalls ein trübes Bild der aktuellen Wirtschaftslage: Lehman Brothers bankrott, 60 Milliarden Franken für die UBS, US-Autobauer verlangen noch mehr Staatshilfe.

Egger: Reichtum ist relativ

2000 Personen beteiligten sich an der diesjährigen 1.-Mai-Kundgebung in Bern - doppelt so viele wie 2008 während der Boomzeit. Je prekärer die Wirtschaftslage, desto mehr Protestierende, so könnte man die Entwicklung interpretieren.

Barbara Egger-Jenzer (sp) sagt: "Am Tag der Arbeit Präsenz zu markieren, ist stets wichtig, aber heuer vielleicht noch ein bisschen wichtiger." Die kantonale Regierungspräsidentin reihte sich hinter dem Fronttransparent ein (siehe Bild); direkt nach dem einstündigen Umzug durch die Innenstadt hielt Egger um 17 Uhr eine Rede auf dem Bundesplatz: "Seit Jahren haben wir gemahnt", sagte sie vor Gewerkschafterinnen, Vertretern der Grünen und der SP sowie vor tamilischen und kurdischen Aktivisten. Reichtum sei nichts wert, solange andere den Preis dafür bezahlten. "Und jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt haben wir recht bekommen", sagte Egger, um dann aber gleich wieder zu relativieren: Letztlich ziehe niemand einen Nutzen daraus.

Szenen wie an einem Fussballspiel

Vermutlich sorgte neben der schlechten Wirtschafts- auch die gute Wetterlage für das grössere Interesse am 1.-Mai-Fest. Überdies führten die Gewerkschaften im vergangenen Jahr bloss eine Platzkundgebung durch. Der Verzicht auf einen Umzug behagte den Autonomen damals wenig; 200 marschierten gleichwohl durch die Berner Innenstadt. In diesem Jahr integrierten sich die 300 vornehmlich jungen Autonomen in den offiziellen Umzug. Mit Knallpetarden, Wasserballonen und Pyro-Artikeln machten sie auf sich aufmerksam. Ihr Auftritt erinnerte zuweilen an Szenen aus dem Fansektor eines Fussballstadions. Zu Scharmützeln mit der Polizei, die sich kaum blicken liess, kam es nicht.

Die Linke am Scheideweg

Als die Mehrheit der Demonstrierenden die Spitalgasse Richtung Bundesplatz überquerte, verabschiedeten sich die Autonomen von der offiziellen Kundgebung. Offensichtlich wollte man den "etablierten" Linksparteien und Gewerkschaften doch nicht anstandslos hinterhermarschieren, wie aus dem Pressecommuniqué des "revolutionären" 1.-Mai-Bündnisses hervorgeht. Die Autonomen veranstalteten ihr eigenes Fest: Ab 17 Uhr spielten Musikbands und floss Bier auf dem Vorplatz der Reitschule.

Für das "revolutionäre Fest" ersuchten die Veranstalter um eine Bewilligung. Das komme einem Novum gleich, sagte Sicherheitsdirektor Reto Nause (cvp).

Ähnlich festliche Stimmung wie bei den Autonomen kam auch auf dem Bundesplatz auf - mit dem Unterschied, dass alles ein bisschen pompöser daherkam: Der Platz ist prominenter, die Bühne war grösser, und die Bands waren bekannter. Immerhin trat um 20 Uhr Endo Anaconda auf ("Telefonsex ist neoliberal. Du bekommst nichts", sagte er einmal in einem Interview).

Politprominenz an Kundgebung

In der jüngsten Vergangenheit handelte die Presse das Thema Wirtschaftskrise nicht mehr so prominent ab. Dafür verantwortlich ist nicht zuletzt der Ausbruch der Schweinegrippe. Diese sei durchaus ernst zu nehmen, sagte Egger. Gleichwohl vermöge die Schweinegrippe die sozialen Probleme nicht aus den Köpfen zu verdrängen.

Die desolate Wirtschaftslage sei es, um die sich die Leute auf der Strasse sorgten. Insofern tue der "Tag der Solidarität" gut. Kundgebungsteilnehmerin und Gemeinderätin Edith Olibet (sp) sah den 1. Mai als eine Plattform, "um alle an ihre soziale Verantwortung zu erinnern". Und Stadträtin Aline Trede (junge grüne) sagte: "Hier kannst du endlich einmal hässig sein."

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BZ 2.5.09

1.-Mai-Umzug

Schwarzer Block dabei

Rund 300 Personen aus dem Umfeld des Schwarzen Blocks marschierten am offiziellen 1.-Mai-Umzug in Bern mit.

Gegen 2000 Personen besammelten sich gestern Nachmittag in der Kramgasse für den 1.-Mai-Umzug der Gewerkschaften, der zum Bundesplatz führte. Dort sagte Regierungspräsidentin Barbara Egger (SP) in ihrer Rede unter anderem, die Mehrheit im Land habe zu lange "Egoismus und Freiheit verwechselt".

 Gut 300 Männer und Frauen aus dem Schwarzen Block hatten sich in den Umzug eingereiht. Auf dem Marsch durch die Altstadt schwenkten die zum Teil vermummten Aktivisten Fahnen und skandierten lauthals "Internationale Solidarität". Auf dem Waisenhausplatz scherte der Schwarze Block aus und marschierte durch die Spitalgasse zum Bahnhofplatz, wo der Verkehr zum Stillstand kam. Auf dem Marsch durchs Bollwerk warfen die Aktivisten Wasserballons gegen Hausfassaden, immer wieder zündeten sie stinkende Schwefelsäure-Petarden. Passanten mussten dem Umzug ausweichen. Schliesslich zogen sich die Aktivisten in die Reithalle zurück. Nachdem sie das Bollwerk zwischen Bahnhof und Reithalle für eine Viertelstunde blockiert hatten, zirkulierte der Verkehr wieder normal.
jsp

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Jugendbewegung am tag der arbeit

Die Roten Falken sind zurück

Gestern marschierte eine kleine Delegation der Roten Falken am 1.- Mai-Umzug mit. Die sozialistische Jugendbewegung wurde vor wenigen Tagen in Bern erneut ins Leben gerufen. In den 80er-Jahren hatte sie sich aufgelöst.

Gut gelaunt und friedlich gestimmt, marschierten die Roten Falken am 1.-Mai-Umzug durch Berns Gassen. Ganz nach ihrem Motto "Spiel, Spass und Solidarität" vergnügten sich die Jugendlichen: Sie spielten mit Bällen, verschenkten Ballone und unterhielten sich. Die vier Mitgründer der neuen Berner Falken führten ihre noch bescheidene Truppe zum Bundesplatz. "Zu unseren Mitgliedern gehören erst zwei Kinder", sagte die Helferin Nadja Olloz (22).

Zurück in Bern

Schweizweit hatte es während der letzten Jahrzehnte nur noch in Zürich eine Gruppierung der Roten Falken gegeben. "Daran wollten wir etwas ändern", sagte Fabio Weiler (23), Helfer bei den Roten Falken. "Wir suchten eine weitere Delegation, mit der wir uns in Zukunft austauschen können."

Vor einer Woche wurden schliesslich die Roten Falken in Bern zum zweiten Mal ins Leben gerufen. Dies, nachdem sie sich in den 80er-Jahren aufgelöst hatten. "Die Wiederauferstehung der Falken in der Hauptstadt freut mich riesig", bekundete der 55-jährige Paul Studer gestern am Umzug. Er erinnere sich gerne an seine Zeiten als Roter Falke zurück .

Erst zwei Mitglieder

Dass die Neuformierung der Falken in Bern noch in den Kinderschuhen steckt, war sofort erkennbar. Nach einer Kinderschar in roten "Falken-Shirts" sah man sich am Umzug vergebens um. "Das war uns klar", sagte Weiler. "Wir waren überrascht, dass letzte Woche überhaupt zwei Kinder an unserem ersten Treffen teilgenommen hatten." Die Rede ist vom 10-jährigen Lucas Wymann und seiner Schwester. "Mein Vater hat mir die Internetseite der Roten Falken gezeigt. Ich war sofort begeistert", erklärte Lucas. Das erste Treffen habe ihm enorm gefallen. "Deshalb wollte ich auch am 1.-Mai-Umzug mit dabei sein."

Für die Rechte der Kinder

Die Roten Falken verfolgten mit ihrem Auftritt am 1.Mai ein klares Ziel: "Wir wollen primär unsere Bekanntheit in Bern steigern", gab Weiler zu. Er fügte jedoch an, dass es ihm auch darum ginge, die Kinderrechte in Erinnerung zu rufen. "Bei uns stehen Kinder im Zentrum", fügte Olloz an. Beide Leiter waren sich einig: "Wir wollen den Kindern eine Stimme geben. Sie sollen sich auch politisch äussern können." Die Organisation der Roten Falken zeichne sich deshalb auch durch eine schwache Hierarchie aus. "Als Erwachsene wollen wir uns nicht über die Kinder stellen", präzisierte Weiler.

Falken mit Zukunft

Was die Mitgliederzahl der Roten Falken in Bern betrifft, gab sich Weiler zuversichtlich: "Kinder haben auch heute ein Bedürfnis nach Bewegung und gemeinsamen Erlebnissen in der Natur." Ausserdem hätten die jungen Menschen bei ihnen etwas zu sagen, was nicht überall selbstverständlich sei. Diese Werte könnten durch die Treffen direkt weitergegeben werden. "Das bringt mir mehr, als durch politische Aktionen aufzufallen", sagte er.

Patrizia Pulfer

Geschichte

Sozialistisches Gedankengut

Die Roten Falken sind eine Kinder- und Jugendgruppe, welche im ersten Drittel des 20.Jahrhunderts aus der sozialistischen Arbeiterbewegung in Deutschland, Österreich und der Schweiz entstanden ist. Das Ziel war, das geistige und leibliche Wohl der Kinder zu fördern. Ihre Blütezeit erlebten die Roten Falken in den 30er-Jahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand die Bewegung immer mehr von der Bildfläche. In der Schweiz überlebte sie nur in Zürich. Heute soll die Tradition des sozialistischen Gedankenguts in zeitgemässer Form weitergeführt werden. In Zürich sind die Roten Falken gemäss Leitbild des Vereins Kinderfreunde Zürich, welcher den Betrieb gewährleistet, parteipolitisch unabhängig und orientieren sich "an den Idealen einer engagierten humanistischen und sozialistischen Grundhaltung".
pd

http://www.bern.rotefalken.ch

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bernerzeitung.ch 1.5.09
http://www.bernerzeitung.ch/bern/Schwarzer-Block-marschierte-unbehelligt-zur-Reitschule/story/10478510 (Mit Fotos + Video)

"Schwarzer Block" marschierte unbehelligt zur Reitschule

Rund 1000 Leute marschierten am Umzug zur 1. Mai-Feier Richtung Bundesplatz. Der "Schwarze Block" trennte sich beim Waisenhausplatz vom Hauptumzug und begab sich dann zur Reitschule.

Auf der Höhe des Waisenhausplatzes flogen Wasserballone und eine Bierbüchse gegen ein Auto, ansonsten verlief der Umzug ruhig. Die Polizei markierte kaum Präsenz.

Am Waisenhausplatz drehte der Schwarze Block ab in die Marktgasse. Auf ihrem Weg zündeten sie Knallpetarden und bewarfen die Geschäfte, Fahrzeuge und Passanten mit Wasserballonen.

Während der Schwarze Block bei der Reitschule feierte, fand auf dem Bundesplatz die offizielle Ansprache statt.

(js/bz)

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tagesanzeiger.ch 1.5.09

Brandanschlag gegen KPMG-Hauptsitz in Zürich

Von Simon Eppenberger

Am Freitagabend verübten Unbekannte einen Brandanschlag gegen die Firma KPMG. Am Hauptsitz des Wirtschaftsprüfer brannte der Eingang.

Am 1. Mai kam es zu einem Brandanschlag gegen den Wirtschaftsprüfer KPMG. Unbekannte hatten offenbar die Eingangstüre eingeschlagen und Feuer gelegt. Die Feuerwehr rückte am Freitagabend nach 21 Uhr mit drei Löschfahrzeugen an die Badenerstrasse 172 zum Hauptsitz des Unternehmens aus.

Der Brand konnte schnell gelöscht werden. Mit einem Gebläse wurde der Rauch aus dem Eingangsbereich entfernt. Die Polizei war ebenfalls vor Ort. Informationen zum Hergang oder der möglichen Täterschaft liegen derzeit keine vor. Die Unbekannten zündeten vor dem Firmeneingang Reifen an, wie eine Sprecherin der Zürcher Stadtpolizei bestätigte. Die Flammen schlugen aussen am Gebäude bis in den ersten Stock, die Fassade ist rauchgeschwärzt.

Gemäss Polizeiangaben war die Lage im Kreis 4 am späten Freitagabend wieder ruhig. Dort hatten am Nachmittag jugendliche Randalierer gewütet. 83 Personen wurden festgenommen. 22 von ihnen sind unter 18 Jahre alt, wie die Polizei am Abend bekannt gab.

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Bund 1.5.09

Konzert auf dem Vorplatz

Nebst den Gewerkschaften ruft auch ein "revolutionäres 1. Mai Bündnis" dazu auf, am offiziellen Umzug teilzunehmen. Ziel der Autonomen ist aber weniger der Bundesplatz, sondern der Vorplatz der Reitschule, wo ab 16.30 Uhr ein "revolutionäres Fest" mit Konzerten, Jahrmarkt und Essen stattfinden soll. Laut Sicherheitsdirektor Reto Nause (cvp) ist "zum ersten Mal seit Jahren" ein Bewilligungsgesuch für ein Vorplatz-Konzert eingereicht worden. Dieses sei im Rahmen der Gesamtbewilligung für die Reitschule bewilligt worden. Allfällige Autonomen-Umzüge ausserhalb der offiziellen Route der Mai-Kundgebung seien nicht bewilligt. "Ich gehe aber davon aus, dass die Autonomen friedlich bleiben werden." Der harte Kern werde nach Zürich fahren. Und die Reitschul-Betreiber hätten zurzeit kein Interesse an negativen Schlagzeilen, sagt Nause. (bob)

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NEONAZIS
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baslerzeitung.ch 2.5.09

Rechtsextreme? Unbewilligter "Fackelumzug" in Basel aufgelöst

Die Basler Kantonspolizei hat am Freitagabend einen unbewilligten und nicht angekündigten "Fackelumzug" aufgelöst. Eine vermutlich rechtsextreme Gruppierung - es waren rund hundert Personen - hatte mit Fackeln durch die Stadt ziehen wollen.

Die beteiligten Personen waren mit Autos und teilweise mit dem Zug nach Basel gereist. Gegen 21 Uhr versammelten sie sich beim Zolli-Parkplatz und bewegten sich von dort durch die Holbeinstrasse in die Schertlingasse. Dort konnten Polizisten die Gruppierung stoppen, wie die Kantonspolizei Basel-Stadt am Samstag mitteilte.

Nachdem die Polizei einen Polizeimitteleinsatz angedroht hatte, kehrten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses unerlaubten "Fackelumzuges" geordnet und unter Polizeiaufsicht zu ihren Fahrzeugen zurück. Weder Personen noch Sachen kamen zu Schaden.

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20min.ch 2.5.09

Umzug verhindert

Fackel-Nazis in Basel gestoppt

Die Polizei hat am Freitagabend einen unbewilligten Fackelumzug unweit der Basler Heuwaage aufgelöst. Die rund hundert Teilnehmenden gehörten vermutlich der rechten Szene an. Personen- oder Sachschaden blieb aus.

Die Hundertschaft sei aus dem Raum Aargau teils per Zug, teils per Auto angereist, sagte ein Polizeisprecher auf Anfrage. Gegen 21 Uhr am Abend des 1. Mai versammelte sie sich beim Zolli-Parkplatz und marschierte via Holbeinstrasse Innerstadt-wärts, nachdem die Polizei sie beim Parking noch nicht hatte stoppen können.

In der Folge gelang es den Ordnungshütern, die Gruppe in die ringförmige Schertlingasse oberhalb der Heuwaage zu drängen und dort zu blockieren. Unter Androhung eines nicht näher beschriebenen "Polizeimitteleinsatzes" liessen sich die ungebetenen Gäste zur Abreise bewegen. Diese sei unter Aufsicht geordnet verlaufen.
Quelle: SDA/ATS

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tagesanzeiger.ch 1.5.09
http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/Schlaegereien-zwischen-Rechtsradikalen-und-Chaoten-an-der-Nachdemo-in-Zuerich/story/31038580 (mit Video)

Schlägereien zwischen Rechtsradikalen und Chaoten an der Nachdemo in Zürich

Von Simon Eppenberger und Felix Schindler

Die Randalierer lieferten sich heute Freitagnachmittag ein Gefecht mit der Polizei. Inmitten der Chaoten hielten sich zudem kahlgeschorene und durchtrainierte Männer auf, die wiederholt in kleinen Gruppen Krawallmacher angegriffen und verprügelt haben. Tatsächlich mischten sich einige Dutzend Rechtsradikale unter die Chaoten, wie die Stadtpolizei gegenüber Tagesanzeiger.ch bestätigt.

Diese Scharmützel waren jeweils nur von kurzer Dauer, aber dafür umso heftiger. Einer der Angreifer traktierte sein taumelndes Opfer mit gezielten Fusstritten ins Gesicht. Blutspuren auf der Strasse zeugten von der Härte der Auseinandersetzung. Nur Sekunden später machten sich die Angreifer wieder aus dem Staub. (Tagesanzeiger.ch/Newsnetz)

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SVP
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Basler Zeitung 2.5.09

Kräftemessen in der Migrationspolitik

Linke gegen die SVP, alle gegen den Bundesrat und kaum Mehrheiten für Verschärfungen

Martin Furrer

Die SVP widmet dem Thema Migrationspolitik heute einen Sonderparteitag. Der Bundesrat plant seinerseits Verschärfungen im Asyl- und Ausländerrecht, die von links bis rechts kritisiert werden.

Im nationalen Pferdezentrum in Bern treten heute für einmal keine Pferde auf, sondern Schäfchen - die weissen SVP-Schäfchen, die einen schwarzen Artgenossen mit einem Tritt aus dem Land befördern. Das Sujet benützte die Partei vor zwei Jahren für ihre Initiative "zur Ausschaffung krimineller Asylbewerber"; es begleitet die SVP diesen Samstag auch durch ihren Sonderparteitag zur Migrationspolitik.

Der Anlass hat deklamatorischen Charakter: Zu verabschieden haben die Delegierten nichts - bloss eine Resolution gegen "Asylmissstände" und ein Positionspapier. Es geht der SVP vielmehr um zwei Dinge. Erstens: Druck aufzusetzen gegen BDP-Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf, die jetzt als Nachfolgerin von SVP-Bundesrat Christoph Blocher für die Migrationspolitik verantwortlich ist. Und zweitens: Werbung in eigener Sache zu machen für ihre Ausschaffungsinitiative, die die Partei im Februar 2008 mit über 210 000 Unterschriften im Bundeshaus eingereicht hat.

Die Initiative der SVP fordert, dass Ausländer ausgeschafft werden, wenn sie wegen vorsätzlicher Tötung, Vergewaltigung, Raub, wegen Menschen- oder Drogenhandels oder eines Einbruchdelikts verurteilt worden sind oder wenn sie Sozialleistungen erschlichen haben.

"Die Schweiz", sagt SVP-Sprecher Alain C. Hauert, "hat die Kontrolle über die Migration verloren." Das verschärfte Asyl- und Ausländergesetz, vom Volk 2006 angenommen (siehe Textbox unten rechts), werde "nur zögerlich umgesetzt". Die Schweiz sei für Asylbewerber noch immer "zu attraktiv". Die Landesregierung solle endlich "hart durchgreifen".

Schraube Angezogen. Das harte Durchgreifen gehört jedoch längst zu Widmer-Schlumpfs Repertoire. Im Januar hat die Vorsteherin des Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) Vorschläge für eine Verschärfung des Asyl- und Ausländerrechts in die Vernehmlassung geschickt - bloss ein Jahr, nachdem der Bund mit dem Entzug der Sozialhilfe für abgewiesene Asylbewerber bereits eine schärfere Gangart eingeschlagen hat. "Steigende Gesuchszahlen aus Afrika, dem Nahen Osten und Sri Lanka" machten es jetzt "notwendig, die Verfahren zu beschleunigen und effizienter zu gestalten", begründet das EJPD das Drehen an der Gesetzesschraube.

Folgende Neuerungen im Asylgesetz sind vorgesehen:

> Wehrdienstverweigerer und Deserteure sollen nicht mehr als Flüchtlinge anerkannt werden.

> Ausländer, die hierzulande ihre Regierungen in der Heimat kritisieren, um sich quasi selber einen Asylgrund zu schaffen, sollen bestraft werden.

> Asylbewerber sollen keine Gesuche mehr auf Schweizer Botschaften im Ausland, sondern nur noch in der Schweiz stellen können.

Gegenvorschlag. Auch das Ausländergesetz will der Bundesrat verschärfen. Er möchte dort festschreiben, dass Ausländer eine Niederlassungsbewilligung nur erhalten, wenn sie sich erfolgreich integriert haben. Nach einer schweren Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht ist, soll ihnen die Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung aberkannt werden können. Diese Neuerung versteht der Bundesrat als indirekten Gegenvorschlag zur SVP-Ausschaffungsinitiative. Sie geht ihm zu weit. Das Anliegen der Initianten werde damit aufgenommen, "ohne dass ein Widerspruch zu den Grundrechten der Bundesverfassung und zum Völkerrecht entsteht", sagt das EJPD.

Das migrationspolitische Kräftemessen ist voll entbrannt. SVP-Sprecher Hauert sagt: "Der Gegenvorschlag des Bundesrates ist zahm und unnötig: Er würde besser unsere Initiative umsetzen." Der Linken gehen nicht nur die SVP-Ideen, sondern auch Widmer-Schlumpfs Pläne zu weit. Die EJPD-Chefin schliesse nahtlos an Blochers Asylpolitik an, konstatiert die SP. Die Grünen beklagen den "unsinnigen Verschärfungsaktivismus". Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) kritisiert, der Zugang zum Asylverfahren werde einmal mehr erschwert.

Nur in einem Punkt herrscht Einigkeit: "Absurd" sei die Absicht des Bundesrates, das Einreichen von Asylgesuchen auf Schweizer Botschaften zu unterbinden. Von der SFH bis zur SVP ist man überzeugt: Davon würden einzig Schlepper profitieren.

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Wichtige Entwicklungen im Schweizer Asyl- und Ausländerrecht

Für und gegen Flüchtende. Die Chronologie der Verschärfungen im Asyl- und Ausländerrecht ist lang. Mitunter wurden auch Neuerungen zugunsten von Asylsuchenden eingeführt.

> 1981: Erstes Asylgesetz tritt in Kraft.

> 1988: Ausschaffungshaft bis 30 Tage für Ausländer, die nicht freiwillig ausreisen. Kantone dürfen dreimonatiges Arbeitsverbot für Asylsuchende erlassen.

> 1990: Bund schafft eine unabhängige Asylrekurskommission. Gesuche von Personen aus Ländern, die der Bundesrat als sicher einstuft, sind nichtig.

> 1993: Bundesrat gewährt erstmals finanzielle Rückkehrhilfen.

> 1995: "Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht" ermöglichen eine drei-monatige Vorbereitungshaft, eine neunmonatige Ausschaffungshaft und Rayonauflagen mit dem Verbot, ein bestimmtes Gebiet zu betreten oder zu verlassen.

> 1999: Frauenspezifische Fluchtgründe werden bei der Prüfung eines Asylgesuches stärker berücksichtigt.

> 2002: Volksinitiative der SVP "gegen Asylrechtsmissbrauch" wird mit 50,1 Prozent abgelehnt.

> 2006: Auch nichtstaatliche Verfolgung wird als Asylgrund anerkannt.

> 2007: Asylbewerber, auf deren Gesuch nicht eingetreten wurde, erhalten nur noch Nothilfe. Auf Gesuche tritt der Bund nur noch ein, wenn innert 48 Stunden gültige Identitätspapiere vorgelegt werden. Verbessert wird die Rechtsstellung vorläufig Aufgenommener: Sie erhalten nach drei Jahren das Recht auf Familiennachzug.  mfu

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20min.ch 2.5.09

Sonderparteitag

SVP konzentriert sich wieder auf Ausländer

An einem Sonderparteitag in Bern diskutieren Delegierte und Mitglieder der SVP Schweiz über Asyl- und Migrationspolitik. Ihnen liegen zwei Grundsatzpapiere vor, die der Partei in Ausländerfragen die Richtung vorgeben sollen.

Mit der Wahl des Themas führt die Parteileitung die Basis nach den internen Richtungskämpfen um Banken und Wirtschaftskrise wieder auf heimisches Terrain. Die beiden Grundsatzpapiere enthalten denn auch die bekannten Forderungen der SVP, wenn auch teilweise in verschärfter Form.

Fundamentalkritik

So kritisiert die Partei in ihrem "Migrationspapier 2009" die hohe Ausländerkriminalität, die Aushöhlung der Sozialwerke und die Bildung islamischer Parallelgesellschaften. Als Gegenmassnahme verlangt sie unter anderem die Revision der Abkommen über die Personenfreizügigkeit und eine Verschärfung des Strafrechts.

Dazu gehört für die SVP die Wiedereinführung kurzer Freiheitsstrafen oder die automatische Ausschaffung bei schweren Straftaten. Für angemessen hält sie aber auch Freiheitsstrafen für 14-Jährige und die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts für Jugendliche ab 16 Jahren.

In einer Resolution "für eine wirkungsvolle Asylpolitik" verlangt die Partei eine konsequente Umsetzung des 2006 revidierten Asylgesetzes. Darüber hinaus fordert die SVP weitere Verschärfungen, etwa bei den Härtefall-Regelungen oder der Beurteilung von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren.
Quelle: SDA/ATS

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BÜRGERPATROUILLE
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Basler Zeitung 2.5.09

Nachts unterwegs mit der Bürgerpatrouille

Birsfelden. Um Randale zu verhindern, patrouillieren in Birsfelden am Abend neuerdings SVP-Politiker. Gegen den Begriff Bürgerwehr sträuben sie sich. Doch Polizei und Gemeindebehörden stehen der Aktion dennoch skeptisch gegenüber. Der BaZ-Reporter hat die Patrouille begleitet. > Seite 32

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"Es ist wahnsinnig ruhig heute Nacht"

 Birsfelden. Unterwegs mit der SVP-Bürgerpatrouille

Lukas Meili

Um Littering, Alkoholmissbrauch und Randale zu vermeiden, patrouillieren in Birsfelden neuerdings SVP-Politiker. Derweil will die Gemeinde das Polizeireglement mit einem Wegweisungsartikel ergänzen und Abfallsünder härter an die Kandare nehmen.

Es ist der Donnerstagabend vor dem 1. Mai, kurz vor Mitternacht. Die Birsfelder Haupt- strasse ist wie ausgestorben. Vereinzelt dröhnen Autos vorbei, und das Zischen der Türen des 3er-Trams hallt durch das verlassene Dorfzentrum. Plötzlich betreten drei dunkle Gestalten die Szenerie. Mit gesenkten Köpfen schlendern sie langsam Richtung Schulhaus. Randale vorprogrammiert? Falsch! Bei den drei handelt es sich nicht um angetrunkene Jugendliche, sondern um die "Einwohnernachtpatrouille", welche die Birsfelder SVP unlängst ins Leben gerufen hat. Unter der Führung von Christian Brechbühl, Vizepräsident der SVP Birsfelden, schaut die Patrouille seit drei Wochen an den Wochenenden im Dorf zum Rechten - und ruft die Polizei, wenn sie Vandalismus oder Gewalt entdeckt. Mit ihm sind an diesem Abend Claudia* und Hanspeter* unterwegs - sie eher zierlich, blond und um die 40, er etwas älter, mit Schnauz, Baseballcap und Lederjacke. Aus Sicherheitsgründen wollen beide anonym bleiben.

"Wir wollen mehr Ruhe und Sicherheit im Dorf", sagt Brechbühl, und die anderen beiden nicken. Seit fünf Jahren habe sich die Situation massiv verschlimmert, doch die Polizei mache zu wenig. "Deshalb sind wir selber aktiv geworden und haben dafür bis jetzt nur positive Rückmeldungen bekommen."

Dass man in Birsfelden Probleme mit Jugendgewalt hat, bestreitet Gemeindepräsident Claudio Botti (CVP) nicht. Der SVP-Patrouille steht er aber skeptisch gegenüber. Erst vor wenigen Tagen hatte sich die Gemeinde zusammen mit der Baselbieter Sicherheitsdirektorin Sabine Pegoraro, dem Polizeikommandanten und betroffenen Einwohnern an einen runden Tisch gesetzt. Dort hatten sich Botti und Pegoraro "klar gegen Bürgerwehren" ausgesprochen, wie aus einer Mitteilung hervorgeht.

Konflikt. Ähnlich klingt es auch bei der Baselbieter Polizei, die allerdings bestreitet, in Birsfelden zu wenig präsent zu sein. Für private Bürgerpatrouillen hat man wenig übrig. "Wer meint, selber polizeilich aktiv werden zu müssen, kommt stets in Konflikt mit dem Gesetz und kann sich zudem selbst in Gefahr bringen." Bei der SVP sträubt man sich indessen gegen die Bezeichnung "Bürgerwehr". "Wenn wir auffällige Jugendliche entdecken, dann beobachten wir sie aus der Ferne - so, dass sie selber uns gar nicht sehen. Und falls ein Delikt passiert, rufen wir die Polizei", sagt Brechbühl. Bis jetzt sei es aber "gottseidank" noch nie so weit gekommen. Gemeindepräsident Botti hat trotzdem Bedenken: "Wenn man den Jugendlichen zu nahe kommt, wird das möglicherweise schon als Drohgebärde wahrgenommen. Was passiert, wenn die Sache eskaliert?" Auch an diesem Abend kommt es zu keinem Zwischenfall. Birsfelden ist wie ausgestorben. Schulhausplatz, Migros, Sternenfeld: Gähnende Leere. "Es ist wahnsinnig ruhig heute", sagt Brechbühl. Claudia und Hanspeter stimmen zu.

Der Gemeinderat versucht dem Problem derweil mit anderen Mitteln Herr zu werden. Laut Botti will man einen Wegweisungsartikel ins Polizeireglement aufnehmen und die Bussgelder für Littering erhöhen. Zudem überlegt man sich, ob man wieder einen Streetworker anstellen und mehr Plätze für Jugendliche einrichten soll. Für Botti steht fest: "Mit Polemik lassen sich die Probleme nicht lösen" - damit meint er das medienorientierte Auftreten der SVP.

* Namen der Redaktion bekannt

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BKW
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BZ 1.5.09

BKW-Generalversammlung

Proteste gegen Kohlekraftwerk

Der gestrigen Generalversammlung der BKW gingen eine unrühmliche Preisübergabe und eine kleine Demo voraus.

Die BKW-Generalversammlung fand in einer BEA-Halle statt. Aber vorher kam es am Viktoriaplatz, am Hauptsitz des Energiekonzerns, zu einem kleinen Menschenauflauf. Die "Erklärung von Bern" und Greenpeace hatten mit Samuel Leupold noch eine Rechnung offen. Sie wollten dem BKW-Geschäftsleitungsmitglied und Leiter des Bereichs "Energie international und Handel" endlich den Public Eye-Award überreichen. Die im Februar geplante Übergabe des Schmähpreises war geplatzt - aus Termingründen, wie Leupold gestern sagte. Damit korrigierte er den Eindruck, er habe den Preis verschmäht.

Ehre ist mit dem Award keine verbunden, sondern viel Kritik: "Sämtliche Bemühungen, eine Reduktion der CO2-Emissionen zu erreichen, werden torpediert", sagte Rapper Greis, der den Preis überreichte. Er bezog sich auf die Absicht der BKW, sich mit 25 Prozent am Bau eines neuen Kohlekraftwerks in Dörpen zu beteiligen. Nach der Preisübergabe stellten sich die Kritiker vor der BEA-Halle auf. Sie liessen die Aktionäre an einem riesigen Monster namens "Kohlosaurus" vorbeiziehen und wollten so auf die ihrer Meinung nach veraltete Technologie hinzuweisen.

An der GV betonten die BKW-Verantwortlichen, der Konzern wolle die CO2-freie Produktion "stark ausbauen". Von einem Greenpeace-Mitglied darauf angesprochen, bestätigte Leupold aber, dass das geplante Kohlekraftwerke pro Jahr einen Sechstel der gesamten schweizerischen Emissionen verursachen werde. Trotzdem trage es zur Reduktion bei, erklärte er: Dank neuer Anlagen würden ineffiziente schmutzige Anlagen "mit Marktmechanismen verdrängt".

Die GV stimmte einer Dividendenauszahlung von Fr. 2.30 pro Aktie zu und wählte Hartmut Geldmacher in den Verwaltungsrat.
sgs

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Bund 1.5.09

Verzicht auf weitere Kohlekraftwerke

BKW Energie AG hält an zwei Kohlekraftprojekten und am Gaskraftwerk Utzenstorf fest, will aber sonst CO2-frei produzieren

Eine Demonstration vor dem Hauptsitz und kritische Fragen von zwei Aktionären: Kohlekraftwerke waren im Rahmen der gestrigen BKW-Generalversammlung erneut ein Thema. Präsident Fritz Kilchenmann ging auf die Voten nicht ein. Aber er kündigte eine Änderung der Strategie an.

Hans Galli

Der Verwaltungsrat der BKW Energie AG habe seine Gesamtstrategie überarbeitet, sagte Verwaltungsratspräsident Fritz Kilchenmann an der gestrigen Generalversammlung. Dabei seien wichtige Entscheide gefallen:

Die BKW werde sich an keinen weiteren Kohlekraftwerkprojekten beteiligen.

An den Minderheitsbeteiligungen an den zwei deutschen Kohlekraftwerkprojekten in Dörpen und Wilhelmshaven werde festgehalten.

Solange die Zukunft der Kernenergie in der Schweiz noch unsicher sei, erwäge die BKW den Bau von Gaskraftwerken im In- und Ausland in beschränktem Umfang. Im Vordergrund stehe das Projekt in Utzenstorf.

Der Verzicht auf weitere Kohlekraftwerke kommt nicht überraschend. Nach dem Protest des Regierungsrates hat die BKW soeben die Mehrheit am Projekt Dörpen im Saarland an den deutschen Energiekonzern Energie Baden-Württemberg (EnBW) abgegeben. Sie behält noch einen Minderheitsanteil von 24,9 Prozent. Dieser sichert ihr eine Stromleistung von 225 Megawatt. Bereits im Bau ist das Kohlekraftwerk in Wilhelmshaven. Dort hält die BKW einen Drittel der Aktien. Dieser Anteil sichert ihr eine Leistung von 240 Megawatt.

 Damit verfügt der Berner Stromkonzern in einigen Jahren bei deutschen Kohlekraftwerken über ein Leistungsangebot von 465 Megawatt. Das ist deutlich über den 355 Megawatt, welche das bestehende Atomkraftwerk Mühleberg erbringt.

"Schmähpreis" überreicht

Angesichts dieser Grössenordnung wäre die BKW wohl bei weiteren Kohlekraftprojekten politisch noch stärker unter Druck geraten, als sie es schon ist. Auch gestern machten die Gegner des Kohlekraftwerks Dörpen ihrem Unmut Luft. Am Morgen um 9 Uhr versammelten sich rund 40 Demonstrierende vor dem BKW-Hauptsitz am Berner Viktoriaplatz. Auf einem Transparent stand: "25 Prozent Beteiligung - 100 Prozent Verantwortung". Unter den Demonstrierenden befanden sich Vertreter der Bürgerbewegung aus Dörpen, der Grünen sowie von Greenpeace. Sie verwickelten BKW-Produktionschef Samuel Leupold in eine hitzige Diskussion. Rapper Greis übergab Leupold den "Schmähpreis", welche die Organisation Public Eye der BKW während des Weltwirtschaftsforums in Davos verliehen hatte. Leupold bedankte sich und wendete ein, auch bei einem Rap-Konzert werde Strom benötigt.

Hoher CO2 -Ausstoss

An der Generalversammlung in den BEA-Hallen meldeten sich zwei Vertreter der Demonstranten als Aktionäre zu Wort. Thomas Mathys aus Bern kritisierte den CO2-Ausstoss der beiden geplanten Kohlekraftwerke. Die Anteile der BKW an den Projekten Dörpen und Wilhelmshaven entsprächen einem CO2-Ausstoss von 3 Millionen Tonnen pro Jahr. Das seien 6 Prozent des heutigen CO2-Ausstosses der Schweiz von 52 Millionen Tonnen pro Jahr. BKW-Produktionschef Leupold bestätigte diese Zahlen. Trotzdem reduziere sich der CO2-Ausstoss in Deutschland. Denn anstelle des neuen Kraftwerks werde ein altes mit einer höheren CO2-Produktion stillgelegt.

Leupold räumte allerdings ein, es gebe keinen Vertrag, dass ein bestimmtes Kohlekraftwerk anstelle der neuen abgestellt werde. Es handle sich vielmehr um einen unabhängigen Prozess, da viele Kraftwerke ihre Altersgrenze erreicht hätten. Er bestätigte auch, dass die Einlagerung (Sequestrierung) des CO2 heute noch nicht möglich sei. Die entsprechende Technik werde erst in 10 bis 20 Jahren zur Verfügung stehen.

Inge Stemmer aus Dörpen stellte eine ganze Anzahl von Fragen, was bei einigen Aktionären Unmut auslöste. Unter anderem kritisierte sie, dass das Kohlekraftwerk Dörpen neben CO2 auch verschiedene Schwermetalle ausstossen werde. Sie wolle wissen, ob die BKW für die Gesundheit der Menschen in der Umgebung des geplanten Werkes garantieren könnte.

Es werde alles Menschenmögliche unternommen, um gesundheitliche Schäden zu vermeiden, sagte Verwaltungsratspräsident Kilchenmann. Auf die übrigen Fragen gehe er nicht ein. Sie zeugten erstens von einer einseitigen Optik und zweitens sei neu die EnBW in Dörpen federführend. Die Kritiker müssten sich an diese Gesellschaft sowie an die deutschen Politiker wenden. Kilchenmanns Aussage wurde mit Applaus bedacht.

Festhalten an Mühleberg

Neben den beiden Kohlekraftwerken und dem Gaskraftwerk Utzenstorf hält die BKW auch am Bau eines neuen Atomkraftwerks in Mühleberg fest. Das Projekt ist aber nicht nur politisch gefährdet, sondern es steht weiterhin auch in Konkurrenz zu den Projekten der Atel in Gösgen und jenem der Axpo in Beznau. Der Branche ist klar, dass sie sich auf zwei Standorte einigen muss. Doch laut Kilchenmann ist klar, dass die neuen Werke dort gebaut werden, wo die alten zuerst stillgelegt werden: "Das sind die Standorte Mühleberg und Beznau." Aber die Atel hat als Erste ein Gesuch um Rahmenbewilligung für ein neues AKW Gösgen eingereicht - Axpo und BKW kamen später.

Erneuerbare Energien

Neben den Grosskraftwerken investiert die BKW auch verstärkt in erneuerbare Energien. Die Tochtergesellschaft Sol-E Suisse bezeichnet sich als führend bei Wind- und Fotovoltaik in der Schweiz. Gegenwärtig bearbeitet sie 200 neue Projekte. Dazu zählen Windkraftwerke im Jura, Solarkraftwerke,Biogasanlagen sowie Kleinwasserkraftwerke. Die gleichen Organisationen, welche gegen Kohlekraftwerke protestierten, reichten auch regelmässig Einsprachen gegen Wasserkraftwerke ein, sagte Kilchenmann. Mehrere Windkraftwerke plant die BKW auch in Deutschland.

Die Generalversammlung hiess die um 40 Rappen auf Fr. 2.30 gekürzte Dividende gut. Hartmut Geldmacher, Konzernleitungsmitglied von Eon, wurde neu in den Verwaltungsrat gewählt.

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Berner Rundschau 1.5.09

"Dörpen"-Aktivisten dabei

Generalversammlung der BKW Energie AG

Gegner des von der BKW Energie AG im norddeutschen Dörpen geplanten Steinkohlekraftwerkes stellten gestern an der Generalversammlung unangenehme Fragen. Darauf erhielten sie vom Verwaltungsratspräsidenten Fritz Kilchenmann nur allgemeine Antworten. Für diese Zurückhaltung erntete Kilchenmann jedoch spontan Applaus aus den Reihen der Aktionäre. Gemäss Strategie will die BKW die CO 2-freie Stromproduktion stark ausbauen. In den nächsten fünf Jahren sind Investitionen in Produktionsanlagen von über 2 Milliarden Franken geplant. (uz) Seite 21

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Geldmacher gewählt

An der Generalversammlung der BKW Energie AG beteiligten sich 1302 der rund 7000 Aktionäre. Sie repräsentierten 84,56 Prozent der stimmberechtigten Aktien. Die Versammlung genehmigte alle Anträge des Verwaltungsrates problemlos; Gegenstimmen gab es jeweils nur im Promillebereich. Die Dividende beträgt Fr. 2.30 (Vorjahr: Fr. 2.70). Der mit 52,54 Prozent Hauptaktionär Kanton Bern erhält von der gesamten ausgeschütteten Summe von 121,440 Millionen Franken rund 64 Millionen (VJ: rund 75 Millionen). Vom Bilanzgewinn im Umfang von 188,5 Millionen werden 67,1 Millionen auf die neue Rechnung vorgetragen.

 Neuer Verwaltungsrat ist Hartmut Geldmacher (1955), Mitglied des Vorstands und Arbeitsdirektor der E.ON Energie AG München, die an der BKW mit 20,99 Prozent beteiligt ist. Der bis zur ordentlichen Generalversammlung 2011 gewählte Geldmacher ersetzt den erst vor einem Jahr in den VR delegierten, per 3. November 2008 wieder ausgeschiedenen Karl-Michael Fuhr. Zu keinen Diskussionen Anlass gaben verschiedene Statutenänderungen. Diese waren laut Verwaltungsratspräsident Fritz Kilchenmann wegen Gesetzesänderungen notwendig. (uz)

"Dörpen"-Aktivisten sind jetzt Aktionäre

Gegner des im norddeutschen Dörpen geplanten Steinkohlekraftwerks machten gestern an der Generalversammlung der BKW Energie AG gleich mehrfach auf ihr Anliegen aufmerksam. Vor dem Versammlungslokal BEA demonstrierten sie mit Spruchbändern und dem "Kohlosaurus" dagegen, dass die BKW das Kraftwerk nicht aufgibt, sondern immer noch mit 24,9 Prozent daran beteiligt ist. 75,1 Prozent der Beteiligung an der Projektgesellschaft STKW Energie Dörpen GmbH verkaufte die BKW im März an die deutsche EnBW Energie Baden-Württemberg AG (wir berichteten). An der Versammlung meldeten sich die Aktivisten und BKW-Aktionäre Thomas Mathis (Greenpeace Region Bern) und namens der Bürgerinitiative Dörpen Saubere Energie Inge Stemmer (rote Jacke) zu Wort. Mathis wollte wissen, ob es stimme, dass die beiden deutschen Kohlekraftwerke mit BKW-Beteiligung (Wilhelmshafen und Dörpen) nach ihrer Produktionsaufnahme einen CO 2-Ausstoss von jährlich drei Millionen Tonnen verursachten. Das entspreche sechs Prozent der gesamten CO 2-Produktion der Schweiz. BKW-Verwaltungsratspräsident Fritz Kilchenmann und Samuel Leupold, Leiter Energie International und Handel, bestätigten die Menge. Sie verwiesen jedoch darauf, dass im Gegenzug auch "die Stilllegung veralteter deutscher Kohlekraftwerke eine Tatsache ist". Weil Deutschland den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen habe und alte Kohlekraftwerke vom Netz nehme, stehe das Nachbarland vor doppelten Problemen.

 Inge Stemmer wollte von den BKW-Oberen Namen von Kraftwerken hören, welche die Produktion einstellten. "Und können sie eine gesundheitliche Gefährdung der Bevölkerung im Emsland ausschliessen?", fragte Stemmer und meinte, dass neben CO 2 auch Schwermetalle und weitere Gifte in die Umwelt geraten würden. In einem Interview habe sie gelesen, dass die BKW 75,1 Prozent am Werk Dörpen verkauft habe, weil sie so keine Verluste einfahre. Stemmer: "Das mag stimmen, Verluste erleidet aber die Emsländer Bevölkerung, etwa durch sinkende Liegenschaftspreise." Kilchenmann zeigte wenig Begeisterung, auf die Fragen und Vorwürfe näher einzugehen. Dafür erntete er prompt Applaus aus den Reihen der Aktionärsversammlung. Kilchenmann: "Bei jedem grossen Projekt gibt es Gegner. Wir tragen die Verantwortung im Rahmen des Menschenmöglichen. Das gilt auch bezüglich der gesundheitlichen Gefährdung der Emsländer Bevölkerung."

 Einen Erfolg konnten die "Dörpen"-Gegner aber verbuchen: Vorgängig der GV konnten sie im zweiten Anlauf den Ende Januar am Open Forum in Davos der BKW verliehenen "Schmähpreis für besonders krasse Verstösse gegen ethische und nachhaltige Unternehmensführung" der BKW übergeben. Leupold nahm nun den Schmähpreis entgegen, der im Büro von "Dörpen"-Projektleiter Daniel Fischlin landen soll. Laut BKW-Sprecher Antonio Sommavilla klappte der erste Versuch der Preisübergabe Ende Februar aus terminlichen Gründen nicht: "Leupold war im Ausland." Mit der Beteiligung der BKW am Kraftwerk Dörpen habe der Schmähpreis nichts zu tun. "Die bleibt so, wie wir es im März mitgeteilt haben." (uz)

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ANTI-ATOM
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NZZ 2.5.09

Neue AKW-Aufsicht mit mehr Unabhängigkeit

Das ENSI behandelt derzeit die drei Rahmenbewilligungsgesuche

 Das neue Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat soll unabhängiger sein als die Vorgängerinstitution. Derzeit behandelt es auch die drei Gesuche um neue Atomkraftwerke - eines zu viel.

 dsc. Auf Jahresbeginn wurde die "Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen" (HSK) in das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) umgewandelt. Die HSK gehörte dem Bundesamt für Energie (BfE) an. Das ENSI ist hingegen als unabhängige öffentlichrechtliche Anstalt konstituiert. Damit entspricht die Organisation der Überwachung der Atomkraftwerke und nuklearen Forschungseinrichtungen der Norm der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA). Diese verlangt die Unabhängigkeit der Kontrollinstanz von jenem Amt, das für die Energieversorgung zuständig ist (in der Schweiz das BfE). Bei der ENSI-Gründungsfeier am Donnerstag in Baden war unter anderem vom Aargauer Regierungsrat Peter Beyeler zu erfahren, dass diese neue Unabhängigkeit angesichts der anstehenden politischen Diskussionen um nukleare Fragen wichtig ist und nicht nur als Formalität angesehen wird. Sogar der Auszug aus dem HSK-Gebäude beim Paul-Scherrer-Institut in Villigen wird begrüsst, weil das dortige Umfeld offenbar in AKW-kritischen Kreisen negative Assoziationen auslöst. 2010 wird das ENSI in Brugg einen Neubau beziehen.

 Besonders beachtet wird das ENSI derzeit wegen der Behandlung der drei eingereichten Rahmenbewilligungsgesuche für neue AKW. Die Nationalräte Hans Killer (svp., Aargau) und Hans Rutschmann (svp., Zürich) haben parlamentarische Vorstösse eingereicht, damit die Gesuche möglichst rasch behandelt werden. Ausgangspunkt war eine Äusserung von Bundesrat Moritz Leuenberger Anfang Jahr, wonach eine Abstimmung über neue Kernkraftwerke zwischen 2013 und 2015 zu erwarten sei - ein gegenüber anderen Schätzungen des Bundes um etwa zwei Jahre verlängerter Zeithorizont. Für Werner Bühlmann, den Leiter der Abteilung Recht und Sicherheit beim BfE, ist der ursprüngliche Zeitplan mit einer allfälligen Referendumsabstimmung im Jahr 2013 durchaus noch massgebend; allerdings wäre es denkbar, dass das Parlament seinen Entscheid hinauszögert, nachdem 2012 mit der Vorlage des Bundesrates zu rechnen ist. Die jetzigen Prüfungsabläufe der Rahmenbewilligungsgesuche seien zusammen mit der Stromwirtschaft erarbeitet worden, so Bühlmann auf Anfrage. - Das Gesuch für den Standort Gösgen wurde von der Stromfirma Atel (heute Alpiq) letzten Sommer vor dem Zeitpunkt eingereicht, den die Stromfirmen dafür angekündigt hatten, was aber aus organisatorischen Gründen kein Vorziehen des Verfahrens zur Folge hatte. Eine Beschleunigung kann es im Rahmen des Kernenergiegesetzes nach Ansicht vieler nur geben, wenn eines der Gesuche noch in den nächsten Monaten zurückgezogen wird. Tatsächlich ist es das erklärte Ziel der drei Gesuchsteller (Axpo, BKW und Alpiq) sich auf zwei Projekte zu einigen. Entsprechende Verhandlungen laufen bereits seit langem.

 So prüft das ENSI jetzt ein Gesuch zu viel. Dabei geht es noch nicht um die spezifische Reaktorsicherheit, denn nur der Standort und nicht der Typ sind Gegenstand der jetzigen Phase. Im Mittelpunkt stehen nun laut ENSI-Direktor Ulrich Schmocker Fragen rund um den Hochwasserschutz und die Erdbebensicherheit. Geprüft wird, ob die Gesuchsteller von angemessenen Szenarien ausgehen, welche Dammbrüche berücksichtigen und Unwetter einkalkulieren - und dies auch mit Blick auf klimatische Veränderungen, die sich während des Betriebs in den nächsten 80 Jahren ergeben könnten. Es geht zudem um den Umgang mit allfälliger Wasserknappheit, die auch durch Dammbrüche flussabwärts verursacht werden könnte. Bei der Erdbebensicherheit haben Studien gezeigt, dass die Auswirkungen von Ereignissen, die alle 10 000 Jahre erwartet werden (eine Richtgrösse), erheblich schwerer sind als gedacht und in den Auslegungsgrundlagen von bisherigen Anlagen angenommen.

 Die ENSI-Gutachten zu den Kraftwerks-Gesuchen werden Mitte nächsten Jahres erwartet. Bevor dazu ein breites Vernehmlassungsverfahren stattfinden wird, werden Stellungnahmen der ebenfalls neuen Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit (KNS) erfolgen. Diese ist die Nachfolgeorganisation der "Kommission für die Sicherheit von Kernanlagen" und fungiert als Expertengremium des Bundes. Sie gibt - im Gegensatz zur Vorgängerin - keine Stellungnahmen zum Betrieb heutiger Anlagen ab. Neu ist auch der ENSI-Rat, dessen unabhängige Mitglieder vom Bundesrat gewählt werden. Der ENSI-Rat ist der Verwaltungsrat des ENSI, dessen Mitarbeiterzahl beim Bau neuer AKW von derzeit 110 auf rund 150 erhöht werden würde. Das Budget von jährlich rund 40 Millionen Franken wird weitgehend durch Gebühren gedeckt, die unter den AKW-Betreibern erhoben werden.

 Inwieweit kann eine Kontrollinstitution aber in einem kleinen Land wie der Schweiz überhaupt unabhängig sein und damit das Vertrauen der Öffentlichkeit geniessen? - Unter anderem diese Frage griff Bundesrat Moritz Leuenberger in Baden in seiner Ansprache zur ENSI-Gründung auf. Es sei natürlich, dass die Nuklearspezialisten einem engen Zirkel angehörten und sich viele vom Studium oder von früheren Arbeitsplätzen her kennten. Solche Beziehungen seien aber objektiv gesehen kein Indiz für die Befangenheit einer Person, wenn diese in einer Kontroll-Institution eine neue Rolle angenommen habe. Laut Leuenberger gilt es die Unbefangenheit zudem gegen aussen zu demonstrieren, damit auch der Anschein von Befangenheit vermieden wird.

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Beobachter 1.5.09

AKW Mühleberg

Keine Risse in der Schweigemauer

An der Gedenkdemo zum 23. Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl hätten ihm viele Leute gratuliert, sagt AKW-Gegner Jürg Joss: "Alle meinten, wir könnten nun endlich den Sicherheitsbericht zu Mühleberg anschauen." In einem Inserat hatte das Bundesamt für Energie angekündigt, im Verfahren um eine unbefristete Betriebsbewilligung für den 37-jährigen Reaktor dürften nun von den rund 1900 Einsprechern weitere Akten eingesehen werden.

Der Sicherheitsbericht befindet sich jedoch nicht darunter. Es handelt sich lediglich um die Stellungnahmen der Betreiberin BKW und des Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi) zu den Einsprachen. Grundtenor der BKW darin: Die Behauptungen der Einsprecher seien "anmassend und unzutreffend", die Befristung "verfassungswidrig".

"Sabotage- und Terrorgefahr"

Das Ensi schreibt zu den Rissen im Kernmantel - einem von mehreren umstrittenen Punkten -, diese würden "in Tiefenrichtung meist nur bis Blechmitte" wachsen, so dass "keine Durchrisse entstehen". Das Wort "meist" ist dabei wörtlich zu nehmen, wie der Beobachter aufdeckte (Nr. 3): Der tiefste Riss durchdringt die Wand des Kernmantels um mehr als zwei Drittel. Das Ensi selbst hat der BKW deshalb eine Frist bis Ende 2010 gesetzt, um ein neues Konzept für die Instandhaltung des Kernmantels zu erstellen - eine Tatsache, die das Nuklearsicherheitsinspektorat aber in seiner Stellungnahme nur verklausuliert erwähnt.

Der umfassende Sicherheitsbericht wird von der BKW mit dem Hinweis auf eine angebliche Gefahr von Sabotage- und Terrorakten weiterhin unter Verschluss gehalten. Über eine Freigabe muss das Bundesgericht entscheiden.
Thomas Angeli

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BZ 1.5.09

Wie ein Infoabend für die Gegner des Kernkraftwerks Mühleberg zu einer Werbeveranstaltung der BKW wurde.

"Schlimmer als Katholiken und Protestanten"

 Es sollte eine Veranstaltung gegen Atomenergie werden: Am Mittwochabend lud die Ökogruppe Laupen und Umgebung zu einem Informationsabend ein. Zum Thema "Kernkraftwerk Mühleberg - kerngesund?" waren Referate der Atomgegner Jürg Joss und Jürg Aerni angekündigt, darauf folgen sollte eine Fragerunde zur Sicherheit im Kernkraftwerk Mühleberg (KKM). Von den rund 40 Interessierten, die der Einladung in den Gasthof Bären folgten, hatte aber vermutlich niemand damit gerechnet, dass die BKW den Informationsabend dazu nutzen würde, Werbung in eigener Sache zu machen.

Bereits im Foyer vor dem Saal verteilten zwei Herren Broschüren mit dem Titel "Das Kernkraftwerk Mühleberg ist sicher". Eine stattliche Zahl von Experten und Kommunikationsleuten, darunter der KKM-Betriebsleiter Patrick Miazza höchstpersönlich, nahm Platz im Saal. Die Ökogruppe machte gute Miene dazu und begrüsste neben Leuten aus den umliegenden Gemeinden auch die "zahlreichen Vertreter der BKW".

In ihren Referaten legten Joss und Aerni, beide von der Organisation "Fokus Anti Atom", dar, weshalb sie gegen eine unbefristete Betriebsbewilligung des KKM sind. Das Werk würde weder einem Flugzeugabsturz noch einem Erdbeben standhalten, sagte der Physiker Aerni. Der Techniker Joss erhob den Vorwurf, Betreiber und Behörden würden sich gegenseitig decken. Das beste Beispiel dafür sei, dass der Sicherheitsbericht des KKM für die Öffentlichkeit nicht einsehbar sei.

Die Fragerunde, die auf die beiden Referate folgen sollte, geriet zum Schlagabtausch zwischen Betreibern und Gegnern des Kernkraftwerks. Die Experten der BKW kritisierten, dass teilweise Zahlen aus dem Zusammenhang gerissen seien. Das KKM sei sicher, die Vorkehrungen dafür würden laufend angepasst. Betriebsleiter Miazza erklärte, dass der Sicherheitsbericht gemäss Gesetz bei der Behörde eingereicht worden sei. Diese sei zuständig für dessen Veröffentlichung. Überhaupt habe die veränderte Situation seit den Anschlägen im Jahr 2001 überall in der Welt zu zurückhaltender Kommunikation in Sachen Nukleartechnik geführt.

Das Publikum nutzte die Gelegenheit, um konkrete Fragen an die Verantwortlichen der BKW zu richten. Die Organisatoren des Infoabends hatten sich dies wohl nicht so vorgestellt: Sie forderten die KKM-Vertreter mehr als einmal auf, mit ihren Aussagen "nicht so viel Platz einzunehmen".

Die Diskussion sei ja schlimmer als bei den Katholiken und den Protestanten, resümierte alt Grossrat Thomas Koch (SP) aus Laupen, der ebenfalls im Publikum sass. Er anerkannte, dass sich die Verantwortlichen im KKM um Sicherheit bemühten: "Murphy's Law bleibt jedoch der grösste Risikofaktor." Das Gesetz besagt nämlich, dass alles, was schiefgehen kann, auch schiefgehen wird.

Anna Tschannen

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Bund 1.5.09

Atom-Ausstieg bis 2019?

Berner Stadtrat bekräftigt Abkehr von Atomenergie

Der Berner Stadtrat hat gestern Abend seinen Fahrplan für den Atom-Ausstieg festgelegt. Die Zielvorgabe bis 2019, wie vom GB gefordert, unterstützte der Rat nur in der unverbindlichen Postulatsform.

Daniel Vonlanthen

Die Ausgangslage ist nicht vorteilhaft: Fürs letzte Jahr vermeldete Energie Wasser Bern (EWB) eine Zunahme des Stromverbrauchs um fast drei Prozent auf 1054 Gigawattstunden. Kaum ein Drittel der städtischen Elektrizität stammt aus erneuerbarer Energie, zum Beispiel aus Wasserkraft. Die GB/JA-Fraktion macht seit einiger Zeit mit Vorstössen Druck für die Energiewende; zudem ist eine Volksinitiative hängig.

"In Deutschland entstehen derzeit mehr Arbeitsplätze im Energiebereich als in der Autoindustrie", gab Natalie Imboden (gb) zu Bedenken. Alle grösseren Städte in der Schweiz investierten in Anlagen für erneuerbare Energie. Imboden warnte: "Die Atomkraft ist ein Klumpenrisiko."

Auch der Chef der Grünliberalen, Michael Köpfli, befürwortet die Abkehr von der Atomkraft: "Sie ist weder wirtschaftlich noch klimaneutral." Allerdings erachtete Köpfli den GB-Fahrplan als zu forsch: Bis 2019, zum Ablauf der Lebensdauer des Kernkraftwerks Gösgen, schaffe Bern den Ausstieg nicht. Der vom EWB vorgegebene Termin bis zum Jahr 2039 sei realistischer. Auch die SP/Juso-Fraktion unterstützte die Zielvorgabe bis 2019 lediglich in Postulatsform.

 Namens GFL/EVP äusserte Peter Künzler Zweifel am Vorgehen, befinde sich doch die EWB-Eigentumsstrategie derzeit in Arbeit. "Es ist nicht sinnvoll, in diesen Prozess mit verbindlichen Vorgaben einzugreifen."

Bürgerliche ablehnend

Die Bürgerlichen lehnten den Vorstoss ab. Peter Bernasconi (svp plus) sagte es kurz und bündig: "Alternative Energien ja, aber Ausstieg aus der Atomenergie nein." Die gesamte Biomasse der Schweiz würde nicht ausreichen, um die Energielücke zu schliessen. Pascal Rub (fdp) fragte: "Weshalb soll EWB teuren Solarstrom kaufen, den die Mehrheit der Verbraucher gar nicht will?" Der Vorstoss sei unnötig. Die BDP/CVP-Fraktion sieht durch den schnellen Ausstieg die Versorgungssicherheit in Gefahr.

EWB werde im Besitz der Stadt bleiben, sagte Gemeinderat Reto Nause (cvp); also werde die Stadt bei der Stromproduktion mitreden. Im Vergleich zu andern Werken stehe EWB beim Strommix gut da. Mit der Stossrichtung zeigte sich Nause einverstanden, allerdings nicht mit dem vorgegebenen Ausstiegstermin: "EWB kann sich keinen Knall-auf-Fall-Ausstieg und Sololauf leisten."

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BZ 1.5.09

Zögerlich gegen Atomstrom

EWB soll eine Zukunft ohne Atomstrom anstreben. Der Stadtrat erteilte gestern hauchdünn einen entsprechenden Auftrag.

Was die Stadt Zürich schon eingeleitet hat, danach strebt auch Bern: nach einer Energiewende. Die Zürcher Stimmbevölkerung votierte Ende November mit über 76 Prozent Ja-Stimmen für den Ausstieg aus der Atomenergie innerhalb von etwas mehr als 30 Jahren. Exakt zum selben Zeitpunkt wurde in der Stadt Bern die Volksinitiative EnergiewendeBern eingereicht. Sie fordert einen Ausstieg aus der Atomenergie innert 20 Jahren. Im Stadtrat sollte die Energiewende gestern schon Tatsache werden. Anlass dazu bot eine Motion von Natalie Imboden vom Grünen Bündnis.

Das Bekenntnis zum Ausstieg blieb aber halbherzig. Der Auftrag, den schrittweisen Ausstieg in die Eigentümerstrategie zu übernehmen, wurde nur als Postulat überwiesen. In der verbindlichen Form als Motion überwies der Stadtrat dagegen den Punkt, der städtische Energieversorger Energie Wasser Bern (EWB) habe sich neu auszurichten. Dies gelang nur dank Stichentscheid des Stadtratsvizepräsidenten Urs Frieden (GB), der den Präsidenten Ueli Haudenschild (FDP) vertrat. Die verstärkte Zusammenarbeit mit anderen Stadtwerken lehnte das Stadtparlament knapp ab.

Eignerstrategie im Juni

Das etwas eigenartige Signal kam zu Stande, weil der Gemeinderat empfahl, die in Ausarbeitung begriffene Eignerstrategie zu EWB abzuwarten. Er kündigte sie für Juni 2009 an. Energiedirektor Reto Nause (CVP) verwies auf den EWB-Chef Daniel Schafer, der selber einen Ausstieg bis 2039 für möglich hält. Dann geht das Atomkraftwerk Gösgen, eine von zwei stadtbernischen Atomstrom-Quellen, vom Netz.

Motionärin Imboden wies darauf hin, dass die Gemeindeordnung ihr Anliegen schon enthalte, bis jetzt fehlten aber konkrete Umsetzungsschritte. "Wir müssen nicht den Ausstieg am heutigen Tag beschliessen, sondern den Einstieg in den Ausstieg", sagte sie. Denn Atomkraft sei ein Risiko und die Energiezukunft erneuerbar. Die Technologien seien vorhanden, und andere Schweizer Städte investierten in diese Richtung. "Bern darf hier den Anschluss nicht verpassen", sagte sie.

"Weichen jetzt stellen"

Unterstützung erfuhr sie von den Sprechern der Grünliberalen (GLP) und der SP. Michael Köpfli (GLP) rief auf: "Die politischen Weichen müssen jetzt gestellt werden." Auch auf der kantonalen Ebene gehe das in Ausarbeitung begriffene Energiegesetz in diese Richtung. Denn Atomkraft sei weder ökonomisch noch ökologisch. Leyla Gül (SP) wies darauf hin, dass noch 66 Prozent des Stadtberner Stromverbrauchs aus nicht erneuerbaren Quellen stamme. Das müsse sich ändern.

Die GFL/EVP folgte dem gemeinderätlichen Kurs und wollten den Vorstoss nur als Postulat unterstützen. BDP/CVP, FDP und SVP lehnten die Motion ab.

"Bevormundung"

Pascal Rub (FDP) betonte, dass zwei Drittel der EWB-Kunden das günstigste Stromprodukt einkauften, also im Wesentlichen Atomstrom. Nur ein Drittel sei bereit, etwas mehr für Strom aus erneuerbaren Quellen zu bezahlen. Sobald die Nachfrage steige, werde EWB das Angebot schon schaffen: "Hört auf, die Bevölkerung zu bevormunden", sagte er. Peter Bernasconi (SVP) zeigte auf, dass trotz Steigerung der Energieeffizienz momentan der Energieverbrauch steige, im vergangenen Jahr über 2 Prozent. Er sehe nicht, wie der Atomstrom in den nächsten Jahren zu ersetzen sei. Die Zielsetzung sei zu ehrgeizig.

Die Behandlung zweier weiterer Energievorstösse, unter anderem zur Beteiligung am Atomkraftwerk Fessenheim, verschob das Parlament. Sie sollen beraten werden, wenn die Eignerstrategie zu EWB vorliegt.
cab


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Regionaljournal DRS Bern 1.5.09

Bern gegen einen schnellen Ausstieg aus dem Atomstrom bis 2019 (1:58)
http://real.xobix.ch/ramgen/srdrs/regibern/2009/rbe7v701052009.rm?start=00:01:10.400&end=00:03:08.788

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Aargauer Zeitung 1.5.09

Atomaufsicht feiert Unabhängigkeit

Gründungsfeier des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi) im Badener Trafo

Die Aufsichtsbehörde des Bundes ist jetzt eine öffentlich-rechtliche Anstalt wie die Suva. Zentrales Thema der Gründungsfeier war die Unabhängigkeit. Denn das Ensi überwacht die Sicherheit der Atomkraftwerke, des Zwilag und urteilt über neue Atomanlagen.

Hans Lüthi

Was im Land irgendwie mit Atom zu tun hat › in Forschung, Politik und Industrie › war unter den 350 Gästen vertreten, die Behörden aus den AKW-Standorten inbegriffen. Mit der Gründungsfeier läutete das Ensi eine neue Ära ein. Die neue Aufsichtsbehörde ist nicht mehr im Bundesamt für Energie angesiedelt, womit sich Konflikte vermeiden lassen. Sie kann die Abschaltung eines Atomkraftwerks verfügen, auch wenn das Land den Strom noch so dringend brauchen könnte und die Axpo die Millionensummen. Der Wechsel weg vom PSI-Kuchen nach Brugg unterstreicht die neue Ensi-Unabhängigkeit.

Staat muss für die Sicherheit sorgen

Eine höchstmögliche Sicherheit zog wie ein roter Faden durch alle Reden. Dazu Bundesrat Moritz Leuenberger: "Das ist ein weiterer Schritt auf dem langen Weg, die Sicherheit der KKW zu optimieren › eine absolute Sichereit gibt es nicht." Für die verantwortbare Sicherheit müsse der Staat sorgen. Mit der Stromknappheit nehme die Akzeptanz für Atomkraftwerke wieder zu.

 "Das Ensi ist ein Glücksfall für die Schweiz, es hat die Autorität und Kompetenz zum Handeln", betonte Werner Burkart, stellvertretender Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Agentur in Wien (IAEA). Ähnliche Wünsche haben die Beaufsichtigten selber auch: "Wir erwarten eine hohe fachliche Kompetenz, Unabhängigkeit von der Politik und Transparenz", sagt Peter Hirt, Präsident von Swissnuclear.

Neue Bundesanstalt für den Aargau

Für die Aargauer Regierung ist der Schritt zum Ensi richtig, eine Forderung der IAEA und des Kernenergiegesetzes werde damit erfüllt, so Regierungsrat Peter C. Beyeler. Der wichtigste Schweizer Energiekanton mit drei AKW erhalte damit eine veritable Bundesanstalt. Das sei auch mit dem Nachteil verbunden, dass unser Kanton bei neuen Grabenkämpfen um die Zukunft der Kernenergie erneut im Fokus stehe. Professor und Sozialwissenschafter Otwin Renn aus Stuttgart stuft die weltweite Energiesituation als dramatisch ein. "Solar und AKW müssen jetzt die nachfossile Zeit einläuten."

 Ein Podium forderte von Ensi-Direktor Ulrich Schmocker eine stets offene, ehrliche Information › "nicht nur für Fachleute, sondern auch für die Bevölkerung". Das schaffe Vertrauen und führe zur nötigen Akzeptanz des Risikos.