MEDIENSPIEGEL 10.2.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (GH)
- Sicherheitswahn: Gegen Gieskannen
- Antisemitismus: Alles gar nicht so schlimm...
- Sexwork BE: Businessplan + Melderegeln
- Reclaim the Street ZH: 031, RTS, Polizeimodelle
- Colours Zug
- Sempach: Polizei will Schlachtfeier
- Zivilstand Illegal ZH
- Anti-Atom: Faktor Uran
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REITSCHULE
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Mi 10.02.10
19.00 Uhr - SousLePont - Baskenland Spezialitäten
Do 11.02.10
20.00 Uhr - Rössli-Bar - Capital Slam
20.30 Uhr - Tojo - "Clyde & Bonnie" von Holger
Schober. Junge Bühne Bern. Regie: Sinje Homann. Schweizer
Erstaufführung.
20.30 Uhr - Infoladen - Info-Tour Antirep Aarau
Fr 12.02.10
20.30 Uhr - Kino - Baskenland: 0Itsasoaren Alaba (La hija
del mar), Josu Martinez, Euskal Herria (Baskenland) 2009
23.00 Uhr - Dachstock - Groovebox mit: SCSI-9 (live)
(kompakt, pro-tez / RUS); Marc Depulse (live) (Ostwind Records,
Kiddaz.FM, BluFin / DE); Jagged (live) (Quintessentials / be); Bud
Clyde (festmacher / be).
Sa 13.02.10
20.00 Uhr - Kino - Veranstaltung zum Baskenland mit
Gästen
20.30 Uhr - Tojo - "Clyde & Bonnie" von Holger
Schober. Junge Bühne Bern. Regie: Sinje Homann. Schweizer
Erstaufführung.
22.00 Uhr - SousLePont - Baskenland Soli: BERRI TXARRAK
(EH, Alternativ Power Rock)
22.00 Uhr - Dachstock - Cool & Deadly presents:
Rebellion the Recaller (Gambia- Live and Direct!) & Silly Walks
Discotheque (Hamburg): Soundsystem Show, Jugglin by: Junior Pilot (Boss
Hi-Fi) & Moya (More Fire).
So 14.02.10
19.00 Uhr - Tojo - "Clyde & Bonnie" von Holger
Schober. Junge Bühne Bern. Regie: Sinje Homann. Schweizer
Erstaufführung.
21.00 Uhr - Rössli-Bar - Dachstock presents: Aucan
(I/Africantape). Support: duQtuç (CH)
Infos: http://www.reitschule.ch
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Bund 10.2.10
Reitschule lädt Sehende in die Welt der Blinden ein
Bereits zum siebten Mal öffnet am Freitag die Blinde
Insel ihre Tore. Man setzt auf bewährte Konzepte.
Sebastian Meier
Die Blinde Insel in der Berner Reitschule ist in den
vergangenen Jahren zur Institution geworden. Bereits zum siebten Mal
wird ein Team von zehn blinden Menschen seine sehenden Gäste ins
Reich der Dunkelheit entführen. Der Besuch im hermetisch gegen das
Tageslicht abgeriegelten Zelt dürfte für manchen Besucher zum
anregenden Erlebnis für Geist und Gaumen werden.
In diesem Jahr setzt man laut Giorgio Andreoli vom
Betriebsteam der Grossen Halle der Reitschule auf bewährte
Konzepte. Geblieben ist etwa das Motto des Anlasses: "Neben der
Verständigung zwischen blinden und sehenden Menschen soll der
Klimawandel im Zentrum des Anlasses stehen." In der Küche setzt
man folgerichtig auf regionale Produkte, die von verschiedenen
Kochteams in schmackhafte Dreigänger verwandelt werden. Die
Menüs können von den Gästen wahlweise vor oder nach dem
Essen eingesehen werden.
Während des Essens lauschen die Gäste wie im
letzten Jahr den Kurzgeschichten von Pedro Lenz, Endo Anaconda, Franz
Hohler und anderen prominenten Wortakrobaten. Diese haben neue Texte
zur Klimathematik verfasst und vertont. Die Kurzgeschichten sollen laut
Andreoli das Kino im Kopf der Gäste aktivieren, während das
Auge von jeglichem Reiz befreit ist.
Neben Altbewährtem gibt es in der diesjährigen
Ausgabe der Blinden Insel auch Neues zu bestaunen. So wirbelt direkt
neben dem Zelt ein Tornado aus Wasserdampf elegant in einem Holzkasten.
Entsprechend dem Motto des Anlasses wird die Installation mit
Sonnenkollektoren auf dem Dach der Reitschule betrieben. Direkt daneben
schmilzt in einer Dunkelkammer ein kleiner Gletscher langsam und leise
knisternd vor sich hin. Das Projekt wurde von jungen blinden
Künstlern realisiert.
Geben und Nehmen
"Die Blinde Insel ist für mich ein bisschen wie ein
eigenes Kind", sagt Jolanda Gehri, die seit der ersten
Durchführung vor sieben Jahren zum Serviceteam gehört. "Hier
sind wir alle gleich." Oder eben doch nicht: In der Finsternis werden
die alltäglichen Rollen für die Dauer einer Mahlzeit ins
Gegenteil gekehrt. Der Sehende ist hilflos und bei jedem Schritt auf
die Orientierungsfähigkeit der Blinden angewiesen. Es sei ein
Geben und Nehmen zwischen Gästen und Personal. Man lerne die
Bedürfnisse des Gegenübers kennen und überwinde
Hemmschwellen, die im Alltag auf beiden Seiten bestünden, sagt
Gehri.
Dass sie auf der Strasse nur selten mit fremden Menschen
ins Gespräch komme, sei zwar schade, aber verständlich. Es
sei halt schwierig, sich in die Lage des jeweils anderen zu versetzen.
Auch für sie sei die Arbeit in der Blinden Insel aber alles andere
als Routine: "Ich habe jedes Mal Lampenfieber", sagt sie.
http://www.grossehalle.ch/blindeinsel
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SICHERHEITS-WAHN
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Bund 10.2.10
SP, GFL, GLP und EVP gegen "Sicherheit mit der Giesskanne"
Das überparteiliche Komitee "Sicher mit Mass: Ja zum
Gegenvorschlag" steigt gegen die Sicherheitsinitiative in den Wahlkampf.
Die Stadt Bern braucht mehr Polizisten. Das ist für
das Komitee "Sicher mit Mass: Ja zum Gegenvorschlag" unbestritten. Das
Ko-Präsidium aus Mitgliedern von SP, GFL, GLP und EVP lancierte
gestern im Politforum Käfigturm in Bern den Wahlkampf. "Die Frage
ist nicht, ob man handeln muss, sondern wie und wo", sagte
Nationalrätin Evi Allemann (sp). Die FDP-Initiative "Für eine
sichere Stadt Bern" habe eine nötige Diskussion angestossen, hiess
es. Sie schiesse aber über das Ziel hinaus.
Der Gegenvorschlag fordert, die Präsenzzeiten der
Polizei bis 2013 schrittweise um 20 000 Stunden zu erhöhen. Im
Gegensatz zu einem zwingenden Mehraufwand von 45 000 Stunden, wie ihn
die Initiative vorsieht, beschränke sich der Gegenvorschlag auf
das Nötige und das in kurzer Zeit Machbare, sagte Stadträtin
Barbara Streit-Stettler (evp). Gleichzeitig sei die Erhöhung der
Polizeipräsenz "mit der Giesskanne" die falsche Lösung, so
Nationalrat Alec von Graffenried (gfl). Statt die Mindestpräsenz
der Polizei in der Gemeindeordnung festzuschreiben, sei
Flexibilität gefragt. Man wisse, wo sich die Bevölkerung
unsicher fühle. Der Gegenvorschlag erlaube dort besonders in den
Nächten zwischen Donnerstag und Sonntag gezielte Verbesserungen.
Das Komitee betonte den im Gegenvorschlag vorgesehenen
Ausbau der Präventions- und Interventionsgruppe Pinto um 2,4
Vollzeitstellen. Die Polizei alleine schaffe keine Sicherheit. "Zu den
Delikten, die Pinto verhindert hat, gibt es leider keine Statistik",
sagte Manuel C. Widmer, Präsident der GFL Stadt Bern. Es werde
aber nicht einfach werden, die Wählerschaft vom Gegenvorschlag zu
überzeugen, sagte er. "Denn wir müssen konstruktiv
argumentieren." Den Wahlkampf führt das Komitee grösstenteils
im Internet und auf dem Internet-Netzwerk Facebook. (mra)
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Meinungen
Tribüne Deshalb haben wir die Initiative "Für eine
sichere Stadt Bern" lanciert.
Die Lage in Bern lässt sich nicht schönreden
Philippe Müller
Die Initiative "Für eine sichere Stadt Bern"
möchte der zunehmenden Gewalt auf der Strasse begegnen.
Natürlich, es gibt in der Welt gefährlichere Städte als
Bern. Die Situation lässt sich aber nicht schönreden: Die
Gewaltdelikte haben sich in Bern in 15 Jahren nachweislich fast
verdreifacht. Für die Opfer sind die Erlebnisse traumatisch. Die
Argumentation "Ich war noch nie in Gefahr, für mich brauchts nicht
mehr Polizei" ist egoistisch und kurzsichtig: Ich war auch noch nie
arbeitslos, trotzdem bin ich für eine gute
Arbeitslosenversicherung.
Aufgaben massiv gewachsen
Die Initiative fordert massvoll mehr Polizei: umgerechnet
zusätzlich 40 Polizisten, für die ganze Stadt, sechs Prozent
vom bisherigen Bestand. Das wäre die erste Erhöhung seit
1982, seit gut 27 Jahren! Wenn andere Bereiche in den letzten 27 Jahren
auch nur um sechs Prozent gewachsen wären, so schriebe die Stadt
Bern längst schwarze Zahlen. Die Aufgaben der Polizei sind in
dieser Zeit massiv gewachsen: Sportveranstaltungen, Demonstrationen,
häusliche Gewalt, Computerdelikte etc. Die Polizei ist heute
physisch und psychisch an ihren Grenzen, viele Wochenenden der
Polizeibeamten sind mit Einsätzen belegt - und keinen
Gewerkschafter kümmert es . . .
Mit der Initiative würde nur der Bestand um sechs
Prozent steigen, nicht aber die Kosten: Selbst nach ihrer Umsetzung ist
die Polizei nämlich immer noch weniger teuer als 2007, vor der
Integration der Stadt- in die Kantonspolizei. Der dadurch erzielte
Synergiegewinn der Stadt Bern von sechs Mio Franken deckt die Kosten
der Initiative mehr als ab. Das Geld ist also vorhanden. Apropos Geld:
Für Soziales gibt die Stadt jährlich 130 Mio aus, für
die Polizei 28. Einfach damit man die Relationen sieht.
Gegenvorschlag bringt nichts
Der Gemeinderat macht nun einen Gegenvorschlag mit nur 12
bis 14 zusätzlichen Polizisten. Was heisst das? Für eine
24-Stunden-Abdeckung bringt man damit gerade mal gut drei Mann
ständig auf Platz. Und dies für das ganze Stadtgebiet. Das
bringt natürlich nichts. Das weiss auch der Gemeinderat. Er will
damit ja auch nicht die Sicherheit verbessern, er will nur die
Initiative bodigen. Ohne die Initiative hätte er seinen Vorschlag
nie gemacht: Noch vor zwei Jahren wehrte er sich im Parlament gegen
jede Stärkung der Polizei. Ist die Sicherheitslage in den letzten
zwei Jahren so viel schlechter geworden?
Die von der Initiative geforderten 40 Polizisten sind das
absolute Minimum, um überhaupt eine Wirkung in mehreren
Stadtteilen zu erzielen. Dass nun ausgerechnet die Polizeigegner
behaupten, der Gegenvorschlag wirke "schneller", ist zynisch und
sachlich unzutreffend: 14 Polizisten sind natürlich schneller
rekrutiert als 40, die ersten 14 davon sind aber genau gleich schnell
da.
Richtig ist, dass man dem Gewaltphänomen nicht nur
mit Polizei begegnen soll. Das behauptet aber auch niemand. Es braucht
weitere Massnahmen. Mit einer Initiative ist es aber nicht gestattet,
mehrere Massnahmen vorzuschlagen, sonst ist sie ungültig (Prinzip
der "Einheit der Materie").
Auch Prävention verstärken
Immerhin will die Initiative die allseits anerkannte
Gewaltprävention verstärken, und zwar mit über 10
Personen; der Gemeinderat hingegen kommt mit gut zwei zusätzlichen
Pinto-Leuten und nennt das dann eine "breite Prävention". Das kann
man nicht ernst nehmen. Das Hauptmittel zur Gewährleistung von
Sicherheit ist und bleibt die Polizei - dies ist ihre ureigenste
Aufgabe. Und es ist die wohl zentralste Aufgabe jedes Gemeinwesens.
Dafür hat dieses auch das Gewaltmonopol. Dazu braucht es aber eine
funktionierende Polizei und keine überforderten, demotivierten
Beamten, denen man weiterhin eine spürbare Entlastung verweigert.
Wir haben erstmals seit 1982 die Gelegenheit, die Polizei
in der Bundesstadt zu verstärken - und wenns so weitergeht, zum
letzten Mal bis 2037. Deshalb: jetzt Ja stimmen zur Initiative und den
Gegenvorschlag des Gemeinderats - ein abstimmungstaktisches
Manöver - ablehnen.
Philippe Müller
Der Autor ist Fraktionspräsident der FDP im Berner
Stadtrat und Urheber der Initiative "Für eine sichere Stadt Bern".
Er ist Dipl. Ing und Fürsprecher und sitzt in der
Geschäftsleitung der CSL Behring in Bern-Wankdorf.
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BZ 10.2.10
Abstimmung vom 7. März
"Nicht bloss rechte Hysterie"
SP, GFL, EVP und Grünliberale haben gestern für
den Gegenvorschlag zur Sicherheitsinitiative der FDP geworben. Dieser
sei im Gegensatz zur "überrissenen" Initiative finanzierbar und
bringe "Sicherheit mit Mass".
Für Alec von Graffenried, GFL-Nationalrat und
früherer Regierungsstatthalter, ist der Fall klar: "Die
Sicherheitslage war objektiv noch nie so gut wie heute." Alle
Kriminalitätsstatistiken würden gegen unten zeigen - "wenn
man sie richtig liest". Das gelte auch für jene Statistik, die im
Abstimmungsbüchlein zur Sicherheitsinitiative abgedruckt ist und
klar gegen oben weist. Laut dieser Kurve der Statistikdienste der Stadt
Bern nahmen die Delikte gegen Leib und Leben zwischen 1998 und 2007 um
fünfzig Prozent zu. Dies habe damit zu tun, dass heute viele
Delikte unter Strafe gestellt seien, die früher nicht strafbar
waren, argumentierte von Graffenried und nannte als Beispiel die
häusliche Gewalt, welche erst seit 2004 strafbar ist.
Allemanns Polizeiplädoyer
Etwas weniger rosig fiel die Betrachtung der
Sicherheitslage durch SP-Nationalrätin und Sicherheitspolitikerin
Evi Allemann aus: "Wir dürfen das Thema Sicherheit nicht mit
saloppen Verweisen auf relativ stabile Kriminalitätsstatistiken
abtun - das wäre zu billig und zu einfach", appellierte sie vorab
ans eigene Lager, "es gibt Entwicklungen, die aufhorchen lassen." So
zeige eine Studie des Inselspital-Notfalls, dass Gewalt an Wochenenden
sehr stark zugenommen habe. Zudem hätten sich die
Polizeieinsätze rund um Sportveranstaltungen "vervielfacht" -
diese Polizisten fehlten in der Innenstadt. "Es fragt sich nicht, ob
man etwas machen muss, sondern wie viel man machen muss", folgerte
Allemann: "Man darf den Ruf nach mehr Sicherheit nicht einfach als
Hysterie von rechts abtun."
Trotzdem sei die Sicherheitsinitiative der FDP der falsche
Weg, befand die SP-Nationalrätin: "Sie gaukelt mit einseitigen
Massnahmen mehr Sicherheit vor." Es brauche einen Blick über Bern
hinaus. Schweizweit betrage der Überzeitberg bei der Polizei
längst über eine Million Stunden. Das wirke sich gravierend
auf die Arbeitsbedingungen und damit auch auf die Sicherheit aus. Die
unterdotierten Polizeien hätten noch einen weiteren Negativeffekt:
Kantone und Gemeinden würden Sicherheitsaufgaben an das
Militär oder an private Firmen wie die Securitas delegieren. Darum
müsse man mehr Mittel für die Polizei einsetzen und die
Aufstockung der Polizeikorps an die Hand nehmen. "Der massvolle
gemeinderätliche Gegenvorschlag zur Sicherheitsinitiative bietet
hier eine Lösung, die über Bern hinausstrahlen muss."
Stadträte fürchten Kosten
Diese Wirkung würde natürlich auch die
Initiative haben. Doch dem Unterstützungskomitee des
Gegenvorschlags ist diese zu teuer: "Die 2,2 Millionen Franken des
Gegenvorschlags sind für die Stadtfinanzen einigermassen
verkraftbar", sagte EVP-Stadträtin Barbara Streit-Stettler mit
Verweis auf das drohende Budgetdefizit. Bei Annahme der 5,8 Millionen
teuren Initiative drohe die Gefahr, dass ausgerechnet bei
präventiven Massnahmen wie der Schulsozialarbeit gespart
würde.
Auch für den grünliberalen Stadtrat Jan
Flückiger stehen pekuniäre Argumente im Vordergrund: Es sei
bekannt, dass der kantonale Polizeidirektor Hans-Jürg Käser
den Ressourcenvertrag "schon lange" neu aushandeln und der Stadt einen
höheren Betrag pro Polizeistunde verrechnen möchte. Mit
Annahme der Initiative würde sich die Stadt in eine "denkbar
ungünstige Verhandlungsposition" manövrieren. Dabei
müsste sich doch der Kanton "angemessener" an den Kosten für
die Einsätze an sportlichen und kulturellen Grossanlässen
beteiligen: Fast ein Drittel der von der Stadt eingekauften
Polizeistunden flössen in solche Events von überregionaler
Bedeutung, sagte Flückiger - "doch bezahlen tut die Stadt alleine".
Adrian Zurbriggen
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Reaktion
FDP ist nicht amüsiert
Leicht gereizt reagierte gestern die FDP auf die
Pressekonferenz des neuen Pro-Gegenvorschlag-Komitees. Der
Gegenvorschlag bringe sicherheitsmässig nichts, und die
ergänzende Stärkung der Interventionstruppe Pinto werde nicht
die versprochene Gewaltprävention leisten können. Schlicht
falsch sei zudem die Behauptung, der Gegenvorschlag könne rascher
umgesetzt werden: Die ersten 14 Polizisten wären bei der
Initiative ebenfalls binnen zweier Jahre da. Die Grünliberalen
seien mit der Unterstützung des Gegenvorschlags "im
rot-grünen Lager angekommen", reklamiert die FDP.
azu
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ANTISEMITISMUS
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Thuner Tagblatt 10.2.10
Nach Antisemitismus-Vorwürfen
Die Gemeinde Sigriswil wehrt sich für ihren Ruf
Sigriswils Gemeinderatspräsident Martin Sommer wehrt
sich für die Bevölkerung: Antisemitismus sei nicht weit
verbreitet.
In ein Wespennest stach Mili Kusano aus Gunten in der
Samstagsausgabe dieser Zeitung mit der Bemerkung, viele Sigriswiler und
Sigriswilerinnen seien antisemitisch. "Auch in Sigriswil gibt es
schwarze Schafe, die extrem eingestellt sind", reagierte gestern
Gemeinderatspräsident Martin Sommer (PBS). "Dass der
Antisemitismus bei uns aber weit verbreitet sein soll, stimmt einfach
nicht."
Andere Politiker und Bürger der Gemeinde sehen dies
ähnlich, zum Beispiel Adrian Amstutz (SVP, Nationalrat), Andrea
Bomio (FDP, alt Gemeindepräsident) und Fritz Abraham Oehrli (SVP,
alt Nationalrat). Sorgen um den Ruf Sigriswils als Ferienort macht sich
zudem Renate Gloor, Leiterin von Gunten-Sigriswil Tourismus. "Zum
Glück ist zurzeit nicht Hochsaison. Wenn die Gäste aus dem
Ausland die Angelegenheit mitbekämen, würde der Schaden wohl
noch grösser ausfallen."
Mili Kusano hat inzwischen eingesehen, dass sie mit ihrer
Aussage genau jene Einwohner von Sigriswil beleidigt hat, die nicht
antisemitisch sind: "Bei ihnen möchte ich mich in aller Form
entschuldigen."
mi
Seite 19
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Sigriswil: Aussage "Antisemitismus ist in der Gemeinde weit
verbreitet" schlägt hohe Wellen
Vorwurf löste grosse Empörung aus
"Antisemitismus ist in der Gemeinde weit verbreitet":
Diese Aussage in der Samstagsausgabe dieser Zeitung sorgt in Sigriswil
für eine Welle der Empörung. Der Gemeinderatspräsident
wehrt sich für seine Leute.
Mili Kusano aus Gunten, praktizierende Jüdin, nahm in
der Samstagsausgabe dieser Zeitung kein Blatt vor den Mund. Sie
erklärte, in Sigriswil seien breite Kreise der Bevölkerung
antisemitisch. Auslöser für ihre Aussage war ein
antisemitischer Text im privaten "Sigriswiler Anzeiger", geschrieben
von Otto Grossglauser aus Aeschlen, der bei der Gemeinde zu 50 Prozent
als Schwellenmeister angestellt ist.
Beim Sigriswiler Gemeinderatspräsidenten Martin
Sommer (PBS) riefen am Wochenende viele empörte Bürgerinnen
und Bürger an und distanzierten sich von dem Vorwurf. "Die Aussage
von Frau Kusano stimmt nicht", sagte Sommer gestern auf Anfrage. "Es
gibt zwar auch bei uns schwarze Schafe, doch von einer weiten
Verbreitung antisemitischen Gedankengutes kann keine Rede sein." Der
Vorwurf sei für viele Leute kränkend und werfe zudem ein
schlechtes Licht auf die Gemeinde. Es habe in Sigriswil vorher noch nie
antisemitische Vorfälle gegeben, und auch keine Anzeigen wegen
Verstosses gegen das Antirassismus-Gesetz. Otto Grossglauser habe sich
beim Gemeinderat schriftlich entschuldigt; sein Schreiben werde deshalb
keine beruflichen Konsequenzen für ihn haben."
Klare Worte findet auch der amtierende Nationalrat Adrian
Amstutz (SVP): "Als Mitglied der Parlamentarischen Gruppe
Schweiz-Israel verurteile ich den Antisemitismus scharf. Ebenso
dezidiert verurteile ich die haltlosen Verunglimpfungen von Frau
Kusano, die der Sigriswiler Bevölkerung einen weit verbreiteten
Antisemitismus unterstellt." Er wohne nun seit über 50 Jahren in
der Gemeinde. Antisemitismus sei bis zum aktuellen Vorfall und ausser
richtigerweise im Geschichtsunterricht gar nie ein Thema gewesen. "An
welchen Stammtischen die mir völlig unbekannte Frau Kusano
verkehrt, wo nach ihren Ausführungen angeblich antisemitische
Äusserungen gemacht werden, ist mir schleierhaft."
"Das ist eine Frechheit"
"Der Antisemitismus-Vorwurf ist eine Frechheit", sagte der
Sigriswiler alt Nationalrat Fritz Abraham Oehrli (SVP) aus Reust. "All
jene als Antisemiten zu verunglimpfen, die sich nicht explizit vom
Artikel im ‹Sigriswiler Anzeiger› distanzieren, ist ungehörig." Er
verstehe, dass Mili Kusano sich aufgeregt habe. Doch das sei kein Grund
für einen solchen Pauschalvorwurf.
Ein weiterer ehemaliger Politiker, der für seine
Mitbürger die Hand ins Feuer legt, ist Andrea Bomio (FDP). "Die
Leute brauchen zwar hin und wieder Redewendungen, die nicht
salonfähig sind. Aber wirklichen Antisemitismus konnte ich
während meiner Amtszeit nie feststellen", sagt Bomio, der in der
Gemeinde verschiedene Ämter bekleidete, unter anderen jene des
Gemeindepräsidenten und des Gemeinderatspräsidenten. "Ich bin
vom Gefühl her zudem absolut überzeugt, dass Otto
Grossglauser den Text zwar selber eingereicht, aber sicher nicht selber
geschrieben hat."
"Viele lasen es gar nicht"
Die Angelegenheit scheint jedoch nicht für alle
Bürger gleich wichtig zu sein. "Für die meisten unserer
Kunden ist sie kein Thema", sagt Christian Hostettler, der in Sigriswil
eine Bäckerei-Konditorei betreibt. "Einige Leute haben sich zwar
gefragt, wie ein solcher Artikel in den ‹Sigriswiler Anzeiger› gelangen
konnte." Doch die grosse Mehrheit habe den Text gar nicht gelesen.
Einen anderen Blickwinkel auf die ganze Angelegenheit hat
Renate Gloor, die Leiterin Gunten-Sigriswil-Tourismus: "Für den
Ruf von Sigriswil als Ferienort ist der ganze Wirbel sehr schlecht." Da
die Geschichte um Grossglausers Text inzwischen auch in nationalen
Medien und im Internet aufgenommen wurde, befürchtet Gloor einen
Imageschaden bei den Gästen aus der Schweiz. "Zum Glück ist
zurzeit nicht Hochsaison. Wenn die Gäste aus dem Ausland die
Angelegenheit mitbekommen würden, würde der Schaden wohl noch
grösser ausfallen."
Und Mili Kusano, die Urheberin des kritisierten
Statements? "Meine Aussage, Antisemitismus sei hier weit verbreitet,
hat viele Sigriswiler Bürger beleidigt, natürlich gerade
jene, welche ich mit dieser Aussage explizit nicht gemeint habe", sagt
die praktizierende Jüdin. "Das tut mir aufrichtig leid. Ich will
mich bei ihnen in aller Form und öffentlich entschuldigen." Sie
habe in Sigriswil viele freundschaftliche Beziehungen; mit ihrer
Bemerkung habe sie nicht eine ganze Gegend in Verruf bringen wollen.
"Dass auch ein intaktes Bollwerk gegen das Aufkommen solcher Extreme da
ist, hat ja auch die rasche und eindeutige Reaktion der Gemeinde
gezeigt." Es sei ihr mit ihrer Aussage vielmehr darum gegangen, jene
aufzurütteln, welche einer Hasstirade wie jener von Otto
Grossglauser gleichgültig gegenüberstehen oder damit offen
oder latent sympathisieren und Grossglausers Recht auf freie
Meinungsäusserung verteidigen. "Diese Leute möchte ich darum
bitten, ihre Haltung zu hinterfragen und sich mit dem Thema
Antisemitismus und Rassismus auseinanderzusetzen." Am Wochenende sei
sie von vielen ihr bisher nicht bekannten Sigriswilern angerufen
worden, die ihre Solidarität bekundet haben. "Das grosse Echo hat
mich sehr gefreut und ich danke dafür. Es zeigt auch die
Unterstützung, welche ich in der Gemeinde geniesse."
Marc Imboden
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SEXWORK BE
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BZ 10.2.10
Bordell bei Münchenbuchsee
Prostituierte mit Businessplan
Im früheren Motel an der Lyssstrasse bei
Münchenbuchsee ist wieder Betrieb eingekehrt - derselbe wie
früher: Sex. Der Zweck ist der gleiche, das Geschäftsmodell
anders: Die Frauen arbeiten nun als freischaffende Unternehmerinnen.
Bis Ende März 2009 war hier der Club 3000
einquartiert. Nach einer Razzia verhaftete die Polizei das
Betreiberehepaar und schlossen die Behörden das Etablissement
(siehe Kasten). Nach einer halbjährigen Pause arbeiten seit
Oktober im heruntergekommenen Motel nun wieder Prostituierte. Unter dem
Namen "Paradiso" bieten zwischen sechs und zwölf Frauen ihre
Dienste an. Sie kommen vorwiegend aus Osteuropa.
Das Sexgewerbe ist nun allerdings anders organisiert als
unter den früheren Betreibern. Das Statthalteramt Seeland in
Aarberg hat die gastgewerbliche Bewilligung erteilt und kennt das neue
Geschäftsmodell. Zum Verwaltungskreis Seeland gehört das
"Paradiso", weil es zwar nahe bei Münchenbuchsee, aber auf dem
Gebiet der Gemeinde Rapperswil liegt.
"Marktübliche Mieten"
Im ehemaligen Club 3000 waren die Sexarbeiterinnen
angestellt. Jetzt sind sie freischaffend. Das "Paradiso" unterhält
eine Kontaktbar und vermietet den Frauen die Räume. Der Betreiber
darf bloss "marktübliche Preise" verlangen, wie die
stellvertretende Regierungsstatthalterin Franziska Steck sagt.
Die selbstständigen Sexworkerinnen müssen sich
bei der Gemeinde Rapperswil anmelden. "Sie haben einen Businessplan
vorzulegen", erklärt Gemeindepräsidentin Christine Jakob
(SVP). Wie in anderen Geschäftsbereichen sollen die Einnahmen die
Ausgaben übersteigen. Die Geschäftspläne gehen an den
Migrationsdienst des Kantons Bern. Dieser kontrolliert, ob die
ausländerrechtlichen Bestimmungen eingehalten sind - und ob die
Frauen ihren Businessplan richtig berechnet haben.
Die Gemeinde Rapperswil muss überprüfen, ob im
"Paradiso" die Vorschriften eingehalten werden, die Bestimmungen des
Gastwirtschaftsgesetzes etwa. "Die Polizei und ich werden das Lokal
jährlich ein- bis zweimal kontrollieren", sagt
Gemeindepräsidentin Jakob. Bei diesen Visiten sind medizinische
Untersuchungen kein Thema. Prostitution ist ab 16 Jahren legal.
Obligatorische Gesundheitskontrollen gibt es nicht.
Das Statthalteramt in Aarberg bewilligte das Lokal unter
der Bedingung, dass Xenia, die Beratungsstelle für Frauen aus dem
Sexgewerbe, Zugang zum "Paradiso" hat. "Wir werden den Betrieb
nächstens besuchen", erklärt Xenia-Mitarbeiterin Jacqueline
Suter."
Unauffindbarer Wirt
Ein Gastwirtschaftsbetrieb mit angegliedertem Sexgewerbe:
alles legal, alles unter Kontrolle. Stutzig macht bloss, dass der Wirt
des "Paradiso" nicht aufzufinden ist. Die Redaktion kennt seinen Namen.
Unter der bei der Gemeinde Rapperswil deponierten Könizer Adresse
ist er nicht zu finden. Ein Telefoneintrag fehlt ebenso. Die einzigen
Spuren sind gelöschte Handelsregistereinträge.
Peter Steiger
--
Behörden loben die verschärfte Praxis
Mehr Aufwand, bessere Kontrolle: die positive Bilanz der
Behörden, seit im Sexgewerbe die Melderegeln verschärft
wurden.
Jeden M0nat legen etwa 37 osteuropäische
Prostituierte bei der Fremdenpolizei der Stadt Bern ihre Karten auf den
Tisch. Mit Businessplan, Mietvertrag, AHV-Ausweis, Anmeldung bei der
Steuerverwaltung und anderen Unterlagen müssen sie beweisen, dass
sie selbstständig erwerbend sind. Nur dann erhalten sie eine
Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung. "Seit letzten Oktober die
Bewilligungspraxis verschärft wurde, haben wir bei Kontrollen
keine illegalen Prostituierten mehr angetroffen", zieht
Fremdenpolizeichef Alexander Ott positive Bilanz.
Kontrolle fördert Vertrauen
Auch Florian Düblin, Leiter des kantonalen
Migrationsdienstes, ist mit der neuen Regelung zufrieden. Das Amt ist
für Gesuche aus Gemeinden zuständig, die über keine
eigene Fremdenpolizei verfügen. Die neue Praxis sei gut
angelaufen, bedeute jedoch einen grossen Mehraufwand für seine
Mitarbeiterinnen, so Düblin. Diese führen mit jeder
Gesuchstellerin ein etwa einstündiges Gespräch und
überprüfen die mitgebrachten Unterlagen. Ein Aufwand, der
sich laut Düblin lohnt: "Zwischen unseren Mitarbeiterinnen und den
Frauen entsteht ein Vertrauensverhältnis. Auch haben wir
mittlerweile einen besseren Überblick über das
Rotlichtmilieu."
"Weniger Illegale"
Seit letztem Oktober gingen beim Kanton 117 Gesuche von
osteuropäischen Prostituierten ein. Laut Florian Düblin
wurden 55 davon abgelehnt, weil sie den neuen Meldekritierien nicht
entsprochen hätten. Von den restlichen 62 Gesuchen wurden 36
bewilligt. Seit Anfang Jahr lehnte der Kanton 15 der 30 eingereichten
Gesuch ab. Beschwerden gegen negative Entscheide sind laut Düblin
noch keine eingegangen. Bei Kontrollen im restlichen Kantonsgebiet habe
die Kantonspolizei seit letztem Oktober wesentlich weniger illegale
Prostituierte aufgegriffen, so Düblin. Verlässliche Zahlen
kann er derzeit keine nennen.
Xenia kritisiert Behörden
Die verschärften Melderegeln für
osteuropäische Prostituierte gelten im Kanton Bern seit fünf
Monaten. Damit wollen die Behörden die Frauen vor Gewalt und
Ausbeutung schützen. Bei den Betroffenen, den Bordellbetreibern
und bei Xenia, der Beratungsstelle für Prostituierte, löste
die Regeländerung jedoch Entrüstung und Bedenken aus. Die
neue Praxis sei "katastrophal" und dränge die Frauen in die
Illegalität, erklärte die Beratungsstelle (wir berichteten).
Heute ist Xenias Kritik zwar etwas leiser geworden, aber
nicht verstummt. Der beträchtliche administrative Aufwand lasse
die Frauen in Kantone mit liberalerer Praxis ausweichen, sagt
Jacqueline Suter. Prostituierte, die vor Oktober 2009 noch legal im
Kanton Bern arbeiten konnten, reisten nun ein und stellten fest, dass
sie plötzlich illegal seien. "Für viele der Frauen hat sich
die Situation verschlechtert."
Die verschärfte Bewilligungspraxis hat auch Xenia
Mehraufwand gebracht. "Wir sind dabei, unsere Beratung an die neuen
Regeln anzupassen", so Suter. Dies sei kein Leichtes, weil die
nötigen Unterlagen von Fall zu Fall variierten. So verlange die
städtische Fremdenpolizei einen Kontoauszug, beim Kanton ist sei
dies nicht nötig. Frepo-Chef Ott dazu: "So wollen wir sichergehen,
dass die Frauen nicht von der Fürsorge abhängig sind."
Andrea Sommer
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RECLAIM THE STREET ZH
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20 Minuten 10.2.10
"031"-Tags: Berner Täter?
Bern. Nach den schweren Ausschreitungen in Zürich vom
letzten Wochenende sind an vielen Fassaden und Schaufenstern der Tag
"031" aufgetaucht. In Zürich wird nun vermutet, dass die Urheber
aus einer linksautonomen Szene der Region Bern stammen. "Die Tags sind
in Bern schon oft aufgetaucht, aber auch in Zürich und weiteren
Städten", sagt Kapo-Sprecher Heinz Pfeuti. Täter aus dieser
Szene habe die Polizei aber noch nie ermittelt.
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Tagesanzeiger 10.2.10
"Die Stadtpolizei muss in Zukunft ihren Personalbestand
erhöhen"
SP-Stadträtin Esther Maurer bedauert, dass am Samstag
keiner der Chaoten verhaftet wurde.
Mit Polizeivorsteherin Esther Maurer sprach Stefan Hohler
Frau Maurer, Sie haben nach dem Saubannerzug drei Tage
gewartet, bis Sie sich den Medien stellten. Am 1. Mai ziehen Sie
jeweils am gleichen Abend Bilanz.
Ich habe mir am Montag zuerst einen Überblick
über die Ereignisse machen müssen. Ich trete erst in den
Medien auf, wenn ich weiss, was los war. Am1. Mai dagegen bin ich den
ganzen Tag in der Einsatzzentrale und verfolge die Ereignisse. So bin
ich abends in der Lage, die Medien darüber zu informieren.
Wie bewerten Sie den Polizeieinsatz vom Samstagabend?
Die Polizisten vor Ort haben optimale Arbeit geleistet.
Sie konnten verhindern, dass der Umzug in die Innenstadt gelangte. Dass
es zu keiner Verhaftung kam, bedaure ich sehr. Es hängt mit der
beschränkten Zahl der Einsatzkräfte zusammen. Ich hoffe aber,
dass die Auswertung der privaten Überwachungskameras doch noch zu
Strafverfahren führen wird.
Ihre Einschätzung zum Polizeieinsatz teilen die
betroffenen Laden- und Hausbesitzer vermutlich nicht.
Ich habe viel Verständnis für die Ladenbesitzer
im Kreis 4: Es tönt für sie beinahe zynisch, wenn man in
dieser Situation positiv wertet, dass die Innenstadt durch die Polizei
geschützt werden konnte. Der Polizeieinsatz sollte sich
künftig nicht nur auf Schadensbegrenzung beschränken: Ein
neues Alarmierungssystem soll dafür sorgen, dass wir für
derart überraschende Einsätze schneller mehr
Einsatzkräfte haben. Ähnlich wie bei der Milizfeuerwehr
wollen wir so die Polizisten in der Freizeit per Pager oder Handy
aufbieten. Aber man darf sich keine Illusionen machen: Einrücken
und Bereitstellen der entsprechenden Ausrüstung brauchen Zeit, und
das Ganze kostet einiges.
Wann ist dieses neue Alarmierungssystem spruchreif?
Die Planung läuft, aber sie ist für die grosse
Zahl von Polizisten entsprechend kompliziert. Ich hoffe, dass der
Betrag im nächsten Budget eingebracht und per 2011 umgesetzt
werden kann.
Eine stehende Einsatzreserve ist demnach für Sie kein
Thema?
Nein, diese Kosten stehen in keinem Verhältnis zum
Nutzen. Eine solche Truppe von rund 200 Polizisten würde
jährliche Gesamtkosten von gegen 40 Millionen Franken verursachen.
Wir dürfen auch nicht vergessen: Die Ausschreitungen waren ein
Einzelfall. Die letzte gewalttätige Aktion "Reclaim the Streets"
war vor sieben Jahren. Wir dürfen trotz den enormen Schäden
das Augenmass nicht verlieren.
Kritik erntete die Polizei, weil sie völlig
überrascht wurde. Welche Konsequenzen ziehen Sie betreffend
Informationsbeschaffung?
Auch hier gilt: keine vorschnellen Hüftschüsse.
Wir müssen uns an das Bundesgesetz über Massnahmen zur
Wahrung der inneren Sicherheit halten, welches die
Informationsbeschaffung klar regelt. Da besteht auf städtischer
Ebene kein Spielraum. Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir den
gesetzlichen Rahmen voll ausschöpfen.
Auch von SP-Seite werden jetzt mehr Polizisten gefordert.
In der Budgetdebatte wurde eine Aufstockung des Polizeikorps um 15
Stellen aber von SP und Grünen abgelehnt.
Die Stadtpolizei hat im Jahr 2007 ihren Sollbestand
erreicht, darauf bin ich stolz. Aber es stimmt, sie wird in Zukunft den
Sollbestand erhöhen müssen. Das hängt mit der
gesellschaftlichen Entwicklung, insbesondere unserer
24-Stunden-Gesellschaft und dem Wachstum der Bevölkerung,
zusammen. Dazu reichen 15 Stellen nicht. Deshalb braucht das Parlament
eine exakte und transparente Personalplanung für das nächste
Budget.
Wie viele neue Stellen wird dann Ihre Nachfolgerin oder
Ihr Nachfolger im Parlament beantragen?
Das kann ich nicht sagen. Nur so viel: Um einen Polizisten
rund um die Uhr im Dienst zu haben, braucht es wegen Ferien,
Weiterbildung und so weiter fünf Polizisten. 15 neue Stellen
würden lediglich drei Polizisten im Dienst abgelten. Es wird wohl
deutlich mehr brauchen.
--
Bürgerliche versuchen, mit dem Thema Sicherheit zu
punkten
SVP hofft auf Wählerzulauf - wie nach den Krawallen
in Bern
Die Bürgerlichen wollen das Korps der Stadtpolizei
verstärken. Die Linke tut dies als reine Stimmungsmache im
Wahlkampf ab.
Von Stefan Häne
Zürich - Als Geschenk des Himmels will
SVP-Stadtratskandidat Mauro Tuena den gewalttätigen Mob vom
Samstag zwar nicht bezeichnen. Er hofft aber, dass die Bevölkerung
durch den Vorfall aufgerüttelt und am 7. März seine Partei
wählen wird - ähnlich wie im Herbst 2007, als vor den
Nationalratswahlen Linksradikale an einer SVP-Veranstaltung auf dem
Bundeshausplatz in Bern wüteten. Die SVP verbuchte danach einen
"historischen Wahlsieg". "Wir haben uns immer für die Sicherheit
in Zürich eingesetzt", sagt Tuena und verweist auf die
Bemühungen der SVP, im Budget 2010 das Korps der Stadtpolizei um
15 Stellen (1,8 Millionen Franken) aufzustocken.
Die SVP scheiterte bekanntlich am Widerstand der SP und
der Grünen - trotz Unterstützung von FDP, CVP, EVP, PFZ und
Schweizer Demokraten. Nun unterstellen die Bürgerlichen den
Linken, ein falsches Spiel zu betreiben: Aus Angst vor Stimmenverlusten
stellten die Linksparteien nach der "Strassenschlacht" vom Samstag in
Aussicht, das Polizeikorps zu stärken. SP-Stadtratskandidatin
Claudia Nielsen vertrat dies zum Beispiel. Die FDP klagt in einer
Mitteilung, sie habe versucht, die Sicherheitsthematik auf Wahlpodien
zu thematisieren - vergeblich. Rot-Grün habe dies verhindert.
Dabei trage namentlich die SP mit Polizeivorsteherin Esther Maurer die
Verantwortung für die Sicherheit.
Die Linksparteien bestreiten, in der Sicherheitsdebatte
einen möglichen Fallstrick zu fürchten. "Die
Bürgerlichen versuchen, Stimmung zu machen", sagt Markus Knauss,
Fraktionschef der Grünen. Dass gerade sie mehr Geld für die
Polizei forderten, bezeichnet er als unglaubwürdig: "Sonst wollen
die Bürgerlichen überall sparen."
Min Li Marti, Fraktionschefin der SP, spricht von einem
Schnellschuss der SVP - mit der Folge, dass sich die bürgerlichen
Parteien nun in Forderungen nach mehr Sicherheit überböten.
Marti glaubt nicht, dass 15 zusätzliche Polizisten am Samstag mehr
hätten ausrichten können. Dass der Mob randalieren konnte,
schreibt sie einer Fehleinschätzung der Polizei zu. Marti betont,
die SP habe bei der Budgetdebatte im Dezember die Aufstockung
abgelehnt, weil das Polizeidepartement selber keine weiteren Stellen
gefordert habe. Wenn ein Bedarf ausgewiesen sei, "sind wir nicht
grundsätzlich dagegen", sagt Marti. Unverbindlich bleiben die
Linkspolitiker aber bei der Frage, ob sie künftig mehr Geld
für die Polizei sprechen werden.
Neuer Vorstoss der SVP
Die SVP wird die Thematik am Köcheln halten. Heute
wird sie im Gemeinderat einen Vorstoss - als Motion oder Postulat -
einreichen und darin abermals mehr Personal für die Polizei
fordern. Wie viel, wollte Tuena gestern nicht verraten.
SP-Fraktionschefin Marti glaubt nicht, dass die SVP von den Randalen
profitieren wird. Die Situation heute in Zürich lasse sich nicht
mit Bern 2007 vergleichen: Damals habe der Angriff der SVP gegolten,
und die Linke habe sich zu Beginn nicht genügend klar davon
distanziert.
---
NZZ 10.2.10
"Die Polizei hat das Optimum erreicht"
Polizeivorsteherin Esther Maurer nimmt Stellung zu den
Ausschreitungen in Zürich
Nach den schweren Ausschreitungen vom Wochenende hat
Stadträtin Esther Maurer Bilanz gezogen und ein neues
Alarmierungssystem angekündigt.
Frau Maurer, wie beurteilen Sie mit einigen Tagen Distanz
den Polizeieinsatz von vergangener Samstagnacht?
Die Polizei hat mit den zur Verfügung stehenden
Einsatzkräften meiner Meinung nach das Optimum bei der
Schadensbegrenzung erreicht. Sie hat sehr schnell reagiert, die
verfügbaren Leute zusammengezogen, ausgerüstet und vor Ort
geschickt. So konnte zumindest die Innenstadt vor Zerstörungen
bewahrt werden. Persönlich bedaure ich sehr, dass aufgrund des
kleinen Polizeiaufgebots keine qualifizierten Verhaftungen vorgenommen
werden konnten. Mit der Auswertung von Aufnahmen privater
Überwachungskameras erhoffen wir uns aber noch Hinweise auf
einzelne Täter.
Hätte die Polizei nicht besser vorbereitet sein
müssen?
Man kann sich natürlich die Frage stellen, ob nicht
im Vorfeld mehr gemacht hätte werden sollen. Mit den geltenden
Bestimmungen des Staatsschutzes ist es der Polizei aber ohne konkreten
Verdacht nur möglich, die öffentlich verfügbaren
Informationen auszuwerten. Das ist nach bestem Wissen und Gewissen
gemacht worden. Dabei ist man leider auf keine Hinweise auf eine
gewalttätige Veranstaltung gestossen.
Was halten Sie von einer stehenden Einsatzreserve der
Stadtpolizei, wie sie von einigen bürgerlichen Politikern
gefordert wird?
Eine solche Einsatzreserve hätte allein Lohnkosten
von über 20 Millionen Franken pro Jahr zur Folge. Diese Kosten
stünden in keinem Verhältnis zum Nutzen. Schliesslich ist es
sieben Jahre her, seit eine ähnliche "Reclaim the Streets"-Aktion
zu Ausschreitungen und Sachbeschädigungen geführt hat. Man
muss die Ausschreitungen ernst nehmen, sollte aber wegen eines
Einzelereignisses nicht überreagieren. Eine spontane,
gewalttätige Demonstration mit mehreren hundert Teilnehmenden ohne
jede Vorankündigung ist eine absolute Ausnahme in der Stadt
Zürich. Ich wehre mich daher gegen die vorgebrachte Forderung nach
immer mehr Polizei und damit vermeintlicher Sicherheit, weiss aber
auch, dass Wahlkampf ist.
Sie setzen sich nicht für mehr Polizei ein?
Ich habe mich immer konsequent für das Erreichen
unseres Sollbestandes eingesetzt, was wir 2007 auch bereits geschafft
haben. Die Stadtpolizei ist angehalten, sich den gesellschaftlichen
Entwicklungen laufend anzupassen und betriebliche Optimierungen
vorzunehmen. Wir haben pro Jahr 10 000 Leute mehr in der Stadt, das
heisst, wir brauchen auch mehr Polizisten. In der nächsten
Budgetdebatte werden wir deshalb einen detaillierten wie realistischen
Plan zur Aufstockung der Polizei vorlegen.
Aber wie wollen Sie in Zukunft bei spontanen und
gewalttätigen Demonstrationen reagieren?
Die Stadtpolizei plant schon seit längerem ein
Alarmierungssystem über die Einsatzzentrale, das analog der
Pager-Alarmierung bei der Milizfeuerwehr funktionieren soll. Wir
prüfen im Moment die günstigste Lösung. Man darf sich
aber keine Illusionen machen: Auch bei einem Pikett-System braucht das
Einrücken und Ausrüsten der Polizisten für den
Ordnungsdienst seine Zeit. Zudem ist ein solches Alarmierungssystem
nicht gratis zu haben. Es braucht dazu technische Ausrüstung, und
es müssten Lohnzulagen wegen des Pikettdienstes entrichtet werden.
Der angerichtete Sachschaden wird auf mehrere
hunderttausend Franken geschätzt. Trotzdem haben Sie, im Gegensatz
zum 1. Mai, weder am Wochenende noch am Montag Stellung genommen.
Weshalb?
Am 1. Mai gibt es einen Rahmenauftrag des Stadtrats an die
Stadtpolizei. Ich verfolge das Geschehen jeweils den ganzen Tag in der
Einsatzzentrale. Danach bin ich in der Lage, den Polizeieinsatz vor den
Medien zu kommentieren. Bei den Ausschreitungen von diesem Wochenende
wollte ich mir zuerst ein Bild der Lage verschaffen, bevor ich
kommuniziere.
Interview: tri.
--
Wider die Kommerzialisierung
Was mit "Reclaim the Streets" bezweckt werden soll
tri. ⋅ "Reclaim the Streets" (RTS) - ein Slogan der am
vergangenen Wochenende buchstäblich über Nacht wieder ins
öffentliche Bewusstsein gerückt ist. Doch was sind die
Ursprünge und die Anliegen dieser Protestform, die in Zürich
zu Sachschäden von Hunderttausenden Franken geführt hat? Es
herrscht offenbar Klärungsbedarf.
Marion Hamm, Kulturwissenschafterin an der
Universität Luzern, forscht zu sozialen Bewegungen und hat zu RTS
publiziert. Laut Hamm richten sich RTS-Veranstaltungen meist gegen eine
wahrgenommene Kommerzialisierung und Privatisierung im
öffentlichen Raum, durch die sozial Schwächere und
Jugendliche aus den urbanen Zentren verdrängt würden.
Schlagworte hierfür seien etwa Gentrifizierung oder
Wegweisungsartikel. Mit unangemeldeten Partys soll der öffentliche
Raum für eine beschränkte Zeit angeeignet, ja bildlich
zurückerobert werden. Typische Elemente seien eine klandestine
Mobilisierung in subkulturellen Szenen, eine mobile Musikanlage und das
Tanzen, weiss Hamm. Was nach den Ausschreitungen in Zürich
rätselhaft erscheint, ist, dass mit dieser Form des Protestes
gerade Konfrontationen mit der Polizei vermieden werden sollen.
Laut Hamm entstand RTS Anfang der 1990er Jahre in
Grossbritannien im Zuge von Protesten gegen Strassenbauprojekte und
sogenannten freien Partys. Seit der Jahrtausendwende verbreitete sich
diese Protestform mit der globalisierungskritischen Bewegung in ganz
Europa, den USA und Südamerika. Naomi Klein erwähnt die
Protestform gar in "No Logo", ihrem berühmten Manifest der
Globalisierungskritik.
Trotz weltweiter Verbreitung und einem gemeinsamen
antikapitalistischen Impetus seien die lokalen Ausprägungen aber
sehr unterschiedlich, sagt Hamm. Auslöser für einen RTS-Event
können politische Entscheide sein, wie die Räumung eines
besetzten Hauses, die Schliessung eines alternativen Kulturraumes oder
mehr Polizeipräsenz. Die Organisatoren der RTS-Veranstaltungen
bleiben dabei meist wenig fassbar, die Mobilisierung passiert über
Netzwerke und Mund-zu-Mund-Propaganda. So ist laut Hamm oft völlig
offen, wer einem Aufruf Folge leistet. Entsprechend unsicher ist die
Dynamik, die eine solche Veranstaltung annehmen kann, wie das Beispiel
Zürichs zeigt.
In den letzten Jahren gab es mehrere RTS-Partys in der
Limmatstadt, die meistens laut waren, aber keine Zerstörung zur
Folge hatten. Einzige Ausnahme war eine Veranstaltung vor sieben Jahren
mit einem Sachschaden von rund 80 000 Franken. Dass es am vergangenen
Wochenende wieder zu Ausschreitungen gekommen ist, erstaunt Hamm. "RTS
sind im Allgemeinen nicht auf Konfrontation ausgerichtet, sondern auf
Offenheit und Partizipation", sagt sie. Die Bilder der Zerstörung
aus Zürich sprechen dagegen eine andere Sprache. Die Organisatoren
mögen zwar durchaus eine friedliche Manifestation mit Musik und
Tanz geplant haben. Das offenbar vorhandene Gewaltpotenzial von
militanten Aktivisten aus der autonomen Szene, Fussball-Hooligans sowie
betrunkenen Partygängern im Zürcher Ausgehviertel haben sie
aber massiv unterschätzt - oder stillschweigend geduldet.
---
Basler Zeitung 10.2.10
Der Mob schlägt wie der Blitz ein
Spontan-Zusammenrottungen rütteln auf - und manchmal
eskalieren sie wie in Zürich
Timm Eugster, Zürch
Eine im Geheimen organisierte Strassenparty endete in
Zürich am Wochenende in einer Zerstörungsorgie. Verhindern
liesse sich Ähnliches in Basel nur mit einer 13 Millionen Franken
teuren ständigen Eingreiftruppe.
In Zürich fand der 1. Mai dieses Jahr schon am 6.
Februar statt. Rund 500 junge Menschen zogen durch das
Langstrassen-Quartier und hinterliessen eine Spur der Zerstörung:
eingeschlagene Fensterscheiben, demolierte Autos, vollgesprayte
Wände. Doch Polizisten, die sich dem Mob entgegengestellt
hätten, waren lange keine da - erst bei der Sihl stoppte ein
Aufgebot den Zug. Längst nicht mehr so gross sind die
Zerstörungen seit einigen Jahren am richtigen 1. Mai: Die Polizei
erstickt jede Bewegung im Keim.
Der grosse Unterschied zwischen 6. Februar und 1. Mai: Die
Polizei kennt die Nachdemo-Tradition des Tags der Arbeit und marschiert
entsprechechend auf. Von den winzigen Flyern, die am Fussballspiel
FCZ-Xamax verteilt werden, von den Aufrufen in nichtöffentlichen
Foren wie Facebook und von den SMS mit dem Text "Reclaim the Streets,
heute Samstag 22 Uhr, Carparkplatz Zürich" hingegen erfuhr der
diensthabende Polizeioffizier erst um 21.15 Uhr. Und blieb, dies ist
der zweite grosse Unterschied zum 1.Mai, erst mal ziemlich gelassen.
Das ist nachvollziehbar: Plötzliche Zusammenrottungen
sind heute alltäglich - und in der Regel kein Grund für
polizeiliche Alarmbereitschaft. Die Palette der Aktionen ist breit. Da
gibt es die Flash-Mobs, erfunden in Manhattan, am 24. Juli 2003
erstmals in Europa: Rund 50 Leute folgen einem SMS-Aufruf und essen
synchron einen Apfel am Zürcher Hauptbahnhof. Später liefern
sich Flash-Mobber in Basel Massen-Schneeballschlachten oder wollen
gemeinsam den Weltrekord im Hamburger-vertilgen brechen. Bald entdecken
Polit-Gruppen die neue Aktionsform - etwa mit dem "Smart Mob" gegen
Kriegsmatarialexporte.
Angst
Politisch ist auch der Hintergrund der "Reclaim the
Streets"-Bewegung - übersetzt "Holt euch die Strasse zurück"
-, aber nicht militant, sagt David Eugster, Protestforscher an der Uni
Zürich: "Man will die Stadt nicht in einem revolutionären
Kampf erobern, sondern kreativ beleben." Die Strasse wird so
plötzlich zum farbigen Festgelände ohne Eintritt,
Türsteher und überteuerte Getränke - darauf freuten sich
die meisten, die am Samstag dem Aufruf folgten. Eine Variante ist
"Critical Mass": Dutzende von Velofahrern geben das Tempo auf der
Strasse an. Die Polizei verzichtet in der Regel trotz fehlender
Bewilligungen auf einen Einsatz.
Der Weg der nicht-öffentlichen, kurzfristigen
Mobilisierung sei auch letzten Samstag kaum bewusst gewählt
worden, um Randalierern freie Bahn zu verschaffen, so Eugster - viel
eher hätten einige Mitläufer wohl den Freiraum "für ihre
Zwecke umdefiniert". Dass jetzt die Angst umgeht vor weiteren
Zerstörungen durch Hooligans und militante Linke, die sich in
einer Masse von mehr oder weniger politisch gesinnten Party-Leuten
verstecken, versteht Eugster. Trotzdem hält er den Ruf nach einer
permanenten Eingreiftruppe, wie er in Zürich jetzt auch von links
ertönt, für eine Überreaktion: "Was einmal passiert,
muss noch kein Trend sein."
Selten
Für den Basler Polizeikommandanten Gerhard Lips ist klar:
"Wir wären in Basel wohl genauso auf dem linken Fuss erwischt
worden - wir haben eine ähnliche Struktur wie Zürich und
Unterbestand." Für eine 24-Stunden-Eingreiftruppe von 20 Mann aber
bräuchte es 100 zusätzliche Stellen, was rund 13 Millionen
Franken pro Jahr kosten würde. Zum Vergleich: Die Sachschäden
in Zürich belaufen sich auf mehrere Hunderttausend Franken. "Eine
Eingreiftruppe wäre wünschbar", so Lips - "alleine für
Basel dürfte es sich angesichts der seltenen unvorhergesehenen
Ereignisse aber kaum lohnen." Sinn machen würde für ihn
deshalb eine gemeinsame Nordwestschweizer Truppe - "doch solche Ideen
sind noch wenig konkret".
---
St. Galler Tagblatt 10.2.10
Polizei wie Feuerwehr aufbieten
Die Zürcher Polizeivorsteherin Esther Maurer spricht
sich gegen eine Einsatzreserve der Polizei aus, will aber ein neues
Alarmierungssystem einführen.
Zürich. Die Zürcher Stadtpolizei soll künftig bei
überraschenden Ereignissen - wie der unbewilligten
gewalttätigen Demonstration vom letzten Wochenende - schneller
Personal aufbieten können. Polizeivorsteherin Esther Maurer (SP)
kündigt dafür ein neues Alarmierungssystem an.
Wie bei der Feuerwehr
Die Alarmierung von Polizisten soll künftig
ähnlich funktionieren wie jene von Feuerwehrleuten, erklärte
Maurer gegenüber dem Onlinedienst des "Tages-Anzeigers".
Allerdings dürfe man sich keine Illusionen machen,
sagte Maurer: Es brauche auch so seine Zeit, bis die aufgebotenen
Polizisten eingerückt und ausgerüstet seien.
Am vergangenen Samstagabend war die Polizei von einer
gewalttätigen Demonstration mit gegen 500 Teilnehmenden
überrascht worden, bei der Schäden in der Höhe von
mehreren hunderttausend Franken entstanden. Angekündigt worden war
die Aktion unter dem Slogan "Reclaim the Streets".
Keine Einsatzreserve
Nach Ansicht von Maurer wäre es verfehlt, eine
"stehende Einsatzreserve" bei der Stadtpolizei zu fordern. Die Kosten
würden dabei in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen. In der
Stadt Zürich seien spontane gewalttätige Demonstrationen
"ohne jede Ankündigung" mit mehreren hundert Teilnehmenden eine
absolute Ausnahme. Letztmals vor sieben Jahren hat gemäss Maurer
eine "Reclaim the Streets"-Aktion zu Ausschreitungen geführt. In
der Regel geht es bei solchen - meist friedlichen - Demonstrationen
darum, die Strasse als kulturellen Freiraum zu erobern.
Zu wenig Polizeikräfte vor Ort
Am Samstag versammelten sich die Demonstranten ab 22 Uhr
beim Carparkplatz hinter dem Hauptbahnhof. Sie zogen durch die
Stadtkreise 4 und 5, besprayten Hauswände und schlugen auf Autos
und Schaufenster ein. Die verfügbaren Polizeikräfte, zu
wenige für diesen Vorfall, hätten mit ihrem Einsatz "ein
Maximum an Schadensbegrenzung erreicht", erklärte Maurer. (sda)
---
Blick am Abend 9.2.10
"Sie erreichten ein Maximum"
Debatte
Polizeivorsteherin Esther Maurer über den
Demo-Einsatz ihrer Truppe.
reda.elarbi@ringier.ch
Frau Maurer, seit den Ausschreitungen vom Samstag meldeten
Sie sich nicht zu Wort. Wieso?
Ich habe zwei Grundsätze: Erstens sollen jene
informieren, die etwas zu sagen haben, und zweitens äussere ich
mich erst dann, wenn ich die Situation auch überblicke. Ich musste
mir erst ein vollständiges Lagebild verschaffen.
Wie schätzen Sie den Polizeieinsatz bei den
Samstagskrawallen ein?
Die verfügbaren Kräfte haben ein Maximum an
Schadensbegrenzung erreicht. Eine spontane gewalttätige
Demonstration mit mehreren hundert Teilnehmenden ist eine absolute
Ausnahme in der Stadt Zürich.
Ziehen Sie politische Konsequenzen aus dem Vorfall?
Die Stadtpolizei erarbeitet schon seit längerem ein
neues Alarmierungssystem für unvorhergesehene Einsätze -
analog zur Pager-Alarmierung bei der Feuerwehr. Es ist aber verfehlt,
wegen diesem Vorfall eine stehende Einsatzreserve zu fordern.
Es braucht nicht mehr Polizisten?
Die Kosten würden in keinem Verhältnis stehen
zum Nutzen, zumal es etwa sieben Jahre her ist, seit eine solche Aktion
"Reclaim the Street" zum letzten Mal zu Ausschreitungen führte.
Die Stadtpolizei soll, aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklungen
wie etwa der 24-Stunden-Gesellschaft und des Nachtlebens, ihre
Organisation laufend anpassen und gleichzeitig aber auch den
Sollbestand überprüfen und wo nötig erhöhen.
Also geschieht nichts?
Es ist wie beim Risk Management: Man beurteilt die Kosten
aufgrund des möglichen Schadensausmasses. Und da kann man unschwer
feststellen, dass die Kosten für eine derartige Einsatzreserve pro
Tag gleich hoch wären wie die Schadenshöhe, wenn eine solche
Krawalldemo stattfindet.
--
"Eine ständige Reserve wäre viel zu teuer."
Die nächtlichen Krawalle
Am Samstag riefen Aktivisten auf Handzetteln, per SMS und
auf Facebook zu einem "Reclaim The Streets"-Fest auf dem Carparkplatz
auf. Gegen 22 Uhr fanden sich 400 bis 500 Leute dort ein. Während
des Strassen-Events kam es zu Sachbeschädigungen. Die Polizei war
unvorbereitet und konnte die Randalierer nicht stoppen.
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COLOURS ZUG
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NLZ 10.2.10
UBS in Zug
Schon wieder ein Farbanschlag
Wolfgang Holz
Sechs vermummte Personen sollen es gewesen sein, die am
Montagabend mehrere mit Farbe gefüllte Flaschen gegen die Fassade
der UBS in Zug geworfen haben. Die Farbattentäter wurden von
Passanten gegen 22.30 Uhr auf frischer Tat gesichtet - danach
flüchteten sie in Richtung Bahnhof. Am Gebäude ist grosser
Sachschaden in Höhe von mehreren zehntausend Franken entstanden.
Wieder ein Bekennerschreiben
"Die Zuger Polizei befragte bereits einige Passanten,
welche die Vandalen beobachten konnten", sagt Marcel Schlatter,
Mediensprecher der Zuger Strafverfolgungsbehörden. Dennoch gibt es
noch keine heisse Spur. Bereits vor ungefähr einem Jahr
verübten unbekannte Täter einen Farbanschlag auf die Zuger
UBS-Filiale bei der Metalli. Damals hinterliessen sie ein
Bekennerschreiben im Internet. "Die Täter von damals konnten nicht
ausfindig gemacht werden", so Schlatter. Auch dieses Mal hinterlassen
die Fassadenschmierer eine entsprechend linke Botschaft im Netz. Auf
der Website switzerland.indymedia.org/de wird antikapitalistische
Kritik laut: "Heute Nacht haben wir die UBS in Zug mit Farbe
angegriffen. Die UBS als Symbol der Krise und des Kapitalismus, der uns
täglich unser Leben klaut ..." Laut Schlatter tummeln sich auf
dieser Internetseite Botschaften der linken Szene, die es auch in Zug
gebe - in Form der Hausbesetzer.
"Wir bewerten das nicht"
Gibt es Videokameraaufnahmen von dem Farbanschlag?
"Über Sicherheitseinrichtungen in unseren Bankfilialen geben wir
keine Details bekannt", erklärt UBS-Mediensprecher Dominique
Gerster. Die farbige Attacke will die UBS nicht bewerten. "Die
MZ-Immobilien AG bedauert den Vorfall und stellt als betroffene
Eigentümerin Strafanzeige", nimmt Rony Amrein von der Zuger Firma
Stellung. "Die Schadenshöhe ist bisher unbekannt. Über
sicherheitsrelevante Themen äussern wir uns aus taktischen
Gründen nicht."
Hinweis: Weitere Zeugen werden gebeten, sich bei der Zuger
Polizei unter Telefon 041 728 41 41 zu melden.
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Blick am Abend 10.2.10
Farbanschlag auf die UBS
Sauerei
Unbekannte verwüsten die UBS in Zug - die Polizei
hoftnun auf Tipps aus der Bevölkerung.
Sechs Vermummte haben am Montagabend die UBS-Filiale in
Zug verschmutzt. Passanten hatten sie beobachtet, wie sie gegen 22.30
Uhr Glasfl aschen an die Gebäudefassade warfen, die mit dunkler
Farbe gefüllt waren. Danach fl üchtete die Bande in Richtung
Bahnhof. Bis die Polizei eintraf, waren die Täter bereits
verschwunden. Am Gebäude enstand ein Sachschaden von mehreren
zehntausend Franken.
Die Polizei konnte bereits verschiedene Augenzeugen zu dem
Vorfall befragen, bislang die Täter aber nicht ermitteln. Man hoft
deshalb nun auf weitere Hinweise aus der Bevölkerung, um die
Farb-Werfer zu stellen. pi
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SEMPACH
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NLZ 10.2.10
Sempach
SVP-Petition zur Schlachtfeier
tö. Die SVP Kanton Luzern will die Bevölkerung
mobilisieren, damit die Sempacher Schlachtjahrzeit in der bisherigen
Form weitergeführt wird. Sie lanciert die Petition "für eine
würdevolle und traditionsreiche Sempacher Schlachtfeier".
SVP-Info-Chef Anian Liebrand erläuterte gestern: "Die
Bevölkerung versteht nicht, warum der Regierungsrat kuscht, bloss
weil Linksextreme die Feier für ihre politischen Zwecke
missbrauchen wollen."
Die Luzerner Regierung hatte unter dem Eindruck der
zunehmenden Politisierung des Gedenkanlasses beschlossen, 2010 nur mehr
einen schlichten Gottesdienst durchführen zu lassen. Darauf
kündigte der Sempacher Stadtrat an, eine Arbeitsgruppe werde "ein
Alternativprogramm für eine lokale Gedenkfeier im Jahr 2010
erarbeiten".
SP und Juso wehren sich
Auch gestern gabs sofort Reaktionen auf die
angekündigte SVP-Petition. "Einmal mehr nimmt die SVP Kanton
Luzern die Rechtsextremen in Schutz. Gleichzeitig verunglimpft sie den
friedlichen Protest der Juso für die demokratischen Werte Schweiz.
Dies verurteilen wir aufs Schärfste", meinte Felicitas Zopfi,
Präsidentin der SP Kanton Luzern. Auch die Juso verurteilten die
SVP in einem Communiqué als Verharmloserin von Rechtsextremen.
---
20 Minuten 10.2.10
Knatsch um SVP-Petition
Luzern. Die SVP Kanton Luzern lanciert eine Petition, damit die
Sempacher Schlachtfeier 2010 trotzdem stattfindet. Laut den Juso stellt
sie sich damit hinter Neonazis.
"Es kann nicht sein, dass die Behörden vor den Linken
kapitulieren", sagt Josef Kunz, Präsident der kantonalen SVP. Mit
Unterschriften will seine Partei erwirken, dass die Schlachtfeier "im
gewohnten Rahmen" stattfindet. Die Regierung hatte nach dem massiven
Polizeiaufgebot 2009 beschlossen, dieses Jahr nur einen Gottesdienst
durchzuführen. Für Kunz ist klar: "Den Linken gehts nicht um
die Feier, sie suchen nur die Konfrontation mit jungen Patrioten, die
sich stets anständig benehmen." Darüber empört sich
Juso-Präsident David Roth: "Die SVP stellt sich hinter Neonazis
und will diese offenbar an der Feier haben." Die Schlachtfeier werde so
pervertiert. Unterstützung erhält er von der kantonalen SP.
Sie schreibt in einer Mitteilung, die SVP versuche, die Juso als
Krawallmacher zu verunglimpfen.
Der Sempacher Stadtpräsident Franz Schwegler
distanziert sich von der SVP-Petition. "Luzerner Kulturgut zu erhalten,
ist zwar gut - aber nicht von einer Partei, die teilweise mit braunem
Gedankengut sympathisiert." Der Luzerner Regierungspräsident Anton
Schwingruber hat nicht vor, auf die Petition einzugehen: "Wir
können einen so unverhältnismässigen Sicherheitsaufwand
nicht mehr verantworten." 2011 sei man wieder für Vorschläge
offen.
Guy Studer
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ZIVILSTAND ILLEGAL
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tagesanzeiger.ch 10.2.10
Auf dem Zivilstandsamt klickten die Handschellen
Maria Rodriguez
Mitten in den Hochzeitsvorbereitungen wird der
künftige Bräutigam von der Polizei abgeführt. Eine
Liebesgeschichte mit vielen Hindernissen.
Seit 18 Monaten sind Carla* und Souleymane* ein
Liebespaar. Die 25-jährige Schweizerin und der 30-jährige
Sans Papier aus Senegal wollten am 11. Februar heiraten. Im Vorfeld
wurden die nötigen Papiere besorgt, Souleymane erhielt einen Pass.
Trotzdem platzte die bevorstehende Hochzeit. Am 2. Februar ging das
Paar auf das Zivilstandsamt der Stadt Zürich um den provisorischen
Hochzeitstermin von morgen Donnerstag zu bestätigen. Mitten im
Gespräch tauchten zwei Polizeibeamte auf: "Es war ein
Riesenschock. Wir konnten uns nur kurz verabschieden. Mein Freund wurde
mit Handschellen abgeführt. Ich dachte, das Zivilstandsamt sei da,
um Leute zu verheiraten, nicht um die Eheschliessung zu verhindern",
sagt Carla.
Auch Marc Spescha, Anwalt des jungen Paars, findet das
Vorgehen der Behörden unverhältnismässig: "Meine
Klienten wurden vom Zivilstandsamt in eine Falle gelockt. Das ist ein
Verhalten gegen Treu und Glauben. Dass der Staat einen allenfalls einen
illegalen Aufenthalt prüfen und ahnden will, beklage ich nicht.
Aber deswegen darf das Grund- und Menschenrecht auf Eheschliessung
nicht vereitelt werden und schon gar nicht auf diese hinterlistige
Weise."
Zivilstandsamt verteidigt Vorgehen
Roland Peterhans, Ko-Leiter Zivilstandsamt der Stadt
Zürich, rechtfertigt dieses Vorgehen: "Wir wollen auf gar keinen
Fall Ehen verhindern. Es sollen Ehen geschlossen werden, bei denen die
Papiere echt sind und bei denen das geltende Recht nicht umgangen wird.
In diesem konkreten Fall hatten wir Zweifel an der Echtheit der
Identitätskarte. Wir liessen das Dokument von der Kantonspolizei
überprüfen. Diese forderte uns nach der Überprüfung
auf, ihr Bescheid zu sagen, wenn der Heiratswillige bei uns
vorspreche." Gemäss Spescha hätten die Behörden bei der
Überprüfung der Papiere festgestellt, dass sie zwar echt
seien, aber kein gültiges Visum enthielten. Deshalb habe man auf
einen illegalen Aufenthalt geschlossen und, um den Sachverhalt
aufzuklären, Souleymane verhaftet.
Für den Senegalesen ist es nicht die erste
Verhaftung. Vor neun Jahren kam er aus einem westafrikanischen Land in
die Schweiz, sein Asylgesuch wurde abgelehnt. Er tauchte unter und
lernte im Herbst 2008 Carla kennen. Letzten Sommer wurde er bei einer
Kontrolle im Tram festgenommen. Einen gültigen Fahrausweis hatte
der 30-Jährige zwar dabei, als Sans Papier konnte er sich aber
nicht ausweisen. Er wurde wegen illegalen Aufenthalts abgeführt
und zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe verurteilt.
Liebespaar möchte trotzdem heiraten
Das Migrationsamt nahm ihn vor Verbüssung dieser
Strafe in Ausschaffungshaft. Während dieser Zeit stellte sein
Anwalt ein Gesuch zur Bewilligung des Aufenthalts zur Vorbereitung der
Eheschliessung oder als Härtefall. Carla kümmerte sich
parallel um die Beschaffung der Heiratspapiere und eines Passes
für ihren Zukünftigen. Daraufhin wurde Souleymane,
gestützt auf die hängigen Gesuche, nach 79 Tagen aus der
Ausschaffungshaft entlassen. Im Moment sitzt er wegen des verbliebenen
Restes der Freiheitsstrafe noch etwa eine Woche im Gefängnis.
Wenn immer möglich, besucht Carla ihren inhaftierten
Freund. Auch wenn sie oft mit Vorurteilen zu kämpfen hat, weil ihr
Freund ein westafrikanischer Sans Papier ist, ist sie von ihrem
Liebsten überzeugt: "Souleymane war von Anfang an sehr offen und
ehrlich. Wir haben eine gute Vertrauensbasis. Ich wusste, auf was ich
mich einlasse." An eine Hochzeit glaubt sie nach wie vor: "Wir lieben
uns und wollen unsere Beziehung leben. An ein Aufgeben denken wir beide
nicht." Ein neuer Hochzeitstermin steht bereits fest. Ende Februar will
sich das Liebespaar definitiv das Ja-Wort geben.
* Auf Wunsch des Paars werden hier nur die Vornamen
aufgeführt.
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Carla&Souleymane-Blog
http://carlasoule.ch
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ANTI-ATOM
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NZZ 10.2.10
Strom aus dem AKW Beznau ist doch nicht ganz so sauber
Wegen russischer Uran-Verarbeitungs-Prozesse muss die
Umweltdeklaration korrigiert werden
Die Öko-Bilanz des AKW Beznau wird korrigiert, es
kommt zu Nachforschungen bei Anlagen in Russland. Parlamentarier wollen
eine stärkere Aufsicht des Bundes über die
Uran-Kreisläufe.
Davide Scruzzi
Der Stromkonzern Axpo hatte 2008 für das AKW Beznau
eine Klimabilanz präsentiert, in der für eine Kilowattstunde
(kWh) Strom Emissionen von 3,04 Gramm Kohlendioxid errechnet wurden.
Die Stromproduktion selbst ist kohlendioxidfrei, berücksichtigt in
der pionierhaften Kalkulation wurden aber auch Faktoren wie Bau,
Brennstoffherstellung und Endlagerung. So günstige
Kohlendioxidwerte sind den AKW-Gegnern ein Dorn im Auge. Die
Umweltorganisation Greenpeace hinterfragte denn die bei der Berechnung
angenommenen Prozesse zur Herstellung des Uran-Brennstoffs. Axpo
führte daraufhin nochmals Analysen durch (NZZ 23. 10. 09). Nun ist
klar, dass die Werte korrigiert werden müssen. Sie dürften
aber laut Axpo weiterhin weniger als 5 Gramm pro KWh betragen - weniger
als bei Windkraft oder Solarstrom. Als problematisch für das
ökologische Image von Beznau könnten sich indes die
Produktionsbedingungen in Russland erweisen.
Strittig war, mit welchem Material wiederaufgearbeitetes
Uran in Russland angereichert wird, um die für Reaktoren
nötige Konzentration des Isotops Uran-235 von 4,6 Prozent zu
erreichen. Die Axpo-Experten haben bei der CO 2 -Kalkulation aus dem in
Dokumenten formulierten Terminus "hoch angereichert" auf Substanzen aus
der Abrüstung von Atomwaffen geschlossen. Neue Nachforschungen
beim französischen Areva-Konzern als Vertragspartner haben aber
ergeben, dass mit "hoch angereichert" nur Uran mit einem
14-Prozent-Anteil an 235er-Isotopen gemeint ist. Jenes Material stammt
nicht aus Bomben, sondern aus russischen Wiederaufbereitungsanlagen,
die ihrerseits mit gebrauchten Brennstoffen verschiedener Reaktortypen
alimentiert werden. Für den Brennstoff-Spezialisten Tony Williams
von Axpo stellt sich in den nächsten Monaten die Frage, wo und
unter welchen Umständen die Wiederaufbereitung stattfindet, die
mit dem Brennstoffzyklus für Beznau zusammenhängt. Greenpeace
nannte dazu die Produktionsanlage Majak im Ural. In der Vergangenheit
kam es dort zu schweren Unfällen und Verschmutzungen. Ein
Zusammenhang solch trauriger Kapitel der Kernenergienutzung mit den
Brennstofflieferungen an Schweizer AKW ist natürlich noch offen,
schliesslich gibt es laut Tony Williams auch in Russland Beispiele
moderner Anlagen, etwa das Werk in Elektrostal, wo die Endfertigung der
Brennstäbe für Beznau erfolge.
Rechtlich ist Axpo nicht dafür verantwortlich, was in
Russland mit den Stoffen geschieht, denn auch der dort verwendete
Basis-Stoff, welcher noch bis 2011 aus abgebrannten Schweizer
Brennelementen stammt, ist im Besitz des französischen
Areva-Konzerns. Die Standards für Umweltdeklarationen verlangen
aber eine ganzheitliche Berücksichtigung der Prozesse.
Ende 2009 forderte Nationalrat Geri Müller (gps.,
Aargau) in einer Motion eine Ausweitung der internationalen Aufsicht
des Bundes über die Stoffe. Laut den jetzigen Regelungen
registriert der Bund Ein- und Ausfuhr und im Ausland allfälliges
Material in Schweizer Besitz. Im Übrigen verweist das Bundesamt
für Energie aber auf die Kontrolltätigkeit der
Internationalen Atomenergieagentur (IAEA).
Laut Williams werden die ökologischen Aspekte der
Brennstofflieferung weiter an Wichtigkeit gewinnen auch im Hinblick auf
künftige Lieferverträge (die jetzigen bei Beznau laufen bis
2020). Für das Kernkraftwerk Leibstadt will Williams ebenfalls
Abklärungen zum Brennstoffkreislauf durchführen. Das AKW
Mühleberg wird indes beispielsweise nicht mit Material aus
Russland beliefert.