MEDIENSPIEGEL 21.8.09
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Programm
- Kraak Steckweg: Besetzung bleibt
- Rabe-Info 20.8.09
- PdA zum Demorecht Bern
- Big Brother Farner vs GsoA
- AJZ Solothurn: Ultimatum am Laufen
- Big Brother Video BL
- Staatliche Überwachung: Buchtipp
- Neonazis: Pronto-Glatzen vor Gericht

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REITSCHULE
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Sa 22.08.09
22.00 Uhr - Rössli - *25* (garaj-noise aus Marseille F)

So 23.08.09
19.00 Uhr - Vorplatz - BBQ

Di 25.08.09
22.00 Uhr - Hofkino - HOTEL VERY WELCOME, Heiss Sonja, Deutschland, 2008, 94min, DVD, OV/d
20.30 Uhr - Tojo - "Venusfalle" von Junge Bühne Bern. Regie: Karin Maurer.

Infos: http://www.reitschule.ch

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STECKWEG
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Bund 21.8.09

Haus in Lorraine wieder besetzt

Stadt Bern Die Liegenschaft Steckweg 13 in der Lorraine ist seit ein paar Tagen wieder belebt. Wie im September 2008 hat die Gruppe Kraak 13 das leer stehende Haus besetzt. Das Besetzerkollektiv pocht auch diesmal auf einen Zwischennutzungsvertrag. Ob es einen solchen erhält, ist aufgrund der jüngsten Entwicklung höchst ungewiss, wurde doch das Haus vorgestern verkauft. Für die Gruppe Kraak 13 ist dies ein herber Dämpfer, hatte sie doch die Liegenschaft zusammen mit der Genossenschaft Kukuz selber erwerben wollen.

Die Vorgänge am Steckweg haben die Junge Alternative (JA) auf den Plan gerufen. In einer Medienmitteilung kritisiert sie das Verhalten der Stadt: Statt Zwischennutzungen eine Chance zu geben, habe sich die Stadt hinter geltendem Recht versteckt. Angesichts der anhaltenden Wohnungsnot sei dies "absurd". Die JA ist gestern auch auf politischem Parkett aktiv geworden. Sie hat im Stadtrat eine Motion eingereicht, welche ein Reglement für Zwischennutzungen von leer stehendem Wohnraum fordert. Im Reglement sollen zwei zentrale Elemente festgehalten werden: Erstens, dass Eigentümer und Eigentümerinnen grundsätzlich verpflichtet sind, ihren Wohnraum zu nutzen. Zweitens sollen Instrumente genannt werden, deren sich die Stadt bedienen kann, um eine Zwischennutzung zu ermöglichen.

Die Zwischennutzung von Leerwohnungen ist ein altes Anliegen der JA. 1995 hatte die Partei zusammen mit anderen linksgrünen Gruppierungen eine Initiative lanciert, die eine aktive Wohnbaupolitik der Stadt verlangte. Die Initianten hatten die benötigten Unterschriften innert dreier Monate beisammen. An der Urne jedoch hatte die Wohninitiative keine Chance. Im Juni 1999 lehnte der Stadtberner Souverän das Wohnnutzungsreglement mit 60,1 Prozent Nein gegen 39,9 Ja ab. Das Reglement hätte der Stadt die Möglichkeit gegeben, in Zeiten der Wohnungsnot leer stehenden Wohnraum per Ersatzvornahme zu vermieten. (ruk)

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info@jungealternative.ch 20.8.09

Steckweg 13 zeigt: Zwischennutzungen müssen in der Stadt Bern möglich sein!

Gestern morgen, 19. August 2009, wurde das Haus am Steckweg 13 verkauft. Damit scheint die Forderung der BesetzerInnen, weiter dort zu wohnen, obsolet. Jedoch zeigt der Ablauf der Ereignisse (das Haus stand über ein Jahr leer), dass die Stadt Bern zu einem früheren Zeitpunkt noch einiges bezüglich Zwischennutzung hätte erreichen können.

Denn vor knapp einem Jahr hat sich die praktisch gleiche Situation abgespielt: Bereits damals stand das Haus schon einige Monate leer. Doch anstatt den BesetzerInnen die Möglichkeit zur Zwischennutzung zu geben, wurde vom Bauinspektorat der Stadt Bern ein Nutzungsverbot und eine Räumungsdrohung ausgesprochen. Damals haben die BesetzerInnen das Haus freiwillig verlassen, mit dem Versprechen der Stadt Bern, bezüglich des weiteren Vorgehens (u.a. Verkauf des Hauses) auf dem Laufenden gehalten zu werden.

Dieses Versprechen wurde jedoch nicht eingehalten. In der Zwischenzeit stand das Haus leer. Dieser Zustand ist insbesondere absurd angesichts der anhaltenden Wohnungsnot in der Stadt Bern. Anstatt Zwischennutzungen als Chance für günstigen Wohnraum zu nutzen, zog es die Stadt Bern vor, nichts zu unternehmen und auf die rechtlichen Grundsätze zu verweisen, welche kein explizites Recht auf Zwischennutzung von leerstehendem Wohnraum beinhalten.

Die Junge Alternative JA! bedauert das Vorgehen der Stadt Bern. Damit solche Situationen nicht nochmals geschehen und der Gemeinderat ein nächstes Mal klare Handlungsstrategien hat, reicht die Junge Alternative JA! heute, 20. August 2009, einen Vorstoss ein, welcher ein Reglement zu Zwischennutzungen in der Stadt Bern fordert. Im Reglement sollen zwei zentrale Elemente festgehalten werden: Erstens, dass EigentümerInnen grundsätzlich verpflichtet sind, ihren Wohnraum zu nutzen. Zweitens sollen Instrumente genannt werden, deren sich die Stadt bedienen kann um eine Zwischennutzung zu ermöglichen.

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RABE-INFO 20.8.09
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RaBe- Info 20. August 2009
http://www.rabe.ch/pod/get.php?web=RaBe-Info-2009-08-20-53154.mp3
- Ausgespitzelt: schon wieder angeblicher Spitzel bei politischer Gruppierung
- Angezeigt: Schweizer Secondos wehren sich gegen SVP Hetze
- Angeeignet: Der Brasilianische Amazonasurwald wird privatisiert

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DEMORECHT
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pdabern.ch 13.8.09

Vortrag des Gemeinderats an den Stadtrat:

Initiative "Keine gewalttätigen Demonstranten!"

Intervention der PdA Bern in der Stadtratssitzung vom 13. August 2009

Es ist fast schon rührend zu lesen, wie der Gemeinderat in seinem Vortrag an den Stadtrat sich vorbehaltlos mit dem repressiven Geist der Initiative identifiziert und das Effizienzbedürfnis von Police Bern zum obersten Gebot erhebt. Und selbst dort noch, wo der Gemeinderat sich einige kritische Fragen zur "praktische(n) Handhabung" des Artikels 8 der Initiative (Strafbestimmungen) zu stellen wagt, verbleibt er konsequent innerhalb der Logik polizeistaatlicher Effizienz. Gerade in diesen Passagen meldet sich der Appetit auf ein Mehr, ein Immermehr noch an Mitteln und Möglichkeiten der Erfassung und Abarbeitung von gesellschaftlichem Dissens. So verstehet die PdA Bern den Vortrag des Gemeinderats nicht nur als Unterstützungsbotschaft für die Initiative, sondern auch als Warnung.

Aber: Wäre es nicht politisch naiv, vom RGM-dominierten Gemeinderat etwas anderes zu erwarten? Zeigt sich da nicht eine tiefe Stimmigkeit, eine politische Übereinstimmung? Der kürzliche Schulterschluss auf kantonaler Ebene zwischen einem übereifrigen Polizeidirektor und einer Uniform-grünen Position gibt die Stossrichtung vor: "Ein Polizist darf an einer Demo nur noch filmen, wenn er uniformiert ist. Das wird kein Polizist mehr machen." (Bund, 30.5.09) Und warum denn nicht? Weil er sich so "massiven, unnötigen Gefahren" aussetze. Wer allerdings Demonstrierende in dieser Weise dämonisiert, soll sich nicht beklagen, wenn seine politische Saat dann bei den Einpeitschern von Ruhe und Ordnung toller aufgeht, als ihm - oder ihr - vielleicht lieb ist; soll auch nicht jammern, wenn er - oder sie - darauf politisch behaftet wird.

Wenn man uns bei diesem ehrgeizigen Spiel um den Titel der Ordentlichsten im ganzen Bernbiet wenigstens mit dem Märchen der fehlenden rechtlichen Mittel und Möglichkeiten verschonen würde! Da gibt es ein Kundgebungsreglement; da gibt es ein Polizeigesetz; da gibt es ein Strafgesetzbuch. In letzterem gibt es da z.B. den so genannten "Landfriedensbruch" - einen Paragraphen, der in der Auslegung des Bundesgerichts die Elastizität eines Bungee-Seils erhalten hat: Die "Handlung wird demnach nicht nach der Intensität der dadurch verursachten Rechtsgutsverletzung beurteilt, sondern nach deren aggressivem Erscheinungsbild." Man führe sich doch die alljährlichen Winter-Manöver rund um das WEF vor Augen und beantworte dann bitte die Frage: wer wen? Wer wen einschüchtert mit seinem aggressiven Auftritt? Wer wen jagt? Wer wen kontrolliert? Wer wen einsperrt? Wer wen demütigt? Aber Sie haben recht: ich schweife ab. Mit reinem Erscheinungsbild hat das nämlich schon nicht mehr viel zu tun!

Einig sind wir uns in einem Punkt: Bequemer ist es für die Polizei alleweil, wenn es letztlich einzig und allein um ihre eigene Einschätzung, ihr eigenes Ermessen geht. Alles andere ist viel zu "kompliziert", wie der Gemeinderat unterstreicht - und er zeigt damit, wie kompliziert der Umgang mit demokratischen Grundrechten sein kann. Versammlungsfreiheit? Empört hängen wir an der Glotze, wenn sie mit Reizgas und Schrot losgelassen werden - anderswo ist das ganz was anderes - anderswo! Ist doch gar nicht so kompliziert - oder?

Weniger kompliziert, schneller, effizienter: So hat noch jeder billige Jakob getönt. Schneller und effizienter "können sowohl bewilligte und unbewilligte Kundgebungen als auch Spontankundgebungen aufgelöst werden" - legal? Illegal? scheissegal! Wenn denn nur der Polizei "eine Kundgebung auflösen kann, bevor sie eskaliert." Also schneller als schnell - wie der Westernheld, der schneller schiesst als sein eigener Schatten. Wäre es doch auch am effizientesten, PWs aus dem Verkehr zu ziehen, bevor sie sich in Unfälle verwickeln können. Sie sehen: Ich habe sogar begriffen, was der Gemeinderat meint, wenn er "präventive Wirkung" sagt.

Nachhilfe brauche ich allerdings beim Verständnis der folgenden Satzes aus dem Vortrag des Gemeinderats: "Die Entfernungspflicht erhöht dabei den Druck auf die Organisierenden und Teilnehmenden, sich von den Gewaltelementen klar zu distanzieren." Ich distanziere mich - wohl gemerkt! - vor jeder Eskalation von potentiellen Gewaltelementen, und zwar klar: in Gedanken, Worten und Taten. Da freut sich doch der kleine Flic aus den Tiefen der autoritären Seele. Die Übertragung auf das Beispiel mit den PWs schenke ich mir.

Der Gemeinderat verspricht uns "Massnahmen zur Verbesserung der objektiven und subjektiven Sicherheit". Er tut dies zu einer Zeit, die gekennzeichnet ist durch die finanzielle und existenzielle Verunsicherung breiter Bevölkerungsschichten. Und er verkauft uns ordnungspolizeiliche Aufrüstung gegen die Preisgabe demokratischer Grundrechte. Ist das nicht ein Hohn? Die PdA Bern meint: Das ist durchaus kein Widerspruch. Im Gegenteil: Je heftiger die alltäglichen Zumutungen für das Volk sich gestalten, desto wichtiger werden Mittel, um die Unzufriedenheit, um die Unruhe, um den lauten und öffentlichen Widerspruch effizient zu entsorgen. Ob wir dem dann Repression oder Prävention sagen, tut nicht viel zur Sache. Liebe Initianten, liebe Kommission für Finanzen, Sicherheit und Umwelt (FSU), lieber Gemeinderat: Wir haben Sie verstanden!

Rolf Zbinden, PdA Bern, 13.8.09

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BIG BROTHER FARNER
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Bund 21.8.09

Arbeitet PR-Büro mit Spitzel?

Eine Mitarbeiterin von Farner PR soll die Gsoa ausgehorcht haben

Eine Mitarbeiterin von Farner PR soll an einer Sitzung der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee als Spitzel teilgenommen haben. Das schreibt die linke Wochenzeitung Woz. Die PR-Agentur dementiert.

Erika Burri

Für die PR-Agentur Farner, die nach eigenen Angaben "regelmässig für die Belange der Schweizerischen Landesverteidigung" - aktuell gegen die Gsoa-Initiative - Stimmung macht, ist es dicke Post, was in der gestrigen Ausgabe der "Wochenzeitung" (Woz) zu lesen war: Die Mitarbeiterin C. S.* soll im Auftrag ihres Arbeitgebers an einem Strategie-Wochenende der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (Gsoa) teilgenommen haben. Ende Juni bereiteten rund 30 Personen den Kampf für die bevorstehende Abstimmung über die Volksinitiative gegen Kriegsmaterial-Exporte vor. Über die Initiative befindet das Stimmvolk am 29. November.

Niemand kannte C. S.

Die meisten Teilnehmer kannten sich - aber niemand kannte C. S. Diese gab sich als Berner Politologiestudentin aus, die eine Seminararbeit über Abstimmungskämpfe schreiben wollte. C. S. fiel auf. "Sie machte sich als Einzige fleissig Notizen und benutzte Abkürzungen von Kommissionen", sagt Tom Cassee, Gsoa-Sekretär. C. S. hatte Dossierkenntnisse, das war für ihn bald klar. Nach dem Wochenende hörten sich deshalb Berner Mitglieder der Gsoa an der Universität Bern um. Sie fanden heraus, dass C. S. ihr Politologie-Studium schon seit Längerem abgeschlossen hatte. Die Gsoa spielte den Fall der Woz zu. Vor dem Wohnhaus von C. S. traf ein Woz-Journalist auf deren Freund. Dieser soll gesagt haben, dass die Geschichte dumm gelaufen sei. C. S. habe nicht gewusst, auf was sie sich eingelassen habe. Später zog er seine Aussagen zurück.

Naive Gsoa?

C. S. dementierte gegenüber der Woz, als "Spitzel" an der Veranstaltung teilgenommen zu haben. Sie sei aus persönlichem Interesse ans Treffen in Wallisellen gegangen. Angemeldet hat sie sich über die Website der Gsoa. Da war das Treffen "für alle Interessierten" ausgeschrieben.

Den Vorwurf, es sei naiv, Strategieplanungen allen zugänglich zu machen, weist die Gsoa von sich: "Wir sind auf aktive Mitglieder angewiesen", sagt Josef Lang, Nationalrat (Alternative) und Vorstandsmitglied der Gsoa.

Farner weist Vorwürfe zurück

Der Gsoa ist nicht bekannt, dass sie bereits früher "ausspioniert" worden wäre. Ausschliessen kann sie es aber nicht. Gestern übergab sie Farner PR einen offenen Brief. Darin verlangt die Gruppe Transparenz über die mutmassliche Bespitzelung. Zudem fordert sie die PR-Agentur auf, das Mandat für die Kampagne gegen die Gsoa-Initiative aufzugeben.

Die PR-Agentur reagiert mit einem knappen Schreiben auf die Vorwürfe: "Wir betrachten sie als politisch motivierten Versuch der Verunglimpfung der Agentur im Vorfeld des Abstimmungskampfes." Farner weist den Verdacht der verdeckten Ermittlung "in aller Form" zurück.

Privatspionage ist nicht strafbar

Die Gsoa prüft auch rechtliche Schritte gegen die "Spitzelin" sowie die Agentur. Dies dürfte schwierig werden, sagt Strafrechtsprofessor und SP-Nationalrat Daniel Jositsch. "Privatspionage ist in der Schweiz in dieser Form nicht strafbar, solange keine Datenbanken mit Personen angelegt werden." C. S. sei zudem nicht in einen Geheimbereich einer Organisation vorgedrungen. Das Strategie-Wochenende sei öffentlich ausgeschrieben gewesen. Vom politischen Standpunkt her findet Jositsch die Forderung nach Transparenz aber gerechtfertigt.

[i]
* Name der Redaktion bekannt

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20min.ch 20.8.09

Schwerer Vorwurf

Hat PR-Agentur GSoA bespitzelt?

Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) verdächtigt die PR-Agentur Farner, einen weiblichen Spitzel an einen GSoA-Workshop geschickt zu haben.
 
Wie die GSoA am Donnerstag gegenüber Medienvertretern in Bern darlegte, nahm im Juni eine angebliche Informantin der Agentur Farner an einer Veranstaltung ihrer Organisation teil. Dort wurde der Abstimmungskampf für die Volksinitiative "für ein Verbot von Kriegsmaterial-Exporten" vorbereitet, die am 29. November zur Abstimmung kommt.

Sie habe sich als Politologie-Studentin ausgegeben, die Material für eine Seminararbeit suchte. In Wahrheit habe sie aber das Studium schon abgeschlossen. Als freie Mitarbeiterin der Werbeagentur Farner, die für die Rüstungsindustrie arbeitet, habe sie Informationen über die Kampagnen-Strategie der GSoA gesammelt, wie GSoA-Sekretär Tom Cassee darlegte.

Die "WochenZeitung" berichtete am Donnerstag ausführlich über den Vorfall. Nach ihren Angaben bestätigte der Freund der Informatin zunächst, dass seine Partnerin für die Agentur Farner bei der GSoA im Einsatz war. Später habe er diese Aussage aber zurück gezogen.

GSoA-Protestbrief an Farner

Die GSoA kritisierte das Vorgehen und überreichte am Donnerstag der Agentur Farner in Zürich eine Protestnote. Darin fordert sie unter anderem Angaben über das gesammelte Material und über dessen allfällige Weiterverbreitung, die Rückgabe eines "erschlichenen Ordners" mit vertraulichen Kampagnen-Materialien sowie Informationen über die Hintergründe der angeblichen Bespitzelung.

Die GSoA fordert ferner die Rüstungsindustrie auf, der Agentur Farner das Mandat für die Abstimmungskampagne zu entziehen. Zudem verlangt sie Transparenz im Bezug auf die Finanzierung der Gegen- Kampagne sowie die Offenlegung aller gesammelten Informationen über die GSoA und ihre Abstimmungskampagne.

Kein Einzelfall

GSoA-Vorstandsmitglied und Nationalrat Josef Lang sprach von einem undemokratischen und illiberalen Vorgehen der Agentur Farner. Catherine Weber von den Demokratischen JuristInnen betonte vor den Medien, dass die Bespitzelung der GSoA kein Einzelfall sei.

Sie verwies unter anderem auf Unterwanderungsversuche von Attac (durch Securitas im Auftrag von Nestlé) sowie von Greenpeace (im Zusammenhang mit der Sondermülldeponie in Bonfol). Die GSoA prüfe nun rechtliche Schritte gegen die "Spitzelin" sowie gegen Agentur Farner.

Dementis der Beschuldigten

Die angebliche Informantin dementierte gegenüber der "WochenZeitung" (WOZ), im Auftrag von Farner die GSoA bespitzelt zu haben. Sie räumte aber ein, gegenüber der Organisation ihre Tätigkeit für Farner nicht offen gelegt zu haben - dies weil die Agentur für die GSoA ein Feindbild darstelle. Im übrigen sei die von ihr besuchte Veranstaltung öffentlich gewesen - was die GSoA aber abstreitet.

Die Agentur Farner wies den erhobenen Vorwurf der verdeckten Ermittlung in aller Form zurück. Farner setze sich regelmässig für die Belange der schweizerischen Landesverteidigung ein, so auch im Abstimmungskampf gegen die GSoA-Initiative.

"Die von der GSoA konstruierte und in der WOZ publizierte Geschichte ist vor diesem Hintergrund zu beurteilen. Wir betrachten sie als politisch motivierten Versuch der Verunglimpfung der Agentur im Vorfeld des Abstimmungskampfes", teilte die Agentur auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA mit.

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gsoa.ch 20.8.09

UNTERWANDERUNGSVERSUCH BEI DER GSOA

Bespitzelung: GSoA fordert Rüstungsindustrie auf, Farner PR das Mandat zu entziehen

von GSoA | 20.08.09.

Wie die Wochenzeitung WOZ in ihrer heutigen Ausgabe berichtet, hat die PR-Agentur Farner im Juni eine Spitzelin an ein Strategietreffen der GSoA geschickt. Farner führt im Auftrag der Rüstungslobby die Abstimmungskampagne gegen die Initiative "für ein Verbot von Kriegsmaterial-Exporten", die am 29. November zur Abstimmung kommt.

Eine Mitarbeiterin der als rechtskonservativ bekannten und in der SVP und FDP gut vernetzten Firma hatte im Juni unter Vorspiegelung falscher Tatsachen an einem GSoA-Wochenende zur Vorbereitung des Abstimmungskampfes teilgenommen und dabei unter anderem einen Ordner mit vertraulichen Kampagnen-Materialien erschlichen.

An einer Pressekonferenz heute Vormittag forderte die GSoA die Rüstungsindustrie auf, Farner PR das Mandat zu entziehen. Zudem verlangt die Friedensorganisation Transparenz im Bezug auf die Finanzierung der Gegen-Kampagne sowie die Offenlegung aller gesammelten Informationen über die GSoA, ihre AktivistInnen und ihre Abstimmungskampagne. Darunter fällt auch die Rückgabe des erschlichenen Ordners. Tom Cassee betonte: "Das Verhalten von Farner ist antidemokratisch. Wenn die Rüstungskonzerne etwas auf die direkte Demokratie halten, müssen sie Farner PR jetzt das Mandat entziehen." Josef Lang fügte hinzu: "Als Basisbewegung leben wir von der GSoA Transparenz und Offenheit in der politischen Auseinandersetzung. Das erwarten wir auch von unserem politischen Gegenüber. Deshalb muss Farner nun ebenfalls Transparenz schaffen und ihre Auftraggeber offen legen." Weiter forderte Tobia Schnebli: "Farner PR muss öffentlich machen, wem sie die Informationen über die GSoA und ihre Kampagne weitergegeben hat. Ausserdem wollen wir wissen, ob weitere Personen im Auftrag von Farner an internen GSoA-Sitzungen teilgenommen haben."

Catherine Weber von den Demokratischen JuristInnen betonte, dass die Bespitzelung der GSoA kein Einzelfall ist und wies unter anderem auf die Unterwanderung von Attac durch Securitas im Auftrag von Nestle sowie auf die Bespitzelung von Greenpeace im Zusammenhang mit einer Aktion gegen die Sondermülldeponie in Bonfol hin. "Die Unterwanderung sozialer Bewegungen hat zwei wesentliche Effekte: Die geheime Informationsbeschaffung sowie das Schüren von Misstrauen. Dabei wird bewusst die grobe Verletzung des Schutzes der Privatsphäre in Kauf genommen."

Die GSoA prüft rechtliche Schritte gegen die Spitzelin sowie gegen Farner PR. Der Sachverhalt steht aus Sicht der GSoA ausser Zweifel, wenngleich Farner bisher bestreitet, einen Auftrag zur Bespitzelung erteilt zu haben. Weshalb die Ausflüchte von Farner nicht überzeugen, ist dem Dossier auf www.gsoa.ch zu entnehmen.

Factsheet: Farner PR Consulting AG - die "Meinungsmacher" (45.7 KB)
http://gsoa.ch/media/filecontent/Factsheet_Farner.pdf

Protestschreiben an Farner PR (74.6 KB)
http://gsoa.ch/media/filecontent/Protestbrief_Farner.pdf

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WoZ 20.8.09

Neuer Spitzelfall - Eine Frau, die für die Lieblings-PR-Firma der Schweizer Waffenindustrie arbeitet, nimmt an strategischen Sitzungen der Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) teil, angeblich aus rein privatem Interesse.

Studentin in fremdem Dienst

Von Dinu Gautier

Schickte die Rüstungslobby eine Spitzelin an ein Strategietreffen der Gruppe Schweiz ohne Armee ( GSoA)? Zunächst war da ein Verdacht, der sich allmählich erhärtete, dann gab es ein Dementi von der Verdächtigten. Dumm nur, dass ihr Partner gegenüber der WOZ bereits Klartext geredet hatte. Doch der Reihe nach:

Samstag, der 20. Juni 2009, fünf Monate vor der Volksabstimmung über die Initiative gegen Kriegsmaterialexporte (vgl. Text "Die Initiative"): Am Bahnhof Wallisellen besammeln sich gut dreissig Mitglieder der GSoA. Sie wollen sich während zweier Tage in einem Pfadiheim "gegenseitig für den Abstimmungskampf motivieren" sowie "Aktionen und Kampagnen planen", wie es in der Einladung zu dieser "Fitamin" genannten Retraite heisst.

Auch die 31-jährige Corinne Schweizer (Name geändert) steht an jenem Vormittag am Walliseller Bahnhof. Sie ist das einzige neue Gesicht, die anderen kennen sich. Im Pfadiheim wird nach einer kurzen Begrüssung das Mittag essen aufgetischt. Beim Essen, so Tom Cassee von der GSoA, habe er die Frau dann gefragt, wieso sie an dieser Retraite teilnehme. Ihre Antwort laut Cassee: "Ich bin Politologiestudentin an der Uni Bern, mache im Sommer meinen Bachelor und überlege mir, eine Seminararbeit zu Abstimmungskämpfen zu schreiben."

Kennerin der Materie

 wild auf einem Notizblock mitgeschrieben." Dann seien Workshops zu Themen wie "Unsere Gegner und ihre Argumente" oder "Globale Auswirkungen von Waffenexporten" auf dem Programm gestanden. In den Workshops habe Schweizer sich alle verfügbaren Dokumente geschnappt und sei in den Diskussionen als sehr gute Kennerin der Materie aufgefallen, so Ruch. "Sie kannte den Initiativtext genau und hat treffsicher genau jene juristischen Formulierungen angesprochen, die die Waffenlobby im Abstimmungskampf kritisieren wird. Dabei waren diese in der Öffentlichkeit bisher kaum Thema."

Während Corinne Schweizer die Nacht zu Hause verbrachte, schliefen die meisten GSoA-Mitglieder im Pfadiheim. Zu diesem Zeitpunkt seien einige GSoA-Mitglieder bereits misstrauisch geworden. Man habe angefangen, sich entsprechende Fragen zu stellen, sagt Ruch, "etwa wieso sie noch eine Seminararbeit schreiben muss, wenn doch ihr Bachelorabschluss unmittelbar bevorsteht".

Die "Freelancerin"

Am nächsten Morgen war Schweizer rechtzeitig für die anstehenden Gruppendiskussionen wieder zurück. Es sei an diesem Tag um Aktionen und Kampagnenideen gegangen, so Ruch. Eine volle Präsenzliste (auf der Schweizer sich übrigens am Vortag bereits mit echtem Namen und Adresse eingetragen hatte), habe Schweizer an diesem Tag intensiv studiert, bis eine GSoA-Aktivistin ihr die Blätter weggeschnappt habe.

Wieso hat die GSoA die Frau nicht konfrontiert, ihr nicht ins Gesicht gesagt, dass einige ein ungutes Gefühl hätten? "Wir waren uns zu unsicher, wollten nicht unfreundlich und para noid erscheinen", so Rahel Ruch.

Dass Misstrauen angebracht war, zeigen WOZ-Recherchen. An der Uni Bern ist Corinne Schweizer nicht mehr eingeschrieben. Ihren Bachelor in Politikwissenschaften hat sie bereits im letzten Winter erhalten. Und: Corinne Schweizer hat dieses Jahr ein Praktikum bei Farner PR in Zürich absolviert. Heute wird Schweizer bei der PR-Agentur als freie Mitarbeiterin (Freelancerin) geführt. Farner ist nicht nur der älteste und grösste Public-Relations-Anbieter der Schweiz, sondern vertritt auch seit Jahren bei Volksabstimmungen die Interessen der Waffenindustrie (vgl. Text "Für Militär und Kartoffelsäcke").

Hat Corinne Schweizer die GSoA also im Auftrag des Waffenlobbyisten Farner bespitzelt? Oder handelt es sich nur um einen dummen Zufall? Und was hatte Schweizer zu verbergen, als sie der GSoA sagte, sie sei eine rein wissenschaftlich interessierte Studentin?

Corinne Schweizer äusserte sich tele fonisch:

WOZ: Wieso haben Sie am GSoA-Wochenende in Wallisellen teilgenommen?

Corinne Schweizer: Als Politologin interessieren mich Volksinitiativen. Ich kann mir vorstellen, künftig auf dem Gebiet von Abstimmungskampagnen zu arbeiten, wollte also sehen, wie so was gemacht wird. Dass die Veranstaltung stattfindet, habe ich auf der GSoA-Website gesehen, worauf ich mich ganz normal, also per Mail, mit meinem Namen angemeldet habe. Auf der Website stand explizit: für alle Interessierten. Und interessiert war ich. Ohne Rückfragen zu meiner Person und Motivation erhielt ich danach die Details des Fitamins zugemailt.

Farner hat Sie damit beauftragt.

Nein, es gab keinen Farner-Auftrag. Es trifft zwar zu, dass ich noch einen Freelancevertrag mit Farner habe, wobei ich aber seit längerer Zeit keine Aufträge mehr erhalten habe. Mein Praktikum bei Farner war zum fraglichen Zeitpunkt übrigens bereits abgeschlossen.

Es ist also Zufall, dass Sie als Freelancerin derjenigen Agentur, die den Abstimmungskampf gegen die Waffenexport-Initiative führt, an dieser Versammlung teilgenommen haben?

Ja. Sehen Sie: Farner ist eine grosse Agentur mit zig Mitarbeitern. Ich habe nie an einem Mandat im Bereich Sicherheitspolitik gearbeitet. Und dass die Rüstungsindustrie PR-Dienste in Anspruch nimmt, ist auch nicht weiter erstaunlich. Das machen alle Industrien.

Wieso haben Sie nicht erwähnt, dass Sie bei Farner unter Vertrag sind?

Ich hatte zwar einen Freelancevertrag, habe jedoch in diesem Zeitraum kaum für Farner gearbeitet. Ich weiss ja auch nicht, wo die anderen Teilnehmer arbeiten, und das geht mich auch nichts an. Gleich zu Beginn der Veranstaltung wurde Farner thematisiert. Ich realisierte, dass Farner stellvertretend für die Rüstungsindustrie ein Feindbild der GSoA ist. Wie wäre ich dagestanden, wenn ich erzählt hätte, ich sei dort Freelancerin? Da verstehen Sie doch sicher, dass ich lieber aufs Maul gesessen bin. Im Übrigen ging es an diesem Wochenende um Slogans, Argumente und die Ideenfindung für Aktionen. Dabei habe ich mitgearbeitet, zum Beispiel mit überlegt, wie die Argumente der Gegner erwidert werden könnten. Aus meiner Sicht war da nichts Geheimes und Weltbewegendes, was ja auch nicht erstaunt: Die Veranstaltung war ja öffentlich.

Die GSoA sagt, sie sei nicht öffentlich gewesen ...

Weder bei der Anmeldung noch während der Veranstaltung wurde je erwähnt, dass es sich um eine geschlossene Gesellschaft handle. Ich habe bereits beim Treffpunkt erwähnt, ich sei das erste Mal bei einem Fitamin dabei und sei auch nicht Mitglied der GSoA. Fragen Sie die GSoA mal, wieso sie auf ihrer Website auf eine Veranstaltung für alle Interessierten hinweist, die nicht öffentlich ist. Wie hätte ich mich dann anmelden können? Und fragen Sie sie, was denn Geheimes besprochen worden sei.

Nachfragen bei der GSoA: Was wurde am Fitamin-Wochenende Geheimes besprochen, Rahel Ruch? "Es liegt doch in der Natur der Sache, dass die Strategiefindung im Hinblick auf einen Abstimmungskampf geheim ist. Es gibt ja auch keine Partei, die ihre Strategie für die Bundesratswahl auf ihrer Website veröffentlicht." Und wieso hiess es dann in der Einladung, alle Interessierten seien eingeladen? "Damit waren Leute gemeint, die interessiert daran sind, sich zu engagieren, mitzuhelfen. Wir gehen von einer gewissen Ehrlichkeit aus und rechnen nicht damit, bespitzelt zu werden." Aber wieso war die Einladung auf der Website? Ruch: "Die GSoA ist eine soziale Bewegung, lebt vom Engagement vieler Leute und ist darauf angewiesen, dass auch neue Leute unkompliziert hinzustossen können. Offenbar müssen wir künftig unter jede Einladung schreiben, Spitzel seien nicht willkommen."

Farner beobachtet "passiv"

Die WOZ wollte von Daniel Heller, Mitinhaber, Direktor und Verwaltungsrat von Farner wissen, ob er von Corinne Schweizers Teilnahme am GSoA- Wochenende gewusst habe. "Der Vorfall ist mir im Einzelnen nicht bekannt. Die Agentur nimmt generell zu ihrer Auftragstätigkeit nicht öffentlich Stellung", so Hellers Antwort. Es stehe den Farner-MitarbeiterInnen frei, öffentliche politische Veranstaltungen aller Art zu besuchen. "Im Rahmen unserer Tätigkeiten werden selbstverständlich Medienberichte und öffentliche Meinungsäusserungen beobachtet und analysiert, Beobachtung und Analyse geschieht in der Regel passiv", so der auf politische PR spezialisierte Heller. Und kann Letzteres auch verdeckt erfolgen, also ohne dass Mitarbeitende gegenüber den Beob achteten offenlegen, für wen sie arbeiten? "Wie erwähnt erfolgen Beobachtung und Analyse in der Regel passiv und nicht aktiv", so Heller.

Zeit für eine kurze Zwischenbilanz: Es steht Aussage gegen Aussage. Die Leute von der GSoA glauben nicht an Zufälle, Corinne Schweizer spricht genau davon. Und der Farner-Vertreter sagt "generell" wenig. Doch das ist noch nicht die ganze Geschichte, denn es hat sich auch einer geäussert, der kein PR-Profi ist: Corinne Schweizers Freund.

Der Freund

Die WOZ war ihm drei Tage vor dem Telefoninterview mit Schweizer vor deren gemeinsamer Haustür im Grossraum Zürich begegnet, als sie Schweizer ein erstes Mal mit den ­GSoA-Vorwürfen zu konfrontieren versuchte, sie aber nicht antraf. Die Übergabe einer WOZ-Visitenkarte und das Stichwort " GSoA" genügten, und schon gab Schweizers Freund Auskunft: Er dürfe von der Sache eigentlich gar nicht wissen, dennoch habe ihm Corinne davon erzählt: Die Geschichte sei dumm gelaufen, Farner habe Corinne vor ihrem Einsatz schlecht "gebrieft". Sie habe geglaubt, es sei eine öffentliche Veranstaltung, sie habe nicht gewusst, auf was sie sich da einlasse. Selbstverständlich habe sie dort nicht erzählen können, für wen sie arbeite. Am zweiten Tag habe sie sich "schwer überlegt", ob sie sich das wirklich nochmals antun wolle, aber als Politologin in Zürich gebe es, anders als in Bern, nicht sonderlich viele Jobs. Da könne sie es sich mit der grossen und mächtigen Farner PR nicht verspielen.

Von diesen Aussagen gegenüber der WOZ will Corinnes Freund heute freilich nichts mehr wissen. Er habe sich da in etwas verrannt, sagt er. Bis kurz vor Redaktionsschluss bleibt die Nervosität Schweizers und ihres Freunds deutlich spürbar. Sie fragen mehrmals, ob man ihnen "Beweisdokumente" vorenthalten habe oder ob das Gespräch vor der Haustür aufgezeichnet worden sei.

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Die Initiative

Die von einem linken Komitee unter Federführung der Gruppe Schweiz ohne Armee (GsoA) eingereichte Volksinitiative sieht ein Verbot des Exports von "Kriegsmaterial" (beispielsweise Panzern) und "besonderen militärischen Gütern" (beispielsweise Pilatus-Trainingsflugzeugen) vor. Nicht betroffen von einem Verbot wären Dual-Use-Güter, also Produkte, die sowohl militärisch wie auch zivil genutzt werden können. Abgestimmt wird am 29. November.

http://www.kriegsmaterial.ch

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Für Militär und Kartoffelsäcke

"Gebt mir eine Million, und ich mache aus jedem Kartoffelsack einen Bundesrat", soll Rudolf Farner einst gesagt haben. 1951 gründete er Farner PR.

Die Firma mit ihren rund fünfzig MitarbeiterInnen ist heute mit über vierzehn Millionen Franken Umsatz das grösste inländische PR-Unternehmen. Etwa ein Viertel der Geschäfts tätigkeit entfalle auf politische Mandate, hiess es 2001 in der "Weltwoche".

Farner-Direktor Daniel Heller zur WOZ: "Farner war massgeblich an der Bekämpfung aller armeefeindlichen Volksinitiativen seit 1984 beteiligt." 1997 setzte sich Farner gegen die letzte Kriegsmaterialexport-Initiative ein - und gewann die Abstimmung mit 77 Prozent Stimmenanteil. Auch die "wirtschafts- und armeefeindliche" Initiative in diesem Jahr werde Farner helfen zu bekämpfen, so Daniel Heller.

Freilich tut dies Farner diskret: Die Kampagnenarbeit wird im Namen von Organisationen geleistet, die das Wort Farner nicht im Namen tragen. Sie heis sen etwa Verein Sicherheitspolitik und Wehrwirtschaft (VSWW), Arbeitskreis Sicherheit und Wehrtechnik (ASUW) oder Arbeitsgemeinschaft für eine wirksame und friedenssichernde Milizarmee (AWM). Die Geschäftsführung wird in allen drei Fällen von Farner PR besorgt.

Die rechtskonservative PR-Firma gibt grundsätzlich nicht bekannt, welche Auftraggeber sie im Mandat vertritt.

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AJZ SOLOTHURN
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Solothurner Zeitung 21.8.09

Man hüllt sich in Schweigen

Das Ultimatum der Stadt bringt Hausbesetzer nicht aus dem Konzept

Die seit dem Wochenende besetzte ehemalige Drogenanlaufstelle soll bis am Mittwoch um 12 Uhr mittags geräumt werden. Noch haben sich die Besetzer nicht entschieden, ob sie sich an diese Frist halten. Nicht klar ist auch, was die Stadt tut, wenn diese das Haus nicht verlassen.

Regula Bättig

Was ist, wenn das von der Stadt anberäumte Auszugsultimatum nicht eingehalten wird? Wird gestürmt oder wird verhandelt? Dazu könne er sich nicht äussern, sagt Stadtpräsident Kurt Fluri auf Anfrage. Stadtschreiber Hansjörg Boll lässt zumindest durchschimmern, dass man wenn immer möglich auf eine Eskalation verzichten wolle. Er bekräftigt jedoch auch, dass die Stadt nicht über ein Autonomes Jugendzentrum (AJZ) verhandle, solange das Haus besetzt ist.

Was Stadt kann, kann auch Gegenseite

Auf der Gegenseite sieht die Situation ähnlich aus: Ob das Haus am Mittwoch um 12 Uhr leer ist - in tadellosem Zustand und blitzblank geputzt, wie dies eine der Jugendlichen möchte - oder ob noch immer ein Holzkeil das Gittertor blockiert und der Banner "Besetzt" an der Fassade hängt, war bis gestern Abend nicht klar. "Die Stadt hüllt sich in Schweigen, also tun wir das auch", erklärt ein junger Mann bestimmt. Und: "Wenns knallen muss, dann knallts eben."

 Die Ansichten über das weitere Vorgehen seien sehr unterschiedlich, hatte einer seiner Kollegen am Vormittag erzählt. So unterschiedlich, wie die Leute, die sich im Haus versammelt hätten, "um eine gute Zeit und Raum für ihre Ideen zu haben". Während sich die "gute Zeit" in den Spuren der Party der letzten Nacht zeigt, sind die Ideen noch theoretischer Art: Man träumt von Ateliers, Proberäumen, einer Bibliothek, von Lesungen, Kursen und Konzerten. Wie es in der Roten Fabrik in Zürich oder der Berner Reithalle zu finden sei. Aber kleiner, "angepasst an Solothurner Verhältnisse".

 Dass es am Samstag auch in Baden zu einer Hausbesetzung gekommen ist - die nach einem kurzfristig angesetzten Ultimatum längst geräumt ist - sei keine koordinierte Aktion gewesen, sagt die junge Frau. "Im Gegenteil: Sonst hätte man sich gegenseitig unterstützen können." Denn man kennt sich in der Szene, hat Kontakt. Beide Jugendlichen erzählen dann auch, dass sie schon andernorts in besetzten Häusern zu Besuch gewesen seien. Etwas überrascht zeigen sie sich dann auch von der Tatsache, dass Strom und Wasser nach wie vor fliessen. "Das Paradies" sei das, sie hätten es anders erwartet.

Die Zeit, die bleibt, möglichst gut nutzen

Noch sind an der Dornacherstrasse vor allem Leute aus Solothurn und der näheren Umgebung anzutreffen. Studenten, Schüler, Arbeitslose. "Manche arbeiten und haben eigens Ferien genommen, um hier mitzumachen", erklärt der etwa 22-Jährige. Damit ist er altersmässig im "Schnitt", so zwischen 18 und 30 seien die meisten. Wie viele Leute das Haus bevölkern, wollen die Jugendlichen allerdings nicht sagen. Es sei ein Kommen und Gehen, mehr ist von ihnen nicht zu erfahren.

 Am Wochenende soll es eher ein Kommen sein: "Wir veranstalten ein grosses Fest", sagt die junge Frau und kramt einen Flyer hervor. Denn die Zeit, die man habe, wolle man ausnützen. Für die junge Frau ist die Dornacherstrasse allerdings nicht der perfekte Standort für ein AJZ. "Zu nah an den Nachbarn dran, das gäbe nur Ärger."

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Solothurner Tagblatt 20.8.09

Hausbesetzer

Stadt setzt Aktivisten Ultimatum

 Bis am nächsten Mittwoch müssen die Hausbesetzer die Liegenschaft verlassen. Dafür bietet ihnen die Stadt Straffreiheit.

Kurz vor 16 Uhr gestern Nachmittag hat ein Stadtpolizist den Hausbesetzern an der Dornacherstrasse das Ultimatum überreicht. Im Wesentlichen verspricht die Stadt den Aktivisten auf eine Strafverfolgung zu verzichten, sofern sie das Haus ohne jegliche Sachbeschädigung bis am nächsten Mittwoch um 12 Uhr verlassen würden (siehe Kasten).

"Es ist ein sehr grosszügiges Angebot", sagt Stadtpräsident Kurt Fluri. Den Entscheid, das Ultimatum zu stellen, hat das Stadtpräsidium gemeinsam mit der Liegenschaftsverwaltung, den Sozialen Diensten und dem Stadtbauamt gefällt. "Wir wollen keinen zu grossen Druck ausüben, damit es zu keiner Trotzreaktion kommt", so Fluri.

"Kein rechtsfreier Raum"

Sollten die Hausbesetzer die Liegenschaft ohne Sachbeschädigungen verlassen, dann wäre die Stadt auch zum Dialog bereit. Zu diesem Zweck fordert sie die Besetzer auf, von ihrer Seite Personen zu melden, die zu einem Gespräch bereit wären.

 "Ich würde es selbst übernehmen, diese Gespräche mit der Jugendkommission, Jugendorganisationen und Vertretern der Region zu organisieren", versichert Fluri. Man könne über ein weiteres Jugendzentrum in der Region, welches sich zum Beispiel an dem Vorbild der Kulturfabrik Kofmehl orientiere, diskutieren. Aber: "Ein autonomes Jugendzentrum im Sinne eines rechtsfreien Raumes steht nicht zur Diskussion."

Aktivisten unvermummt

Seit gestern sind die Aktivisten in der ehemaligen Drogenanlaufstelle nicht mehr vermummt. "Wir haben unsere Masken auch deshalb abgelegt, um auf Passanten nicht bedrohlich zu wirken", sagt einer der Hausbesetzer. Die Vermummung sei aber auch langsam zu unbequem geworden. Er bestätigt zudem, dass man das Ultimatum der Stadt erhalten habe und zeigt sich vorderhand zufrieden. "Wir hätten eigentlich nicht mit so viel Entgegenkommen gerechnet." Einen definitiven Entscheid habe man im Haus zwar noch nicht gefällt, im Verlauf des heutigen Tages soll dies aber geschehen.

Strom und Wasser

Wie Stadtschreiber Hansjörg Boll bestätigt, hat die Stadt darauf verzichtet, den Hausbesetzern Strom und Wasser abzustellen. "Es ist auf diese Weise sicherer für das Gebäude, als wenn die Besetzer zum Beispiel die Räume mit Kerzen beleuchten würden."

Ralph Heiniger

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Auszüge

Der Brief an die Besetzer im Wortlaut

Auszüge aus dem Brief der Stadt: "Sehr geehrte Damen und Herren - In der Nacht auf vergangenen Samstag haben Sie die Liegenschaft Dornacherstrasse 10 besetzt (….). Dies können wir keinesfalls so tolerieren. Solange Sie eine städtische Liegenschaft widerrechtlich besetzt halten, ist die Stadt Solothurn nicht zu Gesprächen bereit. Da wir zudem die Liegenschaft für einen anderen Zweck benötigen (…), bitten wir Sie, die Liegenschaft zu räumen bis Mittwoch, 26. August 2009, 12 Uhr.

(…) Sollten Sie die Liegenschaft bis zum angegebenen Termin friedlich und ohne Sachbeschädigung verlassen, wird die Stadt auf eine Strafverfolgung verzichten. Gleichzeitig signalisieren wir Ihnen, dass sich das Stadtpräsidium bereit erklärt, zusammen mit der Jugendkommission der Stadt sowie Vertretern der Jugendorganisationen und der Region mit Ihnen über mögliche Wege zu einem ‹autonomen Jugendzentrum› zu sprechen (…)."

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Solothurner Zeitung 20.8.09

Eine ganze Woche für den Auszug

Stadt stellt Haus-besetzern Ultimatum

Seit der Nacht auf Samstag ist die ehemalige Drogenanlaufstelle besetzt. Die Stadt - Besitzerin der Liegenschaft - liess die Jugendlichen bislang gewähren, erst gestern wandte man sich mit einem von der Stadtpolizei persönlich übergebenen "Auszugsultimatum" an die "Besetzerinnen und Besetzer, <Autonomes Jugendzentrum>, Dornacherstrasse 10". Korrekt ist nicht nur die Anschrift: "Da wir die Liegenschaft für einen anderen Zweck benötigen, verbunden mit einer dringenden Renovation, bitten wir Sie, diese zu räumen bis Mittwoch, 26. August 2009, 12 Uhr." Wenn das Haus bis zu diesem Zeitpunkt friedlich und ohne Sachbeschädigungen verlassen werde, "wird die Stadt auf eine Strafverfolgung verzichten".

Dass man bis Dienstag mit einer Reaktion zugewartet habe, liege daran, dass interne Absprachen nötig gewesen seien, sagt Stadtpräsident Kurt Fluri auf Anfrage. Dass eine ganze Woche Zeit bleibt, das Haus zu räumen, habe ebenfalls Gründe: "Wir haben bewusst eine grosszügige Frist angesetzt, damit die Besetzer Zeit haben, in Ruhe zu handeln. Wir wollen keine Trotzreaktionen provozieren." Dahingehend ist wohl auch die Äusserung zu verstehen, dass die Stadt im Falle einer friedlichen Räumung bereit sei, "über mögliche Wege zu einem <Autonomen Jugendzentrum> zu sprechen".

Nicht äussern wollte sich Fluri zum Umstand, dass die Stadt die Wasser- und Stromversorgung der Liegenschaft nicht abgedreht hatte - was bei Hausbesetzungen durchaus ein übliches Vorgehen ist. Und auch nicht dazu, was am Mittwoch passiert, wenn das Haus nicht geräumt ist: "Die Entscheidung, wie wir dann vorgehen, müssen Sie schon uns überlassen." (rb)

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20min.ch 19.8.09

Solothurn

Stadt stellt Hausbesetzern Ultimatum

Das Stadtpräsidium von Solothurn hat jungen Hausbesetzern, die ein autonomes Jugendzentrum verlangen, ein Ultimatum bis zum kommenden Mittwoch gesetzt. Die Stadt will auf eine Strafverfolgung verzichten, wenn die Besetzer der Aufforderung Folge leisten.

Die Stadt sei jedoch nicht zu Gesprächen bereit, so lange die städtische Liegenschaft widerrechtlich besetzt sei, schrieb der Stadtpräsident Kurt Fluri (FDP) in einem Brief an die Besetzer. Die Stadt veröffentlichte das Schreiben am Mittwoch.

Das Haus an der Dornacherstrasse, das früher als Drogenanlaufstelle genutzt wurde, ist seit der Nacht auf Samstag besetzt. Im Brief signalisiert der Stadtpräsident die Bereitschaft, mit den Besetzern über mögliche Wege zu einem autonomen Jugendzentrum zu sprechen.

Das Angebot knüpft die Stadt an das Ultimatum, die Liegenschaft friedlich und ohne Sachbeschädigungen bis Mittwoch, 26. August, 12 Uhr, zu verlassen.

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Basler Zeitung 21.8.09

Die Überwacher werden nicht überwacht

Im Kanton Baselland gibt es keine Rechtsgrundlage für die Videoüberwachung im öffentlichen Raum

Susanna Petrin

Niemand hat den Überblick darüber, wie viele Überwachungskameras im Baselbiet installiert sind. Nicht nur Private, auch Gemeinden haben bei deren Installation viel Spielraum. Anders als in Basel-Stadt braucht es dafür weder eine Bewilligung noch wird im Gesetz konkret auf Videoüberwachung eingegangen.

In Basel-Stadt stehen derzeit gegen 70 neue Überwachungskameras an 20 Orten der Innenstadt zur Debatte. Noch muss das Parlament über den nötigen Kredit entscheiden, allenfalls kommt das Anliegen gar vors Volk, und der Datenschützer muss jede Kamera im öffentlichen Raum bewilligen - Letzteres verlangt das Basler Datenschutzgesetz.

Im Kanton Baselland werden öffentliche Überwachungskameras weit weniger streng gehandhabt. Weder gibt es hier dazu einen konkreten Gesetzespassus noch sind die Gemeinden verpflichtet, bei der kantonalen Datenschützerin um Erlaubnis zu fragen. Diese stellt den Gemeinden zwar online ein Musterreglement sowie eine Checkliste für Videoüberwachungs-Projekte zur Verfügung. Doch deren Nutzung ist fakultativ. Das heisst: Jede Gemeinde kann im Prinzip überall Kameras aufstellen, wo sie es gerade für nötig hält.

Freiwillig

Ein Albtraum für die Datenschützerin des Kantons Baselland? Ursula Stucki verneint: "Ich habe den Eindruck, dass die Gemeinden verantwortlich mit Videoüberwachung umgehen." Viele legten ihr das eigene Reglement freiwillig zur Überprüfung vor. Reklamationen aus der Bevölkerung habe sie bisher keine erhalten. Wichtig sei, dass die Kameras verhältnismässig eingesetzt würden. Und auf Verhältnismässigkeit bei Datenverarbeitungen aller Art poche auch das Baselbieter Datenschutzgesetz - "dieses Gesetz genügt als rechtliche Grundlage", findet deshalb Stucki.

Ohne zum Baselbieter Umgang mit Videoüberwachung Stellung nehmen zu wollen, ist der städtische Datenschutzbeauftragte Beat Rudin froh, dass Basel-Stadt eine klare gesetzliche Regelung kennt: "Das zähmt den möglichen Wildwuchs in diesem Bereich, der doch stark in die Privatsphäre der Leute eingreift." Das geplante neue Informations- und Datenschutzgesetz soll die Problematik in Basel-Stadt laut Rudin sogar bald noch griffiger handhaben. Tritt es in Kraft, wird der Datenschützer die Anlagen nicht mehr zur Bewilligung, sondern zur Vorabkontrolle erhalten. Aber wichtiger sei: "Im Mittelpunkt wird der Zweck der Videoüberwachung stehen", sagt Rudin. Dieser müsse wohl überlegt, gut begründet und angemessen sein.

Damit würde man in Basel auch den Verschiedenheiten von Videoüberwachungs-Systemen gerechter. Vor allem mache es einen grossen Unterschied, ob ein Raum von einem Menschen live überwacht werde - nur so könne ein Verbrechen wirklich verhindert werden - oder ob ein Gerät passiv Bilder aufnehme, die nur erst im Nachhinein angeschaut werden, wenn etwas vorgefallen ist.

Weniger Schäden

Im öffentlichen Raum im Kanton Baselland gibt es fast nur den zweiten Aufzeichnungstyp. Das Grimassenschneiden vor Kameras ärgert oder erfreut also keinen - ausser ein Vandalenakt oder Ärgeres macht das nachträgliche Anschauen des Bandes notwendig. Das sei aber selten der Fall, sagt Marcel Schaub, Leiter der Abteilung Dienste Sicherheit in Pratteln. Vor rund vier Jahren hat die Gemeinde eine mobile Kamera angeschafft, die abwechslungsweise 15 Plätze filmt. Vor zwei Jahren ist eine fixe Kamera vor dem Schulhaus hinzugekommen. Seither seien die Vandalenakte an diesen Orten markant zurückgegangen, sagt Schaub: "Die Kameras haben vor allem eine präventive Wirkung." In zwei, drei Fällen habe man zudem dank der Aufnahmen die Täter finden können, darunter einen Sprayer und einen "Prügler". Zum Erfolg beigetragen hätten aber weitere Massnahmen, etwa Streetworker.

Begeistert vom Nutzen der Kameras ist der Direktor der Baselland Transport AG (BLT), Andreas Büttiker: "Die Schäden durch Vandalismus sind um 90 Prozent zurückgegangen." Früher hätten Vandalenakte die BLT im Jahr rund 250 000 Franken gekostet - bis vor rund sechs Jahren sämtliche hintere Waggons mit Videokameras bestückt wurden; die neuen Tango-Trams seien durchgängig videoüberwacht. Die Technik werde verhältnismässig eingesetzt, wegen einer weggeworfenen Dose schaue keiner die Bänder durch. "Wir hätten am liebsten gar keine Kameras", sagt Büttiker, "aber leider sind sie nötig."

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Tausende von Kameras

40 Bewilligungen in Basel. Die Wahrscheinlichkeit, täglich mehrmals gefilmt zu werden, ist hoch. Im Laden, in der Bank, auf Plätzen, in Badis, im Zug - in der Schweiz sind mehrere Zehntausend Videokameras aufgestellt. Wie viele es genau in Baselland gibt, wissen weder die Polizei noch die Datenschützerin. In Basel-Stadt sind laut Datenschützer Beat Rudin bisher etwa 40 Bewilligungen für Überwachungen öffentlicher Orte erteilt worden - doch darunter befänden sich ganze Gebiete mit vielen Kameras. Überwachungs-Spitzenreiter ist Grossbritannien mit über einer Million Kameras. Dort kann es gar passieren, dass plötzlich eine Stimme ertönt und den Überwachten tadelt - Kameras in England sind oft mit einem Lautsprecher ausgerüstet.  spe

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Die Zeit 6.8.09

Staatliche Überwachung

Sicherheit total

DIE ZEIT, Ausgabe 33, 6.8.09

Von Ilija Trojanow und Juli Zeh

Unter dem Vorwand, uns vor terroristischen Gefahren schützen zu wollen, späht der Staat seine Bürger aus. Von dieser Politik der Angst dürfen wir uns nicht verrückt machen lassen

Früh raus. Der Wecker klingelt. Es ist noch dunkel. Nicht gleich Licht machen, eine Minute auf dem Bettrand sitzen bleiben. Die Morgenluft einatmen. Das Fenster ist gekippt, die Tür zum Flur offen. In der Küche wartet die Espressomaschine. Wo sind die Hausschuhe? Sich strecken, aufstehen, das Licht anknipsen.

Sie ziehen den Vorhang am Küchenfenster zu, damit der Nachbar von gegenüber nicht hereinschauen kann. Sie kochen sich einen doppelten Espresso und nehmen einen Schluck. Jetzt kann der Tag beginnen. Sie setzen die Tasse auf dem Tisch ab. Am Rand haben Sie zwei wunderschöne Fingerabdrücke hinterlassen. So scharf konturiert und vollständig wie die in Ihrem Reisepass. Oder die in den Datenbanken der U. S. Customs and Border Protection seit Ihrem letzten Sommerurlaub in Florida. Beruflich sind Sie viel unterwegs? Dann kennt man das Muster auf der Kaffeetasse, die Sie gerade ins Arbeitszimmer tragen, auch in Schweden, Georgien und im Jemen.

Wie jeden Morgen rufen Sie Ihre privaten E-Mails ab. Die sind schon überprüft worden - nicht nur von Ihrem Virenscanner. Sie rufen noch die eine oder andere Webseite auf - die Kripo weiß, welche, wenn sie möchte, und kann das auch in sechs Monaten noch überprüfen. Sie nehmen schnell noch eine Überweisung vor - die Behörden wissen, an wen. Zum Glück heißen Sie Müller, das schützt ein wenig. Bei Ihrem Kollegen Tarik al-Sultan, der neulich zum Bergsteigen in Kaschmir war, verschickt der Computer gerade den gesamten Inhalt der Festplatte an den Verfassungsschutz. Greifen Sie etwa gerade nach dem Telefon, um mit Tarik etwas Vertrauliches zu besprechen, das nicht ins Büro gehört? Lassen Sie es lieber sein. Besuchen Sie ihn zu Hause, wenn Sie ungestört reden wollen. Es sei denn, Tarik wurde als Gefährder eingestuft, weil er regelmäßig Geld an seinen arbeitslosen Cousin in Pakistan schickt. Dann ist seine Wohnung ohnehin verwanzt.

Sie eilen zur Haustür hinaus. Die Überwachungskamera Ihres Wohnkomplexes beobachtet jeden Ihrer Schritte. Auch beim Betreten der U-Bahn-Station werden Sie gefilmt, ebenso auf dem Bahnsteig und in der Einkaufspassage, wo Sie eine Zeitung kaufen. Haben Sie schon mal versucht, vor einer Überwachungskamera unschuldig zu wirken? Das ist noch schwieriger, als auf einem gestellten Foto natürlich zu lächeln. Warum wandert Ihr Blick ständig nach oben? Zweimal haben Sie direkt in die Kamera geschaut. Und jetzt greifen Sie sich schon wieder ins Haar. Wenn das noch einmal passiert, wird die biometrische Verhaltensanalyse den Alarm auslösen. Warum sind Sie so nervös? Laut Ihrer Patientenkarte bekommen Sie seit Neuestem Beruhigungsmittel verschrieben. Und die Pay-back-Karte verzeichnet einen erhöhten Alkoholkonsum. Sie haben am Bankautomaten wieder 1000 Euro abgehoben. Wozu brauchen Sie so viel Bargeld? Außerdem ist Ihr Stromverbrauch im letzten Monat um 12,4 Prozent gestiegen. Verstecken Sie jemanden? In der Stadtbibliothek leihen Sie sich in letzter Zeit merkwürdige Bücher aus, über zivilen Ungehorsam und die Pariser Kommune. Reichen Ihnen die historischen Schmöker nicht? Und diese regelmäßigen Zahlungstransfers nach Südfrankreich? Wofür? Warum sind Sie letzte Nacht eigentlich so lange um den Block gelaufen? Sie hatten Ihr Handy nicht ausgeschaltet - da weiß man, wo Sie sind.

Nach der Arbeit steigen Sie ins Auto, um etwas Persönliches zu erledigen. Verzichten Sie auf die Verwendung Ihres Navigationssystems. Andernfalls lässt sich leicht herausfinden, wohin Sie fahren. Machen Sie einen Umweg, meiden Sie die Autobahn mit den ganzen Mautstationen! Sie fragen sich bestimmt schon, warum Ihnen so hartnäckig aufgelauert wird? Warum gerade Ihnen? Es gibt doch keinen Grund, aus dem sich irgendjemand für Sie interessieren könnte.
Sicherheit

Sind Sie sicher? Sind Sie absolut sicher?

Haben Sie nicht neulich gegen den G-8-Gipfel demonstriert? Dann verfügt die Polizei sogar über Ihre Geruchsprobe. Haben Sie nicht bis vor Kurzem in jenem Studentenwohnheim gelebt, in dem auch ein gewisser Abu Mehsud untergekommen war? Das waren gar nicht Sie, das muss ein anderer Müller gewesen sein? Na, wenn man so heißt, liegt eine Verwechslung nahe, selber schuld. Und wie steht es mit Ihrer Lebensgefährtin, die kauft jede Menge Haarfärber, Fleckenlöser und Batterien. Das bedeutet: Wasserstoffperoxid, Azeton, Schwefelsäure! Halten Sie uns für blöd? Daraus kann jeder Idiot eine Bombe bauen. Natürlich behaupten Sie, Ihre Lebensgefährtin habe nicht vor, eine Bombe zu bauen. Das würde jeder antworten. Sollten Sie allerdings die Wahrheit sagen - wo liegt dann das Problem? Wir helfen Ihnen doch nur, diesen Verdacht aus der Welt zu schaffen, indem wir genau hinschauen. Das muss auch für Sie eine Erleichterung sein.

Kein Grund zur Beunruhigung also. Alles geschieht zu Ihrem Besten. Der Staat ist Ihr Vater und Ihr Beschützer. Er muss wissen, was seine Kinder treiben. Wenn Sie nichts Schlimmes verbergen, haben Sie auch nichts zu befürchten. Die Entscheidung aber, was schlimm ist, überlassen Sie bitte den Spezialisten. Wenn Sie mitspielen, müssen Sie keine Angst haben. Wir sind nicht die Stasi oder das FBI. Sie leben in einer gesunden Demokratie. Da kann man schon ein bisschen Vertrauen von Ihnen erwarten. Was? Der Staat soll Ihnen vertrauen? Wo kämen wir da hin! Schon das Grundgesetz sagt, dass alle Gewalt vom Volke ausgeht. Und Gewalt gilt es einzudämmen. Da sind Sie ja wohl einer Meinung mit dem Innenministerium.

Achtung bitte, wir unterbrechen diesen Text für eine wichtige Durchsage: Dies ist keine Science-Fiction! Wir wiederholen: keine Science-Fiction! Dies ist nicht 1984 in Ozeanien, sondern das Jahr 2009 in der Bundesrepublik. Falls Sie sich immer noch nicht verdächtig fühlen - herzlichen Glückwunsch. Sie sind ein unbeugsamer Optimist.

Es gibt auf diesem Planeten keinen Zustand vollkommener Sicherheit, es sei denn, man wollte den Tod als eine sichere Sache betrachten. "Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht", lautet ein beliebtes Graffito. Leben ist angewandte Unsicherheit. Wir gehen täglich Risiken ein, im Straßenverkehr, am Arbeitsplatz, im Umgang mit unseren Mitmenschen, beim Verzehr von Nahrungsmitteln. Würden wir unseren Ängsten freien Lauf lassen, wären wir handlungsunfähig. Gerade Tätigkeiten, die wir besonders gern ausführen, weil sie unsere Lebensqualität steigern, sind oft mit einem hohen Risiko behaftet. In unserer Freizeit stürzen wir uns schneebedeckte Abhänge hinab oder springen von Klippen, rasen mit 200 Stundenkilometern über die Autobahn, verreisen in ungesunde Länder und kriminelle Städte. Der mutigste Kerl von allen ist, statistisch gesehen, der Heimwerker - ein kolossaler Draufgänger in Anbetracht der hohen Wahrscheinlichkeit, sich im eigenen Haushalt zu verletzen oder gar einen tödlichen Unfall zu erleiden. Im Alltag sublimieren wir souverän die Risiken, denen wir uns andauernd aussetzen, und stürzen uns mit Bravour in Gefahren.

Dessen ungeachtet, ist "Sicherheit" zu einem Lieblingsschlagwort der politischen Debatte geworden. Jede zweite Maßnahme wird mit dem Hinweis auf unsere "Sicherheit" begründet. Autos sollen auch bei Sonnenschein mit Licht fahren, was die Umwelt belastet und die Kassen der Glühbirnenhersteller klingeln lässt: Sicherheit. Der Nacktscanner am Flughafen soll Röntgenaufnahmen von Quadratschädeln und krummen Beinen machen: Sicherheit. Hunde an die Leine, Raucher vor die Tür, Computerspiele auf den Index: Sicherheit. Der vermeintlich abgesicherte Bürger ist der regulierte Bürger.

Der Staat will möglichst viel über seine Bürger wissen, um sie wirksam gegen alle erdenklichen Bedrohungen schützen zu können. Warum auch nicht? Schützt uns nicht gerade die umfassende Informiertheit der Behörden davor, Opfer eines Polizei- oder Justizirrtums zu werden? Denn ein Staat, der alles weiß, wird doch nicht versehentlich einen Unschuldigen belangen. Je länger Sie überlegen, desto mehr wirkt eine Welt, in der Sie keiner Bedrohung mehr durch Kriminelle, Leichtsinnige oder auch nur durch Gesundheitsrisiken ausgesetzt wären, wie das Paradies auf Erden. Dafür wären Sie durchaus bereit, den Preis allumfassender staatlicher Kontrolle zu bezahlen.

Sind Sie sicher?

Nehmen wir einmal an, Verbrechen könnten tatsächlich mithilfe von Überwachung und anderen präventiven Maßnahmen des Staates flächendeckend unterbunden werden. Zuerst würden Terrorismus, Mord und Totschlag abgeschafft. Für eine Weile würden Sie sich erleichtert fühlen, dann fiele Ihnen das Organisierte Verbrechen wieder ein, das dem Land schlaflose Nächte bereitete, bevor es vom Terrorismus abgelöst wurde. Drogenkartelle, Mafiafamilien, Schlepperbanden - weg damit. Wenig später würden Sie in der Zeitung lesen, wie viele Vergewaltigungen, Raubüberfälle und schwere Körperverletzungen im Jahr begangen werden. Beängstigend. Unerträglich. Nicht zu vergessen die ausufernde Steuerkriminalität, durch die sich der Staat in seinem Bestand bedroht sieht. Genügend Gründe für weitere, immer weiter reichende Maßnahmen. Und was ist mit Kindesentführungen? Was bedeutet der Diebstahl von 1000 Euro für eine alte Frau, die auf jeden einzelnen Cent angewiesen ist? Kann man seine achtjährige Tochter ruhigen Gewissens zur Schule gehen lassen, solange Verkehrssünder mit 80 Sachen durch Wohngebiete rasen? Steuerbetrüger, Diebe, Verkehrsrowdies - alle ausschalten. Sind Sie jetzt sicher? Vielleicht. Fühlen Sie sich sicherer? Wahrscheinlich nicht.

Bedrohung ist subjektiv und damit relativ. Sie bestimmt sich nicht im Verhältnis zu einem irgendwie messbaren Gefahrenpotenzial, sondern anhand der Risiken, die jeder von uns wahrnimmt. In einer zunehmend sicheren Welt richtet sich die Angst auf immer kleinere oder unwahrscheinlichere Szenarien. Während etwa die Kriminalität in Deutschland im Bereich schwerer Delikte wie Mord, Totschlag und Vergewaltigung seit Jahren sinkt, sind die Menschen notorisch vom Gegenteil überzeugt. Ähnlich empfand es Donald Rumsfeld, der ehemalige Verteidigungsminister der USA: "Wir sind heute sicherer vor der Bedrohung durch einen großen Atomkrieg (…) und dennoch verwundbarer durch Kofferbomben."

Großer Atomkrieg versus Kofferbombe: Durch diese Aussage wird klar, dass Sicherheit nichts mit der Größe realer Gefahren zu tun hat. Sicherheit ist keine Tatsache, sondern ein Gefühl. Wer in den letzten Jahren die massenmedialen Hysterien um BSE, Vogelgrippe und natürlich immer wieder Terrorismus mitverfolgt hat, wird nicht auf den Gedanken kommen, dass man die Welt heute als sicherer empfindet als vor hundert Jahren. Dabei standen den Menschen damals zwei Weltkriege bevor, von der Spanischen Grippe, die 25 Millionen Menschen dahinraffte, ganz zu schweigen. Wenn die Politik also behauptet, "Sicherheit" für die Bürger gewährleisten zu wollen, nährt sie einen gefährlichen Irrglauben. Wann wären Sie denn sicher? Wenn es keine Terroristen mehr gäbe? Oder keine Krankheiten? Wenn Sie das Haus nicht verließen? Wenn Sie monatlich 3000 Euro Staatsrente erhielten? Wenn kein Freund Sie verriete, kein Geliebter Sie verletzte? Oder wenn der Tod endlich abgeschafft würde?

Sicherheit lässt sich nicht herstellen, weil kein Risiko völlig ausgeschaltet werden kann. Im Grunde wissen wir das alle. Aber wir vergessen es, sobald uns Politiker und Journalisten die nächste Horrorvision vor Augen führen. Wir wissen, dass wir nach aller berechenbaren Wahrscheinlichkeit am ehesten beim Putzen des Bads oder im Auto eines unnatürlichen Todes sterben werden. Trotzdem bekommen wir keine Gänsehaut beim Anblick unseres Badezimmers. Autohersteller werden nicht von der Polizei überwacht, obwohl es, gemessen an den Todeszahlen, naheliegender wäre, einen "Krieg gegen den internationalen Straßenverkehr" auszurufen.

Es entspricht der Natur des Menschen, vor unwahrscheinlichen Ereignissen mehr Angst zu haben als vor wahrscheinlichen. Wir fürchten uns am meisten vor Dingen, die uns selten bis nie begegnen und die wir deshalb nicht einschätzen können. Das ist wohl gut so. Es gibt eine Theorie, die besagt, dass uns die Evolution dieses Missverständnis antrainiert habe. Dem Überleben sei es dienlicher, das Risiko von Situationen falsch zu bewerten. Andernfalls würden wir nämlich in kein Auto mehr steigen und keine Treppe hinuntergehen. Um lebensfähig zu bleiben, ist es wichtig, "kein Gefühl" für Wahrscheinlichkeiten zu haben, jedenfalls kein zutreffendes.

Diese Unfähigkeit kann man leicht am eigenen Leib überprüfen. Sie sind auf einer Party mit gut vierzig Gästen. Wie hoch, glauben Sie, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass zwei dieser Personen am selben Tag Geburtstag haben? Zehn Prozent? Oder nur fünf? Sie liegt bei 90 Prozent, weshalb sich eine Wette auf diesen Umstand lohnen würde. Das hätten Sie nie gedacht? Eben. Wie hoch liegt seit dem 11. September die Wahrscheinlichkeit, dass Sie Opfer eines Terroranschlags werden? 0,01 Prozent? Weniger? Mehr? Selbst wenn wir davon ausgingen, die "Kofferbomber von Köln" hätten Erfolg gehabt, bedroht Sie das mit einem Risiko von eins zu vier Millionen. Rund siebenmal wahrscheinlicher ist es, als Kind zu ertrinken. Natürlich kommt trotzdem niemand auf die Idee, Schwimmbäder oder Badeteiche zu verbieten. Aber 76 Prozent der Deutschen geben an, dass sie Angst haben, Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden. Die Angst ist - im Gegensatz zur nützlichen Vorsicht - eine der größten Geißeln des Menschen. Hat sie sich einmal eingenistet, beginnt sie zu wuchern, lähmt uns, lässt sich durch kein vernünftiges Wort und keine passende Geste eindämmen. Wer jemals einen Menschen gesehen hat, der in Panik gerät, weil ihm ein giftiges Insekt über den Fuß kriecht, der weiß, dass wir aus Angst - gegen die eigenen Interessen - um uns schlagen und uns dadurch nur umso mehr gefährden.

Die scheinbar unübersichtliche, unverständliche Gegenwart und nicht zuletzt ihre technischen Innovationen tragen zu einem Gefühl der Verängstigung bei, das paradoxerweise durch ein Mehr an Technik und Entmündigung gelindert werden soll. Ein typisches Beispiel, wie der Teufel mithilfe des Beelzebubs ausgetrieben wird. Das Gefühl der Unsicherheit existiert losgelöst von tatsächlichen Bedrohungen.

Wer etwas annähernd Objektives über unsere Sicherheit erfahren möchte, sollte nicht den staatlichen Sicherheitsexperten oder den medialen Angstprofiteuren zuhören, sondern lieber einen Blick in die Statistiken werfen. Er wird erkennen, dass Deutschland von Jahr zu Jahr sicherer wird, was nicht an Schäubles Anstrengungen liegt, sondern zum Beispiel an der verbesserten Automobiltechnologie. Natürlich können wir nicht wissen, was die Zukunft bringt. Solange der Trend aber ein positiver ist, besteht wahrlich kein Anlass für den aussichtslosen Versuch, Bollwerke gegen eine unbekannte Zukunft zu errichten. Konkrete Beispiele beweisen, dass gesellschaftliche Strategien der Verständigung, der Integration, des sozialen Ausgleichs und der Bildung keineswegs versagt haben, wie die Verunsicherungspropheten verkünden. Vielmehr sind die Erfolge dieser Strategien zum einzig wahren Fundament unserer Sicherheit geworden. Alle rationalen Argumente sprechen dafür, Kurs zu halten und den Weg der Vernunft nicht zu verlassen. Um mit Karl Popper zu sprechen: "Wir müssen für Frieden sorgen und nicht für die Sicherheit, einzig aus dem Grund, weil nur der Frieden Sicherheit sicher machen kann."

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Angriff auf die Freiheit

"Sicherheit" ist das politische Schlagwort, mit dem nach den Anschlägen vom 11. September zahlreiche Bürgerrechte auch in Deutschland eingeschränkt wurden. In ihrem neuen Buch, dem politischen Pamphlet "Angriff auf die Freiheit - Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte" zeigen Juli Zeh und Ilija Trojanow, dass sich viele Antiterrormaßnahmen gar nicht gegen Terroristen, sondern gegen normale Bürger richten. Die beiden Autoren gehören zu den profiliertesten und engagiertesten deutschen Schriftstellern.

Dieser Text ist ein Ausschnitt aus dem gemeinsamen Buch "Angriff auf die Freiheit". Es erscheint am 17. August im Carl Hanser Verlag, München (180 Seiten, 14,90 Euro)

Juli Zeh

Zeh, geboren 1974, hat Jura studiert und das Deutsche Literaturinstitut in Leipzig besucht; zuletzt veröffentlichte sie den Roman "Corpus Delicti".

Ilja Trojanow

Trojanow, 1965 in Sofia geboren, aufgewachsen in Deutschland und Kenia, studierte Jura und Ethnologie, arbeitete als Verleger und Weltreisender; zuletzt erschien sein Reportagenband "Der entfesselte Globus".

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NEONAZIS
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Basellandschaftliche Zeitung 21.8.09

Intolerante und gewaltbereite Täter

Grosse Mängel im polizeilichen Ermittlungsverfahren gegen die sieben rechtsextremen "Glatzen"

Während die Anklage teilbedingte Gefängnisstrafen gefordert hat, plädierten die Anwälte der gewaltbereiten "Glatzen" auf teilweise Freisprüche.

Rolf Schenk

Kontroverser hätten die Plädo- yers im Prozess gegen die sieben ehemaligen Skins, "Glatzen" oder Rechtsextreme (je nach Wahl) nicht sein können. Mitschuld daran tragen die "teilweise chaotischen Untersuchungen" der Polizei, wie Staatsanwalt Jörg Rudolf gestern in seinem sehr sachlichen, ausgewogenen, aber auch klaren Plädo- yer freimütig bekannte.

Dürftige Ermittlungen

Für ihn steht aber fest, dass sich alle Angeklagten zwischen Mai 2005 und Anfang 2007 an rechtsextremen Ausschreitungen (bz vom Dienstag) beteiligt haben, bei denen mehrere Personen erheblich verletzt worden sind. Dass einzelne dieser Körperverletzungen nicht hieb- und stichfest einzelnen Personen zugeordnet werden können, liegt nicht nur an der › Entschuldigung › lausigen Polizeiarbeit, sondern auch an den doch eher dürftigen Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden. Sie haben auch einigen Anteil daran, dass das Verfahren so lange gedauert hat und deswegen verschiedene Fälle bereits verjährt sind.

 Doch die jetzt entstandenen juristischen Haarspaltereien täuschen nicht darüber hinweg, dass die sieben › mit einer Ausnahme › zumindest in ihrer Schlägermontur mit Bomberjacke und Springerstiefeln allesamt sehr intolerant und gewaltbereit waren.

 "Das Verschulden aller wiegt sehr schwer", sagte Jörg Rudolf in seinem knapp zweistündigen Plädoyer. Ihre Taten könnten weder durch ihren schweren Alkoholmissbrauch noch mit "jugendlichem Leichtsinn" entschuldigt werden. Gegen diese These spreche auch, dass sie in der Voruntersuchung versucht hätten, die Schuld den Opfern zuzuweisen.

 Für den Jüngsten, aber aktivsten der Schlägertruppe, der mehrfach einschlägig vorbestraft ist, forderte der Staatsanwalt unter Einbezug dieser und noch hängiger Verfahren eine Gesamtstrafe von dreieinhalb Jahren, davon 21 Monate für die ihm im Baselbiet zur Last gelegten Straftaten. Zwei weitere Schläger will er › teilbedingt › für zweieinhalb Jahre, davon sechs Monate unbedingt, im Gefängnis sehen.

 Ein weiterer, bei dem nicht nur viel Nazi-Propagandamaterial, sondern auch ein ganzes Waffenarsenal beschlagnahmt worden war, soll für zwei Jahre ins Gefängnis. Seine Strafe, wie auch jene der beiden, die Rudolf für 18 respektive 16 Monate ins Gefängnis stecken will, sollen bedingt ausgesprochen werden. Das bekennende Pnos-Mitglied, das sich aber an den Schlägereien nicht beteiligt hat, solle zu 330 Tagessätzen à 30 Franken verurteilt werden, forderte Jörg Rudolf.

Halbherzige Reue

Letzterer sagte zu der unter dem Vorsitz von Strafgerichtspräsidentin Jacqueline Kiss tagenden Kammer des Baselbieter Strafgerichts, dass er nicht einsehe, warum er überhaupt vor Gericht stehe. Drei der vier Verteidiger weiterer Angeklagten forderten für ihre Mandanten weitgehende Freisprüche, weil sie ihre Beteiligung an den Gewaltexzessen bestreiten und ihnen auch nicht nachzuweisen sei, dass sie die angeklagten Straftaten begangen haben.

 Die Täter wiederum haben ihre Taten mehr oder weniger deutlich bereut und sich von ihren Monturen verabschiedet. Ob sie allerdings so geläutert sind, wie sie das in der Hauptverhandlung dem Gericht weis machen wollten, bleibt dahin gestellt.

 Das Gericht wird sich nun zur Beratung zurückziehen. Sein Urteil wird am 2. September eröffnet.

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Tagesanzeiger 21.8.09

Pronto-"Glatzen" wüteten weiter

Rechtsextreme, die den Liestaler Bahnhof-Shop verwüstet hatten, fielen erneut durch brutale Angriffe auf.

Von Thomas Knellwolf, Liestal

Die nicht so glorreichen Sieben auf der Anklagebank bekamen gestern etwas zu hören vom Staatsanwalt. "Blinde Gewalt" hätten sie wiederholt ausgeübt, "ohne zu überlegen, was die Konsequenzen für die zahlreichen Opfer sein könnten". Die fünf Muskelpakete, der etwas Fülligere und der schlaksige Kahlgeschorene mit dem Hemd, das aussah, als hätte er es nur für den Gerichtstermin angezogen, blickten mal finster, mal betreten, mal empört drein. Dabei hätten sie wissen müssen, dass das Plädoyer der Anklage für sie nicht zum Heimspiel wird.

Die beiden Jüngsten hatten bereits im Frühling 2004 schweizweit Aufsehen erregt. Vor laufenden Überwachungskameras verwüsteten sie mit anderen Neonazis den Coop-Pronto-Laden im Liestaler Bahnhof und schlugen drei Unbeteiligte nieder. Wegen ihres zarten Alters von 17 und knapp 16 Jahren kamen sie damals mit bedingten Strafen davon. Doch ihre letzte Chance haben beide nicht genutzt. Sonst sässen der heute 23-Jährige, der demnächst Vater wird, und der 21-Jährige, der bereits ein Kind hat, diese Woche nicht vor dem Baselbieter Strafgericht.

"Da machen wir Juden kalt"

Die "Glatzen" haben schon im Frühling 2005 erneut gewütet. Die Anklage listet 26 Einzeltaten auf, begangen nachts, in wechselnder Zusammensetzung. Die Rechtsextremen schlugen am Liestaler Bahnhof zu oder bei "ihrem"nahen Pub. In einem Grenchner Musikklub attackierten sie einen Afrikaner mit Barhockern und Flaschen. Am Stephansball in Herznach brachen sie einem Opfer das Nasenbein. An der Beachparty im nahen Gansingen schlugen sieeinem jungen Mann die Zähne aus. Nach einem Grümpelturnier in Muttenz sollen mehrere Tätereinen Mann noch mit Springerstiefeln traktiert haben, als er amBoden lag. An einer Silvesterparty sangen sie: "In Buchenwald, inBuchenwald, da machen wir die Juden kalt." Einen "Kameradengeburtstag" feierten sie mit Hitlergrüssen und Sieg-Heil-Rufen.

"Ich bin kein Kind der Freundlichkeit", sagte der untersetzte Muskulöse, der gestand, einen Polizisten gegen ein Auto "getätscht" und einen anderen mit blossen Fäusten "weggeknallt" zu haben. Bei ihm fand die Polizeineben einer Hakenkreuz-Flagge und der Fahne eines rechtsradikalen Netzwerks ein kleines Waffenarsenal mit Bärentötern, einem Revolver, einem Samurai-Schwert und einem Morgenstern.

Der vergleichsweise glimpflich ausgegangene Angriff auf die Polizisten ist eine der wenigen zugegebenen Attacken. Die Angeklagten beteuern sonst meist, gerade zur Tatzeit nicht vor Ort gewesen zu sein oder sich bei den Schlägereien zurückgehalten zu haben. Gleichzeitig hätten sie, stark betrunken, nicht gesehen, wer zuschlug. Der Staatsanwalt nahm ihnen das ebenso wenig ab wie die Beteuerung, sie hätten sich von der rechtsextremen Szene distanziert. Er forderte bedingte und unbedingte Geld- und Haftstrafen von bis zu drei Jahren. Die Verteidiger plädierten überall dort, wo es leise Zweifel an der Täterschaft gibt, auf Freispruch. Das Urteil erfolgt am 2. September.