MEDIENSPIEGEL 28.1.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo)
- Sicherheits-Wahn: Tschäppät und der Kommandant
- Rauchvebot: Beco-Fumoir; Europa vs RaucherInnen
- Repression führt zu mehr Drogentoten
- Randstand Burgdorf: Wieder im Zentrum
- Vermummte SchuhputzerInnen
- Anti-WEF Basel: Das andere Davos
- Anti-WEF Davos: SP dabei; Filme, Zugverkehr
- Public Eye: Schmähpreis für Roche
- Anti-WEF Luzern: Nach der Medienhetze; Polizeikosten
- Sport: von Fankultur und Alkohol
- Stieg Larson: Streit ohne Ende
- Gibt es ein Leben ohne Suchtfaktor Facebook?
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REITSCHULE
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Do 28.01.10
20.30 Uhr - Kino - Belarus Fokus: Music Partisans,
Miroslaw Dembinski. Polen 2007
21.00 Uhr- Roessli - Ching Chong Song (USA) / The Wowz
(USA) - Support: The Good, The Band and No Ugly - Cabaret feat.
Anti-Folk
Fr 29.01.10
20.00 Uhr Grosse Halle - INDIENFORUM: Film "Der lange Weg
zum eigenen Land" von Hans-Jürg Pfaff und Kurzfilm-Premiere mit
anschliessender Diskussion
20.30 Uhr - Tojo - 3. Secondo Theatertournée 3
prämierte Kurzstücke vom 3. Secondo Theaterfestival
21.00 Uhr - Kino - Belarus Fokus: Kurzfilmprogramm, 78 Min
Sa 30.01.10
20.00 Uhr - Grosse Halle - INDIENFORUM: Bharatanatyam,
klassischer südindischer Tempeltanz
20.30 Uhr - Tojo - 3. Secondo Theatertournée: 3
prämierte Kurzstücke vom 3. Secondo Theaterfestival
21.00 Uhr - Kino - Belarus Fokus: 89 Millimeter -
Freiheit in der letzten Diktatur Europas, Sebastian Heinzel.
Deutschland 2005
23.00 Uhr - Dachstock - The Local Darkside: Axiom
(Renegade Hardware/CH), VCA (Biotic Rec/CH), Lockee (Rabass/CH), Lewin
(Drumandbass.ch), Romic (Berne City)
Infos: http://www.reitschule.ch
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WoZ 28.1.10
Theater
Secondo-Festival
Die dritte Secondo-Theatertournee, die dieses Wochenende
im Tojo-Theater in der Berner Reitschule startet, zeigt drei
Kurzstücke, die sich mit der Sprache von Secondos und Secondas
sowie den Schwierigkeiten von ImmigrantInnen der zweiten Generation im
schweizerischen Alltag auseinandersetzen. Alle drei Stücke wurden
beim dritten Secondo-Theaterfestival ausgezeichnet.
Im Stück "Explodierer - zwischen den Welten" des
Theaters Maralam, das in Zusammenarbeit mit dem
Schweizerisch-Arabischen Kulturzentrum Zürich entstanden ist,
stehen zwei männliche Jugendliche im Spannungsfeld von
Dazugehörenwollen, Identitätssuche und Verlorenheit. Das
Stück "Sprachlos" des Ensembles BBB zeigt Ausschnitte aus dem
Alltag der Filipina Helene, die seit zwanzig Jahren in der Schweiz
lebt, ein charmantes Churer-Zürcher-Berner-Deutsch spricht und
trotzdem noch immer als Ausländerin behandelt wird. Einen weiteren
Zugang zum Thema Sprachbarrieren hat die Gruppe Zellstoff mit
"Wörtern und anderen Bazillen" gefunden: Darin erlebt ein
Schweizer in Kaderposition, was mit einem sozial geschehen kann, wenn
man durch einen Schlaganfall die Sprache verliert. adr
3. Secondo-Theatertournee in: Bern Reitschule,
Tojo-Theater, Fr/Sa, 29./30. Januar, 20.30 Uhr. http://www.secondofestival.ch
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Bund 28.1.10
"36 Stunden"
Die Komik des Tragischen
(reg)
Die Wirtschaftskrise, die Arbeitslosigkeit, die Liebe:
Kein Wunder, dass die Werke des Autors Ödön von Horvath
zurzeit wieder auf offene Ohren stossen. Die Theaterwissenschaftlerin
Magdalena Nadolska bringt in ihrer ersten Regiearbeit Horvaths Roman
"36 Stunden" auf die Bühne, eine tragikomische Liebesgeschichte
zweier Arbeitsloser.
Tojo-Theater Reitschule, Mittwoch, 3. Februar, bis
Samstag, 6. Februar, 20.30 Uhr.
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SICHERHEITS-WAHN
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Bund 28.1.10
Tschäppät mobilisiert den Kommandanten
"Mehr Polizeipräsenz heisst nicht automatisch weniger
Kriminalität", sagte Polizeikommandant Stefan Blättler an
einer Medienkonferenz des Berner Gemeinderates.
Bernhard Ott
Polizeikommandant Stefan Blättler war für die
Medienorientierung des Berner Gemeinderates zur Abstimmung vom 7.
März nicht angekündigt. "Die Anwesenheit Herrn Blättlers
gibt eine Gelegenheit zur Versachlichung der Diskussion", sagte
Stadtpräsident Alexander Tschäppät (sp). Der
Abstimmungskampf zur Initiative für eine Erhöhung der
Polizeipräsenz sei in den letzten Wochen "sehr einseitig" und sehr
emotional gewesen. "Ich könnte jetzt 100 Kioskverkäuferinnen
präsentieren, die nicht überfallen wurden - das wäre
aber immer noch kein Beweis für eine sichere Stadt", sagte
Tschäppät unter Anspielung auf die Präsenz von
Gewaltopfern an der Medienkonferenz des Initiativkomitees ("Bund" vom
15. Januar).
"Objektiv ist Bern sicher"
Er äussere sich nicht aus politischer, sondern aus
"rein fachlicher" Sicht, sagte Blättler. "Objektiv ist Bern eine
sichere Stadt." In den letzten Jahren sei die Zahl der Straftaten nicht
gestiegen. Eine Zunahme der Gewalt sei aber "qualitativ" feststellbar.
Gefühlen der Angst und der Unsicherheit könne man aber nicht
mit Statistiken begegnen. Die Erhöhung der Polizeipräsenz
scheine für viele Bürgerinnen und Bürger ein Mittel zur
Eindämmung der Gewalt zu sein. "Mehr Polizeipräsenz ist gut",
sagte Blättler. "Aber das heisst nicht automatisch weniger
Kriminalität."
Stadtpräsident Tschäppät und der
Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause (cvp) erinnerten in diesem
Zusammenhang daran, dass es sich bei Überfällen auf Kioske
und Tankstellen oft um organisierte Kriminalität handle, der man
nicht mit erhöhter Polizeipräsenz begegnen könne. Beide
Politiker äusserten zudem Zweifel an der Finanzierung des
Initiativbegehrens, das mit knapp sechs Millionen Franken zu Buche
schlüge. Der moderatere Gegenvorschlag des Gemeinderates kostet
2,2 Millionen Franken (siehe Kasten links).
Braucht die Initiative mehr Zeit?
Blättler wies darauf hin, dass die Rekrutierung von
Polizisten Zeit erfordere. Die im Gegenvorschlag des Gemeinderates
vorgesehene Erhöhung der Polizeipräsenz um 20 000
Jahresstunden sei ab 2013 planbar. Bei einer Erhöhung um 45 000
Jahresstunden, wie das die Initiative vorsehe, sei der "Liefertermin"
aber unklar. Je grösser die Aufstockung, desto länger dauere
es. "Innerhalb zweier Jahre geht das nicht. Es kann drei bis vier Jahre
dauern", sagte Blättler.
--
Blättler "suggeriert Falsches"
"Der Gemeinderat versucht, den Polizeikommandanten vor
seinen Karren zu spannen", schreibt das Komitee der
Sicherheitsinitiative in einer Mitteilung. Wenn Kommandant Stefan
Blättler suggeriere, der Gegenvorschlag des Gemeinderates sei
schneller umsetzbar als die Initiative, so sei das "falsch". Im
Unterschied zum gemeinderätlichen Gegenvorschlag mache die
Initiative "ganz bewusst keine Vorschriften zur Umsetzung". Es sei
Aufgabe des Gemeinderates, über das Wann und Wie einer Aufstockung
des Polizeikorps zu befinden. Dabei sei auch eine Staffelung denkbar,
sagt Komiteepräsident Philippe Müller (fdp). "Die ersten 14
Polizisten sind genau gleich schnell da, egal ob unter dem Titel
Initiative oder Gegenvorschlag." Müller findet es
"unverschämt", dass ausgerechnet der Berner Gemeinderat mit dem
Argument der raschen Umsetzung komme. Schliesslich sei die Polizei in
der Bundesstadt seit 27 Jahren nicht mehr aufgestockt worden. Der
Gemeinderat habe bis zuletzt alle entsprechenden Begehren im
Stadtparlament abgelehnt und schliesslich sogar den Abstimmungstermin
für die Sicherheitsinitiative hinausgezögert, sagt
Müller. (bob)
--
Kommentar
Im Wechselbad der Emotionen
Bernhard Ott
Die Initiative "Für eine sichere Stadt Bern" hat es
in sich. Initiant Philippe Müller (fdp) versteht es, mit der
Präsentation von Gewaltopfern auf der Klaviatur der Emotionen zu
spielen. In emotionalen Abstimmungskämpfen kann das Thema einer
Initiative durch Ressentiments überdeckt werden. Die Leute stimmen
gegen Minarette, bringen damit aber ein Unbehagen gegenüber dem
Islam zum Ausdruck.
Auch bei der Sicherheitsinitiative könnte dieser
Effekt eintreten: Die Leute stimmen für die Festschreibung von
110000 Stunden Polizeipräsenz in der Gemeindeordnung, geben damit
aber einem Unsicherheitsgefühl Ausdruck. Stadtpräsident
Alexander Tschäppät (sp) scheint sich dieser Gefahr bewusst
zu sein. So mobilisiert er den kantonalen Polizeikommandanten für
einen Medienauftritt und nimmt damit in Kauf, dass dieser in den
Abstimmungskampf hineingezogen werden könnte. Tschäppät
hat aber auch beim Initiativkomitee interveniert: Dass
Gemeinderätin Barbara Hayoz (fdp) dieser Tage das Komitee
verlassen hat, dürfte kein Zufall sein. Dabei war das
Kollegialitätsprinzip bei städtischen Abstimmungen noch nie
sakrosankt. So hat Tschäppät aus seinen Sympathien für
das Künstlerprojekt im Progr keinen Hehl gemacht, obwohl er
offiziell für ein Gesundheitszentrum eintrat. Auch mutet es
seltsam an, Regierungsräten den Einsitz in ein kommunales
Initiativkomitee verwehren zu wollen. Bei Wahlen in der Stadt
können die SP-Gemeinderäte ja auch auf den Support ihrer
Parteikollegen im Regierungsrat zählen.
Die gewünschte Versachlichung des Abstimmungskampfes
wird damit nicht erreicht. Initiant Müller ist es mit seinem
Abstimmungskampf gelungen, auch den Gemeinderat zu emotionalisieren.
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Bund 28.1.10
Kriminalstatistik - die "Buchhaltung des Rechtsstaats"
Kriminalstatistiken werden leicht verfälscht und von
Politikern gerne instrumentalisiert.
Anita Bachmann
Ein Blick auf die Kriminalstatistik der Stadt Bern zeige,
dass seit 2006 ein deutlicher Rückgang bei den statistisch
erfassten Straftaten zu verzeichnen sei, steht im Vortrag des
Gemeinderats zur Initiative "Für eine sichere Stadt Bern" und zum
Gegenvorschlag des Stadtrats. Damit könnten die Berner eigentlich
beruhigt sein, und die Initiative samt Gegenvorschlag wäre
hinfällig (siehe Kasten). Doch das Initiativkomitee argumentiert -
mit statistischen Zahlen - genau andersrum. "Seit 1993 haben sich die
Delikte gegen Leib und Leben fast verdreifacht." Angesichts solch
unterschiedlicher Schlüsse stellen sich die Fragen: Was taugen
Kriminalstatistiken? Warum werden sie erstellt, und welche Gefahren
bergen sie?
Bern ist statistisch bei null
Grundsätzlich eigneten sich Kriminalstatistiken
schlecht für Quervergleiche, etwa zwischen Kantonen oder Staaten,
sagt Martin Killias, Professor für Strafrecht und Kriminologie an
der Universität Zürich. Im Längsschnitt, über einen
gewissen Zeitraum also, seien Kriminalstatistiken hingegen brauchbar.
Dies allerdings bedinge, dass die Zählregel unverändert
bleibe. Auf Kanton und Stadt Bern trifft dies aber gerade nicht zu.
Nach der Fusion der Stadt- und der Kantonspolizei Anfang 2008 stellte
Letztere bereits auf die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) um. Seit
einem Jahr zählen nun alle Kantone nach diesem System. Bei der
damit verbundenen neuen Zählweise werden im Gegensatz zu
früher nicht mehr effektive Fälle gezählt, sondern die
einzelnen Straftaten nach Strafgesetzbuch aufgeschlüsselt. Ein
Einbruchdiebstahl taucht nun in der Statistik dreimal, als Diebstahl,
Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung, auf. "Wir beginnen
statistisch bei null und werden erst wieder eine Vergleichsbasis
aufbauen müssen", kommentierte die Polizei die Kriminalstatistik
2008.
Mit der PKS stünden wesentlich detailliertere Zahlen
zur Verfügung, die eine Auswertung nach Gemeinden und Regionen
ermöglichen würden, sagt Gabriela Maurer, Projektleiterin
Einführung PKS vom Bundesamt für Statistik. Das scheinen gute
Voraussetzungen zu sein. Denn die Aussage: "Je pauschaler statistische
Aussagen sind, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie
nicht stimmen", sei korrekt, sagt Maurer. Oftmals werde das Total der
Straftaten zwar als Indikator für die Entwicklung der
Kriminalität herangezogen, Vergehen wie Velodiebstähle oder
Sachbeschädigungen aber, die sehr häufig vorkommen,
würden den Trend der Totalzahlen massgeblich beeinflussen. Weniger
häufige Straftatbestände wie Tötungsdelikte oder schwere
Körperverletzungen gingen dann im Gros der Zahlen unter.
Kriminalstatistiken sollten so detailliert wie möglich sein. "Denn
die einzelnen Delikte haben unterschiedliche Trends", sagt Killias. Der
Straftatbestand Körperverletzung etwa sei zu global gefasst. Es
müsste etwa unterschieden werden, ob eine Körperverletzung
auf der Strasse oder zu Hause begangen werde.
Politik und Polizei haben Einfluss
"Das Hintergrundwissen bezüglich Zustandekommen der
Daten ist für eine korrekte Interpretation zwingend", sagt Stefan
Lanzrein, Chef Spezialfahndung 2 der Kantonspolizei Bern. So muss laut
Maurer das Anzeigeverhalten der Bürger mitberücksichtigt
werden. "Die meisten Leute werden nur schon wegen der Versicherung
einen Einbruchdiebstahl der Polizei melden. Ob sie auch bei Bedrohung
zur Polizei gehen, ist hingegen sehr subjektiv", sagt sie. Eine
wichtige Rolle spiele auch die Ressourcenlage der Polizei. Je mehr
Polizisten zur Verfügung stünden, desto mehr Kontrollen und
Anzeigen gebe es zum Beispiel im Betäubungsmittelbereich. Im
Zusammenhang mit der Berner Drogenszene zeigte sich in den
1990er-Jahren ein weiteres Phänomen: Massiv mehr Drogenfälle
wurden statistisch registriert, nachdem die Stadt Bern ihre
Drogenpolitik geändert hatte. Die offene Drogenszene wurde
aufgelöst, und es durfte keine neue entstehen. Das führte zu
einer Verdoppelung der Anzeigen.
Problem: Instrumentalisierung
Kriminalstatistiken müssten erstellt und
veröffentlicht werden. Ansonsten herrschten Zustände wie in
der damaligen DDR, wo nur gute Meldungen verbreitet worden seien, sagt
Killias. Keine Kriminalstatistiken zu führen, wäre
kontraproduktiv, denn die Leute hätten schnell das Gefühl,
man wolle ihnen etwas verbergen. "Die Kriminalstatistik ist die
Buchhaltung des Rechtsstaats", sagt Maurer. Weil der Staat das
Gewaltmonopol ausübe, müsse er ausweisen, was er gemacht
habe. Die Instrumentalisierung statistischer Zahlen könne aber
nicht ausgeschlossen werden, sagt Maurer. "Wir haben darauf keinen
Einfluss." Das Problem dürfte mit jeder Statistik einhergehen,
sagt Lanzrein. Trotzdem könne dies kaum bedeuten, bei jeder
Veröffentlichung einer Statistik auf deren Zustandekommen und den
damit verbundenen beschränkten Erkenntniswert hinzuweisen.
Unabhängig davon, was die Politiker aus der
Kriminalstatistik herauslesen und für ihre Argumentation
verwenden: Eine Erhöhung der Polizeipräsenz werde nur
wahrgenommen, wenn diese massiv sei, sagt Killias zu Initiative und
Gegenvorschlag. "Nur eine massive Erhöhung hat einen Effekt, eine
um 10, 20 Prozent jedoch nicht." Solche Wirkung könne die Polizei
etwa durch Schwerpunktumlagerungen erreichen.
--
Initiative/Gegenvorschlag
Die FDP-Initiative "Für eine sichere Stadt Bern"
verlangt eine Mindestpräsenz von jährlich 110 000 Stunden
uniformierter sichtbarer Polizei. Gegenüber dem heutigen Budget
wären dies 45 000 Stunden mehr Polizeipräsenz. Weiter fordert
die Initiative jährlich mindestens 25 000 Stunden
Gewaltprävention. Beides soll in der Gemeindeordnung verankert
sein. Der Gegenvorschlag des Gemeinde- und des Stadtrats Bern will eine
gestaffelte Erhöhung der Polizeipräsenz um insgesamt 20 000
Stunden. Dazu soll das Projekt Pinto personell um 240 Stellenprozente
aufgestockt werden. (ba)
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BZ 28.1.10
Sicherheitsinitiative: Polizeichef ist skeptisch
Stefan Blättler, Kommandant der Kantonspolizei,
zweifelt an der Umsetzbarkeit der Sicherheitsinitiative innert
nützlicher Frist.
Gestern traten Stadtpräsident Alexander
Tschäppät und Sicherheitsdirektor Reto Nause vor die Medien.
Sie vertraten den Gegenvorschlag des Gemeinderats zur bürgerlichen
Sicherheitsinitiative, die am 7.März zur Abstimmung kommt. Als
Überraschungsgast hatten sie Stefan Blättler, den
Kommandanten der Kantonspolizei, eingeladen. Tschäppät
betonte, dass der Gemeinderat die Sorgen und Nöte der
Bevölkerung ernst nehme und deshalb in die Sicherheit investieren
wolle. Allerdings seien die 40 zusätzlichen Polizisten, wie sie
die Initiative fordert, keine Patentlösung. "Dadurch würde es
nicht weniger Kriminalität geben."
Der Gegenvorschlag des Gemeinderats sei keine
Alibiübung, betonte Nause. Dieser sehe vor, beim Kanton 20000
zusätzliche Polizeistunden einzukaufen. "Damit könnten wir an
Wochenenden nachts 20 Polizisten mehr patrouillieren lassen", so Nause.
Also dann, wenn erfahrungsgemäss die meisten Gewaltdelikte
passierten.
Kapo-Kommandant Blättler, der zwecks Versachlichung
der Diskussion eingeladen worden war, äusserte Zweifel an der
Umsetzbarkeit der Sicherheitsinitiative: Er könne nicht sagen, wie
lange es dauern würde, 40 Polizisten zu rekrutieren. Dafür,
dass der Gegenvorschlag des Gemeinderats innerhalb von zwei Jahren
umgesetzt werden kann, bot Blättler hingegen Gewähr.
Im Interview äussert Sicherheitsdirektor Nause
Sympathien für die Initiative. Diese habe etwas bewegt. "Doch nun
hat sich die finanzpolitische Situation verschlechtert." Die Initiative
sei mit knapp sechs Millionen Franken zu teuer. as/azu
Seite 17
--
Sicherheit in der Stadt Bern
Findet man genug neue Polizisten?
Stefan Blättler, Kommandant der Kantonspolizei, macht
hinter die Umsetzbarkeit der Sicherheitsinitiative ein Fragezeichen.
Kein Wort gebrauchte Alexander Tschäppät gestern
öfter als das Adjektiv "sachlich". Es sei höchste Zeit, dass
die Sicherheitsdiskussion versachlicht werde, es brauche sachliche
Infos und "eine gewisse Sachlichkeit", referierte der Berner
Stadtpräsident vor den Medien im Erlacherhof - und redete sich so
gleich ob der Kampagne der Befürworter der Sicherheitsinitiative
ziemlich in Rage: Er rege sich auf, dass die Initianten mit
überfallenen Kioskbesitzerinnen die Stimmung aufheizten: "Ich
könnte 100 Kioskbetreiber präsentieren, die nie
überfallen wurden - doch das wäre kein Beweis dafür,
dass Bern sicher ist."
Kaum Zahlen und Fakten
Zwecks Versachlichung der Diskussion habe er Stefan
Blätter, Kommandant der Kantonspolizei, zur Medienorientierung
eingeladen, sagte Tschäppät: "Er kann Fragen zur Sache am
besten beantworten."
Blättler sagte denn auch, er wolle "objektivieren,
was zu objektivieren ist" - und sich keinesfalls in die politische
Debatte einmischen. Fakt sei, dass die Kantonspolizei "klar" zu wenig
Leute habe. "Ich begrüsse deshalb alle Vorstösse für
mehr Polizei. Wie viel es braucht, muss die Stadt aber selber sagen."
Auch wenn Blättler sodann kaum objektive Aussagen im
Sinne von Zahlen und Fakten lieferte, eine wichtige Aussage machte er
doch: Den Gegenvorschlag mit 14 zusätzlichen Polizisten verteilt
auf zwei Jahre bezeichnete er als umsetzbar. Hinter die Initiative aber
setzte er diesbezüglich ein Fragezeichen: Die Rekrutierung von 40
zusätzlichen Polizisten könne ein Problem werden. Dies, weil
bereits 80 bis 100 Polizisten pro Jahr rekrutiert werden müssten,
um den Bestand zu halten, und nun der Regierungsrat zwischen 2012 und
2016 bei der Kantonspolizei 139 neue Stellen schaffen will. Er
könne nicht sagen, wie lange es dauern würde, der Stadt 40
zusätzliche Polizisten zu "liefern": Das hänge davon ab, was
der Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren hergibt.
Blätter dämpfte des Weiteren allzu grosse
Hoffnungen: Mehr Polizeipräsenz könne zwar die Sicherheit
erhöhen, dies bedeute aber nicht automatisch einen Rückgang
der Straftaten. Im Übrigen sei Bern "objektiv betrachtet" eine
sichere Stadt. Probleme bereite, dass die Brutalität bei
Gewaltdelikten zugenommen habe.
azu
--
Abstimmung vom 7.März
Sicherheitsinitiative:
Mind. 110000 Stunden Polizeipräsenz pro Jahr.
Momentan sind 65000 Stunden budgetiert. Keine zeitliche
Umsetzungsvorgabe.
Mind. 25000 Stunden Gewaltprävention pro Jahr.
Ca. 40 zusätzliche Polizeistellen.
•Kosten: 5,8 Mio. Franken.
Gegenvorschlag:
Fusspatrouillenpräsenz wirdbis 2013 schrittweise um
total 20000 Stunden pro Jahr erhöht.
Ausbau Gassenarbeit von Pinto um 2,4 Stellen auf Mitte
2010.
14 zusätzliche Polizeistellen ab 2013.
Kosten: 2,2 Mio. Franken.
--
"Habe Sympathien für die Initiative"
Der gemeinderätliche Gegenvorschlag zur
Sicherheitsinitiative sei keine Alibiübung, kontert
Sicherheitsdirektor Reto Nause die Kritik. Damit könnten in den
Nächten am Wochenende 20 Polizisten mehr auf der Gasse sein.
Reto Nause, wagen Sie sich nachts über die
Schützenmatte oder die Grosse Schanze?
Reto Nause: Ich fühle mich in Bern sicher. Klar, wir
haben gewisse Probleme im Sicherheitsbereich. Doch die lassen sich
zeitlich und geografisch relativ präzise eingrenzen.
Der Gegenvorschlag sei eine Alibiübung und gehe viel
zu wenig weit, kritisiert Philippe Müller, Wortführer der
Initianten.
Für mich ist ganz klar: Nichts machen geht nicht, wir
müssen in die Sicherheit investieren. Aber der Abstimmungskampf
ist in eine Richtung abgedriftet, die mir missfällt: Da wird
überzeichnet. Wenn die Initianten die jüngsten Serien von
Überfällen auf Kiosks oder Tankstellen bemühen, zielt
das in die falsche Richtung: Das sind meist Fälle von
organisierter Kriminalität, die sich auch mit 1000 Polizisten
nicht immer verhindern lassen. Hier ist letztlich eine erfolgreiche
Fahndung entscheidend.
Bei der Lancierung 2008 haben Sie die Initiative
unterstützt, nun sind Sie dagegen. Wieso?
Ich habe durchaus Sympathien für die Initiative, sie
hat etwas bewegt. Doch mittlerweile hat sich die finanzpolitische
Situation verschlechtert. Und ich wurde Gemeinderat. Mein Engagement
gilt dem Gegenvorschlag.
Laut Gemeinderat sprechen vorab die hohen Kosten gegen die
Initiative. Die Polizeikosten würden von 28,3 auf 34,1 Millionen
Franken erhöht - also von 2,8 auf 3,3 Prozent des aktuellen
Budgets von 1028 Millionen. Ist das wirklich zu viel?
Diese Zahlen sind nicht die ganze Wahrheit. Die Stadt
investiert auch in anderen Bereichen in die Sicherheit: etwa beim
Einsatz von Securitas, bei der Gassenarbeit von Pinto oder bei den
kommunalen Sicherheitskräften wie der Gewerbe- und der
Fremdenpolizei, die jüngst aufgestockt wurde. Bauliche Massnahmen
können die Sicherheit ebenfalls erhöhen. Die Probleme etwa
auf der Grossen Schanze kann man alleine mit mehr Polizei nicht
lösen. Es braucht eine Belebung.
Momentan ist laut den Initianten pro Nacht eine
Eingreiftruppe von 6 Polizisten unterwegs. Mit der Initiative
wären es fünfmal mehr. Wie wäre es beim Gegenvorschlag?
Das sind Milchbüchlirechnungen, die den betrieblichen
Anforderungen nicht gerecht werden. Aber lassen Sie mich trotzdem eine
machen: Wir kaufen 20000 zusätzliche Stunden Fusspatrouillen ein.
Davon wird nichts im Büro abgesessen oder im Auto abgefahren.
Angenommen, die zusätzlichen Polizisten würden in den
Nächten von Donnerstagabend bis Sonntagmorgen je 6½ Stunden
eingesetzt, dann ergäbe dies in den prekären Zeitfenstern
immerhin 20 Polizisten mehr auf der Gasse.
Der Gemeinderat wirft der Initiative Systemwidrigkeit vor,
weil die Präsenzstunden in der Gemeindeordnung verankert
würden. Doch die Initianten können ihr Ziel anders gar nicht
erreichen.
Das Argument ist für mich auch nicht schlagend.
Zentral finde ich vielmehr, dass wir mit dem Gegenvorschlag
Fusspatrouillen einkaufen würden. Also Polizisten, die wirklich
auf der Gasse sind. Die Initiative spricht bloss von
"Patrouillenpräsenz" - die kann auch im Auto erfolgen.
Einen Vorteil hat die Systemwidrigkeit der Initiative: Die
Erhöhung wäre "gemeisselt" und könnte nicht bei einer
Sparrunde rückgängig gemacht werden.
Weder Regierung noch Parlament könnten sich um einen
entsprechenden Volksentscheid foutieren. Zudem wird der Ausbau ja mit
der Kantonspolizei vertraglich fixiert. Diese muss dafür Personal
rekrutieren. Da wird sie kaum einen Vertrag mit der Stadt eingehen, der
auf ein Dreivierteljahr befristet ist.
Die Stadt Bern hat mit Abstand die höchsten
Polizeikosten pro Kopf im Kanton. Warum kämpft der Gemeinderat
nicht auf Kantonsebene für mehr Polizei?
Der Kanton stellt in den nächsten Jahren
zusätzliche Polizisten an. Das kommt auch der Stadt zugute. Aber
man müsste sich grundsätzlich überlegen, ob Sicherheit
eine kommunale Aufgabe ist. Über den ganzen Kanton betrachtet,
besteht ein Ungleichgewicht, es gibt Trittbrettfahrer. Das ist kein
Zustand für die Ewigkeit. Im Jahr 2 nach der Fusion von Stadt- und
Kantonspolizei kommt diese Diskussion aber zu früh.
Interview: Adrian Zurbriggen
--
Kommentar
Absurd
Andrea Sommer
Ein seltsamer Auftritt, den Kapo-Kommandant Stefan
Blättler an der Pressekonferenz des Gemeinderats bot. Eigentlich
hätte er mit Fakten zur Versachlichung der Sicherheitsdiskussion
beitragen sollen. Tatsächlich betonte Blättler aber vor allem
eins: Falls die Sicherheitsinitiative angenommen würde, werde es
schwierig, die zusätzlichen 40 Polizisten für die Stadt Bern
zu rekrutieren.
Damit widerspricht sich Blättler selbst. Noch im
Oktober forderte er 200 zusätzliche Polizisten. Am Jahresrapport
erklärte er vor seinem Korps, dass die Personaldecke zu dünn
sei.
Dass Blättler nun, da ihm die Politik mehr Polizisten
geben will, vor Rekrutierungsproblemen warnt, ist absurd. Der Verdacht
liegt nahe, dass er keine Polizisten will, die er nur in der Stadt Bern
einsetzen kann. Dass er sich vom Gemeinderat hat vor den Karren spannen
lassen, könnte der Sache auf Kantonsebene schaden. Wer gibt schon
jemandem Geld, der über die Schwierigkeit klagt, es auszugeben.
andrea.sommer@bernerzeitung.ch
---
20 Minuten 28.1.10
Blättler landete einen Blattschuss
BERN. Erstaunliches war gestern vom Berner
Kapo-Kommandanten Stefan Blättler zu hören: Mehr
Polizeipräsenz in der Stadt führe nicht automatisch zu
weniger Straftaten. Mit diesem Blattschuss gab Blättler dem Berner
Gemeinderat nicht nur Schützenhilfe gegen die
Sicherheitsinitiative, sondern streckte deren Hauptargument für 45
000 Stunden zusätzliche Polizeipräsenz glatt nieder. Es sei
nicht seine Aufgabe, Position für den Gegenvorschlag des
Gemeinderats zu beziehen, betonte Blättler, er müsse aber
gewisse Dinge relativieren. Auf der Gegenseite unterstützen die
Regierungsräte Christoph Neuhaus und Urs Gasche die Initiative.
Stapi Alexander Tschäppät hat sie dafür scharf
gerügt. MAR
---
Blick am Abend 27.1.10
"Initiative belastet Stadtkasse"
Abstimmung
Am 7. März entscheidet Bern über mehr
Polizeipräsenz. Reicht dafür das Geld?
markus.ehinger@ringier.ch
Das könnte ein heisser Abstimmungskampf werden. Weil
sich viele Berner nicht mehr sicher fühlen, fordern
bürgerliche Parteien mit der Initiative "Für eine sichere
Stadt Bern" eine Erhöhung der Polizeipräsenz von heute 65 000
auf 110 000 Stunden. Das entspricht etwa 40 neuen Polizisten. Bern
stimmt am 7. März über die Vorlage ab. Sowohl Parlament als
auch Stadtregierung lehnen die Initiative ab. Heute präsentierte
der Gemeinderat seinen Gegenvorschlag. Dieser umfasst unter anderem die
Erhöhung der polizeilichen Fusspatrouillen um 20 000 Stunden pro
Jahr. "Eine Annahme der Initiative würde die Stadtfi nanzen
jährlich zusätzlich um 5,8 Millionen Franken belasten", sagt
Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP). Dem
widerspricht Philippe Müller (FDP), Co-Präsident des
Initiativkomitees. "Durch die Fusion von Stadt- und Kantonspolizei
spart die Stadt über 6 Millionen Franken pro Jahr", sagt
Müller. "Das Geld ist also vorhanden. Man soll es in die
Sicherheit investieren."
---
bern.ch 27.1.10
Gemeinderat wirbt für Gegenvorschlag und Feuerwehr-Vorlage
Am 7. März 2010 werden die Berner Stimmberechtigten gleich
über drei Vorlagen zum Thema Sicherheit abstimmen: über den
Baukredit für den neuen Feuerwehrstützpunkt Forsthaus West,
die Initiative "Für eine sichere Stadt Bern" und den
entsprechenden Gegenvorschlag. Stadtpräsident Alexander
Tschäppät und Sicherheitsdirektor Reto Nause erläuterten
heute an-lässlich eines Mediengesprächs, welche Bedeutung die
beiden Vorlagen für die Stadt haben.
Am 7. März kommt die Initiative "Für eine sichere
Stadt Bern" zur Abstimmung. Sie verlangt, dass in der Gemeindeordnung
eine fixe Stundenzahl für sichtbare Polizeipräsenz und
polizeiliche Gewaltprävention festgeschrieben wird. Konkret soll
die Kantonspolizei künftig mindestens 110'000 Stunden
Polizeipräsenz und mindestens 25'000 Stunden im Bereich
Gewaltprävention leisten.
Der Gemeinderat lehnt die Initiative ab. Er ist der Ansicht,
dass das Begehren hohe Mehrkosten verursacht, ohne dass die Sicherheit
gezielt und nachhaltig verbessert werden könne. Daher hat er einen
seiner Ansicht nach pragmatischen und bezahlbaren Gegenvorschlag
erarbeitet. Dieser umfasst unter anderem die Erhöhung der
polizeilichen Fusspatrouillen um 20'000 Stunden pro Jahr sowie die
Aufstockung der Interventionstruppe PINTO um 240 Stellenprozente.
Berner zahlen heute schon am meisten für die Polizei
In der Gegenüberstellung von Initiative und Gegenvorschlag
weist der Gemeinderat darauf hin, dass eine Annahme der Initiative die
Stadtfinanzen zusätzlich um 5,8 Millionen Franken jährlich
belasten würden. Mit 28,3 Millionen Franken haben die Bernerinnen
und Berner bereits heute die höchsten Sicherheitskosten im Kanton
zu tragen. Der Gegenvorschlag garantiert ebenfalls mehr
Sicherheitsleistungen, dies jedoch zu bedeutend tieferen Mehrkosten von
2,2 Millionen Franken pro Jahr.
Weiter ist der Gemeinderat überzeugt, dass es einen
ganzheitlichen Ansatz braucht, um die Sicherheit im öffentlichen
Raum zu optimieren. Dazu gehört für ihn der Ausbau der
polizeilichen Fusspatrouillen, was er in den vergangenen Jahren immer
wieder deutlich gemacht hat. Mit mehr Polizeipräsenz allein ist es
aus seiner Sicht jedoch nicht getan. Die Stadt setzt deshalb auf eine
breit abgestützte Sicherheitsstrategie, die unter anderem bauliche
Massnahmen, Verbesserung von Beleuchtungen sowie Quartier- und
Präventionsprojekte umfasst.
Hier setzt auch der Gegenvorschlag an: Durch den Ausbau der
polizeilichen Fusspatrouillen und die Aufstockung von PINTO können
Interventionen gezielt verstärkt werden, insbesondere an
neuralgischen Orten, in den Aussenquartieren sowie in den Abend- und
Nachtstunden. Der Gemeinderat plädiert in diesem Zusammenhang auch
für eine Versachlichung der Debatte: Wohl bestehe in gewissen
Bereichen Handlungsbedarf, doch könne aufgrund der vorhandenen
Datenlage nach wie vor von einer sehr sicheren Stadt Bern gesprochen
werden.
Idealer Standort im Forsthaus West
Die zweite Vorlage, die am 7. März zur Abstimmung kommt,
betrifft den Baukredit für den Neubau des
Feuerwehrstützpunkts Forsthaus West in der Höhe von 53,9
Millionen Franken. Der Gemeinderat bedauert, dass der Betrag deutlich
über den ursprünglich geschätzten Kosten liegt. Dies
ändert für ihn aber nichts an der Notwendigkeit des Neubaus
für die Berufsfeuerwehr und die Stadt Bern. Die heutige Kaserne an
der Viktoriastrasse entspricht aufgrund ihrer Lage, der engen
Platzverhältnisse und der veralteten Infrastruktur nicht mehr den
Anforderungen einer zeitgemässen Feuerwehr. Der neue Standort in
unmittelbarer Nähe der Autobahn ist dagegen ideal, weil die
Feuerwehr von dort das gesamte Stadtgebiet innerhalb der zeitlichen
Vorgaben erreichen kann. Heute ist dies namentlich im Westen von Bern
nicht immer möglich.
Mit der Verlagerung der Feuerwehrkaserne nach Forsthaus West
würde nicht nur der städtebaulichen Entwicklung im Westen
Berns Rechnung getragen, sondern auch das Wohnquartier im Breitenrain
stark entlastet. Der Gemeinderat ist vom Nutzen und der Wichtigkeit des
Projekts denn auch voll überzeugt.
Informationsdienst der Stadt Bern
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RAUCHVERBOT
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BZ 28.1.10
Beco hat Probleme mit Fumoir
Ausgerechnet im Haus, wo das Berner Rauchverbot ausgeheckt
wurde, gibts ein nicht eben vorbildliches Fumoir.
An der Münstergasse 3 in Bern ist die Verordnung
entstanden. Hier muss das Beco, das Berner Amt für Wirtschaft,
dafür sorgen, dass das Rauchverbot korrekt umgesetzt wird. Aber
ausgerechnet hier gibt das neben der Cafeteria im zweiten Untergeschoss
eingerichtete Fumoir zu Klagen Anlass: Die Lösung sei "nicht
haltbar", wehrte sich die Personalgruppe Ende 2009 mit einem Brief an
die Geschäftsleitung. "Schon aus Gründen der
Glaubwürdigkeit", finde eine "nicht unwesentliche Anzahl"
Mitarbeitender, müssten an der Münstergasse 3 "vorbildliche
Zustände herrschen".
Zugang durch Fumoir
Heute ist das nicht der Fall: Wer - aus welchen
Gründen auch immer - auf den Lift angewiesen ist, kann nur durch
das Fumoir in die Cafeteria gelangen. Über die Treppe gibt es zwar
einen anderen Zugang. Aber: Würde es sich bei der Cafeteria um ein
öffentliches Restaurant handeln, könnte das Beco die
getroffene Lösung nicht tolerieren. In der Verordnung steht:
"Fumoirs sind so anzulegen, dass sie nicht als Durchgang zu anderen
Betriebsräumen dienen."
"Nicht ideal"
"Das Fumoir entspricht nicht unserer Idealvorstellung",
räumt Stefan Reichen ein. Er ist Mitglied der
Beco-Geschäftsleitung und er ist es, der die Verordnung erarbeitet
hat. "Ich würde auch lieber mit geschwellter Brust mit einer
Vorzeigelösung dastehen", sagt er. "Aber ich kann das
verantworten."
Reichen verweist einerseits auf die rechtliche Situation:
An Arbeitsstätten, wo ab dem 1.Mai dieses Jahres das Bundesgesetz
greifen werde, gälten nicht die gleich strengen Regelungen wie in
öffentlichen Restaurants. Zudem gibt Reichen zu bedenken, dass die
Cafeteria über einen zweiten Zugang verfüge und dass im
Fumoir ohnehin nicht dauernd geraucht werden dürfe. Dies ist den
Mitarbeitenden nur von 7 bis 8.30, von 10 bis 11.30, von 13 bis 14 und
von 16 bis 17 Uhr gestattet.
Patentlösung gesucht
Trotzdem: Stefan Reichen weiss, dass den
Beco-Mitarbeitenden heute keine "Patentlösung" geboten wird. Diese
sei bisher aber einfach noch nicht gefunden worden. "Wir suchen weiter
nach einer besseren Lösung", verspricht er.
André Sopranetti als Leiter der Personalgruppe ist
froh, dass die Geschäftsleitung das Problem nicht negiert. Die
Personalgruppe werde nun das weitere Vorgehen besprechen.
Susanne Graf
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Newsnetz 28.1.10
Europa
Mit voller Kraft gegen die Raucher
raa
Aschenbecherverbot, Geldstrafen, Raucher-Jäger und
öffentliche Prozesse gegen Prominente: Die EU will im Kampf gegen
den blauen Dunst rabiat und flächendeckend durchgreifen.
Wie die Zeitungen FAZ, "Bild" und andere Medien auf ihren
Webseiten berichten, enthält das Dossier zahlreiche Empfehlungen,
denen nicht nur die zuständigen Minister der Mitgliedsstaaten
zugestimmt haben, sondern jüngst auch das Europäische
Parlament. Ziel der Vorschriften, die von den einzelnen Nationen
umgesetzt werden sollen, sei eine "zu 100 Prozent rauchfreie Umgebung",
wie es heisst.
Verstösse gegen das Rauchverbot in öffentlichen
Räumen sollen mit Geldstrafen geahndet werden, die laut der EU
hoch genug sein sollten, um eine abschreckende Wirkung zu entfalten.
Unternehmen, die den Vorschriften nicht folgen, soll neben solchen
Bussen sogar der Entzug der Geschäftserlaubnis drohen.
Hinaus mit allen Aschenbechern
Um die Einhaltung der Gesetze zu gewährleisten,
empfiehlt die EU sogenannte lokale Inspektoren oder
Durchsetzungsbeauftragte, deren Kontrollen nicht nur
flächendeckend erfolgen sollen, sondern auch unangemeldet. Neben
den eigentlichen Glimmstengel-Konsumenten könnte diese
"Raucherpolizei" auch Firmen und Behörden ins Visier nehmen, die
nicht sämtliche Aschenbecher aus ihren Gebäuden entfernen.
Schauprozesse gegen Prominente?
Um der Öffentlichkeit den politischen Willen der EU
zu demonstrieren, wird sogar erwogen, speziell Prominente ins Visier zu
nehmen. Für den Fall, dass Schauspieler, Musiker oder Politiker
trotz des Verbots rauchen, sollen die Behörden "ihre
Entschlossenheit und die Ernsthaftigkeit der Rechtsvorschriften unter
Beweis stellen", zitiert die Webseite des "Expresses" die EU.
Nämlich, "indem sie mit rigorosen und zügigen Massnahmen
reagieren und dabei die grösstmögliche öffentliche
Aufmerksamkeit erregen".
Rauch soll nicht messbar sein
Ziel der geplanten Vorschriften ist laut der EU, dass alle
Arbeitsplätze in geschlossenen Räumen rauchfrei sind, ebenso
geschlossene öffentliche Räume - und auch solche Orte, die
teilweise im Freien liegen. Die Atemluft soll laut der "Bild"-Zeitung
künftig so beschaffen sein, dass Tabakrauch weder gerochen noch
gesehen, gespürt oder gemessen werden kann.
Für Raucher, die von ihrer Sucht nicht lassen
können, bietet das Dokument nur einen winzig kleinen Trost: Die
strenge und öffentlichkeitswirksame Strafverfolgung soll erst
erfolgen, nachdem eine "sanfte Einführungsphase" der
Anti-Raucher-Gesetze abgeschlossen ist.
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REPRESSION
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tagesschau.sf.tv 27.1.10
http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2010/01/27/Schweiz/Studie-Repression-fuehrte-zu-mehr-Drogentoten
Studie: Repression führte zu mehr Drogentoten
Je grösser die polizeiliche Repression gegen
Heroinkonsumenten, desto mehr Drogentote: Zu diesem Schluss kommt eine
Studie der Universität Zürich, welche die Entwicklung der
Todesfälle seit 1975 genauer unter die Lupe nahm.
Untersucht wurde die Statistik der Drogentoten in der Schweiz
zwischen 1975 und 2007. Die Anzahl Drogentoter lag anfänglich bei
35, stieg dann immer mehr an, bis 1992 mit 419 Opfern ein
Höhepunkt erreicht wurde. Seit 1998 liegt diese Zahl zwischen 150
und 210 Fällen.
Carlos Nordt und Rudolf Stohler, zwei Forscher der
Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, fanden heraus,
dass in den 90er-Jahren die polizeiliche Repression gegen
Heroinkonsumenten doppelt so hoch war wie in der Zeit davor und danach.
In diesen Jahren gab es gemessen an der Anzahl Heroinsüchtiger 30
Prozent mehr Drogentote.
zitat
Stress wegen Polizei?
Polizeiliche Repression wurde von den Autoren aufgrund der
Anzahl der jährlichen Verzeigungen wegen Heroinkonsums bezogen auf
die jeweilig geschätzte Anzahl von Heroinkonsumenten definiert.
"So haben wir die Aktivität der Polizei gemessen für jedes
Jahr zwischen 1975 bis 2007", sagte Carlos Nordt. "In Jahren, wo mehr
verzeigt wurde, gab es mehr Drogentote."
Bis jetzt habe es keine diesbezüglichen Untersuchungen
gegeben. Befürworter polizeilicher Repression vermuten, dass eine
erhöhte Polizeipräsenz den Handel und somit auch den Konsum
erschwert. Andere dagegen behaupten, dass eine höhere
Polizeipräsenz bei Heroinkonsumenten Stress auslöse, was die
Anzahl Drogentoter erhöhe.
Die Zürcher Autoren haben nun erstmals eine Methode
entwickelt, um diese Vermutung mit Zahlen zu überprüfen.
Diese Art, die Repression zu messen, hätten er und sein
Studienkollege als erste angewendet, sagte Nordt. Die Studie wurde in
der Zeitschrift "Drug and Alcohol Review" publiziert.
Therapie-Erfolge mit und ohne Repression
Das Behandlungsangebot mit Methadon und Heroin reduzierte die
Anzahl Drogentoter auf einen Viertel, so wie dies bereits aus anderen
Studien bekannt war. Trotzdem sank diese Zahl mit dem Beginn dieser
Therapien in den neunziger Jahren nicht sofort. "Dies hängt in
unseren Augen mit der damals immer noch erhöhten Repression
zusammen", sagte der Forscher.
Die Autoren weisen in ihrer Studie ausserdem darauf hin, dass
die Zahl der Verzeigungen wegen Heroinkonsums eines jeweiligen Jahres
wesentlich durch die Zahl der Drogentoten zwei Jahre zuvor bestimmt
wird. "Steigt die Zahl der Drogentoten, gibt es ein mediales Echo und
der Druck der Öffentlichkeit auf die Polizei nimmt zu",
begründete dies Nordt.
Link zu UZH und Zeitschrift "Drug an alcohol reviw"
http://www.uzh.ch/news/articles/2010/fataler-kreislauf.html
(sda/gmue)
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Pressetext 27.1.10
Polizeiliche Repression führt zu mehr Drogentoten
Höhepunkt des Heroinproblems in den 90ern von hartem
Vorgehen begleitet
Zürich (pte/27.01.2010/16:52) - In den 90er Jahren
erreichten Heroinkonsum und Drogenmortalität in der Schweiz ihren
bisherigen Höhepunkt. Eine der Ursachen für die
vergleichsweise hohe Anzahl an Drogentoten liegt in der polizeilichen
Repression, wie Carlos Nordt und Rudolf Stohler von der Psychiatrischen
Universitätsklinik Zürich aufzeigen. Angesichts des damals
intensiven Vorgehens gegen offene Drogenszenen und Heroinkonsumenten
wurden 30 Prozent mehr Todesfälle registriert. Behandlungsmethoden
mit Methadon und Heroin hätten die Rate schließlich um den
Faktor vier gesenkt.
"Im Zusammenhang zwischen polizeilicher Repression und
Drogenmortalität besteht ein Teufelskreislauf", erklärt Nordt
im Gespräch mit pressetext. Dem Experten zufolge ist die Anzahl
der Drogentoten unmittelbar mit der Anzahl polizeilicher Verzeigungen
verknüpft. "Daran wird der Druck deutlich, der auf
Drogenkonsumenten ausgeübt wird", meint Nordt. Der
Behandlungseffekt sei jedoch erwartungsgemäß groß, so
Nordt gegenüber pressetext. Anders als etwa in den 90ern
befänden sich mittlerweile mehr als 50 Prozent der Konsumenten in
Behandlung.
Mehr Drogentote führen zu polizeilicher Repression
Die Beziehung zwischen Polizeirepression und
Drogenmortalität kann den Experten zufolge zumindest zum Teil
kausal sein. Ihren Berechnungen nach war das Vorgehen der Behörden
gegen Heroinkonsumenten in den 90ern doppelt so intensiv wie in der
Zeit davor und danach. Gleichzeitig stieg die Zahl der Drogentoten auf
Rekordniveau. Allein 1992 wurden nach einem deutlichen Anstieg seit
1975 über 400 Opfer registriert. Seit 1998 schwanke die Zahl um
rund 190 Fälle. Behandlungsmethoden hätten die Anzahl der
Drogentoten etwa um den Faktor vier reduziert. In anderen Ländern
sei man zu ähnlichen Ergebnissen gekommen.
Den Experten zufolge beeinflusst die Zahl der Drogentoten
ebenso die Arbeit der Polizei wie umgekehrt. Die Zahl der Verzeigungen
wegen Heroinkonsums eines jeweiligen Jahres werde durch die Zahl der
Drogentoten zwei Jahre zuvor bestimmt. Drogenmortalität sei somit
ausschlaggebend für den Grad des gesellschaftlichen und
politischen Drucks auf die Polizei, das Drogenproblem zu
bekämpfen. Das Ziel, offene Drogenszenen zu beseitigen, sei zwar
erreicht worden. Andere Ziele der Repression - etwa die
Verfügbarkeit von Heroin zu minimieren oder den Preis dafür
hoch zu halten - blieben hingegen unerreicht.
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RANDSTAND BURGDORF
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BZ 28.1.10
Burgdorf
Die Szene kehrt ins Zentrum zurück
Kaum verscheucht, schon wieder da: Die Burgdorfer
Süchtigenszene macht sich erneut mitten im Bahnhofquartier breit.
"Die Alkiszene soll aus dem Stadtbild verschwinden." Das
teilte der Burgdorfer Gemeinderat im Oktober mit. Stadtpräsidentin
Elisabeth Zäch nannte die Süchtigen in der Innenstadt "eine
Zumutung". Und sprach damit all jenen Passanten und
Geschäftsleuten aus dem Herzen, welche sich von den
Billigbiertrinkern zunehmend belästigt fühlten.
Anfang November stellte die Stadt der Gruppe einen
Unterstand bei der Markthalle zur Verfügung. Und gab ihr den Tarif
durch: "Ansammlungen der Szene im Bahnhofquartier" würden "ab
sofort aufgelöst".
Dieselben wie vorher
Zwei Monate später: Im ehemaligen
Buswartehäuschen vor dem Coop an der Bahnhofstrasse stehen sich
Alkis und Kiffer plaudernd auf den Füssen herum. Erstaunt bemerken
Umstehende, dass es sich um dieselben Personen handelt, die die Stadt
vor Kurzem von diesem Treffpunkt verbannt hatte.
Doch das Comeback der Vertriebenen überrascht nur
bedingt. Den Alternativstandort bei der Markthalle haben die
Süchtigen nie akzeptiert. Grund: Er liegt zu weit entfernt vom
nächsten Alkoholanbieter, wie ein Mitglied der Gruppe beim ersten
Augenschein monierte.
Promilletanken beim Coop
Also dislozierten die Männer und Frauen nicht auf den
Viehmarktplatz, sondern zu der promilletechnisch viel günstiger
gelegenen Coop-Tankstelle an der Kirchbergstrasse. Und nun kehrt die
Szene nach und nach ins Bahnhofquartier zurück.
Der Burgdorfer Gemeinderat denke nicht daran, an seiner
Politik etwas zu ändern: "Wir halten an unserer harten Haltung
fest", sagt Elisabeth Zäch. Eine Ausweitung der Gruppierung in der
Innenstadt werde weiterhin nicht geduldet. "Selbstverständlich
haben wir nicht die Illusion, dass diese Menschen irgendwann ganz aus
dem Stadtbild verschwinden. Uns ist aber wichtig, dass sie dem
Bahnhofquartier fernbleiben."
Rundum registriert
Dafür sorgen sollen die städtischen
Ordnungshüter. Sie schauen laut Zäch täglich bei den
Süchtigen vorbei und registrieren jede Veränderung. Die
Polizei sorge auch für regelmässige Standortwechsel der
Leute. Das klappe ganz gut: "Sie ziehen meist ohne zu murren weiter."
Die Suchtkranken richterlich wegweisen zu lassen wäre laut
Zäch "unverhältnismässig". Immerhin sei "sitzen und
trinken auf öffentlichem Boden" erlaubt. Erst wenn es, wie letztes
Jahr mehrfach geschehen, zu Gewalt innerhalb der Gruppe kommen sollte
oder die Süchtigen eine Bedrohung für die Passantinnen und
Passanten darstellen würden, wären Wegweisungen eine Option.
Als Schutz vor Wind und Wetter diene den Alkis das
Wartehäuschen beim Coop sowieso nicht mehr lange: "Sobald es die
Temperaturen zulassen, wird das Häuschen auf die andere
Strassenseite verlegt, wo es dann nur noch den Busfahrgästen zur
Verfügung steht", verspricht Elisabeth Zäch.
Johannes Hofstetter
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SCHUHPUTZ
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Bund 28.1.10
Die Männer hinter den Roger-Staub-Mützen
Hélène und Daniel Lüthi haben
Schuhputzer in La Paz porträtiert. Nun wollen die Gassenarbeiterin
und der Journalist die Dienstleistung in Bern einführen.
Simon Jäggi
Die Schuhputzer in La Paz tragen eine
Roger-Staub-Mütze, diese Kappe, die nur die Augen freilässt
und nach ihrem Erfinder benannt ist: dem ehemaligen Schweizer
Skirennfahrer Roger Staub.
Die Schuhputzer tragen die Hauben nicht nur der starken
Sonne in der bolivianischen Andenstadt wegen - La Paz rankt sich hoch
bis El Alto auf 4100 Meter über Meer. Und auch nicht nur wegen der
ätzenden Abgase des 2-Millionen-Molochs. Die Schuhputzer tragen
die Mützen vor allem, weil sie sich schämen, Schuhputzer zu
sein.
Als Alkis und Drögeler verschrien
"Nicht einmal die eigenen Ehefrauen wissen manchmal, dass
ihr Mann als Schuhputzer arbeitet", erzählt Hélène
Lüthi. Die Bernerin hat in La Paz zwei Jahre lang ein Hilfsprojekt
mit Schuhputzern begleitet. Für ein Hilfswerk beurteilte sie, wie
weit vorhandene Vorurteile tatsächlich der Realität
entsprechen. Für viele Bolivianer ist klar: Schuhputzer sind
Drogenabhängige, Alkoholiker, Abschaum. Rund 3600 Schuhputzer soll
es in La Paz geben.
Hélène Lüthi hat Hunderte Schuhputzer
aufgesucht. Und sie hat gänzlich andere Männer und
Jugendliche kennengelernt, als die Vorurteile besagen. Unter den
Roger-Staub-Mützen verstecken sich Familienväter oder etwa
auch viele Studenten, die am Morgen Schuhe putzen und am Nachmittag im
Hörsaal sitzen, erzählt Hélène Lüthi, die
in Bern jahrelang bei der Berner Gassenarbeit gearbeitet hat.
Ursprünglich wollten Hélène und Daniel Lüthi
nicht nach Bolivien, als sie entschieden haben, Bern den Rücken zu
kehren und temporär auszuwandern. Denn Südamerika kannten die
zwei Globetrotter schon gut. Doch dann war da ein Jobangebot aus La Paz
für Daniel - und er nahm es an. An der Universität konnte er
junge Journalisten weiterbilden. Zuvor arbeitete Daniel Lüthi
unter anderem jahrelang als Redaktor bei Schweizer Radio DRS. Die
Arbeit beim Schuhputzer-Projekt fand Hélène vor Ort.
Mit den grossen Tieren im Kino
Dieser Konstellation ist die Idee entsprungen, einen
Dokfilm zu drehen. "Wir wollten den Schuhputzern eine Stimme geben",
sagt Daniel Lüthi. Und dies ist den zwei Bernern gelungen: Die
Premiere hat letzten Herbst in La Paz in einem der grössten Kinos
stattgefunden, das 30-minütige Werk "Hinter den Masken" lief eine
Woche im regulären Programm. An der Premiere sassen Schuhputzer,
Gutbegüterte und Politiker nebeneinander in den Kinorängen -
ein ungewohntes Bild. Gefreut hat die Lüthis, dass die Schuhputzer
plötzlich von "unserem Film" sprachen. Dass sich jemand für
sie interessiert habe, sei für sie eine neue Erfahrung gewesen.
Mit ihrer Idee haben sich die zwei Filmlaien aber auch
ziemlich viel Arbeit eingebrockt. Sie suchten nach Geldgebern. Sie
engagierten Daniels Arbeitskollegen als Filmcrew und mussten merken,
dass diese andere Vorstellungen vom Filmen hegten. Die Zusammenarbeit
sei debakulös gewesen: Gefilmt hätten diese stets mit Stativ
- und Klappe. Ein Prozedere, das die Protagonisten so
eingeschüchtert habe, dass keine vertrauliche Atmosphäre
aufkommen konnte. Eine zweite angeheuerte Truppe bewies dann weit mehr
ästhetisches Flair und Fingerspitzengefühl.
Hauptprotagonist des Films ist Louis, ein 51-jähriger
alleinerziehender Vater. Als seine Frau eines Morgens tot im Bett lag,
stand er alleine da mit seinen zwei Söhnen, die damals eineinhalb
und sechs Jahre alt waren. Louis musste seine Arbeit als Elektriker
aufgeben, da er sonst wochenlang abwesend gewesen wäre. Mit dem
Schuhputzen bringt er seine kleine Familie über die Runden. Pro
Klient erhält ein Schuhputzer einen Boliviano (rund 15 Rappen). An
einem schlechten Tag verdient er fünfzehn Bolivianos, an einem
sehr guten auch mal fünfzig. Zum Vergleich: Ein Mittagessen kostet
fünf Bolivianos, ein Schulbuch sechzig.
Hélène Lüthi hat die meisten
Schuhputzer nur mit Maske gekannt. Sie habe sich daher seitenlang
Notizen gemacht, wer wo stehe, damit sie sich die Namen habe merken
können. Im Laufe der Zeit seien enge Vertrauensverhältnisse
entstanden. Im Film zieht ein junger Student seine Maske aus, steht zu
seinem verrufenen Job - ein ergreifender Moment für die zwei
gesetzten Jungfilmer.
Ein Arbeitslosenprojekt in Bern?
Hélène und Daniel Lüthi sind vor drei
Monaten nicht nur mit einem Dokfilm im Gepäck zurück nach
Bern gekommen, sondern auch mit einer neuen Idee. Sie möchten die
Dienstleistung Schuhputzen auch in Bern einführen - etwa im Rahmen
eines Arbeitslosenprojektes. Das Bedürfnis wäre auch hier
vorhanden, sind die beiden überzeugt. Im Gegensatz etwa zum
Reinigen von Tramhaltestellen kämen beim Schuhputzen Arbeitslose
in Kontakt mit Leuten. "So kommen sie aus der Anonymität heraus",
sagt Hélène Lüthi, so entstünden Kontakte,
ergäbe sich vielleicht auch eine Anstellung. Daniel Lüthi hat
vor einiger Zeit mal einen Versuch gestartet und ist in Genf als
Schuhputzer auf die Strasse gegangen: "Es brauchte einen, der das Eis
bricht - aber danach hat man plötzlich ziemlich viele Kunden."
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ANTI-WEF BASEL
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WoZ 28.1.10
Gegen das WEF
Das andere Davos
Unter dem Titel "Das Andere Davos" findet auch dieses Jahr
wieder eine Gegenveranstaltung zum Davoser Weltwirtschaftsforum (Wef)
statt. Sie beginnt mit zwei Konferenzen: Die erste heisst "Kritische
Universität - Uni von unten". Hier geht es darum, akademisches
Denken mit Erfahrungen von autonomen Bildungsprojekten von Frauen,
MigrantInnen und Lohnabhängigen zu verbinden. Daran werden
teilnehmen: Der Soziologieprofessor Franz Schult heis ("Welche
Verbindung zwischen den kritischen Sozialwissenschaften und den
sozialen Kämpfen?"), Soziologieprofessor Ueli Mäder ("Warum
findet das Andere Davos an der Universität Basel statt?"), Claudia
Nogueira, Professorin an der Universidade Federal de Santa Catarina,
Brasilien ("Erfahrungen autonomer Bildung"), Avji Sirmoglu von "Planet
13", Basel ("Die Bildung der Prekären"), Felipe Polania, Verein
Bildung für alle an der Autonomen Schule Zürich ("Schule als
politische Aktion in der Flüchtlingsbewegung").
Chomsky per Video
Danach ist die eigentliche Eröffnungskonferenz: "Von
der Absage an die Barbarei zur Notwendigkeit einer anderen Welt" mit
einem Videointerview mit Noam Chomsky, Tariq Ali, Buchautor und
Mitarbeiter der "New Left Review" ("Der Imperialismus zu Zeiten
Obamas"), Silvia Lazarte, Expräsidentin der konstituierenden
Versammlung Boliviens ("Die indianische Rebellion in Bolivien"), Franco
Cavalli, alt Nationalrat der SP ("Die kapita listischen
Globalisierungen gegen ein öffentliches Gut: das Recht auf
Gesundheit für alle"), Christa Wichterich, Autorin von
"Gleich, gleicher, ungleich" ("Die Frauenkämpfe im Kontext der
kapitalistischen Globalisierung"), N. A. Bat chu Siddique,
Präsident der Vereinigung der bengalischen, indischen und
pakistanischen ArbeiterInnen in Italien, Dhuumcatu ("Die Mobilisierung
der MigrantInnen und die Einheit der Lohnabhängigen"), Dirceu
Travesso, nationaler Sekretär des brasilianischen
Gewerkschaftsverbands Conlutas ("Die Lohnabhängigen des formellen
und informellen Sektors vereinigen").
Die Abschlusskonferenz
An der Abschlusskonferenz sprechen Gianni Frizzo, Animator
des Streikkomitees der Officine, Bellinzona ("Eine neue
Gewerkschaftsbewegung in der Schweiz"), Lee Sustar, Redaktor von
"Socialist Worker", USA ("Arbeitslosigkeit und soziale Krise unter
Obama"), Ricardo Antunes, Professor an der UNICAMP, Brasilien,
Mitarbeiter der Landlosenbewegung MST und der Redaktion der linken
Wochenzeitung "Brasil do fato" ("Die strukturelle Prekarisierung der
Arbeit und die sozialen Kämpfe in Brasilien"), Giorgio Cremas chi,
Sekretär der italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM
("Welche Wiederbelebung der sozialen Kämpfe in Italien?"),
Cristina Hernandez, Gewerkschaft Service Employees International Union,
Los Angeles ("Welche Zukunft für die MigrantInnenkämpfe?"),
Gilbert Achcar, Professor am SOAS, London ("Die Islamophobie
bekämpfen - die Hauptform des aktuellen Rassimus im Westen"),
Soziologieprofessor Ueli Mäder ("Die soziale Krise in der Schweiz:
Einige Orientierungspunkte für den Widerstand").
Zwischen den Konferenzen gibt es zahlreiche Workshops.
Basel Fr, 29. Januar, 16-18 h: "Kritische Universität - Uni
von unten"; 19.30 h: Eröffnungskonferenz; Sa, 30. Januar,
9.30-12.30 h / 14-16.30 h: Workshops; 17-19.30 h: Abschlusskonferenz.
Kolle gienhaus der Universität, Petersplatz 1, Konferenzen in der
Aula, Workshops in den Räumen des 1. Stocks.
Simultanübersetzung Französisch, Deutsch, Italienisch. http://www.otherdavos.net
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ANTI-WEF DAVOS
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Südostschweiz 28.1.10
SP unterstützt Anti-WEF-Aktionen
Davos. - Die SP Graubünden begrüsst die Bewegung
gegen das World Economic Forum (WEF) in Davos, wie sie in einer
Medienmitteilung schreibt. Die von der Juso Graubünden
organisierte Informations- und Aktionswoche als friedliche Form von
Kritik wird von der Mutterpartei unterstützt. Weiter beteiligt sie
sich an der WEF-Demonstration am Samstag, an der unter anderen
SP-Kantonalpräsident Jon Pult eine Rede halten wird. (so)
---
Südostschweiz 28.1.10
Zeitkritische Filme während des WEF
Davos. - Das Davoser Forschungsinstitut Global Risk Forum
zeigt diese Woche im Kino Arkaden Davos drei Filme zu den Themen
Umwelt, Klimawandel, Armut und umweltbedingte
Flüchtlingsströme. Nach den Filmen beantworten Filmemacher,
Experten und Politiker Publikumsfragen. Heute um 16 Uhr können
sich Interessierte den Naturfilm "Home" von Yann Arthus-Bertrand
ansehen. Morgen Freitag um 16 Uhr wird "Beyond A Dollar A Day" gezeigt,
dabei wird über die Rolle der Entwicklungshilfe im Kampf gegen die
Armut berichtet. Am Samstag um 10 Uhr wird schliesslich das Thema
umweltbedingter Flüchtlingsströme im Film "Climate Refugees"
aufgegriffen. (so)
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Südostschweiz 28.1.10
WEF: Am Samstag verspäten sich Züge
Die Züge der SBB und der RhB verkehren während
des World Economic Forum gemäss Fahrplan. Nur am Samstag
könnte es zu Verzögerungen kommen.
Davos. - Die Züge der SBB von und nach
Graubünden verkehren während des World Economic Forum (WEF)
2010 fahrplanmässig. Hingegen kann es am Samstag auf dem Netz der
Rhätischen Bahn (RhB) zu kurzfristigen Anpassungen des Fahrplans
kommen, wie es in einer Mitteilung heisst. Je nach Situation findet
für Reisende nach Davos in Fideris eine Personenkontrolle statt.
Dazu muss der Zug verlassen, die Kontrolle passiert und ein Weg von
rund 300 Metern zum Anschlusszug zu Fuss zurückgelegt werden. Die
Reisezeit von Landquart nach Davos verlängert sich dadurch um rund
40 Minuten. Die Zugreise nach Davos via Filisur ist laut RhB nur sehr
beschränkt möglich.
Keine Einschränkungen am Vereina
Die Vereina-Züge dagegen verkehren
fahrplanmässig. Je nach Entwicklung der Lage ist mit Behinderungen
oder Umleitungen via Albula zu rechnen, wie es weiter heisst. Die RhB
empfiehlt allen Fahrgästen vom und ins Engadin, die Reisezeit auf
den frühen Morgen oder späteren Nachmittag zu verlegen oder
die Züge via Albula zu benutzen. Der Autoverlad am Vereina
erfährt keine Einschränkungen und wird gemäss
offiziellem Fahrplan betrieben. (so)
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PUBLIC EYE
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Bund 28.1.10
Schmähpreis für Roche
Public Eye Awards
Der Basler Pharmakonzern Roche und die nichtstaatliche
Royal Bank of Canada haben am Rande des Weltwirtschaftsforums WEF in
Davos die diesjährigen Public Eye Awards erhalten. Die
Erklärung von Bern (EvB) und Greenpeace prämierten sie als
die sozial und ökologisch skrupellosesten Firmen. Roche erhielt
den Schmähpreis wegen undurchsichtiger Studien zum Medikament Cell
Cept, das die Organabstossung verhindern soll, teilten die
Organisatoren mit. Roche führe die Studien in China durch, obwohl
dort mehr als 90 Prozent aller transplantierten Organe von
hingerichteten Gefangenen stammten. Der Konzern wolle oder könne
nicht sagen, woher die Organe für seine Studien kommen. Die Royal
Bank of Canada gewann die ungeliebte Auszeichnung wegen ihrer Rolle als
weltweit führender Financier der Ölsandkonzerne. Diese
fördern in der Provinz Alberta auf einer Fläche grösser
als die Schweiz und Österreich zusammen das "dreckigste Rohöl
der Welt", lautet der Vorwurf. (sda/ddp)
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Basler Zeitung 28.1.10
Public Eye Award für Roche
Die UNO erhält den neuen Greenwash Award
Andreas Schwander, Davos
Der Basler Pharmakonzern Roche und die Royal Bank of
Canada haben in Davos den Schmähpreis Public Eye erhalten. Auch
der über eine Internet-Abstimmung ermittelte "Peoples Award" ging
an Roche.
Es ist eine andere Welt im Hotel Montana in Davos Dorf.
Keine Badges, keine Kontrollen, keine Anzüge, dafür Schwaden
von filterlosen Gauloises, Rastalocken und der
schäbig-pompöse Charme eines vernachlässigten
Jugendstilhotels. Nobelpreisträger Joseph Stieglitz war
eingeladen, kam aber nur per Videobotschaft - und auch die
Preisträger kamen nicht, denn diesen Preis will man nicht.
Der Basler Pharmakonzern Roche erhielt den Public Eye
wegen undurchsichtiger Studien zum Medikament Cell Cept, das die
Organabstossung verhindern soll. Die Studien wurden in China
durchgeführt, obwohl dort laut Public Eye mehr als 90 Prozent
aller Organe von hingerichteten Gefangenen stammen. Roche könne
oder wolle nicht sagen, woher die Organe für ihre Studien kommen.
Neben dem von einer Jury vergebenen Preis ging auch der sogenannte
Public Award an Roche. Er wurde über eine Internetabstimmung
ermittelt, welche die Organisatoren Greenpeace und Erklärung von
Bern als grossen Erfolg bezeichneten - über 20 000 Menschen hatten
daran teilgenommen.
Gebrandmarkt
Einen weiteren Public Eye Award erhielt die Royal Bank of
Canada, welche für das "dreckigste Rohöl der Welt"
gebrandmarkt wurde, weil sie die Ölgewinnung aus Ölsand in
Kanada finanziert. Der erstmals verliehene Greenwash Award ging an die
UNO für das CEO-Watermandate, in dem sich die Chefs grosser
Konzerne mit hohem Wasserverbrauch zur nachhaltigen Nutzung von Wasser
bekennen. In Tat und Wahrheit gingen die Firmen aber keine
Verpflichtungen ein, so die Jury. Die UNO solle sich deshalb auf ihre
Aufgabe konzentrieren, allen Menschen Wasser zugänglich zu machen
und nicht fragwürdige Ökolabels als Deckmäntel für
Grosskonzerne schneidern.
Der Applaus für die flammenden Laudatia im
übervollen "Montana"-Saal war den Rednern sicher - sie sprachen
vor Heimpublikum. Und auch wenn ein gros-ses Plakat am Hotel Montana
allen Vorbeifahrenden verkündet: "Global Players, Public Eye is
watching you", ist fraglich, ob diese es wahrnehmen oder gar zu einer
Diskussion bereit sind. Da liegt die andere Welt des Hotels Montana
doch unendlich viel weiter weg vom Kongresshaus als die geografischen
800 Meter.
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WoZ 28.1.10
Der dreckigste Geldautomat
Kanadas Rohöl-Das Ölsandgeschäft macht eine
riesige Wald- und Moorlandschaft zur Wüste, vergiftet das Wasser
und setzt Unmengen von CO2 in die Luft: Am Mittwoch hat die Royal Bank
of Canada für die Finanzierung des Abbaus in Davos einen
Schmähpreis erhalten.
Von Daniel Stern
Das ganze Ausmass der Zerstörung lässt sich nur
von oben erfassen. Deshalb ist Peter Mettler in den Helikopter
gestiegen. Der kanadisch-schweizerische Regisseur hat den monumentalen
Ölsandabbau in der kanadischen Provinz Alberta mit Luftaufnahmen
dokumentiert und daraus den Film "Petropolis" geschnitten.
"Ich wollte einfach nur zeigen, was aus der Luft zu sehen
ist", sagt Mettler im Gespräch mit der WOZ. Es habe bislang kaum
solche Bilder zum Thema Ölsand gegeben. Von der Strasse aus zu
filmen, sei ihnen von privaten Sicherheitsleuten oft verboten worden.
Mettler drehte im Auftrag der Umweltorganisation Greenpeace. Doch er
stellt klar: "‹Petropolis› ist kein Propagandafilm. Er soll zur
Diskussion anregen."
Tatsächlich kommt Mettlers Film fast ohne Kommentare
aus. Die Bilder zeigen, wie eine Landschaft aussieht, in der Bäume
und Büsche systematisch gerodet, Humus und Moor abgetragen und bis
dreissig Meter tief Ölsand ausgebaggert wurde. Man sieht
monströse Lastwagen, die den Ölsand in riesige Fabrikanlagen
transportieren, wo das Rohöl aus dem Material extrahiert wird.
Dazu wird täglich so viel Wasser aus dem angrenzenden
Athabasca-Fluss gepumpt, wie eine Millionenstadt verbraucht.
Während das gewonnene Rohöl in Pipelines vorab in die USA
exportiert wird, karren die Laster den Sand zurück an seinen
Ursprungsort. Das mit Ölresten verschmutze und mit Giften
kontaminierte Wasser wird in Stauseeen geleitet. Doch diese lecken, und
so gelangt das vergiftete Wasser zurück in den Fluss.
"Es ist schockierend, so viel kaputte Landschaft zu
sehen", antwortet Mettler auf die Frage, was ihm beim Blick von oben
durch den Kopf gegangen ist. "Es fehlen einem die Worte." Mettlers Film
wurde vergangenes Wochenende am Filmfestival in Solothurn gezeigt.
Verschiedene Fernsehstationen haben ihn bereits ausgestrahlt. "In
Europa sind die Zuschauer meist schockierter als in Kanada", sagt
Mettler. "Viele haben bislang noch nichts vom Ölsandabbau
gehört und glaubten, Kanada sei ein Land der Wildnis mit einer
unberührten Natur." In Kanada hingegen werde längst intensiv
über den Ölsandabbau diskutiert.
Ein Waldgebiet, gross wie England
Dass der Ölsandabbau in Kanada auch hierzulande ein
Thema wird, dar an arbeitet auch das PublicEye von Davos. Die
konzernkritische Veranstaltung von Greenpeace und der Erklärung
von Bern am Rande des Weltwirtschaftsforums (Wef) hat am Mittwoch der
Royal Bank of Canada (RBC) den von einer Fachjury ausgewählten
Schmähpreis für das international verantwortungsloseste
Unternehmen verliehen. Die grösste Bank Kanadas hat in den letzten
zwei Jahren den Ölsandabbau mit zwanzig Milliarden US-Dollar
finanziert. Und das ist erst der Anfang: Innerhalb der nächsten
zehn Jahre sollen weitere sechzig Milliarden US-Dollar investiert
werden. Insgesamt soll ein Waldgebiet so gross wie England gerodet und
umgebaggert werden. Kanada ist auf dem Weg, der bedeutendste
Erdölstaat der Welt zu werden.
Die PublicEye-VeranstalterInnen nennen RBC den
"dreckigsten Geld automaten der Welt". Aus Ölsand Rohöl zu
gewinnen, ist sehr energieaufwendig, da der Ölsand erhitzt werden
muss. Für die Gewinnung von zwei Fass Rohöl aus Ölsand
wird ein Fass Gas verbrannt. Allein dieser Prozess ist heute schon
für fünf Prozent des ganzen CO2-Ausstosses Kanadas
verantwortlich. Mit der Produktion gelangen zudem jährlich
über vier Milliarden Liter kontaminiertes Wasser zurück in
die Umwelt.
Wildtiere weisen hohe Konzentrationen an Arsen in ihrem
Fleisch auf, Flussfische verkrüppeln, ungewöhnliche
Krebserkrankungen breiten sich bei AnwohnerInnen aus. Am meisten unter
der Naturzerstörung in Alberta leiden die UreinwohnerInnen des
Landes, weil sie sich von den Fischen im Fluss ernähren und das
Wild in den Wäldern jagen. Verschiedene Stämme fordern ein
Moratorium für den Ölsandabbau.
Bisher ist jede Kritik an der RBC abgeperlt. Die Firma
rühmt sich auf seiner Homepage, eines der grünsten
Unternehmen Kanadas zu sein. Unter dem Stichwort Umwelt ist zu lesen:
"Wir glauben, dass die Erhaltung der Umwelt entscheidend für die
Nachhaltigkeit unserer Gemeinden, Kunden und unserer Firma ist." Zur
Imagepflege von RBC gehört auch, dass die Firma an den kommenden
Olympischen Spielen im kanadischen Vancouver einer der Hauptsponsoren
ist.
Shell krebst zurück
Allerdings scheint der politische Druck der
UmweltschützerInnen und UreinwohnerInnen nicht nutzlos zu sein.
Zumindest der Ölkonzern Shell bewegt sich: Das
britisch-niederländische Unternehmen ist von allen
Ölkonzernen am stärksten in der Ölsandgewinnung
engagiert. Die Firma fördert in Alberta ab nächstem Jahr
täglich 255 000 Fass Rohöl. Geplant war, dieses Volumen
schrittweise auf bis zu 700 000 Fass zu erhöhen. Doch daraus wird
jetzt wahrscheinlich nichts. Shells neuer Konzernchef, der Schweizer
Peter Voser, hat am Montag in der "Financial Times" bekannt gegeben,
dass man die weitere Expansion in dem Geschäft "sehr viel
langsamer" angehen wolle. Voser begründet die strategische
Neupositionierung mit den hohen Kosten beim Ölsandabbau. Es gebe
genug andere Wachstumsmöglichkeiten.
Hinter dem angekündigten Kurswechsel steckt
womöglich noch ein anderer Grund: Für die Generalversammlung
des Konzerns im Mai haben kritische AktionärInnen einen Antrag zum
Thema Ölsandgeschäft gestellt. Pensionskassen und nachhaltige
Investor Innen fordern eine Überprüfung der Aktivitäten,
bevor neue Investitionen getätigt würden. Die "Risiken des
Abbaus" sollen eingehend untersucht werden. Andernfalls fürchte
man um den langfristigen Erfolg der Firma.
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Tagesanzeiger 28.1.10
Anti-WEF-Gipfel: Organhandel und Krieg der Ideen
Am Anti-WEF-Gipfel wurde Roche angeklagt: wegen Studien an
transplantierten Organen Hingerichteter.
"Scheiss-Swiss!", knirschte der Organisator von Public
Eye, Oliver Classen, zwischen seinen Zähnen. In der Tat hatte die
Swiss die Hauptrede am Anti-WEF-Gipfel sabotiert. Ihr Flugzeug blieb
mit technischem Defekt in New York. Und damit der Hauptredner, der
Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz.
Stiglitz schickte zum Trost eine Videobotschaft: Schuld an
der Finanzkrise, sagte er, seien in erster Linie die Banken. Dann die
zahnlosen Regulatoren. Und in letzter Instanz die falschen Ideen: der
Aberglaube, dass der Markt alles von selbst regle. Dagegen rief er auf
zur "Schlacht der Ideen".
Im zweiten Teil verteilte die Schauspielerin Julia Jentsch
drei Schmähpreise für unverantwortliche Unternehmen. Den
Hauptpreis erhielt der Schweizer Pharmakonzern Roche. Deswegen: Roche
lässt CellCept, sein Medikament für Organtransplantationen,
in China testen. Dort aber kommen 90 Prozent der Organe von
Hingerichteten. Alle anderen Unternehmen stoppten ihre Studien in
China. Roche nicht - mit der Begründung, "nicht für die
Herkunft der Organe verantwortlich zu sein".
Als speziell skrupellos wertete man an Public Eye, dass
CellCept weitere Studien gar nicht nötig hat: Es ist bereits
überall zugelassen. Somit erscheinen die Tests vor allem als
Marketingmassnahme für den chinesischen Markt. China ist der
führende Anbieter für Organtourismus in der Welt (Mit Preisen
für 85 000 Franken für eine Leber.), weil China mehr Leute
hinrichtet als alle anderen Länder der Erde zusammen. Besonders
viel Organe sind jeweils um den Nationalfeiertag, den 1. Oktober, herum
zu haben. Dieser wird "zur Stabilisierung der Gesellschaft" mit
Massenhinrichtungen geehrt.
Und sonst? Es blieb die Frage an Stiglitz zum Kampf der
Ideen. Fürchtete er nicht dasselbe Schicksal wie Nobelpreiskollege
Paul Krugman? Dieser schrieb, eine seiner grössten Naivitäten
habe darin bestanden, zu glauben, Bosse in Banken und Politik
änderten ihre Haltung, wenn sich ihre Ideen als falsch erwiesen.
Und der dazu den Schriftsteller Upton Sinclair zitierte: "Es ist
schwierig, einem Mann etwas beizubringen, wenn sein Gehalt davon
abhängt, diese Sache nicht zu verstehen."
Aber Stiglitz sass in New York fest.
Constantin Seibt
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Bund 28.1.10
Kritiker Vor zehn Jahren wurde die Globalisierungskritik in
Rauch und Tränengas geboren. Heute herrscht Ruhe.
Der Protest fährt nun in der Limousine vor
Constantin Seibt
Es waren 350 Leute, die letzten Sonntag in Luzern gegen
die Globalisierung und das Weltwirtschaftsforum (WEF) demonstrierten -
und nicht einmal eine Planke der Kapellbrücke ging zu Bruch.
Dafür tun manikürte Hände jetzt ihre Arbeit. Etwa die
gepflegten von Lord Adair Turner, einem stocksteifen Technokraten der
britischen Bankenaufsicht: Er beschreibt das Bankensystem als
"unnütz für die Gesellschaft" und fordert die Tobin-Steuer -
eine Promilleabgabe auf alle Finanztransaktionen, welche die
Spekulation verteuern. Noch vor zehn Jahren hätte man Worte wie
von Lord Turner nur auf Flugblättern gelesen. Heute teilen seine
Meinung die Leute, die früher Städte belagert haben, um gegen
Treffen von Merkel, Brown und Sarkozy zu protestieren. Die
Globalisierungskritik findet nicht mehr auf der Strasse statt, sie
fährt in der gepanzerten Limousine vor.
Die Geburt eines Gespenstes
Am 30. November 1999 in Seattle tauchte die
globalisierungskritische Bewegung wie aus dem Nichts auf: 50 000 gut
vorbereitete Demonstranten blockierten das Kongresszentrum der
Welthandelsorganisation (WTO), die überrumpelte Polizei griff zu
Knüppel und Tränengas, drei Tage Chaos und Brutalitäten
folgten. Am Ende reisten die WTO-Delegierten frustriert ab - ohne sich
auch nur auf eine Abschlusserklärung geeinigt zu haben.
Die Geburt in Chaos, Triumph und Widersprüchen war
typisch für die junge Bewegung: Die 50 000 Protestierenden waren
nämlich nicht aus dem Nichts gekommen, sondern aus Hunderten von
kleinen und kleinsten Politgruppen, die sich über das brandneue
Internet vernetzt hatten. Erstmals in der Geschichte drehten in Seattle
Digitalkameras, alles wurde auf einer Webseite publiziert,
indymedia.org, die in jener Woche mehr Hits verbuchte als cnn.com.
Der Aufruhr galt der WTO - 1995 mit dem Ziel
gegründet, durch den freien Handel die Armut zu lindern, dazu
benützt, die geschützten Märkte der einzelnen
Länder für internationale Konzerne zu knacken. Die WTO hatte
im Jahr zuvor ihre erste grosse Blamage erlitten: Sie hatte die an sich
stabilen Schwellenländer Asiens dazu überredet, ihre
Kapitalmärkte zu öffnen. Worauf die Finanzgemeinde Unsummen
investierte - ein Tsunami aus Geld mit Immobilienblase und hektischen
Konzernübernahmen folgte. Dann, als der Profit stagnierte, zog das
Kapital in Panik ab. Und liess wie jede Springflut Zerstörung
zurück - mit fast bankrotten Ex-Tigerstaaten und einer weltweiten
Börsenkrise.
Der spektakuläre Erfolg der Protestbewegung, das
Platzen der WTO-Konferenz, war jedoch nicht auf die Einsicht der
Delegierten zurückzuführen. Und auch nicht auf den Protest.
Sondern darauf, dass US-Präsident Bill Clinton Minimalstandards
für Arbeiterrechte durchsetzen wollte - weniger aus Idealismus,
als um die US-Unternehmen vor Billigkonkurrenz zu schützen.
Drittweltländer, und zwar eher diktatorische, deren einziger
Wettbewerbsvorteil die Hungerlöhne waren, liessen die Konferenz in
der Folge abstürzen. Es war ein grosser Sieg - mit
Widersprüchen, aber mit Schwung. Zwei Monate später
eskalierte eine fröhliche Strassenschlacht am WEF - und seither
war die Bewegung in der begeisterten Weltpresse ein frisches
Phänomen: faszinierend heterogen, idealistisch, gewaltig und
gewalttätig sowie internetbasiert: "Eine andere Welt ist
möglich."
2001 fand zum ersten Mal ein Weltsozialforum (WSF) statt.
Gedacht als Gegenveranstaltung zu den Gipfeln der WTO, des WEF und den
Treffen der Regierungschefs der G8-Staaten kamen die Kritiker der
Globalisierung im brasilianischen Porto Alegre zusammen. Dieses Jahr,
zum zehnjährigen Jubiläum, ist das Weltsozialforum nach Porto
Alegre zurückgekehrt.
Das grosse Auftauen
Die Bewegung war zersplittert, aber bunt, ein Kind ihrer
Zeit: Ihre Mutter war die Revolution des Internets und der
New-Economy-Blase. Ihr Vater die Enttäuschung: "Wo sind die
Individualhubschrauber geblieben, die man uns immer versprochen hat?",
fragte der Schriftsteller William S. Burroughs. Und die Bewegung
fragte: "Wo ist die freundliche Welt geblieben, die man uns nach dem
Fall des Eisernen Vorhangs versprochen hat?"
Die Kapitalismuskritik artikulierte sonst Ungesagtes: zur
Schockliberalisierung des Ostblocks, zu den Strudeln der
Finanzmärkte, zur Politik, die den Konzernen gab, was sie
verlangten. Nur so konnte ein derart umständlicher Schreiber wie
Ignatio Ramonet so enormen Erfolg haben: Ein einziger
schwerfälliger Artikel über ein exotisches Thema wie die
Tobin-Steuer rief eine Begeisterung hervor, dass sich europaweit
Zehntausende zu einem Klub zusammenschlossen, der diese Steuer
forderte: Attac.
Bezaubert waren auch die Medien: Digital- und TV-Kameras
verbrüderten sich. Immer mehr Leute marschierten gegen das WEF und
die G8-Gipfel auf, die sich in militärische Sperrgebiete
verwandelten: Die Macht brachte Stacheldraht, Hubschrauber,
Sondergesetze hervor. Als die Demonstranten 2001 von Davos nach
Zürich verschoben wurden - und die Stadt brannte, titelte der
"Blick": "Polizeiterror!" 2002 floh das WEF aus Angst vor den
Demonstrationen und aus Ärger über die angeblich zu
nachsichtigen Behörden nach New York.
Es war der Moment, als die Anti-Globalisierungs-Bewegung
ihr Erpressungspotenzial verlor. Zum G8-Gipfel im Juli 2001 in Genua
kamen über 100 000 Menschen. Die Polizei griff an, prügelte,
verhaftete, folterte, der Demonstrant Carlo Giuliani wurde erschossen.
Die Panik in den Strassen zeigte, dass die Massendemonstration nicht
mehr zu steuern waren. Dann, nach dem 11. September, fiel auch noch der
Motor aus: die amerikanischen Polit-NGOs. Sie hatten in der
patriotischen Stimmung nach dem Attentat keine Chance mehr, mit ihrer
Kritik anzukommen.
Am Ende: Die Profis
Was blieb, waren die Profis, Tausende NGOs vom
Einprotestbüro bis zu konzernähnlichen Organisationen, die
weiter ihren Job taten: Konzerne und Regierungen einzuschüchtern,
Skandal zu machen und so Spenden zu erhalten. Sie waren wieder allein.
Die wahre Melancholie aber ergriff die Profis in der letzten Zeit: die
Melancholie des Déjà-vu. Wieder brandete der Tsunami der
unregulierten Finanzmärkte an, wieder hinterliess er
Verwüstung. Doch diesmal nicht in Brasilien, Thailand, Russland,
sondern im Zentrum der Business-Welt: in den Banken Europas und der USA.
Nun ist die ehemals kühne Kritik an Deregulierung,
Finanzströmen und falschen Anreizen Banalität geworden; der
Plan einer weltweiten Tobin-Steuer kommt nun aus den
Regierungspalästen - nicht, um, wie einst erträumt, die
Länder des Südens zu stützen, sondern um die enormen
Summen zu decken, die man den eigenen Banken in den Rachen schaufeln
musste.
Kurz: Die Globalisierungskritik ist nun, da nicht mehr die
Unterschicht, sondern die Oberklasse betroffen ist, zum Gemeingut
geworden. Doch auf der Reise zum Establishment verloren die Ideen das,
was man auf dieser Reise immer verliert: Naivität und Hoffnung.
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ANTI-WEF LU
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WoZ 28.1.10
Anti-Wef-Panik-Wie Luzerns Lokalpresse einen Krawall
herbeizuschreiben versuchte und ein Menschenrecht forderte.
Mediale Krawallerie
Von Dinu Gautier
Januar. Schmierenkomödienzeit. Anti-Wef-Demo-Zeit.
Jedes Jahr, an mindes tens einem Ort der Schweiz, darf die Lokalpresse
Krawalle befürchten (und insgeheim herbeisehnen). Sie darf
Randalebilder aus dem Archiv holen und mit hyperventilierenden Gewerbe-
und Politiktreibenden das Januarloch stopfen.
Am Samstag war es in Luzern so weit. In Bewegung gesetzt
hatte sich die media le Krawallerie aber schon am 6.
Januar. "Es gab bisher noch keine Anti-Wef-Demo ohne Ausschreitungen",
gab "Sicherheitsexperte" und CVP-Gardist Pius Segmüller im
morgendlichen Gratisblatt bekannt. Unwidersprochen. Dabei gäbe es
Dutzende Beispiele gesetzeskonformer Anti-Wef-Demos.
Heitere Panik
Ähnlich kompetent das Gratisblatt am Abend, ein paar
Tage später: "Angst vor Anti-Wef-Demo". Dazu ein Bild mit
Wasserwerfern und martialischen Polizisten. Legende: "Schlimme
Szenen:Anti-Wef-Demo in Bern am 19. Januar 2008." Wäre darunter
nicht noch ein als Artikel getarntes Communiqué der lokalen SVP
gestanden, das Arrangement hätte an Subversion gegrenzt (an jener
Demo hatte es keine Sachschäden gegeben. Wenn jemand für
schlimme Szenen gesorgt hatte, dann die Berner Polizei mit zahlreichen
Präventivfestnahmen.)
Der Präsident der Stadtluzerner SVP befürchtete
nun keine Ausschreitungen mehr, sondern prognostizierte sie. In der
bezahlten (Monopol-)Presse ging die heitere Panik munter weiter.
Gewerbetreibende rechneten mit Gewalt und Umsatzeinbussen. Am Schluss
war man dankbar, als die Polizeidirektorin (Ursula Stämmer,
Law-and-order-Flügel der SP) einer Journalistin geduldig
erklärte, dass eine Demo nicht nur durch Industriequartiere
führen kann, da sie ja gerade bezweckt, gesehen zu werden.
Arme Kundschaft
Am Samstag ist es so weit. Etwa 400 DemonstrantInnen
ziehen auf einer mühsam ausgehandelten Route
("Güterabwägung!") durch halbbelebte Strassen, umringt von
Zivilpolizisten und Bürgern, die gerne Zivilpolizisten wären
(und deshalb fleissig knipsen).
Es bleibt ruhig. Happy End? Nein. Zugabe: Schon am Montag
fordert die SVP rückwirkend, die Polizei hätte eingreifen
müssen (es hatte ein paar Vermummte). Jetzt ist also die für
einmal recht diskrete Polizei schuld daran, dass es keine
Ausschreitungen gab und sich die Prognose des SVP-Präsidenten
nicht bewahrheitet hat. Die morgendliche Gratiszeitung outet die
Tochter der Polizeidirektorin, laut dem SVP-Präsidenten hat sie
sich an der Demo beteiligt (sie hätte sich vermummen sollen). Als
Finale der Kommentar in der sonntäglichen Bezahlzeitung der
Zentralschweiz: "Vom friedlich verlaufenen Anlass darf man sich nicht
blenden lassen. (...) Eine Demonstration mitten in der Stadt und zur
besten Einkaufszeit hält viele Kunden ab, (...) in die Stadt zu
gehen." Und Zeitungsartikel? Kein Wort davon, dass auch die einen davon
abhalten können.
Dann, gegen Ende des Kommentars, die Sensation: "Es
besteht nicht nur ein Recht zu demonstrieren, sondern auch ein
Menschenrecht auf Arbeit." Und das ist jetzt höchst subversiv:
klammheimlich die Forderung nach Vollbeschäftigung einschmuggeln.
Bravo! Applaus! Fertig Schmierenkomödie.
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NLZ 28.1.10
Polizeikosten-Überwälzung
Demo führt zu Rechtsproblem
Interview von Tobias Weibel
Das Parlament will, dass Demo-Veranstalter zur Kasse
gebeten werden. Das ist rechtlich problematisch, sagt der
Rechtsprofessor.
Am Dienstag beauftragte der Kantonsrat die Regierung,
griffigere Instrumente zu schaffen: Künftig sollen nicht nur
kommerzielle Veranstalter, sondern auch Organisatoren politischer
Kundgebungen an die Polizeikosten zahlen.
Markus Müller, verstösst die
Überwälzung von Polizeikosten auf Demo-Veranstalter gegen das
Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit?
Markus Müller*: Eine schwierige Frage. Eine
Kostentragungspflicht berührt in jedem Fall die Grundrechte. Ein
Grundrecht ist aber nicht in Stein gemeisselt, sondern kann
eingeschränkt werden. Dafür braucht es aber erstens eine
gesetzliche Grundlage, welche die Voraussetzungen für eine solche
Kostenüberwälzung möglichst klar regelt. Zweitens muss
eine solche Massnahme einem öffentlichen Interesse dienen.
Drittens hat sie das Verhältnismässigkeitsprinzip zu beachten.
Wie merkt man, dass ein solches öffentliches
Interesse besteht?
Müller: Das Postulat, das der Luzerner Kantonsrat am
Dienstag überwiesen hat, ist bereits ein Indiz dafür. Ferner
kann das öffentliche Interesse darin bestehen, das
Verantwortungsbewusstsein der Veranstalter zu schärfen oder
Demonstrationen mit hohem Ausschreitungspotenzial generell zu
verhindern. Denn der Steuerzahler hat ein grosses Interesse daran, die
Kosten eines Polizeieinsatzes zu begrenzen.
Darf man eine Demo verhindern, indem man die Organisatoren
zur Kasse bittet?
Müller: Nein. Demonstrationen ideeller Natur sind
verfassungsrechtlich geschützt. Einer Gruppierung darf das Recht
auf eine Kundgebung nicht prinzipiell verweigert werden. Darauf
würde es im Ergebnis aber meistens hinauslaufen, wenn ihr die
gesamten Sicherheitskosten übertragen würden.
Konkretes Beispiel: Eine politische Splittergruppe mit
niedrigem Organisationsgrad macht eine Demo. Wie soll sie Geld für
den Polizeieinsatz aufbringen?
Müller: Natürlich hat diese Gruppierung nicht
die Möglichkeit, die entstehenden Kosten auf die
Kundgebungsteilnehmer abzuwälzen. Deshalb muss die gesetzliche
Grundlage flexibel ausgestaltet sein und dem Organisationsgrad
beziehungsweise der Finanzkraft des Veranstalters Rechnung tragen.
Die Kantonspolizei darf bereits Gebühren für
ihre Einsätze verlangen. Ist ein neues Gesetz überhaupt
notwendig?
Müller: Das bestehende Gesetz deckt schon sehr vieles
ab. In meinen Augen ist es sogar eine sehr schlaue Norm, weil sie eine
flexible Handhabung erlaubt. Die Möglichkeit, Kosten auf
Veranstalter von Kundgebungen zu überwälzen, gibt es schon
jetzt. Allerdings könnte man dies, in Erfüllung des
Postulats, in der bestehenden Verordnung noch etwas präziser
regeln.
Würde es das heutige Gesetz erlauben, auch für
Grossereignisse wie die Fasnacht eine beteiligung an den
Sicherheitskosten zu fordern?
Müller: Absolut! Es wäre grundsätzlich
möglich, alle Veranstaltungen auf öffentlichem Grund
kostenpflichtig zu erklären. Allerdings ist das öffentliche
Interesse an der Fasnacht gross. Deshalb wäre es denkbar, sie von
der Gebührenpflicht auszunehmen.
Hinweis: * Markus Müller, 50, ist Professor für
öffentliches Recht an der Universität Bern
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Polizeikosten
Umsetzung diffizil
Kann man den Willen der Luzerner Parlamentsmehrheit - die
weitgehende Überwälzung der Polizeikosten an Veranstalter
politischer Demos - überhaupt verfassungsverträglich
umsetzen? "Wir prüfen jetzt, ob eine solche Möglichkeit
besteht", sagt auf Anfrage Reto Ruhstaller, juristischer Mitarbeiter im
Justiz- und Sicherheitsdepartement. "Aber weil die Grundrechte, also
die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, garantiert bleiben müssen,
ist das tatsächlich problematisch."
Randalierer bezahlen
Anders sehe es aus, wenn eine Kundgebung eskaliere. Dann
darf die Polizei die vollen Einsatzkosten den einzelnen Randalierern
und den Veranstaltern verrechnen.
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20 Minuten 28.1.10
Demo-Vorstoss: SVP krebst zurück
LUZERN. Die SVP der Stadt Luzern macht in ihrem Vorstoss
zur Anti-Wef-Demo einen Rückzieher. In einer ersten Version wollte
sie vom Stadtrat noch wissen, wie er zur Demo-Teilnahme der Tochter von
Sicherheitsdirektorin Ursula Stämmer stehe (20 Minuten
berichtete). Am Dienstag dann der Rückzug: Die Partei reichte eine
zweite, entschärfte Version ein - diesmal allerdings nicht
öffentlich. Die Frage zu Stämmers Tochter flog raus. "Wir
machen innerhalb der Fraktion immer eine Vernehmlassung", erklärt
Grossstadtrat Urs Wollenmann. "Wenn jemand unzufrieden ist mit einem
Punkt, so wird er gestrichen." Man habe sich im Vorstoss auf die
wichtigen Punkte konzentrieren wollen. dag
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SPORT
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WoZ 28.1.10
Fankultur
Gewalt im Fussball - Mit Alkoholverboten und einem
falschen Hooliganbegriff ist der Fansubkultur nicht beizukommen.
Tagebuch der Ratlosigkeit
Mit einem ultrarepressiven Kurs wollen sie den
"Ultrasumpf" austrocknen - dabei verstehen die kantonalen Justiz- und
PolizeidirektorInnen die Jugendkultur der Fans gar nicht. An einem
"Runden Tisch gegen Gewalt im Sport" wurden sie letzte Woche zwar von
PraktikerInnen der Sportverbände und der Fanarbeit gebremst,
dennoch müssen sie mit Gegendruck engagierter Fans rechnen - und
vielleicht auch dem anderer ZuschauerInnen, die im Stadion zur
Bratwurst gerne ein richtiges Bier trinken.
Von Pascal Claude
Er war mit Spannung erwartet worden, nun zucken die Fans
mit den Achseln: Der siebte "Runde Tisch gegen Gewalt im und um den
Sport" brachte keine Ausdehnung des ultrarepressiven Kurses, den die
Konferenz der kantonalen Justiz- und PolizeidirektorInnen unter
Führung von Karin Keller-Sutter im vergangenen Jahr eingeschlagen
hatte. Im Gegenteil: Der am letzten Freitag verabschiedete
Massnahmenplan liest sich mit wenigen Ausnahmen wie eine weitere Seite
im Tagebuch der Ratlosigkeit, das Verbände, Ligen, Bund, Kantone
und Städte führen, seit sie der Fangewalt den Kampf angesagt
haben. Es habe sich "die Vernunft durchgesetzt", sagt Marc Furrer, der
Präsident des Eishockeyverbandes (vgl. Interview).
Als eine der am lautesten diskutierten Massnahmen, die der
Runde Tisch "mittelfristig" für Fussballstadien vorsieht, soll an
den Spielen nur noch Leicht- statt Normalbier ausgeschenkt werden, an
"Hochrisikospielen" (hauptsächlich Partien zwischen den Vereinen
YB Bern, FC Zürich, GC Zürich und FC Basel) würde gar
nur alkoholfreies gezapft. Diese Art oraler Bevormundung ist vielerorts
aber längst bekannt, genau wie die Konsequenz: Bei internationalen
Spielen, an denen seit Jahren Alkoholverbot herrscht, türmen sich
vor den Eingängen Berge aus zertretenen Bierdosen. Wer trinken
will und es im Stadion nicht kann, tut es davor, so, dass es bis
Spielschluss reicht. Selbst Sicherheitsinspizienten der Liga greifen,
wie vor dem Meisterschaftsfinale FCB-YB im Frühling 2008
beobachtet, zur Dose, wenn drinnen Trockenheit verordnet wird. Den
Alkohol bringt nur aus dem Stadion, wer die Trinkenden aussperrt. Das
erfordert Eingangskontrollen, die die bisherige Mühsal beim
Anstehen um ein Vielfaches übersteigen. Vor allem, weil - einmal
mehr - auch der Kampf gegen Pyrotechnik intensiviert werden soll.
Das Pyroverbot als Problem
Die Gleichsetzung von Feuerwerk mit "gewalttätigem
Verhalten" im Hooligangesetz (BWIS II) entpuppt sich als
unüberwindbares Hindernis auf dem Weg zu einer Annäherung
zwischen Ligen, Vereinen und Fans in den Kurven. Selbst
Sicherheitsverantwortliche moderner Stadien wie die in Bern oder Basel
halten es für einen grossen Fehler, die Pyrozünder zu
Hooligans hochzustilisieren (wie eine im FC-Basel-Forum publizierte
Bachelorarbeit der Uni Freiburg zeigt). Nicht nur machen sich
VerfechterInnen der Pyrokultur einen Sport daraus, die Petarden und
Fackeln trotz immer rigoroserer Kontrollen ins Stadion zu schmuggeln -
es wird mehr gezündet denn je. Die öffentliche und mediale
Verteufelung als Folge einer kompletten Umdeutung des Stimmungsmittels
Pyrotechnik innert zehn Jahren führt auch zu einer unheiligen
Allianz aller als Hooligans Verschriener: Steinewerfer, Bierduscher,
Fackelträger, Schläger. So heterogen Fanszenen auch sein
mögen: Gegen Druck von aussen wehren sie sich kompakt.
Gegebenenfalls auch über die Vereinsfarben hinaus, wie die
erfolgreichen Aktionen im Sommer 2006 zeigten, als der erste Versuch,
einen Fanpass einzuführen, scheiterte.
Zieh dich aus, Fan!
Auch der Plan einer Leibesvisitation bis auf die
Unterhose, wie sie Sportminister Ueli Maurer und SFV-Präsident
Peter Gilliéron verbreiten, ist nicht neu: Der Autor selbst
hatte sich 2001 für die WOZ ausgezogen, um als Servette-Fan
getarnt in den Gästeblock des Espenmoos zu gelangen. Der
berüchtigte "St. Galler Container" wurde jedoch wieder entfernt,
die Massnahme ging selbst der Liga zu weit. Der Text über den
Strip schaffte es 2004 immerhin in den Band "Die 100 schönsten
Schikanen gegen Fussballfans".
Pius Valier, Kommandant der Stadtpolizei St. Gallen und
Oberleiter der nationalen Projektgruppe Sicherheit im Sport, sprach
2009 in der "Sportlounge" des Schweizer Fernsehens von den Fans als
"Jugendkultur". Das waren neue Töne, gerade von Polizeiseite.
Tatsächlich entsteht eine Vielzahl jener Phänomene, die der
Runde Tisch als Probleme bekämpfen will, allein durch die Masse
Jugendlicher und junger Erwachsener, die sich jedes Wochenende als Fans
eines Vereins gut gelaunt quer durch die Schweiz bewegen. Erst das
geballte Auftreten von Auswärtsfahrenden führt dazu, dass
PassantInnen an den Bahnhöfen erschrecken, dass die Polizei zur
Trennung der Lager aufmarschiert und dass Extrazüge eingesetzt
werden, die die Fahrt nicht immer heil überstehen. Dass Fans zu
Hunderten Auswärtsspiele besuchen, ist in der Schweiz ein
vergleichsweise neues Phänomen. Es ist bezeichnend, dass kaum
jemand diesen subkulturellen Trend erforscht, sich aber Runde Tische
formieren, die über dessen Zähmung oder Erstickung beraten
und PolizeidirektorInnen zur Repressionsschulung durch halb Europa
reisen.
Gelassene Ultras
Im Gespräch mit engagierten Fans verschiedener Lager
wird deutlich, dass sie sich in einer Position der Stärke
wähnen und entsprechend gelassen auf die angekündigten
Massnahmen reagieren. Sie werden sich per Fancard kaum als
"Jugendkulturelle" registrieren und überwachen lassen - und denken
auch nicht daran, künftig vielleicht Busse oder Züge zu
chartern, wie das die SBB gerne hätte. Den bürokratischen und
finanziellen Aufwand und das Haftungsrisiko als Charterkunde tragen:
Das macht ein Fandachverband vielleicht für ein Europacupspiel in
Italien, nicht aber alle zwei Wochen für ein Schweizer Meis
terschaftsspiel. Dann bieten sich schon die Regelzüge an, die die
SBB doch um jeden Preis frei von Fans halten möchte.
Wenn Kantone und Städte, gestützt auf ein
Bundesgerichtsurteil, künftig bis zu achtzig Prozent der Kosten
eines Polizeieinsatzes auf die Klubs überwälzen - es sei
denn, diese kooperieren, dann gibts Rabatt -, werden die Vereine den
Druck auf ihre Basis erhöhen, um die Zielvorgaben zu
erfüllen: Stadionverbote werden noch schneller ausgesprochen und
noch seltener aufgehoben, Daten noch freizügiger den Behörden
weitergegeben. Dies führt, wie die KKJPD am Beispiel Freiburg im
Breisgau bestaunte, zur "Trockenlegung des Ultrasumpfs". Oder zu noch
mehr Gegendruck.
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Fankultur
Marc Furrer-Der Verwaltungsrat des Eishockeyverbands will
strengere Kontrollen.
"Richtiges Bier gehört dazu"
WOZ: Noch im November verkündete die Konferenz der
Kantonalen Jus tiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) eine Reihe
umstrittener Massnahmen gegen Gewalt im Sport. Darunter ein allgemeines
Stehplatzverbot, ein Alkoholverbot in Stadien und eine obligatorische
gemeinsame Anreise von Gästefans. Diese drei Punkte sind nun vom
Tisch (vgl. Kasten). Ist die KKJPD gescheitert?
Marc Furrer: Ich glaube nicht, dass man von Scheitern
sprechen muss, vielmehr hat sich die Vernunft durchgesetzt. Es sollten
nur Massnahmen ergriffen werden, die wirklich etwas bringen und nicht
den ganzen Sport kaputt machen. Insofern ist es zu begrüssen, dass
gewisse Massnahmen fallen gelassen wurden. Überhaupt wird die
Sicherheitsdiskussion viel zu allgemein geführt. Klar kann eine
Liga koordinieren und gewisse Vorschriften erlassen, Sicherheitsfragen
müssen Sie aber immer punktuell lösen.
Ein Kompromiss sieht vor, dass in Fussball- und
Eishockeystadien künftig nur noch alkoholreduziertes Bier
ausgeschenkt werden soll ...
Es gehört zu einem Eishockeyspiel, dass man eine
Bratwurst und ein richtiges Bier konsumiert. Dass man jetzt alle Leute
bestraft, nur weil draussen ein paar Leute randalieren, das verstehe
ich ehrlich gesagt nicht. Zudem bieten viele Brauereien gar kein
Leichtbier an. An Heimspielen der Langnau Tigers wird etwa Bier von
Egger ausgeschenkt - die brauen kein Leichtbier. Die
Rapperswil-Jona-Lakers haben einen Vertrag mit Heineken - auch unter
dieser Marke gibt es kein Leichtbier. Im Eishockey gibt es zudem
innerhalb der Stadien selten Probleme. Auch das spricht gegen
Restriktionen beim Alkoholkonsum.
Ein Thema bleibt die sogenannte Fancard. Werden sich die
Fans künftig registrieren lassen müssen?
Nein. Es wird auch künftig Leute geben, die nur ab
und zu einen Match besuchen. Denen können wir den Zutritt doch
nicht verwehren, nur weil sie keine Fankarte besitzen. Was wir planen,
ist eher eine Mitgliedskarte, mit der man Fanartikel billiger einkaufen
oder im Restaurant günstiger essen kann. Mit Sicherheit hat die
Karte direkt aber kaum etwas zu tun.
Wer keine Karte hat, soll sich stattdessen am Eingang
ausweisen müssen.
Da sind wir ganz klar dafür, geht es doch um die
Einhaltung der Stadionverbote. Die Kontrollen müssen noch strenger
werden. Auch Betrunkene sollen nicht eingelassen werden. Das sind
Massnahmen, die etwas bringen.
Der Runde Tisch wünscht sich Leibesvisitationen.
Sportminister Ueli Maurer und Peter Gilliéron, der
Präsident des Fussballverbandes, schliessen nicht aus, dass sich
Fans künftig am Stadioneingang werden ausziehen müssen. Indem
sie ein Ticket kaufen, würden sie dazu die Einwiligung geben.
Dass sich jemand nackt ausziehen müsste, das kann ich
mir nicht vorstellen. So etwas wollen wir nicht. Diese Pläne
beziehen sich wohl eher auf den Fussball, im Eishockey werden viel
weniger Pyros gezündet als im Fussball.
Die Eishockeyliga investiert kein Geld in die Fanarbeit.
Und auch die Clubs sind nicht spendierfreudig. Nur gerade der SC Bern
verfügt über bezahlte FanarbeiterInnen ...
Wir überprüfen das gerade. Wir haben eine Studie
in Auftrag gegeben, die uns einen Überblick zur Fanarbeit Schweiz
geben soll und die im Februar vorliegen wird. Uns interessiert nicht
nur, wo Fanarbeit betrieben wird, sondern auch, wie sie gemacht wird
und wie wirksam sie ist. Dann werden wir entscheiden, was wir
künftig machen und ob wir als Liga Gelder sprechen. Wir stellen
gerade bei Sicherheitsleuten fest, dass manchmal die Freiwilligen
gerade so gute Arbeit leisten wie die Professionellen. Es kann auch
gute Fanarbeit geben, ohne dass Sie viel Geld dafür ausgeben.
Was versprechen Sie sich von Fanarbeit?
Es ist wichtig, dass die Clubs einen guten Kontakt zu den
Fans haben. Wenn eine Fangruppe ausrastet, braucht es einen
Fandelegierten, der hingehen und sagen kann: ‹Wenn ihr weiter Radau
macht, schadet ihr dem Club, und ihr kriegt Schwierigkeiten.› In der
Regel klappt das schon heute sehr gut. Das Ziel der Fanarbeit ist, dass
man die Fans unter Kontrolle hat.
Interview: Dinu Gautier
Marc Furrer (58) ist Präsident des Aufsichtsrats der
Eishockey-Nationalliga und Verwaltungsrat des Eishockey verbandesund
Präsident der eidgenössischen Kommunikationskommission ComCom.
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Der runde Tisch
Letzte Woche fand in Bern der siebte "Runde Tisch gegen
Gewalt im und um den Sport" statt. Eingeladen hatte Bundesrat Ueli
Maurer, gekommen waren VertreterInnen der kantonalen
PolizeidirektorInnen und -kommandantInnen, Delegierte der Städte,
Beamte aus den Bundesämtern für Sport und Polizei, Vertreter
von Swiss Olympic und der Fussball- und Eishockeyverbände. Auch
die Fanarbeit Schweiz durfte sich "konstruktiv-kritisch" einbringen.
Der Runde Tisch kann formell keine Entscheidungen fällen. Seine
Beschlüsse sollen durch die TeilnehmerInnen umgesetzt werden.
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STIEG LARSON
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Bund 28.1.10
Hat Stieg Larsson seine Bestseller selber geschrieben?
Bruno Kaufmann, Stockholm
Bald sechs Jahre sind vergangen, seit der schwedische
Journalist Stieg Larsson an einem Hirnschlag starb. Wenige Tage zuvor
hatte der 50-Jährige drei Manuskripte beim Stockholmer Verlag
Norstedts eingereicht. Was damals weder Stieg Larsson noch sein
Verleger ahnen konnten: Die drei "Millennium"-Krimis "Verblendung",
"Verdammnis" und "Vergebung" sollten zu Bestsellern werden. Allein im
letzten Jahr verkauften sie sich weltweit über 20 Millionen Mal.
Das viele Geld hat öffentlich ausgetragene
Streitigkeiten zwischen jenen Personen ausgelöst, die sich als
Erben des genialen Geschichtenerzählers verstehen: Dazu
gehören die langjährige Lebensgefährtin Larssons, die
Architektin Eva Gabrielsson, sein Vater, sein Bruder und schliesslich
eine kleine trotzkistische Gruppierung in Nordschweden, der Larsson
länger als Mitglied angehört hatte.
In dieser Woche wird nun ein weiteres Kampffeld
eröffnet: Morgen erscheint beim Norstedts-Verlag die erste
Larsson-Biografie. Verfasst hat sie ein langjähriger
journalistischer Weggefährte, Kurdo Baksi. In "Mein Freund Stieg
Larsson" beschreibt Baksi den Journalisten Larsson als Workaholic, dem
der politische Kampf gegen die Rechten wichtiger war als das Befolgen
journalistischer Grundregeln. In der Zeitung "Dagens Nyheter" behauptet
ein anderer Arbeitskollege, Anders Hellberg, sogar: "Stieg Larsson
konnte gar nicht schreiben." Die Norstedts-Verlegerin Eva Gedin
hält dagegen: "Die Manuskripte, die er uns ablieferte, waren
brillant." Und wie beim Streit um das Erbe spielt auch in der neuesten
Larsson-Debatte Eva Gabrielsson wieder eine wichtige Rolle.
"Ich war mehr als die Korrekturleserin von Stiegs
Büchern", erklärte die Lebensgefährtin gegenüber
der dänischen Zeitung "Politiken" und fügte hinzu, "dass es
schwierig ist, zu bestimmen, wer in den ,Millennium-Romanen genau was
geschrieben hat". Damit nährt Larssons Witwe die These, dass sie
es war, die dem "schlechten Schreiber" Larsson stilistisch auf die
Sprünge half. Gleichzeitig bereitet sie damit die Lancierung ihrer
eigenen, bald erscheinenden Larsson-Biografie vor. Kaum anzunehmen,
dass dieses Buch alle Fragen um Larsson beantworten wird.
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FACEBOOK
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20 Minuten 28.1.10
Ohne Facebook ausgegrenzt?
Zürich. Laut einer Studie fühlen sich viele
Schweizer ohne Facebook- Zugang sozial isoliert. Experten warnen vor
einer hohen Suchtgefahr.
Ein Leben ohne Facebook? Für viele undenkbar: "Ich
verspüre einen konstanten Drang, auf Facebook zu gehen und zu
checken, was passiert ist." Wie der 21-jährigen Teilnehmerin einer
Studie zum Thema ergeht es vielen - beinahe eine Million Schweizer
loggt sich täglich auf der Internetcommunity-Site ein.
Das Experiment von Rod Kommunikation, bei dem 50 intensive
Facebooknutzer während 30 Tagen auf Entzug gesetzt wurden, zeigt:
Trotz anfänglicher Entzugserscheinungen zogen die meisten
Teilnehmer eine positive Bilanz. Statt Stunden auf Facebook zu
verbringen, gingen viele wieder einem vernachlässigten Hobby nach.
Viele fühlten sich aber sozial ausgegrenzt. Sie wurden nicht mehr
zu Partys eingeladen und konnten beim Klatsch im Freundeskreis nicht
mehr mitreden. Trotzdem nahmen sich 70 Prozent der Befragten vor, ihren
Facebookkonsum zu reduzieren, denn: "Der Kontakt zu Leuten, die ich
mag, wurde hochwertiger - die Qualität gesteigert, die
Quantität gemindert."
Fachleute warnen denn auch vor einer
Facebook-Abhängigkeit: "Neben Online-Games und Sexsites haben
Community-Plattformen ein hohes Suchtpotential", weiss Psychologe und
Internetsuchtexperte Franz Eidenbenz. Das Paradoxe an der
Facebooksucht: "Abhängige fühlen sich sozial bestens
vernetzt, dabei vernachlässigen sie in der Realität
persönliche Kontakte."
Wie stark diese Abhängigkeit sein kann, zeigt die
Aussage einer 27-Jährigen bei Antritt des Experiments: "Ich hab
gerade das Gefühl, dass ich ein Drogenentzugsprogramm starte,
soeben habe ich meine Seele verkauft."
Deborah Rast
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Schwierige Probandensuche
ZÜRICH. Die 50 Teilnehmer für die Studie zu
finden war nicht einfach, obwohl 300 Franken Belohnung winkten:
"Für weniger als 10 000 Franken pro Tag mach ich da nicht mit",
hiess es etwa. Viele begründeten ihre Absage auch damit, dass sie
im Moment auf Jobsuche seien und Facebook deswegen unverzichtbar sei.
Ähnlich klang es bei den angefragten Promis: " Ich bekomme
über Facebook geschäftliche Anfragen, deshalb lieber nicht",
meinte etwa Sängerin Nubya.
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Könntest du ohne Facebook leben?
"Facebook ist zwar eine super Sache, trotzdem brauche ich
es nicht zum Überleben."
Nora Hoxha (16) Thürnen BL
"Ja, denn ich habe auch ohne Facebook Freunde und
könnte deshalb gut darauf verzichten."
Dominik Christe (20) Winterthur
"Ja, ich kann problemlos auf Facebook verzichten. Meistens
schaue ich sowieso nur am Abend kurz rein."
Daniel Müller (18) Stettfurt TG
"Ja, ich bin nur dreimal pro Monat online. Aber meine
Schwester überlebt keinen Tag ohne Facebook."
Fabienne Christen (18) Stans