MEDIENSPIEGEL 9.8.09
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Programm
- Schützenmatte (-Fest)
- Squat Biel: Familie von Allmen mit Dach über Kopf
- Randstand Grenchen
- Kokain + Wirtschaftskrise
- Drogenkonsum ZH
- Buchtipp Globaler Polizeistaat
- Tiersschutz-Polizeistaatextremismus
- Forschungsarbeit Sexwork

----------------------
REITSCHULE
----------------------

So 09.08.09  
19.00 Uhr - Vorplatz  - BBQ
22.00 Uhr - SousLePont - Real McKenzies (Celtic-Punk), The Dreadnoughts (Pirate-Punk), DJ: Pat-Man & Scarlett O'Honey

Di 11.08.09
22.00 Uhr - Hofkino - LES TRIPLETTES DE BELLEVILLE, Sylvain Chomet, Frankreich 2002, 78 min, DVD; OV/d

So 16.08.09
19.00 Uhr - Vorplatz - BBQ

Di 18.08.09
22.00 Uhr - Hofkino - BROTHER, WHERE ART THOU?, Joel Coen, USA 2000, 106min, DVD, OV/d

Infos: www.reitschule.ch

-------------------------------
SCHÜTZENMATTE
-------------------------------

BZ 8.8.09

Schützenmatte, Bern

Ein Fest zum Auftakt

Am 10.Oktober steigt auf der Schützenmatte ein Fest. Dahinter stehen die facettenreichen Anrainer der vernachlässigten Ecke.

Rund um die Schützenmatte sind unterschiedlichste Kreise zu Hause. Angefangen beim Kulturzentrum Reitschule hin zu Geschäftsstellen von Nicht-Regierungs-Organisationen, weiter zu Restaurants unterschiedlichster Couleur sowie Gewerbetreibenden, Anwohnern und schliesslich der Anlaufstelle für Drogenabhängige. Nun raufen sich diese zum Teil sehr gegensätzlichen Kreise im Verein Bollwerk-Schützenmatte zusammen und veranstalten als ersten gemeinsamen Anlass am 10.Oktober ein Fest.

"Die Schütz ist reserviert", sagt Tom Iseli, Co-Geschäftsführer des Restaurants O bolles. Es liege auf der Hand, dass das Fest in der Mitte stattfinden müsse, eben auf der Schützenmatte. Das Polizeiinspektorat bestätigt, dass ein Gesuch vorliege. Es werde gegenwärtig geprüft.

Buntes Programm

Am Nachmittag soll das Programm Familien ansprechen. Dahinter stehen die Spielzeugrecycling-Werkstatt Gumpesel und der Laden Picobollo. Abends steigen dann Konzerte, so wenigstens ist es im vorläufigen Programm vorgesehen. Weiter sind Vorführungen historischer Filme zum Bollwerk, Spielturniere und anderes mehr geplant. Essen und Trinken ist dank der Restaurants und Bars kein Problem. "Alle ansässigen Lokalitäten sollen sich präsentieren können", sagt Tom Locher von der Reitschule. Deshalb sind deren Türen am Tag des Festes explizit für alle geöffnet.

Breit abgestützt

Im Verein wirken sowohl die Reitschule wie die Brasserie Bollwerk mit. Laut Tom Locher ist der Ursprung des Engagements in der "gemeinsamen Frustration" über die ausbleibende zweite Drogenanlaufstelle begründet. Stefan Zingg, Geschäftsführer der Brasserie, ergänzt, dass es um die Aufwertung des Gebiets gehen müsse. Iseli, Locher und Zingg reden Differenzen untereinander zur Zukunft des belasteten Perimeters nicht vom Tisch, die beispielsweise in der Drogenproblematik bestehen. Bisher seien jedoch alle bei der Stange geblieben.

In einer gestern versandten Mitteilung wird festgehalten, dass es darum gehe, der vorhandenen Vielfalt eine Stimme zu geben. Der Stadtteil Bollwerk-Schützenmatte will sich als "lebendiger Teil der Stadt Bern" in Erinnerung rufen und mitreden bei künftigen Entwicklungen. Der Stadtteil sei nun zwanzig Jahre vernachlässigt worden: "Wir wollen, dass sich dies ändert."
cab

-----------------------
SQUAT BIEL
-----------------------

Indymedia 6.8.09

Neue Besetzung in Biel durch FamilieVonAllmen ::

AutorIn : IG-FamilieVonAllmen         

Nach polizeilicher Repression und Einschüchterungsversuchen haben wir, die IG-FamilieVonAllmen beschlossen, das Haus an der Aarbergstrasse 87 zu besetzen und wiederzubeleben.     
    
Mit Freude teilen wir euch eine weitere Besetzung an der Aarbergstrasse 87 in Biel mit. Somit geht der Kampf für autonome Freiräume und Selbstbestimmung weiter. Nach den staatlichen Repressionen, die wir über uns ergehen lassen mussten (wir haben darüber auf Indymedia berichtet), hat der Familienrat der FamilieVonAllmen beschlossen, die Räumlichkeiten der ehemaligen Möbelaustellung Art in Design an der Aarbergstrasse 87 zu besetzen. In der Nacht vom 3. auf den 4.August haben wir die Räumlichkeiten, welche nach unserer Recherche seit sechs Monaten leerstehen und bis jetzt auch nicht offeriert werden, besetzt. Das Gebäude soll frühestens im Jahr 2012 dem sogenannten Westast weichen, welcher in Zusammenhang des Autobahnprojektes A5 gebaut werden soll. Wir gehen davon aus, das es bis dahin leerstehen wird. Wir wollen diesen erkämpften Freiraum wiederbeleben und unsere Projekte und Aktivitäten ausserhalb der alles dominierenden Marktwirtschaft und der daraus resultierenden Stumpfsinnigkeit vorantreiben. Wir stellen uns klar gegen eine Gesellschaft, die sich isoliert und alle Lebensbereiche überwacht. Gestalten wir unseren Lebensraum selber und verteilen wir die Aufgaben unter uns. Leben wir unser Leben - immer noch besser, als in diesem zum Untergang verdammten kapitalistischen Wahn zu überleben! Mit dieser Besetzung wollen wir klarmachen, das die staatliche Repression uns nicht entmutigt, dass wir weitermachen werden. Der Staat kann die Menschen zwar einsperren, ihre Ideen aber nicht!

Salud y Libertad!
FamilieVonAllmen

------------------------------------------
RANDSTAND GRENCHEN
------------------------------------------

Solothurner Tagblatt 7.8.09

Alkiszene Marktplatz

Haben Solothurner die Lösung?

Wie kriegt Grenchen die Alkiszene auf dem Marktplatz in den Griff? Vielleicht brächte ein Blick nach Solothurn die Lösung: Vor drei Monaten eröffnete hier die Gassenküche und die Alkiszene beim Amtshausplatz ist (fast) verschwunden.

Solothurn hat ein grösseres Einkaufsangebot als Grenchen. Solothurn hat ein grösseres Angebot an Restaurants als Grenchen. Und Solothurn hat ein grösseres Angebot im Gesundheitswesen als Grenchen. Alles Dinge, auf die ein Grenchner schon mal neidisch sein kann. In einem Punkt gibt es in Grenchen aber sicher keinen Neid: Denn Solothurn hat auch eine grössere Alki-Szene. Die Gruppe Biertrinker auf dem Amtshausplatz ist nämlich weitaus grösser als die auf dem nördlichen Marktplatz in Grenchen.

Aber halt: Eigentlich könnten die Grenchner nämlich auch in diesem Punkt neidisch sein auf die Solothurner. Denn seit drei Monaten ist die Szene auf dem Amtshausplatz massiv geschrumpft. Wieso? In der Vorstadt eröffnete die Gassenküche "Adler" und die Szene fand eine Anlaufstelle - die sie grösstenteils auch nutzt.

Alkis siedeln einfach um

Die Solothurner haben also eine Lösung gefunden, gegen die Alki-Szene vorzugehen. Und Grenchen? Mit der Gartenwirtschaft des Restaurants Hot Soup (vergleiche Kasten) wurde die Alki-Szene kurzzeitig vom nördlichen Marktplatz vertrieben. Das Resultat: Die Alkis versammelten sich einfach 50 Meter weiter südlich - aber nach wie vor auf dem Marktplatz. Mit dem Wegweisungsartikel konnte die Polizei zwar einzelne Szene-Mitglieder vom Marktplatz vertreiben, doch auch durch diese Massnahme verschwindet die Szene nicht aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Alkis, die des Marktplatzes verwiesen wurden, wechselten einfach zum Postplatz oder zum Monbijou, wo der zweite Grenchner Denner angesiedelt ist.

Politiker zeigen sich offen

Es stellen sich die Fragen: Würde sich für Grenchen ein Blick über den Gartenzaun lohnen? Wäre eine Anlaufstelle wie der "Adler" auch eine Lösung für Grenchen? Liegt die Lösung so nah? Das Tagblatt hat verschiedene Grenchner Exponenten aus Verwaltung und Politik mit diesen Fragen konfrontiert.

Angefangen in der Politik, wo neue Ideen sehr willkommen sind. So meint etwa FdP-Gemeinderat Hubert Bläsi: "Gute Ideen sind immer gefragt - sogar wenn sie aus Solothurn kommen." Grenchen habe viel probiert, um das Problem zu beheben, habe aber das Ei des Kolumbus noch nicht gefunden. Bläsi führt aus: "Jede Massnahme hat eine Chance verdient. Wir müssen diese Variante sicher näher betrachten."

Keine Grenchner "Filiale"

Ähnlich tönt es von der SP. Gemeinderat Alex Kaufmann sagt: "Ich bin für jede Möglichkeit, mit der wir das Problem in den Griff bekommen können." Kaufmann meint, dass die Szene sich irgendwo aufhalten müsse und nicht einfach verschwinde. Eine Gassenküche könne also der richtige Weg sein.

Auch SVP-Gemeinderat Heinz Müller sagt: "Wenn sich diese Lösung in Solothurn als positiv erwiesen hat, kann man sie auch für Grenchen in Betracht ziehen." Müller fügt aber an, dass Grenchen in diesem Fall nicht ein eigenes "Zügli" fahren sollte. Vielleicht wäre es ja möglich, dass die Gassenküche von Solothurn in Grenchen eine Art "Filiale" betreiben würde, meint Müller. An eine solche Lösung glaubt Kurt Boner hingegen nicht. Der Leiter der Sozialen Dienste Oberer Leberberg sagt: "Wenn ein solches Projekt umgesetzt würde, bräuchte es bestimmt eine massgeschneiderte Lösung für Grenchen."

Szenen sind nicht gleich

Ganz allgemein steht Boner der Idee aber eher skeptisch gegenüber. Diese Skeptis begründet mit zwei Argumenten: "Obwohl man sieht, dass sich in der hiesigen Alki-Szene nicht nur Grenchner bewegen, muss man vorsichtig sein. Denn mit jedem neuen Angebot schafft man gleichzeitig einen Anziehungspunkt für neue ‹Kundschaft›."

Mit seinem zweiten Argument begründet er zugleich, wieso es für Grenchen eine massgeschneiderte Lösung bräuchte: "Die Szenen in Grenchen und Solothurn sind nicht eins zu eins vergleichbar." Während sich in der Solothurner Szene Leute bewegen, die eben auf das Angebot einer Gassenküche zurückgreifen, bestehe die Grenchner Alki-Szene nicht nur aus Leuten, die durch alle sozialen Netze gefallen seien. "Viele der Leute, die sich auf dem nördlichen Marktplatz aufhalten, sind nicht dort, weil sie in einer Notsituation sind, sondern, weil sie dort sein wollen", hält Boner fest. Für ihn ist es deshalb wichtig, dass die Szene richtig analysiert wird. Aus diesem Grund wurde bei der Fachhochschule Nordwestschweiz eine Projektstudie in Auftrag gegeben (vergleiche Kasten).

Banga will klassische Musik

Boris Banga sagt zwar: "Wieso nicht?" Der Stadtpräsident verweist aber wie Boner auf die Unterschiede der Szenen in Grenchen und Solothurn. Banga hält aber klar fest, dass ein Alkstübli mit subventioniertem Bierverkauf, wie es dies in Olten gibt, für ihn nicht in Frage käme. Bangas Traumlösung wäre nach wie vor seine Idee mit der Beschallung. Er glaubt, dass klassische Musik oder Volksmusik die Alkis vom Marktplatz vertreiben würde. Er habe ein entsprechendes Projekt in Deutschland gesehen. Doch was ist mit den anderen Marktplatzbesuchern? Würden die dann nicht auch verschwinden? "Nein, Passanten würde das sicher nicht vertreiben. Und die Beschallung käme ja nur gerade auf einem bestimmten Teil des Marktplatzes zum Einsatz", so Banga.

Kein Nachwuchs

Auch Grenchens Polizeikommandant Robert Gerber steht möglichen Massnahmen offen gegenüber: "Mir ist jede Idee recht, die hilft, die Szene einzudämmen." Doch auch Gerber sieht in einer Anlaufstelle wie dem "Adler" nicht unbedingt die Patentlösung für Grenchen: "Eine solche Anlaufstelle birgt die Gefahr, dass Alkis aus der ganzen Region angezogen würden." Gerber und seine Truppe werden jedenfalls weiter den Wegweisungsartikel zum Einsatz bringen und vor allem versuchen, Minderjährige fernzuhalten. Immerhin das scheint zu klappen. Der Kommandant: "Wir haben festgestellt, dass kein Nachwuchs zur Szene gestossen ist."

Parzival Meister

------------------
KOKAIN
------------------

pressetext 7.8.09

Banker auf Kokain: Mensch für Finanzen ungeeignet

Drogenkonsum steigt in Krisenzeiten - Geldgier übernimmt Kontrolle im Gehirn

London/Berlin (pte/) - Der Kokainkonsum der Briten ist im vergangenen Jahr trotz oder gerade wegen der Wirtschaftskrise um ein Viertel gestiegen. Dem nationalen Statistikbüro zufolge legt die rezessionsgeplagte Insel damit einen europäischen Spitzenwert vor. Ein Großteil des Verbrauchs dürfte sich dabei auf das Finanzzentrum London konzentrieren. Wie das Handelsblatt schreibt, ist das weiße Pulver als Luxusdroge einzustufen und neben Popstars traditionell in der Finanzindustrie stark nachgefragt. Dabei dürften sich Investmentbanker, Spekulanten und Händler ohnehin in einem Dauerrauschzustand befinden. Forschern zufolge ist der Mensch besonders für riskante Finanzgeschäfte ungeeignet, da dabei die gleiche Gehirnregion die Kontrolle übernimmt, die auch bei Sex oder der Einnahme von Kokain den Ton vorgibt. Angesichts der Überdosis des vergangenen Jahres müssten eiserne Disziplin und ausgeklügelte Handelssysteme Abhilfe schaffen.

"Ein steigender Drogenkonsum ist pauschal nicht unbedingt in Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise zu bringen. Wirtschaftlich bedrohliche Situationen können aber durchaus Auslöser sein und zu einem höheren Konsum führen", erklärt Christine Kluge Haberkorn, Geschäftsführerin des Bundesverbandes für Akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik akzept http://www.akzept.org , im Gespräch mit pressetext. Aus dem dramatischen Anstieg des Kokainverbrauchs in Großbritannien ist der Expertin zufolge nicht der Rückschluss zu ziehen, dass der Konsum auch in Deutschland steigen wird. Kokain komme generell verstärkt zur Anwendung. Neben der Drogenszene treffe dies auch auf die Finanzbranche zu. "Die Edel-Droge ist besonders in wirtschaftlich und gesellschaftlich abgesicherten sozialen Schichten verbreitet", meint Haberkorn gegenüber pressetext. Diese würden aber weder statistisch noch polizeilich erfasst.

Von Finanzgeschäften wird der Mensch jedoch auch ohne Kokain berauscht. So prägen bei Gelderwartungen Gefühle wie Gier und Angst den Verstand. Den beiden Forschern Daniel Kahnemann und Amos Tversky zufolge übernehmen sie wie im Fall des Kokaingebrauchs die Kontrolle im Gehirn, berichtet der Tagesspiegel. Aus Angst vor Verlusten oder verpassten Gewinnchancen würde der Mensch von seinen Emotionen dazu veranlasst, wörtlich falsch zu handeln. Bei Geld- und Aktiengeschäften neige er zu fehlgeleiteten Entscheidungen. Gefühle müssten durch mechanische Handelssysteme unterdrückt werden, um eine Risikokontrolle zu erlangen. Zudem bedürfe es großer Disziplin um nicht der Droge Geld zu verfallen und anders zu handeln als von den Gefühlen vorgegeben.

------------------------------------
DROGEN ALLGEMEIN
------------------------------------

NZZ 8.8.09

Erweiterte Pupillen und gepuderte Nasen

Welche Drogen in der Zürcher Partyszene konsumiert werden

 Nicht nur am Street-Parade-Wochenende werden in der Zürcher Partyszene häufig illegale Substanzen wie Ecstasy und Kokain konsumiert. Das Hauptproblem in den Klubs bleibt indes der Alkohol.

 tri.  Wenn sich die Menschenmassen nach der heutigen Street Parade schliesslich auf die knapp 50 Partys in Zürich verteilt haben werden, um die Nacht zu wummernden Bässen durchzufeiern, sind bei vielen Tanzwütigen neben Alkohol auch illegale Substanzen im Spiel. Doch das Street- Parade-Wochenende ist diesbezüglich nur in seinem Ausmass ein Spezialfall. Wer sich das Jahr hindurch ab und zu in die Zürcher Klubszene begibt, für den ist augenfällig: Es werden illegale Drogen konsumiert, und zwar nicht wenige - wenn auch verdeckter als auch schon. Die erweiterten Pupillen ekstatisch tanzender Ecstasy-Konsumenten oder das nervöse, übertrieben selbstbewusste Auftreten von Nachtschwärmern nach einer Linie Kokain sprechen Bände.

 Subjektive Eindrücke können allerdings trügerisch sein. Den Überblick über die Substanzen, die beim Party-Volk gerade im Trend sind, haben hingegen die Mitarbeitenden der Stadtzürcher Jugendberatung Streetwork. Seit 2001 informieren sie über Wirkung und Risiken des Drogenkonsums, beraten Hilfesuchende und führen sowohl an Partys als auch im Drogeninformationszentrum sogenannte Drug-Checkings durch. Konsumenten können dort unentgeltlich ihre Pillen und ihr Pulver auf die Dosierung und auf Substanzen mit unangenehmen Nebenwirkungen testen lassen. Nicht zuletzt durch dieses Angebot, das nach der Schweizer Drogenpolitik der Schadensminderung dient, ist man bei Streetwork sehr nahe an der Szene.

 Ecstasy, das kein Ecstasy ist

 Trotz tiefen Marktpreisen sei der Drogenkonsum an Zürcher Partys in den letzten Jahren nicht gestiegen, sagt Donald Ganci, Leiter von Streetwork. Es fänden jedoch laufend Verschiebungen statt, was die Art der verwendeten Substanzen betrifft. Diesen Eindruck teilt man auch bei der Zürcher Stadtpolizei, wie deren Sprecher Marco Bisa auf Anfrage mitteilt. Gemäss dem jüngsten Drogenbericht der Stadt Zürich sank 2008 die Zahl der polizeilich erfassten Betäubungsmitteldelikte sogar auf 9567, den Tiefstwert der vergangenen acht Jahre. Doch solche Zahlen sind mit Vorsicht zu geniessen, sagen sie doch meist mehr über die Polizeiaktivität aus als über den effektiven Konsum. Das Hauptproblem an der Street Parade wie auch generell in der Partyszene ortet man bei Polizei und Streetwork ohnehin weniger im Konsum von illegalen Substanzen, sondern vielmehr beim Alkohol, der nicht selten in rauen Mengen getrunken wird.

 Von den illegalen Drogen ist in der Technoszene laut Ganci nach wie vor Ecstasy am weitesten verbreitet. Wobei zu präzisieren ist: Seit letztem Sommer sind in der Schweiz wie im übrigen Europa vermehrt Tabletten als Ecstasy gehandelt worden, die den psychoaktiven Ecstasy-Wirkstoff MDMA, ein Amphetamin-Derivat, gar nicht enthielten. Rund drei Viertel aller Pillen bestehen gemäss Ganci aus mehreren anderen, zum Teil wenig erforschten Substanzen mit unterschiedlichem Wirkungsspektrum. Die möglichen Folgen: Übelkeit, Kopfschmerzen, Horrortrips, Herz- und Kreislaufstörungen oder Durchblutungsprobleme. Besonders problematisch wird es, wenn beim vermeintlichen Ecstasy-Konsum nicht wie gewohnt nach 30 bis 45 Minuten der erwartete Rauschzustand einsetzt und schliesslich weitere solcher Pillen "nachgespickt" werden, die aufgrund ihrer Zusammensetzung erst später zu wirken beginnen. Über die Gründe des Fehlens von MDMA können bis jetzt auch Experten nur spekulieren. Klar scheine einzig, dass es zurzeit einen Mangel am Grundstoff gebe, der für die MDMA-Produktion verwendet wird, erklärt Ganci.

 LSD für Junge reizvoller als Kokain

 In der Technoszene stellen Ganci und sein Team generell eine leicht zunehmende Nachfrage nach LSD sowie dem Amphetamin Speed fest. Beobachtet wird zudem, dass immer häufiger Substanzen konsumiert werden, die nicht unter das Betäubungsmittel-, sondern das Arzneimittelgesetz fallen und die über das Internet bestellt werden. Ein Beispiel: Kurz nachdem im Jahre 2001 GHB, das sogenannte Liquid Ecstasy, verboten worden war, tauchte an Partys der Stoff GBL auf - ein Industrie-Lösungsmittel, das sich im Körper nach der Einnahme schliesslich in das euphorisierend wirkende GHB umwandelt. Wie bei GHB kann auch bei GBL der Mischkonsum mit Alkohol zu schweren Komplikationen führen, beispielsweise zum Kollaps durch Atemlähmung. Methamphetamine wie "Thai-Pillen" hätten sich trotz grossem Medienecho in der Schweizer Partyszene - im Gegensatz zu den USA - nie etabliert. Auch über Kokain herrsche in der Öffentlichkeit ein teilweise falsches Bild, sagt Ganci.

 Das weisse Pulver ist - wie Cannabis-Produkte - unbestritten in allen Partyszenen weit verbreitet. Der Kokainkonsum nahm gemäss diversen Schweizer Umfrageergebnissen nach der Jahrtausendwende stark zu, seit mindestens zwei Jahren stagniere er aber, wenn auch auf hohem Niveau. Offenbar passe die leistungssteigernde Substanz zum gegenwärtigen Zeitgeist, stellt Drogenexperte Ganci fest. Dass aber immer Jüngere koksten, wie in den Medien häufig kolportiert wird, decke sich nicht mit den Erfahrungen bei Streetwork. Der Kokainkonsum beginne in den meisten Fällen frühestens mit 18 Jahren. Überraschend ist für Ganci dagegen, dass in Umfragen der Jugendberatung an Berufs- und Kantonsschulen viele Jugendliche im Alter zwischen 16 und 18 Jahren eine Affinität zu halluzinogenen Stoffen wie LSD und psychedelischen Pilzen zeigten. Ausführlichere Ergebnisse zu Drogen-Trends und Altersstruktur der Konsumenten seien jedoch erst Ende Jahr zu erwarten: Dann soll der Evaluationsbericht von Streetwork über die letzten vier Jahre erscheinen.

Informationen zu illegalen Substanzen und "Drug-Checking" finden sich unter http://www.saferparty.ch.

--------------------------
POLIZEISTAAT
--------------------------

NZZ 8.8.09

Das politische Buch

Terrorangst und Sicherheitswahn

Thomas Darnstädt warnt vor dem globalen Polizeistaat

 "Der Verdacht, dass der Krieg gegen den Terrorismus gefährlicher als der Terrorismus selbst ist, erscheint mir völlig gerechtfertigt", so zitiert Thomas Darnstädt in seinem neuen Buch "Der globale Polizeistaat" den verstorbenen amerikanischen Philosophen Richard Rorty. Der Autor, promovierter Jurist und Redaktor beim deutschen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", schildert, wie die westlichen Staaten im Kampf gegen den internationalen Terrorismus eine Politik der Verängstigung betreiben. Im Zuge einer Verschärfung der Politik der inneren Sicherheit, so die grosse Sorge Darnstädts, würden die Freiheitsrechte der Bürger, die den Einzelnen vor Eingriffen des Staates schützen sollten, ausgehöhlt.

 "Angstmache", das Schüren von Ängsten vor dem Terrorismus, werde wie eine Kriegstechnik eingesetzt, um den Durchhaltewillen der Bürger anzustacheln. "Es ist ein Wissen, dass da eine Macht droht, die in der Lage ist, Unheil zu bringen, ohne dass die Umstände, der Zeitpunkt und die Folgen kalkulierbar sind. Es ist ein Gefühl - wie im Krieg", heisst es bei Darnstädt. Es werde den Bürgern suggeriert, ihre Sicherheit sei nur durch Aktionen wie die Sicherung von Passdaten, elektronische Fingerabdrücke, das Abhören von Telefonen und den Zugriff auf private Computer-Festplatten gewährleistet.

 Doch der "Krieg gegen den Terror" hat nicht nur zu einer Politik der Verängstigung geführt, sondern durch ihn sind auch politische und rechtliche Probleme entstanden. Dadurch, dass die Grenzen zwischen Krieg und Frieden, zwischen Polizei- und Militäreinsätzen und zwischen Inland und Ausland zunehmend verschwimmen, hat sich ein Niemandsland herausgebildet, in dem nun ein neues Recht entsteht. Als einen Verfechter dieses neuen Rechts nennt Darnstädt den deutschen Innenminister Wolfgang Schäuble, der auf eine "präventive Wende" setze. Konkret heisst das, dass Schäuble das Polizeirecht ausbauen will, um den Sicherheitskräften Ein- und Zugriffe zu ermöglichen, bevor etwas passiert ist. Darnstädt beklagt, dass die "amerikanische Logik" zunehmend übernommen und die Verhältnismässigkeit bei den Methoden, deren sich der Staat im Kampf gegen den Terrorismus bedient, immer mehr vernachlässigt werde. Feindschaft, so schlussfolgert der Autor, entstehe nicht mehr aufgrund überprüfbarer Ereignisse, sondern "kraft politischer Dezision", hinter der sich nichts anderes verberge als die "populistische Antwort der Politik auf die Angst" - die sie auch noch selbst verstärkt.

 Diese Entwicklung schlage sich inzwischen auch auf europäischer Ebene nieder. So laute die neue europäische Sicherheitsphilosophie, die von der Brüsseler Kommission vertreten wird: Freiheit und Sicherheit sind keine Gegensätze, sondern bauen aufeinander auf. Im Klartext, so die Kritik des Autors, heisse das aber: Freiheit ist nun ein anderes Etikett für Sicherheit, denn sie wird zu der vom Staat gewährten Freiheit von den Gefahren des Terrorismus und zu der Freiheit von der Angst vor Verbrechen. Dieser Sichtweise folgend, hat Deutschland im März 2008 ein Abkommen mit den Vereinigten Staaten abgeschlossen, das den Amerikanern unbegrenzten Zugriff auf deutsche Datenbanken erlaubt.

 Das Thema des gut recherchierten Buches hat ganz unbestreitbar seine Berechtigung: die nachlassende Empfindsamkeit bei Bürgern und Vertretern des Staates gegenüber der Einschränkung von Freiheitsgrundrechten in einem Klima der Angst. Die Fülle der Details und Warnungen wirkt allerdings irgendwann leer. Einige Hinweise darauf, wie die Bürger ihre Angst anders überwinden könnten als dadurch, dass sie die Beschneidung ihrer Freiheiten hinnehmen, wären darum wünschenswert gewesen.

Monika Jung-Mounib

Thomas Darnstädt: Der globale Polizeistaat. Terrorangst, Sicherheitswahn und das Ende unserer Freiheiten. Deutsche Verlagsanstalt, München 2009. 280 S., Fr. 34.90.

---------------------------------
MFAH vs NOVARTIS
---------------------------------

Sonntagszeitung 9.8.09

Feind Nummer 1: Vasella & Co.

Schweizer Tierschutzfanatiker sind international vernetzt - Polizei ist machtlos

Von Stefan Krähenbühl und Jean François Tanda

Zürich Attentate militanter Tierschützer haben sich in letzter Zeit gehäuft: Anfang Juli verschickten Aktivisten laut eigenen Angaben sieben Briefe mit Patronen an Verantwortliche des Schlachthofes Mati Macello Ticino SA. Im Mai und Juni nahmen sie Novartis-Kaderleute ins Visier: Sie verschmierten Hausfassaden, schlitzten Autoreifen auf und zündeten die Autos an. Novartis-Sprecher Satoshi Sugimoto bestätigt: "Fälle von Beschädigungen an Autos und Häusern von Mitarbeitenden oder an Einrichtungen von Novartis durch militante Tierschützer haben sich in letzter Zeit gehäuft."

Die Täterschaft in all diesen Fällen ist noch immer unbekannt - und das wird wohl so bleiben. Markus Melzl, Sprecher der Staatsanwaltschaft Basel: "Von allen Verfahren, die in Basel durchgeführt wurden, führte keines zum Erfolg."

Die Websites der Tierschützer sind im Ausland registriert

Laut dem Dienst für Analyse und Prävention (DAP) gibt es "personelle Überschneidungen" zwischen militanten Tierschützern und gewalttätigen Linksextremisten. Darauf deutet auch hin, dass der Betreiber der Szene-Website "Animal Liberation Hallmarks" bei der Domain-Registrierung eine Heimadresse angab, die mit der Adresse des autonomen Zentrums Reitschule in Bern übereinstimmt.Hallmarks war Ende Februar Organisator eines Treffens der Szene in Langenthal. Thema war unter anderem ein Verschlüsselungsprogramm für E-Mails. Die Aktivisten agieren denn auch anonym, ihre Websites registrieren sie in Ländern, wo der Betreiber - anders als in der Schweiz - unerkannt bleibt. Auch der Betreiber der Website des Animal-Right-Festivals in Bremgarten AG ist unbekannt.

Das Festival vom 23. und 24. Mai 2008 mit Workshops und Konzerten besuchten etwa 300 sogenannte Tierbefreier. Sie solidarisierten sich mit inhaftierten österreichischen Tierrechtsaktivisten. Schwerpunkt des Festivals waren aber Infoveranstaltungen - etwa zur militanten Tierbefreierorganisation Stop Huntingdon Animal Cruelty (SHAC). Deren Ziel ist die Schliessung des Tierversuchslabors HLS in England.

SHAC steht im Verdacht, Vasellas Ferienhaus angezündet, das Grab seiner Mutter geschändet und die Kirche im Dorf seines Wohnortes verschmiert zu haben. Doch die Kampforganisation bestreitet jede Tatbeteiligung: "Wir verstehen die Bestürzung Vasellas und seiner Familie. Aber wir haben mit den Attentaten nichts zu tun", schreibt eine Sprecherin an die SonntagsZeitung. Laut Sicherheitschef von Novartis waren an den Attentaten Schweizer beteiligt.

Der DAP weiss, dass es hier eine Unterstützerszene für SHAC gibt. Feind Nummer 1 ist Novartis. Vom 24. bis zum 31. August 2009 droht SHAC eine "Aktionswoche" an gegen Novartis und Astra-Zeneca. Sie seien "Top-Kunden" des englischen Tierversuchslabors HLS, so die Begründung. Zu den erklärten Feinden von SHAC gehört auch die Firma Mettler-Toledo in Greifensee. Laut DAP hat auch die Animal Liberation Front, ALF, Mitglieder in der Schweiz. Zynisch der ALF-Kommentar zum Brandanschlag: "Wir bedauern, dass Vasella nicht im Haus war, als es brannte."

Englische Tierschützer Seite 7

--

Darbellay: "Diese Menschen sind Terroristen"

Der Verband Schweizer Pharmafirmen (Interpharma) macht gegen Tierschutzfanatiker mobil. "Wir werden unsere Taskforce reaktivieren", sagt Geschäftsführer Thomas Cueni. "Sie wird einen Massnahmenkatalog ausarbeiten und die Kontakte zu Behörden und Politik intensivieren." Mögliche Massnahmen seien eine Verschärfung des Strafrechts sowie Einreise- und Rayonverbote. Unterstützung erhält Cueni von vielen Seiten. Als Erster seine Solidarität bekundet hat Christophe Darbellay (CVP). "Diese Menschen sind Terroristen und müssen auch so behandelt werden", so der Nationalrat. Denkbar sei ein Vorgehen wie bei Hooligans.

--

Briten tun fast alles fürs Wohl der Kreaturen

Viele empfinden heimliche Genugtuung bei kriminellen Aktionen von Tierschützern

London Chris war ein 15 Jahre alter Punkrebell, als er sich der Northern League der militanten Tierschützer anschloss. In einem rauen Arbeiterviertel Manchesters aufgewachsen, habe es ihn "angewidert", wie die Menschen Tiere behandelten: Aus einem Schlachthof der Umgebung lief regelmässig Blut auf die Strasse, das Brüllen von Rindern und Quieken von Schweinen in Todesangst waren unüberhörbar. Am schlimmsten aber hätten die Bilder von Affen und Beagles auf ihn gewirkt, die in Laboratorien wie denen von Huntingdon Life Sciences bei Tests "systematisch gequält und getötet" würden.

Das Elend der Tiere löste in ihm den Entschluss aus, Vegetarier zu werden und bei Aktionen von ALF, der Animal Liberation Front, mitzumachen. "Wir befreiten Hun- de und Ziegen aus Labors, versuchten, so viel Schaden wie möglich anzurichten." Huntingdon, nach den Anschlägen gegen den Novartis-CEO Daniel Vasella in aller Munde, habe schon in den Achtzigerjahren als "der Feind schlechthin" gegolten. Menschen aus allen Schichten hätten die Militanten, unter ihnen viele Frauen, unterstützt. Sie trafen sich in Kneipen, tranken sich Mut an und schritten meist nachts zur Tat. Die Geister schieden sich, als es um Gewalt gegen Menschen ging. Chris stieg aus, als die IRA die Tierschützer unterwanderte. ALF, als terroristische Vereinigung eingestuft, ist heute in schattenhafte Organisationen mutiert. Eine davon ist Stop Huntingdon Animal Cruelty.

Banken wagten es lange nicht, Huntingdon Kredit zu gewähren

Chris, heute erfolgreicher Gärtner, weist auf eine interessante Parallele hin: Viele Menschen ereiferten sich über Tierversuche und brutale Tierhaltung, würden aber nie bei gewalttätigen Aktionen mitmachen; doch empfänden sie "klammheimliche Genugtuung". Genau wie bei Sympathisanten anderer Terrorgruppen.

Trotz harten Strafen für sieben ALF-Mitglieder gehen die Aktionen weiter: infame Schmierkampagnen - ein Teil der 1700 Huntingdon-Angestellten wurde in ihrem Dorf systematisch als "Kinderschänder" verunglimpft -, Brandanschläge und Morddrohungen. Sie richten sich auch gegen Aktionäre, Zulieferer und Kunden von Huntingdon aus der Pharmazie- und Kosmetikbranche. Sieben Jahre lang traute sich keine britische Bank, Huntingdon Kredite einzuräumen; das Unternehmen verliess England, kehrte erst 2009 zurück.

Doch die Atmosphäre ist frostig geblieben. Eine Fernsehdokumentation, gefilmt mit versteckter Kamera, hatte einst enthüllt, wie in einem Huntingdon-Labor niedliche Beagles misshandelt wurden, nur so aus Spass. Ein bedauerlicher Einzelfall, sagte die Firma. Die Angestellten wurden verurteilt und entlassen.

Die Bilder haben sich eingebrannt ins Gedächtnis einer Nation, die als besonders tierlieb gilt, in der zugleich die Schizophrenie der westlichen Welt besonders klar zutage tritt. England war Geburtsort der industriellen und wissenschaftlichen Revolution. Es ist kein Zufall, dass die britische Wissenschaft furchtloser als anderswo Neuland betritt und Tabuschwellen überschreitet. Ob beim Klonen von Tieren, bei menschlicher Reproduktion oder in der Stammzellenforschung. Es gibt im Geburtsland Darwins noch Vertreter der Zunft, die kühl versichern, Tiere seien "Maschinen", die keinen Schmerz empfinden könnten.

Die Segnungen der Moderne, Gesundheit und Schönheit, möchte die Mehrheit nicht missen. Zugleich hat sich in England schon im 18. Jahrhundert der Widerwille gegen die moderne Zivilisation entwickelt. Das wird auch sichtbar im sentimentalen Kult um "pets", um Katzen und Hunde. Die Errungenschaften der Moderne verlangen, dass Tierversuche weitergehen. Huntingdon leistet einen wichtigen Anteil der dafür unerlässlichen Arbeit. Weltweit sterben Millionen Tiere für das Wohlergehen der Menschen: ein Preis, der für viele inakzeptabel hoch ist. Weshalb sie, wie einst Chris, versucht sind, mit allen Mitteln dagegen vorzugehen.
Jürgen Krönig

---

NZZ am Sonntag 9.8.09

So attackieren Tierschützer Schweizer Pharma-Mitarbeiter

Der Extremismus militanter Aktivisten greift von England auf die Schweiz über

Mit Gewalt und Drohungen versuchen Tierschutzaktivisten Schweizer Pharma-Angestellte einzuschüchtern. Die Täter reisen aus dem Ausland an.

Christine Brand

In der Schweiz häufen sich Übergriffe und Sachbeschädigungen durch extremistische Tierschutzorganisationen. "Wir stellen 2009 eine Zunahme der Fälle fest", sagt Jürg Bühler vom schweizerischen Inland-Nachrichtendienst. Ins Visier der gewaltbereiten Aktivisten geraten vor allem Mitarbeiter von Pharmafirmen. Die Brandstiftung am Ferienhaus von Novartis-Chef Daniel Vasella und der Raub der Graburne seiner Mutter sind Höhepunkte einer ganzen Serie von Attacken auf die Novartis: Auf einer Liste von Bekennerschreiben in einem einschlägigen Online-Magazin sind im letzten halben Jahr zehn weitere Übergriffe im In- und Ausland dokumentiert.

So wurden im Mai im Kanton Basel-Landschaft die Häuser und Autos von vier Novartis-Mitarbeitern besprayt und Reifen aufgeschlitzt. Tage zuvor fackelten Aktivisten im französischen Saint-Louis das Klubhaus des Novartis-Sportclubs ab. In Solothurn fand ein Novartis-Angestellter Brandsätze unter seinen Autos. In England verschickten Aktivisten gefälschte Polizeimitteilungen, in denen sie zwei Novartis-Angestellte als Pädophile verleumdeten.

Mitarbeitern von Unternehmen werden für Sabotageakte und Informationen grosse Summen angeboten. Privatadressen und Fotos von Pharma-Angestellten werden im Internet publiziert. Hinter den Taten stehen Organisationen aus Grossbritannien. Dort werden ihre Delikte gezielt verfolgt und als organisiertes Verbrechen beurteilt. Seither greift der Extremismus vermehrt auf die Schweiz über. Jürg Bühler vom Inland-Nachrichtendienst spricht von ausländischen Aktivisten, die in der Schweiz Taten begehen und hier auf "mehrere Dutzend Helfer" zählen können. Bühler rechnet mit weiteren Attacken, es seien viele Ziele möglich.


>Seite 18 >Kommentar Seite 15

--

Kriminalität

Terror im Namen des Tiers

Morddrohungen, Brandstiftung und Grabschändung: Militante Organisationen haben schweizerische Pharmafirmen im Visier. In ihrem fanatischen Kampf gegen Tierversuche sind ihnen alle Mittel recht - was dem Tierschutz mehr schadet als nützt.

Von Christine Brand

3Uhr 25, mitten in der Nacht auf letzten Montag. Im idyllischen Lechtal in Österreich reisst ein lauter Knall einen deutschen Feriengast aus dem Schlaf. Er blickt aus dem Fenster und ruft die Feuerwehr: Das Nachbarhaus brennt. Die Flammen fressen sich durch das Ferien- und Jagddomizil von Daniel Vasella, dem Chef des Basler Pharmakonzerns Novartis. Der steigt am nächsten Morgen umgehend in den Helikopter und fliegt zum Brandort. Eine Foto zeigt ihn, wie er lächelnd dem übernächtigten Feuerwehrkommandanten zum Dank die Hand schüttelt.

Dabei ist Daniel Vasella kaum zum Lachen zumute. Die Auskunft von Walter Pupp, dem Chef des Tiroler Landeskriminalamts, bestätigt ihm, was er bereits ahnen muss: Brandbeschleuniger ist zum Einsatz gekommen. Es handelt sich eindeutig um Brandstiftung. Jemand hat mit Absicht Vasellas Liegenschaft zerstört. Wer das getan hat, will mehr als bloss sein Haus kaputtmachen: "Wir werden dein Privatleben angreifen, wo immer es möglich ist", steht in einem Bekennerschreiben, das im einschlägigen Online-Magazin "Bite Back" publiziert ist. "Wir werden dein Leben zerstören." Den massiven Drohungen vorangestellt ist eine ausführliche Beschreibung der Aktion in der Brandnacht. Und die ketzerische Frage: "Das war nicht deine Woche, Daniel?"

Das war es nicht. Denn die Brandstiftung ist bereits der zweite Anschlag auf den Novartis-Chef innert sieben Tagen. Pietätlos und noch gezielter auf seine persönlichen Gefühle ausgerichtet war die vorangegangene Tat: In Chur schändete eine unbekannte Täterschaft die Gräber seiner Eltern und von Verwandten. Sie versprayten die Grabsteine, rissen den Grabschmuck aus und steckten stattdessen zwei beschriftete Holzkreuze ein. Was oder wessen Namen darauf geschrieben stand, gibt die Bündner Polizei nicht bekannt. Gleichzeitig gruben die Täter die Urne von Vasellas 2001 verstorbener Mutter aus und nahmen sie mit. Die Botschaft, die sie in fetten, roten Lettern auf den Grabsteinen zurückliessen, lautete: "Drop HLS now" - "mach Schluss mit HLS". Mit demselben Slogan und massiven Drohungen gegen Daniel Vasella wurde Tage zuvor in seinem Wohnort Risch auch die Kirche St. Verena verschmiert.

Vom Tierschutz zum Terror

HLS: Die drei Buchstaben stehen für "Huntingdon Life Sciences", das grösste Tierversuchslabor Europas, das in England unter anderem für Pharmafirmen Versuche an Tieren durchführt (vgl. Text rechts oben). Allein die Erwähnung dieses Namens rückt ganz bestimmte, militante Tierschutzorganisationen in den Kreis der Verdächtigen: die britische Gruppe SHAC ("Stop Huntingdon Animal Cruelty", sinngemäss: Stoppt die Grausamkeit gegen Tiere von Huntingdon), die ALF ("Animal Liberation Front", Tierbefreiungsfront) und die MFAH ("Militant Forces against Huntingdon Life Sciences" - militante Kräfte gegen das Huntingdon Life Sciences).

Hinter diesen Namen stehen Organisationen, die sich dem Kampf gegen Tierversuche verschrieben haben. SHAC wurde 1999 explizit mit dem Ziel gegründet, die Schliessung des Labors HLS zu erreichen. Nachdem Bilder grausamer Versuche und Haltungsbedingungen der Tiere in der Firma HLS öffentlich gemacht worden waren, konnten die Aktivisten zunächst auf die Sympathie der als tierlieb bekannten Engländer zählen. Doch im Lauf der Jahre wurden die Attacken auf HLS zunehmend brutaler, und SHAC wandelte sich immer mehr zu einer gewaltbereiten Untergrundbewegung - was die Organisation auf ihrer Homepage selbst dokumentiert: Die Liste ihrer inhaftierten Mitglieder - unter ihnen auch der Mitgründer Greg Avery - ist lang. Die Strafmasse liegen zwischen einigen Monaten und zwölf Jahren, verurteilt wurden sie wegen Drohungen, Sachbeschädigungen, Brandstiftungen, Sprengstoffanschlägen. Eine SHAC-Aktivistin, die einen Laborangestellten und seine Kinder mit dem Tod bedroht hatte, sagte nach ihrer Verurteilung: "Ich bin doch nur eine harmlose Tierliebhaberin."

Möglich, dass sich manche Mitläufer in ihrer falsch ausgedrückten Tierliebe des Ausmasses ihres Tuns nicht bewusst sind - was die Taten nicht mildert. Die Drahtzieher hingegen, die hinter den Aktionen stehen, setzen bewusst auf gewaltbereiten Extremismus. Weil sie der Meinung sind, dass ihr Ziel mit anderen Mitteln nicht zu erreichen sei. Ihre Bekennerschreiben zu ihren legalen und illegalen Aktionen publizieren sie unter anderem im Online-Magazin "Bite Back", unter der Rubrik "Nachrichten von der Front". Den Bericht über den Brandanschlag auf Vasellas Jagdhaus hat eine Gruppe namens MFAH Austria unterzeichnet. Laut dem Betreiber des Online-Magazins, der im amerikanischen Palm Beach sitzt, werden die Bekennerschreiben bei ihm anonym eingereicht, sie seien in der Regel authentisch: "Die meisten sind von den verantwortlichen Aktivisten selbst verfasst", teilt er auf Anfrage mit.

Als Pädophiler verleumdet

Die umfangreiche Liste zeigt, dass allein in diesem Jahr etliche Anschläge auf Novartis-Mitarbeiter verübt worden sind. In einer Nacht im Mai beispielsweise geben Mitglieder der ALF an, im Kanton Basel-Landschaft bei vier Novartis-Mitarbeitern Häuser und Autos besprayt und Reifen aufgeschlitzt zu haben. Tage zuvor wurde im französischen Saint-Louis das Klubhaus des SC Novartis abgefackelt. Und in Solothurn fand ein Novartis-Angestellter Brandsätze unter seinen drei Autos.

Satoshi Sugimoto, ein Sprecher von Novartis, bestätigt, dass das Unternehmen und seine Mitarbeiter seit Jahren und in letzter Zeit vermehrt das Ziel militanter Tierschützer waren. Bereits mehrmals direkt betroffen war Novartis-Forschungschef Paul Herrling. "Einmal wurden uns Pistolenkugeln nach Hause geschickt, letztes Jahr wurde unsere Wohnungsumgebung verschmiert, und an der Busstation unserer Wohngemeinde wurde ich als Pädophiler verleumdet", erzählt er. Dies sei eine altbekannte Einschüchterungstaktik der Aktivisten. "Sie können sich vorstellen, wie unangenehm das für meine Familie und mich ist."

Für Novartis gab es laut Sugimoto nie Zweifel, dass auch hinter den jüngsten Angriffen militante Tierschützer stehen. "Diese Extremisten benutzen regelmässig andere Namen, heute nennen sie sich MFAH, morgen SHAC oder ALF, es sind aber immer dieselben Leute, die diese Taten begehen." Aufgrund der Häufung der Vorfälle haben Novartis wie auch andere betroffene Pharmafirmen die Sicherheitsmassnahmen und den Personenschutz verstärkt. Laut dem Dienst für Analyse und Prävention DAP, dem Inlandnachrichtendienst der Schweiz, ist Vorsicht angebracht: Er rechnet mit weiteren Anschlägen (vgl. Interview).

Das Vorgehen der Aktivisten ist jeweils präzise geplant. Das Umfeld der Opfer wird genau inspiziert. Privatadressen werden nicht nur herausgefunden, sondern auch veröffentlicht: Auf den Homepages der Organisationen finden sich Adressen, Nummern und Fotos der Mitarbeiter ganzer Abteilungen von Pharmabetrieben, einem Pranger gleich. Ein Unternehmer, der selbst ins Visier von Tierschützern geriet und seinen Namen nicht genannt haben will, erzählt, dass Tierschutzorganisationen - auch solche aus der Schweiz, die nicht als militant bekannt sind - Mitarbeiter angehen und ihnen Zahlungen im fünfstelligen Bereich für Informationen oder Bildmaterial aus den Betrieben anbieten. "Ich habe Beweise dafür, dass ehemaligen Mitarbeitern von mir für Sabotageaktionen und Filmmaterial grosse Summen angeboten wurden", erzählt er. Oft werde das Bildmaterial auch manipuliert.

Umstrittene Tierversuche

Unbestritten ist indes, dass Tierversuche umstritten sind. Organisationen in der Schweiz, die sich gegen Versuche oder für deren Abschaffung einsetzen, distanzieren sich aber klar von den Gewaltaktionen. "Es ist widersprüchlich, im Kampf gegen Gewalt an Tieren Gewalt an Menschen anzuwenden", sagt etwa Christopher Anderegg, Präsident des Vereins zur Abschaffung der Tierversuche. "Solche Gewaltaktionen machen unsere Arbeit für die Abschaffung der Tierversuche und den Tierschutz noch viel schwieriger." Anderegg ist Wissenschafter und führte selbst einst Tierversuche durch. "Heute lehne ich Tierversuche als irreführend und nicht aussagekräftig ab."

Für Franz Paul Gruber vom Verein Ärzte für Tierschutz hingegen kann bei der Entwicklung von Medikamenten nicht auf Tierversuche verzichtet werden - sie sind gesetzlich vorgeschrieben. Ohne Tierversuche wird kein Medikament zugelassen. Er weist darauf hin, dass sich in den letzten Jahren viel zugunsten der Tiere verändert habe: Jeder Versuch muss von einer Ethikkommission bewilligt werden. Und es werde intensiv an Alternativmethoden geforscht: zum Beispiel mit Tests an Organen geschlachteter Tiere. Dennoch stieg die Zahl der Tierversuche in der Schweiz letztes Jahr an: 731 833 Tiere wurden für Versuche gebraucht. Das sind 2005 Tiere pro Tag.

Novartis senkte die Zahl der Tierversuche im letzten Jahr um 9 Prozent. Wobei nur ein Fünftel davon in der Schweiz durchgeführt wurde - die übrigen Versuche fanden in den USA, in England und Singapur statt. Mit dem Tierversuchslabor HLS allerdings - gegen das sich die Aktionen der militanten Tierschützer explizit richten - arbeitet Novartis laut Sprecher Sugimoto nicht zusammen: "Wir führen seit Jahren keine Studien oder andere Arbeiten mehr bei HLS durch."

Das scheint den radikalen Tierschützern egal zu sein: In der Agenda des SHAC ist vom 24. bis zum 30. August 2009 eine Aktionswoche eingetragen: Eine Woche "voller Aktionen gegen die wichtigsten Kunden der Tierversuchs-Fabrik HSL". An erster Stelle wird Novartis als Ziel genannt.

--

Im Tierversuchslabor Huntingdon

60 000 getötete Tiere pro Jahr

Am meisten fasziniert die flinken Kerle der Kugelschreiber. Sobald ich versuche, etwas aufzuschreiben, greift einer der Javaneraffen durch die Gitterstäbe nach dem Stift. Er gehört mir ohnehin nicht. Meinen eigenen Kugelschreiber musste ich draussen lassen - er könnte eine Kamera enthalten. Das will man bei Huntingdon Life Sciences (HLS) nicht riskieren.

1996 tappte die Firma in Cambridgeshire, die im Auftrag von Pharmafirmen Tierversuche durchführt, in die Falle. Damals schlich sich eine Fernsehreporterin ein und dokumentierte Gewaltanwendung gegen Tiere. Die verantwortlichen Pfleger und der Manager wurden entlassen. "Seither werden Mitarbeiter ermuntert, Unrechtmässigkeiten geheim zu melden", sagt Andrew Gay, der Marketing- und Kommunikationsdirektor von HLS. Mittlerweile hat Grossbritannien die Richtlinien für Tierversuche verschärft. 1997 wurden sie für Kosmetika verboten, 1998 auch für Kosmetik-Bestandteile.

Angriff mit Pickelgriff

Wir gehen in Labor-Anzügen durch Reihen von Javaneraffen. An ihnen wird ein Krebsmittel getestet, in unterschiedlichen Dosierungen - auf Laien wirken indes alle Tiere gleich. Sie klettern in ihren Käfigen auf und ab und schauen neugierig zu. Die Käfige habe er selbst entworfen, erzählt der Tierschutzbeauftragte für Affen. Sein Name wird nicht genannt. Die Mitarbeiter sollen nicht zur Zielscheibe von militanten Tierversuchsgegnern werden. Die Angriffe von Stop Huntingdon Animal Cruelty (SHAC) hätten nachgelassen, sagt Direktor Brian Cass, der 2001 vor seinem Haus mit einem Pickelgriff zusammengeschlagen wurde. Erst als die Polizei die Übergriffe nicht mehr vereinzelt, sondern als organisierte Verbrechen behandelte, habe sie gezielt gegen die Leute vorgehen können. In der Folge konzentrierten sich diese auf Dritte, auf Kunden und Zulieferer. "Wichtig ist darum, dass die Behörden nach den Angriffen auf Daniel Vasella auf europäischer Ebene zusammenarbeiten", sagt Brian Cass.

HLS wurde 1952 gegründet und ist die grösste Tierversuchsfirma Europas, mit 950 Angestellten in Huntingdon und 700 weiteren in Suffolk und in den USA. Sie bedient 450 Kunden jährlich und schliesst 2500 Studien ab; zu 85 Prozent für die Medizin, hinzu kommen toxikologische Gutachten für Landwirtschaft und Chemie. "Wir machen auch viele Versuche im Labor und am Computer", sagt Andrew Gay. Trotzdem werden jedes Jahr rund 60 000 Tiere gebraucht. 84 Prozent sind Ratten und Mäuse, 7,5 Prozent Fische, der Rest teilt sich auf in Kaninchen, Vögel, Hunde, Primaten. Medikamente müssen an zwei Arten getestet werden, erst an Nagern, dann an Hunden, Schweinen oder Affen.

Tod nach dem Test

 Versuche mit Primaten sind besonders umstritten, bei HLS machen sie 1,5 Prozent aus. Die Lizenzbedingungen seien dafür am strengsten, sagt die Projekt-Lizenzhalterin: "Um die Erlaubnis der Regierung zu erhalten, müssen wir beweisen, dass alle andern Arten ungeeignet sind." 400 der witzigen Kerle sind derzeit in Huntingdon, sie werden in Südostasien gezüchtet.

Die mir vorgestellten Krebsmittel-Tester hausen zu sechst in einem Käfig, damit die Dosierungen nicht vermischt werden. Die Impfstoff-Tester im Nebenraum haben es besser. Sie leben in grösseren Gruppen in Räumen mit Autoreifen und Planschbecken. Alt werden sie alle nicht. Nach dem Test werden sie eingeschläfert und obduziert. "Das mag brutal klingen", sagt Andrew Gay, "aber das ist der wichtigste Teil des Versuchs. Nur so können wir die Auswirkungen der getesteten Substanzen auf die Organe erkennen."

Lilo Weber, Huntingdon

--

"Wir rechnen mit weiteren Anschlägen" Jürg Bühler

Jürg Bühler ist interimistischer Direktor des Dienstes für Analyse und Prävention DAP.

NZZ am Sonntag: Bereits im Staatsschutzbericht 2006 war ein Hinweis auf "gewalttätige Tierschützer" enthalten. Das Phänomen ist für Sie nicht neu?

Jürg Bühler: Nein, leider nicht. Wir beobachten die gewalttätigen Tierschützer seit Jahren. Sie machten in den letzten Jahren über 10 Prozent der von uns bearbeiteten Geschäfte im Bereich des gewalttätigen Extremismus aus. Dabei handelte es sich nicht ausschliesslich um eigentliche Gewaltaktionen, sondern auch um andere Auftritte dieser militanten Organisationen. Wir stellen 2009 wieder eine Zunahme fest, geben aber keine detaillierten Zahlen bekannt.

Wie stufen Sie die betreffenden extremen Tierschutzorganisationen ein?

Nach der geltenden Gesetzgebung gehören die militanten Tierschützer zum Bereich des gewalttätigen Extremismus. Terroristische Aktivitäten müssten sich nach unseren Massstäben gegen den Staat oder die Gesellschaft an sich richten - wie etwa von al-Kaida. Das ist bei den militanten Tierschützern nicht der Fall. Aber sie sind gefährlich und werden von uns aus Staatsschutzsicht bearbeitet.

Unter Verdacht stehen ausländische Organisationen. Haben Sie Kenntnis von Schweizer Sektionen?

Zur konkreten Verdachtslage in den aktuellen Fällen äussern wir uns derzeit nicht. Bisher verübten aber zugereiste Aktivisten solche Anschläge. Sie konnten sich auf Helfer aus der Schweiz abstützen. Wir schätzen die Zahl dieser Helfer auf einige Dutzend.

Wie sind die Gruppen organisiert?

Dazu geben wir keine genauere Auskunft. Es sind aber eher lose Zusammenschlüsse von Aktivisten.

Man hat den Eindruck, dass sie sehr geplant vorgehen und gut recherchieren.

Dieser Eindruck ist richtig. Wir haben in den vergangenen Jahren dasselbe stufenweise Vorgehen beobachtet, bei welchem die Aktivisten vor den Gewaltaktionen systematisch die Zielobjekte ausforschten.

Rechnen Sie mit weiteren Anschlägen?

Davon müssen wir leider ausgehen, wobei die möglichen Ziele sehr zahlreich sind. Interview: Christine Brand

--

Militante Tierschützer

Der falsche Weg

Ratten mit gezüchteten Krebsgeschwüren, Äffchen mit Implantaten im Gehirn: Grässliche Bilder drängen sich in den Kopf, sobald von Tierversuchen die Rede ist. Wird mit legalen Mitteln und Argumenten dafür gekämpft, dass Tierversuche und das Leiden der Tiere auf ein Minimum reduziert werden, ist dagegen nichts einzuwenden. Manchmal aber liegt zwischen erbittertem Idealismus und Terrorismus nur ein schmaler Grat. Wer diesen überschreitet, hat jedes Verständnis verspielt. Sobald Idealisten zu Gewalttätern werden, die Menschen terrorisieren, verraten sie ihre eigenen Ziele. Denn wenn Häuser brennen und Graburnen geraubt werden, geht es nicht mehr um die Frage, ob es ethisch vertretbar und wissenschaftlich notwendig ist, Tieren gezielt Leid zuzufügen. Dann geht es einzig um einen kriminellen Akt, den es zu verurteilen gilt. Ein hehres Motiv macht keinen Unterschied: Die Aktivisten sind zu verfolgen wie andere Gewalttäter auch. (cbb.)

---

Sonntagsblick 9.8.09

"Mein Leben hat sich verändert"

EXKLUSIV!
Interview: Hannes Britschgi und Johannes von Dohnanyi, Fotos: Sabine Wunderlin

Radikale Tierschützer haben den Chef des grössten Schweizer Pharmakonzerns und seine Familie im Visier. Jetzt meldet sich Daniel Vasella (55) zu Wort - exklusiv im SonntagsBlick.

Herr Vasella, wie geht es Ihnen?

Daniel Vasella: Es kann einem nicht gut gehen, wenn man so angegriffen wird. Andererseits weiss ich, dass es denen nur darum geht, Terror zu generieren. Das lasse ich nicht zu.

Hinter den Angriffen stecken wohl extremistische Tierschützer. Haben Sie Angst?

Angst ist das falsche Wort. Vorsicht ja. Aber Angst, nein.

Und Ihre Frau und Kinder?

Denen geht es ähnlich. Ich glaube, dass man mit solchen Situationen rational umgehen muss, ohne dabei die Gefühle zu verleugnen. Die Genugtuung, dass die ihre Ziele erreichen, sollte man denen nicht geben.

Sie sprechen von Vorsicht. Glauben Sie, die radikalen Tierschützer sind zu allem fähig?

Ja, sicher. Man muss ihre Drohungen ernst nehmen, dass sie bis zum Letzten gehen.

Glauben Sie das, weil auf dem Friedhof in Chur zwei Holzkreuze mit Ihrem und dem Namen Ihrer Frau entdeckt wurden?

Das kann ich nur so deuten.

Ihre Angreifer verunglimpfen Sie als "Mörder".

Ich bin mit meinem Gewissen zu hundert Prozent im Reinen. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Arbeit bei Novartis Menschen heilt und Leiden vermindert.

Das war die Antwort des rationalen Topmanagers. Aber wie reagiert der Mensch Vasella?

Der Vorwurf "Mörder" trifft mich nicht. Auf der privaten Ebene finde ich die Schändung meiner Familiengräber inakzeptabel. Diese Tat weckte in mir viele schmerzliche Erinnerungen. Die Totenruhe ist ein gesellschaftlich anerkanntes Tabu. Sie zu brechen ist eine unverzeihliche Respektlosigkeit. Tote lässt man ruhen. Das gilt für meine Mutter wie für meine ältere Schwester, die nach drei furchtbaren Leidensjahren im Alter von 19 Jahren an Krebs starb. Ihre Totenruhe zu stören habe ich einfach als gemein und niederträchtig empfunden.

Vor einer Woche wurde auch noch Ihr Haus in Österreich in Brand gesteckt. "Schade, dass Vasella während des Feuers nicht da war", haben die Extremisten der britischen Tierschutz-Organisation SHAC auf einer ihrer Webseiten sogar geschrieben.

Das Materielle ist materiell - man nimmt nichts mit. Dass meine Kinderbücher, die ich dort aufbewahrte, verbrannt sind, hat mich mehr getroffen als der Rest. Der ist ersetzbar.

Ermittelt Novartis selbst gegen die Täter?

Nein, das ist Aufgabe der Polizei. Wir haben zwar eine eigene Sicherheitsabteilung. Aber die kümmert sich um Medikamentenfälschungen, um die Werksicherheit und eben auch um die Sicherheit der Mitarbeitenden.

Wann haben die Angriffe eigentlich begonnen?

Angriffe auf Mitarbeitende erleben wir schon seit Jahren. Aber seit Novartis von SHAC als oberstes Ziel eingestuft wurde, haben sich die Attacken verschärft. Die haben Autos in Brand gesteckt, Leute bedroht oder als Pädophile verleumdet. Es hat Einbrüche gegeben.

Wie geht diese Spirale der Gewalt wohl weiter?

Fantasien hat man natürlich. Aber man darf sich dadurch nicht paralysieren lassen. Und deshalb sage ich: Vor-Sicht. Das heisst Voraussicht, um dann entsprechende Massnahmen zu ergreifen.

Welche Möglichkeiten hat Ihre Sicherheitsabteilung, Sie und Ihre Mitarbeiter zu schützen?

Alle, die adäquat sind.

Und da arbeitet man auch mit der Polizei zusammen?

Ja, natürlich. Aber lassen Sie mich auch sagen, dass das Vorgehen gegen SHAC in den USA oder in Grossbritannien bisher viel dezidierter war als in Deutschland und in der Schweiz.

Fühlen Sie sich von Politik und Polizei ein wenig alleingelassen?

In der jüngsten Zeit nein. Aber zuvor ja. Die Frage ist immer, wie schwer eine Bedrohung werden muss, bevor sie ernst genommen wird. Die Versuchung ist gross, zu bagatellisieren, zu verniedlichen und zu "verstehen".

Ihr Leben hat sich in den letzten Wochen enorm verändert?

Ja, mein Leben hat sich markant verändert. Das ist eine Erfahrung, die ich bisher noch nicht gemacht hatte.

Und wie sieht dieses neue Leben aus?

Sie werden verstehen, warum ich da keine Details nennen werde.

Was wissen Sie über die Täter?

Die Identität der Täter ist natürlich unbekannt. SHAC ist wie alle terroristischen Organisationen in Zellen organisiert, die relativ wenig voneinander wissen. Es gibt ein zentrales ideologisches Instrument, das ist auf dem Internet einsehbar. Die verbreiten Neuigkeiten, die filmen zum Teil auch ihre Aktionen und stellen sie dann ins Internet. Sie versuchen, ihre Opfer lächerlich zu machen. Das sind die eigentlichen Drahtzieher. Und dann gibt es noch die Financiers, die steuern die Geldflüsse. Da gehören unter anderem auch sogenannte Celebrities dazu.

Sie bezeichnen SHAC als terroristische Organisation. Bei den Ermittlungsbehörden spricht man lieber von Kriminellen. Sind Sie damit einverstanden?

Wie weit muss es denn gehen, bevor von Terroristen gesprochen wird? Für mich ist Terror, gezielt Angst zu verbreiten, gezielt Leute unter Druck zu setzen mit allen möglichen und vor allem illegalen Mitteln. Man darf sich nicht täuschen: SHAC ist eine multinationale Organisation. Diese Leute sind organisiert. Da müssen ganz klare Grenzen gezogen werden.

Genau, denn sich für Tiere einzusetzen ist an sich ein positives Engagement.

Mitgefühl für Tiere ist verständlich, nachvollziehbar und durchaus legitim, aber wo dieses Gefühl kriminell wird und Menschen schadet, schadet es auch dem legitimen Tierschutz. In der Schweiz haben wir mehrere Tierschutz-Initiativen gehabt. Die Bevölkerung hat sich ganz klar hinter die medizinischbiologische Forschung mit dem Ziel des Fortschritts für den Patienten gestellt. Diesen Willen gilt es zu respektieren. Andererseits hat man auch viel strengere Standards eingeführt, an die sich die Industrie auch hält. Denn, seien wir ehrlich, niemand hat Tierversuche gern.

5HAC begründet ihre Angriffe auf Novartis mit der angeblichen Zusammenarbeit mit dem umstrittenen britischen Tierversuchs-Unternehmen Huntingdon Life Sciences.

Wir arbeiten seit langer Zeit nicht mehr mit Huntingdon zusammen. Und das haben wir auch schon gesagt.

Aber SHAC bleibt dabei, dass es Beweise für diese Beziehungen zu Huntingdon gebe.

Das stimmt nicht. Ich habe das jetzt noch einmal bis in die kleinste Abteilung nachforschen lassen - das ist einfach eine Lüge.

Sie sagten eben, niemand mache gerne Tierversuche. Warum hört dann Novartis nicht mit dieser Praxis auf?

Es gibt zwei Aspekte des Tierversuchs. Beim ersten geht es um Forschung und die Entdeckung innovativer Medikamente oder an den Universitäten zur Entdeckung neuer biologischer Kenntnisse. Der zweite ist ein gesetzlicher. Wir sind gemäss Gesetz verpflichtet, zur Feststellung der Sicherheit von Medikamenten Tierversuche durchzuführen.

Aber in der Forschung ...

... gibt es leider bisher keinen vollen Ersatz. Wir können heute zwar viel mehr als früher durch Computer, durch Modellieren, durch bildgebende Verfahren Dinge untersuchen und voraussagen. Das hat auch zu einer begrüssenswerten Abnahme der Zahl der Versuchstiere geführt. Aber es geht immer noch nicht ohne.

Die Tiere, behaupten nicht nur die SHAC-Terroristen, leiden. Stimmt das?

Ich glaube, dass die Vorstellungen in der Öffentlichkeit viel schlimmer sind als die Realität. Natürlich gibt es auch Tiere, die leiden. Das ist so. Dies muss man aber genauso transparent vermitteln wie die Alternative: Wollen wir weiterforschen, um ein Mittel gegen Demenz zu finden? Wollen wir bessere Krebsmedikamente finden? Das ist eine Güterabwägung. Noch einmal: Niemand macht gerne Tierversuche. Die Art und Weise, wie diese Versuche gemacht werden, muss den höchsten Standards genügen. Jegliches unnötige Leiden von Tieren muss unterbunden werden. Das ist unsere Einstellung.

Das ist doch ein Thema, über das Sie mit SHAC diskutieren könnten?

Nein. Ich bitte Sie! Solange Methoden angewandt werden, die so zerstörerisch sind, gibt es keinen Dialog. Auf keinen Fall.

--

SKRUPELLOS

Die Spur der Verwüstung

Die Angriffe radikaler Tierschützer auf Novartis und die Mitarbeiter werden immer heimtückischer.
 
MÄRZ 2009
Mehrere Autos von Novartis-Mitarbeitern werden in diesem Monat von SHAC-Aktivisten zerstört.
 
10. MAI 2009
Ein SHAC-Kommando zündet in der Nacht das Novartis-Sportzentrum in St. Louis (F) an.
 
JUNI 2009
An der Kirchenmauer seines Wohnorts Risch ZG wird Daniel Vasella als Tiermörder verleumdet.
 
27. JULI 2009
Tierschutz-Extremisten schänden in Chur die Gräber von Vasellas Schwester und seiner Mutter.
 

3. AUGUST 2009
Im österreichischen Dorf Bach geht Vasellas Jagdhaus in Flammen auf. Eine SHAC-Zelle bekennt sich zu dem Anschlag. "Schade, dass er zur Zeit des Feuers nicht im Haus war", schreiben die Brandstifter auf ihrer nordamerikanischen Internetseite.

---

Sonntag 9.8.09

Tier-Terroristen attackierten zwei Novartis-Verwaltungsräte

Brandsätze unter zwei Autos, Sachbeschädigungen an Häusern

Von Peter Burkhardt

Noch ist nicht klar, welche Tierschutzorganisation hinter den brutalen Übergriffen auf Novartis-Präsident Daniel Vasella steckt. Klar ist hingegen, dass der Chef des Basler Pharmakonzerns nicht das einzige Opfer der militanten Aktivisten ist.

Der "Sonntag" weiss, dass ein weiteres Schweizer Verwaltungsratsmitglied von mutmasslich aus England angereisten Tierversuchsgegnern heimgesucht wurde: Vor zwei Jahren attackierten fünf oder sechs Vermummte um Mitternacht sein Haus, zerstörten die Garagentür und bedrohten ihn verbal.

 Aus Angst vor Nachahmungstätern will der Betroffene anonym bleiben. Novartis-Sprecher Satoshi Sugimoto bestätigt den Vorfall.

 Noch gefährlicher wurde es im Mai für Novartis-Verwaltungsrat Ulrich Lehner. Unter zwei seiner Autos platzierten britische Tierschützer Brandsätze, die allerdings von Lehner rechtzeitig entfernt werden konnten. Nach der Tat tauchte im Internet ein Bekennerschreiben auf. > Seite 5

--

Tierschützer bedrohen zwei Novartis-Verwaltungsräte

Unter den Autos von Ulrich Lehner platzierten die militanten Aktivisten Brandsätze - bei einem Schweizer Verwaltungsrat tauchten sie um Mitternacht auf

Von Peter Burkhardt

Der Brandanschlag auf das Jagdhaus von Novartis-Chef Daniel Vasella in Tirol und die Schändung des Grabes seiner Eltern in Chur wühlen die Schweiz auf. Doch nicht nur Vasella gehört zu den Opfern militanter englischer Tierschützer.

An Leib und Leben bedroht wurde auch Novartis-Verwaltungsrat Ulrich Lehner. Wie das "Wall Street Journal" gestern berichtete, platzierten britische Aktivisten im Mai Brandsätze unter zwei von Lehners Autos, die vor seinem Haus in Düsseldorf parkiert waren. Lehner entdeckte aber glücklicherweise das entzündliche Material, bevor es Schaden anrichten konnte.

 Schon im April war es britischen Tierschutz-Aktivisten gelungen, über das Tor von Lehners Haus zu klettern. Sie sprühten Graffiti auf die Hauswände und gossen ein Abbeizmittel über seinen Porsche. Nach beiden Taten veröffentlichten die Täter einen Bekennerbrief auf der Internetseite Bite Back, die Teil der Aktivistenszene ist. Novartis-Sprecher Satoshi Sugimoto bestätigt beide Vorfälle.

 Zur Zielscheibe gewalttätiger Tierschützer wurde auch ein Schweizer Verwaltungsrat von Novartis, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte. Laut seiner Schilderung attackierte vor zwei Jahren eine Bande Vermummter sein Haus. Für den Betroffenen, der sich zusammen mit seiner Frau im Haus befand, ein Horror: Die Vandalen schlugen um Mitternacht so heftig auf die Garagentür ein, dass diese einen Spalt abkriegte. Auch zerstörten sie das Fenster der Garagentür und warfen mit Hausrat um sich, der vor dem Haus abgestellt war. Glücklicherweise gelang es ihnen nicht, in das Wohnhaus einzudringen.

 Trotz der bedrohlichen Situation wagte es das langjährige Novartis-Verwaltungsratsmitglied, in Begleitung seines Hundes vor das Haus zu treten. Dort traf er auf fünf oder sechs mit Skikappen vermummte Personen. Der Angegriffene ist sich sicher, dass es militante englische Tierschützer waren. Denn sie schrien in eindeutig britischem Akzent Tierschutz-Parolen und pöbelten ihr Opfer an, bevor sie zu Fuss die Flucht ergriffen. Der Mann schaltete umgehend die Polizei ein. Doch als diese bei seinem Haus eintraf, waren die Übeltäter schon längst über alle Berge. Auch diesen Übergriff bestätigt Novartis-Sprecher Sugimoto.

Dem Ruf von Politikern, terroristische Tierschutzorganisationen wie die britische Shac zu verbieten, erteilt das Verteidigungsdepartement von Bun-desrat Ueli Maurer derweil eine Absage: "Die betreffende Organisation muss eine grundlegende Bedrohung für die innere Sicherheit der Schweiz darstellen", sagt VBS-Sprecher Martin Bühler. "Die Shac dürfte diesen Kriterien kaum entsprechen."

---

20min.ch 9.8.09

Tierschutz-Terror

Auch Novartis-VR-Mitglieder Ziel der Aktivisten

Nicht nur Daniel Vasella gehört zu den Opfern militanter englischer Tierschützer. An Leib und Leben bedroht wurde auch Novartis-Verwaltungsrat Ulrich Lehner. Bei einem anderen VR-Mitglied tauchten sie um Mitternacht auf.

 Britische Aktivisten platzierten im Mai Brandsätze unter zwei von Lehners Autos, die vor seinem Haus in Düsseldorf parkiert waren. Lehner entdeckte aber glücklicherweise das entzündliche Material, bevor es Schaden anrichten konnte. Schon im April war es britischen Tierschutz-Aktivisten gelungen, über das Tor von Lehners Haus zu klettern. Sie sprühten Graffiti auf die Hauswände und gossen ein Abbeizmittel über seinen Porsche. Nach beiden Taten veröffentlichten die Täter einen Bekennerbrief auf der Internetseite Bite Back, die Teil der Aktivistenszene ist. Novartis-Sprecher Satoshi Sugimoto bestätigt beide Vorfälle.

Zur Zielscheibe gewalttätiger Tierschützer wurde auch ein Schweizer Verwaltungsrat von Novartis, der aus Sicherheitsgründen gegenüber "Sonntag" anonym bleiben möchte. Laut seiner Schilderung attackierte vor zwei Jahren eine Bande Vermummter sein Haus. Für den Betroffenen, der sich zusammen mit seiner Frau im Haus befand, ein Horror: Die Vandalen schlugen um Mitternacht so heftig auf die Garagentür ein, dass diese einen Spalt abkriegte. Auch zerstörten sie das Fenster der Garagentür und warfen mit Hausrat um sich, der vor dem Haus abgestellt war. Glücklicherweise gelang es ihnen nicht, in das Wohnhaus einzudringen. Trotz der bedrohlichen Situation wagte es das langjährige Novartis-Verwaltungsratsmitglied, in Begleitung seines Hundes vor das Haus zu treten. Dort traf er auf fünf oder sechs mit Skikappen vermummte Personen.

Der Angegriffene ist sich sicher, dass es militante englische Tierschützer waren. Denn sie schrien in eindeutig britischem Akzent Tierschutz-Parolen und pöbelten ihr Opfer an, bevor sie zu Fuss die Flucht ergriffen. Der Mann schaltete umgehend die Polizei ein. Doch als diese bei seinem Haus eintraf, waren die Übeltäter schon längst über alle Berge. Auch diesen Übergriff bestätigt Novartis-Sprecher Sugimoto.

---

20min.ch 7.8.09

Tierterroristen

Couchepin sichert Vasella Unterstützung zu

Bundesrat Pascal Couchepin hat Konzernchef Vasella telefonisch versichert, dass die Aktionen gegen den Norvartis-CEO nicht akzeptiert würden. Derweil geht die Jagd auf die militanten Tierschützer weiter.
Interaktiv-Box

"Dieser Zwischenfall ist ein Angriff gegen die Grundwerte der Zivilisation", sagte Couchepin in dem Interview am Rande des Filmfestivals Locarno gegenüber der "Tagesschau" des Schweizer Fernsehens. Er sei besorgt. Es sei unannehmbar, was geschehen sei. Man müsse in der Schweiz aufpassen, dass es nicht zu einer Erhitzung der sozialen Verhältnisse komme. "Ich habe Vasella vorgestern angerufen und ihm erklärt, dass wir das im Namen des Staates nicht akzeptieren", erklärte Couchepin.

Geheimdienste arbeiten auf Hochtouren

Beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) in Wien war am Freitag die Überprüfung eines Bekennerschreibens einer in Österreich bis anhin nicht aktiven Gruppe "Militant Forces against Huntingdon Life Science" (MFAH) weiterhin im Gang. Diese hatte sich am Vortag im Internet mit detaillierten Angaben zur Brandlegung zum Anschlag auf Vasellas Jagdhaus im Tirol Anfang Woche bekannt und weitere Drohungen ausgestossen. Die Abklärungen erfolgten in enger Zusammenarbeit mit den in der Schweiz von Anschlägen betroffenen Kantonen, sagte der Sprecher des Innenministeriums, Alexander Markovits, auf Anfrage.

Der Schweizer Inlandnachrichtendienst geht davon aus, dass ausländische militante Tierversuchsgegner in der Schweiz über einige Dutzend Helfer verfügen. In der Schweiz geht es unter anderem um die Schändung von Gräbern der Familie Vasella in Chur, einen Sprayeranschlag auf die Kirche von Vasellas Wohnort Risch (ZG) sowie weitere Übergriffe auf Häuser und Autos von Novartis-Mitarbeitenden in der Grossregion Basel und eine Brandlegung im Novartis-Sportzentrum im benachbarten St. Louis (F).
(ap)

---

Bund 7.8.09

Tierschützer bekennen sich

Eine österreichische Gruppe bekennt sich zum Attentat auf das Jagdhaus von Novartis-Chef Daniel Vasella.

Bernhard Odehnal, Wien

"Das war wohl nicht deine Woche, Daniel", so verspotten die Attentäter in ihrem Bekennerbrief Novartis-Chef Daniel Vasella. Und sie beschreiben detailliert, wie sie 60 Liter Benzin vor Vasellas Jagdhaus im Tiroler Dorf Bach verteilten ("das meiste beim Eingang, um das Holz zu entzünden"), wie sie der Anblick der Jagdtrophäen "noch entschlossener" machte. Vasellas Haus brannte in der Nacht vom 2. auf den 3. August. Das Bekennerschreiben erschien gestern auf einer US-Homepage namens "Bite Back", ist auf Englisch verfasst und mit MFAH Austria unterzeichnet. MFAH steht für Militant Front Against Huntingdon Life Science, die Attentäter fordern von Novartis den Abbruch der Geschäftsbeziehung zur britischen Tierversuchs-Firma Huntingdon Life Science.

Dem Schweizer Inlandgeheimdienst ist die Abkürzung MFAH zumindest bekannt, die österreichische Polizei wollte gestern das Schreiben nicht kommentieren. Allerdings listet ein Polizeibericht eine ganze Reihe von Abkürzungen und Namen auf (wie ALF, ARM oder "wütende Wildschweine"), hinter denen sich stets dieselbe Gruppe militanter Tierschützer verberge. Die Namensänderungen sollten Ermittlungen erschweren.

Doppelstrategie der Tierschützer

Österreichs Tierschützer gehören zu den aktivsten in Europa und haben enge Kontakte zu Tierschutzorganisationen in Deutschland, der Schweiz, Skandinavien oder Grossbritannien. Besonders umtriebig ist der Anfang der 90er Jahre gegründete Verein gegen Tierfabriken (VgT) mit Sitz in Wien. Er bekennt sich zwar nicht zu gewalttätigen Aktionen, droht aber mit Anschlägen anderer Gruppen. Diese "Doppelstrategie" beschreibt der österreichische Verfassungsschutz im jüngsten Bericht: Zunächst werde mit legalen Protesten auf Themenbereiche wie Pelzhandel aufmerksam gemacht. Danach sollen "rechtswidrige Aktionen, wie Sachbeschädigungen oder Störungen im Privatbereich, grösstmöglichen Druck auf betroffene Personen und Unternehmen ausüben".

Typisch für das Vorgehen der Tierschützer ist die Kampagne gegen das Textilunternehmen Kleiderbauer, das von der Wiener Zeitung "Falter" beschrieben wurde. Erst bekam das Unternehmen Mails des VgT mit der Aufforderung, Pelzprodukte aus dem Sortiment zu entfernen. Es folgten Demonstrationen vor Filialen und Wohnungen der Geschäftsführer. Danach wurden Scheiben eingeschlagen, Autoreifen zerstochen, Buttersäure in Geschäfte und in Autos gegossen. Zu den gewalttätigen Aktionen bekannte sich die international aktive "Animal Liberation Front" (ALF), der VgT distanzierte sich halbherzig. Der "Falter" schreibt von Vermutungen der Justiz, dass der VgT und sein Vorsitzender Martin Balluch gleichzeitig die österreichische Sektion der militanten ALF seien. Die Tierschützer weisen den Verdacht zurück.

Einen weiteren Hinweis auf eine enge Beziehung zwischen ALF und VgT liefert jedoch der Verfassungsschutz. Am 21. Mai 2008 wurden Balluch und neun Mitstreiter in Untersuchungshaft genommen. Sie wurden der Bildung einer kriminellen Organisation und der Sachbeschädigung unter anderem durch Brandanschläge beschuldigt. Nach 104 Tagen kamen sie alle wieder frei, die Ermittlungen laufen jedoch weiter, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft dem "Bund".

-------------------
SEXWORK
--------------------

NZZ am Sonntag 9.8.09

"Niemand prostituiert sich freiwillig"

Die Soziologin Milena Chimienti hat das Leben von Sexarbeiterinnen in der Schweiz erforscht.

Die Prostitution ist der Stachel im Fleisch auch einer toleranten Gesellschaft. Die Prostituierte verkauft, was nach der herrschenden Moral in die Intimität des Schlafzimmers gehört: Sex.

Milena Chimienti von der City University in London ist die profundeste Kennerin des Schweizer Sexmarkts. Bis vor zwei Jahren war die 36-jährige Soziologin an der Universität Genf beschäftigt. Vorwiegend in den Kantonen Genf und Neuenburg hat sie mit fast hundert Personen Intensiv-Interviews geführt: mit Prostituierten, Bordellbesitzern, Sozialarbeitern und Behördenvertretern. Ihr Fazit: "Wer sich in der Schweiz prostituiert, tut das nicht freiwillig."

Wie leben die im Sexgewerbe tätigen jungen Frauen aus Osteuropa, Lateinamerika, Afrika und Asien? Diese Frage beschäftigt Milena Chimienti. "Ihre Arbeit führt die Sexarbeiterinnen oft an eine existenzielle Grenze - und doch verzweifeln sie nicht", sagt sie. Chimientis Arbeit ist nicht anwaltschaftlich motiviert. Die ideologischen Stellungskämpfe feministischer und christlicher Gruppen berühren sie kaum. Auch dem chronisch durch die Medien geisternden Begriff "Frauenhandel" steht sie skeptisch gegenüber. Die geringe Anzahl von gerichtlichen Verurteilungen spreche dagegen, dass es sich dabei um ein Massenphänomen handle, sagt Chimienti.

Die Realität sehe anders aus. Die Prostitution erscheine heute vielen jungen Frauen, die ausserhalb der Europäischen Union lebten und dort keine Perspektive mehr sähen, als einziger Weg in den gelobten Westen. Den meisten sei bewusst gewesen, worauf sie sich mit ihrem Engagement als "Tänzerin" einliessen. Nicht bekannt seien ihnen freilich die oft unmenschlichen Arbeitsbedingungen gewesen.

Prostitution gilt in der Schweiz laut Bundesgericht zwar als "sittenwidrig", ist aber legal. Prostituieren darf sich, wer eine Aufenthaltsbewilligung besitzt und den Behörden als selbständig erwerbend gemeldet ist. Die Schweiz besitzt eine pragmatische Gesetzgebung - "die am wenigsten schlechte Regulierung des Sexmarkts in ganz Europa", sagt Milena Chimienti.

Leben als Sans-Papiers

Doch Gesetzgebung und Lebenspraxis sind nicht dasselbe. Etwa 20 Prozent aller Prostituierten arbeiten in Stripteaselokalen und Kontakt-Bars - wo sie sich laut Gesetz allerdings nicht prostituieren dürfen. Die Migrantinnen unter ihnen besitzen entweder eine Kurzaufenthaltsbewilligung, den mehrmals erneuerbaren L-Ausweis, oder sie leben als Sans-Papiers oder Asylsuchende hier.

"Diese Situation ist widersprüchlich", sagt Chimienti. "Hochqualifizierte Informatiker dürfen einwandern, während die vom Markt ebenfalls nachgefragten Sexarbeiterinnen unter illegalen und prekären Bedingungen arbeiten müssen." Oft sind die Tänzerinnen von ihrer Agentur nicht über die langen Arbeitszeiten und den Zwang zum exzessiven Champagnerkonsum informiert worden.

Als Tänzerinnen würden die Frauen monatlich etwa 2200 Franken netto verdienen - zu wenig, um ein Studium zu finanzieren, ein Unternehmen zu gründen oder die Familie daheim zu unterstützen. Also prostituieren sie sich, was ihnen schliesslich im Schnitt ein monatliches Einkommen von etwa 4000 bis 8000 Franken einbringt.

Weil die Prostitution in Bars und Striplokalen illegal ist, gibt es keinen Schutz vor unzumutbaren Arbeitsbedingungen. Viele Tänzerinnen fühlen sich einsam. Sie leiden an gesundheitlichen Problemen, die von übermässigem Alkohol- und Medikamentenkonsum, Schlafstörungen und Infektionen der Genitalien herrühren. Dieser Typ Sexarbeiterin neigt zur Resignation. Einzelne Frauen vertrauten der Soziologin ihre Suizidgedanken an.

Doch es gibt auch andere Fälle: die entschlossene Frau, die ihre Lage analysiert, den Fatalismus überwindet und Zukunftsstrategien entwickelt. "Immer wieder bin ich auf dieses erstaunliche biografische Moment gestossen", sagt Chimienti. "Die Gefühle des Leidens und der Wut setzen bei diesen Frauen ungeahnte Kräfte frei." Sie nützen listig die Freiräume aus, welche die rechtliche Grauzone bietet, und versuchen, möglichst viel Geld zu sparen. Und sie planen ihren Ausstieg.

Erliegt die Soziologin der Versuchung, die Verzweiflung der Frauen beinahe religiös aufzuladen und ihre Gefühle zur einer Quelle des Heils zu stilisieren? "Nein", sagt Chimienti, mehrere Interviewpassagen zeigten dieses Umschlagen von Resignation in Aktivität.

Neben den leidenden und den kämpferischen Frauen gibt es einen weiteren Typus von Prostituierten: jene, die schon länger in stabilen Verhältnissen hier leben. Zumeist handelt es sich um lateinamerikanische Frauen, die in Bordellen, Studios und Massagesalons arbeiten oder die sogar ein eigenes Geschäft betreiben. Sie sind unabhängig und führen ein Familienleben, manchmal mit Kindern.

Das Milieu ist ein Ghetto

Doch auch für sie ist der Ausstieg das grösste Problem. Das Milieu funktioniert wie ein Ghetto. Die Frauen würden fast nur Berufskolleginnen und Kunden kennen und seien durch ihre Arbeit lebenslänglich stigmatisiert, sagt Chimienti. "Was soll eine ehemalige Sexarbeiterin einem potenziellen Arbeitgeber über ihre frühere Tätigkeit sagen? Sie muss lügen." Wer als Prostituierte arbeitslos wird, hat zudem wie alle selbständig Erwerbenden kein Anrecht auf Arbeitslosenunterstützung, von den illegal Tätigen gar nicht zu reden.

Wie kann man das Los der sich prostituierenden Migrantinnen verbessern? "Es gibt keine einfache Lösung", sagt Milena Chimienti. "Ein erster Schritt wäre die Entkriminalisierung der illegalen Sexarbeit in Bars und Stripteaselokalen."

--

Prostitution in Zahlen

Der Schweizer Sexmarkt befindet sich seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Umbruch. Die Strassenprostitution ist rückläufig, Internet und Mobiltelefonie beschleunigen die Diversifizierung der Angebote. Die EU-Erweiterung führt zur verstärkten Zuwanderung osteuropäischer Migrantinnen, die hier ins Sexgewerbe einsteigen. Offiziell arbeiten zwischen 15 000 und 20 000 Frauen im Sexgewerbe, wahrscheinlich sind es jedoch deutlich mehr. 65 Prozent der Prostituierten sind in Bordellen und Salons tätig, 13 Prozent auf der Strasse, 11 Prozent in Bars, 10 Prozent in Stripteaselokalen, 2 Prozent im Escort-Service. Derzeit halten sich in der Schweiz etwa 1500 Frauen legal als Tänzerinnen auf, von denen sich die meisten illegal prostituieren.

Urs Hafner