MEDIENSPIEGEL 10.2.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (GH)
- Sicherheitswahn: Gegen Gieskannen
- Antisemitismus: Alles gar nicht so schlimm...
- Sexwork BE: Businessplan + Melderegeln
- Reclaim the Street ZH: 031, RTS, Polizeimodelle
- Colours Zug
- Sempach: Polizei will Schlachtfeier
- Zivilstand Illegal ZH
- Anti-Atom: Faktor Uran

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REITSCHULE    
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Mi 10.02.10
19.00 Uhr - SousLePont - Baskenland Spezialitäten

Do 11.02.10
20.00 Uhr - Rössli-Bar - Capital Slam
20.30 Uhr - Tojo - "Clyde & Bonnie" von Holger Schober. Junge Bühne Bern. Regie: Sinje Homann. Schweizer Erstaufführung.
20.30 Uhr - Infoladen - Info-Tour Antirep Aarau

Fr 12.02.10
20.30 Uhr - Kino - Baskenland: 0Itsasoaren Alaba (La hija del mar), Josu Martinez, Euskal Herria (Baskenland) 2009
23.00 Uhr - Dachstock - Groovebox mit: SCSI-9 (live) (kompakt, pro-tez / RUS); Marc Depulse (live) (Ostwind Records, Kiddaz.FM, BluFin / DE); Jagged (live) (Quintessentials / be); Bud Clyde (festmacher / be).

Sa 13.02.10
20.00 Uhr - Kino - Veranstaltung zum Baskenland mit Gästen
20.30 Uhr - Tojo - "Clyde & Bonnie" von Holger Schober. Junge Bühne Bern. Regie: Sinje Homann. Schweizer Erstaufführung.
22.00 Uhr - SousLePont - Baskenland Soli: BERRI TXARRAK (EH, Alternativ Power Rock)
22.00 Uhr - Dachstock - Cool & Deadly presents: Rebellion the Recaller (Gambia- Live and Direct!) & Silly Walks Discotheque (Hamburg): Soundsystem Show, Jugglin by: Junior Pilot (Boss Hi-Fi) & Moya (More Fire).

So 14.02.10
19.00 Uhr - Tojo - "Clyde & Bonnie" von Holger Schober. Junge Bühne Bern. Regie: Sinje Homann. Schweizer Erstaufführung.
21.00 Uhr - Rössli-Bar - Dachstock presents: Aucan (I/Africantape). Support: duQtuç (CH)

Infos: http://www.reitschule.ch

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Bund 10.2.10

Reitschule lädt Sehende in die Welt der Blinden ein

 Bereits zum siebten Mal öffnet am Freitag die Blinde Insel ihre Tore. Man setzt auf bewährte Konzepte.

 Sebastian Meier

 Die Blinde Insel in der Berner Reitschule ist in den vergangenen Jahren zur Institution geworden. Bereits zum siebten Mal wird ein Team von zehn blinden Menschen seine sehenden Gäste ins Reich der Dunkelheit entführen. Der Besuch im hermetisch gegen das Tageslicht abgeriegelten Zelt dürfte für manchen Besucher zum anregenden Erlebnis für Geist und Gaumen werden.

 In diesem Jahr setzt man laut Giorgio Andreoli vom Betriebsteam der Grossen Halle der Reitschule auf bewährte Konzepte. Geblieben ist etwa das Motto des Anlasses: "Neben der Verständigung zwischen blinden und sehenden Menschen soll der Klimawandel im Zentrum des Anlasses stehen." In der Küche setzt man folgerichtig auf regionale Produkte, die von verschiedenen Kochteams in schmackhafte Dreigänger verwandelt werden. Die Menüs können von den Gästen wahlweise vor oder nach dem Essen eingesehen werden.

 Während des Essens lauschen die Gäste wie im letzten Jahr den Kurzgeschichten von Pedro Lenz, Endo Anaconda, Franz Hohler und anderen prominenten Wortakrobaten. Diese haben neue Texte zur Klimathematik verfasst und vertont. Die Kurzgeschichten sollen laut Andreoli das Kino im Kopf der Gäste aktivieren, während das Auge von jeglichem Reiz befreit ist.

 Neben Altbewährtem gibt es in der diesjährigen Ausgabe der Blinden Insel auch Neues zu bestaunen. So wirbelt direkt neben dem Zelt ein Tornado aus Wasserdampf elegant in einem Holzkasten. Entsprechend dem Motto des Anlasses wird die Installation mit Sonnenkollektoren auf dem Dach der Reitschule betrieben. Direkt daneben schmilzt in einer Dunkelkammer ein kleiner Gletscher langsam und leise knisternd vor sich hin. Das Projekt wurde von jungen blinden Künstlern realisiert.

 Geben und Nehmen

 "Die Blinde Insel ist für mich ein bisschen wie ein eigenes Kind", sagt Jolanda Gehri, die seit der ersten Durchführung vor sieben Jahren zum Serviceteam gehört. "Hier sind wir alle gleich." Oder eben doch nicht: In der Finsternis werden die alltäglichen Rollen für die Dauer einer Mahlzeit ins Gegenteil gekehrt. Der Sehende ist hilflos und bei jedem Schritt auf die Orientierungsfähigkeit der Blinden angewiesen. Es sei ein Geben und Nehmen zwischen Gästen und Personal. Man lerne die Bedürfnisse des Gegenübers kennen und überwinde Hemmschwellen, die im Alltag auf beiden Seiten bestünden, sagt Gehri.

 Dass sie auf der Strasse nur selten mit fremden Menschen ins Gespräch komme, sei zwar schade, aber verständlich. Es sei halt schwierig, sich in die Lage des jeweils anderen zu versetzen. Auch für sie sei die Arbeit in der Blinden Insel aber alles andere als Routine: "Ich habe jedes Mal Lampenfieber", sagt sie.

http://www.grossehalle.ch/blindeinsel

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SICHERHEITS-WAHN
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Bund 10.2.10

SP, GFL, GLP und EVP gegen "Sicherheit mit der Giesskanne"

 Das überparteiliche Komitee "Sicher mit Mass: Ja zum Gegenvorschlag" steigt gegen die Sicherheitsinitiative in den Wahlkampf.

 Die Stadt Bern braucht mehr Polizisten. Das ist für das Komitee "Sicher mit Mass: Ja zum Gegenvorschlag" unbestritten. Das Ko-Präsidium aus Mitgliedern von SP, GFL, GLP und EVP lancierte gestern im Politforum Käfigturm in Bern den Wahlkampf. "Die Frage ist nicht, ob man handeln muss, sondern wie und wo", sagte Nationalrätin Evi Allemann (sp). Die FDP-Initiative "Für eine sichere Stadt Bern" habe eine nötige Diskussion angestossen, hiess es. Sie schiesse aber über das Ziel hinaus.

 Der Gegenvorschlag fordert, die Präsenzzeiten der Polizei bis 2013 schrittweise um 20 000 Stunden zu erhöhen. Im Gegensatz zu einem zwingenden Mehraufwand von 45 000 Stunden, wie ihn die Initiative vorsieht, beschränke sich der Gegenvorschlag auf das Nötige und das in kurzer Zeit Machbare, sagte Stadträtin Barbara Streit-Stettler (evp). Gleichzeitig sei die Erhöhung der Polizeipräsenz "mit der Giesskanne" die falsche Lösung, so Nationalrat Alec von Graffenried (gfl). Statt die Mindestpräsenz der Polizei in der Gemeindeordnung festzuschreiben, sei Flexibilität gefragt. Man wisse, wo sich die Bevölkerung unsicher fühle. Der Gegenvorschlag erlaube dort besonders in den Nächten zwischen Donnerstag und Sonntag gezielte Verbesserungen.

 Das Komitee betonte den im Gegenvorschlag vorgesehenen Ausbau der Präventions- und Interventionsgruppe Pinto um 2,4 Vollzeitstellen. Die Polizei alleine schaffe keine Sicherheit. "Zu den Delikten, die Pinto verhindert hat, gibt es leider keine Statistik", sagte Manuel C. Widmer, Präsident der GFL Stadt Bern. Es werde aber nicht einfach werden, die Wählerschaft vom Gegenvorschlag zu überzeugen, sagte er. "Denn wir müssen konstruktiv argumentieren." Den Wahlkampf führt das Komitee grösstenteils im Internet und auf dem Internet-Netzwerk Facebook. (mra)

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Meinungen

Tribüne Deshalb haben wir die Initiative "Für eine sichere Stadt Bern" lanciert.

Die Lage in Bern lässt sich nicht schönreden

Philippe Müller

 Die Initiative "Für eine sichere Stadt Bern" möchte der zunehmenden Gewalt auf der Strasse begegnen. Natürlich, es gibt in der Welt gefährlichere Städte als Bern. Die Situation lässt sich aber nicht schönreden: Die Gewaltdelikte haben sich in Bern in 15 Jahren nachweislich fast verdreifacht. Für die Opfer sind die Erlebnisse traumatisch. Die Argumentation "Ich war noch nie in Gefahr, für mich brauchts nicht mehr Polizei" ist egoistisch und kurzsichtig: Ich war auch noch nie arbeitslos, trotzdem bin ich für eine gute Arbeitslosenversicherung.

 Aufgaben massiv gewachsen

 Die Initiative fordert massvoll mehr Polizei: umgerechnet zusätzlich 40 Polizisten, für die ganze Stadt, sechs Prozent vom bisherigen Bestand. Das wäre die erste Erhöhung seit 1982, seit gut 27 Jahren! Wenn andere Bereiche in den letzten 27 Jahren auch nur um sechs Prozent gewachsen wären, so schriebe die Stadt Bern längst schwarze Zahlen. Die Aufgaben der Polizei sind in dieser Zeit massiv gewachsen: Sportveranstaltungen, Demonstrationen, häusliche Gewalt, Computerdelikte etc. Die Polizei ist heute physisch und psychisch an ihren Grenzen, viele Wochenenden der Polizeibeamten sind mit Einsätzen belegt - und keinen Gewerkschafter kümmert es . . .

 Mit der Initiative würde nur der Bestand um sechs Prozent steigen, nicht aber die Kosten: Selbst nach ihrer Umsetzung ist die Polizei nämlich immer noch weniger teuer als 2007, vor der Integration der Stadt- in die Kantonspolizei. Der dadurch erzielte Synergiegewinn der Stadt Bern von sechs Mio Franken deckt die Kosten der Initiative mehr als ab. Das Geld ist also vorhanden. Apropos Geld: Für Soziales gibt die Stadt jährlich 130 Mio aus, für die Polizei 28. Einfach damit man die Relationen sieht.

 Gegenvorschlag bringt nichts

 Der Gemeinderat macht nun einen Gegenvorschlag mit nur 12 bis 14 zusätzlichen Polizisten. Was heisst das? Für eine 24-Stunden-Abdeckung bringt man damit gerade mal gut drei Mann ständig auf Platz. Und dies für das ganze Stadtgebiet. Das bringt natürlich nichts. Das weiss auch der Gemeinderat. Er will damit ja auch nicht die Sicherheit verbessern, er will nur die Initiative bodigen. Ohne die Initiative hätte er seinen Vorschlag nie gemacht: Noch vor zwei Jahren wehrte er sich im Parlament gegen jede Stärkung der Polizei. Ist die Sicherheitslage in den letzten zwei Jahren so viel schlechter geworden?

 Die von der Initiative geforderten 40 Polizisten sind das absolute Minimum, um überhaupt eine Wirkung in mehreren Stadtteilen zu erzielen. Dass nun ausgerechnet die Polizeigegner behaupten, der Gegenvorschlag wirke "schneller", ist zynisch und sachlich unzutreffend: 14 Polizisten sind natürlich schneller rekrutiert als 40, die ersten 14 davon sind aber genau gleich schnell da.

 Richtig ist, dass man dem Gewaltphänomen nicht nur mit Polizei begegnen soll. Das behauptet aber auch niemand. Es braucht weitere Massnahmen. Mit einer Initiative ist es aber nicht gestattet, mehrere Massnahmen vorzuschlagen, sonst ist sie ungültig (Prinzip der "Einheit der Materie").

 Auch Prävention verstärken

 Immerhin will die Initiative die allseits anerkannte Gewaltprävention verstärken, und zwar mit über 10 Personen; der Gemeinderat hingegen kommt mit gut zwei zusätzlichen Pinto-Leuten und nennt das dann eine "breite Prävention". Das kann man nicht ernst nehmen. Das Hauptmittel zur Gewährleistung von Sicherheit ist und bleibt die Polizei - dies ist ihre ureigenste Aufgabe. Und es ist die wohl zentralste Aufgabe jedes Gemeinwesens. Dafür hat dieses auch das Gewaltmonopol. Dazu braucht es aber eine funktionierende Polizei und keine überforderten, demotivierten Beamten, denen man weiterhin eine spürbare Entlastung verweigert.

 Wir haben erstmals seit 1982 die Gelegenheit, die Polizei in der Bundesstadt zu verstärken - und wenns so weitergeht, zum letzten Mal bis 2037. Deshalb: jetzt Ja stimmen zur Initiative und den Gegenvorschlag des Gemeinderats - ein abstimmungstaktisches Manöver - ablehnen.

 Philippe Müller

 Der Autor ist Fraktionspräsident der FDP im Berner Stadtrat und Urheber der Initiative "Für eine sichere Stadt Bern". Er ist Dipl. Ing und Fürsprecher und sitzt in der Geschäftsleitung der CSL Behring in Bern-Wankdorf.

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BZ 10.2.10

Abstimmung vom 7. März

 "Nicht bloss rechte Hysterie"

 SP, GFL, EVP und Grünliberale haben gestern für den Gegenvorschlag zur Sicherheitsinitiative der FDP geworben. Dieser sei im Gegensatz zur "überrissenen" Initiative finanzierbar und bringe "Sicherheit mit Mass".

 Für Alec von Graffenried, GFL-Nationalrat und früherer Regierungsstatthalter, ist der Fall klar: "Die Sicherheitslage war objektiv noch nie so gut wie heute." Alle Kriminalitätsstatistiken würden gegen unten zeigen - "wenn man sie richtig liest". Das gelte auch für jene Statistik, die im Abstimmungsbüchlein zur Sicherheitsinitiative abgedruckt ist und klar gegen oben weist. Laut dieser Kurve der Statistikdienste der Stadt Bern nahmen die Delikte gegen Leib und Leben zwischen 1998 und 2007 um fünfzig Prozent zu. Dies habe damit zu tun, dass heute viele Delikte unter Strafe gestellt seien, die früher nicht strafbar waren, argumentierte von Graffenried und nannte als Beispiel die häusliche Gewalt, welche erst seit 2004 strafbar ist.

 Allemanns Polizeiplädoyer

 Etwas weniger rosig fiel die Betrachtung der Sicherheitslage durch SP-Nationalrätin und Sicherheitspolitikerin Evi Allemann aus: "Wir dürfen das Thema Sicherheit nicht mit saloppen Verweisen auf relativ stabile Kriminalitätsstatistiken abtun - das wäre zu billig und zu einfach", appellierte sie vorab ans eigene Lager, "es gibt Entwicklungen, die aufhorchen lassen." So zeige eine Studie des Inselspital-Notfalls, dass Gewalt an Wochenenden sehr stark zugenommen habe. Zudem hätten sich die Polizeieinsätze rund um Sportveranstaltungen "vervielfacht" - diese Polizisten fehlten in der Innenstadt. "Es fragt sich nicht, ob man etwas machen muss, sondern wie viel man machen muss", folgerte Allemann: "Man darf den Ruf nach mehr Sicherheit nicht einfach als Hysterie von rechts abtun."

 Trotzdem sei die Sicherheitsinitiative der FDP der falsche Weg, befand die SP-Nationalrätin: "Sie gaukelt mit einseitigen Massnahmen mehr Sicherheit vor." Es brauche einen Blick über Bern hinaus. Schweizweit betrage der Überzeitberg bei der Polizei längst über eine Million Stunden. Das wirke sich gravierend auf die Arbeitsbedingungen und damit auch auf die Sicherheit aus. Die unterdotierten Polizeien hätten noch einen weiteren Negativeffekt: Kantone und Gemeinden würden Sicherheitsaufgaben an das Militär oder an private Firmen wie die Securitas delegieren. Darum müsse man mehr Mittel für die Polizei einsetzen und die Aufstockung der Polizeikorps an die Hand nehmen. "Der massvolle gemeinderätliche Gegenvorschlag zur Sicherheitsinitiative bietet hier eine Lösung, die über Bern hinausstrahlen muss."

 Stadträte fürchten Kosten

 Diese Wirkung würde natürlich auch die Initiative haben. Doch dem Unterstützungskomitee des Gegenvorschlags ist diese zu teuer: "Die 2,2 Millionen Franken des Gegenvorschlags sind für die Stadtfinanzen einigermassen verkraftbar", sagte EVP-Stadträtin Barbara Streit-Stettler mit Verweis auf das drohende Budgetdefizit. Bei Annahme der 5,8 Millionen teuren Initiative drohe die Gefahr, dass ausgerechnet bei präventiven Massnahmen wie der Schulsozialarbeit gespart würde.

 Auch für den grünliberalen Stadtrat Jan Flückiger stehen pekuniäre Argumente im Vordergrund: Es sei bekannt, dass der kantonale Polizeidirektor Hans-Jürg Käser den Ressourcenvertrag "schon lange" neu aushandeln und der Stadt einen höheren Betrag pro Polizeistunde verrechnen möchte. Mit Annahme der Initiative würde sich die Stadt in eine "denkbar ungünstige Verhandlungsposition" manövrieren. Dabei müsste sich doch der Kanton "angemessener" an den Kosten für die Einsätze an sportlichen und kulturellen Grossanlässen beteiligen: Fast ein Drittel der von der Stadt eingekauften Polizeistunden flössen in solche Events von überregionaler Bedeutung, sagte Flückiger - "doch bezahlen tut die Stadt alleine".

 Adrian Zurbriggen

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Reaktion

 FDP ist nicht amüsiert

 Leicht gereizt reagierte gestern die FDP auf die Pressekonferenz des neuen Pro-Gegenvorschlag-Komitees. Der Gegenvorschlag bringe sicherheitsmässig nichts, und die ergänzende Stärkung der Interventionstruppe Pinto werde nicht die versprochene Gewaltprävention leisten können. Schlicht falsch sei zudem die Behauptung, der Gegenvorschlag könne rascher umgesetzt werden: Die ersten 14 Polizisten wären bei der Initiative ebenfalls binnen zweier Jahre da. Die Grünliberalen seien mit der Unterstützung des Gegenvorschlags "im rot-grünen Lager angekommen", reklamiert die FDP.
 azu

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ANTISEMITISMUS
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Thuner Tagblatt 10.2.10

Nach Antisemitismus-Vorwürfen

 Die Gemeinde Sigriswil wehrt sich für ihren Ruf

 Sigriswils Gemeinderatspräsident Martin Sommer wehrt sich für die Bevölkerung: Antisemitismus sei nicht weit verbreitet.

 In ein Wespennest stach Mili Kusano aus Gunten in der Samstagsausgabe dieser Zeitung mit der Bemerkung, viele Sigriswiler und Sigriswilerinnen seien antisemitisch. "Auch in Sigriswil gibt es schwarze Schafe, die extrem eingestellt sind", reagierte gestern Gemeinderatspräsident Martin Sommer (PBS). "Dass der Antisemitismus bei uns aber weit verbreitet sein soll, stimmt einfach nicht."

 Andere Politiker und Bürger der Gemeinde sehen dies ähnlich, zum Beispiel Adrian Amstutz (SVP, Nationalrat), Andrea Bomio (FDP, alt Gemeindepräsident) und Fritz Abraham Oehrli (SVP, alt Nationalrat). Sorgen um den Ruf Sigriswils als Ferienort macht sich zudem Renate Gloor, Leiterin von Gunten-Sigriswil Tourismus. "Zum Glück ist zurzeit nicht Hochsaison. Wenn die Gäste aus dem Ausland die Angelegenheit mitbekämen, würde der Schaden wohl noch grösser ausfallen."

 Mili Kusano hat inzwischen eingesehen, dass sie mit ihrer Aussage genau jene Einwohner von Sigriswil beleidigt hat, die nicht antisemitisch sind: "Bei ihnen möchte ich mich in aller Form entschuldigen."
 mi

 Seite 19

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Sigriswil: Aussage "Antisemitismus ist in der Gemeinde weit verbreitet" schlägt hohe Wellen

 Vorwurf löste grosse Empörung aus

 "Antisemitismus ist in der Gemeinde weit verbreitet": Diese Aussage in der Samstagsausgabe dieser Zeitung sorgt in Sigriswil für eine Welle der Empörung. Der Gemeinderatspräsident wehrt sich für seine Leute.

 Mili Kusano aus Gunten, praktizierende Jüdin, nahm in der Samstagsausgabe dieser Zeitung kein Blatt vor den Mund. Sie erklärte, in Sigriswil seien breite Kreise der Bevölkerung antisemitisch. Auslöser für ihre Aussage war ein antisemitischer Text im privaten "Sigriswiler Anzeiger", geschrieben von Otto Grossglauser aus Aeschlen, der bei der Gemeinde zu 50 Prozent als Schwellenmeister angestellt ist.

 Beim Sigriswiler Gemeinderatspräsidenten Martin Sommer (PBS) riefen am Wochenende viele empörte Bürgerinnen und Bürger an und distanzierten sich von dem Vorwurf. "Die Aussage von Frau Kusano stimmt nicht", sagte Sommer gestern auf Anfrage. "Es gibt zwar auch bei uns schwarze Schafe, doch von einer weiten Verbreitung antisemitischen Gedankengutes kann keine Rede sein." Der Vorwurf sei für viele Leute kränkend und werfe zudem ein schlechtes Licht auf die Gemeinde. Es habe in Sigriswil vorher noch nie antisemitische Vorfälle gegeben, und auch keine Anzeigen wegen Verstosses gegen das Antirassismus-Gesetz. Otto Grossglauser habe sich beim Gemeinderat schriftlich entschuldigt; sein Schreiben werde deshalb keine beruflichen Konsequenzen für ihn haben."

 Klare Worte findet auch der amtierende Nationalrat Adrian Amstutz (SVP): "Als Mitglied der Parlamentarischen Gruppe Schweiz-Israel verurteile ich den Antisemitismus scharf. Ebenso dezidiert verurteile ich die haltlosen Verunglimpfungen von Frau Kusano, die der Sigriswiler Bevölkerung einen weit verbreiteten Antisemitismus unterstellt." Er wohne nun seit über 50 Jahren in der Gemeinde. Antisemitismus sei bis zum aktuellen Vorfall und ausser richtigerweise im Geschichtsunterricht gar nie ein Thema gewesen. "An welchen Stammtischen die mir völlig unbekannte Frau Kusano verkehrt, wo nach ihren Ausführungen angeblich antisemitische Äusserungen gemacht werden, ist mir schleierhaft."

 "Das ist eine Frechheit"

 "Der Antisemitismus-Vorwurf ist eine Frechheit", sagte der Sigriswiler alt Nationalrat Fritz Abraham Oehrli (SVP) aus Reust. "All jene als Antisemiten zu verunglimpfen, die sich nicht explizit vom Artikel im ‹Sigriswiler Anzeiger› distanzieren, ist ungehörig." Er verstehe, dass Mili Kusano sich aufgeregt habe. Doch das sei kein Grund für einen solchen Pauschalvorwurf.

 Ein weiterer ehemaliger Politiker, der für seine Mitbürger die Hand ins Feuer legt, ist Andrea Bomio (FDP). "Die Leute brauchen zwar hin und wieder Redewendungen, die nicht salonfähig sind. Aber wirklichen Antisemitismus konnte ich während meiner Amtszeit nie feststellen", sagt Bomio, der in der Gemeinde verschiedene Ämter bekleidete, unter anderen jene des Gemeindepräsidenten und des Gemeinderatspräsidenten. "Ich bin vom Gefühl her zudem absolut überzeugt, dass Otto Grossglauser den Text zwar selber eingereicht, aber sicher nicht selber geschrieben hat."

 "Viele lasen es gar nicht"

 Die Angelegenheit scheint jedoch nicht für alle Bürger gleich wichtig zu sein. "Für die meisten unserer Kunden ist sie kein Thema", sagt Christian Hostettler, der in Sigriswil eine Bäckerei-Konditorei betreibt. "Einige Leute haben sich zwar gefragt, wie ein solcher Artikel in den ‹Sigriswiler Anzeiger› gelangen konnte." Doch die grosse Mehrheit habe den Text gar nicht gelesen.

 Einen anderen Blickwinkel auf die ganze Angelegenheit hat Renate Gloor, die Leiterin Gunten-Sigriswil-Tourismus: "Für den Ruf von Sigriswil als Ferienort ist der ganze Wirbel sehr schlecht." Da die Geschichte um Grossglausers Text inzwischen auch in nationalen Medien und im Internet aufgenommen wurde, befürchtet Gloor einen Imageschaden bei den Gästen aus der Schweiz. "Zum Glück ist zurzeit nicht Hochsaison. Wenn die Gäste aus dem Ausland die Angelegenheit mitbekommen würden, würde der Schaden wohl noch grösser ausfallen."

 Und Mili Kusano, die Urheberin des kritisierten Statements? "Meine Aussage, Antisemitismus sei hier weit verbreitet, hat viele Sigriswiler Bürger beleidigt, natürlich gerade jene, welche ich mit dieser Aussage explizit nicht gemeint habe", sagt die praktizierende Jüdin. "Das tut mir aufrichtig leid. Ich will mich bei ihnen in aller Form und öffentlich entschuldigen." Sie habe in Sigriswil viele freundschaftliche Beziehungen; mit ihrer Bemerkung habe sie nicht eine ganze Gegend in Verruf bringen wollen. "Dass auch ein intaktes Bollwerk gegen das Aufkommen solcher Extreme da ist, hat ja auch die rasche und eindeutige Reaktion der Gemeinde gezeigt." Es sei ihr mit ihrer Aussage vielmehr darum gegangen, jene aufzurütteln, welche einer Hasstirade wie jener von Otto Grossglauser gleichgültig gegenüberstehen oder damit offen oder latent sympathisieren und Grossglausers Recht auf freie Meinungsäusserung verteidigen. "Diese Leute möchte ich darum bitten, ihre Haltung zu hinterfragen und sich mit dem Thema Antisemitismus und Rassismus auseinanderzusetzen." Am Wochenende sei sie von vielen ihr bisher nicht bekannten Sigriswilern angerufen worden, die ihre Solidarität bekundet haben. "Das grosse Echo hat mich sehr gefreut und ich danke dafür. Es zeigt auch die Unterstützung, welche ich in der Gemeinde geniesse."

 Marc Imboden

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SEXWORK BE
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BZ 10.2.10

Bordell bei Münchenbuchsee

 Prostituierte mit Businessplan

 Im früheren Motel an der Lyssstrasse bei Münchenbuchsee ist wieder Betrieb eingekehrt - derselbe wie früher: Sex. Der Zweck ist der gleiche, das Geschäftsmodell anders: Die Frauen arbeiten nun als freischaffende Unternehmerinnen.

 Bis Ende März 2009 war hier der Club 3000 einquartiert. Nach einer Razzia verhaftete die Polizei das Betreiberehepaar und schlossen die Behörden das Etablissement (siehe Kasten). Nach einer halbjährigen Pause arbeiten seit Oktober im heruntergekommenen Motel nun wieder Prostituierte. Unter dem Namen "Paradiso" bieten zwischen sechs und zwölf Frauen ihre Dienste an. Sie kommen vorwiegend aus Osteuropa.

 Das Sexgewerbe ist nun allerdings anders organisiert als unter den früheren Betreibern. Das Statthalteramt Seeland in Aarberg hat die gastgewerbliche Bewilligung erteilt und kennt das neue Geschäftsmodell. Zum Verwaltungskreis Seeland gehört das "Paradiso", weil es zwar nahe bei Münchenbuchsee, aber auf dem Gebiet der Gemeinde Rapperswil liegt.

 "Marktübliche Mieten"

 Im ehemaligen Club 3000 waren die Sexarbeiterinnen angestellt. Jetzt sind sie freischaffend. Das "Paradiso" unterhält eine Kontaktbar und vermietet den Frauen die Räume. Der Betreiber darf bloss "marktübliche Preise" verlangen, wie die stellvertretende Regierungsstatthalterin Franziska Steck sagt.

 Die selbstständigen Sexworkerinnen müssen sich bei der Gemeinde Rapperswil anmelden. "Sie haben einen Businessplan vorzulegen", erklärt Gemeindepräsidentin Christine Jakob (SVP). Wie in anderen Geschäftsbereichen sollen die Einnahmen die Ausgaben übersteigen. Die Geschäftspläne gehen an den Migrationsdienst des Kantons Bern. Dieser kontrolliert, ob die ausländerrechtlichen Bestimmungen eingehalten sind - und ob die Frauen ihren Businessplan richtig berechnet haben.

 Die Gemeinde Rapperswil muss überprüfen, ob im "Paradiso" die Vorschriften eingehalten werden, die Bestimmungen des Gastwirtschaftsgesetzes etwa. "Die Polizei und ich werden das Lokal jährlich ein- bis zweimal kontrollieren", sagt Gemeindepräsidentin Jakob. Bei diesen Visiten sind medizinische Untersuchungen kein Thema. Prostitution ist ab 16 Jahren legal. Obligatorische Gesundheitskontrollen gibt es nicht.

 Das Statthalteramt in Aarberg bewilligte das Lokal unter der Bedingung, dass Xenia, die Beratungsstelle für Frauen aus dem Sexgewerbe, Zugang zum "Paradiso" hat. "Wir werden den Betrieb nächstens besuchen", erklärt Xenia-Mitarbeiterin Jacqueline Suter."

 Unauffindbarer Wirt

 Ein Gastwirtschaftsbetrieb mit angegliedertem Sexgewerbe: alles legal, alles unter Kontrolle. Stutzig macht bloss, dass der Wirt des "Paradiso" nicht aufzufinden ist. Die Redaktion kennt seinen Namen. Unter der bei der Gemeinde Rapperswil deponierten Könizer Adresse ist er nicht zu finden. Ein Telefoneintrag fehlt ebenso. Die einzigen Spuren sind gelöschte Handelsregistereinträge.

 Peter Steiger

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Behörden loben die verschärfte Praxis

 Mehr Aufwand, bessere Kontrolle: die positive Bilanz der Behörden, seit im Sexgewerbe die Melderegeln verschärft wurden.

 Jeden M0nat legen etwa 37 osteuropäische Prostituierte bei der Fremdenpolizei der Stadt Bern ihre Karten auf den Tisch. Mit Businessplan, Mietvertrag, AHV-Ausweis, Anmeldung bei der Steuerverwaltung und anderen Unterlagen müssen sie beweisen, dass sie selbstständig erwerbend sind. Nur dann erhalten sie eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung. "Seit letzten Oktober die Bewilligungspraxis verschärft wurde, haben wir bei Kontrollen keine illegalen Prostituierten mehr angetroffen", zieht Fremdenpolizeichef Alexander Ott positive Bilanz.

 Kontrolle fördert Vertrauen

 Auch Florian Düblin, Leiter des kantonalen Migrationsdienstes, ist mit der neuen Regelung zufrieden. Das Amt ist für Gesuche aus Gemeinden zuständig, die über keine eigene Fremdenpolizei verfügen. Die neue Praxis sei gut angelaufen, bedeute jedoch einen grossen Mehraufwand für seine Mitarbeiterinnen, so Düblin. Diese führen mit jeder Gesuchstellerin ein etwa einstündiges Gespräch und überprüfen die mitgebrachten Unterlagen. Ein Aufwand, der sich laut Düblin lohnt: "Zwischen unseren Mitarbeiterinnen und den Frauen entsteht ein Vertrauensverhältnis. Auch haben wir mittlerweile einen besseren Überblick über das Rotlichtmilieu."

 "Weniger Illegale"

 Seit letztem Oktober gingen beim Kanton 117 Gesuche von osteuropäischen Prostituierten ein. Laut Florian Düblin wurden 55 davon abgelehnt, weil sie den neuen Meldekritierien nicht entsprochen hätten. Von den restlichen 62 Gesuchen wurden 36 bewilligt. Seit Anfang Jahr lehnte der Kanton 15 der 30 eingereichten Gesuch ab. Beschwerden gegen negative Entscheide sind laut Düblin noch keine eingegangen. Bei Kontrollen im restlichen Kantonsgebiet habe die Kantonspolizei seit letztem Oktober wesentlich weniger illegale Prostituierte aufgegriffen, so Düblin. Verlässliche Zahlen kann er derzeit keine nennen.

 Xenia kritisiert Behörden

 Die verschärften Melderegeln für osteuropäische Prostituierte gelten im Kanton Bern seit fünf Monaten. Damit wollen die Behörden die Frauen vor Gewalt und Ausbeutung schützen. Bei den Betroffenen, den Bordellbetreibern und bei Xenia, der Beratungsstelle für Prostituierte, löste die Regeländerung jedoch Entrüstung und Bedenken aus. Die neue Praxis sei "katastrophal" und dränge die Frauen in die Illegalität, erklärte die Beratungsstelle (wir berichteten).

 Heute ist Xenias Kritik zwar etwas leiser geworden, aber nicht verstummt. Der beträchtliche administrative Aufwand lasse die Frauen in Kantone mit liberalerer Praxis ausweichen, sagt Jacqueline Suter. Prostituierte, die vor Oktober 2009 noch legal im Kanton Bern arbeiten konnten, reisten nun ein und stellten fest, dass sie plötzlich illegal seien. "Für viele der Frauen hat sich die Situation verschlechtert."

 Die verschärfte Bewilligungspraxis hat auch Xenia Mehraufwand gebracht. "Wir sind dabei, unsere Beratung an die neuen Regeln anzupassen", so Suter. Dies sei kein Leichtes, weil die nötigen Unterlagen von Fall zu Fall variierten. So verlange die städtische Fremdenpolizei einen Kontoauszug, beim Kanton ist sei dies nicht nötig. Frepo-Chef Ott dazu: "So wollen wir sichergehen, dass die Frauen nicht von der Fürsorge abhängig sind."

 Andrea Sommer

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RECLAIM THE STREET ZH
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20 Minuten 10.2.10

"031"-Tags: Berner Täter?

Bern. Nach den schweren Ausschreitungen in Zürich vom letzten Wochenende sind an vielen Fassaden und Schaufenstern der Tag "031" aufgetaucht. In Zürich wird nun vermutet, dass die Urheber aus einer linksautonomen Szene der Region Bern stammen. "Die Tags sind in Bern schon oft aufgetaucht, aber auch in Zürich und weiteren Städten", sagt Kapo-Sprecher Heinz Pfeuti. Täter aus dieser Szene habe die Polizei aber noch nie ermittelt.

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Tagesanzeiger 10.2.10

"Die Stadtpolizei muss in Zukunft ihren Personalbestand erhöhen"

SP-Stadträtin Esther Maurer bedauert, dass am Samstag keiner der Chaoten verhaftet wurde.

 Mit Polizeivorsteherin Esther Maurer sprach Stefan Hohler

 Frau Maurer, Sie haben nach dem Saubannerzug drei Tage gewartet, bis Sie sich den Medien stellten. Am 1. Mai ziehen Sie jeweils am gleichen Abend Bilanz.

 Ich habe mir am Montag zuerst einen Überblick über die Ereignisse machen müssen. Ich trete erst in den Medien auf, wenn ich weiss, was los war. Am1. Mai dagegen bin ich den ganzen Tag in der Einsatzzentrale und verfolge die Ereignisse. So bin ich abends in der Lage, die Medien darüber zu informieren.

 Wie bewerten Sie den Polizeieinsatz vom Samstagabend?

 Die Polizisten vor Ort haben optimale Arbeit geleistet. Sie konnten verhindern, dass der Umzug in die Innenstadt gelangte. Dass es zu keiner Verhaftung kam, bedaure ich sehr. Es hängt mit der beschränkten Zahl der Einsatzkräfte zusammen. Ich hoffe aber, dass die Auswertung der privaten Überwachungskameras doch noch zu Strafverfahren führen wird.

 Ihre Einschätzung zum Polizeieinsatz teilen die betroffenen Laden- und Hausbesitzer vermutlich nicht.

 Ich habe viel Verständnis für die Ladenbesitzer im Kreis 4: Es tönt für sie beinahe zynisch, wenn man in dieser Situation positiv wertet, dass die Innenstadt durch die Polizei geschützt werden konnte. Der Polizeieinsatz sollte sich künftig nicht nur auf Schadensbegrenzung beschränken: Ein neues Alarmierungssystem soll dafür sorgen, dass wir für derart überraschende Einsätze schneller mehr Einsatzkräfte haben. Ähnlich wie bei der Milizfeuerwehr wollen wir so die Polizisten in der Freizeit per Pager oder Handy aufbieten. Aber man darf sich keine Illusionen machen: Einrücken und Bereitstellen der entsprechenden Ausrüstung brauchen Zeit, und das Ganze kostet einiges.

 Wann ist dieses neue Alarmierungssystem spruchreif?

 Die Planung läuft, aber sie ist für die grosse Zahl von Polizisten entsprechend kompliziert. Ich hoffe, dass der Betrag im nächsten Budget eingebracht und per 2011 umgesetzt werden kann.

 Eine stehende Einsatzreserve ist demnach für Sie kein Thema?

 Nein, diese Kosten stehen in keinem Verhältnis zum Nutzen. Eine solche Truppe von rund 200 Polizisten würde jährliche Gesamtkosten von gegen 40 Millionen Franken verursachen. Wir dürfen auch nicht vergessen: Die Ausschreitungen waren ein Einzelfall. Die letzte gewalttätige Aktion "Reclaim the Streets" war vor sieben Jahren. Wir dürfen trotz den enormen Schäden das Augenmass nicht verlieren.

 Kritik erntete die Polizei, weil sie völlig überrascht wurde. Welche Konsequenzen ziehen Sie betreffend Informationsbeschaffung?

 Auch hier gilt: keine vorschnellen Hüftschüsse. Wir müssen uns an das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit halten, welches die Informationsbeschaffung klar regelt. Da besteht auf städtischer Ebene kein Spielraum. Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir den gesetzlichen Rahmen voll ausschöpfen.

 Auch von SP-Seite werden jetzt mehr Polizisten gefordert. In der Budgetdebatte wurde eine Aufstockung des Polizeikorps um 15 Stellen aber von SP und Grünen abgelehnt.

 Die Stadtpolizei hat im Jahr 2007 ihren Sollbestand erreicht, darauf bin ich stolz. Aber es stimmt, sie wird in Zukunft den Sollbestand erhöhen müssen. Das hängt mit der gesellschaftlichen Entwicklung, insbesondere unserer 24-Stunden-Gesellschaft und dem Wachstum der Bevölkerung, zusammen. Dazu reichen 15 Stellen nicht. Deshalb braucht das Parlament eine exakte und transparente Personalplanung für das nächste Budget.

 Wie viele neue Stellen wird dann Ihre Nachfolgerin oder Ihr Nachfolger im Parlament beantragen?

 Das kann ich nicht sagen. Nur so viel: Um einen Polizisten rund um die Uhr im Dienst zu haben, braucht es wegen Ferien, Weiterbildung und so weiter fünf Polizisten. 15 neue Stellen würden lediglich drei Polizisten im Dienst abgelten. Es wird wohl deutlich mehr brauchen.

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 Bürgerliche versuchen, mit dem Thema Sicherheit zu punkten

 SVP hofft auf Wählerzulauf - wie nach den Krawallen in Bern

 Die Bürgerlichen wollen das Korps der Stadtpolizei verstärken. Die Linke tut dies als reine Stimmungsmache im Wahlkampf ab.
 
Von Stefan Häne

 Zürich - Als Geschenk des Himmels will SVP-Stadtratskandidat Mauro Tuena den gewalttätigen Mob vom Samstag zwar nicht bezeichnen. Er hofft aber, dass die Bevölkerung durch den Vorfall aufgerüttelt und am 7. März seine Partei wählen wird - ähnlich wie im Herbst 2007, als vor den Nationalratswahlen Linksradikale an einer SVP-Veranstaltung auf dem Bundeshausplatz in Bern wüteten. Die SVP verbuchte danach einen "historischen Wahlsieg". "Wir haben uns immer für die Sicherheit in Zürich eingesetzt", sagt Tuena und verweist auf die Bemühungen der SVP, im Budget 2010 das Korps der Stadtpolizei um 15 Stellen (1,8 Millionen Franken) aufzustocken.

 Die SVP scheiterte bekanntlich am Widerstand der SP und der Grünen - trotz Unterstützung von FDP, CVP, EVP, PFZ und Schweizer Demokraten. Nun unterstellen die Bürgerlichen den Linken, ein falsches Spiel zu betreiben: Aus Angst vor Stimmenverlusten stellten die Linksparteien nach der "Strassenschlacht" vom Samstag in Aussicht, das Polizeikorps zu stärken. SP-Stadtratskandidatin Claudia Nielsen vertrat dies zum Beispiel. Die FDP klagt in einer Mitteilung, sie habe versucht, die Sicherheitsthematik auf Wahlpodien zu thematisieren - vergeblich. Rot-Grün habe dies verhindert. Dabei trage namentlich die SP mit Polizeivorsteherin Esther Maurer die Verantwortung für die Sicherheit.

 Die Linksparteien bestreiten, in der Sicherheitsdebatte einen möglichen Fallstrick zu fürchten. "Die Bürgerlichen versuchen, Stimmung zu machen", sagt Markus Knauss, Fraktionschef der Grünen. Dass gerade sie mehr Geld für die Polizei forderten, bezeichnet er als unglaubwürdig: "Sonst wollen die Bürgerlichen überall sparen."

 Min Li Marti, Fraktionschefin der SP, spricht von einem Schnellschuss der SVP - mit der Folge, dass sich die bürgerlichen Parteien nun in Forderungen nach mehr Sicherheit überböten. Marti glaubt nicht, dass 15 zusätzliche Polizisten am Samstag mehr hätten ausrichten können. Dass der Mob randalieren konnte, schreibt sie einer Fehleinschätzung der Polizei zu. Marti betont, die SP habe bei der Budgetdebatte im Dezember die Aufstockung abgelehnt, weil das Polizeidepartement selber keine weiteren Stellen gefordert habe. Wenn ein Bedarf ausgewiesen sei, "sind wir nicht grundsätzlich dagegen", sagt Marti. Unverbindlich bleiben die Linkspolitiker aber bei der Frage, ob sie künftig mehr Geld für die Polizei sprechen werden.

 Neuer Vorstoss der SVP

 Die SVP wird die Thematik am Köcheln halten. Heute wird sie im Gemeinderat einen Vorstoss - als Motion oder Postulat - einreichen und darin abermals mehr Personal für die Polizei fordern. Wie viel, wollte Tuena gestern nicht verraten. SP-Fraktionschefin Marti glaubt nicht, dass die SVP von den Randalen profitieren wird. Die Situation heute in Zürich lasse sich nicht mit Bern 2007 vergleichen: Damals habe der Angriff der SVP gegolten, und die Linke habe sich zu Beginn nicht genügend klar davon distanziert.

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NZZ 10.2.10

"Die Polizei hat das Optimum erreicht"

 Polizeivorsteherin Esther Maurer nimmt Stellung zu den Ausschreitungen in Zürich

 Nach den schweren Ausschreitungen vom Wochenende hat Stadträtin Esther Maurer Bilanz gezogen und ein neues Alarmierungssystem angekündigt.

 Frau Maurer, wie beurteilen Sie mit einigen Tagen Distanz den Polizeieinsatz von vergangener Samstagnacht?

 Die Polizei hat mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften meiner Meinung nach das Optimum bei der Schadensbegrenzung erreicht. Sie hat sehr schnell reagiert, die verfügbaren Leute zusammengezogen, ausgerüstet und vor Ort geschickt. So konnte zumindest die Innenstadt vor Zerstörungen bewahrt werden. Persönlich bedaure ich sehr, dass aufgrund des kleinen Polizeiaufgebots keine qualifizierten Verhaftungen vorgenommen werden konnten. Mit der Auswertung von Aufnahmen privater Überwachungskameras erhoffen wir uns aber noch Hinweise auf einzelne Täter.

 Hätte die Polizei nicht besser vorbereitet sein müssen?

 Man kann sich natürlich die Frage stellen, ob nicht im Vorfeld mehr gemacht hätte werden sollen. Mit den geltenden Bestimmungen des Staatsschutzes ist es der Polizei aber ohne konkreten Verdacht nur möglich, die öffentlich verfügbaren Informationen auszuwerten. Das ist nach bestem Wissen und Gewissen gemacht worden. Dabei ist man leider auf keine Hinweise auf eine gewalttätige Veranstaltung gestossen.

 Was halten Sie von einer stehenden Einsatzreserve der Stadtpolizei, wie sie von einigen bürgerlichen Politikern gefordert wird?

 Eine solche Einsatzreserve hätte allein Lohnkosten von über 20 Millionen Franken pro Jahr zur Folge. Diese Kosten stünden in keinem Verhältnis zum Nutzen. Schliesslich ist es sieben Jahre her, seit eine ähnliche "Reclaim the Streets"-Aktion zu Ausschreitungen und Sachbeschädigungen geführt hat. Man muss die Ausschreitungen ernst nehmen, sollte aber wegen eines Einzelereignisses nicht überreagieren. Eine spontane, gewalttätige Demonstration mit mehreren hundert Teilnehmenden ohne jede Vorankündigung ist eine absolute Ausnahme in der Stadt Zürich. Ich wehre mich daher gegen die vorgebrachte Forderung nach immer mehr Polizei und damit vermeintlicher Sicherheit, weiss aber auch, dass Wahlkampf ist.

 Sie setzen sich nicht für mehr Polizei ein?

 Ich habe mich immer konsequent für das Erreichen unseres Sollbestandes eingesetzt, was wir 2007 auch bereits geschafft haben. Die Stadtpolizei ist angehalten, sich den gesellschaftlichen Entwicklungen laufend anzupassen und betriebliche Optimierungen vorzunehmen. Wir haben pro Jahr 10 000 Leute mehr in der Stadt, das heisst, wir brauchen auch mehr Polizisten. In der nächsten Budgetdebatte werden wir deshalb einen detaillierten wie realistischen Plan zur Aufstockung der Polizei vorlegen.

 Aber wie wollen Sie in Zukunft bei spontanen und gewalttätigen Demonstrationen reagieren?

 Die Stadtpolizei plant schon seit längerem ein Alarmierungssystem über die Einsatzzentrale, das analog der Pager-Alarmierung bei der Milizfeuerwehr funktionieren soll. Wir prüfen im Moment die günstigste Lösung. Man darf sich aber keine Illusionen machen: Auch bei einem Pikett-System braucht das Einrücken und Ausrüsten der Polizisten für den Ordnungsdienst seine Zeit. Zudem ist ein solches Alarmierungssystem nicht gratis zu haben. Es braucht dazu technische Ausrüstung, und es müssten Lohnzulagen wegen des Pikettdienstes entrichtet werden.

 Der angerichtete Sachschaden wird auf mehrere hunderttausend Franken geschätzt. Trotzdem haben Sie, im Gegensatz zum 1. Mai, weder am Wochenende noch am Montag Stellung genommen. Weshalb?

 Am 1. Mai gibt es einen Rahmenauftrag des Stadtrats an die Stadtpolizei. Ich verfolge das Geschehen jeweils den ganzen Tag in der Einsatzzentrale. Danach bin ich in der Lage, den Polizeieinsatz vor den Medien zu kommentieren. Bei den Ausschreitungen von diesem Wochenende wollte ich mir zuerst ein Bild der Lage verschaffen, bevor ich kommuniziere.

 Interview: tri.

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Wider die Kommerzialisierung

 Was mit "Reclaim the Streets" bezweckt werden soll

 tri. ⋅ "Reclaim the Streets" (RTS) - ein Slogan der am vergangenen Wochenende buchstäblich über Nacht wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist. Doch was sind die Ursprünge und die Anliegen dieser Protestform, die in Zürich zu Sachschäden von Hunderttausenden Franken geführt hat? Es herrscht offenbar Klärungsbedarf.

 Marion Hamm, Kulturwissenschafterin an der Universität Luzern, forscht zu sozialen Bewegungen und hat zu RTS publiziert. Laut Hamm richten sich RTS-Veranstaltungen meist gegen eine wahrgenommene Kommerzialisierung und Privatisierung im öffentlichen Raum, durch die sozial Schwächere und Jugendliche aus den urbanen Zentren verdrängt würden. Schlagworte hierfür seien etwa Gentrifizierung oder Wegweisungsartikel. Mit unangemeldeten Partys soll der öffentliche Raum für eine beschränkte Zeit angeeignet, ja bildlich zurückerobert werden. Typische Elemente seien eine klandestine Mobilisierung in subkulturellen Szenen, eine mobile Musikanlage und das Tanzen, weiss Hamm. Was nach den Ausschreitungen in Zürich rätselhaft erscheint, ist, dass mit dieser Form des Protestes gerade Konfrontationen mit der Polizei vermieden werden sollen.

 Laut Hamm entstand RTS Anfang der 1990er Jahre in Grossbritannien im Zuge von Protesten gegen Strassenbauprojekte und sogenannten freien Partys. Seit der Jahrtausendwende verbreitete sich diese Protestform mit der globalisierungskritischen Bewegung in ganz Europa, den USA und Südamerika. Naomi Klein erwähnt die Protestform gar in "No Logo", ihrem berühmten Manifest der Globalisierungskritik.

 Trotz weltweiter Verbreitung und einem gemeinsamen antikapitalistischen Impetus seien die lokalen Ausprägungen aber sehr unterschiedlich, sagt Hamm. Auslöser für einen RTS-Event können politische Entscheide sein, wie die Räumung eines besetzten Hauses, die Schliessung eines alternativen Kulturraumes oder mehr Polizeipräsenz. Die Organisatoren der RTS-Veranstaltungen bleiben dabei meist wenig fassbar, die Mobilisierung passiert über Netzwerke und Mund-zu-Mund-Propaganda. So ist laut Hamm oft völlig offen, wer einem Aufruf Folge leistet. Entsprechend unsicher ist die Dynamik, die eine solche Veranstaltung annehmen kann, wie das Beispiel Zürichs zeigt.

 In den letzten Jahren gab es mehrere RTS-Partys in der Limmatstadt, die meistens laut waren, aber keine Zerstörung zur Folge hatten. Einzige Ausnahme war eine Veranstaltung vor sieben Jahren mit einem Sachschaden von rund 80 000 Franken. Dass es am vergangenen Wochenende wieder zu Ausschreitungen gekommen ist, erstaunt Hamm. "RTS sind im Allgemeinen nicht auf Konfrontation ausgerichtet, sondern auf Offenheit und Partizipation", sagt sie. Die Bilder der Zerstörung aus Zürich sprechen dagegen eine andere Sprache. Die Organisatoren mögen zwar durchaus eine friedliche Manifestation mit Musik und Tanz geplant haben. Das offenbar vorhandene Gewaltpotenzial von militanten Aktivisten aus der autonomen Szene, Fussball-Hooligans sowie betrunkenen Partygängern im Zürcher Ausgehviertel haben sie aber massiv unterschätzt - oder stillschweigend geduldet.

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Basler Zeitung 10.2.10

Der Mob schlägt wie der Blitz ein

 Spontan-Zusammenrottungen rütteln auf - und manchmal eskalieren sie wie in Zürich

Timm Eugster, Zürch

 Eine im Geheimen organisierte Strassenparty endete in Zürich am Wochenende in einer Zerstörungsorgie. Verhindern liesse sich Ähnliches in Basel nur mit einer 13 Millionen Franken teuren ständigen Eingreiftruppe.

 In Zürich fand der 1. Mai dieses Jahr schon am 6. Februar statt. Rund 500 junge Menschen zogen durch das Langstrassen-Quartier und hinterliessen eine Spur der Zerstörung: eingeschlagene Fensterscheiben, demolierte Autos, vollgesprayte Wände. Doch Polizisten, die sich dem Mob entgegengestellt hätten, waren lange keine da - erst bei der Sihl stoppte ein Aufgebot den Zug. Längst nicht mehr so gross sind die Zerstörungen seit einigen Jahren am richtigen 1. Mai: Die Polizei erstickt jede Bewegung im Keim.

 Der grosse Unterschied zwischen 6. Februar und 1. Mai: Die Polizei kennt die Nachdemo-Tradition des Tags der Arbeit und marschiert entsprechechend auf. Von den winzigen Flyern, die am Fussballspiel FCZ-Xamax verteilt werden, von den Aufrufen in nichtöffentlichen Foren wie Facebook und von den SMS mit dem Text "Reclaim the Streets, heute Samstag 22 Uhr, Carparkplatz Zürich" hingegen erfuhr der diensthabende Polizeioffizier erst um 21.15 Uhr. Und blieb, dies ist der zweite grosse Unterschied zum 1.Mai, erst mal ziemlich gelassen.

 Das ist nachvollziehbar: Plötzliche Zusammenrottungen sind heute alltäglich - und in der Regel kein Grund für polizeiliche Alarmbereitschaft. Die Palette der Aktionen ist breit. Da gibt es die Flash-Mobs, erfunden in Manhattan, am 24. Juli 2003 erstmals in Europa: Rund 50 Leute folgen einem SMS-Aufruf und essen synchron einen Apfel am Zürcher Hauptbahnhof. Später liefern sich Flash-Mobber in Basel Massen-Schneeballschlachten oder wollen gemeinsam den Weltrekord im Hamburger-vertilgen brechen. Bald entdecken Polit-Gruppen die neue Aktionsform - etwa mit dem "Smart Mob" gegen Kriegsmatarialexporte.

Angst

Politisch ist auch der Hintergrund der "Reclaim the Streets"-Bewegung - übersetzt "Holt euch die Strasse zurück" -, aber nicht militant, sagt David Eugster, Protestforscher an der Uni Zürich: "Man will die Stadt nicht in einem revolutionären Kampf erobern, sondern kreativ beleben." Die Strasse wird so plötzlich zum farbigen Festgelände ohne Eintritt, Türsteher und überteuerte Getränke - darauf freuten sich die meisten, die am Samstag dem Aufruf folgten. Eine Variante ist "Critical Mass": Dutzende von Velofahrern geben das Tempo auf der Strasse an. Die Polizei verzichtet in der Regel trotz fehlender Bewilligungen auf einen Einsatz.

 Der Weg der nicht-öffentlichen, kurzfristigen Mobilisierung sei auch letzten Samstag kaum bewusst gewählt worden, um Randalierern freie Bahn zu verschaffen, so Eugster - viel eher hätten einige Mitläufer wohl den Freiraum "für ihre Zwecke umdefiniert". Dass jetzt die Angst umgeht vor weiteren Zerstörungen durch Hooligans und militante Linke, die sich in einer Masse von mehr oder weniger politisch gesinnten Party-Leuten verstecken, versteht Eugster. Trotzdem hält er den Ruf nach einer permanenten Eingreiftruppe, wie er in Zürich jetzt auch von links ertönt, für eine Überreaktion: "Was einmal passiert, muss noch kein Trend sein."

Selten

Für den Basler Polizeikommandanten Gerhard Lips ist klar: "Wir wären in Basel wohl genauso auf dem linken Fuss erwischt worden - wir haben eine ähnliche Struktur wie Zürich und Unterbestand." Für eine 24-Stunden-Eingreiftruppe von 20 Mann aber bräuchte es 100 zusätzliche Stellen, was rund 13 Millionen Franken pro Jahr kosten würde. Zum Vergleich: Die Sachschäden in Zürich belaufen sich auf mehrere Hunderttausend Franken. "Eine Eingreiftruppe wäre wünschbar", so Lips - "alleine für Basel dürfte es sich angesichts der seltenen unvorhergesehenen Ereignisse aber kaum lohnen." Sinn machen würde für ihn deshalb eine gemeinsame Nordwestschweizer Truppe - "doch solche Ideen sind noch wenig konkret".

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St. Galler Tagblatt 10.2.10

Polizei wie Feuerwehr aufbieten

 Die Zürcher Polizeivorsteherin Esther Maurer spricht sich gegen eine Einsatzreserve der Polizei aus, will aber ein neues Alarmierungssystem einführen.

Zürich. Die Zürcher Stadtpolizei soll künftig bei überraschenden Ereignissen - wie der unbewilligten gewalttätigen Demonstration vom letzten Wochenende - schneller Personal aufbieten können. Polizeivorsteherin Esther Maurer (SP) kündigt dafür ein neues Alarmierungssystem an.

 Wie bei der Feuerwehr

 Die Alarmierung von Polizisten soll künftig ähnlich funktionieren wie jene von Feuerwehrleuten, erklärte Maurer gegenüber dem Onlinedienst des "Tages-Anzeigers".

 Allerdings dürfe man sich keine Illusionen machen, sagte Maurer: Es brauche auch so seine Zeit, bis die aufgebotenen Polizisten eingerückt und ausgerüstet seien.

 Am vergangenen Samstagabend war die Polizei von einer gewalttätigen Demonstration mit gegen 500 Teilnehmenden überrascht worden, bei der Schäden in der Höhe von mehreren hunderttausend Franken entstanden. Angekündigt worden war die Aktion unter dem Slogan "Reclaim the Streets".

 Keine Einsatzreserve

 Nach Ansicht von Maurer wäre es verfehlt, eine "stehende Einsatzreserve" bei der Stadtpolizei zu fordern. Die Kosten würden dabei in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen. In der Stadt Zürich seien spontane gewalttätige Demonstrationen "ohne jede Ankündigung" mit mehreren hundert Teilnehmenden eine absolute Ausnahme. Letztmals vor sieben Jahren hat gemäss Maurer eine "Reclaim the Streets"-Aktion zu Ausschreitungen geführt. In der Regel geht es bei solchen - meist friedlichen - Demonstrationen darum, die Strasse als kulturellen Freiraum zu erobern.

 Zu wenig Polizeikräfte vor Ort

 Am Samstag versammelten sich die Demonstranten ab 22 Uhr beim Carparkplatz hinter dem Hauptbahnhof. Sie zogen durch die Stadtkreise 4 und 5, besprayten Hauswände und schlugen auf Autos und Schaufenster ein. Die verfügbaren Polizeikräfte, zu wenige für diesen Vorfall, hätten mit ihrem Einsatz "ein Maximum an Schadensbegrenzung erreicht", erklärte Maurer. (sda)

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Blick am Abend 9.2.10

"Sie erreichten ein Maximum"

 Debatte

 Polizeivorsteherin Esther Maurer über den Demo-Einsatz ihrer Truppe.

 reda.elarbi@ringier.ch

 Frau Maurer, seit den Ausschreitungen vom Samstag meldeten Sie sich nicht zu Wort. Wieso?

 Ich habe zwei Grundsätze: Erstens sollen jene informieren, die etwas zu sagen haben, und zweitens äussere ich mich erst dann, wenn ich die Situation auch überblicke. Ich musste mir erst ein vollständiges Lagebild verschaffen.

 Wie schätzen Sie den Polizeieinsatz bei den Samstagskrawallen ein?

 Die verfügbaren Kräfte haben ein Maximum an Schadensbegrenzung erreicht. Eine spontane gewalttätige Demonstration mit mehreren hundert Teilnehmenden ist eine absolute Ausnahme in der Stadt Zürich.

 Ziehen Sie politische Konsequenzen aus dem Vorfall?

 Die Stadtpolizei erarbeitet schon seit längerem ein neues Alarmierungssystem für unvorhergesehene Einsätze - analog zur Pager-Alarmierung bei der Feuerwehr. Es ist aber verfehlt, wegen diesem Vorfall eine stehende Einsatzreserve zu fordern.

 Es braucht nicht mehr Polizisten?

 Die Kosten würden in keinem Verhältnis stehen zum Nutzen, zumal es etwa sieben Jahre her ist, seit eine solche Aktion "Reclaim the Street" zum letzten Mal zu Ausschreitungen führte. Die Stadtpolizei soll, aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklungen wie etwa der 24-Stunden-Gesellschaft und des Nachtlebens, ihre Organisation laufend anpassen und gleichzeitig aber auch den Sollbestand überprüfen und wo nötig erhöhen.

 Also geschieht nichts?

 Es ist wie beim Risk Management: Man beurteilt die Kosten aufgrund des möglichen Schadensausmasses. Und da kann man unschwer feststellen, dass die Kosten für eine derartige Einsatzreserve pro Tag gleich hoch wären wie die Schadenshöhe, wenn eine solche Krawalldemo stattfindet.

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 "Eine ständige Reserve wäre viel zu teuer."

 Die nächtlichen Krawalle

 Am Samstag riefen Aktivisten auf Handzetteln, per SMS und auf Facebook zu einem "Reclaim The Streets"-Fest auf dem Carparkplatz auf. Gegen 22 Uhr fanden sich 400 bis 500 Leute dort ein. Während des Strassen-Events kam es zu Sachbeschädigungen. Die Polizei war unvorbereitet und konnte die Randalierer nicht stoppen.

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COLOURS ZUG
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NLZ 10.2.10

UBS in Zug

 Schon wieder ein Farbanschlag

Wolfgang Holz

 Sechs vermummte Personen sollen es gewesen sein, die am Montagabend mehrere mit Farbe gefüllte Flaschen gegen die Fassade der UBS in Zug geworfen haben. Die Farbattentäter wurden von Passanten gegen 22.30 Uhr auf frischer Tat gesichtet - danach flüchteten sie in Richtung Bahnhof. Am Gebäude ist grosser Sachschaden in Höhe von mehreren zehntausend Franken entstanden.

 Wieder ein Bekennerschreiben

 "Die Zuger Polizei befragte bereits einige Passanten, welche die Vandalen beobachten konnten", sagt Marcel Schlatter, Mediensprecher der Zuger Strafverfolgungsbehörden. Dennoch gibt es noch keine heisse Spur. Bereits vor ungefähr einem Jahr verübten unbekannte Täter einen Farbanschlag auf die Zuger UBS-Filiale bei der Metalli. Damals hinterliessen sie ein Bekennerschreiben im Internet. "Die Täter von damals konnten nicht ausfindig gemacht werden", so Schlatter. Auch dieses Mal hinterlassen die Fassadenschmierer eine entsprechend linke Botschaft im Netz. Auf der Website switzerland.indymedia.org/de wird antikapitalistische Kritik laut: "Heute Nacht haben wir die UBS in Zug mit Farbe angegriffen. Die UBS als Symbol der Krise und des Kapitalismus, der uns täglich unser Leben klaut ..." Laut Schlatter tummeln sich auf dieser Internetseite Botschaften der linken Szene, die es auch in Zug gebe - in Form der Hausbesetzer.

 "Wir bewerten das nicht"

 Gibt es Videokameraaufnahmen von dem Farbanschlag? "Über Sicherheitseinrichtungen in unseren Bankfilialen geben wir keine Details bekannt", erklärt UBS-Mediensprecher Dominique Gerster. Die farbige Attacke will die UBS nicht bewerten. "Die MZ-Immobilien AG bedauert den Vorfall und stellt als betroffene Eigentümerin Strafanzeige", nimmt Rony Amrein von der Zuger Firma Stellung. "Die Schadenshöhe ist bisher unbekannt. Über sicherheitsrelevante Themen äussern wir uns aus taktischen Gründen nicht."

 Hinweis: Weitere Zeugen werden gebeten, sich bei der Zuger Polizei unter Telefon 041 728 41 41 zu melden.

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Blick am Abend 10.2.10

Farbanschlag auf die UBS

 Sauerei

 Unbekannte verwüsten die UBS in Zug - die Polizei hoftnun auf Tipps aus der Bevölkerung.

 Sechs Vermummte haben am Montagabend die UBS-Filiale in Zug verschmutzt. Passanten hatten sie beobachtet, wie sie gegen 22.30 Uhr Glasfl aschen an die Gebäudefassade warfen, die mit dunkler Farbe gefüllt waren. Danach fl üchtete die Bande in Richtung Bahnhof. Bis die Polizei eintraf, waren die Täter bereits verschwunden. Am Gebäude enstand ein Sachschaden von mehreren zehntausend Franken.

 Die Polizei konnte bereits verschiedene Augenzeugen zu dem Vorfall befragen, bislang die Täter aber nicht ermitteln. Man hoft deshalb nun auf weitere Hinweise aus der Bevölkerung, um die Farb-Werfer zu stellen. pi

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SEMPACH
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NLZ 10.2.10

Sempach

 SVP-Petition zur Schlachtfeier

 tö. Die SVP Kanton Luzern will die Bevölkerung mobilisieren, damit die Sempacher Schlachtjahrzeit in der bisherigen Form weitergeführt wird. Sie lanciert die Petition "für eine würdevolle und traditionsreiche Sempacher Schlachtfeier". SVP-Info-Chef Anian Liebrand erläuterte gestern: "Die Bevölkerung versteht nicht, warum der Regierungsrat kuscht, bloss weil Linksextreme die Feier für ihre politischen Zwecke missbrauchen wollen."

 Die Luzerner Regierung hatte unter dem Eindruck der zunehmenden Politisierung des Gedenkanlasses beschlossen, 2010 nur mehr einen schlichten Gottesdienst durchführen zu lassen. Darauf kündigte der Sempacher Stadtrat an, eine Arbeitsgruppe werde "ein Alternativprogramm für eine lokale Gedenkfeier im Jahr 2010 erarbeiten".

 SP und Juso wehren sich

 Auch gestern gabs sofort Reaktionen auf die angekündigte SVP-Petition. "Einmal mehr nimmt die SVP Kanton Luzern die Rechtsextremen in Schutz. Gleichzeitig verunglimpft sie den friedlichen Protest der Juso für die demokratischen Werte Schweiz. Dies verurteilen wir aufs Schärfste", meinte Felicitas Zopfi, Präsidentin der SP Kanton Luzern. Auch die Juso verurteilten die SVP in einem Communiqué als Verharmloserin von Rechtsextremen.

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20 Minuten 10.2.10

Knatsch um SVP-Petition

Luzern. Die SVP Kanton Luzern lanciert eine Petition, damit die Sempacher Schlachtfeier 2010 trotzdem stattfindet. Laut den Juso stellt sie sich damit hinter Neonazis.

 "Es kann nicht sein, dass die Behörden vor den Linken kapitulieren", sagt Josef Kunz, Präsident der kantonalen SVP. Mit Unterschriften will seine Partei erwirken, dass die Schlachtfeier "im gewohnten Rahmen" stattfindet. Die Regierung hatte nach dem massiven Polizeiaufgebot 2009 beschlossen, dieses Jahr nur einen Gottesdienst durchzuführen. Für Kunz ist klar: "Den Linken gehts nicht um die Feier, sie suchen nur die Konfrontation mit jungen Patrioten, die sich stets anständig benehmen." Darüber empört sich Juso-Präsident David Roth: "Die SVP stellt sich hinter Neonazis und will diese offenbar an der Feier haben." Die Schlachtfeier werde so pervertiert. Unterstützung erhält er von der kantonalen SP. Sie schreibt in einer Mitteilung, die SVP versuche, die Juso als Krawallmacher zu verunglimpfen.

 Der Sempacher Stadtpräsident Franz Schwegler distanziert sich von der SVP-Petition. "Luzerner Kulturgut zu erhalten, ist zwar gut - aber nicht von einer Partei, die teilweise mit braunem Gedankengut sympathisiert." Der Luzerner Regierungspräsident Anton Schwingruber hat nicht vor, auf die Petition einzugehen: "Wir können einen so unverhältnismässigen Sicherheitsaufwand nicht mehr verantworten." 2011 sei man wieder für Vorschläge offen.  

Guy Studer

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ZIVILSTAND ILLEGAL
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tagesanzeiger.ch 10.2.10

Auf dem Zivilstandsamt klickten die Handschellen

Maria Rodriguez

 Mitten in den Hochzeitsvorbereitungen wird der künftige Bräutigam von der Polizei abgeführt. Eine Liebesgeschichte mit vielen Hindernissen.

 Seit 18 Monaten sind Carla* und Souleymane* ein Liebespaar. Die 25-jährige Schweizerin und der 30-jährige Sans Papier aus Senegal wollten am 11. Februar heiraten. Im Vorfeld wurden die nötigen Papiere besorgt, Souleymane erhielt einen Pass. Trotzdem platzte die bevorstehende Hochzeit. Am 2. Februar ging das Paar auf das Zivilstandsamt der Stadt Zürich um den provisorischen Hochzeitstermin von morgen Donnerstag zu bestätigen. Mitten im Gespräch tauchten zwei Polizeibeamte auf: "Es war ein Riesenschock. Wir konnten uns nur kurz verabschieden. Mein Freund wurde mit Handschellen abgeführt. Ich dachte, das Zivilstandsamt sei da, um Leute zu verheiraten, nicht um die Eheschliessung zu verhindern", sagt Carla.

 Auch Marc Spescha, Anwalt des jungen Paars, findet das Vorgehen der Behörden unverhältnismässig: "Meine Klienten wurden vom Zivilstandsamt in eine Falle gelockt. Das ist ein Verhalten gegen Treu und Glauben. Dass der Staat einen allenfalls einen illegalen Aufenthalt prüfen und ahnden will, beklage ich nicht. Aber deswegen darf das Grund- und Menschenrecht auf Eheschliessung nicht vereitelt werden und schon gar nicht auf diese hinterlistige Weise."

 Zivilstandsamt verteidigt Vorgehen

 Roland Peterhans, Ko-Leiter Zivilstandsamt der Stadt Zürich, rechtfertigt dieses Vorgehen: "Wir wollen auf gar keinen Fall Ehen verhindern. Es sollen Ehen geschlossen werden, bei denen die Papiere echt sind und bei denen das geltende Recht nicht umgangen wird. In diesem konkreten Fall hatten wir Zweifel an der Echtheit der Identitätskarte. Wir liessen das Dokument von der Kantonspolizei überprüfen. Diese forderte uns nach der Überprüfung auf, ihr Bescheid zu sagen, wenn der Heiratswillige bei uns vorspreche." Gemäss Spescha hätten die Behörden bei der Überprüfung der Papiere festgestellt, dass sie zwar echt seien, aber kein gültiges Visum enthielten. Deshalb habe man auf einen illegalen Aufenthalt geschlossen und, um den Sachverhalt aufzuklären, Souleymane verhaftet.

 Für den Senegalesen ist es nicht die erste Verhaftung. Vor neun Jahren kam er aus einem westafrikanischen Land in die Schweiz, sein Asylgesuch wurde abgelehnt. Er tauchte unter und lernte im Herbst 2008 Carla kennen. Letzten Sommer wurde er bei einer Kontrolle im Tram festgenommen. Einen gültigen Fahrausweis hatte der 30-Jährige zwar dabei, als Sans Papier konnte er sich aber nicht ausweisen. Er wurde wegen illegalen Aufenthalts abgeführt und zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe verurteilt.

 Liebespaar möchte trotzdem heiraten

 Das Migrationsamt nahm ihn vor Verbüssung dieser Strafe in Ausschaffungshaft. Während dieser Zeit stellte sein Anwalt ein Gesuch zur Bewilligung des Aufenthalts zur Vorbereitung der Eheschliessung oder als Härtefall. Carla kümmerte sich parallel um die Beschaffung der Heiratspapiere und eines Passes für ihren Zukünftigen. Daraufhin wurde Souleymane, gestützt auf die hängigen Gesuche, nach 79 Tagen aus der Ausschaffungshaft entlassen. Im Moment sitzt er wegen des verbliebenen Restes der Freiheitsstrafe noch etwa eine Woche im Gefängnis.

 Wenn immer möglich, besucht Carla ihren inhaftierten Freund. Auch wenn sie oft mit Vorurteilen zu kämpfen hat, weil ihr Freund ein westafrikanischer Sans Papier ist, ist sie von ihrem Liebsten überzeugt: "Souleymane war von Anfang an sehr offen und ehrlich. Wir haben eine gute Vertrauensbasis. Ich wusste, auf was ich mich einlasse." An eine Hochzeit glaubt sie nach wie vor: "Wir lieben uns und wollen unsere Beziehung leben. An ein Aufgeben denken wir beide nicht." Ein neuer Hochzeitstermin steht bereits fest. Ende Februar will sich das Liebespaar definitiv das Ja-Wort geben.

 * Auf Wunsch des Paars werden hier nur die Vornamen aufgeführt.

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Carla&Souleymane-Blog
http://carlasoule.ch

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ANTI-ATOM
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NZZ 10.2.10

Strom aus dem AKW Beznau ist doch nicht ganz so sauber

Wegen russischer Uran-Verarbeitungs-Prozesse muss die Umweltdeklaration korrigiert werden

 Die Öko-Bilanz des AKW Beznau wird korrigiert, es kommt zu Nachforschungen bei Anlagen in Russland. Parlamentarier wollen eine stärkere Aufsicht des Bundes über die Uran-Kreisläufe.

Davide Scruzzi

 Der Stromkonzern Axpo hatte 2008 für das AKW Beznau eine Klimabilanz präsentiert, in der für eine Kilowattstunde (kWh) Strom Emissionen von 3,04 Gramm Kohlendioxid errechnet wurden. Die Stromproduktion selbst ist kohlendioxidfrei, berücksichtigt in der pionierhaften Kalkulation wurden aber auch Faktoren wie Bau, Brennstoffherstellung und Endlagerung. So günstige Kohlendioxidwerte sind den AKW-Gegnern ein Dorn im Auge. Die Umweltorganisation Greenpeace hinterfragte denn die bei der Berechnung angenommenen Prozesse zur Herstellung des Uran-Brennstoffs. Axpo führte daraufhin nochmals Analysen durch (NZZ 23. 10. 09). Nun ist klar, dass die Werte korrigiert werden müssen. Sie dürften aber laut Axpo weiterhin weniger als 5 Gramm pro KWh betragen - weniger als bei Windkraft oder Solarstrom. Als problematisch für das ökologische Image von Beznau könnten sich indes die Produktionsbedingungen in Russland erweisen.

 Strittig war, mit welchem Material wiederaufgearbeitetes Uran in Russland angereichert wird, um die für Reaktoren nötige Konzentration des Isotops Uran-235 von 4,6 Prozent zu erreichen. Die Axpo-Experten haben bei der CO 2 -Kalkulation aus dem in Dokumenten formulierten Terminus "hoch angereichert" auf Substanzen aus der Abrüstung von Atomwaffen geschlossen. Neue Nachforschungen beim französischen Areva-Konzern als Vertragspartner haben aber ergeben, dass mit "hoch angereichert" nur Uran mit einem 14-Prozent-Anteil an 235er-Isotopen gemeint ist. Jenes Material stammt nicht aus Bomben, sondern aus russischen Wiederaufbereitungsanlagen, die ihrerseits mit gebrauchten Brennstoffen verschiedener Reaktortypen alimentiert werden. Für den Brennstoff-Spezialisten Tony Williams von Axpo stellt sich in den nächsten Monaten die Frage, wo und unter welchen Umständen die Wiederaufbereitung stattfindet, die mit dem Brennstoffzyklus für Beznau zusammenhängt. Greenpeace nannte dazu die Produktionsanlage Majak im Ural. In der Vergangenheit kam es dort zu schweren Unfällen und Verschmutzungen. Ein Zusammenhang solch trauriger Kapitel der Kernenergienutzung mit den Brennstofflieferungen an Schweizer AKW ist natürlich noch offen, schliesslich gibt es laut Tony Williams auch in Russland Beispiele moderner Anlagen, etwa das Werk in Elektrostal, wo die Endfertigung der Brennstäbe für Beznau erfolge.

 Rechtlich ist Axpo nicht dafür verantwortlich, was in Russland mit den Stoffen geschieht, denn auch der dort verwendete Basis-Stoff, welcher noch bis 2011 aus abgebrannten Schweizer Brennelementen stammt, ist im Besitz des französischen Areva-Konzerns. Die Standards für Umweltdeklarationen verlangen aber eine ganzheitliche Berücksichtigung der Prozesse.

 Ende 2009 forderte Nationalrat Geri Müller (gps., Aargau) in einer Motion eine Ausweitung der internationalen Aufsicht des Bundes über die Stoffe. Laut den jetzigen Regelungen registriert der Bund Ein- und Ausfuhr und im Ausland allfälliges Material in Schweizer Besitz. Im Übrigen verweist das Bundesamt für Energie aber auf die Kontrolltätigkeit der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA).

 Laut Williams werden die ökologischen Aspekte der Brennstofflieferung weiter an Wichtigkeit gewinnen auch im Hinblick auf künftige Lieferverträge (die jetzigen bei Beznau laufen bis 2020). Für das Kernkraftwerk Leibstadt will Williams ebenfalls Abklärungen zum Brennstoffkreislauf durchführen. Das AKW Mühleberg wird indes beispielsweise nicht mit Material aus Russland beliefert.