MEDIENSPIEGEL 20.5.09
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Kino, GH)
- Progr: Sanierung kommt, Finanzfragen auch
- Bonsoir Al-Kraida 2009
- Rabe-Info 15.-19.5.09
- Zbinden-Bashing vor Obergericht
- Bettelverbot Season 2009
- Privatpatrouillen Thun
- Razzia bei Dealerszene BE
- Risiko Tränengas
- Antira-Cup Soletta
- ZH will Taser + Co.
- Heroinabgabe auch ab 2010
- Sempach: Juso vs Neonazis; Pnos Langenthal
- Neonazis BRD: Zunahme Gewalt; Rolle der Frauen; Musik
- Stadtrat 30.4.09: Securitas-Spitzel; Wegweisungen; Pinto

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REITSCHULE
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Mi 20.05.09
19.00 Uhr - SousLePont   - Dominikanische Republik Spezialitäten
20.30 Uhr - Tojo - Das Orchester von Jean Anouilh. Berner StudentInnentheater
23.00 Uhr - Dachstock - Groovebox: Marek Hemmann (live) (freude am tanzen/de), Simon Stokes (live) (Minibus,Sleaze/uk); Berybeat (live) (festmacher/be), Brian Python (festmacher/be) -- minimal/techno/house

Do 21.05.09
20.00 Uhr - Frauenraum - HINTERHOF-LOUNGE
20.30 Uhr - Tojo - Das Orchester von Jean Anouilh. Berner StudentInnentheater
20.30 Uhr - Kino - UNCUT: Hue-Die - Butterfly, Yan Yan Mak, Hongkong 2004

Fr 22.05.09
20.30 Uhr - Tojo - Das Orchester von Jean Anouilh. Berner StudentInnentheater
21.00 Uhr - Kino - Cuba si - Yankees no! Lista de espera. Juan Carlos Tabío, Kuba/Spanien/F/Mexiko/D 2000
22.00 Uhr - SousLePont - Blind Pilots (CH, Acustic Rock), Mnevis (CH, Jam Band)
21.00 Uhr - Frauenraum - TanzBar. Gesellschaftstänze & Disco. MIT CRASHKURS ab 19.15 Uhr

Sa 23.05.09
20.30 Uhr - Tojo - Das Orchester von Jean Anouilh. Berner StudentInnentheater
20.30 Uhr - Kino - Cuba si - Yankees no! La reina del condón. Silvana Ceschi , Reto Stamm, Schweiz 2007. In Anwesenheit von Silvana Ceschi
23.00 Uhr - Frauenraum - ANKLANG - die Erste: Elektroparty für das schwul-lesbische-heterogene Partyvolk
23.00 Uhr - Dachstock - Diskoquake: DJ Kaos & Khan "Disco Circus Tour" (Kitsune/K7/de), DJ Plastique de Reve (DFA/ch/de) -- disko/electro/

So 24.05.09
18.00 Uhr - Rössli-Bar - Piano-Bar
19.00 Uhr - Tojo - Das Orchester von Jean Anouilh. Berner StudentInnentheater

Infos: www.reitschule.ch

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Kulturagenda.be 21.5.09

"La reina del condón" im Kino in der Reitschule

Der einfühlsame Dokumentarfilm "Die Königin der Kondome" erzählt die Geschichte von Monika Krause. Die Liebe zu einem kubanischen Kapitän führte die Ostdeutsche in den 60er-Jahren nach Kuba, wo sie zur staatlichen Sexualaufklärerin wurde und sich für die Rechte der Frauen und der Homosexuellen einsetzte. Koregisseurin Silvana Ceschi wird bei der Vorführung am 23. Mai anwesend sein.

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"Life Games" mit der Jungen Bühne in der Reitschule

Im Zeitalter der kollektiven Massenbesäufnisse ist es lobenswert, wenn sich junge Menschen auf eine andere Weise mit Alkohol befassen. Im Tanztheater "Life Games" thematisiert die Junge Bühne die Konsum- und Suchtproblematik und zeigt auf, was es bedeutet, heute jung zu sein.
Grosse Halle, Reitschule, Bern. Mi., 27.5., Do., 28.5., und Fr., 29.5., 19.30 Uhr

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Bund 18.5.09

Film mit Musik: "Cowards bend the knee"

Film aus dem Guckloch

Der Regisseur Guy Maddin wird immer wieder mit dem frühen David Lynch verglichen, denn ins Mainstreamkino gehört der 1956 geborene Kanadier definitiv nicht.Zum einen ist Maddins Filmen ein Hang zum Bizarren und Skurrilen eigen, zum anderen zeichnet sich sein Werk dadurch aus, dass es den Stil und die Ästhetik von Stummfilm und frühen Tonfilmen nachbildet. "Cowards Bend the Knee" von 2003 ist ein Stummfilm, dessen zehn Kapitel ursprünglich für eine Peep-Show-artige Installation geschaffen wurden. Fünf Musiker - Michael Thieke, Hans Koch, Paed Conca, Burkhard Beins und Luca Ventuci - vertonen den Film in zwei wechselnden Besetzungen. (kul)

Kino in der Reitschule, heute Montag, 21 Uhr.

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PROGR
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BZ 20.5.09

Progr

So wird saniert

Der Progr geht an die Umsetzung des Projekts. Die Gebäudesanierung wird in Etappen und bei laufendem Betrieb geschehen.

Der Fahrplan für den vom Volk angenommenen Progr in Bern sieht etwa wie folgt aus: Nach der Gründung der Trägerstiftung nimmt diese die Umwandlung der Absichtserklärungen in Darlehensverträge an die Hand. In den nächsten Wochen wird der Baurechtsvertrag mit der Stadt unterzeichnet. Günther Ketterer, der das Finanzierungskonzept für den Progr erstellte und im Stiftungsrat Einsitz nimmt, geht davon aus, dass nach der Übernahme des Gebäudes am 1.August das Baubewilligungsverfahren beginnt. Auf diesen Zeitpunkt wird auch der Kaufpreis von 2,4 Millionen Franken fällig. Im Gegensatz zum Siegerprojekt "Doppelpunkt" soll die Sanierung statt über 13 Millionen nur 8 Millionen Franken kosten.

Nächstes Jahr

"Bis Ende Jahr ändert sich im Progr selber sicher nichts", sagt Ketterer. 2010 würden voraussichtlich erste Sanierungsarbeiten erledigt. Die Ateliers würden jederzeit verwendbar bleiben, denn innen werde kaum etwas gemacht. Die Sandsteinfassade wird flügelweise saniert und auch die Arbeiten am Dach tangieren den Betrieb nicht. Hingegen werde wohl während deren Umbau die Café Bar Turnhalle geschlossen bleiben. Die Mieten für die Ateliers blieben ebenfalls bis auf weiteres auf dem heutigen Stand. Eventuell würden sie im Verlauf der Sanierung schrittweise angehoben.

Sponsoren suchen

"Bleibt es beim heutigen Finanzierungsmodell, beträgt die Erhöhung gegenüber heute 30 Prozent", sagt Peter Aerschmann, Initiant der Künstlerinitiative. Doch er will nun die Suche nach Sponsoren intensivieren. Die zentrale Lage und das Produkt machten den Progr zu einer guten Adresse, ist er überzeugt. Zu Hansjürg Wyss kann Aerschmann nichts Neues sagen, ausser, dass er einer der 120 Geldgeber für den Progr ist. Weitere Zusicherungen habe der bekannte Mäzen nicht gemacht. Aerschmann hofft auch darauf, dass öffentliche Institutionen im Progr Ateliers für Stipendiengewinner mieten.
cab

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Bund 19.5.09

Progr: Zusammenhalt wird auf die Probe gestellt

Stadt Bern Die Progr-Abstimmung gibt auch nach dem klaren Ja zur Künstlerinitiative zu reden. Der Fachverband SIA fordert Entschädigung für das Projekt "Doppelpunkt". Noch ist unklar, ob eine Beschwerde gegen die Abstimmung eingereicht wird.

Nach dem Freudentaumel kündigen sich auch in der Kulturszene Schwierigkeiten an: In den nächsten Monaten werde der Zusammenhalt hart geprüft, warnt Christian Pauli, Koleiter der Dampfzentrale: "Ein ätzendes Gerangel kann nur vermieden werden, wenn die Progr-Leute rasch und offen skizzieren, wie sie ihr Provisorium definitiv einrichten wollen." (jäg)

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Der Progr lasse sich ohne Weiteres mit den budgetierten acht Millionen Franken sanieren, sagt die Stiftung Progr

"Das Haus ist unglaublich solide"

Wie viel kostet die Sanierung des Progr in Bern? Die "Doppelpunkt"-Planer bezifferten die Minimalinvestitionen auf 13 Millionen Franken. Die Stiftung Progr hat fünf Millionen weniger budgetiert.

Ruedi Kunz

Acht Millionen für die Sanierung des ehemaligen Progymnasiums: Im Vorfeld der Abstimmung wurden erhebliche Zweifel geäussert, ob diese Summe reicht, um das denkmalgeschützte Gebäude auf Vordermann zu bringen. 13 Millionen seien notwendig, um das Haus einigermassen instand zu stellen, erklärten die "Doppelpunkt"-Planer noch letzte Woche.

Günther Ketterer, Finanzchef der Stiftung Progr, entgegnet auf Anfrage: "Wir sanieren nur, was dringend notwendig ist." Zudem liessen sich die Kosten tiefer halten, "weil das Haus für den Eigengebrauch bestimmt ist". Architekt Viktor Hirsig erinnert daran, dass "85 Prozent der Baukosten auf konkreten Offerten basieren". Er hat das weitläufige Haus im Auftrag der Künstlerinitiative Pro Progr vom Keller bis auf den Dachgiebel unter die Lupe genommen. Dies, nachdem der Stadtrat den Progr-Künstlern die Möglichkeit gegeben hatte, nachträglich einen Finanzierungsnachweis und ein Nutzungskonzept für das Kulturzentrum vorzulegen.

Hirsig blättert in einem Papierstapel, in dem die Baukosten fein säuberlich aufgelistet sind. Für die Restauration der Sandsteinfassaden beispielsweise sind 2,8 Millionen Franken veranschlagt worden. Die Dachsanierung verschlingt rund 1,4 Millionen Franken - wovon allein das neue Ziegeldach mit 800000 Franken zu Buche schlägt. "Beim Dach und der Fassade haben wir vorsichtig kalkuliert", kommentiert Hirsig die beiden grössten Ausgabeposten. Will heissen: Es sind Reserven vorgesehen für Unvorhergesehenes. Angst vor Leichen im Keller? Hirsig verneint: "Das Haus ist unglaublich solide."

Äusserlich wird der Progr nach der Sanierung ein neues Gesicht tragen. Im Innenbereich sind die Veränderungen viel marginaler. Anders als bei "Doppelpunkt" verzichten die Kulturschaffenden auf eine umfassende Erneuerung der elektrischen Installationen und sanitären Einrichtungen. Hirsig: "Wir ersetzen nur, was in schlechtem Zustand ist oder wegen gesetzlichen Auflagen erneuert werden muss."

Bedeutend tiefer als bei "Doppelpunkt" fallen die Kostenstellen Brandschutz und Innere Oberflächen aus. Den Künstlern kommt entgegen, dass sie nicht sämtliche bestehenden Türen durch Brandschutztüren ersetzen müssen. "Wir können darauf verzichten, weil wir die Korridore nicht nutzen", erläutert Hirsig. Bei den Böden,Wänden und Decken konnte Pro Progr die Kosten bewusst tief halten, weil der Progr nicht fremdvermietet wird.

Kein Kopfzerbrechen mehr macht den Progr-Machern die vieldiskutierte Heizung. Laut Hirsiger müssen nur einige Teile ersetzt werden, damit die Anlage den heutigen Energievorschriften entspricht. Energie Wasser Bern, das die Heizung kenne, habe ihr ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt. Das Energiewerk ist im Rahmen eines "Contracting" bereit, die Anlage zu unterhalten - sofern der Progr für den Strom vier Rappen pro Kilowattstunde mehr bezahlt.

Sanierung in vier Etappen

Die Stiftung Progr hat nach der Übernahme des Zentrums am 1. August 2009 ein Jahr Zeit, um ein Baugesuch einzureichen. Mit der Sanierung des Progrs dürfte nicht vor Ende 2010 begonnen werden. Sie soll in vier Etappen geschehen. Abgeschlossen sein müssen die Arbeiten spätestens Ende 2015. Ist dies nicht der Fall, fällt der Progr in die Hände der Stadt zurück.

Planer, investoren und Kulturveranstalter zur Progr-abstimmung

"Keinen nachhaltigen Schaden"

"Für uns ist der Fall noch nicht ad acta gelegt", sagt Sara Montani, Präsidentin der Sektion Bern des Schweizerischen Ingenieurs- und Architekturvereins (SIA), einen Tag nach dem Abstimmungssieg der Progr-Künstler. Die SIA beklagt, dass der Stadtrat die Wettbewerbsordnung missachtet habe, da dieser die Künstlerinitiative zur Abstimmung zuliess. Für die Beteiligten sei eine Entschädigung fällig. Montani kann der Progr-Abstimmung dennoch eine positive Seite abgewinnen: "Das Wettbewerbswesen ist zum Thema geworden."

Die Beteiligten am Projekt "Doppelpunkt" hätten bereits eine Million Franken in das Projekt investiert, sagt Dieter Baumann-Stucki, Konzeptentwickler von "Doppelpunkt". Da seien neben Allreal die Bauart Architekten und die Konzeptentwickler von Fuhrer Buser Partner, aber auch etliche Fachleute wie Bauphysiker, die nun für ihre Arbeit nicht entschädigt würden.

"Vielleicht besser für Bern"

Doch hat der Investitionsstandort nun nachhaltigen Schaden genommen, da der eigentliche Wettbewerbssieger "Doppelpunkt" den Zuschlag nicht erhielt? Thomas Frutiger, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Investitionsgesellschaft Frutiger, glaubt dies nicht: "Man muss den Fall differenziert betrachten, da es sich um ein besonderes Projekt handelt", meint Frutiger. In einem Planungsprozess müssten alle Teilnehmer dieselben Chancen haben - dass dies beim Progr nicht der Fall gewesen sei, sei ungünstig. "Gerade bei grösseren Projekten werden Investoren die Ausgangslage künftig wohl eingehender analysieren", glaubt Frutiger. Dennoch dürfe man den Progr-Fall nicht verallgemeinern, Bern bleibe ein attraktiver Standort. Aus Sicht der Stadt sei es vielleicht langfristig sogar besser, dass die Künstler den Vorzug erhalten haben.

Und was meinen die Kulturveranstalter dazu, dass der Progr nun bleibt? Es sei in erster Linie positiv, dass die Kulturszene gewonnen habe, meint Philippe Cornu, Chef der Bierhübeli-Betreiberin Appalooza. Und auch Christian Pauli, Ko-Betriebsleiter der Dampfzentrale, freut sich: "Das Ja zum Progr ist ein toller Erfolg für die ganze Berner Kulturszene." Allerdings werde deren Zusammenhalt in den kommenden Monaten auf die Probe gestellt, warnt Pauli. "Mit seinem Standort mitten in der Stadt ist der Progr unschlagbar." Viele Veranstalter würden genau hinschauen, was in den nächsten Jahren passiere. (jäg)

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Bernasconi zögert noch

Peter Bernasconi, Präsident der Stadtberner SVP, zögert noch, ob er Beschwerde gegen das Progr-Abstimmungsresultat einreichen soll. Bereits vor dem Urnengang zur künftigen Progr-Nutzung hat Bernasconi den Stadtratsentscheid, die Künstlerinitiative neben dem Wettbewerbssieger "Doppelpunkt" zur Abstimmung zu bringen, juristisch angefochten. Regierungsstatthalterin Regula Mader lehnte die Beschwerde aber ab.

"Die Lust wäre sehr gross", sagt Bernasconi, "aber wenn man es tut - dann wird man bis vor Bundesgericht gehen müssen", glaubt Bernasconi, da er die Chancen der Beschwerde bei der Regierungsstatthalterin und vor Verwaltungsgericht als gering einschätzt. Der Gang bis vor Bundesgericht sei aber mit Kosten verbunden und die Chancen nicht allzu hoch - "nach so einem Resultat", so Bernasconi. Daher wolle er nun abklären, "wer mit ins Boot kommt".

Die zwei offenen Fragen

"Ich hätte es sein lassen, wenn Frau Mader klarer Stellung genommen hätte", sagt der SVP-Präsident. In zwei Punkten wünsche er sich Klarheit: So möchte er wissen, ob das Parlament nicht übergeordnetes Recht verletzt habe und zweitens, ob die Künstlerinitiative tatsächlich alle Kriterien des Stadtratsbeschlusses eingehalten habe. (jäg)

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BZ 19.5.09

Allreal erwägt Klage

Die beim Progr unterlegene Investorin Allreal klärt ab, ob sie rechtliche Schritte gegen die Stadt unternehmen soll.

"Der Volksentscheid ist zu akzeptieren", sagt Matthias Meier, Sprecher der "Doppelpunkt"-Investorin Allreal. Das Siegerprojekt wurde am Sonntag vom Berner Stimmvolk abgelehnt, das nachträglich zugelassene Konkurrenzprojekt "Pro Progr" dagegen deutlich angenommen. Auf Grund der Vorgeschichte schliesst Meier aber eine Schadenersatzklage nicht aus. Momentan werde abgeklärt, wie hoch die Erfolgsaussichten seien. Allreal müsse damit rechnen, dass Vertragspartner ausstehende Forderungen geltend machten, gab er zu bedenken. Doch finanzielle Überlegungen seien nur die eine Seite der Medaille. Die andere sei der Einsatz für ein verbindliches Wettbewerbswesen.

SIA will mitziehen

Ernst Hauser, Sekretär der SIA-Sektion Bern, lässt keinen Zweifel aufkommen: Die Stadt Bern habe Regeln verletzt. Wenn die Wettbewerbsteilnehmer, insbesondere das Gewinnerteam von "Doppelpunkt", auf Schadenersatz klagen, werde man beratend und ideell zur Seite stehen. Aus eigenem Antrieb werde man aber nicht aktiv, schränkt er ein. Doch der Ärger ist gross beim SIA (Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein): "Wer sagt, dass er einen Wettbewerb nach SIA-Norm 142 durchführt, ist auch daran gebunden", sagt Hauser. Er ist überzeugt, dass das Nichteinhalten der Spielregeln rechtliche Folgen haben kann. Ein Beispiel, in dem der Veranstalter eine Entschädigung bezahlen musste, kann er jedoch nicht nennen.

Hauser hebt den Wert des Wettbewerbswesens hervor: "Die öffentliche Hand erhält so zu einem günstigen Preis eine Auswahl von hervorragenden Vorschlägen." Müsste dasselbe in Aufträgen erarbeitet werden, käme das viel teurer zu stehen, und der Fächer würde nicht so weit geöffnet.

Grössere Zurückhaltung

Hauser kann sich Stadtpräsident Alexander Tschäppäts Meinung nicht anschliessen, der davon ausgeht, dass künftige Wettbewerbe der Stadt keinen Schaden nähmen. Für Hauser ist klar, dass Bewerber das Vorgefallene sehr wohl in ihre Abwägungen einbeziehen werden.

Die SP reichte bereits im März einen Vorstoss ein, der Verbesserungen in der Wettbewerbspraxis der Stadt verlangt.
cab

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20min.ch 18.5.09

Aus für "Doppelpunkt"-Projekt

Kommt Beschwerde gegen Progr-Abstimmung?

Nach der Abstimmung zur Zukunft des Kulturzentrums Progr in der Stadt Bern prüfen sowohl SVP-Präsident Peter Bernasconi wie die Zürcher Firma Allreal das weitere Vorgehen. Eine Abstimmungsbeschwerde wird nicht ausgeschlossen.

Er habe "sehr grosse Lust", eine solche Beschwerde einzureichen, sagte SVP-Präsident Bernasconi auf Anfrage. Zuerst müsse er aber nun einmal die Erfolgschancen prüfen und abklären, ob er von seiner Partei und anderen unterstützt würde, so der derzeit rekonvaleszente Präsident der SVP Stadt Bern.

Allreal werde nun die Faktenlage analysieren und dann entscheiden, entweder die Sache auf sich beruhen zu lassen oder etwas zu unternehmen, so Sprecher Matthias Meier auf Anfrage. Auf die Frage, ob das auch eine Schadenersatzklage sein könne, wollte sich Meier nicht festlegen. Es gebe viele Möglichkeiten.

Wettbewerb gewonnen - und nun verloren

Die Stadtberner Stimmberechtigten gaben am Wochenende in der Alternativabstimmung zum Verkauf des ehemaligen städtischen Progymnasiums am Waisenhausplatz deutlich dem Angebot der heute dort tätigen Künstlerinnen und Künstler den Vorzug. Allreal blieb mit dem Projekt "Doppelpunkt" auf der Strecke.

Es sah eine hauptsächlich kommerzielle Nutzung des Gebäude vor, wollte aber kulturelle Tätigkeiten ermöglichen. Die Zürcher Immobilienfirma war als Siegerin aus einem Wettbewerb der Stadt Bern hervorgegangen. Zur Abstimmung kam es, weil der Berner Stadtrat beschloss, "Doppelpunkt" dem Künstlerprojekt gegenüberzustellen.

Allreal hat laut Meier rund eine Millionen Franken ausgegeben, um das Projekt auszuarbeiten. Es sei möglich, dass Planer nun mit Forderungen auf das Unternehmen zukämen, so Meier.

Bernasconi und die städtische SVP rügten schon im März mit einer Beschwerde den Stadtratsentscheid. Regierungsstatthalterin Regula Mader ging aber nur auf Rügen zur Abstimmungsbotschaft ein und lehnte diese ab. Die Rechtmässigkeit der Abstimmungsvorlage als solcher könne erst nach erfolgter Abstimmung gerügt werden.

Bernasconi sagt nun, aus seiner Sicht blieben zwei Fragen unbeantwortet: Ob das Wettbewerbsrecht verletzt und ob der Stadtratsbeschluss eingehalten worden sei. Um Abstimmungsbeschwerde einzureichen, hat Bernasconi 30 Tage Zeit.
Quelle: SDA/ATS

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Bund 18.5.09

Künstler bleiben im Progr

66 Prozent der Stadtberner Stimmbevölkerung spricht sich für die Künstlerinitiative aus

Das Provisorium wird definitiv: Das ehemalige Progymnasium bleibt ein Kulturzentrum für mehr als 100 Künstler.

Mit einem Ja-Stimmen-Anteil von 66 Prozent sprachen sich die Stadtberner Stimmberechtigten gestern in einer Alternativabstimmung für die Künstlerinitiative "Pro Progr" aus. 45 Prozent der Stimmen entfielen auf das Projekt "Doppelpunkt" der Zürcher Immobilienfirma Allreal. Die Stimmbeteiligung betrug 42 Prozent.

Somit bleibt das ehemalige Progymnasium ein Kulturzentrum. Die Künstler müssen nun der Stadt einen Kaufpreis von 2,4 Mio Franken und jährlich 320000 Franken Baurechtszins entrichten.

Allreal wollte im Progr ein Gesundheits-, Schulungs- und Bürozentrum unterbringen; die ehemalige Turnhalle sollte für kulturelle Anlässe zur Verfügung stehen.

Der Abstimmungskampf wurde von beiden Seiten engagiert geführt. Für Gesprächsstoff sorgte, dass das Parlament das Projekt der Künstler zur Abstimmung zuliess, obwohl der Gemeinderat die künftige Nutzung in einem Wettbewerb bestimmt hatte. Verliererin Allreal fürchtet nun eine Schwächung des Investitionsstandorts Bern.

Bis 2015 müssen die Künstler das Haus sanieren und investieren dafür acht Millionen Franken. Die Sanierung sei sorgfältig vorbereitet, sagt der Initiator der Künstlerinitiative Peter Aerschmann. (srg/sda)Seite 21

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Der Progr bleibt, was er ist

Die Berner Stimmbevölkerung spricht sich für das Kulturzentrum Progr aus - mit deutlichen 66 Prozent

Überraschend klar hat sich die Berner Stimmbevölkerung für die Künstlerinitiative Pro Progr entschieden. Die unterlegenen Parteien und das Komitee "Doppelpunkt" befürchten eine Schwächung des Investitionsstandorts Bern.

Simon Jäggi, Ruedi Kunz

Wer gestern in den Innenhof des Progrs trat, glaubte sich eher an einem Grillfest unter Freunden als an einer politischen Veranstaltung. Die Progr-Künstler haben sich versammelt, um gemeinsam dem Abstimmungsresultat entgegenzufiebern, das über die Zukunft des Kulturzentrums im ehemaligen Progymnasium am Waisenhausplatz entscheidet. Ballons werden aufgeblasen, der Duft frischer Crèpes hängt in der Luft, Bier hält die Kehlen feucht. Manche der Künstler haben in den letzten Wochen mehr Politik als Kunst gemacht - im Innenhof scheint die Anspannung mit Händen greifbar.

Dann schlägt es vier Uhr. In einem Halbkreis hat sich die Menge um einen Radio versammelt, schweigend wartet man auf das Regionaljournal, das das Abstimmungsresultat verkünden wird. Doch Matthias Kuhn, Vorstandsmitglied des Vereins Pro Progr, ist mit dem Velo vom Erlacherhof zum Progr gesprintet - und schneller als das Radio: "66 Prozent für uns", schreit er in den Innenhof. Jubel bricht aus, Sekt und Tränen fliessen. Aus dem Luftschloss, das der Videokünstler Peter Aerschmann (siehe Interview) mit seinem Effort erdacht hat, ist ein längerfristiges Kulturzentrum im Herzen von Bern geworden.

"Ein Experiment"

Im Erlacherhof, an der Pressekonferenz des Gemeinderates, ist die Stimmung aufgeräumter. Stadtpräsident Alexander Tschäppät (sp) kommentiert das deutliche Resultat - das auch eine Niederlage des Gemeinderates ist: "Der Souverän hat überrascht", sagt Tschäppät. Die Stimmbevölkerung habe sich für "ein Experiment" entschieden. Daraus müsse geschlossen werden, dass sie das "Potenzial des Progr erkannt hat" und ihm eine Chance geben wolle. Nun sei es an den Künstlern, den Verpflichtungen nachzukommen und das Haus bis ins Jahr 2015 komplett zu sanieren.

Den Verlierern wand Tschäppät ein Kränzchen: Die "Doppelpunkt"-Initianten hätten sich jederzeit fair verhalten, obwohl sich die Planungsgeschichte nicht in ihrem Sinn entwickelt habe.

Zur Erinnerung: Bis im Herbst 2008 sah es so aus, als könne die Zürcher Generalunternehmerin Allreal das ehemaligen Progymnasium in ein Zentrum für Gesundheit, Bildung und Kultur umwandeln. Dann kam der überraschende Entscheid des Stadtrats, der Künstlerinitiative bis Ende Jahr Zeit zu geben, den Finanzierungsnachweis für das Projekt Pro Progr zu entwickeln. Ein Unterfangen, welches den Künstlern gelang und ihnen gleichzeitig die Tür öffnete, sich an der Urne mit dem Projekt "Doppelpunkt" zu messen.

Finanzdirektorin Barbara Hayoz (fpd) macht aus ihrem Herzen keine Mördergrube. "Ich bedaure es sehr, kann ,Doppelpunkt‘ nicht realisiert werden." Die Stadt sei immer hinter diesem Projekt gestanden. Hayoz gratuliert den Künstlern zu ihrem Erfolg. Gleichzeitig erinnert sie an die Fragezeichen punkto längerfristiger Finanzierung des Progr. Die Stadt werde wachsam sein: "Ich hoffe, die Geldgeber halten Wort." Mit Enttäuschung reagiert freilich auch das Komitee, das sich für das Projekt "Doppelpunkt" engagiert hat (siehe Kasten).

 Der Progr wird am 1. August 2009 an die Stiftung Progr überschrieben. Diese hat danach ein Jahr Zeit, eine Baubewilligung für den Umbau des Gebäudes einzureichen. Im Baurechtsvertrag, der für 30 Jahre gilt, ist weiter festgeschrieben, dass die Sanierung Ende 2015 abgeschlossen sein muss. Ist dies nicht der Fall, fällt das Gebäude automatisch an die Stadt zurück. Das Risiko sei für die Stadt also nicht wahnsinnig gross, so Hayoz.

"Als Partnerin unglaubwürdig"

 Am frühen Abend folgen die Reaktionen der Parteien. Béatrice Stucki, Ko-Präsidentin der SP Stadt Bern, führt das klare Verdikt auf das Wirken der Künstler zurück: "Es ist ihnen gelungen, einen Unort zu beleben und sie haben Veranstaltungen durchgeführt, die eine breite Ausstrahlung haben."

Das Grüne Bündnis (GB) gratuliert der Künstlerinitiative zu ihrem Erfolg und hofft, dass diese "ihre Innovationskraft und kulturpolitische Ausstrahlung über Bern hinaus aufrechterhalten kann".

 Eine Niederlage eingefahren hat die Grünen Freie Liste (GFL), hat sie doch ein zweifaches Nein empfohlen. Sie nehme das Resultat mit "gemischten Gefühlen" zur Kenntnis, schreibt die Partei in einer Pressemitteilung. Einerseits freut sich die GFL "über das klare Statement der Berner Bevölkerung zum Kulturbetrieb im Progr". Andererseits gibt es laut der Partei gleich zwei Verlierer: "Zunächst die Allreal als Investorin - vor allem aber die Stadt Bern, welche sich mit ihrem Vorgehen für künftige Investoren als Partnerin unglaubwürdig gezeigt hat."

Der Innenhof des Progr ist in der Zwischenzeit eine Disco geworden. Die Progr-Künstler führen Freudentänze auf. Die Initiative habe eine Bewegung geformt, erzählen Progr-Künstler, eine Bewegung, die Berns Kulturszene wohl seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt habe. Ob das klare Verdikt der Berner und Bernerinnen Früchte trägt, werden die nächsten Jahre zeigen.

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"Ungleiche Spiesse"

Matthias Meier, Kommunikationsleiter von Allreal, gab sich keine Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. "Wir haben schon während längerer Zeit mit ungleichen Spiessen gekämpft." Der Entscheid des Stadtrats, das Projekt Pro Progr nachträglich ins Rennen zu schicken, sei ein Schuss in den Rücken gewesen. Verlierer sei nicht Allreal, sondern der Wirtschaftsstandort Bern.

Zur Schadenersatzklage, welche Allreal der Stadt angedroht hat, sagte Meier: "Wir werden sorgfältig prüfen, ob wir eine solche machen." Alexander Tschäppät sieht einer möglichen Klage relativ gelassen entgegen: "Die Teilnehmer eines Wettbewerbs wissen um die Risiken, die damit verbunden sind." Die Stadt bleibe bei Wettbewerben "ein attraktiver Partner". (ruk)

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Der Progr-Initiator über den Abstimmungssieg

"Das hätte ich nie gedacht"

Er war es, der die Künstlerinitiative gestartet hat: Peter Aerschmann. Der Videokünstler über den Erfolg der Progr-Künstler - und die offenen Fragen der Zukunft.

Interview:Simon Jäggi

"Bund": An einem Septemberabend im letzten Herbst haben Sie sich entschlossen, den Progr zu retten. Hätten Sie damals gedacht, dass Sie es schaffen würden?

Peter Aerschmann: Nein, das es so kommt, hätte ich nie gedacht. Aber es ist derweil so viel Gutes entstanden, dass es sich für mich auch gelohnt hätte, wenn wir die Abstimmung verloren hätten.

Sie haben nun aber die Abstimmung gewonnen - und zwar gleich mit deutlichen 66 Prozent.

Es ist fantastisch, wie klar das Resultat ausgefallen ist - das hätte ich nie gedacht. Wir haben uns in den letzten Wochen derart viele negative Sachen anhören müssen - der Progr wurde zum Beispiel immer wieder als Fass ohne Boden bezeichnet. Das Resultat zeigt, dass uns die Leute vertrauen.

Der Wahlkampf hat sich oftmals um formale Fragen gedreht - auch weil die SVP eine Beschwerde eingereicht hat.

Genau, was der Progr eigentlich darstellt, ist dabei in den Hintergrund gerückt. Aber das Thema Beschwerde hat sich ja nun erledigt.

Sie fürchten die Beschwerde der SVP, die inhaltlich noch nicht beurteilt wurde, also nicht?

Ich glaube nicht, dass jemand an einer Beschwerde festhält, wenn der Volksentscheid derart klar ausgefallen ist.

Die Künstlerinitiative hat den Abstimmungskampf mit einem deutlich kleineren Budget als Allreal geführt - aber vielleicht einen deutlich wirksameren?

Ja, das Netzwerk hat funktioniert. Weit über hundert Leute haben sich freiwillig engagiert, die Progr-Künstler selber, aber auch Leute von ausserhalb. Wenn wir dafür hätte bezahlen müssen, hätten wir freilich auch enorme Aufwände gehabt.

Dem Künstlerprojekt ist vorgeworfen worden, dass die vorgesehenen Mittel für die Sanierung nicht reichen werden. Werden Ihre Kritiker in Zukunft Recht bekommen?

Nein, das glaube ich nicht. Unsere Zahlen basieren auf Offerten, die Unternehmen eingegeben haben. Unsere Architekten haben die Sanierung sorgfältig vorbereitet.

Sie haben versprochen, dass die Stadt keinen Franken in den Progr werde stecken müssen - werden Sie dieses Versprechen halten?

Ja, das Betriebskonzept sieht vor, dass kein Geld ins Gebäude fliesst. Aber die Stadt ist freilich eingeladen, die ansässigen Künstler und Veranstalter zu unterstützen - wie sie dies in vielen Fällen bereits tut.

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Kommentar

Nun ruft die Pflicht

Ruedi Kunz

Zwei von drei Bernerinnen und Bernern, die am Wochenende an die Urne gingen, stimmten für den Fortbestand des Progr in seiner heutigen Form. Das ist ein starkes Zeichen für ein Kulturzentrum, das vor fünf Jahren als Provisorium entstanden ist. Es zeigt, dass hinter den Mauern des ehemaligen Progymnasiums viel entworfen, produziert und gezeigt wurde, das weit über Kunstkreise hinausstrahlte. Zugegeben: Vielen, die sich jetzt für den Kunstort ausgesprochen haben, dürfte primär die beliebte Café-Bar Turnhalle ein Begriff sein. Doch nur mit der Turnhalle allein hätte sich das Projekt "Doppelpunkt" nicht bodigen lassen.

Die Aussicht, das Kulturlabor zu einer festen Institution zu machen, hat im Progr ungeahnte Kräfte freigesetzt. Die Kulturschaffenden rückten zusammen und führten einen äusserst engagierten und frechen Wahlkampf. Sie scheuten sich auch nicht, in die populistische Schublade zu greifen. Sie warben mit Slogans, die direkt auf den Bauch zielten, wie "Bärn oder Züüri" und "Kunst oder Kommerz". Dem hatten die "Doppelpunkt"-Initianten nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Eine Mischnutzung mit einem Gesundheitszentrum, Bildung und Kultur, finanziert von einem Zürcher Generalunternehmer: Das roch vielen zu stark nach Kommerz. Auch interessierte sie die Vorgeschichte der Abstimmung wenig, die für die "Doppelpunkt"-Macher unglücklich verlief und ein schiefes Licht auf den Stadtrat wirft. Dieser öffnete der Künstlerinitiative die Hintertür, indem er ihr lange nach Abschluss des Wettbewerbs eine Frist gewährte, um Geld für den Kauf des Progr zusammenzutragen.

 Nun folgen für die Progr-Künstler die Bewährungsproben. Sie müssen für acht Millionen das Gebäude sanieren. Sie müssen ein Betriebskonzept ausarbeiten, das die Eigenständigkeit sicherstellt - denn für Subventionen die hohle Hand machen: Das liegt nicht drin. Sie müssen neue Geldquellen erschliessen. Auch müssen sie dafür sorgen, dass der Progr ein dynamisches und lebendiges Gebilde bleibt. Denn kehrt einmal Genügsamkeit ein, wird der Progr rasch an Ausstrahlung und Attraktivität verlieren.

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BZ 18.5.09

Progr-Künstler bleiben

Das ehemalige Progymnasium ist auch in Zukunft ein Kulturzentrum. Zwei Drittel der Abstimmenden befürworteten dies.

Kurz nach 16 Uhr knallten gestern im Hof des Progr in Bern die Korken: Die Künstlerinnen und Künstler hatten es geschafft. Knapp 66 Prozent der Abstimmenden wollen weiterhin ein Kulturzentrum im ehemaligen Progymnasium. Nur knapp 45 Prozent sprachen sich für den Wettbewerbssieger "Doppelpunkt" aus, der unter anderem ein Gesundheitszentrum vorsah.

Die Progr-Stiftung, die heute gegründet wird, übernimmt am 1.August das Gebäude. Sie muss die Sanierung bis im Jahr 2015 abgeschlossen haben. Gelingt ihr dies nicht, fällt das Gebäude an die Stadt zurück.

Die SVP kündigte eine weitere Beschwerde an. Denn die Künstlerinitiative wurde erst nachträglich vom Parlament ins Rennen gebracht. Für die FDP bedeutet das Scheitern des Wettbewerbssiegers einen doppelten Schaden für den Wirtschaftsstandort Bern. Einerseits hätte "Doppelpunkt" Investitionen in Höhe von 25 Millionen Franken ausgelöst. Anderseits werde das Wettbewerbswesen ausgehöhlt, was Berns Ruf beschädige. Das rot-grüne Lager freute sich über den Sieg. Verhalten stimmte Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP) mit ein: "Die Bernerinnen und Berner anerkennen, dass hier etwas Interessantes entstanden ist", sagte er. Der Beschwerde und allenfalls Schadenersatzklagen sieht er gelassen entgegen. Bei der unterlegenen "Doppelpunkt"-Investorin Allreal hat man sich noch keine Gedanken dazu gemacht. "Wir glaubten an unsere Chance und sind enttäuscht", sagte Sprecher Matthias Meier. Das Vorgehen der Stadt bleibe "schwer nachvollziehbar". cab

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Erfolg für die Progr-Künstler

Die Abstimmung um das ehemalige Progymnasium, die im Vorfeld für viel Wirbel sorgte, hat einen klaren Sieger: Die Künstlerinitiative Pro Progr. Zwei Drittel der Berner Stimmberechtigten sprechen sich für das Künstlerhaus aus.

Die Kulturschaffenden im Berner Progr sind am Ziel: Fast 66 Prozent der Stimmbürger wollen, dass ihr Projekt im ehemaligen Progymnasium weiterlebt. Mit knapp 45 Prozent Ja-Stimmen wurde "Doppelpunkt", das Siegerprojekt des Investorenwettbewerbs, in der Alternativabstimmung verworfen. "Die Bernerinnen und Berner wollen das Experiment wagen", sagte Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP) gestern vor den Medien. Der Progr habe in den letzten Jahren in der Schweiz und über deren Grenzen hinaus für Aufmerksamkeit gesorgt. Finanzdirektorin Barbara Hayoz (FDP) betonte, der Gemeinderat sei jedoch immer hinter dem Wettbewerbssieger gestanden.

Wirtschaft als Verliererin

Matthias Meier, Sprecher von Allreal, der Investorin von "Doppelpunkt" zeigte sich enttäuscht. Verlierer sei aber nicht in erster Linie Allreal, sondern der Wirtschaftsstandort Bern. Komiteepräsidentin und FDP-Präsidentin Dolores Dana verdeutlichte dies: "Die Investitionen in der Höhe von 25 Millionen Franken hätten dem Gewerbe genützt. Zudem wären Arbeitsplätze geschaffen worden." Mit dem nachträglichen Einbezug der Künstlerinitiative habe Bern seinen Ruf als verlässlichen Partner aufs Spiel gesetzt.

Stiftung wird gegründet

Rundum froh war dagegen Peter Aerschmann, der die Künstlerinitiative ins Rollen brachte: "Ich dachte, es wird knapp", sagte er. Schon heute soll die Trägerstiftung für den Progr gegründet werden. Aerschmann wird deren erster Präsident. Sie startet mit einem Kapital von etwas mehr als zwölf Millionen Franken. Am 1.August 2009 übernimmt sie laut Hayoz das Haus von der Stadt. Sobald die Baubewilligung vorliegt, wird die Sanierung angepackt. Ist sie bis 2015 nicht beendigt, fällt das Gebäude an die Stadt zurück. "Bei der langfristigen Finanzierung bestehen noch Fragezeichen", erinnerte Hayoz. "Wir durften aber von potenten Geldgebern Kenntnis nehmen", sagte sie mit Verweis auf den Mäzen Hansjürg Wyss.
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Ja-Stimmen Pro Progr: 20078 (65,73Prozent)

 Ja-Stimmen "Doppelpunkt": 13347 (44,67Prozent)

Stimmbeteiligung: 42Prozent

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Pro Progr

"Endlich geschafft"

Im Innenhof des Progr wurde gestern gefeiert. Die Freude über das klare Abstimmungsergebnis war riesig.

Musik, lachende Gesichter und tanzende Leute: Die Stimmung vor dem Progr war gestern Nachmittag nach 16 Uhr total ausgelassen. Die Erleichterung ob dem Abstimmungsergebnis war bei den Progr-Anhängern deutlich sichtbar. "Wir haben es geschafft, endlich. Das ist einfach super", sprudeln die Wörter förmlich aus dem Mund von Rose-Marie Fankhauser. Mit einem solch klaren Resultat hätte sie niemals gerechnet.

Jubel und Freudentänze

Am frühen Nachmittag fanden sich nach und nach die Befürworter des Projekts "Pro Progr" vor dem ehemaligen Progymnasium ein. Gespannt hörten sie Radio und hofften, dass es ihnen die frohe Botschaft verkünden würde. Plötzlich brach Jubel aus. Beim Vorbeifahren hatte ein Velofahrer das Abstimmungsergebnis hinausposaunt.

Nun gab es kein Halten mehr: Kinder, Künstler und Erwachsene jeden Alters fielen sich vor Erleichterung in die Arme. Freudenschreie ertönten ringsum. Auch der Gewitterregen hielt die feiernde Truppe nicht vom Tanzen und Grillieren ab.

Der Entscheid kam jedoch nicht für alle überraschend: "Ich habe damit gerechnet", sagte Sascha Müller. Bern sei schon immer ein wenig anders gewesen. Hier könne ein solch einzigartiges Projekt eben noch zu Stande kommen. Ob erwartet oder nicht: Die Progr-Befürworter erlebten gestern einen riesen Moment nach langem Bangen.
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Kommentar

Deutlich genug

Christoph Aebischer

Charme siegt über Vernunft: Die Progr-Zwischennutzer werden zu Eigentümern eines historischen Gebäudes, das saniert und unterhalten werden muss. Was der Stadtrat im Herbst aufs Eintrittsticket für eine bereits laufende Vorstellung schrieb, hat nun zu gelten: Die Künstlerstiftung möbelt das Gebäude mit eigenen Mitteln auf und betreibt es ohne öffentliches Geld dreissig Jahre lang. Nur so kann das Haus zu einem Gewinn für Bern werden.

Auf einem anderen Blatt steht der ramponierte Ruf, den sich die Stadt eingebrockt hat. Wenn Bern Wettbewerbe ausschreibt, dann müssen sich offenbar die Teilnehmer, nicht aber die Veranstalter an die Regeln halten. Das ist nicht in Ordnung. Wettbewerbe sind ein Kulturgut, der Wettstreit der Ideen ein Garant für gute Qualität. Ohne klare Korrektur trägt die Stadt Schaden davon, weil niemand gerne leichtfertig Geld in den Sand setzt und dazu noch die lange Nase gezeigt kriegt.

Beim Progr ist die Entscheidung aber gefallen: Das Stimmvolk hat die Künstlerinitiative deutlich angenommen und den Wettbewerbssieger "Doppelpunkt" abgelehnt. Vor diesem Hintergrund ist das weitere juristische Seilziehen der SVP blosse Rechthaberei. Verbesserungen sind auf politischem Weg anzustreben.

christoph.aebischer@bernerzeitung.ch

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Berner Rundschau 18.5.09

Progr-Künstler feiern

Stadtberner Stimmvolk zeigt Investorin die kalte Schulter

Aus dem ehemaligen Gymnasium (Progr) am Berner Waisenhausplatz wird kein Gesundheits- und Schulungszentrum, wie es das Siegerprojekt Doppelpunkt eines vom Gemeinderat ausgeschriebenen öffentlichen Wettbewerbs vorsah. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger der Stadt Bern wollen hingegen, dass die über 100 im Progr eingemieteten Künstlerinnen und Künstler die Liegenschaft kaufen können. Eine am Wochenende durchgeführte Abstimmung ergab ein klares Bild: Für den "Doppelpunkt" sprachen sich 45 Prozent der Stimmenden aus, für die auch vom Mäzen Hansjörg Wyss finanziell und ideell unterstützte Künstlerinitiative hingegen 66 Prozent.

Damit machten die Berner für die von den Künstlern gegründete Stiftung pro Progr den Weg frei, die Liegenschaft für 2,4 Millionen Franken zu kaufen. Weiter investiert die Stiftung 8 Millionen Franken für die Sanierung des Gebäudes bis Ende 2015. Zudem haben die Künstler der Stadt während der auf 30 Jahre festgelegten Laufzeit jährlich einen Baurechtszins von 320 000 Franken zu bezahlen. Während die Künstler gestern ihren Sieg feierten, herrschte auf Seite der Investorin Katerstimmung: "Der Wirtschaftsstandort Bern hat verloren", hiess es. (uz) Seite 22

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Peter Aerschmann hat gut lachen

Zwei Drittel der Stadtberner wollen, dass die Progr-Künstler weitermachen können

Die Stadt Bern verkauft das ehemalige Progymnasium (Progr) der Künstlerinitiative. Die Wettbewerbssiegerin Allreal hatte gestern mit ihrem Wettbewerbssiegerprojekt Doppelpunkt beim Stimmvolk das Nachsehen.

Bruno Utz

66 Prozent der Stadtbernerinnen und -berner stimmten gestern für den Verkauf des Progr an die so genannte Künstlerinitiative. Das Projekt Doppelpunkt mit einem Gesundheitszentrum, Räumen für die Lehrerausbildung der NMS und einem Kulturzentrum bevorzugten in der Variantenabstimmung lediglich 45 Prozent. Die Stimmbeteiligung betrug 42 Prozent.

Damit ist sichergestellt, dass die seit vier Jahren als Zwischennutzer im Progr tätigen gut 100 Künstlerinnen und Künstler dort bleiben können.

"Bern hat sich für die Kultur entschieden", sagt Peter Aerschmann, Präsident der Künstlerinitiative pro Progr. Das Stimmvolk habe die Chance genutzt und ein Zeichen gesetzt für eine lebendige Stadt. "Es gab Zeiten, wo ich mit einem solchen Resultat für uns gerechnet hatte, aber nicht mehr in den letzten beiden Wochen", sagt Matthias Kuhn. Der Vizepräsident der Künstlerinitiative befürchtete, die Stimmung im Volk hätte sich gegen die Künstler gekehrt. "Aber jetzt sind wir am Feiern, der ganze Progr-Hof ist voll mit Leuten."

Schlecht für Bern

Gegenteilig tönt es bei den Unterlegenen; Dolores Dana, Co-Präsidentin des Komitees "pro Doppelpunkt" und Präsidentin der städtischen FDP: "Dieses Verdikt hat Folgen für den Wirtschaftsstandort Bern. Die Stadt gilt nicht mehr als zuverlässige Partnerin", verweist sie auf den vom Gemeinderat durchgeführten öffentlichen Wettbewerb, den die Allreal AG gewonnen hatte (wir berichteten). Mit der Änderung der Spielregeln kurz vor dem Endspurt habe die Stadt die Allreal vor den Kopf gestossen.

"Die fehlende Unterstützung durch den Gemeinderat war sicher ein zusätzliches Erschwernis", sagt Allreal-Investor Matthias Meier. Auch die Tatsache, dass die beiden Projekte als gleichwertig in die Variantenabstimmung geschickt worden seien, habe es nicht einfacher gemacht. Anderswo sei die auf den Progr zugeschnittene 25-Millionen-Franken-Investition nicht realisierbar. Ob die Allreal der Stadt für ihre Kosten - "wir haben viel Zeit und Geld ausgegeben" - Rechnung stellt, könne er nicht sagen. "Juristische Fragen haben wir in der kurzen Zeit vom Stadtratsentscheid bis zum Abstimmungssonntag nicht klären können", so Meier.

Finanzen im Auge behalten

Barbara Hayoz (FDP), die für den Liegenschaftsverkauf zuständige Gemeinderätin, findet "das Engagement der Progr-Künstler sympathisch". Sie macht jedoch ein Fragezeichen hinter die längerfristige Finanzierung. "Bedenken bleiben bestehen. Für die Stadt ist es jetzt wichtig, die finanzielle Entwicklung bei der Stiftung Künstlerinitiative wachsam zu beobachten", so Hayoz.

Nach Aussagen von Peter Aerschmann stellt das Geld hingegen kein Problem dar. Die Stiftung bezahle den Kaufpreis von 2,4 Millionen Franken per 1. August 2009. Gesichert seien auch die 8 Millionen Franken für die nötige Sanierung, die Ende 2015 abgeschlossen sein soll. Weiter ist alljährlich ein Baurechtszins von 320 000 Franken fällig.

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Regionaljournal DRS 18.5.09

Ja zum Einmaligen im Progr - ein Kommentar (1:32)
http://real.xobix.ch/ramgen/srdrs/regibern/2009/rbe7v718052009.rm?start=00:01:08.399&end=00:02:40.799

Progr-Verlierer lassen sich Zeit (0:28)
http://real.xobix.ch/ramgen/srdrs/regibern/2009/rbe7v718052009.rm?start=00:02:40.007&end=00:03:08.358

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20min.ch 17.5.09

Bern will Kultur im "Progr"

Das ehemalige Progymnasium der Stadt Bern mitten im Stadtzentrum bleibt eine Kulturstätte mit Ateliers für mehr als 100 Künstler. Berns Stimmvolk hat sich an der Urne deutlich für den Verkauf des Hauses an die Künstler ausgesprochen.

Mit einem Ja-Stimmenanteil von 66 Prozent sprachen sich die Stadtberner Stimmberechtigten am Wochenende in einer Alternativabstimmung für das Angebot der Künstler aus. 45 Prozent der Stimmen entfielen auf das Projekt "Doppelpunkt" der Zürcher Immobilienfirma Allreal. Die Stimmbeteiligung betrug 42 Prozent.

Nach dem Urnenentscheid können somit die Künstlerinnen und Künstler das Kulturzentrum mit dem Namen "Progr" wie gehabt weiterführen. Sie tun dies bisher mit einem Zwischennutzungsvertrag und müssen nun der Stadt einen Kaufpreis von 2,4 Mio. Franken und pro Jahr 320 000 Franken Baurechtszins entrichten.

Allreal sah eine hauptsächlich kommerzielle Nutzung des Gebäudes als Gesundheits-, Schulungs- und Bürozentrum vor, wollte aber die ehemalige Turnhalle auch weiterhin für kulturelle Anlässe zur Verfügung stellen.

Die Abstimmungsvorlage füllte in Bern unzählige Leserbriefseiten. Für Gesprächsstoff sorgte, dass das Berner Stadtparlament das Projekt der Künstler zur Abstimmung zuliess, obwohl der Gemeinderat die künftige Nutzung in einem Wettbewerbsverfahren bestimmt hatte, den Allreal gewann.

Bern will Entwicklung beobachten

"Das Engagement der Progr-Künstlerinnen und -Künstler ist sympathisch", erklärte die Berner Gemeinderätin Barbara Hayoz am Sonntag nach der Abstimmung. Für sie bestehen aber Fragezeichen bezüglich der längerfristigen Finanzierung. Die Stadt werde die finanzielle Entwicklung beim Künstler-Verein wachsam beobachten.

Die Künstler selber werteten das Resultat als Ja zu Kultur und als Zeichen für eine lebendige Stadt mit urbanem Charakter. Bis 2015 wollen sie das Haus saniert haben und dafür acht Mio. Franken investieren. Sie zählen auf die Unterstützung zahlreicher Gönner. Darunter befinden sich Persönlichkeiten wie der Kunstmuseum-Mäzen Hansjürg Wyss.

"Verlierer sind nicht wir, sondern der Wirtschaftsstandort Bern", sagte Matthias Meier von Allreal im Regionaljournal Bern Freiburg Wallis von Radio DRS. Es habe sicher nicht geholfen, dass vom Gemeinderat keine eindeutige Unterstützung fürs Allreal-Projekt gekommen sei, sagte er weiter.

Auch bedauerte Meier, dass in der Abstimmungsvorlage die beiden Projekte als gleichwertig bezeichnet worden seien. Das sei nicht der Fall. Allreal hätte 24,7 Mio. Franken investieren wollen.

Zwei andere Vorlagen deutlich angenommen

Bei den zwei weiteren Abstimmungsvorlagen in der Stadt Bern resultierten zwei deutliche Ja. Über 80 Prozent der Stimmenden sagten Ja zum neuen Zonenplan Bern-West und rund 90 Prozent sagten Ja zu einer Teilrevision der Berner Gemeindeordnung.
Quelle: SDA/ATS

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Bern, 17.5.09

Medienmitteilung der Reitschule Bern zur Progr-Abstimmung:

Die Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule (IKuR) gratuliert dem Kultur- und Begegnungszentrum Progr zum erfolgreichen und deutlichen Abstimmungsresultat und freut sich über die Tatsache, dass die StimmbürgerInnen der Stadt Bern sich einmal mehr für Kultur und Begegnung entschieden haben. Die KünstlerInnen vom Progr haben gezeigt, dass man sich nicht zwangsläufig dem Diktat der Wirtschaft beugen muss und dass es sich lohnt, für kulturelle Freiräume zu kämpfen.

Die IKuR wünscht dem Progr nun viel Erfolg beim Umsetzen seiner Pläne und setzt weiterhin auf gutnachbarschaftliche Beziehungen und  punktuelle Zusammenarbeit beim gemeinsamen Ziel, die Berner Innenstadt  mit spannenden kulturellen und sozialen Begegnungen zu bereichern.

Wir sind überzeugt, dass auf dem Weg dahin auch die Anti-Reitschule-Initiative von Erich J. Hess bei der Berner Stimmbevölkerung keine Chance haben wird und die (J)SVP endlich einsehen muss, dass sie mit ihrer reaktionären Kulturpolitik auf der falschen Fahrbahn fährt.

Mediengruppe Reitschule Bern

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Regionaljournal DRS Bern 17.5.09

Künstler können im Berner Progr bleiben - Reaktionen von Abstimmungs-Gewinnern, -Verlierern und Gemeinderätin Hayoz (3:15)
http://real.xobix.ch/ramgen/srdrs/regibern/2009/rbe1717052009.rm?start=00:00:49.931&end=00:04:05.170

Künstler können im Progr bleiben - Stimmungsbericht aus dem Progr und Gespräch mit dem Berner Stadtpräsident Tschäppät (6:57)
http://real.xobix.ch/ramgen/srdrs/regibern/2009/rbe1717052009.rm?start=00:11:26.600&end=00:18:24.260

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BONSOIR AL-KRAIDA 2009
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Bund 18.5.09

Kreidebunter Bahnhofplatz

Stadt Bern Viele Passanten gerieten ins Staunen, als sie am Samstagabend den Bahnhofplatz überquerten: Um die zweihundert junge Erwachsene bemalten ab 21.30 Uhr den ganzen Platz mit Kreide. Mobilisiert wurde - wie heutzutage schon fast üblich - über die soziale Internet-Plattform Facebook. Rund 1700 Personen konnten so ohne grossen Aufwand angefragt werden, ob sie dem "Kreidemal-Fest" beiwohnen möchten.

"Gegen was demonstriert ihr?", war die wohl häufigste Frage, welche die Passanten an die malende Schar richteten. Die Aktion sei in keiner Art und Weise politisch motiviert, sagte Viola Iselin, eine der Organisatorinnen, gestern auf Anfrage. Kreidemalen kenne jeder aus seiner Kindheit - werde man jedoch älter, gehöre die kreative Beschäftigung auf einmal nicht mehr ins Repertoire möglicher Freizeitbeschäftigungen. "Das ist schade und mit ein Grund, warum wir zum Kampf gegen Langeweile am Boden aufriefen", so Iselin, die selbige Aktion im Februar bereits in Zürich organisiert hatte.

Die Polizei wusste von nichts; eine Patrouille sei aber vorbeigekommen und habe Fotos geschossen, so die Veranstalterinnen. Ein Polizeisprecher konnte gestern keine weiteren Angaben machen - nur so viel: "Ermittlungen sind im Gang."

Der Baldachin bietet beinahe optimalen Schutz vor der grössten Gefahr für jede Kreidezeichnung: dem Regen. Gleichwohl hat der Wolkenbruch vom Sonntag die bunten Bilder grösstenteils ausgelöscht. (phi)

[i]
Der Blog zum Kreidemal-Fest:
http://kreidefest.wordpress.com

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RABE-INFO 19.5.09
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RaBe-Info 19.Mai 2009

- Migration wird im Schweizer Rundfunk wenig und eher negativ thematisiert
- Nestlé-Verwaltungsratspräsident Peter Brabeck über das kostbare Nass
- Terre des Hommes auf heikler Mission in Afghanistan
http://www.rabe.ch/pod/get.php?web=RaBe-Info-2009-05-19-53935.mp3

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RABE-INFO 18.5.09
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RaBe-Info 18.Mai 2009

- Queeramnesty an der "Baltic Pride" in Riga
- Kopf der Woche: Terry Boehm- der Kanadier kämpft gegen die Einführung gentechnisch veränderter Pflanzen.
http://www.rabe.ch/pod/get.php?web=RaBe-Info-2009-05-18-53277.mp3

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RABE-INFO 15.5.09
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RaBe- Info 15. Mai 2009

- In Bern gibt es witerhin zwei Tageszeitungen
- Die Nestlé Spitzel-Attacke gegen Attac wird weiter Untersucht
- Am Sonntag ist der Internationale Tag gegen Homophobie
http://www.rabe.ch/pod/get.php?web=RaBe-Info-2009-05-15-58952.mp3

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ZBINDEN-BASHING
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Bund 20.5.09

Zbinden beging Landfriedensbruch

Das bernische Obergericht hat die Strafe der Erstinstanz gegen PdA-Stadtrat Rolf Zbinden bestätigt

Im Verlauf der Anti-SVP-Krawalle vom 6. Oktober 2007 hat Rolf Zbinden nach Auffassung des Obergerichts Landfriedensbruch und Nötigung begangen.

Markus Dütschler

Am 6. Oktober 2007 herrschte in Bern eine explosive Stimmung: Die SVP wollte kurz vor den Nationalratswahlen einen bewilligten Umzug durch die Altstadt durchführen. Sie musste ihn abbrechen, da Gegendemonstranten - ohne Bewilligung - die Marschroute in der Gerechtigkeitsgasse blockierten und sich auch nach polizeilicher Aufforderung nicht entfernten. Unter ihnen befand sich Rolf Zbinden, Berufsschullehrer und PdA-Stadtrat. Sein Transparent "Welcome to Hell" wurde national bekannt.

Gestern beurteilte das Obergericht, ob ihn die Vorinstanz am 28. Oktober 2008 zu Recht wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte, Landfriedensbruchs und Nötigung verurteilt hatte. Das Urteil bezog sich auch auf eine Protestaktion vor der Botschaft Dänemarks vom 2. März 2007. Damals soll Zbinden einem Polizisten einen "Chlapf" verabreicht haben.

"SVP verdiente keinen Schutz"

 Einige politische Freunde Zbindens waren im Gerichtssaal als Zuschauer zugegen, als sein Verteidiger und Parteifreund Willi Egloff darlegte, dass sein Mandant zu Unrecht den Kopf für die Krawalle hinhalten müsse. Der Verteidiger legte in einem geschichtsphilosophischen Plädoyer dar, dass die SVP - zumindest ihr "unanständiger" Teil - keinen Rechtsschutz verdiene: Sie habe die Schweiz mit fremdenfeindlichem Gedankengut überzogen und mit dem "Marsch auf Bern" bewusst an den Faschisten Mussolini angeknüpft. Rechtsextreme seien mitmarschiert. Wer sich diesen Machenschaften "gewaltfrei" entgegenstelle, handle moralisch richtig, begehe also keine Nötigung. Demonstrieren sei ein Grundrecht, das keiner Bewilligung bedürfe. Sein Mandant sei diffamiert und in einer konzertierten Aktion fertiggemacht worden, habe gar sein Lehrpensum an der Gibb verloren.

"Kein politisches Urteil"

Oberrichter Martin Räz stellte als Vorsitzender der Strafkammer fest, dass hier weder die Gesinnung eines PdA-Stadtrats noch politische Motive einer Demonstration oder Gegendemonstration verhandelt würden, sondern Straftatbestände. Dies geschehe im Rahmen der bundesgerichtlichen Praxis. Räz wies die Andeutungen des Verteidigers zurück, wonach die Polizei Rapporte politisch manipuliert habe. Konstrukte und Komplotte dieser Art seien dem Gericht noch nie untergekommen, obwohl das Dreiergremium ein gutes Jahrhundert Berufserfahrung auf sich versammle.

Zbinden habe den Polizisten vor der Botschaft geohrfeigt. Er sei am 6. Oktober im Pulk der Gewalttätigen geblieben, anstatt sich zu entfernen. Somit habe er durch Gewaltandrohung die SVP genötigt, ihren bewilligten Umzug abzubrechen. Das Gericht bestätigte das Urteil der Vorinstanz, reduzierte aber die Strafe geringfügig. Es verhängte eine bedingte Geldstrafe von 4800 Franken - 32 Tagessätze zu 150 Franken. Effektiv bezahlen muss er eine Busse von 1200 Franken. Ob Zbinden das Urteil weiterzieht, ist noch ungewiss.

In einer Erklärung schreibt Zbinden, an ihm sei ein Exempel statuiert worden, um sein Rückgrat zu brechen. Nicht "völkische Hassprediger" kämen vor Gericht, sondern jene, die Widerstand leisteten: "Ich will, ich muss weitermachen."

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BZ 20.5.09

Obergericht

Zbinden: Urteil bestätigt

Das Obergericht hat den Schuldspruch gegen den Berner PdA-Stadtrat Rolf Zbinden bestätigt. Dieser schlug im März 2007 einen Polizisten. Die Teilnahme an der Blockade der SVP-Demo vom 6.Oktober 2007 war eine Nötigung.

Als Beweise zog der Oberrichter Presse- und Polizeifotos heran. Die Bilder zeigen den Berner PdA-Stadtrat Rolf Zbinden an der Anti-SVP-Kundgebung in der Gerechtigkeitsgasse in Bern. Er trägt eine dunkle Sonnenbrille und Handschuhe. Mit vermummten Demonstranten hält er ein Transparent mit der Aufschrift "Welcome to Hell" hoch. Die Teilnehmer dieser unbewilligten Kundgebung haben am 6.Oktober 2007 die Schweizerische Volkspartei (SVP) am bewilligten Umzug durch die Bundesstadt gehindert.

Geldstrafe und Busse

Für das Berner Obergericht gilt dies gemäss Bundesgerichtspraxis als Nötigung. Zu diesem Schluss war bereits das Kreisgericht Bern Laupen am 28.Oktober Oktober 2008 gekommen (wir berichteten). Die Vorinstanz hatte Zbinden zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. Ebenfalls schuldig gesprochen wurde Rolf Zbinden wegen Landfriedensbruch sowie wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte. Der PdA-Stadtrat hatte an einer Demonstration im März 2007 vor der dänischen Botschaft einen Polizisten geschlagen.

Sämtliche Schuldsprüche wurden vom Obergericht bestätigt. Das angepasste Strafmass umfasst eine bedingte Geldstrafe von 4800 Franken sowie eine Busse in der Höhe von 1200 Franken.

"Das gibt zu kauen"

"An vielen Fussballspielen gibts mehr Sachbeschädigungen als im Oktober 2008 in der Gerechtigkeitsgasse", sagte Rolf Zbinden nach dem Verfahren. An ihm werde ein Exempel statuiert. "Nun bin ich der Dumme, weil ich mich damals nicht vermummt habe."

Wegen des Gerichtsverfahrens hatte Rolf Zbinden im letzten Oktober seinen 20-Prozent-Job als Lehrer an der Gewerblich-Industriellen Berufsschule Bern verloren. Gegen die Kündigung kämpft er nun vor dem Verwaltungsgericht an. "Eine geliebte Arbeit nach 25 Jahren durch Rausschmiss und Berufsverbot zu verlieren - das gibt zu kauen", steht in einer Erklärung, die Zbinden vor dem Gerichtsgebäude verteilte. "Es trifft mich tief. Aber: Ich kann noch in den Spiegel schauen."

Ob er das Urteil ans Bundesgericht weiterzieht, will Zbinden nach einer Analyse mit dem Anwalt entscheiden. Es sei auch eine Kostenfrage, sagte er.

Tobias Habegger

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BETTELVERBOT SEASON 2009
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BZ 20.5.09

Fremdenpolizei-chef Alexander Ott zur Bettelei:

"Ich will die Kinder vor Ausbeutung schützen"

Fremdenpolizei-Chef Alexander Ott will mit dem Pilotprojekt "Agora" die organisierten Bettler von Bern fernhalten. Er liess sie überwachen, um an die Hintermänner heranzukommen. Ein Gespräch über seine Strategie.

 Herr Ott, Sie haben das Pilotprojekt "Agora" lanciert, was wollen Sie damit erreichen?

Alexander Ott: Wir konnten nicht mehr zusehen, wie hier in Bern Kinder und Behinderte von skrupellosen Banden ausgebeutet werden. Zudem haben wir aus der Bevölkerung viele Anrufe bekommen, die sich für die ausgenutzten Bettler in der Bundesstadt schämen. Mit diesem Projekt wollen wir in Zusammenarbeit mit den zuständigen Bundesbehörden wie auch mit ausländischen Behörden Bettlerbanden bekämpfen und von Bern fernhalten.

Wie gehen Sie dieses Ziel an?

In den letzten Wochen haben wir in Bern die Bettler verdeckt überwacht, um herauszufin-den, wie sie arbeiten und von ihren Hintermännern gesteuert werden.

Waren die Observationen für die Fremdenpolizisten gefährlich?

Wir sind für solche Aktionen ausgebildet. Zudem haben wir das notwendige Sicherheitsdispositiv aufgebaut. Zudem haben wir im Bedarfsfall die Möglichkeit, die Kantonspolizei beizuziehen.

Und wie arbeiten die Bettlerbanden?

Sie sind bestens organisiert und arbeiten mit Handys und Strassenplänen, auf denen die Hotspots zum Betteln eingezeichnet sind. So zum Beispiel vor dem Loeb, Globus oder der Migros. Die von den Banden abgesetzten Behinderten und Kinder werden ständig von gut gekleideten Überwachern im Auge behalten. Sobald der Sammelbecher halb voll ist, kommt ein sogenannter Läufer, der das Geld dem Bettler abnimmt.

Was geschieht mit diesem Geld?

Der Läufer gibt das Geld an einen Hintermann weiter oder wechselt das Münz sofort selber bei einer Bank in Noten. Der ganze Ablauf passiert blitzschnell. Der vom Aufpasser aufgebotene Läufer rennt richtiggehend durch die Stadt. Die Überwachung ist sehr aufwändig.

Wurde die verdeckte Überwachung der Fremdenpolizei von den Bettlern bemerkt?

Ja, in einigen wenigen Fällen. Dies obwohl wir in Zivilkleidern arbeiteten.

Wie haben die Bettler darauf reagiert?

Sie haben blitzschnell ihren Standort gewechselt. Oder der Bettler wurde von den Hintermännern sofort ausgewechselt.

Wohin gingen die Bettler am Abend nach getaner Arbeit?

Zum Beispiel auf die Schützenmatte oder in die Aussenquartiere, wo sie abgeholt wurden.

Und die Fremdenpolizei ist nicht eingeschritten?

Nein, wir wollen vorläufig in erster Linie im Gespräch mit den Bettlern Vertrauen schaffen. Unsere Überwachungsaktion hat sich ja nicht gegen die unschuldigen Kinder und Behinderten gerichtet. Wir wollen vielmehr in einer späteren Phase an die Hintermänner herankommen.

Versteht denn die Fremdenpolizei die Sprache der Bettler aus Rumänien und Bulgarien?

Nein. Für die Befragungen ziehen wir gegebenenfalls anerkannte Dolmetscher bei.

 Und was haben Sie herausgefunden?

Alle Bettelnden befinden sich in einer prekären Abhängigkeits- und Ausnützungssituation. Bei minderjährigen Kindern haben wir die Erkenntnisse gewonnen, dass sie zum Teil nicht zu den anwesenden Müttern und Vätern gehören. Abklärungen sind auch hier im Gang.

Warum?

Es gibt viele Eltern, die in einer grossen finanziellen Notlage stecken. Um ihren Unterhalt bestreiten zu können, leihen sie deshalb ihre Kinder den Banden für eine bestimmte Dauer aus.

Üben die Banden auf die Bettler auch Gewalt aus, oder werden sie zum Betteln sogar verstümmelt?

Ein Abhängigkeits- beziehungsweise ein Ausnützungsverhältnis geht immer mit physischer und psychischer Gewalt einher. Die Vulnerabilität, also die Verletzbarkeit, ist in jedem Fall sehr hoch.

Was unternehmen Sie, wenn Sie an die Hintermänner herankommen?

Als Grundlage dient uns das geltende Ausländergesetz. Bei relevanten Straftatbeständen werden die zuständigen Strafverfolgungsbehörden ein Verfahren einleiten.

 Können Sie einschätzen, wie lange Ihr Kampf gegen die Bettlerbanden dauern wird?

Die konzertierte Aktion "Agora" hat vor wenigen Wochen begonnen. Das Phänomen der organisierten Bettelei muss jedoch gesamtschweizerisch angegangen werden, denn dieses Problem tritt nebst Bern auch in Basel und Zürich auf. Die Zusammenarbeit mit den involvierten Stellen läuft bisher sehr gut.

Interview: Jürg Spori

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BZ 19.5.09

Fremdenpolizei-chef Alexander Ott

"Den Bettlern ja nichts geben"

In Bern sind immer mehr Kinder und Bettler mit Behinderungen anzutreffen, die von Banden eingesetzt werden. Alexander Ott, der städtische Fremden-polizei-Chef, rät der Bevölkerung nun, diesen Bettlern kein Geld zu geben.

Ein beinamputierter Mann sitzt vor dem Globus an der Berner Spitalgasse. Sein Geschäft mit dem Mitleid läuft gut. Besonders ältere Menschen geben ihm eine Münze oder sogar ein Nötli. An der Marktgasse vor der Migros sitzt eine junge Frau im Rollstuhl und bittet mit leidender Stimme um Geld. Auch ihr "Geschäft" läuft wie geschmiert.

In den letzten Wochen haben solche Bettler vermehrt gut frequentierte Gassen und Plätze in der Berner Innenstadt in Beschlag genommen. So schnell sie morgens aufkreuzen, so schnell sind sie abends auch wieder verschwunden.

Gut organisierte Banden

 Der Chef der städtischen Fremdenpolizei (Frepo), Alexander Ott, bestätigte gestern einen Bericht der "SonntagsZeitung", wonach diese Bettelaktionen das Resultat minutiöser Planung sind. "Die ausländischen Bettlerbanden und ihre Hintermänner haben einen hohen Organisationsgrad und setzen moderne Kommunikationsmittel ein", sagt er. Das funktioniert in Bern so: Die Banden setzen Kinder und Menschen mit Behinderungen zum Beispiel auf der Schützenmatte ab, von wo sie dann in die Stadt ausschwärmen. Dort werden sie beim Betteln von Mitgliedern der Banden ständig überwacht. Abends werden sie von ihren Hintermännern wieder abgeholt und in Camps nahe der Grenze zurückgekarrt. Bei diesem Vorgehen stehen die Bettler in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Hintermännern.

Polizei überwacht

"Die Abläufe haben wir in den letzten zwei Wochen während einer Überwachungsaktion genau eruiert", sagt der Frepo-Chef. Bei der Aktion wurden über 100 Personen ins Visier genommen. Nach den Beobachtungen der Polizei werden in Bern zwei Varianten der organisierten Bettelei angewendet. Bei der ersten kaufen "Betteltouristen" an einem Treffpunkt im Ausland für 200 Franken eine "Tageskarte". Sie werden dafür nach Bern gefahren, erhalten am Bahnhof einen Stadtplan, auf dem die lohnenden Standorte eingezeichnet sind, und abends werden sie wieder nach Hause chauffiert.

 Bei der zweiten Variante werden Menschen - darunter Kinder und Menschen mit Behinderungen - nach Bern gefahren. "Ihr Sammelbecher wird regelmässig von ‹Läufern› geleert, die das Münz in Noten umtauschen oder das Geld bei Strassenmusikern deponieren", weiss Ott. Diese Leute "verdienen" pro Tag bis zu 500 Franken.

Ausgenutzte Bettler

Für Frepo-Chef Ott ist nach den Überwachungen klar: "Die organisierten ausländischen Bettlerbanden setzen gezielt Kinder und Behinderte ein und nutzen so ein Abhängigkeitsverhältnis, aus dem es oft kein Entrinnen gibt." Zwei versehrte Männer mussten vor einigen Wochen sogar medizinisch versorgt werden. Sie wurden inzwischen nach Rumänien zurückgeführt. "Von dort und aus Bulgarien kommen die meisten der Bettler, viele sind Roma", sagt Alexander Ott.

 Neuerdings sind in Bern auch immer mehr Bettler in Trams und Bussen unterwegs. Unter ihnen auffallend viele Frauen. "Sie zeigen den Fahrgästen ein Foto eines verkrüppelten Kindes und fordern Geld", sagt Ott.

Geld bekommen Banden

Frepo-Chef Ott forderte die Bevölkerung auf, diesen Bettlern kein Geld zu geben. "Wer Geld gibt, hilft nicht den Bettlern, sondern finanziert die Banden", sagt er. Und: "Wenn die Bettler kein Geld mehr bekommen, spricht sich das herum, und Banden platzieren ihre Opfer nicht mehr in Bern", so Ott.

Nicht nur in Bern, sondern in der ganzen Schweiz sind die Behörden auf das Problem aufmerksam geworden. Alexander Ott hat mit der Stadt Bern, den rumänischen Behörden und dem Bundesamt für Polizei nun das Pilotprojekt "Agora" lanciert. "Damit wollen wir die Reisewege der Bettler nachverfolgen und so an die Hintermänner herankommen."

Jürg Spori

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PRIVAT-PATROUILLEN
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Berner Rundschau 18.5.09

Auf Tour mit Hund und Pfefferspray

Wegen Vandalismus und Verunreinigung lässt die Stadt Thun neuerdings zwei private Securitys patrouillieren

Susanna Fazio

"Die Schliessung des Selve-Areals ist sicher mit ein Grund, weshalb es in der Innenstadt vermehrt zu Unruhestiftung kommt", sagt Reto Keller, Thuner Gewerbeinspektor. Zudem habe sich das Ausgehverhalten der Jugendlichen über die letzten Jahre geändert, sagt er weiter. "Viele kaufen in Tankstellenshops billig Alkohol ein und betrinken sich auf öffentlichem Gelände."

Um Vandalismus und Verunreinigung in der Kyburger Innenstadt zu verhindern, wird daher seit vier Jahren von Mai bis Oktober an den Wochenenden patrouilliert. Zwei private Sicherheitsfirmen teilen sich den Job: Je zwei Personen der "Berner Hunde Security" und der "GSD Gayret Security" sind donnerstags bis samstags, 0.30 bis 4.30 Uhr, in den Gassen unterwegs. "Vor allem auch wegen der vielen Lärmklagen von Anwohnern wurde diese Sicherheitsmassnahme getroffen", sagt Keller. "Die Kosten für diese Wachrundgänge werden zu zwei Dritteln von der Stadt übernommen, einen Drittel tragen die Wirte mit Überzeiterlaubnis."

Teamarbeit der "Hündeler" via Funkgerät

"In erster Linie geht es darum, von Anfang an Präsenz zu markieren", sagt Manfred Nafzger von der "Berner Hunde Security". Die letzten eineinhalb Stunden seien sie dann vor allem zur Kontrolle zwischen Mühle- und Rathausplatz unterwegs.

Zu Beginn der Nachtpatrouille treffen sich die beiden Teams, um zu besprechen, wer wo entlang geht. Die Zweiergruppen sind unabhängig voneinander unterwegs, bleiben aber über Funk in Kontakt. "Auf diese Weise können wir schnell reagieren, wenn die anderen unsere Hilfe brauchen", sagt Martin Rufer von "GSD Gayret Security". "Abhängig von der Situation ist es besser mit oder ohne Hund vor Ort zu sein", so Nafzger. "Je nachdem kann der Hund als Provokation empfunden werden", fügt Rufer an. Ausweiskontrollen beispielsweise würden jeweils ohne Hunde gemacht.

Verbale Nettigkeiten und Namen notieren

Rufer ist seit drei Jahren in Thun unterwegs und findet die Jugend umgänglich. GSD-Leute würden mehr akzeptiert als die Polizei, da deren Uniform Aggressionen hervorrufe: "Drohungen erhalten wir zwar jede Nacht, aber das ist normal. Da mache ich auf <Göschenen-Airolo>", so Rufer über Radaumacher. Auch Nafzger bestätigt, dass Drohungen keine Seltenheit sind: "Verbale Drohungen wie <Wir erschiessen euch!> gabs auch schon." Eine wichtige Charaktereigenschaft sei deshalb "sehr viel Toleranz", so Rufer. "Man kann ja mit den Leuten reden", fügt Nafzger an.

Das beweist Nafzger auch gleich: Am Aareufer auf dem Mühleplatz verschlägt ein Teenager mutwillig Flaschen. Nachdem ihn Nafzger darauf anspricht und auf sein gefährliches Verhalten hinweist, notiert er seine Personalien. Diese Angaben werden in den Rapporten für die Stadt vermerkt. "Dort wird dann auch entschieden, ob Anzeige erstattet wird oder nicht", beschreibt Keller das weitere Vorgehen. Je nach Vergehen variiert die Höhe der Ordnungsbussen. Sie betragen zwischen 40 und 190 Franken.

Erfolgsgeschichten und Sicherheitsgefühl

Weder Hunde-Security- noch GSD-Leute sind bewaffnet. "Ziel unseres Einsatzes ist die Erstintervention, indem wir störend wirken oder ein Gefühl der Sicherheit geben", so Nafzger. Falls es brenzlig würde, hätten sie ihre Hunde dabei. Pfefferspray dürfen sie nur zum Selbstschutz anwenden. "Wir helfen mit unserer Arbeit der Polizei und sie hilft uns, wenn es nötig ist", beschreibt Rufer die Zusammenarbeit.

Nafzger freuts, dass sich ältere Personen durch seine Präsenz wohler fühlen: "Letztes Jahr haben wir einen Brand entdeckt und konnten die Feuerwehr alarmieren", erzählt er stolz. Auch Rufer kennt Erfolgserlebnisse. "Jüngst wollte beispielsweise eine junge Frau aus Liebeskummer in die Aare springen. Ein unsriger hat sie davor bewahrt und getröstet", schildert er. "Man braucht kein Fetzen zu sein - wichtig ist nur, dass der Mensch dahinter überzeugt."

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Utzenstorf, Niederbipp etc.

Securitys sind auch im Einzugsgebiet dieser Zeitung ein Thema. Seit kurzem sorgen private Sicherheitskräfte in Utzenstorf nachts für Ruhe und Ordung (vgl. Samstagsausgabe). Auch in Burgdorfs Oberstadt und um den Bahnhof patrouillieren und kontrollieren an Wochenenden Securitys mit Hunden. Bereits länger schon kommen Private in Niederbipp zur Wahrung der Sicherheit zum Einsatz.

Gedanken über Einsätze privater Sicherheitskräfte macht man sich auch in der Bundesstadt. Dort prüft die Innenstadtvereinigung BernCity private Securitys gegen Randständige einzusetzen (wir berichteten). Entschieden ist nichts. (sat)

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DEALERSZENE BE
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police.be.ch 18.5.09

1,5 Kilogramm Kokain sichergestellt

pkb. Die Kantonspolizei Bern hat am Freitagabend, 15. Mai 2009 in einem Verkaufsgeschäft im Morillon-Quartier in Bern und in Wohnungen Hausdurchsuchungen vorgenommen. Dabei wurden nebst weichen Drogen auch 1,5 Kilogramm Kokain sichergestellt. 13 Personen wurden vorübergehend festgenommen; eine von ihnen befindet sich in Untersuchungshaft.

Im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen hatte sich der Verdacht erhärtet, dass im "African-Shop-Le Baron" an der Morillonstrasse in Bern Widerhandlungen gegen die Betäubungsmittelgesetzgebung begangen werden. Im Rahmen ihrer gezielten Aktion hat die Kantonspolizei Bern vor Ort 27 Personen kontrolliert und 13 von ihnen vorübergehend festgenommen. Bei ihnen handelt es sich vorwiegend um afrikanische Staatsangehörige. Nach bisherigen Erkenntnissen halten sich mindestens zwei Person illegal in der Schweiz auf und werden diesbezüglich verzeigt.

Bei untersuchungsrichterlich angeordneten Hausdurchsuchungen stellte die Kantonspolizei rund 650 Gramm Marihuana und 1,4 Kilogramm Kokain sicher. Im Weiteren trug eine der kontrollierten Personen zehn Fingerlinge mit insgesamt 100 Gramm Kokain auf sich - versteckt in der Unterhose. Ferner wurden nebst grösseren Geldbeträgen auch über 40 Mobiltelefone und 11 Digitalkameras sichergestellt, deren Herkunft noch abgeklärt werden muss.

Untersuchungsrichteramt III Bern-Mittelland

(jümo)

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TRÄNENGAS
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Puls 18.5.09

Risiko Tränengas - Tränengas ist nur bei vorsichtigem Gebrauch harmlos

Tränengas wird seit Jahrzehnten eingesetzt, um eskalierende Demonstrationen und Krawalle zu zerstreuen. Vor allem in den 80er-Jahren wurden gesundheitliche Fragen zu den Einsätzen aufgeworfen. Bis heute ähnelt die medizinische Spurensuche dem Gehen in einer Rauchwolke. Klar ist: In sehr hohen Konzentrationen in geschlossenen Räumen kann Tränengas schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben.

http://www.sf.tv/videoplayer/embed/afe04a12-c9a0-4548-a26c-311ef80fb7dc&live=false

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Tränengas - ein unbedenklicher Stoff?

Tränengas im Einsatz

Seit Jahrzehnten wird in der Schweiz der Reizstoff Tränengas eingesetzt. Dabei werden die beiden Stoffe O-Chlorbenzyliden Malononitril (CS) und Chlorazetophenon (CN) verwendet. Tränengase gehören zu einer Stoffklasse, die sich dadurch auszeichnet, die Schleimhäute der Augen, des Nasen- und Rachenraums aber auch die Haut zu reizen und durch diese sehr unangenehme Wirkung dazu geeignet scheint, grossen Menschenansammlungen zu zerstreuen oder einzelne Personen kampfunfähig zu machen.

Reaktion Augen

Tränengas wirkt sofort in den Augen. Wie der Name sagt, reagieren die Augen mit starkem Tränenfluss. Eine sehr lange und intensive Einwirkung kann indes auch dauerhafte Folgen haben: Die Trübung der Hornhaut kann im schlimmsten Fall zu einer Erblindung führen. Solche Fälle können zum Beispiel bei einem Einsatz in geschlossenen Räumen eintreten.

Reaktionen Atmungssystem

Ebenfalls innert kürzester Zeit reagiert das Atmungssystem auf Tränengas. Das Atmen fällt schwer und es kommt zu Hustenreiz. In extremen Fällen - auch hier zum Beispiel bei langer Aussetzung von Tränengas in geschlossenen Räumen - kann sogar ein Lungenödem entstehen.

Reaktion Haut

Die Haut reagiert mit brennenden Rötungen auf Tränengas. Dies geschieht vor allem dann, wenn Tränengas in Verbindung mit Wasser auf die Haut trifft. Je länger dieses Gemisch wirkt, desto stärker kann die Hautreaktion sein.

Rasch handeln

Wer am Rande einer Demonstration mit dem Reizgas konfrontiert wird, soll sich so schnell wie möglich aus dem Tränengas-Rauch begeben. Damit erübrigen sich meist schon alle gesundheitlichen Folgen. Experten empfehlen die Augen unter fliessendem Wasser auszuwaschen und falls die Kleidung nass geworden ist, diese schnellstmöglich zu wechseln.
Auch wenn Tränengas kein unbedenklicher Stoff ist: Trotz vieler Einsätze in den letzten Jahrzehnten in der Schweiz sind nur wenige gesundheitliche Schädigungen bekannt.

Experten im Beitrag:

Dr. med. Hugo Kupferschmidt
Direktor Schweizerisches Toxikologisches Informationszentrum
Freiestrasse 16
8032 Zürich

Dr. phil. Peter X. Iten
Toxikologe
Leiter Forensische Chemie/Toxikologie, Institut für Rechtsmedizin Zürich
Winterthurerstrasse 190
8057 Zürich

Hans Peter Michel
Landammann
Gemeinde Davos
Berglistutz 1
Postfach
7270 Davos Platz 1

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ANTIRA-CUP SOLETTA
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Solothurner Zeitung 18.5.09

Luzerner waren zuletzt unter sich

Der Antira-Cup stand nicht nur im Zeichen des runden Leders, sondern auch des Outfits

An den Füssen Chucks statt Stollenschuhe, für einmal Tutu statt Trikot und politische Parolen anstelle von Fussballhymnen: Am Samstag fand im Rahmen des Antira-Cups zum dritten Mal das Fussballturnier gegen Rassismus in Solothurn statt.

Raffaela Kunz

"Love football - hate racism" lautete das Motto, Fairplay die Devise: Der Pausenplatz des Vorstadtschulhauses diente am Samstag als Kulisse für ein Fussballturnier, an dem sich nicht alles nur um den runden Ball drehte. Klar, es wurde Fussball gespielt - aber die weiteren Gemeinsamkeiten mit anderen Fussballturnieren beschränkten sich auf die zwei Tore auf jedem Spielfeld und die vom FC Solothurn gezogenen Spielfeldlinien. Rote Karten hingegen oder Schiedsrichter suchte man vergeblich: Die einzige Regel lautete Fairplay, für das Befolgen waren die Teams selber verantwortlich. Im Zentrum standen weder der Sieg noch ausschliesslich der Spass. Ziel war es vielmehr, "Rassismus auf spielerische Art zu thematisieren", so ein Mitglied der Aktionsgruppe.

Grosses Interesse

Und die Idee schien zu gefallen: 24 Teams aus der ganzen Schweiz waren angereist, um am Turnier teilzunehmen. Das Interesse war gar so gross, dass zehn Mannschaften mangels Kapazität vertröstet werden mussten. Zu bewundern waren indes nicht nur Fussballkünste, sondern auch originelle Trikots: Das Spektrum reichte von Ballerinas über eine Mannschaft in roten Schottenröcken bis hin zum Solothurner Frauenteam "Tussi-Fraktion", das in orangen Hotpants und Netzstrümpfen aufwartete. Letzteres griff zu allen Mitteln, um Tore zu ergattern. So scheute sich eine "Tussi" nicht, den Ball von Hand ins Goal zu tragen. Gefeiert wurde das Tor dann, als wäre es ein richtiges gewesen.

 Doch ein bisschen ernster wurde der Fussball von anderen Teams genommen. "Ultras Säli" aus Luzern etwa, die schon zum dritten Mal dabei waren, kamen zwar hauptsächlich aus "Freude am Fussball", ein gutes Resultat war aber dennoch das Ziel. Wenn zwischendurch der Ehrgeiz die Mannschaften allzu sehr packte, kam es auch vor, dass das Fairplay etwas arg strapaziert wurde. Ein Spieler namens "Paul der Hooligan" etwa erzürnte sämtliche Beteiligte derart, dass beinahe die Fetzen flogen und von "love" nicht mehr viel zu spüren war. Grössere Zwischenfälle gab es dennoch keine; im Sanitätszelt mussten einzig ein paar Schürfwunden behandelt werden. Der Wunsch von "Ultras Säli" schliesslich ging in Erfüllung. Die Luzerner Mannschaft eliminierte die Solothurner Halbfinalisten im Penaltyschiessen und setzte sich im Final gegen ein ebenfalls luzernisches Team durch. Für die Solothurner ist allerdings noch nicht alle Hoffnung verloren: Ende Juli soll in Luzern ein weiterer Antira-Cup stattfinden. Vielleicht ist das die Möglichkeit, sich bei den Luzernern zu revanchieren.

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TASER
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NZZ 19.5.09

Sitzung des Kantonsrats

Wenn nötig, soll die Polizei durchgreifen können

Abschliessende Liste der polizeilichen Einsatzmittel enthält Taser, Gummischrot und Reizstoffe

 Zwar ist das vom Volk genehmigte Polizeigesetz noch vor Bundesgericht hängig. Trotzdem hat der Kantonsrat eine abschliessende Liste der erlaubten polizeilichen Einsatzmittel genehmigt, die das Gesetz ergänzt. Wann beides in Kraft tritt, hängt vom Lausanner Entscheid ab.

 wbt.  Der Kanton Zürich erhält eine abschliessende Liste der polizeilichen Einsatzmittel. Mit 135 zu 31 Stimmen hat der Kantonsrat eine Verordnung über die polizeiliche Zwangsanwendung genehmigt, die neben Schusswaffen auch Handschellen, Diensthunde, Gummischrot, Reizstoffe, Wasserwerfer, Polizeistöcke und Destabilisierungsgeräte (auch Elektroimpulsgeräte oder nach der gebräuchlichsten Marke, Taser, genannt) zulässt. Eine solche Liste hatte der Kantonsrat anlässlich der Verabschiedung des Polizeigesetzes verlangt. Die am Montag verabschiedete Verordnung regelt auch die Verwendung der Mittel nach dem Prinzip der Verhältnismässigkeit. So dürfen Taser nur von geschulten, vom Kommando der Kantonspolizei oder der kommunalen Polizei bezeichneten Spezialisten eingesetzt werden. Nach jedem Einsatz muss dem Kommando schriftlich Bericht erstattet und die betroffene Person ärztlich kontrolliert werden. Bisher ist der Einsatz der Zwangsmittel in Dienstbefehlen geregelt worden.

 Taser als "Waffe der Zukunft"

 Gegen die Liste haben sich AL, GP und fast die Hälfte der SP-Fraktion gestellt. Nicht nur beim Polizeigesetz, sondern auch bei der Verordnung gelte es zu verhindern, dass die ohnehin vorhandene Macht sich noch ausdehne, argumentierte Markus Bischoff (al., Zürich). So handle es sich beim Taser, einem Gerät zum Verschiessen kleiner Pfeile aus kurzer Distanz, die dazu dienen, die getroffene Person mittels Stromstoss kurzfristig ausser Gefecht zu setzen, um eine "Waffe der Zukunft". Sie werde wohl bald viel breiter eingesetzt - mit ungeklärten Folgen. Yves de Mestral (Zürich) hielt es als Sprecher der SP-Minderheit für problematisch, dass auch kommunale Polizeikommandos den Taser-Einsatz anordnen können. Mestral sprach sich zudem gegen die Zulassung von Reizstoffen in geschlossenen Räumen aus und wehrte sich gegen die Möglichkeit, für die Polizei Seriefeuerwaffen anzuschaffen. Die Begründung der Polizei, sie sei für die innere Sicherheit zuständig, nicht mehr die Armee, könne einen Sozialdemokraten schon aus historischen Gründen nicht überzeugen. Martin Naef (Zürich) gestand als Sprecher der SP-Mehrheit hingegen zu, dass die Polizei namentlich beim Reizstoff-Einsatz Fortschritte gemacht habe. Solche Distanzmittel verhinderten zudem Nahkämpfe, die zu mehr Verletzten führen würden.

 Höheres Risiko der Schusswaffe

 Damit war er gleicher Meinung wie der Polizist René Isler (svp., Winterthur). Isler betonte, dass die Verordnung nur festhalte, was bereits langjährige Praxis darstelle. Beat Badertscher (fdp.) ergänzte, dass mit dem Schusswaffeneinsatz weit höhere Risiken verbunden sind als mit dem Taser. Für Sicherheitsdirektor Hans Hollenstein stehen Dialog und Deeskalation bei Polizeieinsätzen an erster Stelle. Müsse die Polizei aber durchgreifen, soll sie über geeignete Mittel verfügen können. Gefragt, warum das Polizeigesetz nicht trotz hängigem Gerichtsverfahren in Kraft gesetzt werde, antwortete Hollenstein indirekt. Er werde in Lausanne diskret nachhaken, Poltern bringe nichts.

 Weiterer Bericht aus dem Kantonsrat Seite 44

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 Kanton Zürich tritt Konkordat zur Bekämpfung des Hooliganismus bei

wbt. Mit 139 zu 26 Stimmen hat der Kantonsrat am Montag den Beitritt zum Konkordat über Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen beschlossen. Einen Tag vorher war es nicht nur zu erneuten Ausschreitungen nach dem Spiel FC Zürich - FC Basel gekommen, sondern im Kanton Luzern auch zu einer beinahe 90-prozentigen Zustimmung zum gleichen Konkordat in einer Referendumsabstimmung. Mit dem Konkordat wollen die Kantone die polizeilichen Instrumente weiterführen, die vom Bund im Hinblick auf die Fussball-Europameisterschaft 2008 und die Eishockey-Weltmeisterschaft 2009 in unserem Land befristet erlassen wurden.

 Gegen den Beitritt gestimmt haben AL, GP, Teile der SP-Fraktion und SVP-Kantonsrat Claudio Zanetti (Zollikon), der in seiner Fraktion mit seiner Haltung unterlegen war. Für Markus Bischoff (al., Zürich) haben die Ereignisse vom Sonntag in Zürich nur gezeigt, dass Rayonverbote, Meldeauflagen und Polizeigewahrsam als präventive Massnahmen nichts nützten. Es werde trotzdem geprügelt. In diesen Fällen müsse das Strafgesetzbuch zur Anwendung kommen. Die Massnahmen des Konkordats gingen zu weit. Wenn Stadionbetreiber und Veranstalter potenzielle Gewalttäter bezeichneten, gebe der Staat das Gewaltmonopol aus der Hand.

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Landbote 19.5.09

Arztbesuch nach Taser-Einsatz

Pascal Unternährer

In einer Verordnung wird geregelt, welche Einsatzmittel der Kantonspolizei und den kommunalen Polizisten zur Verfügung stehen. Der Kantonsrat hat den Katalog gestern genehmigt. Am meisten zu reden gaben die sogenannten Taser.

Zürich - Laut dem vom Stimmvolk im Februar 2008 angenommenen Polizeigesetz hatte der Regierungsrat eine Verordnung über die polizeilichen Einsatzmittel und deren Anwendungsmodalitäten zu erlassen. Diese Verordnung sollte durch den Kantonsrat zwar nicht abgeändert, aber angenommen oder verworfen werden können. Die Einsatzmittel sind abschliessend erwähnt. Es geht um Fesselungsmittel, Diensthunde, Gummischrot, Reizstoffe, Wasserwerfer, Mehrzweckstöcke, Destabilisierungsgeräte (Elektro-Taser) und Schusswaffen. Andere Mittel sind nur bei Notwehr, Notwehrhilfe und Notstand erlaubt, steht in der Verordnung. Die Regelung gilt für die Kantonspolizei und alle Stadt- sowie Gemeindepolizeien.

"Nicht wie in den USA"

Die SP-Mehrheit könne nun hinter der Verordnung stehen, sagte Martin Naef (Zürich) gestern. "Unsere Skepsis galt den Tasern und Reizstoffen." Die Taser-Einsätze seien nun aber strenger geregelt als anfänglich, so Naef. So dürfen nur wenige speziell ausgebildete Mitglieder von Sondereinheiten die sogenannten Destabilisierungsgeräte ("Taser" ist eine Marke wie Aspirin) einsetzen. Zudem ist eine ärztliche Untersuchung der angeschossenen Person vorgeschrieben und ein schriftlicher Rapport obligatorisch. "Es ist nicht wie in den USA, wo fast alle Polizisten einen Taser auf sich haben", stellte Naef zufrieden fest. Auch die Tränengaseinsätze seien befriedigend gelöst worden: Sie sollen "verhältnismässig" sein. Naef machte klar: "Wenn man keine Distanzmittel zur Verfügung hat, bedeutet das Nahkampf und viel mehr Verletzte."

Für einmal befand sich die SP auf der Linie der SVP. René Isler (SVP, Winterthur) sagte, die Regelung entspreche der langjährigen Praxis. Als Vorteil der Taser bezeichnete Isler, dass deren Einsatz "nicht definitiv", also tödlich ist. Zudem würden keine Drittpersonen gefährdet wie bei einem Schusswaffeneinsatz. Genau dieser Punkt fand auch bei Beat Badertscher (FDP, Zürich) lobende Erwähnung.

Maleica-Monique Landolt (GLP, Zürich) nannte die Verordnung eine "pragmatische und nötige Ergänzung zum Polizeigesetz", Thomas Ziegler (EVP, Elgg) lobte, dass das Prinzip der Verhältnismässigkeit grossgeschrieben wird.

Die Waffe der Zukunft

Nicht einverstanden mit der Verordnung waren Grüne/AL sowie einzelne Sozialdemokraten. Markus Bischoff (AL, Zürich) warnte vor Machtmissbrauch durch Ordnungshüter und vor der Verbreitung der Taser. "Das ist die Waffe der Zukunft", prophezeite er. Weiter kritisierte er gewisse todbringende Fesselungsarten und Spezialpatronen sowie die Gummigeschosse, die nicht umsonst in Deutschland verboten seien. Yves de Mestral (SP, Zürich) stört, dass bei entsprechender Ausbildung auch Gemeindepolizisten Taser brauchen dürfen. Inakzeptebel findet er, dass Reizstoffeinsätze auch in geschlossenen Räumen erlaubt sind. Zudem verbiete die Verordnung nicht explizit den Kauf von Seriefeuerwaffen durch die Polizei.

Sicherheitsdirektor Hans Hollenstein (CVP) beschwichtigte, dass die Tränengaseinsätze heute "überlegter als noch vor zehn Jahren" erfolgten, und erinnerte daran, dass alle Gemeinden das Polizeigesetz angenommen haben. Es ist noch immer blockiert durch eine Bundesgerichtsbeschwerde von linken Juristen, die vor allem die Videoüberwachung anprangern.

Die Verordnung wurde mit 135 zu 31 Stimmen (Grüne/AL, 12 SP) angenommen.

Pascal Unternährer

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Aargauer Zeitung 19.5.09

Verordnung hält fest: Polizei darf Taser anwenden

Klare Zustimmung des Zürcher Kantonsrats zum Einsatz von Gummischrot, Reizstoffen und Destabilisierungsgeräten

Grüne und Alternative waren dagegen, auch ein Teil der SP, doch das genügte bei Weitem nicht, der Polizei die Verwendung von Destabilisierungsgeräten (Taser) und anderen Einsatzmitteln zu verwehren: Der Kantonsrat genehmigte deren Einsatz mit 135 zu 31 Stimmen klar.

Alfred Borter

Fesseln, Gummischrot, Tränengas, Pfeffersprays, Polizei-Mehrzweckstöcke, Schusswaffen und auch Destabilisierungsgeräte werden in einer Verordnung zum Polizeigesetz ausdrücklich als erlaubte Einsatzmittel der Polizei genannt. Es wird aber auch einschränkend festgehalten, unter welchen Bedingungen diese Mittel zum Einsatz gebracht werden dürfen.

Die grosse Mehrheit des Kantonsrats war damit einverstanden, was die Regierung vorschlug, in der Überzeugung, dass die Polizei jeweils das Verhältnismässigkeitsprinzip beachte und stets das Mittel einsetze, das die davon betroffenen Personen am wenigsten beeinträchtige. Gleichwohl kamen einige Bedenken zur Sprache. Der Präsident der Kommission für Justiz und öffentliche Sicherheit, Christoph Holenstein (CVP, Zürich), erläuterte bezüglich der Destabilisierungsgeräte, mit denen einer Person ein derartiger Stromstoss versetzt werden kann, dass sie die Kontrolle über die Muskulatur verliert und dingfest gemacht werden kann, das sei unter Umständen ein sehr gutes Mittel, um Leute kampfunfähig zu machen. Taser dürften nur durch speziell ausgebildete Polizeibeamte angewandt werden, ausserdem sei jeder Einsatz zu dokumentieren. Dadurch werde sichergestellt, dass man solche Geräte nicht unnötigerweise einsetze.

 René Isler (SVP, Winterthur), selber Polizist, gab zu verstehen, was jetzt in der Verordnung stehe, sei das, was der Praxis entspreche.

Zwei Meinungen in der SP

Das sah Martin Naef (SP, Zürich) ähnlich. Es dürfe natürlich nicht so sein wie in den USA, wo man die Taser viel zu vielen Polizeibeamten mitgebe, meinte er. Obschon er in seiner Sturm- und Drangphase selber auch Erfahrungen mit gewissen Einsatzmitteln gemacht habe, befürworte er sie. Er spreche allerdings nicht für die ganze SP-Fraktion, gab er zu verstehen, und man werde die Arbeit der Polizei kritisch begleiten.

 Tatsächlich widersprach ihm Yves de Mestral (SP, Zürich). Man könne nicht damit einverstanden sein, dass Reizgas in geschlossenen Räumen versprüht werden dürfe, auch müsste man Serienwaffen verbieten. Auch Markus Bischoff (AL, Zürich) sprach, auch im Namen der Grünen, gegen die Zustimmung zur Verordnung, während FDP, CVP, EVP und GLP einverstanden waren.

Beschwerde verhindert Inkrafttreten

Regierungsrat Hans Hollenstein bestätigte, was jetzt als erlaubt deklariert werde, sei gut überlegt und sinnvoll. Allerdings können das Polizeigesetz und die Verordnung noch nicht in Kraft gesetzt werden, obschon das Volk das Gesetz im Februar 2008 angenommen hat, denn es ist immer noch eine Beschwerde beim Bundesgericht hängig. Er werde dort mal diskret nachfragen, wann mit einem Entscheid zu rechnen sei.

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20min.ch 18.5.09

Polit-Entscheid

Zürcher Polizisten dürfen jetzt auch tasern

Die Zürcher Polizei darf neben Schusswaffen auch Handschellen, Diensthunde, Gummischrot, Reizstoffe, Wasserwerfer, Polizeistöcke und Taser einsetzen. Der Kantonsrat genehmigte eine entsprechende Verordnung.

Dagegen wehrten sich Grüne und AL sowie Teile der SP. Mit 135 zu 31 Stimmen wurde jedoch ihr Antrag abgelehnt, die Verordnung nicht zu genehmigen.

Andere polizeiliche Einsatzmittel, als die in der abschliessenden Liste erwähnten, seien nur in Fällen von Notwehr, Notwehrhilfe und Notstand zulässig, heisst es in der "Verordnung über die polizeiliche Zwangsanwendung". Die Verordnung zum neuen Polizeigesetz, das vom Volk im Februar 2008 angenommen wurde, lehnt sich weitgehend an die Zwangsanwendungsverordnung des Bundes an.

Bisher wurde der Einsatz der Zwangsmittel in den zürcherischen Polizeikorps durch Dienstbefehle geregelt und präzisiert. Wann die neue kantonale Verordnung in Kraft gesetzt werden kann, ist noch offen, weil das Polizeigesetz beim Bundesgericht angefochten wurde.

Kritik gegen Taser und Seriefeuerwaffen

Die Kritik gegen die Verordnung richtete sich gegen die Taser, den Reizstoffeinsatz in geschlossenen Räumen und die Möglichkeit für die Polizeien, Seriefeuerwaffen zu beschaffen. Ein SP-Sprecher kritisierte, dass auch kommunale Polizisten solche "Destabilisierungswaffen" einsetzen dürfen, wenn sie dafür ausgebildet wurden.

Grundsätzlich seien die Taser allerdings "keine schlechte Sache", wenn mit ihnen ein Schusswaffeneinsatz verhindert werden könne. Der Einsatz von Reizstoffen in geschlossenen Räumen müsse dagegen ganz verboten werden. Die Regelung, dass die Leute den Raum verlassen können müssen, reiche nicht aus, sagte der Vertreter der SP- Minderheit. Für ihn kommt es auch nicht in Frage, dass im Kanton Zürich Polizisten Seriefeuerwaffen in die Hand bekommen.

Die Verordnung regele den Einsatz der polizeilichen Einsatzmittel nach bisheriger Praxis, hielten Vertreter der bürgerlichen Parteien fest. Wenn Taser statt Schusswaffen benützt würden, könne das Risiko für die Betroffenen verringert werden. Die Verordnung halte ja fest, dass nur speziell ausgebildeten Polizisten die Geräte anwenden dürften.
Quelle: SDA/ATS

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HEROIN-ABGABE
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20min.ch 20.5.09

Heroinabgabe ab 2010 geregelt

Die heroingestützte Behandlung als Therapieform von Schwerabhängigen kann im nächsten Jahr weitergeführt werden. Der Bundesrat hat die neuen Bestimmungen auf den 1. Januar 2010 in Kraft gesetzt.

Die heroingestützte Behandlung ist im Betäubungsmittelgesetz auf den 31. Dezember 2009 befristet geregelt. Damit sie weitergeführt werden kann, müssen die entsprechenden Artikel des revidierten Betäubungsmittelgesetzes spätestens am 1. Januar 2010 in Kraft sein.

Mit der am 30. November 2008 vom Stimmvolk angenommenen Änderung des Betäubungsmittelgesetzes ist die heroingestützte Behandlung als unbefristete, reguläre Therapieform für schwerabhängige Heroinkonsumentinnen und -konsumenten im Gesetz verankert worden.

Die restlichen Änderungen des Betäubungsmittelgesetzes sollen zu einem späteren Zeitpunkt - voraussichtlich auf den 1. Januar 2011 - in Kraft gesetzt werden, da diese umfangreiche Anpassungen im Verordnungsrecht verlangen.
Quelle: SDA/ATS

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NEONAZIS CH
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Tagesanzeiger 20.5.09

Juso will auf Rechtsextreme treffen

Sempach. - Der Kanton Luzern fürchtet, dass es an der Gedenkfeier zur Schlacht bei Sempach vom kommenden 27. Juni zu einer Konfrontation zwischen Rechtsextremen und jungen Linken kommt. Die Jungsozialisten (Juso) haben laut dem "SonntagsBlick" in Sempach ein Gesuch eingereicht, um am gleichen Samstag mit einer Kundgebung gegen neonazistische Gruppen demonstrieren zu dürfen.

Sie will damit erreichen, dass die Luzerner Behörden die Rechtsextremen künftig an der Feier nicht mehr tolerieren. "Wir sind nicht erfreut über dieses Gesuch", sagt Urs Hangartner, Sprecher der Luzerner Kantonsregierung. "Die Formulierungen der Juso lassen Zweifel daran, dass die Feier ruhig verläuft", sagt Hangartner. Die Regierung werde das Gespräch mit allen Gruppen suchen und die Situation dann neu beurteilen. Bisher stellte sie sich stets auf den Standpunkt, die Rechtsextremen so lange gewähren zu lassen, wie sie die Feier nicht stören.

In grösserer Zahl erschienen die Neonazis erstmals 2006 an der Sempacher Feier. Im gleichen Jahr beschränkten die Organisatoren der 1.-August-Feier auf dem Rütli zum ersten Mal den Zugang zur Nationalwiese. Die Rechtsextremen suchten sich daher eine neue Plattform für ihre provokativen Auftritte. Letztes Jahr marschierten 250 Rechtsextreme am Umzug in Sempach mit. Ob die Juso mit ihrer Gegendemonstration in Sempach willkommen ist, hat die Stadt noch nicht entschieden. Zurzeit prüft sie das Gesuch. Stadtpräsident Franz Schwegler sagt jedoch, dass "die Rechtsextremen bisher keinen Anlass zur Kritik gegeben haben". (dav)

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20min.ch 20.5.09

Neonazi-Aufmarsch in Sempach

"Eine Gegendemo ist kontraproduktiv"

von Adrian Müller

Jedes Jahr marschieren mehr Rechtsextreme an der Schlachtfeier von Sempach auf. Nun ruft die Juso zu einer Gegendemo auf. Der Stadtpräsident von Sempach fürchtet sich derweil vor Grabenkämpfen.

In glühender Mittagssonne marschieren die verkleideten historischen Krieger mit Hellebarde und Armbrust bewaffnet vom Städtchen Sempach zum Winkelrieddenkmal, dem Zentrum des einstigen Schlachtfelds. Am Umzug nehmen rund 1000 Personen teil, darunter etwa 250 Rechtsextreme aus dem Dunstkreis der Partei National Orientierter Schweizer PNOS. Eine Person trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "Friedrich Laibacher - Nationalheld" und feiert damit den Amokschützen von Zug.

Rechtsextreme in die Schranken weisen

So spielte sich die Schlachtfeier von Sempach im vergangenen Jahr ab. "Solange die Rechtsextremen die Feier nicht stören, stellen sie für uns kein Problem dar. Darum distanzieren wir uns auch nicht von ihnen", sagte damals der Luzerner CVP-Regierungspräsident Markus Dürr gegenüber 20 Minuten Online. Die Regierung distanzierte sich wiederholt nur zaghaft von den Neonazis. Jetzt wollen die Jungsozialisten die Rechtsextremen in die Schranken weisen. Sie organisieren am 27. Juni 2009, dem Tag der Schlachtfeier, eine Kundgebung gegen eben diese gängige Praxis und fordern die Luzerner Regierung und das OK der Schlachtfeier auf, sich endlich von Rechtsextremen zu distanzieren und ihnen keinen Platz bei ihrem Umzug zu gewähren.

Gegendemo ist kontraproduktiv

Der Stadtpräsident von Sempach hält gar nichts vom Gebaren der Jungsozialisten: "Die Demo der Juso ist kontraproduktiv, denn so bekommen die Rechtsradikalen, was sie wollen: Aufmerksamkeit", erklärt Franz Schwegler auf Anfrage. Er befürchte, dass die Schlachtfeier politisch missbraucht und für ideologische Grabenkämpfe benutzt wird. Schwegler hält es durchaus für möglich, dass die Rechtsextremen wieder in gleichem Rahmen auftreten dürfen wie im vergangenen Jahr. "Wie der Anlass gestaltet wird, entscheiden wir zusammen mit der Luzerner Kantonsregierung." Sowieso werde die Brisanz dieses Anlasses überschätzt.

Die Pnos zeigt sich unbeeindruckt über den Aufmarsch der Linken: "Die stören uns nicht, es herrscht schliesslich Meinungsfreiheit", so Pnos-Mediensprecher Markus Martig. Auf ihrer Homepage geben sich die Rechtsextremen lammfromm: "Während des Marsches ist der Konsum von Tabak und Alkohol zu unterlassen", steht auf der Parteiwebseite.

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Berner Rundschau 19.5.09

Langenthal

Weitere Geschäfte

Pnos macht Rückzieher

"Alle religiösen Bauten sollen in Zukunft durch das Volk gutgeheissen werden." So die Absicht von Motionär Timotheus Winzenried (Pnos). Der Gemeinderat stellte gestern Abend Antrag auf Nichterheblicherklärung dieses Vorstosses, "weil die Umsetzung schwierig wäre", so Stapi Thomas Rufener (SVP). Es stelle sich nämlich die Frage, ob nach der Umsetzung des Vorstosses der Bau eines Vordachs beim Kirchgemeindehaus auch vom Volk gutgeheissen werden müsste. "Die Erteilung von Baubewilligungen ist aber kein politischer Entscheid", begründete Rufener die Haltung des Gemeinderates. Winzenried glaubte offenbar nicht an Erfolgschancen im Stadtrat und zog seine Motion deshalb zurück. Der Pnos-Stadtrat begründete: "Es herrschen zu viele Unklarheiten." (tg)

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NEONAZIS BRD
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Tagesanzeiger 20.5.09

In Deutschland nehmen die rechtsextremen Gewalttaten zu

Berlin. - In Deutschland ist die Zahl rechtsextremer Straftaten im letzten Jahr um 15,8 Prozent auf 19 894 angestiegen. Doch ist die Bundesrepublik nach den Worten von Innenminister Wolfgang Schäuble vor allem weiter im "Visier gewaltbereiter Islamisten". Es sei dem Glück und der Arbeit der Sicherheitsbehörden zu verdanken, dass es bisher keine erfolgreichen Anschläge gegeben habe.

Beunruhigt äusserte sich Schäuble auch über einen wachsenden Einfluss von Neonazis in der rechtsextremen NPD. Besorgt stimmten den Minister, der am Dienstag den Jahresbericht 2008 des Verfassungsschutzes vorlegte, zudem die "autonomen Nationalisten", die ähnlich wie Gruppierungen im linksextremen Spektrum gewaltsame Auseinandersetzungen wollten. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, schätzte die "autonomen Nationalisten" auf 400 bis 500 Personen. Dies sei nur ein Zehntel der gewaltbereiten Linksextremisten. Neu sei aber, dass nun auch Rechtsextremisten gezielt gewaltsam vorgingen. sagte Fromm. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth warf Schäuble vor, die Gefahr durch Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus vollkommen unterschätzt zu haben. Auch in Österreich, Ungarn, Tschechien und Italien gewinnen rechtsextreme Kräfte an Gewicht. (SDA)

Kommentar 5. Spalte, Bericht Seite 5

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Mehr Neonazis, mehr Gewalt in Deutschland

Doerfler Kordula; Hénard Jacqueline; Knellwolf Thomas; Odehnal Bernhard

In Deutschland steigt die Zahl der rechten Gewalttaten. Der Innenminister aber hat vor allem die Islamisten im Blick.

Von Sascha Buchbinder, Berlin

Die Rechtsextremen in Deutschland sind zunehmend gut organisiert und gewalttätiger. Der am Dienstag in Berlin vorgestellte Verfassungsschutzbericht zeigt, dass die Zahl der Gewalttaten von 980 im Jahr 2007 auf 1042 letztes Jahr stieg. Erstmals seit langem weist der Bericht auch wieder zwei Getötete aus. Dennoch zeigte sich Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) gelassen. "In dieser ·Legislatur haben wir im Kampf gegen Terrorismus und Extremismus einiges erreicht", erklärte er und lobte die Sicherheitsbehörden. Den Anstieg rechter Gewaltdelikte um 6,3 Prozent schob er mit der Bemerkung beiseite, dass dies dem Auftreten der neuen, besonders gewaltbereiten Gruppe von 400 bis 500 "Autonomen Nationalisten" zuzuschreiben sei.

Das "Erreichte" in Sachen Bekämpfung rechter Gewalt sieht allerdings eher beunruhigend aus, wenn man tatsächlich auf die Zeit vor Schäuble zurückblickt: Im Jahr 2004 wurden in Deutschland 832 rechte Gewalttaten registriert. Mithin ist die Zahl während der laufenden Legislaturperiode um 25 Prozent gestiegen. Darauf angesprochen, schränkte Schäuble die Gültigkeit seines Stolzes auf den Antiterrorkampf ein. Im Übrigen appellierte er an die Zivilcourage seiner Landsleute. "Das Wichtigste sind engagierte Bürger", erklärte er.

146 rechtsextreme Bands

Die engagierten Bürger in Deutschland sind durch die rechten Umtriebe jedoch wachsenden Belastungen ausgesetzt. Die Zahl der NPD- und Neonazi-Demonstrationen stieg letztes Jahr um 19 auf 155.146 rechtsextreme Bands und 30 Liedermacher hetzen in ihrer Musik gegen Andersdenkende, Ausländer und Juden. Der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Heinz Fromm, wies darauf hin, dass dieses Jahr zweimal Gewerkschafter von Rechtsextremisten angegriffen worden waren. "Das ist ein neues Phänomen", stellte Fromm fest.

Die Fälle unorganisierter, spontaner Gewalt gingen letztes Jahr leicht zurück. "2008 waren die Taten stärker rechtsextremistisch motiviert", lautet Fromms Einschätzung. Passend dazu registrierten die Behörden bei der vergleichsweise moderat rechtsextremen Deutschen Volksunion (DVU) einen Mitgliederschwund von 7000 auf 6000. Auch bei der rechtsextremen NPD führten Richtungsstreit und Finanzprobleme zu einem leichten Rückgang der Mitgliederzahlen von 7200 auf 7000 Personen. Dagegen zählte der Verfassungsschutz 4800 Neonazis in Deutschland - 400 mehr als ein Jahr zuvor.

Dennoch warnte Fromm davor, die NPD zu unterschätzen. Zwar scheiterte die Partei letztes Jahr bei den Landtagswahlen in Hessen, Niedersachsen und Bayern. Aber bei den Kommunalwahlen in Sachsen konnte sie ihre Sitzzahl verdreifachen. Und im Unterschied zur DVU versucht die NPD seit längerem, die wachsende Zahl von Neonazis und Kameradschaften zu integrieren, um eine rechte Volksfront zu schaffen. Finanzchaos und hohe Strafzahlungen machten die NPD nicht handlungsunfähig, meinte Fromm. Trotzdem bekräftigte Schäuble am Dienstag sein Nein zu einem Verbotsverfahren. Die Hürden für ein Parteiverbot seien sehr hoch. Das gescheiterte erste Verfahren habe sich als Bumerang erwiesen, weil die Partei sich anschliessend als verfolgte Unschuld darstellen konnte.

Unübersehbar beschäftigt der islamistische Terror den Innenminister ungleich stärker als die Gewalttaten rechter Schläger und Brandstifter. 2008 wurde Deutschland erstmals in eigenen Videobotschaften von al-Qaida bedroht. Inzwischen kursieren mehrere deutschsprachige Droh- und Werbevideos im Netz. "Wir reden hier nicht von Spassveranstaltungen", erklärte Schäuble. Die sogenannte Sauerlandgruppe habe versucht, Bomben zu bauen, die 40-mal stärker sein sollten als bei den Anschlägen in London: "Das sind keine eingebildeten, sondern reale Gefahren." Als grösste Bedrohung werten die Behörden die wachsende Zahl von Islamisten, die in Deutschland aufgewachsen sind und nun nach Pakistan reisen. Aus den dortigen Terrorlagern kämen sie radikalisiert und im Widerstand ausgebildet zurück.

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Europas Rechtsextremisten sind unterschiedlich stark

Schweiz

Das Bundesamt für Polizei weist einen Rückgang von Gewalttaten der Szene mit konstant 1200 Mitglieder aus: Statt vorher jährlich 50 bis 64 Delikte verzeichnete es für 2008 noch 24 - vom Brandanschlag auf eine Fricktaler Asylunterkunft bis zur Attacke Schweizer Rechtsextremer an einem Liechtensteiner Fest. Beobachter Hans Stutz erklärt sich den Gewaltrückgang so: "Da sich die Szene gefestigt und besser organisiert hat, werden gewaltbereite Angehörige diszipliniert." (tok)

Frankreich

Hat Nicolas Sarkozy es geschafft, die Rechtsextremisten in Frankreich zu marginalisieren? Die Absichtserklärungen zur Europawahl deuten in diese Richtung: Für den Front national wollen nur noch 4 Prozent, für zwei neue linksextremistische Parteien hingegen rund 10 Prozent der Befragten stimmen. Die Schwäche der Rechtsextremisten hängt mit dem Alter ihrer Führungsfigur, Jean-Marie Le Pen, zusammen. Seine Tochter Marine hat zwar den Biss, nicht aber die Anziehungskraft ihres Vaters. An Konkurrenten, die das Wählerpotenzial des Front national umwerben, mangelt es nicht. (JH)

Italien

In Italien, das seine faschistische Vergangenheit nie wirklich aufgearbeitet hat, ist unter der neuen Regierung Berlusconi ein Rechtsruck der Gesellschaft zu beobachten. Immer wieder werden Akte von Selbstjustiz gegenüber Immigranten bekannt. Zahlen über rechtsextreme Straftaten sind selbst beim Innenministerium nur schwer erhältlich, das sich auf den Kampf gegen illegale Einwanderer konzentriert. Anfällig gegenüber rechtsextremem Gedankengut ist die militante Ultra-Szene der Fussballklubs. (kd)

Österreich

Parallel zum Aufstieg der Freiheitlichen Partei (FPÖ) gewinnt auch die rechtsextreme Szene an Stärke. Etliche Politiker der FPÖ sind Mitglieder deutschnationaler Burschenschaften. Vor allem in den Bundesländern Steiermark und Oberösterreich stellen die Verfassungsschützer Aktivitäten von Neonazi-Gruppen fest. Neonazis aus dem nahen Bayern halten ihre Feiern und Konzerte gerne in kleinen oberösterreichischen Orten ab, da die Polizei hier eher wegsieht. 2008 verzeichnete die Polizei 831 Anzeigen wegen rechtsextremer Aktivitäten. Im Jahr zuvor waren es noch 752. (bo)

Ungarn

Die rechtsextreme Partei Jobbik kandidiert bei den EU-Wahlen zum ersten Mal bei nationalen Wahlen, das Ergebnis gilt deshalb auch als Gradmesser für die Stärke der Rechtsextremen in Ungarn. Die von Jobbik gegründete paramilitärische Ungarische Garde rekrutiert weiterhin Mitglieder und provoziert mit Aufmärschen durch Roma-Quartiere. Die Ungarische Garde wurde zwar wegen Verhetzung gerichtlich verboten, die Regierung tut jedoch nichts, um dieses Verbot auch umzusetzen. (bo)

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Kommentar

Rechte Gefahr verharmlost

Von Bernhard Odehnal, Wien

Die rechtsextreme Gewalt in Europa hat einen neuen Höhepunkt erreicht. In Deutschland haben rechte Straftaten seit 2004 um 25 Prozent zugenommen. In Österreich werden KZ-Opfer attackiert, in Italien machen rechte Bürgerwehren Jagd auf Rumänen und Afrikaner, in Ungarn werden Roma gelyncht. Die Szene ist gut vernetzt: Wird ein Skinhead-Konzert in Deutschland verboten, weicht man nach Tschechien oder Österreich aus. Aktionen werden über Homepages koordiniert, deren Server für die Justiz unerreichbar in den USA stehen.

Die Wirtschaftskrise bringt den rechtsextremen Gruppen neue Mitläufer. Wer seiner Wut über die Globalisierung, die Politik oder den verlorenen Arbeitsplatz Luft machen will, provoziert mit dem Bruch des letzten Tabus: mit Witzen über den Holocaust, mit NS-Symbolen. Das garantiert Aufregung und mediale Aufmerksamkeit. Wie bei jenen Jugendlichen in Oberösterreich, die vor Besuchern einer KZ-Gedenkstätte mit dem Hitlergruss aufmarschierten.

Doch der harte Kern, die gewaltbereite Szene, ist in allen Ländern noch relativ klein. Zum echten Problem wird Rechtsextremismus erst, wenn bürgerliche und sozialdemokratische Parteien sich nicht klar abgrenzen. Wenn Skinheads Ausländer verprügeln, Asylbewerberheime anzünden oder Gewerkschafter attackieren, ist die Empörung gross. Im politischen Alltag verpufft sie. Die ungarischen Konservativen arbeiten in den Gemeinden mit der rechtsradikalen Partei Jobbik zusammen, in Tschechien bekommen die Neonazis vor ihren Aufmärschen durch Roma-Quartiere oft Informationen aus den lokalen Verwaltungen. Österreichische Volkspartei und Sozialdemokraten buhlen um die ausländer- und islamfeindliche FPÖ als Koalitionspartner. Verbote rechtsextremer Organisationen werden diskutiert - und verworfen.

Die Verharmlosung sendet ein Signal an die Wähler, an die Polizei und die Gerichte: So schlimm sind die Rechtsextremen gar nicht. Auch Deutschlands Innenminister Wolfgang Schäuble sieht sein Land trotz der neuen Zahlen vor allem von Islamisten bedroht. Den Kampf gegen den Rechtsextremismus überlässt er dem "engagierten Bürger".

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NZZ 20.5.09

Mehr rechtsextreme Gewalt in Deutschland

Innenminister Schäuble warnt vor dem militanten Islamismus

 Deutsche Rechtsextreme haben im vergangenen Jahr noch mehr Straftaten verübt als 2007. Eine Gefahr für die Demokratie geht laut dem Verfassungsschutz auch von militanten Islamisten aus. Innenminister Schäuble hält die Republik trotzdem für ideell krisenresistent.


 U. Sd. Berlin, 19. Mai

 Das Grundgesetz, die deutsche Verfassung, wird dieser Tage 60 Jahre alt, und seit Anfang der fünfziger Jahre wird seine Einhaltung vom Bundesamt für Verfassungsschutz geschützt. Zusammen mit dessen Präsidenten Heinz Fromm hat Innenminister Wolfgang Schäuble am Dienstag den Verfassungsschutzbericht 2008 vorgestellt, in dem im Vergleich zum Vorjahr eine starke Zunahme politisch motivierter Kriminalität konstatiert wird, vor allem bei Rechtsextremen, die um 15,8 Prozent mehr Straftaten und 6,3 Prozent mehr Gewalttaten verübten.

 Gegen ein NPD-Verbots-Verfahren

 Sorgen bereitet Schäuble primär das Erstarken der autonomen rechtsextremen Szene, die nicht nur gewalttätiger geworden ist, sondern immer öfter die Verhaltensweisen von Linksextremen imitiert und auch bei bewilligten Demonstrationen und ähnlichen Anlässen auftaucht. Bei Maifeiern beispielsweise zeigen sich seit längerem regelmässig Neonazigruppen, so dieses Jahr in Berlin oder in Dortmund, wo Rechtsextremisten friedlich demonstrierende Gewerkschafter angriffen. Häufiger geworden sind auch Attacken auf Linksextreme, die ihrerseits ihre Angriffe gegen Rechtsextreme oder vermeintliche Rechtsextreme 2008 geringfügig zurückgeschraubt haben. Beunruhigend ist laut Schäuble, dass die Zahl der Neonazis erneut gestiegen ist. Dagegen gibt es weniger NPD-Mitglieder. Dezidiert und mit der ihm eigenen Lakonie lehnte Schäuble einmal mehr einen neuen Anlauf zu einem Verbotsverfahren gegen die NPD ab. Ein solches stünde verfassungsrechtlich auf tönernen Füssen und könnte sich im Falle eines Scheiterns als Bumerang erweisen, sagte er.

 Stark zugenommen hat laut dem Verfassungsschutzbericht die Gefahr, die Deutschland durch gewaltbereite Islamisten droht. Dass sich Berlin im Rahmen der Uno-Bemühungen zum Wiederaufbau in Afghanistan engagiert, hat laut Fromm Deutschland verstärkt ins Visier islamistischer Terroristen gerückt. Deren Ausbildungslager im pakistanisch-afghanischen Grenzbereich würden auch von jungen, in Deutschland aufgewachsenen Islamisten besucht und stellten damit eine reale Gefahr für die Sicherheit des Staates dar. Fromm sprach von einer neuen Qualität der Bedrohung. Ein spezielles Augenmerk der Verfassungsschützer gilt der Gruppe von Terroristen oder potenziellen Terroristen, die der zweiten Einwanderergeneration angehören und in Deutschland aufgewachsen sind, sowie dem Internet, das auch für die Islamisten längst zum wichtigsten Kommunikations- und Propagandamedium geworden ist.

 Spionage ist offenbar "normal"

 Nicht ganz so dramatisch sieht es bei den Gewalttaten mit linksextremem Hintergrund aus. Hier stieg die Zahl der Straftaten um 13 Prozent, die der Gewalttaten ging indessen um 15,8 Prozent zurück. Während Rechtsextreme konstant und flächendeckend kriminell werden und dabei oft auf eigene Faust Hatz gegen Ausländer - vor allem gegen solche mit dunkler Haut - machen, treten gewaltbereite Linksextreme meist geballt und bei besonderen Anlässen wie etwa Kundgebungen gegen die Globalisierung, gegen Kernenergie oder Rechtsextremismus in Erscheinung. Nach wie vor beobachtet wird auch die Partei "Die Linke". Sie bietet laut dem Bericht noch immer Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen, da sie eine politische Umgestaltung der Republik verfolge, die mit den entscheidenden Merkmalen eines freiheitlichen demokratischen Staates unvereinbar sei. Eher belustigend wirkt in einer Zeit, in der selbst CDU-Politiker Staatsbeteiligungen an Banken vorschlagen, der Hinweis, dass die Linken-Europaabgeordnete Sahra Wagenknecht die Frage, ob sie den BMW-Konzern enteignen würde, bejaht habe.

 Wegen seiner geopolitischen Lage und als Standort von zahlreichen Unternehmen mit Spitzentechnik ist Deutschland ein attraktives Ziel für fremde Geheimdienste. Laut dem Verfassungsschutzbericht werden deutsche Unternehmen und Regierungsstellen immer öfter zum Ziel von Hackern, die im Auftrag ausländischer Geheimdienste arbeiten. Besonders aktiv sind dabei offenbar Russland und China. An die grosse Glocke wollten dies am Dienstag allerdings weder Schäuble noch Fromm hängen. Solcherlei Aktivitäten scheint man im offiziellen Berlin - im Gegensatz zum gewaltbereiten Extremismus - augenscheinlich nicht als aussergewöhnlich oder besonders besorgniserregend einzustufen. Spionage, so das nicht ausgesprochene Fazit, ist unangenehm, aber "normal".

 "Erwachsene" Bundesrepublik

 Schäuble verfolgte bei der Präsentation des Verfassungsschutzberichts ein doppeltes Ziel. Einerseits war ihm spürbar daran gelegen, seinen Verfassungsschützern und ihrem Chef Fromm gute Arbeit zu attestieren. Mit Glück und Umsicht sei man an schweren Anschlägen im vergangenen Jahr vorbeigekommen, was nicht zuletzt solider Aufklärungsarbeit zu verdanken sei, sagte der Minister. Anderseits wies er klar auf die steigende Gefährdung der inneren Sicherheit hin und qualifizierte die wachsende Gewaltbereitschaft im rechten und im islamistischen Lager als sehr besorgniserregend. Dass die Wirtschaftskrise den Extremisten Zulauf bescheren könnte, stellte Schäuble indessen mit erstaunlicher Verve in Abrede. Man habe es in Deutschland mit einer "erwachsen gewordenen Demokratie" zu tun. Anders als vor dem Zweiten Weltkrieg sei der Respekt vor der Rechtsstaatlichkeit tief verankert, und Umfragen zeigten, dass die Bevölkerung der Krise erstaunlich ernst und gelassen begegne.

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Bund 20.5.09

In Rüschenbluse statt Springerstiefeln

Frauen erobern sich ihren Platz in Deutschlands Neonazi-Szene

Frauen spielen in der deutschen Rechtsextremen-Szene eine zunehmend wichtige Rolle. Unauffälliger als die Männer, aber nicht minder radikal versuchen sie die Gesellschaft mit neonazistischem Gedankengut zu unterwandern.

Fabian Löhe, Berlin

Als sie ihre Karriere in der rechtsextremen Szene startete, konnte es für Tanja Privenau nicht radikal genug zugehen. Drogendealern wünschte die damals 13-Jährige die Todesstrafe, Juden die Vernichtung und dem politischen Feind den "Tag der Abrechnung". Vor allem aber faszinierte sie die klare Rollenteilung. "Echte Mannsbilder gab es dort noch. Der Mann an der Waffe, die Frau am Herd", erinnert sich die Aussteigerin.

25 Jahre später sind aus den Heimchen am Herd heimliche Herrinnen geworden. Innerhalb der Rechtsextremen sind die Neonazi-Frauen heute der soziale Kitt, ohne den praktisch nichts mehr läuft. Nach aussen unterwandern sie dabei gezielt andere soziale Gruppen wie etwa Jugendtreffs. Und weil die Frauen nicht grölen, sondern über den Gartenzaun hinweg plaudern, wirkt die rechte Szene weniger brutal. Statt den Springerstiefeln wird das Image poliert. In Wahrheit aber denken die Frauen nicht weniger radikal und schrecken auch vor Gewalt nicht zurück. 30 Prozent der Neumitgliedschaften in der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) sollen Frauen sein, ebenso viele wie bei den etablierten Parteien. Und der Ring Nationaler Frauen (RNF), eine NPD-Unterorganisation, buhlt offenbar noch erfolgreicher um Mitglieder: Ihre Zahl hat sich laut eigenen Angaben innerhalb eines Jahres auf rund 150 verfünffacht. Qualitativ gewinnen Frauen ebenfalls an Einfluss: Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass sie den Rechtsextremismus in den vergangenen Jahren "ideologisch modernisiert" haben.

Mitläuferin, dann Funktionärin

Auch Privenau ist über die Jahre bis in die Kaderspitze gestürmt. Nachdem sie mit der Neonazi-Ideologie von Kindesbeinen an aufgewachsen war, wurde die heute 38-Jährige zunächst Mitglied in der später verbotenen Wiking-Jugend. In der Szene fand sie auch ihren ersten Freund. Als Jugendliche schloss sie sich der - ebenfalls später verbotenen - Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei an. Danach leitete sie Freie Kameradschaften und brachte den rechten Nachwuchs auf Linie.

Zunächst musste sich Privenau gegen die Vorherrschaft der Männer durchboxen. Erst nach etwa zehn Jahren wurde klar: Aus der Mitläuferin war eine Funktionärin geworden. "Ich habe viele Demonstrationen angemeldet und in Mecklenburg-Vorpommern die sogenannten national befreiten Zonen mit aufgebaut", bekennt die Ex-Neonazi-Frau. Wenn es zu Krawallen mit der Polizei kam, schleuderte auch sie Pflastersteine gegen den "politischen Feind". Andere Aussteigerinnen berichten, dass sie bei Gruppengewalt gegen Einzelne Schmiere gestanden, mit dem Handy gefilmt oder selbst zugeschlagen haben.

Von aussen ist indes meist schwer zu erkennen, bei wem das Herz rechts schlägt. Als die NPD kürzlich in ihrer Parteizentrale in Berlin-Köpenick eine Versammlung zum 1. Mai abhielt, betreuten Neonazi-Frauen die Hüpfburg auf dem Hinterhof und sorgten für Speis und Trank. Auf Plakaten wirbt der RNF für ein Muttergehalt. Mit Blusen und Röcken oder Hosenanzug wirken die rechtsextremen Frauen allenfalls konservativ und adrett. Auf der RNF-Website etwa zeigt sich die 60-jährige Edda Schmidt aus Baden-Württemberg artig in trachtenähnlicher Rüschenbluse an der PR-Front, die 47-jährige Katrin Köhler aus Chemnitz mit geflochtenen Zöpfen. Wahlweise setzen sie sich für Brauchtum oder Alleinerziehende ein.

Unauffälliges Doppelleben

Solche Frauen lassen sich auch gerne in Elternbeiräte wählen; hier können sie die Gesellschaft relativ ungestört formen, während sie für die Aussenwelt ein Doppelleben führen. Stella Palau etwa hielt sich nach ihrem Umzug ins brandenburgische Hohen-Neuendorf zunächst mit politischen Äusserungen zurück. Mutterrolle statt Strassenkampf lautet die Devise: An vorderster Front sprach sie in einem alternativen Familienzentrum lieber über Ernährung und Kindererziehung. Erst durch einen Zufall erfuhren die Verantwortlichen dort: Palau ist Mitglied im NPD-Bundesvorstand. Im Familienzentrum ist sie heute unerwünscht.

"Die Frauen sind weniger sichtbar als die Männer", sagt Esther Lehnert von der Mobilen Beratung Rechtsextremismus (MBR) in Berlin. Immer noch greife das gängige Vorurteil, Frauen seien friedfertiger. "So sind sie als Rechtsradikale schwerer zu erkennen: Sie wirken sehr nett und bürgerlich." Ein Trugschluss: "Die Frauen sind meist ideologisch gefestigter", sagt Lehnert.

Behinderten Sohn misshandelt

Tanja Privenau hat vor vier Jahren mit ihren fünf Kindern mit Hilfe der Aussteiger-Organisation Exit dennoch den Absprung geschafft. Ihr geistig behinderter Sohn wurde in Ferienlagern der mittlerweile verbotenen "Heimattreuen Deutschen Jugend" eingesperrt, gefesselt und verprügelt. Zu Hause warf ihr Ehemann beim Streit auch schon mal den Tisch durch das Zimmer, erinnert sie sich. Er brach ihr mehrere Knochen, darunter das Steissbein. "Ich habe mich gefragt, ob ich das für meine Kinder will - und bin dann aufgewacht", sagt Privenau.

Doch gerade für die 25 Frauen unter den 300 Aussteigern, die Exit bisher betreut hat, ist die Kehrtwende besonders schwierig. Häufig kommt es bei Paaren mit Kindern zum Sorgerechtsstreit. Privenau erzählt, ihr Ex-Mann sei während der Scheidung von den rechten Kameraden finanziell unterstützt worden. Sie dagegen habe nicht einmal Prozesskostenhilfe beantragen können. Denn dann hätte sie ihre neue Identität offenlegen müssen. Geld sei aber auch für die Therapien der Kinder notwendig gewesen. "Ich kann es Frauen nicht empfehlen auszusteigen. Es ist sehr gefährlich", warnt Privenau. "Ich zweifle jeden Tag daran, ob es mir noch einmal möglich sein wird, ein normales Leben zu führen."

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Radio Corax (Halle) 15.5.09

Blut und Geist - Eisenacher Austellung über die Verbreitung der nationalsozialistischen Ideologie durch Musik
http://www.freie-radios.net/mp3/20090515-blutundgei-28014.mp3

Musik ist ein herrliches Transportmittel. Alles mögliche wurde schon mit Hilfe von Musik vermittelt. Vom ABC bis hin zum Lied der Ampelmännchen. Mit Musik geht eben alles besser. Sagt man ja so. Oder auch: Böse Menschen haben keine Lieder. Das würde ich so allerdings nicht ohne weiteres unterschreiben. Man denke nur an Charles Manson oder an die CDs die hin und wieder von Alt- und Neonazis auf Schulhöfen verteilt werden. Mit Musik kann man nämlich herrlich politisieren und auch ein wenig die Gedanken der Zuhörer vernebeln. Dass dies kein Phänomen des heutigen Medienzeitalters ist, zeigt eine aktuelle Ausstellung in Eisenach. Dort wird nicht nur gezeigt, wie schon die Nazis Musik für ihre ideologischen Zwecke einspannten, sondern auch wie die daran beteiligten Wissenschaftler nach dem Krieg weiter Karriere machten.

Radio Corax sprach dazu mit Dr. Jörg Hansen, Eisenacher Museumdirektor.

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STADTRAT 30.4.09
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SECURITAS-SPITZEL

15 Interpellation Luzius Theiler (GPB)/Lea Bill (JA!): Bespitzelt die Securitas auch in Bern?
Geschäftsnummer 08.000237 / 08/385  Reg. 22/-00

Ein Bericht des westschweizer Fernsehens hat aufgedeckt, dass die globalisierungskritische Organisation "Attac" während längerer Zeit durch eine eingeschleuste Agentin der Sicher-heitsfirma "Securitas", offenbar in Zusammenarbeit mit der Waadtländer Polizei, ausspioniert wurde. Im Zusammenhang mit diesem Skandal ist bekannt geworden, dass die Firma Securi-tas eine Tochtergesellschaft namens CRIME INVESTIGATION SERVICES CIS AG betreibt, die gemäss Handelsregister "das Erbringen von Sicherheitsdienstleistungen, namentlich der Durchführung von Überwachungen und Nachforschungen sowie Einholung und Vermittlung von Auskünften und Informationen jeglicher Art" bezweckt. Die CIS AG führt nach eigenen Aussagen auch Aufträge von Gemeinden durch, wobei jedoch weiterhin die Securitas Anbie-terin und Auftragnehmerin bleibt. Gemäss WOZ vom 19. Juni 2008 nahm ein Securitas-Angestellter an der bewilligten Anti-Wef-Demonstration vom 26. Januar 2008 teil und fotogra-fierte die DemonstrantInnen. Wie im Geheimdienst-Milieu üblich, distanzierte sich der Securi-tas-Chef nach Enttarnung des Agenten von der Aktion.
Die Stadt Bern hat mit der Securitas AG Leistungsverträge über die Kontrolle des ruhenden Verkehrs in Zonen mit Parkscheibenpflicht und Parkkartenregelung sowie die Bewachung des öffentlichen Raums (teilweise zusammen mit der Tochterfirma Securitrans AG) abgeschlos-sen.

- Welche Leistungsverträge hat die Stadt mit der Securitas AG und mit Gesellschaften, an denen die Securitas AG wesentlich beteiligt ist, abgeschlossen? Wurden einzelne dieser Leistungsverträge nach Einführung der "Police Bern" zu Beginn dieses Jahres vom Kanton übernommen?
- Werden auch Aufträge ausserhalb der Leistungsverträge erteilt?
- Auf welchen Betrag belaufen sich 2007 gesamthaft die Vergütungen der Stadt an die Se-curitas AG und ihre Tochtergesellschaften?
- Hat die Stadt der Abteilung lnvestigation Services (IS) der Securitas Aufträge erteilt? Wenn Ja, welche Aufgabenbereiche betrafen oder betreffen sie?
- Ist die Abteilung lnvestigation Services (IS) der Securitas auch im Rahmen der Securitas- Präsenz vor der Reitschule tätig? Wenn Ja, in welchen Funktionen?
- Erfolgte die "Begleitung" der Demonstration vom 26. Januar 2008 durch die Securitas im Auftrag oder in Zusammenarbeit mit der Direktion für Sicherheit, Umwelt und Energie oder der "Police Bern"?

Bern, 26. Juni 2008

Interpellation Luzius Theiler (GPB)/Lea Bill (JA!), Hasim Sancar, Cristina Anliker-Mansour, Urs Frieden, Emine Sariaslan, Christine Michel, Stéphanie Penher, Karin Gasser, Rolf Zbin-den, Anne Wegmüller, Margrith Beyeler-Graf, Claudia Kuster

Antwort des Gemeinderats

Am 1. Januar 2008 wurde die Stadtpolizei Bern zum Kanton überführt. Seitdem tätigt die Stadt Bern keine gerichtspolizeilichen Aufgaben mehr. Diese Aufgaben nimmt die Kantonspo-lizei wahr. Die verkehrspolizeilichen Aufgaben sind allesamt an die Kantonspolizei überge-gangen, so auch die Verträge zwischen der Securitas und der Stadt Bern im Zusammenhang mit der Überwachung des ruhenden Verkehrs.
Die Stadtpolizei hat in den letzten Jahren zudem verschiedene Bewachungsaufträge ausge-schrieben. Diese Verträge sind am 1. Januar 2008 an das Polizeiinspektorat übergegangen.

Zu Frage 1:
Die Stadt Bern (Direktion für Sicherheit, Umwelt und Energie) hat folgende Leistungsverträge mit der Securitas AG und mit Gesellschaften, an denen die Securitas AG wesentlich beteiligt ist, abgeschlossen:

Vertrag Reitschule Bern
Ziel: Gewährleisten der Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Bereich in der Umgebung der Reitschule sowie Verhindern von Ansammlungen von Drogendealerinnen und Drogendealern sowie Drogenkonsumentinnen und Drogenkonsumenten.

Vertrag Hodlerstrasse 22
Ziel: Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung im Eingangsbereich, im Hof sowie punktuell in der näheren Umgebung zur Drogenanlaufstelle.

Vertrag Kleine Schanze/Bundeshaus
Ziel: Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung in der Parkanlage Bundeshaus/Kleine Schanze sowie Durchsetzung der Parkordnung (Grünanlage).

Vertrag Bereich Publikumsanlagen Bahnhof
Ziel: Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung während den Nachtstunden im Bahnhof Bern. Insbesondere sollen Passantinnen und Passanten vor Angriffen, Gefahren und Belästi-gungen geschützt und das Sicherheitsgefühl erhöht werden.

Vertrag Münsterplattform
Ziel: Schliess- und Öffnungsdienst gewährleisten.

Zu Frage 2:
Es wurden keine Aufträge ausserhalb der Leistungsverträge erteilt.

Zu Frage 3:
Die Vergütungen der Stadt Bern an die Securitas AG und ihre Tochtergesellschaften beliefen sich im Jahr 2007 auf knapp Fr. 900 000.00. Dieser Betrag resultiert aus den obgenannten Verträgen. Mit SRB 179 vom 3. Mai 2007 wurde zur Verstärkung der Sicherheitsmassnahmen im Zusammenhang mit dem Vertrag Reitschule Bern ein Nachkredit zum Globalbudget von Fr. 273 882.00 gesprochen. Mit SRB 488 vom 25. Oktober 2007 beschloss der Stadtrat in gleicher Sache einen weiteren Nachkredit von Fr. 279 742.00.

Zu Frage 4:
Der Gemeinderat hat keine Aufträge an die Abteilung Investigation Services (IS) der Securitas erteilt.

Zu Frage 5:
Die Abteilung Investigation Services (IS) ist nicht vor der Reitschule tätig.

Zu Frage 6:
Weder die Direktion für Sicherheit, Umwelt und Energie noch die Kantonspolizei haben der Securitas einen Auftrag erteilt. Die von den Interpellanten erwähnte Begleitung ist dem Ge-meinderat nicht bekannt.

Bern, 22. Oktober 2008
Der Gemeinderat


- Die Diskussion wird nicht verlangt. -

Interpellantin Lea Bill (JA!): Die enorm kurze Antwort des Gemeinderats ist von einer Abwehr-haltung geprägt. Das lässt darauf schliessen, dass sich der Gemeinderat für das Thema nicht interessiert. Das ist insofern alarmierend, als dass der Gemeinderat alles andere als geizig ist mit der Vergabe von Aufträgen an private Sicherheitskräfte. Beispielsweise beim Bahnhofreg-lement. Die negativen Folgen interessieren ihn anscheinend nicht, was aus unserer Sicht sehr fragwürdig ist. Wir fordern den Gemeindrat deshalb auf, in Zukunft mehr Weitblick und Auf-merksamkeit an den Tag zu legen, ob die Aufgabenkompetenz jetzt bei Police Bern liegt oder nicht. Wir sind mit der Antwort nicht zufrieden.

Beschluss
Die Interpellanten sind mit der Antwort des Gemeinderats nicht zufrieden.

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WEGWEISUNGEN

16 Interpellation Luzius Theiler (GPB): Weniger Wegweisungen in der Stadt Bern
Geschäftsnummer 08.000279 / 08/434 Reg. 22/-00

Gemäss WOZ Die Wochenzeitung vom 21. August 2008 hat die Kantonspolizei im ersten Halbjahr 2008 in der Stadt Bern 78 Wegweisungen auf Grund von Art. 29 des kantonalen Po-lizeigesetzes verfügt. Im Vorjahr hat die damals noch zuständige Stadtpolizei 448 Wegwei-sungen verfügt. Noch drastischer ist die Abnahme der Anzeigen wegen Widerhandlung gegen eine Wegweisungsverfügung, nämlich von 668 im Jahre 2007 auf nur noch 18 im ersten Halb-jahr 2008. Allerdings seien diese Zahlen laut Kapo-Sprecherin "noch nicht endgültig". Dies wirft folgende Fragen auf:

1. Wann werden endgültige Zahlen über die Wegweisungen bekannt gegeben?
2. Kann der Gemeinderat dafür garantieren, dass die polizeilichen Statistiken durch die "Po-lice Bern" nach den gleichen Erfassungsmethoden weitergeführt werden, wie bisher?
3. Welche rechtlichen politischen Handhaben hat der Gemeinderat, eine korrekte statistische Erfassung der Polizeiarbeit durchzusetzen?
4. Auf welche Gründe führt der Gemeinderat den offenbar starken Rückgang der Anwendung des Wegweisungsartikels zurück?
5. Teilt der Gemeinderat die Ansicht, dass angesichts der schwindenden Bedeutung der Wegweisungen auf die Anwendung des Wegweisungsartikels gänzlich verzichtet werden kann?

Bern, 21. August 2008

Interpellation Luzius Theiler (GPB), Rolf Zbinden, Andreas Flückiger, Hasim Sancar, Karin Gasser, Stéphanie Penher, Lea Bill, Anne Wegmüller, Christine Michel, Emine Sariaslan, Margrith Beyeler-Graf, Christof Berger, Ruedi Keller, Liselotte Lüscher, Corinne Mathieu, Gio-vanna Battagliero, Annette Lehmann, Miriam Schwarz, Guglielmo Grossi, Markus Lüthi, Ursu-la Marti

Antwort des Gemeinderats

Die Anzahl der Wegweisungsverfügungen ist in den letzten Jahren rückläufig.
Die in der Interpellation gestellten Fragen können vom Gemeinderat wie folgt beantwortet werden:

Zu Frage 1:
Die Aussage der Kapo-Sprecherin, dass die Zahlen der Wegweisungen im Jahr 2008 "noch nicht endgültig" seien, ist dahingehend zu verstehen, dass eine verbindliche Aussage mit ge-nauen Zahlen erst mit der Jahresschlussstatistik (Anfang 2009) möglich sein wird.

Zu Frage 2:
Nein. Die administrativen Abläufe der Kantonspolizei Bern wurden in einigen Punkten ange-passt. Eine deckungsgleiche Statistik kann dadurch nicht erstellt werden. Trotzdem kann der Gemeinderat bei der Kantonspolizei die erforderlichen statistischen Zahlen einfordern, die es ihm ermöglichen, politische Entscheidungen zu fällen.

Zu Frage 3:
Im Rahmen der jährlich zu erstellenden Jahresplanung können die Vertragsparteien des Res-sourcenvertrags die Bemessung und das Controlling der Leistungen gemeinsam definieren. Dies erlaubt es dem Gemeinderat, in der Jahresplanung auch die konkrete statistische Erfas-sung der Anzahl ausgestellter Fernhalteverfügungen aufzunehmen. Diesbezüglich gilt es je-doch zu beachten, dass die Fernhalteverfügung eine konkrete polizeiliche Massnahme unter vielen ist, um ein sicherheitspolizeiliches Problem zu lösen. Die Kantonspolizei Bern ent-scheidet bei der operativen Aufgabenerfüllung autonom, welche polizeilichen Massnahmen sie ergreifen muss. Als Controllinginstrument für den Nachweis polizeilicher Leistungen ist die Anzahl ausgestellter Fernhalteverfügungen daher ungeeignet. Dennoch könnte der Gemein-derat der Stadt Bern in der Jahresplanung 2010 darauf hinwirken, dass die konkrete statisti-sche Erfassung der Anzahl Fernhalteverfügungen als Kennzahl aufgenommen wird, ohne dar-aus eine direkte Messgrösse für die erbrachten polizeilichen Leistungen abzuleiten.

Zu Frage 4:
Die verschiedenen Prozessanpassungen in den ersten Monaten des Jahrs 2008 erschwerten die Arbeit der Kantonspolizei wie auch die zeitverzugslose Erfassung von statistischen Daten. Zudem wirkten sich die personalintensiven Repressionstätigkeiten der Stadtpolizei Bern in den letzten Monaten des Jahrs 2007 sowie die kalte Jahreszeit zu Beginn des Jahrs 2008 auf das Verhalten der Drogenabhängigen in der Innenstadt aus. Im Vergleich zum Vorjahr war die Drogensituation in den ersten Monaten des Jahrs 2008 bedeutend ruhiger und die An-sammlungen waren geringer. Die Bautätigkeiten im Bahnhofbereich und die daraus resultie-renden Auswirkungen veränderten das Verhaltensmuster der Suchtkranken zusätzlich. Zudem kam es aufgrund der hohen Polizeipräsenz während der EURO 08 zu weniger Ansammlungen im Drogenbereich. Schliesslich hat die Evaluation des Projekts PINTO gezeigt, dass dort, wo PINTO tätig ist, die Zahl der Wegweisungen deutlich zurückgegangen ist.

Zu Frage 5:
Die Kantonspolizei Bern ist verpflichtet, den von den Stimmberechtigten des Kantons Bern angenommenen Gesetzesartikel (Art. 29 Bst. b PolG) in der Praxis umzusetzen. Seit dem 1. Januar 2008 sind zudem strategische und operative Aufgaben im Bereich der Sicherheit zwischen der Stadt Bern und der Kantonspolizei Bern aufgeteilt. Gemäss Artikel 12d PolG legt die Kantonspolizei die operativen und taktischen Belange, insbesondere die Einsatzstär-ke sowie die einzusetzenden Mittel fest. Dabei werden Wegweisungen und Fernhaltungen nur als ultima ratio angewendet, sind aber ein wichtiges Mittel für die tägliche Polizeiarbeit. Im Rahmen der strategischen Belange kann somit die Stadt Bern nicht über die Anwendung von polizeilichen Massnahmen entscheiden.

Bern, 17. Dezember 2008
Der Gemeinderat


Der Stadtrat gewährt die Diskussion (39 Ja, 19 Nein). -

Interpellant Luzius Theiler (GPB-DA): Danke, dass Sie die Diskussion gewähren und damit nicht eine Tradition eingeläutet haben, nämlich dass jetzt sämtliche Diskussionen kategorisch abgelehnt werden. Ich bin mit der Antwort nicht zufrieden. Sie bestätigt die Befürchtung, die wir bezüglich der Kantonalisierung der Polizei hatten. In Zukunft werden wir noch weniger statistische Angaben über die Tätigkeit der Polizei haben. Das ist in der Antwort zu Frage 3 eindeutig herauszulesen. In der Antwort ist etwas falsch. Es stimmt nicht, dass die Kantons-polizei verpflichtet ist Artikel 29 des kantonalen Polizeigesetzes anzuwenden. Die Polizei ist überhaupt nicht verpflichtet Leute wegzuweisen. Im kantonalen Polizeigesetz Artikel 29 steht, "Die Kantonspolizei kann Personen von einem Ort vorübergehend wegweisen." Die Antwort ist zeitlich völlig überholt. Sie stammt vom 21. August 2008 und es ist ein Witz, dass wir erst heute über diese Antwort diskutieren. Ich weiss nicht, ob es zuviel verlang ist, wenn man eine derart überholte Antwort kurz bevor sie dem Stadtrat vorgelegt wird, updaten würde. Aber da ist der Gemeinderat wahrscheinlich überfordert. In der zweiten Jahreshälfte 2008 hat es wie-der mehr Wegweisungen gegeben. Es wäre wichtig, dass man solche Zahlen jeweils im Jah-resbericht veröffentlicht. Ich bin mit der Antwort nicht zufrieden.

Fraktionserklärungen

Beat Zobrist (SP) für die SP/JUSO-Fraktion: Der Interpellant weist auf einen Schwachpunkt hin. Der Gemeinderat weiss nicht, wie häufig die Kapo wegweist, er kennt deren Abläufe zu-wenig. Seine Antwort überzeugt nicht. Er könnte die erforderlichen statistischen Zahlen ein-fordern und darauf hinwirken, dass die Fernhalteverfügungen als Kennzahl aufgenommen werden. Der Gemeinderat sagt nicht, ob er dies wirklich macht. Vielleicht weiss er es noch gar nicht. Aber eigentlich ist es ja alles gar nicht so erstaunlich. Obschon wir explizit eine Auswer-tung der Wegweisungen gefordert haben, hat der Gemeinderat nie eine gemacht. Der Ge-meinderat kennt also die konkreten Auswirkungen im öffentlichen Raum nicht. Er weiss nicht, wie lange die Wegweisungen wirken und ob die Weggewiesenen nicht nach einiger Zeit wie-der dort sind, wo sie eigentlich nicht sein sollten. Der Gemeinderat gebraucht einmal mehr das Allerweltswort "ultima ratio". Er kennt aber die Kriterien für "ultima ratio", die effektive Wegweisung, nicht. Wir müssen vermuten, dass die Reklamationen der Passanten und Pas-santinnen, die Tagesstimmung einzelner Polizisten, das politische Tagesgeschäft, die Forde-rung der Medien oder einfach der Zufall ist, wenn eine Wegweisung ausgesprochen wird. Wir sind immer noch der Meinung, dass Wegweisungen unnötig sind. Vor allem wenn die Wegge-wiesenen Drogensüchtige und Dealer sind. Bei den Drogensüchtigen nützt es nichts und dea-len ist strafbar. Dann würde man die Dealer besser festnehmen. Immerhin weist der Gemein-derat darauf hin, dass die Wegweisungen in den letzten Jahren zurückgegangen sind. Wir bitten den Gemeinderat, sich mit dem Thema Wegweisungen wieder ernsthaft zu befassen. Man kann nicht einfach sagen, dass dies jetzt operativ und die Kantonspolizei verantwortlich sei. Man kann den Wegweisungsartikel anwenden, muss aber nicht. Das ist dann immer auch eine strategische Frage. Wir wollen eine seriöse Statistik. Wir fordern eine klare Absicht. Wir wollen auf das Instrument, das Menschen ausgrenzt, in Zukunft verzichten. Wir weisen darauf hin, dass der Stadtrat bereits am 18. Januar 2007 eine Motion von GB/JA! angenommen hat, die den Verzicht auf die Anwendung des Instruments Wegweisung beinhaltet. Der nächste Schritt wird jetzt sein, dass der Gemeinderat eine anständige, interessante und wirklich auf-klärende Antwort auf ein Postulat der GB/JA!- und SP/JUSO-Fraktion gibt, das am 26. März eingereicht wurde. Dort verlangen wir, dass der Gemeinderat aufzeigen soll, was er in Rich-tung Verzicht bisher gemacht hat und wie er Informationen bei der Kapo erhält. Wir bleiben dran.

Lea Bill (GB) für die GB/JA!-Fraktion: Statistische Erfassungen der Wegweisungen sind wich-tig. In diesem Punkt stimmen wir dem Gemeinderat zu. Deshalb stellen wir dem Gemeinderat die Frage, ob er bereit ist zu versprechen, dass er die konkrete statistische Erfassung der Wegweisungen als Kennzahl aufnehmen wird. Das hat er nämlich in der Antwort zu Frage 3 erwähnt. Die Erfassung von Wegweisungen ist aber nur die eine Seite. Genauso wichtig ist, dass die Entwicklung rund um die Wegweisungen verfolgt wird. Dabei muss unter anderem die Frage gestellt werden, wo sich die weggewiesenen Leute aufhalten. Die Weggewiesenen lösen sich ja nicht einfach in Luft auf, sie werden vom einen zum anderen Ort vertrieben.

Hans Peter Aeberhard (FDP) für die FDP-Fraktion: So wie man die Fragen stellt, gibt es auch die Antworten. Luzius Theiler nimmt es sonst sehr genau. Ich verstehe die Frage so, dass die Polizei oder der Gemeinderat Zahlen bekannt geben sollen, wie viele Wegweisungen nach Artikel 29 im besagten Jahr verfügt worden sind. Wenn man aber Artikel 29 des Polizeigeset-zes liest, kann es sich offensichtlich nur um die Wegweisungen gemäss Ziffer b handeln. Die-se werden verfügt, wenn der begründete Verdacht besteht, dass eine Person andere Perso-nen oder innerhalb einer Versammlung die öffentliche Sicherheit gefährdet oder stört. Es geht nur um diesen Absatz. Ich nehme nicht an, dass, was zum Verzicht der Wegweisungen ge-sagt wurde, auch auf Ziffer f angewendet werden soll. Dort geht es um Wegweisungen, wenn eine Person eine oder mehrere andere Personen in der physischen, psychischen oder sexuel-len Integrität gefährdet oder ernsthaft bedroht an Leib und Leben zu verletzen, insbesondere in Fällen häuslicher Gewalt. Alle diese Fälle sind in der Statistik enthalten. Die Frage hätte sich also allein auf Wegweisungen nach Ziffer b beziehen sollen. Zudem sollte man dann auch noch wissen, was genau verfügt wird. Die Leute werden nicht vom Bahnhof nach Hinter-fultigen verwiesen, sondern nur von einem bestimmten Stein oder einer Sitzgruppe oder ei-nem sehr lokalen Bereich. Sonst können sie sich frei in der Stadt bewegen. Sie können ge-mäss Bundesgericht sogar zum fraglichen Ort zurückkehren, wenn sie sich anders verhalten, als zum Zeitpunkt der Verfügung. Wir verstehen nicht, warum der Gemeinderat derart auf Trab gehalten wird wegen dem bescheidenen polizeilichen Instrumentarium. Die Wegweisung ist kein Drama. Wer sich nicht anständig aufführt, soll weiterhin für eine gewisse Zeit wegge-wiesen werden können.

Beschluss
Der Interpellant ist mit der Antwort nicht zufrieden.

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18 Motion Daniele Jenni (GPB)/Catherine Weber (GB)/Anne Wegmüller (JA!) vom 1. Juni 2006: Die Anwendung von Artikel 29 Absatz 1 Buchstabe b PolG: Anpas-sung der Wegweisungspraxis an neu festgelegte rechtliche Vorgaben und Einlei-tung des Verzichts auf ihre Anwendung; Abschreibung
Geschäftsnummer 06.000148 / 08/449  Reg. 22/-00

Die Motion Daniele Jenni (GPB)/Catherine Weber (GB)/Anne Wegmüller (JA!) vom 1. Juni 2006 wurde vom Stadtrat am 18. Januar 2007 erheblich erklärt.
Seit nunmehr achteinhalb Jahren macht die Stadtpolizei in Bern intensiven Gebrauch von Art. 29 Abs. 1 Bst. b des kantonalen Polizeigesetzes (PolG), dem Wegweisungsartikel.
Die Bilanz dieser Praxis ist in jeder Hinsicht negativ:
Der Eingriff richtet sich gegen strafrechtlich zulässiges Verhalten und schränkt namentlich die Versammlungsfreiheit und die Möglichkeiten Betroffener, miteinander zu kommunizieren, in spürbarer Weise ein. Seine Anwendung hängt überwiegend von der subjektiven Beurteilung der zuständigen Polizeiangehörigen ab und bildet damit Gegenstand eines kaum eingrenzba-ren Ermessens. Die Gefahr willkürlicher Anwendung ist naturgemäss gross und in der Realität kaum zu umgehen.
Die Massnahme trifft immer weitere Personenkreise, ohne dass die vielen Verzeigungen we-gen Missachtung der entsprechenden Verfügungen zu anderem führten als zu einer Kriminali-sierung der Betroffenen. Selbst möglicherweise gut gemeinte Massnahmen wie PINTO liessen die Zahl der Wegweisungen und Anzeigen nicht sinken. So wurden 2004 560 Wegweisungen verfügt, die 1'035 Anzeigen wegen Aufenthalts im verbotenen Perimeter zur Folge hatten, und 2005 führten 407 Wegweisungen zu mehr als 1'400 derartigen Anzeigen wegen Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292 StGB).
Das Aufenthaltsverbot, als präventives Mittel gedacht, ist zur rein repressiven Massnahme geworden, von einer "ultima ratio" kann entgegen den wiederholten Zusicherungen des Ge-meinderates nicht die Rede sein. Zu Gunsten unsäglicher Ziele wie Stadthygiene und Säube-rung des öffentlichen Raumes werden auf Kosten von Grundfreiheiten Symptome bekämpft, Probleme aber nicht gelöst, sondern verschärft.
Am 21. April 2006 hat das Bundesgericht den Entscheid 1 P.579/2005 vom 25. Januar 2006 zur Staatsrechtlichen Beschwerde von dreizehn auf Grund von Art. 29 Abs. 1 Bst. b PolG vom Berner Bahnhof-Perimeter A weggewiesenen Personen mit schriftlicher Begründung eröffnet und im Internet publiziert: http://www.bger.ch/index/iuridiction/jurisdiction-inherit-template/ jurisdiction-recht/jurisdiction-recht-urteile2000.htm [Eingabe: 1P.579/2005].
Bereits am 16. August 2005 hatte auch der Regierungsstatthalter I von Bern den Entscheid 8.9.9/6-2005 zur Verwaltungsbeschwerde einer weiteren weggewiesenen Person gefasst.
Beide Entscheide haben zusammen mit dem Entscheid 21758U des kantonalen Verwaltungs-gerichts vom 17. Mai 2004 der Wegweisungspraxis bei grundsätzlicher Genehmigung von Art. 29 Abs. 1 Bst. b PolG einen immerhin eingrenzenden Rahmen gegeben.
So werden die Beschwerdeführer laut Bundesgericht "durch die Wegweisungs- und Fernhal-teverfügungen in ihrer individuellen Bewegungsfreiheit nicht berührt. Sie können ungeachtet der streitigen Massnahmen den Bereich des Bahnhofs und den umschriebenen Perimeter zu beliebigen Zwecken benützen. Sie werden auch nicht daran gehindert, sich im bezeichneten Areal zu treffen und zu versammeln und meinungsbildende, -austauschende und -äussernde Kontakte zu pflegen, wie das möglicherweise auch andere Gruppen tun. Der Eingriff in die Versammlungsfreiheit und die persönliche Freiheit beschränkt sich vielmehr auf das mit er-heblichem Alkoholkonsum gekoppelte Zusammenfinden und Zusammensein und die nachteili-gen Begleiterscheinungen."
Das Bundesgericht ergänzt so den Regierungsstatthalter, welcher schon festgestellt hatte, "der Konsum von Alkohol allein genügt im Übrigen nicht, um einen begründeten Verdacht auf Gefährdung und/oder Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung anzunehmen, ebenso wenig der Konsum eines einzelnen Joints. ... Nach dem Gesagten vermag der Alkohol- und Drogenkonsum der Personenansammlung die Wegweisungsverfügung nicht zu rechtfertigen". Laut Regierungsstatthalter gilt auch, "das gestörte sittliche Empfinden der Passantinnen und Passanten wäre zudem allenfalls ein zusätzlicher Hinweis darauf, dass eine Störung oder Gefährdung der öffentlichen Ordnung stattgefunden hat. Für sich alleine genügt es nicht, um eine Störung oder Gefährdung zu bejahen. Das Empfinden der Passantinnen und Passanten ist sehr subjektiv und bildet keinen objektiven Massstab. Dem Beschwerdeführer ist demnach recht zu geben, wenn er vorbringt, dass die Beschwerden, Gesten und Bemerkungen von Passantinnen und Passanten keinen qualifizierten Verdacht auf Störung und/oder Gefährdung der öffentlichen Ordnung begründen würden, da ansonsten Einschätzungen beliebiger Dritt-personen zum Richtmass polizeilichen Handelns werden würden".

Zusammenfassend stellt die bisherige Rechtspraxis damit folgende Richtlinien auf:
1. Wegweisungen sind erst dann möglich, wenn der Alkohol- und leichte Drogenkonsum in Gruppen erfolgt, erheblich ist und sich darüber hinaus nachteilige Begleiterscheinungen daraus ergeben.
2. Auch Weggewiesene dürfen sich in Gruppen treffen, soweit der Alkohol- und leichte Dro-genkonsum nicht erheblich ist und sich darüber hinaus nicht nachteilige Begleiter-scheinungen daraus ergeben.
3. Negative Reaktionen Dritter bilden keinen Wegweisungsgrund.
4. Die Polizei hat Wegweisungen und Anzeigen wegen angeblicher Missachtungen von Wegweisungen genau und konkret zu begründen. Die Verwendung von Textbausteinen mit Verallgemeinerungen reicht nicht.

Diese Grenzsetzungen sind in Zukunft einzuhalten. An der grundsätzlichen Fragwürdigkeit der Wegweisungsbestimmung ändern sie aber wenig, denn Sanktionen wegen nicht strafbarem Verhalten und Eingriffe in Grundrechte auf Grund subjektiver Urteile über zulässiges Verhal-ten sind und bleiben mit einer freiheitlichen Ordnung letztlich unvereinbar. Am Verzicht auf die Anwendung von Art. 29 Abs. 1 Bst. b PolG führt darum kein Weg vorbei.

Aus all diesen Gründen werden dem Gemeinderat folgende Richtlinien gegeben:

1. Ab sofort und so lange Art. 29 Abs. 1 Bst. b PolG angewendet wird, sind die sich aus der Rechtspraxis dazu ergebenden Richtlinien einzuhalten.
Dies gilt insbesondere für folgende Grundsätze:
a) Wegweisungen sind erst dann möglich, wenn der Alkohol- und leichte Drogenkonsum in Gruppen erfolgt, erheblich ist und sich darüber hinaus nachteilige Begleiterscheinungen daraus ergeben.
b) Auch Weggewiesene dürfen sich in Gruppen treffen, soweit der Alkohol- und leichte Dro-genkonsum nicht erheblich ist und sich darüber hinaus nicht nachteilige Begleiter-scheinungen daraus ergeben.
c) Negative Reaktionen Dritter bilden keinen Wegweisungsgrund.
d) Die Polizei hat Wegweisungen und Anzeigen wegen angeblicher Missachtungen von Wegweisungen genau und konkret zu begründen. Die Verwendung von Textbausteinen mit Verallgemeinerungen genügt nicht.
2. Die Zahl der in Anwendung von Art. 29 Abs. 1 Bst. b PolG verfügten Wegweisungen wird innerhalb von höchstens sechs Monaten nach Oberweisung dieser Motion sukzessive ge-senkt, danach wird der Erlass solcher Verfügungen ganz eingestellt.
3. Spätestens nach diesem Zeitpunkt sind ausschliesslich problembezogene, faire, nichtpo-lizeiliche und nicht auf polizeiliche Intervention gerichtete Möglichkeiten, mit dem Ver-hältnis zwischen strafrechtlich zulässigem Verhalten und sich daraus ergebenden, als störend empfundenen Auswirkungen umzugehen, anzuwenden. Dabei kann sich der Ge-meinderat an Modellen orientieren, die diesen Voraussetzungen entsprechen. Im Falle, dass es beibehalten werden sollte, ist das Projekt PINTO an diesen Rahmen anzupas-sen.
4. Die Präventionsmassnahmen im Suchtbereich sind unter Beizug gassennaher Institutio-nen zu überprüfen, anzupassen und allenfalls auszubauen.

Bern, 1. Juni 2006

Motion Daniele Jenni (GPB), Catherine Weber (GB), Anne Wegmüller (JA!), Natalie Imboden, Urs Frieden, Hasim Sancar, Myriam Duc, Simon Röthlisberger, Stefanie Arnold, Franziska Schnyder, Beni Hirt, Sarah Kämpf, Gisela Vollmer, Ursula Marti, Giovanna Battagliero, And-reas Krummen, Miriam Schwarz, Stefan Jordi, Raymond Anliker, Patrizia Mordini, Liselotte Lüscher, Hasim Sönmez, Annette Lehmann, Claudia Kuster, Michael Aebersold, Ruedi Keller, Andreas Zysset, Rolf Schuler, Karin Gasser, Christof Berger, Nadia Omar, Thomas Göttin

Bericht des Gemeinderats

Zu den in der Motion vorgeschlagenen Richtlinien nimmt der Gemeinderat wie folgt Stellung:

Zu Ziffer 1:
Entgegen der Ansicht der Motionärinnen und Motionäre setzt die Kantonspolizei Bern bei der Anwendung von Artikel 29 Absatz 1 Buchstabe b des kantonalen Polizeigesetzes vom 8. Juni 1997 (PolG; BSG 551.1) auch weiterhin die sich aus der Rechtspraxis ergebenden Richtlinien umgehend um. Die Mitarbeitenden der Kantonspolizei Bern werden dazu laufend geschult. Ausserdem wird eine Qualitätskontrolle durchgeführt. Damit wird sichergestellt, dass die Kan-tonspolizei Bern die Anforderungen bei der Anwendung des Wegweisungsartikels (z.B. Um-schreibung des Sachverhalts) einhält.

Zu Ziffer 2:
Die Kantonspolizei Bern ist verpflichtet, den von den Stimmberechtigten des Kantons Bern angenommenen Gesetzesartikel (Art. 29 Bst. b PolG) in der Praxis umzusetzen. Seit dem 1. Januar 2008 sind zudem strategische und operative Aufgaben im Bereich der Sicherheit zwischen der Stadt Bern und der Kantonspolizei Bern aufgeteilt. Gemäss Artikel 12d PolG legt die Kantonspolizei die operativen und taktischen Belange, insbesondere die Einsatzstär-ke sowie die einzusetzenden Mittel fest. Im Rahmen der strategischen Belange kann somit die Stadt Bern nicht über das wie, d.h. die Anwendung von polizeilichen Massnahmen, entschei-den.

Zu Ziffer 3:
Die Erfahrungen der Kantonspolizei in den beiden letzten Jahren haben die Ansicht des Bun-desgerichts bestätigt, wonach der Wegweisungsartikel ein geeignetes Mittel darstellt, um die Szenenbildung im öffentlichen Raum zu verhindern. Die vom Gemeinderat zusätzlich ange-ordneten Massnahmen wie der Einsatz von Pinto oder die Patrouillentätigkeit der Securitas haben gezeigt, dass nicht-polizeiliche Massnahmen einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung von Szenenbildungen im öffentlichen Raum leisten und damit die Anzahl der Wegweisungen reduzieren.

Zu Ziffer 4:
Angebote der Suchtprävention und allgemeinen Gesundheitsförderung werden gemäss Sozi-alhilfegesetz von der Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern bereitgestellt. In der Stadt Bern bieten im Auftrag des Kantons verschiedene Institutionen suchtpräventive An-gebote an. Dazu gehören: Blaues Kreuz, Stiftung Berner Gesundheit, Stiftung Contact Netz. Ob und wie die gassennahen Institutionen bei der Ausarbeitung von Präventionsmassnahmen einbezogen werden, ist daher Sache dieser Institutionen bzw. des Kantons. Ein Einbezug der gassennahen Institutionen in die städtische Suchtpolitik erfolgte bei der Ausarbeitung der neuen Suchtstrategie. Zudem kommt es themenweise immer wieder zu Kontaktaufnahmen (z.B. Strassenprostitution, Wohnen etc.).

Folgen für das Personal und die Finanzen
Keine.

Antrag
Der Gemeinderat beantragt dem Stadtrat, die erheblich erklärte Motion abzuschreiben.

Bern, 17. Dezember 2008
Der Gemeinderat

FSU-Sprecher Bernhard Eicher (JF): Die Kommission FSU empfiehlt mit knappem Mehr die Abschreibung der Motion. Die Minderheit ist der Auffassung, dass die Motion noch nicht erfüllt ist. Ich werde die Standpunkte der Mehrheit zu den vier geforderten Punkten darlegen. Bei Punkt 1 ist die Kommission der Meinung, dass es die Pflicht der Kantonspolizei ist, die ge-setzlichen Regelungen und Entscheide des Bundesgerichts einzuhalten. Dieser Punkt ist ob-solet. Ausserdem hat uns der Gemeinderat versichert, dass regelmässige Schulungen und auch eine Qualitätskontrolle stattfinden. Bei Punkt 2 ist die Mehrheit der Auffassung, dass es sich bei der Wegweisung um eine kantonale Bestimmung handelt. Die Stadt kann nicht ein-fach sagen, dass diese hier nicht gelten soll. Punkt 3 erfüllt der Gemeinderat bereits, wie er der Kommissionsmehrheit glaubhaft darlegen konnte, darum wollen wir auch diesen Punkt abschreiben. Zu Punkt 4: Gesundheitsorganisationen wie das Blaue Kreuz, Contact Netz oder Stiftung Berner Gesundheit sind kantonal. Der Kanton entscheidet also, ob bei diesen aus- oder abgebaut wird.

Fraktionserklärungen

Lea Bill (JA!) für die GB/JA!-Fraktion: Der Gemeinderat beantragt die Abschreibung einer Mo-tion, die er noch nicht annähernd erfüllt hat. In den drei Jahren seit der Überweisung hat er bestimmt nicht viel Zeit damit verbracht, ernsthaft über die Möglichkeiten eines Verzichts auf den Wegweisungsartikel nachzudenken. Stattdessen stell er sich auf den Standpunkt, dass der Wegweisungsartikel unabdingbar und aus dem Repertoire der Polizei nicht wegzudenken sei. Dass dies dazu führt, dass die Leute auf der Gasse vom einen zum anderen Ort getrieben werden, wird völlig ausgeblendet. Ebenso ausgeblendet wird, dass Wegweisungen immer wieder zu Willkür führen. Die Grenzziehung, wann eine Wegweisung möglich ist, ist nicht im-mer klar. Die Antwort des Gemeinderats darauf ist, dass die Mitarbeitenden der Kantonspoli-zei laufend geschult werden und dass es eine Qualitätskontrolle gibt. Warum es in der Praxis trotzdem immer wieder zu Willkür kommt, beantwortet er nicht. Aufgrund der sturen Haltung und der Tatsache, dass der Gemeinderat nicht annähernd auf die Forderungen der Motionä-rinnen und Motionäre eingeht, sind wir nicht bereit, der Abschreibung zuzustimmen. Damit wollen wir den Gemeinderat zwingen, sich doch noch einmal Gedanken über Sinn und Unsinn von Wegweisungen zu machen.

Barbara Streit-Stettler (EVP) für die GFL/EVP-Fraktion: Wir stimmen der Abschreibung aus formalen Gründen zu. Es handelt sich um eine Richtlinienmotion und es macht wenig Sinn, diese aufrecht zu erhalten. Wir finden es besser, möglichst rasch einen neuen Vorstoss zu dem Thema einzureichen. Beispielsweise ein Postulat, bei dem man über den Prüfungsbericht diskutieren kann. Das Thema ist für uns keineswegs erledigt. Wir sind enttäuscht, dass die Zahl der Wegweisungen trotz PINTO immer noch so hoch ist. Dies zeigt, dass die Wegwei-sung noch immer nicht als "ultima ratio" angewendet wird, nämlich dann, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Wegweisungen sind nicht bloss ein operatives Mittel der Polizei. Sie gehören zur Strategie, wie man in der Stadt Bern mit Problemen umgeht. Wir er-warten, dass der Gemeinderat weiter mit der Kantonspolizei verhandelt und sich nicht auf den Standpunkt stellt, dass man mit Police Bern nichts mehr machen könne. Für uns ist die Ab-grenzung von operativ und strategisch noch nicht klar. Wir erwarten einen starken Gemeinde-rat, dem es nicht egal ist, wie der Kanton in der Stadt Polizeiarbeit leistet. Wir haben einen Vertrag mit dem Kanton und bezahlen für bezogene Leistungen. Da haben wir bei den Leis-tungen auch mitzureden.

Tanja Sollberger (GLP) für die GLP-Fraktion: Den Wegweisungsartikel im Polizeigesetz gibt es nun seit acht Jahren. Er ist gemäss Bundesgericht verfassungskonform und geeignet, Szenenbildungen zu vermeiden. Er ist auch vom Berner Stimmvolk gutgeheissen worden. Das Problem an der Motion ist, dass sie sich mit kantonalem Recht befasst, das nur sehr be-schränkt in unserer Kompetenz liegt. Wir können aber konkrete Zahlen und Gründe über Wegweisungen einfordern. Darum sind wir bereit, die Motion abzuschreiben. In einer freiheit-lichen und liberalen Gesellschaft darf eine Wegweisung nur als letztes Mittel eingesetzt wer-den. Selbst dann besteht immer die Gefahr der Willkür. Aus pragmatischer Sicht muss man aber anerkennen, dass es Situationen gibt, in welchen Wegweisungen unumgänglich sind.

Giovanna Battagliero (SP) für die SP/JUSO-Fraktion: Wir wollen die Motion aus inhaltlichen Gründen nicht abschreiben. An dem Vorstoss sieht man deutlich, dass sich der Gemeinderat seit Police Bern gerne auf den Standpunkt stellt, dass er nichts mehr zu sagen habe, weil dies in den operativen Bereich falle. Gerade Wegweisungen sind aber nicht operative, sondern strategische Entscheidungen. Darum darf sich der Gemeinderat nicht einfach hinter Police Bern verstecken. Er muss handeln und dezidiert die Haltung vertreten, die ihm der Stadtrat vorgibt. Wir sind nicht bereit, die Motion abzuschreiben.

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PINTO

17 Interpellation Luzius Theiler (GPB): Angekündigte Bussenrazia gegen sogenann-te Abfallsünder: PINTO als Ghüder-Polizei?
Geschäftsnummer 08.000269 / 08/437  Reg. 22/-00

Interpellation Luzius Theiler (GPB): Angekündigte Bussenrazzia gegen sogenannte Abfallsünder: PINTO als Ghüder-Polizei?

Ab dieser Woche will die Stadt "Schwerpunktaktionen im Bereich der Repression" gegen sog. Abfallsünder durchführen. Neben wirklichem Fehlverhalten sollen nach Berlusconi-italienischem Vorbild auch Lappalien wie das achtlose Wegwerfen eines Zigarettenstummels oder das um kurze Zeit zu frühe Herausstellen eines Kehrichtsackes gebüsst werden. Eben-falls soll gegen sog. "wilde" Plakate, oft von kulturellen, politischen oder anderen gemeinnüt-zigen Organisationen aufgehängt, vorgegangen werden. Mit der Bussenverfügung ist eine Registrierung der Personalien verbunden. Gemäss Medienmitteilung der Direktion für Sicher-heit, Umwelt und Energie sollen neben Gewerbepolizei und Kantonspolizei auch die Einsatz-gruppe PINTO für die Bussenrazzia eingesetzt werden.
1. PINTO wurde als Organ der aufsuchenden Gassenarbeit ohne Verfügungsbefugnisse konzipiert. KritikerInnen haben allerdings von Anfang an vorausgesagt, dass PINTO zum Werkzeug der Polizei wird. Wird PINTO jetzt als Ghüder-Polizei eingesetzt?
2. Die angekündigte Bussenaktion stützt sich auf den kantonalen Ordnungsbussenkatalog. Zu dessen Anwendung braucht es jedoch in jedem konkreten Falle eine genügende recht-liche Grundlage. Für die angekündigten Bussenerhebungen für Bagatellvergehen finden sich weder im kantonalen Abfallgesetz noch im städtischen Abfallreglement genügende rechtliche Grundlagen. Nach Urteil eines Berner Einzelrichters ist z.B. das "wilde" Plaka-tieren auf Bauwänden legal. Auf welchen rechtlichen Grundlagen will die Stadt Bussen für die erwähnten Bagatelltatbestände erheben?
3. Auf welchen rechtlichen Grundlagen beruht die Registrierung der "Abfallsünder" und was passiert mit diesem Register?
4. Wie verhält sich im Zeitpunkt der Beantwortung dieses Vorstosses das Verhältnis zwi-schen Kosten und Nutzen der repressiven Massnahmen?

Bern, 14. August 2008

Interpellation Luzius Theiler (GPB), Rolf Zbinden, Cristina Anliker-Mansour, Lea Bill

Antwort des Gemeinderats

Die Schwerpunktaktion im Bereich der Repression ist Teil der Gesamtkampagne "Subers Bärn - zäme geit's!". Seit Frühling 2008 hat die Stadt Bern ihre Reinigungsleistungen ausgebaut und appelliert mit Präventions- und Sensibilisierungsmassnahmen an die Selbstverantwortung der Bernerinnen und Berner. Ziel ist es, Strassen, Plätze, Tram, Bus und Grünanlagen sauber und attraktiv zu halten. Als Teil dieser Kampagne setzte die Stadt von Mitte August bis nach Mitte September 2008 einen Schwerpunkt im Bereich der repressiven Massnahmen gegen Littering. An ausgewählten Plätzen und Entsorgungsstellen führte das Polizeiinspektorat ver-mehrt Patrouillen durch und wurde dabei von der Kantonspolizei, Pinto sowie der Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün unterstützt. Die Kontrollen sollten durchaus auch im Sinne der Prävention wirken. Im Rahmen dieser zeitlich begrenzten Schwerpunktaktion nahm Pinto an vier Tagen während jeweils drei Stunden Sensibilisierungsaktionen zum Thema Littering vor. Dabei wurden Benut-zerinnen und Benutzer des Waisenhausplatzes und der Grossen Schanze darauf aufmerksam gemacht, dass Littering in Bern generell gebüsst werden kann.

Zu Frage 1:
Die Pinto-Mitarbeitenden verfügen über keinerlei polizeiliche Kompetenzen und stellen daher auch keine Bussen aus. Im Gegensatz zur Polizei können sie aber gesetzeswidriges Verhal-ten thematisieren und über das Gespräch Verhaltensänderungen herbeiführen, ohne dass es zu einer Anzeige oder einer Abmahnung kommt. Genau dies wurde im Rahmen der Sensibili-sierungsaktion angestrebt. Es handelt sich also in keiner Weise um einen Einsatz, der als "Ghüder-Polizei"-Einsatz bezeichnet werden kann.

Zu Frage 2:
Es ist richtig, dass die Sanktionierung von Littering sich auf die Verordnung vom 18. Sep-tember 2002 über die Ordnungsbussen (Kantonale Ordnungsbussenverordnung; KOBV; BSG 324.111) stützt. Massgebend sind dabei folgende Tatbestände gemäss Anhang der KOBV, Buchstabe E:

E     Abfallbewirtschaftung     CHF
13.     Hinauswerfen von Gegenständen aus dem Fahrzeug (Art. 60 Abs. 6 der Verkehrsregelverordnung vom 13. November 1962 [VRV [SR 741.11]] )     100.00
14.     Zurücklassen, Wegwerfen oder Ablagern folgender Kleinabfälle ausser-halb von Abfallanlagen oder Sammelstellen (Art. 37 Abs. 1 Bst. ades Gesetzes vom 18. Juni 2003 über die Abfälle, Abfallgesetz [AbfG [BSG 822.1]]):
14.1     Hundekot     80.00
14.2     Inhalt eines Aschenbechers     80.00
14.3     Einzelne Kleinabfälle wie Dosen, Flaschen, Papier, Verpackungen, Zigarettenstummel, Kaugummi, Essensreste     40.00
14.4     Kleinabfälle wie Dosen, Flaschen, Papier, Verpackungen, Zigaretten-stummel, Kaugummi, Essensreste bis zu einer Menge von fünf Litern     80.00

In der Regel erheben die uniformierten Polizeiorgane des Kantons die Ordnungsbussen zu obgenannten Tatbeständen. Gemäss Artikel 8 Absatz 1 des Polizeigesetzes vom 8. Juni 1997 (PolG; BSG 551.1) kann der Kanton die Erfüllung einzelner geeigneter Aufgaben der gerichtli-chen Polizei durch Vertrag an die Gemeinde übertragen. Im Rahmen des vorliegenden Pilot-projekts wurde ein von Mitte August 2008 bis Anfang November 2008 geltender Vertrag betreffend die Erhebung von Ordnungsbussen bei der Abfallbewirtschaftung abgeschlossen. Somit waren die rechtlichen Grundlagen gegeben, um Bussen gemäss den oben erwähnten Tatbeständen auszusprechen. Voraussetzung war, dass die Erhebung von Ordnungsbussen ausschliesslich von entsprechend ausgebildeten und uniformierten Personen erfolgen müsse. Die eingesetzten Mitarbeitenden der Orts- und Gewerbepolizei wurden im Vorfeld entspre-chend ausgebildet.
Rechtliche Grundlage betreffend wildes Plakatieren bildet das Reglement vom 16. Mai 2004 über die Reklame in der Stadt Bern (Reklamereglement; RR; SSSB 722.51). Im Reklamereglement geht es nicht um das wilde Plakatieren an Baugerüsten, sondern um Plakatieren an schützens- und erhaltenswerten Objekten (UNESCO-Weltkulturerbe).

Zu Frage 3:
Das Polizeiinspektorat führt kein Register der "Abfallsünderinnen" und "Abfallsünder". Von Gesetzes wegen müssen jedoch die Anzeigedoppel 10 Jahre lang aufbewahrt werden.

Zu Frage 4:
Wie die Gesamtkampagne "Subers Bärn - zäme geits!" wird auch der Repressionsversuch evaluiert. Für den Repressionsschwerpunkt (inkl. Präventionsarbeit) wurden zirka 200 Ar-beitsstunden vor Ort aufgewendet. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt kann gesagt werden, dass die Plätze, auf denen die Aktionen durchgeführt wurden, sauberer wurden und die Bevölke-rung bezüglich Littering sensibilisiert werden konnte. Auch wurde die Aktion durch viele posi-tive Reaktionen untermauert. Zu beachten ist sodann, dass der Grosse Rat des Kantons Bern in der Novembersession 2008 die Motion Grimm (konkrete Massnahmen gegen Littering) in-soweit überwiesen hat, als die Kantonspolizei künftig Littering strikter ahnden soll. Vor diesem Hintergrund hat der Gemeinderat die zuständigen Stellen beauftragt, mit der Kantonspolizei Verhandlungen aufzunehmen, um die Art und Weise der Umsetzung der Motion Grimm auf Stadtgebiet zu klären. Davon erhofft er sich einen deutlich spürbareren Beitrag der Kantons-polizei zur Durchführung der repressiven Massnahmen gegen Abfallsünderinnen und -sünder.

Bern, 17. Dezember 2008
Der Gemeinderat

- Der Stadtrat stimmt dem Antrag auf Diskussion zu (44 Ja, 9 Nein, 2 Enthaltungen). -

Interpellant Luzius Theiler (GPB-DA): Ich bin teilweise befriedigt von der Antwort. Sie enthält interessante Informationen, auch wenn einem die Tatbestände nicht gefallen. Sie bestätigt, dass PINTO im Rahmen einer kurzfristigen Sondererlaubnis tatsächlich als eine Art Polizei eingesetzt worden ist. Mit diesem Pilotversuch wollte man herausfinden, ob sich dies dauer-haft bewähren würde. Darum hat man wohl zumindest mit dem Gedanken gespielt, PINTO als Ortspolizei einzusetzen mit der Befugnis, Ordnungsbussen einzusammeln. Das wäre in mei-nen Augen ein Missbrauch von PINTO, wenn man PINTO überhaupt missbrauchen kann. Wir waren genau aus diesem Grund PINTO gegenüber schon immer sehr skeptisch. Wir haben immer vorausgesagt, dass PINTO zu diesem Zweck eingesetzt würde und die eigentlichen Ziele nicht erreichen kann. Weiter heisst es in der Antwort, dass sich die Ordnungsbussen auf das kantonale Recht beziehen. Dieses widerspricht aber dem eidgenössischen Ordnungsbus-sengesetz, das sich ausschliesslich auf Vergehen im Strassenverkehr bezieht. Man dürfte also auf kantonaler und Gemeindeebene keine Ordnungsbussen erheben, die nicht im Zu-sammenhang mit dem Strassenverkehr stehen. Schliesslich bestätigt die Antwort, was wir schon immer gesagt haben: Beim wilden Plakatieren bildet das Reklamereglement die rechtli-che Grundlage. "Beim Reklamereglement geht es nicht um das wilde Plakatieren an Bauge-rüsten, sondern um Plakatieren an schützens- und erhaltenswerten Objekten (UNESCO-Weltkulturerbe)." Wir haben immer wieder gesagt, dass das wilde Plakatieren an sich nicht verboten ist, sondern nur, wenn es beispielsweise Altstadtbauten verunstaltet. Es gibt aber viele andere Orte, Baugerüste etwa oder wüste Betonwände, wo Plakatieren nichts Negatives hat. Endlich bestätigt die Stadt, dass dies erlaubt ist. Nun werden aber nach amtlichen Anga-ben von einer Equipe Arbeitsloser jedes Jahr 12'000 Plakate heruntergerissen. Diese arbeiten zu einem sehr schlechten Lohn, und trotzdem kostet das Ganze noch immer 91'000 Franken. Zum grössten Teil werden die Plakate nicht von schützenswerten Bauten abgerissen. Warum also setzt man so viel Geld und Energie ein, um etwas zu bekämpfen, das gar nicht verboten ist? Ich bin gezwungen, einen weiteren Vorstoss zum Thema zu machen. Das ist wirklich eine groteske Situation, aber ich bin dem Gemeinderat dankbar, dass er dies so klar bestätigt hat. Ich bin nicht für Littering in der Stadt, aber das Problem lässt sich nicht mit Repression lösen. Die Kübel müssten häufiger geleert werden. Man hält sich auch mehr zurück, seine Sachen wegzuwerfen, wenn es sauber ist.

Fraktionserklärungen

Beat Zobrist (SP) für die SP/JUSO-Fraktion: Wenn der Interpellant glaubt, PINTO werde als "Ghüder-Polizei" eingesetzt, befindet er sich auf dem Holzweg. PINTO ist einmal im Rahmen einer gezielten Sensibilisierungsaktion auf der grossen Schanze und auf dem Waisenhaus-platz eingesetzt worden. Dagegen ist nichts einzuwenden. Abgesehen davon hat PINTO ein Pflichtenheft, das die Leute mit ihren 5,7 Stellen nicht einmal annähernd erfüllen können. Das Verteilen von Bussen für Littering gehört nicht dazu und liegt auch nicht in ihrer Kompetenz. Der Gemeinderat hat gesagt, dass PINTO im Jahr 2008 5'700 Stunden patrouillieren konnte. Wenn man das auf das Jahr verteilt, sind das 6 Stunden, die eine Zweierpatrouille jeden Tag unterwegs sein kann. PINTO ist ein sehr kleines Grüppchen verglichen mit der Polizei. Nicht schlecht finden wir aber, dass das Wegwerfen und Liegenlassen von Abfall vermehrt gebüsst wird. Wir sind uns bewusst, dass es schwierig ist, die Täter zu ermitteln. Kartonschachteln und Fast-Food-Verpackungen haben leider keine Erkennungsnummer, mit der sich ermitteln liesse, wer sie weggeworfen hat. Die Blechkisten, die überall in der Altstadt herumstehen, haben hingegen solche Nummern. Trotzdem bleibt die Kantonspolizei untätig, wie wir auf dem Heimweg in der Rathausgasse sehen werden.

Rahel Ruch (JA!) für die GB/JA!-Fraktion: Es ist ganz klar nicht die Aufgabe von PINTO, Pas-santinnen und Passanten auf fehlerhaftes Verhalten bei der Abfallentsorgung hinzuweisen. Schliesslich steht auch im Beschrieb der Aufgaben und Ziele von PINTO nichts dergleichen. Das ist auch richtig so, ist doch PINTO das einzige Projekt in Bern, das aufsuchende Gas-senarbeit macht. Auf diese Aufgabe soll sich PINTO konzentrieren können. Wir gehen davon aus, dass PINTO mit seinem Kerngeschäft genug zu tun hat. Die Kampagne "Subers Bärn - Zäme geits" muss mit anderen Mitteln durchgeführt werden. Ausserdem ist es eine Aufgabe von uns allen, einander darauf aufmerksam zu machen, dass Abfall nicht liegengelassen wird.

Pascal Rub (FDP) für die FDP-Fraktion: Littering gehört geahndet. Ich bin aber auch nicht dafür, dass PINTO dafür eingesetzt wird. Eine Stunde Arbeit von PINTO kostet 130 Franken, eine Stunde der Securitas 50, 60 oder 70 Franken. Es macht darum auch aus wirtschaftlichen Gründen keinen Sinn, wenn sich PINTO um Abfallsünder kümmert. Ich hoffe, es bleibt bei diesem einmaligen Versuch.

Henri-Charles Beuchat (CVP) für die BDP/CVP-Fraktion: Was Luzius Theiler als wüste Be-tonwände bezeichnet, ist fremdes Eigentum. Wenn er dazu aufruft, darauf zu plakatieren, ist das mangelnder Respekt vor fremdem Eigentum. Was es braucht, sind drakonische Strafen von 500 Franken und mehr für Littering. Die ersten, die diese Kasse füllen können, sind jene Stadträtinnen und Stadträte, die ihre Zigaretten hier unten einfach wegwerfen

Direktor SUE Reto Nause: "PINTO-Mitarbeitende verfügen über keinerlei polizeiliche Kompe-tenzen und stellen daher auch keine Bussen aus". Das steht in der Antwort des Gemeinde-rats. PINTO-Mitarbeitende als "Ghüder-Polizei" zu bezeichnen ist einfach falsch.

Beschluss
Der Interpellant ist mit der Antwort des Gemeinderats teilweise zufrieden.