MEDIENSPIEGEL 12.2.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo)
- Bollwerk-Kunst
- Dicke Luft am Bollwerk
- Sicherheitswahn: 2xNein
- Grosse Schanze beleben
- RaBe-Info 10.-12.2.10
- Mokka Thun: Suppen-Bädu clubklagt
- Antisemitismus: TT-Leser zum Eklat
- Sport: SchnellrichterInnen in Stadien; Hooligan-Buch; Polizeiübungen
- Kalchi ZH noch bis 12.3.10
- RTS ZH: Protest und Riots; mehr Cops mit Pagern; antikapitalistische Krawallanten
- Ausschaffungs-Urteil BVG rügt BfM
- Sempach: Kniefall nur vor Gott
- Narrenkraut + psychische Probleme
- Little Helpers + die Suchtfrage
- Reclaim the Fields: Widerstand ist fruchtbar
- 21 Jahre Gefangenen-Info
- FAU: Interview zum Babylon-Arbeitskampf

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REITSCHULE    
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Fr 12.02.10
20.30 Uhr - Kino - Baskenland: 0Itsasoaren Alaba (La hija del mar), Josu Martinez, Euskal Herria (Baskenland) 2009
23.00 Uhr - Dachstock - Groovebox mit: SCSI-9 (live) (kompakt, pro-tez / RUS); Marc Depulse (live) (Ostwind Records, Kiddaz.FM, BluFin / DE); Jagged (live) (Quintessentials / be); Bud Clyde (festmacher / be).

Sa 13.02.10
20.00 Uhr - Kino - Veranstaltung zum Baskenland mit Gästen
20.30 Uhr - Tojo - "Clyde & Bonnie" von Holger Schober. Junge Bühne Bern. Regie: Sinje Homann. Schweizer Erstaufführung.
22.00 Uhr - SousLePont - Baskenland Soli: BERRI TXARRAK (EH, Alternativ Power Rock)
22.00 Uhr - Dachstock - Cool & Deadly presents: Rebellion the Recaller (Gambia- Live and Direct!) & Silly Walks Discotheque (Hamburg): Soundsystem Show, Jugglin by: Junior Pilot (Boss Hi-Fi) & Moya (More Fire).

So 14.02.10
19.00 Uhr - Tojo - "Clyde & Bonnie" von Holger Schober. Junge Bühne Bern. Regie: Sinje Homann. Schweizer Erstaufführung.
21.00 Uhr - Rössli-Bar - Dachstock presents: Aucan (I/Africantape). Support: duQtuç (CH)

Infos: http://www.reitschule.ch

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Bund 11.2.10

"Clyde & Bonnie"

B-Movie fürs Theater

(reg)

Banken zu überfallen ist okay, da die wahren Verbrecher ja dort sitzen. Diese Haltung liegt dem Mythos um Bonnie und Clyde zugrunde - und passt gut zur aktuellen Situation. Sinje Homann inszeniert Holger Schobers Jugendtheaterstück "Clyde & Bonnie" als B-Movie für das Theater und lässt darin ein junges Paar den historischen Vorbildern als Bankräuber nacheifern.

Tojo-Theater Reitschule Do, 11.2./Sa, 13.2., 20.30 Uhr. So, 14.2., 19 Uhr.

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BOLLWERK ART
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Bund 11.2.10

Ausstellung Linda Tegg

Bollwerk mit Pferd

Leer stehende Räume mit Kunst bespielen: Das ist ein attraktives Konzept mit "Guerilla"-Touch für agile, mobile Austellungsmacher - und ein Gewinn für die interessierte urbane Öffentlichkeit. Den Beweis dafür erbringt derzeit die Neue Galerie. Sie nutzt zwei brachliegende Verkaufslokale am Bollwerk gleich neben dem Kino Cinemastar (dessen Tage ebenfalls gezählt sind) und zeigt die zweiteilige Videoinstallation "Horse Study Video" der Australierin Linda Tegg.

Der Blick von draussen durch die leeren Räume fällt auf zwei Projektionen, die ein edles, majestätisch wirkendes Pferd - einmal gesattelt, einmal nicht - in einem unerwarteten Kontext zeigen: in einem herrschaftlichen Innenraum. Es ist eine seltsame Labor-Situation, die Tegg geschaffen hat und scheinbar objektiv mit der Videokamera dokumentiert. Das Arrangement wird damit tatsächlich zur Studie - zur Studie des Pferds als Objekt in der Geschichte der Kunst, als Statussymbol der Reichen und Mächtigen, als Inbild von Energie und Kraft und als hochgezüchtetes Geschöpf einer Gesellschaft, die auf makellose Oberflächen und Leistung setzt (klb)

Neue Galerie Bollwerk 17/19. Bis 16. Februar, nachts.

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BOLLWERK AIR
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bernerzeitung.ch 12.2.10

Berner Luft muss noch sauberer werden

aw

 Die Grenzwerte für Feinstaub, Ozon und Stickstoffdioxid wurden 2009 häufig überschritten, teilt die Volkswirtschaftsdirektion mit. Während winterliche Inversionslagen ist die Luft stark vom Feinstaub belastet.

 Am häufigsten wurde 2009 der Tagesgrenzwert für Feinstaub in der Strassenschlucht am Bollwerk Bern übertreten. Im Gegensatz zum Vorjahr war die Luft nie so stark belastet, dass die Bevölkerung informiert und zu freiwilligen Massnahmen aufgerufen werden musste.

 Der Jahresgrenzwert für Stickstoffdioxid wurde im Jahr 2009 in den grossen Städten und entlang stark befahrener Hauptverkehrsstrassen zum teil deutlisch überschritten. Die Belastungssituation hat sich in den letzten 10 Jahren nicht verbessert, sondern eher verschlechter, schreibt die Volkswirtschaftsdirektion in einer Mitteilung.

 Aufgrund des wechselhaften Wetter letzten Sommer konnte sich keine anhaltende Ozonbelastung aufbauen. Am häufigsten wurde im Sommer 2009 der Grenzwert in Zimmerwald überschritten.

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SICHERHEITS-WAHN
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Medienmitteilung 12.2.10

_2x NEIN zu mehr Polizei_

Die folgenden Parteien und Organisationen haben beschlossen, gemeinsam als Aktionskomitee 2x NEIN zu mehr Polizei am Montag, 15. Februar um 12 Uhr auf dem Bahnhofplatz eine Aktion durchzuführen:

Augenauf Bern, grundrechte.ch, Grünes Bündnis, Grüne Partei Bern, Junge Alternative JA!, Komitee der Arbeitslosen und Armutsbetroffenen KABBA und PdA Bern (Stand: 12.2.2010)


Die GegnerInnen der Polizeiinitiative und des Gegenvorschlags des Gemeinderates führen an:

. mehr Polizei bedeutet nicht mehr Sicherheit

. mehr Polizeipräsenz kann mehr Verunsicherung bedeuten

. mehr Polizeipräsenz kann verleiten, vermehrt Problemlösungen an die OrdnungshüterInnen zu delegieren, mit der Folge, dass es noch mehr Polizei braucht

. die Initiative wie der Gegenvorschlag sind kostspielig der Kanton Bern stellt heute 200 fehlende Polizei-Stellen fest

. mit der Initiative müssten 40 neue PolizistInnen angestellt werden, was jährlich 5.8 Mio. Franken kostet

. mit dem Gegenvorschlag müssten in einem ersten Schritt rund 7, dann rund 14 neue PolizistInnen angestellt und das Projekt PINTO um 2.4 Stellen aufgestockt werden, es entstehen Mehrkosten von jährlich 2.2 Mio Franken

. die Polizeiinitiative stellt auf Anzeigestatistiken ab, eine Zunahme von Anzeigen bedeutet nicht eine Zunahme von Verurteilungen, d.h. tatsäch- lichen Delikten

. die erfassten Straftaten haben in der Stadt Bern in den Jahren 2006/2007 deutlich abgenommen

. PolizistInnen müssen eine gute Grundausbildung durchlaufen und müssen psychologisch geschult werden

Der Begriff Sicherheit muss viel offener begriffen werden. Wenn die Stadt (Gegenvorschlag) schon neues Geld ausgeben will fordern wir, dass es für längerfristige Aufgaben eingesetzt wird. Es braucht dringend eine zweite Drogenanlaufstelle, mehr Engagement des Kantons gegen häusliche Gewalt, mehr bezahlbare Ausgehlokale und Orte für Jugendliche, weniger Einschränkung des öffentlichen Raums usw.

Das Komitee wird in den nächsten Wochen mit Aktionen auf Berns Strassen präsent sein.

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GROSSE SCHANZE
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BZ 12.2.10

Grosse Schanze

 Mehr Leben gefordert

 Die SP Länggasse-Felsenau fordert eine Belebung der Grossen Schanze und eine massvolle Erhöhung der Polizeipräsenz.

 Die Grosse Schanze gehört zu den "Problemzonen" der Stadt. Dort ist, wie Politiker von links bis rechts eingestehen, die Sicherheitslage zu gewissen Zeiten prekär. Solche Orte stehen im Fokus der FDP-Sicherheits-Initiative, über die am 7.März abgestimmt wird. Für die SP Länggasse-Felsenau, welche sich seit langem für eine Verbesserung der Situation auf der Schanze einsetzt, geht die Initiative aber zu weit. Zwar fordert auch die SP mehr Polizeipräsenz auf der Schanze, diese Erhöhung müsse aber massvoll sein. Sie unterstützt deshalb den Gegenvorschlag des Gemeinderates. Mehr Sicherheit soll primär durch Belebung geschaffen werden. Konkret fordert die SP die Installation von Spielgeräten, die Versetzung des Spielplatzes auf die grosse Wiese, verlängerte Öffnungszeiten beim SBB-Restaurant und einen Barbetrieb im Sommer.
 azu

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Blick am Abend 11.2.10

"Wir sind untervertreten"

Sicherheit

 Mit verschiedenen Ideen fordert die SP Länggasse eine Belebung der Grossen Schanze.

 Ja, wir wollen auch mehr Polizeipräsenz für die Grosse Schanze", sagt Silvia Schoch-Meyer von der SP-Sektion Länggasse-Felsenau. "Die Erhöhung muss aber massvoll sein." Die SP Länggasse sagt deshalb Nein zur Initiative "Für eine sichere Stadt Bern" und unterstützt den Gegenvorschlag des Gemeinderats.

 Mit einer Reihe von Ideen soll die Grosse Schanze belebt werden: Ausrichtung des SBB-Restaurants auf ein Freizeitpublikum mit längeren Öftnungszeiten am Abend, im Sommer ein Barbetrieb auf der Einstein-Terrasse sowie mehr Polizei und mehr Präsenz der Pinto-Strassenarbeiter sind nur einige Vorschläge. "Wir fühlen uns beim frunden Tischft, der die Problematik der Grossen Schanze diskutiert, untervertreten." Auf der Grossen Schanze seien ausser dem Ersetzen von ein paar Lampen keine Resultate sichtbar. "Wir haben den Eindruck, dass das Quartier nicht ernst genommen wird und die SBB, die Uni und die Grosse Schanze AG wenig Interesse haben, die Schanze für die Bevölkerung attraktiver zu machen." ehi

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RABE-INFO
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Fr. 12. Februar 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_12.Februar_2010.mp3
- Vermischung von Presse- und Werbefotos: Wie klar zieht Keystone die Grenze?
- Bienensterben: welche neusten Erklärungen haben die Forscher?
- Kinderarmut in Deutschland: wird das Problem verharmlost?

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Do. 11. Februar 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_11.Februar_2010.mp3
- Warum es keine weitere Gotthard Röhre braucht
- Wie Exiliranerinnen den Jahrestag der islamischen Revolution sehen
- Warum Schlaf- und Beruhigungsmittel süchtig machen

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Mi. 10. Februar
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_10.Februar_2010.mp3
- Jeder sechste Bernische Verpflegungsbetrieb ist unhygienisch
- Der WWF will mit zusätzlichen Abgaben umweltfreundlicheres Handeln erzwingen
- La Onf leistet gewaltfreien Widerstand im Irak

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MOKKA THUN
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Bund 11.2.10

"Mokka-Bädu" kocht Suppe um Club-Existenz heiss - und isst sie lauwarm

Bädu Anliker vom Thuner Kulturlokal Café Bar Mokka klagt lauthals über schwindende Besucherzahlen - ein grundsätzliches Phänomen sei dies aber nur punkto Club-Betrieb.

Patricia Götti

Er stelle sich die Sinnfrage ziemlich oft, schreibt Bädu Anliker, der legendäre Betreiber des Thuner Kulturlokals Café Bar Mokka, im Vorwort des jüngsten Programmhefts des "Mokka": "Warum mache ich ein amtlich daherkommendes Plakat, einen Internetauftritt, der nicht von schlechten Eltern ist, Pressearbeit und Programmheft, wenn dann am Konzertabend 10 bis 15 Leute auftauchen?" Wirtschaftlich sei der zweite Teil des Januars "die vollste Katastrophe" gewesen. Ähnlich klingt es auf der Homepage des "Mokka": "Wir sind voll bei den Leuten, noch lieber sind wir aber voll mit Leuten", schreibt Anliker dort. Die Frage könnte sich da stellen: Ist das "Mokka" nach 24 Jahren Bestehens in seiner Existenz bedroht?

",Clubbing‘ im Wandel"

Im Gespräch mit "Mokka-Bädu" klingt es indes weitaus weniger dramatisch. Bei den Konzerten gebe es immer starke Schwankungen, und der Januar sei generell jeweils ein schlechter Monat für Ausgehlokale, sagt Anliker. Das Jahr 2009 sei nicht a priori schlecht verlaufen. Aber: Beim Club-Betrieb sei der Rückgang wohl eine grundsätzliche Tendenz, meint er: "Das ,Clubbing‘ ist im Wandel; die Leute kaufen sich im Supermarkt etwas zu trinken, schauen sich dann am Computer eine Konzertaufnahme an und haben das Gefühl, dabei gewesen zu sein." Im Gastrobereich mache das "Mokka" an einigen Abenden noch ein Zehntel des Umsatzes der fetten Jahre in der zweiten Hälfte der 1990er.

Hinzu kommt laut Anliker das Rauchverbot, das seit Juli letzten Jahres in Restaurants und Bars im Kanton Bern gilt: "Das Verbot ist ein echter ,Stimmungskiller‘." Da überlege sich manch einer zweimal, überhaupt noch auszugehen. Schliesslich mache sich auch die Wirtschaftskrise direkt bei den Getränkebestellungen bemerkbar, sagt der Kulturveranstalter; auch verfüge das "Mokka" nicht über ein riesiges Werbebudget. Und dennoch blickt Anliker zuversichtlich in die Zukunft: "Ein Kulturlokal zu betreiben, das war schon immer eine Berg-und-Tal-Fahrt", sagt er. Gespannt blickt er auf die seit gestern laufende Regionaltonwoche zur Entdeckung von neuen Musiktalenten, die das "Mokka" zum ersten Mal seit über drei Jahren wieder durchführt. "Aber auch hier kann man als Veranstalter nie wissen, ob man finanziell herauskommt."

"Schwankungen normal"

Die Stadt Thun beteiligt sich mit jährlich 220 000 Franken am Betrieb des "Mokka", 80 Prozent davon sind über den Lastenausgleich mit dem Kanton finanziert. In der letzten Saison, die vom Sommer 2008 bis zum Sommer 2009 ging, sei die Rechnung des Kulturlokals mehr oder weniger ausgeglichen gewesen, sagt Daniel Landis, bei der Stadt Thun verantwortlich für den Leistungsvertrag mit dem "Mokka".

Gewisse Schwankungen über die Jahre seien normal und hätten bis jetzt immer über das Vermögen des Vereins Café Bar Mokka abgegolten werden können. "Dass Herr Anliker zuweilen etwas dramatisiert, entspricht eben seinem Stil", sagt Landis.

"Wertvolle Arbeit"

Der Leistungsvertrag zwischen dem Verein Mokka und dem Gemeinderat von Thun besteht seit 1996 und schreibt die überregionale Ausstrahlung des Clubs fest. Als Kulturbetrieb für Jugendliche und junge Erwachsene soll er an vier Tagen in der Woche geöffnet haben. Der Beitrag der Stadt Thun ist dafür vorgesehen, die "mit diesem Auftrag verbundenen personellen Mehrkosten zu tragen", wie Landis erklärt.

Anlässe wie die Regionaltonwoche seien auch der Grund, warum die Stadt Thun das Mokka unterstütze und "die wertvolle Arbeit von Herrn Anliker und seinem Team" schätze.

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ANTISEMITISMUS BE
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Thuner Tagblatt 11.2.10

Sigriswil und die Antisemitismus-Vorwürfe

Die Lüge, die nicht sterben will

Ausgabe vom 6. Februar

"Antisemitismus ist in der Gemeinde weit verbreitet"

Jedem Leser, der auch nur ein Qäuntchen Wahrheit aus den Texten in den Sigriswiler Anzeigern vom 22. und 29. Januar 2010 zu entnehmen gedenkt, empfehle ich dringend, das 1998 erschienene Geschichtsbuch zu lesen. Dessen Titel lautet: "Die protokolle der Weisen von Zion - Anatomie einer Fälschung". Die 419 Seiten sind kein Roman! Sehr treffend ist auch der engliche Originaltitel: "The Lie That Wouldn't Die" ("Die Lüge, die nicht sterben will").

Vor zehn Jahren habe ich diese Anatomie einer Fälschung gelesen. Ich bin schockiert, dass es in unserem christlichen Rechtsstaat auch heute noch Leute gibt, die die "Protokolle der Weisen von Zion" ernsthaft und öffentlich als sogenannte Wahrheit proklamieren, ohne das genauer recherchiert zu haben!

Andreas Frauchiger Aeschlen-Sigrisiwl


Wehe uns!

Auch ich habe mich entsetzt über die Juden-Hass-Schrift im Sigriswiler Anzeiger. Aber noch fast erschreckender, ist die Tatsache, dass Frau Kusano als Jüdin, feststellen muss, dass der Antisemitismus hier weit verbreitet ist. Wie ist das möglich, nach dem Holocaust? Warum verurteilt die Kirche solche Hetzschriften nicht sofort aufs schärfste? Kennt man die Bibel nicht mehr? In 1. Mose 12.3.spricht der Herr zum Urvater der Juden, zu Abraham "Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen die dich fluchen." Die Juden sind also Gottes Volk. Wehe uns, wenn wir Antisemitismus gut heissen.

Patrik Zurbrügg Frutigen


Auf den Scheiterhaufen?!

Was ist wohl skandalöser: Dass sich die ewig gleichen Probleme der Juden in dieser Welt stetig wiederholen (warum wohl?), oder dass ein kleiner Bürger (Otto Grossglauser) den Mut hat, der herrschenden "politischen Korrektheit" und ihren antifreiheitlichen Maulkorbgesetzen mit seiner Meinung entgegen zu treten, oder dass ein gemäss Journalisten-Berufsethos zu freier, selbständiger und gründlichster Wahrheitsforschung verpflichteter TT-Redaktor mit seiner "politisch korrekten" Schreibart indirekt zur Verfolgung und Existenzvernichtung des oben genannten Sigriswilers aufruft, oder dass das Thuner Tagblatt allen Ernstes eine so lächerliche Tat, bei welcher keinem auch ein Haar gekrümmt wurde, in die Titelschlagzeile nimmt, wo sonst nur Menschheitsverbrecher wie die entsprechend bekannten Banker, Politiker, Wirtschaftsbosse und Kirchenoberen hingehören, welche uns allen das Leben zur Hölle machen?

Florian Koch Schwanden

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SPORT
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BZ 12.2.10

Hooligans

 Schnellrichter künftig auch in Berner Stadien

Hooligans geht es an den Kragen: Drohen in Berner Sportstadien Ausschreitungen, gehen Schnellrichter künftig direkt vor Ort.

 Jetzt greift auch die Berner Justiz bei Ausschreitungen an Fussball- und Eishockeyspielen hart durch: "Wir haben mit der Polizei eine Absprache betreffend Vorgehen bei Hochrisikospielen getroffen", sagt Rolf Grädel, oberster Staatsanwalt des Kantons Bern, gegenüber dieser Zeitung. Vereinbart wurde laut Grädel Folgendes: "Wenn sich abzeichnet, dass es bei einem Spiel Ausschreitungen gibt, kann die Polizei Untersuchungsrichter ersuchen, vor Ort zu erscheinen."

 Noch konkreter wird Christoph Kipfer, Chef der Berner Kriminalpolizei: "Vor Ort" bedeute, dass die Untersuchungsrichter künftig "direkt in die Stadien oder an einen Ort in der Nähe des Stadions gehen".

 Das Ziel sei, dass sich die Untersuchungsrichter direkt am Ort des Geschehens ein Bild der Gewalttaten machen könnten, erklärt Kipfer. Das erleichtere die Beurteilung der Delikte. "Die Täter können sich so kaum noch mit Ausreden aus der Affäre ziehen", sagt Kipfer. So wird es möglich, dass die Untersuchungsrichter Gewalttäter unmittelbar nach der Tat verurteilen respektive Strafmandate ausstellen.

 Damit übernimmt Bern zumindest teilweise das Modell der St.Galler Justiz. Dort gehen Untersuchungsrichter bereits seit einiger Zeit bei problematischen Spielen direkt ins Stadion. Das System hat sich in St.Gallen bewährt. ma

 Seite 5

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Plan der Polizei- und Justizdirektoren

 Schweizweite Rayonverbote

 Brisanter Plan der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren: Sie wollen, dass Hooligans nach einem schweren Gewaltdelikt künftig gleich schweizweit ein Rayonverbot auferlegt werden kann. Bis jetzt war das nur lokal möglich.

 "Geplant ist, dass Justizbehörden einem Täter nach einem schweren Gewaltdelikt ein Rayonverbot gleich für alle Stadien in der ganzen Schweiz auferlegen können", sagt Roger Schneeberger, Generalsekretär der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD), gegenüber dieser Zeitung.

 Erhält ein Hooligan ein Rayonverbot, darf er sich während eines Fussball- oder Eishockeyspiels nicht mehr in die Nähe eines Stadions begeben. Der Verbotsradius ist im Rayonverbot genau festgelegt.

 Bis jetzt sind nur regionale Rayonverbote möglich. Das heisst, wenn einem Gewalttäter in Zürich ein Rayonverbot auferlegt wird, darf er sich etwa in Bern oder St.Gallen weiterhin jederzeit beliebig nahe bei einem Stadion aufhalten. Die Berner und die St.Galler müssten den Täter explizit auch mit einem Rayonverbot belegen. Rayonverbote sind nicht zu verwechseln mit Stadionverboten. Reine Stadionverbote können schon heute national ausgesprochen werden. Für Stadionverbote sind nicht die Behörden, sondern die Sportverbände zuständig.

 Ein langer Weg

 Die rechtliche Grundlage für schweizweite Rayonverbote ist laut Schneeberger bis jetzt noch nicht vorhanden. Sie muss - so der Plan der Justiz- und Polizeidirektoren - in einem Konkordat festgelegt werden. Konkordate sind in diesem Zusammenhang eine Art interkantonale Vereinbarungen mit gesetzähnlichem Charakter. Das Zustandekommen einer entsprechenden Konkordatsänderung dürfte laut dem KKJPD-Generalsekretär Schneeberger mindestens ein bis zwei Jahre dauern. Denn die einzelnen Kantonsparlamente müssen Konkordatsänderungen absegnen.

 Bereits die regionalen Rayonverbote haben zum Teil zu Härtefällen geführt, weil die Betroffenen eben nicht nur Stadionverbot hatten, sondern ganze Stadtteile während der Spiele nicht mehr betreten durften.

 Kooperation mit Klubs

 Die Konferenz der Polizei- und Justizdirektoren will überdies die Zusammenarbeit mit den Sportverbänden verbessern. Zu diesem Zweck arbeitet sie derzeit eine Mustervereinbarung mit schweizweit gültigen Massnahmen gegen Hooligans aus. Das Ziel der KKJPD ist eine Gesamtkonzeption als Basis für Verhandlungen von lokalen Behörden und Klubs für eine engere Zusammenarbeit.
 
Mischa Aebi

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 Kampf gegen Hooligans

 Schnellrichter in Bern

 Die Justizbehörden im Kanton Bern wollen künftig bei Sportveranstaltungen, bei welchen Ausschreitungen absehbar sind, härter durchgreifen. Bei Bedarf werden Untersuchungsrichter direkt in die Stadien beordert. Das gilt nicht nur für die Stadien in der Stadt Bern, sondern auch für Stadien in anderen Städten, etwa das Eisstadion in Biel. So können sich die Schnellrichter direkt vor Ort ein Bild machen. Damit soll es möglich werden, Gewalttätige unmittelbar nach der Tat zu bestrafen. Gemäss Justizbehörde könnte die Beweisaufnahme noch besser gemacht werden, wenn zwischen den Stadtberner Stadien und dem Bahnhof Wankdorf Videokameras installiert werden dürften. Die Stadt lässt solche Kameras bis jetzt nicht zu.
 ma

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Tagesanzeiger 12.2.10

Zürichs kranke Horde: Prügel-Dates im Wald

 ZÜRICH. Sie nennen sich Zürichs kranke Horde und wollen nur eines: den Adrenalinstoss beim Kampf Mann gegen Mann. Ein neues Buch berichtet über Zürichs Hooligans.

 Am liebsten verabreden sie sich mit anderen Hooligan-Gruppen irgendwo an einem abgeschiedenen Ort, fernab von Fussballstadien, Unbeteiligten und der Polizei. Hooligans unter sich: Feld-Wald-Wiese heisst in ihrer Szene das Wort für solche Prügel-Dates, und so lautet auch der Titel des neuen Buches, das der WoZ-Journalist Daniel Ryser (31) über die Zürcher Hooligans geschrieben hat. Ihm haben sich zahlreiche Mitglieder der Gruppe anvertraut, die sich Zürichs kranke Horde nennt und sowohl aus GC- als auch aus FCZ-Anhängern besteht. "Was uns vereint, ist die Gewalt. Wir sind geil auf Action. Auf Adrenalin", sagt ein Mitglied.

 Vereinbarte Schlägereien gibt es laut Ryser immer wieder: Zürichs kranke Horde tritt gegen andere Hooligan-Gruppen aus Bern, Luzern, St. Gallen sowie dem Ausland an. Die einzige Regel: Wer am Boden liegt und aufgibt, wird nicht mehr geschlagen. Nur gegen die Basler soll es seit 2003 keine abgemachte Schlägerei mehr gegeben haben - weil diese wegen der starken gegenseitigen Abneigung nicht fair ablaufen würde.

 Für Negativschlagzeilen hätten in den letzten Jahren jedoch nicht diese klassischen Hooligans gesorgt, schreibt Ryser, "sondern die Ultras, jene, die singen, Fahnen schwingen, Choreografien malen und Feuerwerk zünden": Auf das Konto von FCZ-Ultras geht etwa die Entführung eines GC-Fans im November 2007, um die Rückgabe geklauter Fahnen zu erzwingen.  marco Lüssi

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St. Galler Tagblatt 11.2.10

Polizei übt in der AFG Arena

 ST. GALLEN. Über 80 Führungskräfte von Schweizer Polizeikorps liessen sich gestern in der AFG Arena von der Stadtpolizei St. Gallen, der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen und der Kriminalpolizei der Kantonspolizei St. Gallen über das Vorgehen bei der Festnahme von gewalttätigen Personen im Umfeld von Sportveranstaltungen informieren, wie die Stadtpolizei hinterher mitteilte. Dabei wurde auch das weitere Vorgehen nach der Festnahme von Personen bis zur Zuführung an den Untersuchungsrichter aufgezeigt. Auch die Anwendung des beschleunigten Verfahrens und die damit gemachten Erfahrungen in St. Gallen wurden geschildert.

 Der Informationsnachmittag endete mit dem Einblick in eine praktische Ausbildungssequenz von Einsatzkräften der Stadtpolizei St. Gallen vor der AFG Arena. Dabei wurde das gezielte Ergreifen von Personen aus gewalttätigen Gruppierungen demonstriert. (red.)

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kkjpd.ch 29.12.09

KONFERENZ DER KANTONALEN JUSTIZ- UND POLIZEIDIREKTORINNEN UND -DIREKTOREN
CONFERENCE DES DIRECTRICES ET DIRECTEURS DES DEPARTEMENTS CANTONAUX DE JUSTICE ET POLICE
CONFERENZA DELLE DIRETTRICI E DEI DIRETTORI DEI DIPARTIMENTI CANTONALI DI GIUSTIZIA E POLIZIA

Medienmitteilung

Das Hooligan-Konkordat tritt in Kraft

Drei Massnahmen gegen Gewalt im Sport, die das Parlament 2007 eingeführt hat - Rayonverbot, Meldeauflage und Polizeigewahrsam - sind bis Ende 2009 befristet. Die Kantone haben mit ihrem Beitritt zu einem Konkordat, das am 1. Januar 2010 in Kraft tritt, sichergestellt, dass diese Massnahmen weiterhin gelten werden. Sie signalisieren damit, dass das Vorgehen gegen die Gewalt im Umfeld des Fussballs und des Eishockeys nicht nur weitergeführt, sondern intensiviert werden muss.

Zur Bekämpfung der Gewalt im Sport und nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Durchführung der Fussball-Europameisterschaft 2008 und der Eishockey-Weltmeisterschaft 2009 in der Schweiz führte das Eidgenössische Parlament am 1. Januar 2007 fünf Massnahmen gegen den Hooliganismus ein, die sich im europäischen Ausland bewährt hatten: Rayonverbote, Polizeigewahrsam, Meldeauflagen und Ausreisebeschränkungen für Gewalttäter sowie die Schaffung einer Hooligan-Datenbank. Die ersten drei Massnahmen wurden allerdings wegen verfassungsmässiger Bedenken bis Ende 2009 befristet, weil das Parlament die Kantone dafür als zuständig erachtete. Die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) beschloss deshalb am 15. November 2007 ein Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich vom Sportveranstaltungen, um die Fortführung der drei befristeten Massnahmen sicher zu stellen. Zusätzlich wurde ein Artikel eingefügt, der es der Polizei erlaubt, die Namen von Gewalttätern an die Klubs und Stadionbetreiber weiterzuleiten, damit diese in Zukunft auch dann Stadionverbote aussprechen können, wenn die Gewalt ausserhalb der Stadien ausgeübt wurde.

Bis heute sind dem Konkordat 24 Kantone beigetreten. Die Kantone Jura und Wallis werden in den ersten Monaten des kommenden Jahres folgen, falls die Parlamente den Anträgen der Regierungen statt geben. Die KKJPD stellt mit Befriedigung fest, dass damit die Weitergeltung von Rayonverboten, Polizeigewahrsam und Meldeauflagen gesichert ist. Die Konferenz wird sich im ersten Halbjahr 2010 dafür einsetzen, dass zusätzlich die von der Plenarversammlung am 13. November 2009 verabschiedeten Massnahmen umgesetzt werden. Die KKJPD empfiehlt verstärkte Anstrengungen auf allen Ebenen, um jene Matchbesucherinnen und -besucher zu identifizieren und zu sanktionieren, die für die Probleme verantwortlich sind. Die KKJPD erwartet von den Behörden, Verbänden, Ligen, Klubs und Stadionbetreibern, dass sie die Massnahmen national und lokal im Umfeld der Klubs der höchsten Spielklassen konkretisieren und soweit wie möglich bereits ab Beginn der nächsten Saison im Fussball und im Eishockey einführen.

Bern, 29. Dezember 2009

Für weitere Auskünfte:
▪ Roger Schneeberger, Generalsekretär KKJPD, Telefon 031 318 15 05

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KALKBREITE ZH
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Indymedia 12.2.10

Kalkbreite 4 ::

AutorIn : B.Setzer         

Ohalätz, die Kalki steuert aufs Grab zu. Und auch auf die Wiederauferstehung.     

Alles hat ein Ende. Auch die Kalkbreite 4. Und wie es aussieht, kommt es näher und näher und näher. Die Geleise, die dereinst quer durch unsere schöne Hütte laufen, sollen im Mai verlegt werden und, ja, es wird konkret. Die VBZ als Hauseigentümerin hat uns aufgefordert, die Kalkbreite zu verlassen. Am 12.3.2010 wird es also vorbei sein, Schutt und Asche, zerbröselt und zerdengelt. Als die Kalki besetzt wurde am 1.12.2003 war sie schon einmal ziemlich zerdengelt. Obwohl die Hütte 2001 für gutes Geld in Stand gesetzt wurde, hat die Stadt diese Investition knapp zwei Jahre später gleich selber wieder in den Sand gesetzt. Heizungen und WCs wurden professionell zerdeppert um eine Besetzung zu verunmöglichen. Genützt hat's zum Glück nicht viel. Mit viel Herzblut und Ellbogenschmalz wurde die Kalki langsam wieder ein Ort, an dem sich's im warmen scheissen lässt. Aber auch noch viel, viel mehr als das. In guter D.I.Y.-Manier entstand in den letzten sechs Jahren im Herzen von Aussersihl ein Kultursquat, eine befreite und unkommerzielle Insel, auf der vieles möglich ist, was angeblich unmöglich ist. Bands aus 3000 Stilrichtungen und noch mehr Ländern für 5.- Stutz Eintritt zu sehen etwa. Oder sich einen gesunden dicken Bauch anzumampfen in der Volxküche. Oder Soli-Abende organisieren zu können, um notorisch leere Polit-Kassen zu füllen. Oder gratis ins Kalki-Kino zu kommen, um neue und alte, lustige und traurige, schreckliche und schöne Spiel- und Dokumentarfilme zu sehen. Oder in der Siebdruck-Werkstatt Transpis malen. Oder Plakate oder deine eigenen Kleider zu bedrucken. Oder ungezwungen endlose Sitzungen zu machen. Oder im Kompi-Raum durch ein flimmerndes Tor in die weite Internetwelt zu entsschwinden. Oder deutsch lernen. Oder im K-Set die kunterbunte Gegenwelt der D.I.Y.-Kultur in Fanzines, CD-Rs, selbstvertriebenen Kassetten und Platten zu durchforsten. Oder stundenlang ohne Konsumationszwang am Töggelikasten zu vertrödeln. Oder Bier. Oder oder oder.
Zweifelsohne das Beste an der Kalki ist aber, dass man nicht nur konsumieren darf, sondern lieber noch machen soll. Etwas, das in unserer durchprofessionalisierten und durchkommodifizierten Zeit leider immer seltener wird.

Natürlich hat nicht nur alles ein Ende. Es hat auch alles einen Anfang. Im Falle eine neuen Kultursquats in Zürich heisst das konkret: Leere. Leere, die gefüllt werden soll, kann und wird. Mit Musik und Film. Mit Minigolf und Brettspielfestival und Rollschuhbahn. Vielleicht mit viel Bewährtem, vielleicht mit viel Neuem, wer weiss. Wie die Kalki wird auch die neue Hütte davon leben, was an Ideen, Liebe, Zeit, Politik, Energie und Spinnerei in sie reingesteckt wird. Also bringt eure Visionen, eure Flausen und eure Luftschlösser und lasst uns bauen, was und niemand baut: unser Haus.

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RECLAIM THE STREET ZH
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Tagesanzeiger 12.2.10

Die Party, die zur Schlacht wurde

 "Reclaim the Streets" sieht sich als friedliche Protestbewegung gegen die Kommerzialisierung Zürichs: Zu vieles ist den Aktivisten zu teuer. Am Samstag endete ihre Demonstration in massiver Zerstörung. Warum?

 Von Dario Venutti

 Die einen waren verkleidet wie an der Street Parade und tanzten zu Technobeats. Sie verkauften Bier für drei und Africola für einen Franken. Andere waren vermummt und trugen Hammer und Schlagstock. Ihr erstes Opfer: die Überwachungskameras am Limmatplatz.

 Die einen waren: Gymnasiasten, KV-Angestellte, Arbeitslose, Journalisten, Hausbesetzerinnen. Nach Polizeiangaben 500 Leute, laut Teilnehmern über 1000. Die anderen: Anarchisten, Revolutionäre, Hooligans, Jugendliche aus dem Kreis 4, die Gang "031" aus Bern. Zwischen 50 und 100 aggressive junge Männer.

 "Der Anlass begann als Party und endete in Gewalt. Leider wird er jetzt darauf reduziert", sagt Richard Wolff, Stadtsoziologe und Dozent an der Hochschule in Winterthur. Wolff beschäftigt sich beruflich mit der Entwicklung von Städten und interessiert sich für Subkulturen. Am letzten Samstag war er mit seinen beiden Söhnen dabei, als die ungefähr zehnte Veranstaltung unter dem Namen "Reclaim the Streets" in Zürich durchgeführt wurde.

 Der coolste Ausgehtipp

 Die erste fand 1999 gleichzeitig wie in über 30 europäischen Städten anlässlich des G-7-Gipfels in Köln statt. Die letzte vor gut zwei Monaten. 300 Leute tanzten vergnügt unter der Hardbrücke. Es gab keine Sachbeschädigungen, keine Polizeicommuniqués und deshalb auch keine Medienberichte.

 Der grösste Anlass war 2008: die Besetzung des Hardturm-Stadions. Innert wenigen Minuten drangen ein paar Dutzend Leute ins Gelände. Nach einer halben Stunde waren schon Hunderte drin. "Brotäktschen" war an jenem warmen Wochenende im Juli der coolste Ausgehtipp in Zürich: 6000 Menschen vergnügten sich drei Tage lang im Stadion. Die Presse schrieb: "Das war Hausfriedensbruch. Aber es war toll."

 "Shantytown", das Barackendorf an der Sihl bei der Börse, hatte bereits ein Jahr zuvor gezeigt, wie die Sache funktioniert: Ein kleiner Kreis, meistens Leute aus der alternativen Partyszene und Hausbesetzer, plant eine Aktion und kümmert sich um Musik, Getränke, Bühnenbretter. Dann geht alles schnell, für die Polizei zu schnell: Wenige Stunden vor der Aktion wird per SMS mobilisiert. Daraufhin nimmt man das Gelände in Beschlag und baut die Infrastruktur auf: Bars, Bühnen, Informationsstände. Am Tag nach "Shantytown" erzählte ein begeisterter Chefredaktor an einer Redaktionssitzung von der friedlichen Stimmung, günstigem Bier und hübschen Studentinnen.

 Seit dem Krawall am letztem Samstag ist die Stimmung allerdings gekippt. Die Polizei will "Reclaim the Streets" in Zukunft nicht mehr dulden, sondern hart durchgreifen. Angesichts des Sachschadens von mehreren Hunderttausend Franken reagiert die Öffentlichkeit mit Abneigung und Unverständnis, nachdem frühere Aktionen noch auf Sympathie stiessen. Und Politiker von links bis rechts schimpfen über die "wohlstandsverwahrloste Jugend". Mit Politik habe das nichts zu tun!

 "Wir waren eigentlich gekommen, um Spass zu haben", sagt ein Aktivist, der sonst Student ist. Er und seine Mitstreiter wollten für einige Stunden mit Musik, Tanz und Kostümen die Strassen vom Privatverkehr befreien und diesen Raum für alle nutzbar machen. Genau diesen Zweck verfolgten auch die ersten "Reclaim the Streets"-Partys in London zu Beginn der 90er-Jahre. Sie waren Protestaktionen gegen neue Strassenbauprojekte. Weil die Strassen früher einmal allen gehörten, so die Rechtfertigung in eigener Sache, bräuchten die Aktivisten keine Bewilligung für ihre Demonstrationen einzuholen.

 "Das Kapital" will keiner lesen

 In der Zwischenzeit hat sich die Bewegung auf Kontinentaleuropa ausgeweitet und ist je nach Stadt unterschiedlich geprägt. In Zürich ist "Reclaim the Streets" ein Protest gegen die Aufwertung und Sanierung der Kreise 4 und 5: Zürich ist eine tolle Partystadt, aber nicht alle können es sich leisten, 45 Franken Eintritt in einen Club und 8 Franken für ein Bier zu bezahlen. Zudem werden Menschen wegen der steigenden Mietzinse gezwungen, in andere Quartiere oder in die Agglomeration wegzuziehen. "Yuppies raus aus dem Kreis 4" steht seit Samstag in der Unterführung der Kornhausbrücke.

 Schlagworte wie "Ausgrenzung" und "Privatisierung von öffentlichem Raum" ziehen allerdings auch selbst ernannte Revolutionäre an. Sie hoffen, diese aus ihrer Sicht verelendenden Jugendlichen für die Weltrevolution zu gewinnen. Doch die marxistische Begleitmusikinteressiert das alternative Partyvolk nicht. Es will nicht das "Kapital" lesen, sondern für fünf Franken Eintritt ein gutes Konzert in einem besetzten Haus in der Binz, Kalkbreite oder Wehntalerstrasse hören. Und dabei nicht grossformatige Werbeplakate von Handyfirmen anschauen müssen.

 Schon 2003 kam es an einem ähnlichen Happening zum Krawall. Damals zog "Reclaim the Streets" von der Josefswiese über die Langstrasse in Richtung Lochergut. Auf der Kornhausbrücke knallte es zum ersten Mal, in der Seebahnstrasse beendete die Polizei den Umzug mit Gummischrot undTränengas. Der Sachschaden betrug 80 000 Franken.

 Bereits damals hatten Mitläufer ihr eigenes politisches Süppchen gekocht. Am letzten Samstag war alles nochgewalttätiger und aggressiver. Linke Gruppen wie die Anarchisten und der Revolutionäre Aufbau nahmen ihre klassischen Ziele ins Visier: McDonald's, Hooters, ZKB, Mercedes-Garage als Symbole von US-Imperialismus und Kapitalismus. Wahrscheinlich gab es eine Arbeitsteilung: politische Gewalt seitens der Anarchisten und der Revolutionäre, unpolitische gegen einen Coiffeurladen und VBZ-Haltestellen vonJugendlichen aus dem Kreis 4 und der Berner Gang "031". Letztere ist eine Gruppe von rund einem Dutzend jungen Leuten aus der Mittelschicht, die in Bern für Skrupellosigkeit und Gewalttätigkeit bekannt ist. Ihr Vorbild sind die "Mara" aus El Salvador: organisierte Banden aus den Slums, die mit Waffen und Drogen handeln, Schutzgeld erpressen und morden.

 Als die vier Soundmobiles von "Reclaim the Streets" mit Bar und rund 1000 Leute die Strassen entlang tanzten, regelten an der Spitze einige Aktivisten sogar den Verkehr. Gegen die Gewalttäter war jedoch nichts zu machen: Als die ersten Scheiben zu Bruch gingen, kam es zu Handgreiflichkeiten. Und gegen Hammer und Schlagstock waren Worte machtlos. Als es auf der Stauffacherbrücke zur Konfrontation mit der Polizei kam, verliessen viele den Umzug.

 Was tun mit Mitläufern?

 "Reclaim the Streets" und Revolutionärer Aufbau würden nicht zusammenpassen, sagt der Soziologe Richard Wolff. "Der Revolutionäre Aufbau ist aus der Zeit gefallen." Das hinderte die Kommunisten freilich nicht daran, zusammen mit den Anarchisten die Demo von "Reclaim the Streets" für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Und weil die Partys illegal sind, hofften Hooligans und Jugendliche aus dem Kreis 4 auf Adrenalinkicks durch Strassenschlachten mit der Polizei.

 Die Aktivisten von "Reclaim the Streets" sind weitgehend ratlos, wie es nach dem letzten Samstag weitergehen soll. Falls sie die unbeliebten Mitläufer ausgrenzen, verstossen sie gegen dieeigene Grundidee: Die Bewegung ist für alle offen, und sie will wachsen, um Wirkung zu erzielen. Zudem müsste sieeinen eigenen Sicherheitsdienst aufstellen wie das "Bündnis gegen Rechts" in Bern: Dieses beschützt die "antifaschistischen Spaziergänge" gegen Neonazis und geht gegen Krawallanten in deneigenen Reihen vor. Doch wer in Zürich will das auf sich nehmen?

 Vielleicht wird "Reclaim the Streets" ein ähnliches Schicksal erleben wie der 1. Mai: Die Nachdemo ist seit Mitte der 90er-Jahre ein ritualisiertes Krawallspektakel. Früher war es nicht selten eine friedliche Angelegenheit: wenn etwa spanische Immigranten gegen die Franco-Diktatur protestierten.

 "Selbst massive Polizeipräsenz wird die Leute nicht von Aktionen abhalten", sagt einer von "Reclaim the Streets". Die Vermummten mit Hammer und Schlagstock werden aber auch da sein.

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Jetzt wollen auch die Linken mehr Polizei

 An der Podiumsdiskussion des "Tages-Anzeigers" zu den Stadtratswahlen vom 7. März war der Kaufleuten-Saal gestern Abend sehr gut besucht.

 Von Jürg Rohrer

 Zürich - Was ist nach den Ausschreitungen vom Wochenende zu tun? Das war der erste Fragenblock, den TA-Redaktor Edgar Schuler den sechs Kandidatinnen und Kandidaten für den Stadtrat und fürs Stadtpräsidium stellte. Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) zeigte sich schockiert, dass es sich bei den Zerstörungen um reine Randale ohne jede politische Botschaft gehandelt hatte. Es gelte jetzt, das Vorgefallene zu analysieren, denn bisher seien die Reclaim-the-Street-Umzüge immer friedlich gewesen. Mauch geht davon aus, dass die Polizei eine falsche Risikoanalyse gemacht habe.

 Für SP-Gemeinderätin Claudia Nielsen ist klar, dass es mehr Polizisten braucht. Nicht in erster Linie wegen der letzten Krawalle, sondern weil Zürich in den letzten Jahren um 20 000 Einwohner gewachsen sei und sich zur 24-Stunden-Stadt entwickelt habe - bei gleich bleibendem Polizeibestand. Sie staunte allerdings auch, dass kein einziger Randalierer verhaftet werden konnte. "Der Einsatz war nicht optimal." Daniel Leupi (Grüne) meinte, vor einer allfälligen Aufstockung des Personalbestandes sollten erst einmal die bestehenden Kräfte effizienter eingesetzt und im Notfall schneller mobilisiert werden.

 SVP-Gemeinderat Mauro Tuena warf dem links-grünen Stadtrat und insbesondere Polizeivorsteherin Esther Maurer vor, der Polizei nie einen klaren Auftrag erteilt zu haben. Illegale Umzüge wie Reclaim the Street dürften nie toleriert werden. "Die Polizei hat einen klaren Auftrag", warf die Stadtpräsidentin dazwischen. "Ja, zuschauen", konterte Tuena. Gemeinderätin Susi Gut (Partei für Zürich) sagte auf die Frage, wie viel Polizisten sie denn einstellen würde: "So viele wies braucht! Sicherheit darf etwas kosten." FDP-Gemeinderat Urs Egger war ebenfalls für eine massvolle Aufstockung, meinte aber auch, die Polizei müsste gezielter Informationen über bevorstehende Demonstrationen sammeln. Auch drohe in Zürich jedes Wochenende Gewalt an bestimmten Orten. "Zürich ist eine der sichersten Städte der Welt", relativierte die Stadtpräsidentin, "reden Sie nicht etwas herbei, das nicht stimmt." - "Statistik hin oder her, man muss auf die Leute hören", entgegnete Susi Gut.

 Wohin mit den Kongressen?

 Wohin soll das Kongresszentrum, lautete das nächste Thema. Susi Gut: "Carparkplatz, es pressiert." Claudia Nielsen: "Keinesfalls die Kaserne, sonst gibt es einen Aufstand im Kreis 4." Urs Egger: "Als Vision an den See, aber realistisch beim HB." Mauro Tuena: "Das Projekt muss fein angegangen werden, es ist nicht das vordringlichste."

 Das dritte Thema hiess Wohnen. Leupi und Nielsen sprachen sich für mehr gemeinnützige Wohnungen aus; der Anteil von heute 25 Prozent genüge nicht. Er genüge sehr wohl, meinten Egger und Tuena und forderten, dass private Bauträger verdichtet und höher bauen könnten. Der private Markt sei wichtig, sagte zum Schluss Corine Mauch, aber er versage bei den günstigen Wohnungen. Nach 90 Minuten endete die Diskussion; die Stimmung auf dem Podium und im Publikum war vornehmlich interessiert und gesittet.

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WoZ 11.2.10

Reclaim The Streets - Am Wochenende demonstrierten über tausend Menschen in den Strassen der Zürcher Kreise 4 und 5. Protokoll eines Nachtspaziergangs.
 
"Aktion Respeck"

 Von Carlos Hanimann

Stell dir vor, du erhältst eine SMS:  "RECLAIM THE STREETS Heute Samstag 6.2. 22.00 Uhr pünktlich Carparkplatz Zürich Bitte Weiterleiten! Kommt zahlreich!"

 Da freust du dich natürlich im ersten Moment, weil du vielleicht gute Erinnerungen an vergangene Reclaim-the-Streets-Events hast. Und wenn du dich nicht erinnerst, hast du vielleicht schon ähnliche SMS erhalten, Einladungen an klandestine Partys. Du weisst aber auch, dass jede "Reclaim the Streets" sagen kann - was sie damit meint, weisst du aber nicht. Reclaim the Streets kann ja auch VoKü im Regen mit einem kaputten Generator und zwanzig Leuten heissen. Oder eine gewöhnliche Demonstration mit 150 Leuten. Das kennst du alles. Und du hast die SMS auch nicht von einer Organisatorin direkt erhalten, sondern von einem Freund, der selber gar nicht daran teilnimmt. Und der hat sie von einer Kollegin und so weiter. Und du weisst nicht so recht, was du von dem bevorstehenden Anlass halten sollst. Ist ja nicht immer gute Laune drin, wo "Reclaim the Streets" draufsteht. Dann erhältst du noch eine SMS und noch eine. Und darin stehen dann Fragen wie: "Wird das heute Spass oder Spannung?" Eine Antwort hast du natürlich nicht parat, aber du hoffst vielleicht, dass es eine Mischung aus beidem wird ...

 Das wird ein guter Abend

Beim Carparkplatz in Zürich siehst du zwanzig, dreissig Leute. Du bist zwanzig Minuten zu früh, aber die SBB spricht ihre Zugverbindungen ja nicht mit den Demonstrantinnen ab. Also gehst du zum Kiosk und kaufst dir ein Bier - und als du zurückkommst, stehen da schon fast 200 Leute. Und dann kommt ein Wagen herangefahren, jemand schiesst Feuerwerk in den Himmel, und irgendwie merkst du: Das wird ein guter Abend.

 Du triffst Bekannte und fragst, was denn jetzt passiert, auch nicht die üblichen Verdächtigen, die bei so was immer Bescheid wissen, können dir sagen, wohin es geht, wie lange es dauert und wer dahinter steckt.

 Aber das ist egal. Weil: Plötzlich spielt die Musik, harte Bässe rollen über die Strasse, mehrere Hundert Szenis, Punks, Fussballfans, Hausbesetzer, Studentinnen laufen los in Richtung Limmatplatz. Einer bemalt VBZ-Billett automaten mit einer Silberspraydose, und eine verstopft die Münzschlitze mit Silikonspray, und ein anderer sprayt mit roter Farbe: "Gratis ÖV!" Du denkst, das kann ja heiter werden - je mehr Sprayereien, desto schneller kommt die Polizei. Aber dann hörst du Dubstep-Beats von einem der zwei oder drei Soundwagen, wie viele es genau sind, siehst du nicht, weil der Demozug schon ziemlich gross geworden ist, und du bist erstaunt, woher plötzlich all die Leute gekommen sind. Dann siehst du vorne ein paar Vermummte rumrennen, die mit Schablonen Parolen sprühen, und andere, die ein riesiges, buntes Transparent mit sich tragen. "Reclaim the Streets" steht da drauf, und du denkst, da hat es jemand aber gut gemeint mit dem LSD, so bunt ist das gemalt.

 Die Leute tanzen, trinken, rauchen - sie feiern, wie sie es sonst vielleicht auch tun. Aber sie müssen nicht anstehen, sich von Türstehern durchwinken lassen, 25 Franken Eintritt bezahlen, die Jacke an der Garderobe abgeben, "zwei Schtutz", und über die Bar brüllen, um ein Getränk zu bestellen, nur um erstaunt festzustellen, dass es für die Zwanzigernote halt nur noch einen Fünfliber Rückgeld gibt, obwohl sie doch nur einen Drink bestellt haben.

 So geht das eine Stunde lang, vielleicht auch zwei. Zwischendurch klirren Scheiben: Hooters ("Gegen Sexismus"), McDonald's ("Down Down USA") und die Mercedes-Garage müssen dran glauben. Und du fragst dich, warum die Polizei nicht eingreift. Weil, sonst sind die Polizisten an der Langstrasse auch immer schnell zur Stelle. Aber du lachst, als einer "Aktion Respeck" an die Wand sprayt, weil dich die Polizei vielleicht auch schon von deinem Velo gezerrt hat, als du in der falschen Richtung durch die Einbahnstrasse gefahren bist.

 Als du vor Gebäude der Tamedia stehst und beobachtest, wie die Leute Pflastersteine gegen den Glaspalast schmeissen, nach vorne rennen, die Steine wieder aufsammeln und von neuem werfen, erinnert dich das an ein Squash-Spiel.

 Und dann kommt die Polizei.

War ja klar, dass sie den Pöbel nicht in die Innenstadt ziehen lassen. Der Umzug löst sich kurz auf. Ein paar Dutzend bleiben auf der Brücke zurück, werfen Steine und Flaschen gegen die überforderten Polizisten. Diese antworten mit Tränengas und Gummischrot. Du beobachtest die Szene aus der Ferne, frierst das Bild ein und denkst: Irgendwie romantisch - dunkle Gestalten stehen auf der nebelverhangenen Brücke, rote Feuerwerkskörper fliegen gegen Blaulicht, und vom Himmel regnet es Tränengas.

 Von nah betrachtet sind die jungen Kämpfer aber nicht mehr romantisch, sondern höchstens aggressiv, der Nebel beisst, und die Aktion ist ziemlich sinnlos.

 Abgeschriebener Polizeirapport

Später versammelt sich, was von den Demonstranten übrig geblieben ist, zieht wieder Richtung Langstrasse, und die Polizei siehst du erst wieder am Montagmorgen, als du an der Langstrasse auf den Bus wartest, der dich zur Arbeit fährt.

 Du liest die Zeitungen und merkst, dass kein Reporter vor Ort war und alle nur die Polizeimeldungen abschreiben. Und du fragst dich, weshalb niemand über die Gründe für die Demonstra tion schreibt - zum Beispiel über Quartieraufwertung, hohe Mieten, Polizeirepression und enge Räume - sondern nur über versprayte Wände. Erst bist du empört, aber dann sagst du dir: Vielleicht bist du naiv?

 Und dann musst du für die Zeitung einen Bericht darüber schreiben, wie es wirklich war. Was schreibst du?

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 Reclaim The Streets

Reclaim the Streets (Holt euch die Strasse zurück, kurz: RTS) ist keine Organisation, sondern eine Aktionsform. Dabei schliessen sich Menschen mit verschiedenen sozialen Hintergründen zusammen, um die Strasse, also den öffentlichen Raum, für ihre Anliegen zu nutzen. Die Aktionsform kommt ursprünglich aus England. In Zürich fanden bereits mehrere Reclaim-the- Streets-Anlässe statt. Am meisten Aufmerksamkeit erregte das Strassenfest von 2003, wohl auch, weil es dabei zu Ausschreitungen mit der Polizei kam. Am vergangenen Samstag nahmen zeitweilig rund 1000 Personen am RTS-Umzug durch die Zürcher Kreise 4 und 5 teil. Dabei entstand ein Sachschaden von über hunderttausend Franken.

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Tagesanzeiger 11.2.10

Was die Polizei in Zürich plant, hat Winterthur längst

Donzé René

 Alle Polizisten in Winterthur und bei der Kantonspolizei sind mit Pager ausgerüstet.

 Zürich/Winterthur - Im Nachgang zur chaotischen Demonstration vom letzten Wochenende in der Stadt Zürich hat Polizeivorsteherin Esther Maurer (SP) gestern ein neues Alarmierungssystem in Aussicht gestellt (TA von gestern Mittwoch): "Es soll dafür sorgen, dass wir für derart überraschende Einsätze schneller mehr Einsatzkräfte haben", erklärte sie. Ähnlich wie bei der Milizfeuerwehr sollen die Polizisten auch in ihrer Freizeit per Pager oder Handy aufgeboten werden können, kündigte sie an. Sie hoffe, dass das System 2011 umgesetzt werden könne.

 Damit wird die Stadtpolizei Zürich auf einen Stand gebracht, der in anderen Polizeikorps schon lange Standard ist. Bei der Stadtpolizei Winterthur seien sämtliche Mitarbeiter mit Pager ausgerüstet, sagte Mediensprecher Peter Gull. Neben den Diensthabenden haben einige Polizisten Pikettdienst und werden dafür entschädigt. Bei unerwarteten Grossereignissen, wie etwa einer spontanen Demonstration mit Gewaltpotenzial, könnten auch jene Polizisten alarmiert werden, die frei haben. Wer daraufhin einrückt, wird für den Einsatz entschädigt. Ein ähnliches System kennt auch die Kantonspolizei Zürich. Wie die Medienstelle bestätigt, haben alle Korpsangehörigen seit Jahren Pager. Weitere Details über ihre Organisation gibt sie nicht bekannt. (rd)

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Zürichsee-Zeitung 11.2.10

Zürcher Gemeinderat

 Ruf nach mehr Polizei

 Im Zürcher Gemeinderat herrscht Empörung über die Sachbeschädigungen vom letzten Samstag. Es ertönte der Ruf nach mehr Polizei.

 Alfred Borter

 Dass am letzten Samstagabend Autonome, Hooligans und betrunkenes Partyvolk in den Stadtkreisen 4 und 5 enorme Zerstörungen anrichteten, ohne dass die Polizei dies verhindern konnte, wurde von allen Gemeinderats-Fraktionen von links bis rechts scharf verurteilt. Offenbar genüge das Einsatzdispositiv nicht. Ebenfalls wurde moniert, die Polizei setze offenbar die falschen Prioritäten: am gleichen Samstag seien nämlich genügend Polizisten vorhanden gewesen, um peinlich genau zu kontrollieren, ob die Mitglieder verschiedener Parteien für ihre Wahlkampfwerbung an Ständen in Zürich über die nötige Bewilligung verfügten. Auch zur Kontrolle potenzieller Schwarzfahrer verfüge die Polizei offenbar über genügend Einsatzkräfte.

 Es gelte nun zu analysieren, welche Fehler beim Einsatz gemacht worden seien, sagte die SP-Fraktionschefin Min Li Marti. Nachdem die SP noch im Dezember einem Antrag auf Aufstockung des Polizeikorps um 15 Personen eine Absage erteilt hatte, sagte sie jetzt, darüber könne man diskutieren. Doch sei auch über den zielgerechten Einsatz der bestehenden Mittel nachzudenken.

 Kritik an Esther Maurer

 Für die SVP fehlt es in Zürich in erster Linie am Willen der Polizeiführung zum harten Durchgreifen, wie Fraktionschef Mauro Tuena ausführte. "Die Zeit des Duldens, des Tolerierens und des Zusehens ist vorbei", betonte er. Der Personalbestand der Polizei müsse massiv erhöht werden. Zudem kritisierte Tuena, dass es die Polizeivorsteherin Esther Maurer nicht für nötig gehalten habe, anwesend zu sein, um zu den Fraktionserklärungen Stellung zu nehmen.

 "Hoffentlich haben die Ereignisse des Wochenendes auch der rot-grünen Mehrheit vor Augen geführt, dass in dieser Stadt mehr Polizeikräfte nötig sind", erklärte FDP-Präsident Urs Egger. Die Fraktionen von CVP und EVP, vertreten durch Christian Traber, fanden in erster Linie, die Alarmorganisation müsse verbessert werden.

 Pikettdienst wäre sehr teuer

 Die Grünen fanden laut den Worten von Daniel Leupi, man solle daraus keinen Wahlkampfschlager machen. Man müsse sich aber schon fragen, warum die Polizei so viel langsamer sei als die Feuerwehr. Allerdings gelte es, kühlen Kopf zu behalten. Ein Pikettdienst für jedes Wochenende wäre sehr teuer. Der Alternative Niklaus Scherr mokierte sich darüber, dass die Polizei offenbar erst spät merkte, dass sich etwas ankündigte. Doch die Leute, die jetzt nach mehr Polizeikräften rufen, bezeichnete er als Maulhelden. Damit war die Diskussion erschöpft.

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Weltwoche 11.2.10

Tatenlose Behörden

In Zürich kam es wieder einmal zu Krawallen. Die Polizei übte sich in gewohnter Zurückhaltung. Dabei wären die Rädelsführer längst bekannt. Politische Verantwortungslosigkeit und eine jahrelangpropagierte "Deeskalationsstrategie" verhindern ein entschiedenes Durchgreifen.

Von Andreas Kunz

Zu Hunderten zogen sie durch die Strassen, versprayten Hauswände, zerschlugen mit Hämmern und Stöcken die Fensterscheiben - und versteckten sich im fröhlich mitmarschierenden Partyvolk. Unter dem Motto "Reclaim the Streets" kam es am vergangenen Samstagabend in Zürich zu Randalen mit Sachschäden in der Höhe von mehreren hunderttausend Franken.

Die "antikapitalistischen" Krawallanten erwischten die Stadtpolizei sprichwörtlich auf dem linken Fuss. Hatten sie ihre Aktionen früher noch über Plakate oder im Internet Tage im Voraus angekündigt, mobilisierten sie diesmal innert weniger Stunden. Erst nach einer kilometerlangen Spur der Zerstörung standen ihnen gerade mal ein paar Dutzend Polizisten gegenüber. Verhaftungen gab es keine.

Während die Gewalttäter immer schneller, zahlreicher und brutaler werden, herrscht bei den Behörden Konzeptlosigkeit und Ohnmacht. An den 1.-Mai-Umzügen sowie an Fussball- oder Eishockeyspielen können die Chaoten fast ungehindert Häuser verschmieren, Steine werfen oder Autos anzünden. Die Polizei reagiert mit der 3-D-Strategie: Dialog, Deeskalation, Durchgreifen. Letzteres wird seit Jahren nicht mehr gemacht.

Hausbesetzer gegen den Kapitalismus

Dabei wären die Rädelsführer längst bekannt. Sie sitzen in den bis zu fünfzehn besetzten Häusern, verteilt über die ganze Stadt, und leben von Studiendarlehen, Elterngeld, Schwarzarbeit oder Kleinkriminalität handeln mit Drogen oder plündern Baustellen. Die Szene hat sich regelrecht institutionalisiert. Finden sie ein leerstehendes Gebäude, brechen sie die Türen auf, überweisen dem Besitzer ein vorgefertigtes Formular für eine sogenannte Gebrauchsleihe und verpflichten sich - wenn's hoch kommt zur Vergütung des benötigten Stroms. Kurz darauf sind die Schlösser ausgewechselt, die Fassaden versprayt und die Räume zugemüllt. Eingepackt in Kleider von amerikanischen Kapitalistenfirmen wie Nike, sitzen sie vor stromfressenden Elektroheizern und schreiben Pamphlete gegen die Marktwirtschaft und für den Umweltschutz.

Die Polizei lässt sie gewähren - aus Angst vor einer Eskalation und den damit verbundenen Schlagzeilen. Wie mehrere Hauseigentümer der Weltwoche bestätigten, werden von den Besetzern nicht einmal die Personalien aufgenommen. Reklamieren die Eigentümer direkt auf dem Polizeiposten, erwartet sie die immer gleiche Antwort: "Wir können nichts machen."

Tatsächlich kämpft die Polizei mit Personalmangel und der Entscheidungsschwäche der verantwortlichen Politiker. Polizeivorsteherin Esther Maurer (SP) meldete sich erst drei Tage nach dem Vorfall zu Wort. Für die Chaoten muss es in den vergangenen Jahren ein Vergnügen gewesen sein, in den Zeitungen zu lesen, wie sich Bund und Kantone, Vereine und Verbände gegenseitig den Schwarzen Peter zuschoben. Die langsamen politischen Abläufe, das Gerangel um Verantwortung und Kompetenzen, vor allem aber der Datenschutz verhinderten immer wieder griffige Massnahmen gegen die rücksichtslosen Krawallanten.

Zwar ist die Isis-Datenbank des Inlandgeheimdienstes mittlerweile auf rund 120 000 Personeneinträge angewachsen (6000 davon betreffen Schweizer Bürger), doch oft ist nicht klar, wofür und wann die Daten überhaupt angewendet werden dürfen. Im vergangenen Herbst hat das Zürcher Stimmvolk zwar die Einführung der Gamma-Datenbank beschlossen, in der Personen registriert werden, die sich regelmässig in der Nähe von Gewaltausbrüchen befinden. Doch dürfen die Daten nur von den sechs Hooligan-Spezialisten der Stadtpolizei - und unter strenger Aufsicht des Gemeinderats - benutzt werden. Mit der längst angekündigten Revision des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) dürften zwar Privaträume verwanzt, E-Mails abgefangen oder Computer gehackt werden. Doch Bundesrat Ueli Maurer (SVP) verschob die Präsentation des Gesetzes kürzlich auf das Jahr 2013 ("Es braucht weitere Anhörungen und Diskussionen").

Das Warten auf bessere Gesetze müsste nicht sein. Massnahmen, um die Chaoten abzuschrecken und zu bestrafen, wären vorhanden. Die Teilnahme an einer Kundgebung, die zu Sachbeschädigungen führt, wäre schon heute per Strafgesetz verboten. Es gibt ein Vermummungsverbot, mit dem anonyme Demonstranten bestraft werden könnten. Und auf einen konkreten Tatverdacht hin dürfte jederzeit verdeckt recherchiert oder könnten Telefone abgehört werden. Staatsanwälte und Richter begnügten sich bisher mit Nachsichtigkeit, bedingten Haftstrafen oder Strafgeldern in der Höhe einer Geschwindigkeitsbusse.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Die linken Chaoten predigen Gerechtigkeit und Toleranz, zerstören aber mutwillig Gebäude und bewerfen Unschuldige mit Steinen. Der als "faschistisch" verschriene Staat übt sich in Zurückhaltung und einer "Deeskalationsstrategie", die längst nur noch als Aufforderung zur ungezügelten Gewalt verstanden wird.

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AUSSCHAFFUNG
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NZZ 11.2.10

Rechtsschutz im Dublin-Verfahren

 Bundesverwaltungsgericht verlangt eine Frist vor der Ausschaffung in Drittstaaten

 Asylbewerber dürfen nicht sofort nach dem betreffenden Entscheid in einen Dublin-Staat verbracht werden. Das Bundesverwaltungsgericht verlangt eine effektive Rekursmöglichkeit.

 C. W. ⋅ Das Dublin-Recht der EU, das seit Dezember 2008 vertraglich auch für die Schweiz gilt, erlaubt es, Asylsuchende in einen Mitgliedstaat zurückzuschicken, in dem sie sich nachweislich schon aufgehalten haben. Das Bundesamt für Migration (BfM) vollzog bisher solche Wegweisungen ohne Verzug. Das Bundesverwaltungsgericht verlangt nun aber, dass die Betroffenen, die einen solchen Entscheid anfechten, abwarten können, ob ihrer Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt wird.

 Wie sicher ist Griechenland?

 Ein betroffener Afghane, der lange in Pakistan gelebt hatte, kam über mehrere feststellbare Zwischenstationen in die Schweiz. Als verantwortlich für die Behandlung seines Asylbegehrens erwies sich Griechenland. Das BfM trat daher im letzten September nicht auf das Gesuch ein, nahm den Mann in Haft und liess ihn am nächsten Morgen nach Athen fliegen. Seither haben das BfM (auf Anordnung des Bundesverwaltungsgerichts) und die Schweizerische Flüchtlingshilfe, die sich für die Beschwerde engagierte, über Stellen in Griechenland vergeblich versucht, den Afghanen wieder ausfindig zu machen.

 Die Rückführung von Asylsuchenden nach Griechenland wird von den Hilfswerken generell kritisiert, weil dort der Zugang zu einem fairen Asylverfahren und akzeptable Aufenthaltsbedingungen fehlten. Wie die Behörden einiger anderer Staaten sieht das BfM bei besonders verletzlichen (zum Beispiel älteren oder minderjährigen) Personen von solchen Wegweisungen ab, verneint aber, dass es Anhaltspunkte für Verstösse gegen das Rückschiebe- oder das Folterverbot gebe. Letztes Jahr wurden 99 Asylsuchende nach Griechenland überstellt, für 417 Fälle lag die (allenfalls stillschweigende) Zustimmung vor.

 Beschwerde nicht erst danach

 Das Bundesverwaltungsgericht ging nicht auf die Frage ein, ob die Schweiz direkt verpflichtet wäre, das Asylverfahren selber durchzuführen, wenn im zuständigen Dublin-Staat eine schwere Menschenrechtsverletzung droht. Es hob den Entscheid des BfM schon aus verfahrensrechtlichen Gründen auf. So wurde der Entscheid mündlich dem Betroffenen, der Rechtsvertreterin aber erst am Tag der Ausschaffung korrekt eröffnet. Ein Rekurs hat zwar an sich keine aufschiebende Wirkung, doch kann das Bundesverwaltungsgericht diese gewähren. Ein solches Begehren muss logischerweise gestellt werden können, bevor der angefochtene Akt vollzogen ist, also in der Schweiz, und der Betroffene benötigt dafür Zeit, laut Gericht fünf Tage oder auch weniger.

 Ein "sofortiger Vollzug" der Wegweisung ist gemäss dem Urteil weder in der Dublin-Verordnung der EU noch im schweizerischen Asylgesetz vorgesehen. Ein Untertauchen des Asylsuchenden kann auch mit einer Ausschaffungshaft verhindert werden. Das Bundesverwaltungsgericht verweist im Weiteren auf die Rechtsweggarantie der Bundesverfassung und auf das Recht zu einer wirksamen Beschwerde gemäss der Europäischen Menschenrechtskonvention, wogegen die Praxis des BfM ebenfalls verstosse. Daraus ergibt sich auch, dass der vor dem Parlament liegende Antrag des Bundesrats, den sofortigen Vollzug im Gesetz vorzusehen, übergeordnetes Recht verletzt.

 Das Bundesamt für Migration äussert sich auf Anfrage noch nicht zu den Auswirkungen des Urteils und den Folgerungen, die für die Praxis gezogen werden, zumal auch die am Vollzug beteiligten Kantone einzubeziehen sind. Fest steht, dass die Beteiligung am Dublin-System das schweizerische Asylwesen im ersten Jahr der Anwendung entlastet hat, indem bei gut einem Viertel der Asylsuchenden die Wegweisung in einen anderen Staat in Frage kam.

 Unzureichende Unterbringung

 Der Vollzug, ist anzunehmen, wird auch bei Einschaltung einer kurzen Beschwerdefrist funktionieren. Eine andere Frage, die sich aber ohnehin stellt, ist die der Bedingungen in den Partnerstaaten. 2009 erfolgten 869 der 1904 Überstellungen (viele weitere sind vorbereitet) nach Italien, in ein Land, dessen Umgang mit Asylsuchenden engagierte Organisationen sehr kritisch beobachten. Denise Graf von Amnesty International hält etwa die Möglichkeiten zur Unterbringung von Familien für völlig unzureichend. Direkt darüber liegt offenbar noch kein Gerichtsurteil vor. Gegenwärtig sind in Dublin-Verfahren 146 Beschwerden pendent.

 Urteil E-5841/2009 vom 2. 2. 10.

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Südostschweiz 11.2.10

Rüge an den Bund für Wegweisungspraxis

 Das Bundesverwaltungsgericht rügt das Bundesamt für Migration (BFM) für Wegweisungen von Asylsuchenden. Künftig dürfen diese nach einem Nichteintretensentscheid nicht sofort an einen Dublin-Staat überstellt werden.

 Bern. - Im konkreten Fall hiess das Gericht die Beschwerde eines Afghanen gut, auf dessen Asylgesuch das BFM im letzten Jahr nicht eingetreten war. Der Mann war nach diesem Entscheid sofort nach Griechenland überstellt worden. Dort war er zuvor in den Dublin-Raum eingereist.

 Rechtsschutz verletzt

 Die Wegweisung bei einem Nichteintretensentscheid sieht das Dublin-Abkommen vor, das für die Schweiz seit Dezember 2008 in Kraft ist. Entsprechend musste der Mann nach Griechenland ausreisen, bevor ein Schweizer Gericht seinen Rekurs gegen den Nichteintretensentscheid behandeln konnte. Diese Praxis hält das Bundesverwaltungsgericht für rechtswidrig. Sie verstosse gegen den Rechtsschutz, wie ihn die Bundesverfassung garantiert: Jede Person hat bei Rechtsstreitigkeiten Anspruch auf Beurteilung durch eine richterliche Behörde.

 Nach Angaben des Sprechers des Gerichts, Andrea Arcidiacono, handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Im Moment seien beim Bundesverwaltungsgericht 146 Fälle hängig, bei denen es um die Anwendung des Dublin-Abkommens gehe, sagte er. Das Urteil hat deshalb weitere Folgen für das BFM: In knapp einem Dutzend Fällen habe das Gericht das BFM angehalten, auf die Rückführung der zu schnell weggewiesenen Personen in die Schweiz hinzuarbeiten.

 Flüchtlingshilfe begrüsst Urteil

 Nach dem Urteil muss das BFM seine Praxis anpassen. Asylsuchenden, die einen Nichteintretensentscheid erhielten, muss genügend Zeit eingeräumt werden, damit eine Beschwerde behandelt werden kann. Zudem muss das BFM dem Afghanen eine Entschädigung von 3410 Franken bezahlen.

 Aus Sicht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, die den Rekurs anstrengte, zeigt der Entscheid, dass in Schweizer Asylverfahren "wesentliche Verfahrensmängel" bestünden, wie die Organisation mitteilte. Man hoffe auf eine menschenrechtskonforme Anwendung des Dublin-Abkommens. (sda)

 Urteil E-5841/2009 vom 2. Februar.

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NLZ 11.2.10

Asylbewerber

 Das Gericht unterbindet die Sofort-Abschiebung

Fabian Fellmann

 Seit dem Schengen-Beitritt hat die Schweiz Tausende Asylbewerber so schnell wie möglich ausgeschafft. Nun muss der Bund bremsen.

 Es ging alles sehr schnell im vergangenen Sommer. Der heute 19-jährige Afghane kam im Juni 2009 aus Griechenland via Ungarn und Österreich in die Schweiz und stellte einen Asylantrag. Am 14. September wurde ihm mündlich erklärt, das Bundesamt für Migration trete darauf nicht ein, weil er in Griechenland in den Schengen-Raum eingereist sei. Und am 15. September um 9.45 Uhr sass der Mann bereits wieder im Flugzeug zurück in die griechische Hauptstadt Athen. Denn, so besagt ein Grundsatz der Schweizer Asylpolitik: Leute, die hier keine Chance auf Asyl haben, sollen so schnell wie möglich das Land verlassen.

 Ganz so schnell gehe es aber nicht, hat das Bundesverwaltungsgericht nun entschieden. Zwar ist die Schweiz mit den zweiten bilateralen Abkommen auch den Verträgen von Schengen und Dublin der EU beigetreten, welche seit September 2008 in Kraft sind. Und die besagen, dass Flüchtlinge in jenem Staat ein Asylgesuch stellen müssen, in dem sie in den Schengen-Raum einreisen. Gelangen sie später an ein anderes Land, wie der Afghane im aktuellen Grundsatzurteil, werden sie automatisch ins erste Land zurückgeschickt. 3486 Entscheide hat das Bundesamt für Migration im vergangenen Jahr, gestützt auf diese Regel, gefällt.

 Urteil kam zuerst nur mündlich

 Diese bleibt trotz des gestrigen Urteils gültig, doch war das Bundesamt für Migration in der Beschleunigung der Verfahren etwas übereifrig, wie die Bundesverwaltungsrichter befunden haben. Der Afghane zum Beispiel hatte gar keine Zeit, Beschwerde gegen den Nichteintretensentscheid des Bundesamts für Migration einzulegen. "Das Urteil wurde ihm mündlich eröffnet", sagt Adrian Hauser, Sprecher der Schweizer Flüchtlingshilfe. Die Anwältin des Afghanen erhielt das Urteil per Fax am gleichen Tag und reichte am anderen Tag Beschwerde ein. Doch als das Bundesverwaltungsgericht wieder einen Tag später verfügte, der Mann dürfe vorerst bis zum Vorliegen eines Urteils nicht abgeschoben werden, war der bereits seit zwei Tagen in Griechenland.

 Die Asylsuchenden hätten aber ein Anrecht darauf, den Rechtsweg zu beschreiten, urteilt jetzt das Bundesverwaltungsgericht, und für eine sofortige Ausschaffung habe das Bundesamt für Migration gar keine Rechtsgrundlage. Entsprechend hätte der Afghane erst ausser Landes gebracht werden dürfen, nachdem ein Gericht die Möglichkeit gehabt hätte, den Nichteintretensentscheid auf die Einhaltung der Menschenrechte zu überprüfen. "Was eine angemessene Frist ist, sagt das Bundesverwaltungsgericht nicht. Aber man spricht in der Tendenz von fünf Tagen", erklärt Adrian Hauser von der Flüchtlingshilfe. "Das ist relativ wenig, würde aber die Gelegenheit geben, die Rekurse seriös zu prüfen. Und es ist eine vertretbare Frist, welche den ganzen Apparat nicht unnötig aufbläst." Zudem dürfe das Bundesamt für Migration die Entscheide künftig nicht mehr nur mündlich oder per Fax eröffnen, sondern nur noch schriftlich per Post.

 Der Afghane wird zurückgeholt

 Die Flüchtlingshilfe hat den Afghanen vor Bundesverwaltungsgericht vertreten. Sie wollte einen Grundsatzentscheid erwirken.

 Das Bundesverwaltungsgericht weist aber in seinem Urteil bereits darauf hin, dass der Bundesrat eine Revision des Asylgesetzes vorbereitet hat. Darin schlägt dieser vor, dass die sofortige Ausschaffung bei Dublin-Entscheiden ausdrücklich im Gesetz festgeschrieben wird. Fraglich ist, ob dies nach dem gestrigen Urteil noch möglich ist. Das Bundesamt für Migration nahm gestern inhaltlich noch nicht Stellung; man müsse das Urteil zuerst intern prüfen.

 Ob dieses für den jungen Afghanen überhaupt Folgen haben wird, ist offen. Der Kontakt ist laut Adrian Hauser abgebrochen; es sei fraglich, ob der Mann in Griechenland ins Asylverfahren aufgenommen werde. Die Ironie: Der Afghane dürfte wieder in die Schweiz kommen, und zwar auf Kosten der Eidgenossenschaft. Nachdem das Bundesamt für Migration ihn vorschnell ausgeschafft hatte, soll es nun alles unternehmen, um ihn wieder herzuholen, damit er seine Rechte wahrnehmen kann, hat das Bundesverwaltungsgericht geurteilt.

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Bundesverwaltungsgericht 2.2.10
http://relevancy.bger.ch/pdf/azabvger/2010/e_05841_2009_2010_02_02_t.pdf

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SEMPACH
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Wilisauer Bote 12.2.10

Luzerner SVP verteidigt "junge Patrioten"

 Sempach | Petition zur Schlachtfeier

 Die Sempacher Schlachtfeier soll weiter im gewohnten Rahmen stattfinden. Die Luzerner SVP lancierte eine entsprechende Petition.

 In den letzten Jahren entwickelte sich die Feier, die an die Schlacht von 1386 erinnert, zu einem Treffpunkt von Rechtsextremen. 2009 organisierten die Juso deswegen eine Demonstration. Damit sich die Gruppen nicht in die Quere kamen, war ein grosses Polizeiaufgebot nötig, das 300 000 Franken kostete.

 Denkpause und neues Konzept

 Der Regierungsrat will deshalb eine Denkpause einlegen und mit einem neuen Konzept verhindern, dass die Feier zu einer verpolitisierten Plattform verkommt. Diese Pläne stiessen bei den bürgerlichen Parteien aber auf Kritik. Die Stadt Sempach kündigte an, dieses Jahr in Eigenregie eine Feier zu organisieren.

 Die Petition der SVP

 Am heftigsten reagierte nun die SVP. Nach ihrer Ansicht schafft die Regierung mit ihren Plänen "den letzten patriotischen Gedenkanlass des Kantons" ab. Der Regierungsrat kusche vor den Linksextremen, die die friedlich und anständig an der Schlachtfeier teilnehmenden "jungen Patrioten" als Rechtsextreme verschrien hätten. Die SVP fordert in ihrer Petition die Regierung auf, die Schlachtfeier im gewohnten Rahmen durchzuführen und sich gleichzeitig für die "Schweizerische Kultur und unsere historische Vergangenheit einzusetzen".

 Juso: "Nicht gegen Feier"

 Die Juso wiesen in einer Mitteilung die Kritik der SVP zurück. Sie seien nicht die Auslöser der Debatte, sondern hätten ein Problem aufs Tapet gebracht. Sie seien nicht gegen die Schlachtfeier, schreiben die Juso. Wer ein ruhiges und schönes Volksfest haben wolle, müsse es aber von Rechtsextremen freihalten und dürfe diese nicht verharmlosen.sda/WB

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Zofinger Tagblatt 12.2.10

"Einen Kniefall kann es nur vor Gott geben"

 Kanton Der Schriftsteller und Historiker Pirmin Meier appelliert an die "ungebetenen Gäste" an der Schlachtfeier

 624 Jahre sind seit der Schlacht bei Sempach vergangen. Warum gedenken wir noch immer der damals Gefallenen?

 Pirmin Meier: Der Krieg war zur Zeit der alten Eidgenossenschaft, so paradox das heute klingen mag, Bestandteil der Kultur, eine Art Ritual, wie das zum Beispiel in den Schlachtgebeten zum Ausdruck kam. Nicht selten fand der Krieg, wie zum Beispiel im Fall Sempach, zwischen Heuet und Emdet statt, also in einer Phase, da die landwirtschaftliche Arbeit ruhte oder den Frauen überlassen blieb. Rechtlich gesehen war der Krieg die Fortsetzung eines Prozesses mit anderen Mitteln. Das Resultat des Krieges wurde als eine Art Gottesurteil gesehen. Im Fall der Schlacht bei Sempach bedeutete dies einen vorläufigen Schritt zur Ausdehnung des Territorialstaates Luzern. Dies galt jedoch erst nach der Eroberung des Aargaus (1415), zu dem dieses Gebiet ja auch gehörte, historisch nachhaltig. Die Schweiz als Eidgenossenschaft hat sich erst im 15. Jahrhundert endgültig von Habsburg abgesetzt. Dessen wurde man sich bei der Schlachtfeier zunehmend bewusst.

 Sie waren vor zwei Jahren Redner an der Schlachtfeier. Wie haben sie die damalige Feier in Erinnerung?

 Meier: Es waren wertvolle Begegnungen, zum Teil auch mit Magistraten aus Nachbarkantonen, aber auch mit dem mittlerweile verstorbenen alt Regierungsrat Hans-Ernst Balsiger, meinem Aargauer Landsmann, dazu mit ehemaligen Schülern und Menschen aus der Region. Für den Fall, dass Rechtsextreme bei der Feier gestört hätten, hatte ich entsprechende "Rede-Munition" vorbereitet. Dies war aber nicht der Fall. Jedoch wurde über diese Randgruppe in den Medien mehr berichtet als über den Kern der Feier. Mit dem Festprediger, dem Luzerner Schultheissen wie auch mit dem Gros der Teilnehmer der Gedenkfeier habe ich mich ausgezeichnet verstanden. Es war eine schöne und im Prinzip würdige Feier.

 Was verstehen Sie unter dem Begriff "Rede-Munition"?

 Meier: Dass ich auf Störungen, Zwischenrufe, Geschmacklosigkeiten und generelle Überraschungen so weit wie möglich vorbereitet bin und darauf reagieren kann. Schlagfertigkeit ist eine Tugend, aber viele Schlagfertige sind schlagfertig, weil sie mit einer Situation rechnen. Über die Rechtsextremen habe ich mich damals absolut nicht gefreut, gerade weil keine Auseinandersetzung stattfindet. Immerhin muss man für den Fall einer Störung gewappnet sein, auch verbal.

 Damals betonten Sie, dass die Feier der älteste historische Gedenktag der Schweiz ist und auch karitative Züge trug. Wie verliefen frühere Feiern ab?

 Meier: Ganz ursprünglich war die Feier wenig politisch, eben ein "Jorzet" für die Toten beider Lager. Aber um 1844, am Vorabend der Freischarenzüge, fielen bei liberalen Rednern, etwa Kasimir Pfyffer, Bekenntnisse zum republikanischen Gedankengut auf. Dieses Bekenntnis versuchte ich in meiner Rede von 2008 zu erneuern.

 Der Luzerner Regierungsrat will die Dreigliederung in einen Gottesdienst in der Pfarrkirche, einen Festzug auf das Schlachtfeld und die Gedenkfeier entschlacken und nur noch einen "schlichten Gottesdienst" abhalten. Ein Kniefall vor den Extremen oder ein sinnvoller Marschhalt?

 Meier: Einen Kniefall kann es nur vor Gott geben. Jeder andere Kniefall wäre undemokratisch und unrepublikanisch. Eine Besinnungspause halte ich aber für richtig. Doch sollte anstelle des Predigers, falls dieser nicht erstklassig ist, auch in der Kirche ein weltlicher Redner zu Wort kommen, und zwar zum Beispiel ein Redner oder eine Rednerin vom Format eines Peter von Matt. Bis 2011, spätestens aber 2015 (Jubiläum von Morgarten und von 200 Jahre Neu-tralität am Wiener Kongress) muss aber die Schlachtfeier bei der Schlachtkapelle wieder aufgenommen werden.

 2011 soll die Feier in überarbeiteter Form abgehalten werden. Braucht es Änderungen?

 Meier: Der Schwerpunkt der Feier könnte vermehrt auf musikalische Beiträge gelegt werden. Worte der Besinnung sind auch in Zukunft wichtig, jedoch nicht im Nebensinn von Wahlwerbung. Die Präsenz ungebetener Gäste ist nie ganz auszuschliessen. Dass diese auf direkte Störungen verzichten und sich anständig aufführen, ist das Minimum, was zu erwarten wäre. Da die Linksextremen sich mangels historischen Wissens für harmloser halten als ihre rechten Antipoden, mussten sie mit Vermummung und Pöbelplakaten auf sich aufmerksam machen. Wenn dieses Verhalten Schule macht, muss man sich vielleicht sogar über mehrere Jahre auf den Festgottesdienst mit Ansprache beschränken.

 Pirmin Meier trat vor zwei Jahren als Festredner an der Schlachtfeier in Sempach auf. Er schildert im Interview seine Eindrücke der laufenden Debatte um Beibehaltung oder Marschhalt der Feier.

 Thomas Stillhart

 Update

 Der Regierungsrat hat entschieden, die Schlachtfeier in diesem Jahr auf eine schlichte Feier zu reduzieren. Eine Arbeitsgruppe unter Staatsschreiber Markus Hodel ist derweil eingesetzt worden, um bis im nächsten Jahr, dem 625. Gedenkjahr, ein neues Konzept der Feier auszuarbeiten. (sti)

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Blick am Abend 10.2.10

Politische Kampfansage wegen Schlachtabsage

Knatsch

Wegen der Schlachtfeier von Sempach fahren sich Linke und Rechte mächtig an den Karren.

Die Luzerner SVP wehrt sich mit einer Petition gegen die abgesagte Schlachtfeier von Sempach. Der traditionelle Anlass soll 2010 nur mit einem Gottesdienst gefeiert werden, da es in vergangenen Jahren wiederholt zum Aufmarsch von Rechtsextremen und zu Protestaktionen von Linken kam. SVP-Sprecher Anian Liebrand fi ndet den Entscheid der Luzerner Regierung daneben. "Die Schlachtfeier darf nicht Linken geopfert werden", schrieb er in einer Mitteilung. Die Antwort folgte prompt: In einem Schreiben werfen SP und Juso der SVP, insbesondere Liebrand, vor, Rechtsextreme in Schutz zu nehmen und diese als "junge Patrioten" zu verharmlosen. Das wiederum stösst Liebrand sauer auf. Der politische Kleinkrieg dürfte also in eine nächste Runde gehen. pi

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NARRENKRAUT
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BZ 12.2.10

Gesundheit

 Kiffer schlecht drauf

 Cannabis-Konsumierende klagen häufiger über psychische Probleme als Personen, die nie kiffen.Das zeigt eine neue Studie.

 Kiffer leiden häufiger an psychischen Problemen. Unklar ist, ob Cannabis die Ursache ist oder ob Menschen mit psychischen Problemen eher zum Joint greifen. Insgesamt leidet nur eine Minderheit der Kiffer unter solchen Beschwerden. Zu diesen Feststellungen gelangt die Schweizerische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme (SFA) nach einer Analyse der repräsentativen Daten der letzten Schweizerischen Gesundheitsbefragung von 2007. Ist der Cannabiskonsum aktuell und regelmässig, leiden Betroffene demnach eher unter Depressionen, psychischen Belastungen oder allgemeiner Schwäche, Müdigkeit und Energielosigkeit als Personen, die nicht konsumieren. Wer oft kifft, berichtet vermehrt über entsprechende Beschwerden, heisst es. Als gesichert gilt laut SFA, dass bei gewissen Menschen latent vorhandene Psychosen eher ausbrechen, wenn sie Cannabis konsumieren, und dass der Krankheitsverlauf durch Cannabis verschlimmert oder beschleunigt werden kann.
 sda

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LITTLE HELPERS
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BZ 12.2.10

Medizin

 Suchtauslöser im Hirn entdeckt

 Ein Forscher der Universität Genf fand heraus, wie Sucht entsteht. Er belegte durch Tests mit Mäusen, wie Medikamente, die Benzodiazepine enthalten, zwanghaftes Suchtverhalten auslösen: durch Veränderungen im Hirn.

 Die meist verwendeten Schlaf- und Beruhigungsmittel wie beispielsweise Temesta, Dalmadorm, Seresta oder Valium gehören pharmakologisch gesehen zur Klasse der Benzodiazepine. Obwohl die Gefahr der Gewöhnung bei regelmässiger Einnahme dieser Arzneimittel bekannt ist und obwohl Benzodiazepine als Medikamente mit der weltweit höchsten Missbrauchsrate gelten, war bisher umstritten und unklar, ob und wie sie süchtig machen.

 Medikamente auf der Basis von Benzodiazepine können angstlösend, krampflösend, muskelentspannend, beruhigend, schlaffördernd oder leicht stimmungsaufhellend wirken. Und sie können zeitweise die Erinnerung blockieren. Damit werden sie gegen eine Fülle von Krankheiten eingesetzt. Am häufigsten verschreiben die Ärzte sie zur Bekämpfung von Ängsten und als Schlafmittel.

 Professor Christian Lüscher, Neurowissenschafter an der Universität Genf, und sein Forscherteam konnten an Hand von Versuchen mit Mäusen erstmals aufdecken, wie Benzodiazepine im Hirn wirken. Sie verstärken einen hemmenden Neurotransmitter, indem sie an die GABA(A)-Rezeptoren der Nervenzellen andocken. Diese Rezeptoren sind aus Untereinheiten zusammengesetzt.

 Lüscher deckte auf, dass die Suchtwirkung der Benzodiazepine von Rezeptoren der Untereinheit "alpha 1" abhängig ist. Weil Benzodiazepine aber an alle GABA(A)-Rezeptoren andocken, wirken sie auch auf jene Nervenzellen ein, die das natürliche Suchtverhalten des Menschen einschränken. In diesem Punkt unterscheiden sie sich nicht von Heroin und anderen Drogen.

 Gezieltere Wirkung im Hirn

 Aus früheren Untersuchungen ging hervor, dass die Angst lösende Wirkung der Benzodiazepine hauptsächlich von der Untereinheit "alpha 2" des GABA(A)-Rezeptors vermittelt wird. Christian Lüscher: "Unsere Tests beweisen also, dass angstlösende Medikamente nicht grundsätzlich auch suchtbildend sein müssen." Substanzen, die keine Wirkung auf "alpha 1" haben, würden keine der Nervenzellen lähmen, die das Suchtverhalten eindämmen.

 Es gibt bereits Substanzen, die nicht an die "alpha 1"-Untereinheit andocken. Sie wurden bislang aber noch nicht klinisch entwickelt. Christian Lüscher: "Einige dieser Substanzen wurden wegen ihrer Toxizität ausgeschieden. Sie führten zu Problemen mit der Leber und der Haut." Die Giftigkeit der Substanzen hing aber nicht mit ihrer Wirkung auf die GABA(A)-Rezeptoren zusammen. Lüscher: "Die Schwierigkeit besteht nun darin, die veränderten Moleküle der auf ‹alpha 1› nicht einwirkenden Substanzen zu nehmen und sie so weit zu bringen, dass man sie an einer grösseren Gruppe von Patienten testen kann."

 Lüscher hofft, dass seine vorklinische Studie hilft, das Interesse der Pharmaindustrie an der Entwicklung entsprechender Substanzen zu verstärken. Solange die Benzodiazepine nicht durch Verbote bedroht sind, ist das nicht selbstverständlich.

 Gute Chancen im Markt

 Dabei wäre die Perspektive für die Pharmabranche gut. Lüscher glaubt, dass dank seiner Entdeckung auch Medikamente etwa gegen Fress- und Spielsucht zu entwickeln wären. Bislang sind Süchte zwar behandel-, aber generell nicht heilbar.

 Der European Brain Council EBC in Brüssel beziffert die durch Suchterkrankungen allgemein entstandenen Schäden in Europa auf 60 Milliarden Euro (90 Milliarden Franken) - jährlich. Das wirtschaftliche Potenzial für suchtbekämpfende Medikamente ist also enorm gross.

 Thomas Kohler

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Basler Zeitung 12.2.10

Tranquilizer bringt Belohnungssystem aus der Ruhe

 Genfer Forschungsteam klärt auf, warum Benzodiazepine süchtig machen, und fordert Alternativen

 Benzodiazepine sind in Beruhigungs- und Schlafmitteln weit verbreitet. Doch sie machen auch süchtig. Weil sie das Belohnungssystem entfesseln und das Hirn verändern, wurde in Genf gezeigt.

 Die meist verwendeten Schlaf- und Beruhigungsmittel wie beispielsweise Temesta, Dalmadorm oder Valium gehören zur Klasse der Benzodiazepine. Obwohl die Gefahr der Gewöhnung bei regelmässiger Einnahme dieser Arzneimittel bekannt ist und Benzodiazepine als Medikamente mit der weltweit höchsten Missbrauchsrate gelten, war bisher unklar, ob und wie sie süchtig machen.

 Jetzt beschreiben Christian Lüscher und sein Team an der Universität Genf in "Nature", unterstützt mit Forschungsgeldern des Schweizerischen Nationalfonds, was dahinter steckt. Benzodiazepine vermindern - genau wie Heroin, Haschisch und andere Drogen auch - die Aktivität jener Neuronen, die normalerweise das Belohnungssystem im Mittelhirn im Zaum halten. Wenn aber das entfesselte Belohnungssystem keiner Kontrolle mehr untersteht, kann es mit der Zeit abwägende Entscheide verunmöglichen und zwanghafte Sucht auslösen.

 Den diesem Verhalten zugrunde liegenden molekularen Mechanismus haben die Wissenschaftler in Mäusehirnen entschlüsselt. Demzufolge docken sich Benzodiazepine an bestimmte Eiweisse, sogenannte Gaba(A)-Rezeptoren, an. Diese sind - je nach Nervenzelle, auf deren Oberfläche sie sich befinden - aus unterschiedlichen Untereinheiten zusammengesetzt und vermitteln verschiedene Funktionen.

 Gebunden an alle

Weil die momentan auf dem Markt erhältlichen Benzodiazepine (mit wenigen Ausnahmen) sich an alle Untereinheiten binden, wirken sie so vielfältig: Sie heben etwa Angstzustände auf, lösen epileptische Muskelkrämpfe und fördern den Schlaf - und machen gleichzeitig auch süchtig. Die Forschenden um Christian Lüscher haben nun aufgedeckt, dass die süchtig machende Wirkung der Benzodiazepine von Gaba(A)-Rezeptoren von der Untereinheit alpha1 abhängig ist. Sie verabreichten normalen Mäusen Benzodiazepine, worauf sich deren Hirnfunktionen veränderten und schliesslich zu einer verstärkten Aktivität des Belohnungssystems führten. Darüber hinaus bevorzugten diese Mäuse im Laufe von einigen Tagen immer mehr die Flasche, die in Zuckerwasser gelöste Benzodiazepine enthielt, als eine identische ohne. Kontrollmäuse aber, deren Untereinheit alpha1 aufgrund einer Mutation keine Benzodiazepine an sich binden konnte, verloren weder die Kontrolle über ihr Belohnungssystem im Hirn noch legten sie Sucht an den Tag. Weil - wie früher belegt - die angstlösende Wirkung der Benzodiazepine hauptsächlich von einer anderen Untereinheit alpha 2 des Rezeptors vermittelt wird, steht für Christian Lüscher fest, dass die Entwicklung von angstlösenden, aber nicht süchtig machenden Wirkstoffen prinzipiell möglich sein muss.

 Alternativen suchen

Solche selektiv wirksamen Substanzen, die nur mit vereinzelten Untereinheiten interagieren, sind zwar vorhanden, wurden bisher jedoch nicht klinisch entwickelt. "Dies erachte ich jedoch als dringlich", sagt er, "vor allem, weil von Ängsten geplagte Menschen besonders suchtgefährdet sind."
snf/hckl

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RECLAIM THE FIELDS
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Indymedia 10.2.10

Reclaim the Fields - Widerstand ist fruchtbar ::

AutorIn : Jay Digger: http://www.reclaimthefields.org/     

Vom 30. September bis 4. Oktober letzten Jahres, trafen sich mehrere hundert politisch engagierte Jungbäuer_Innen und -gärtner_Innen, oder jene die es werden wollen, auf dem Kollektiv-Hof Cravirola im äußersten Süden Frankreichs.

Doch wie kam es dazu? Die Geschichte begann auf dem Via Campesina-Jugendcamp in Malmö im September 2008. Dort muss wohl eine Gruppe junger Menschen entschlossen haben, dass es ein eigenständiges ViaCampesina-nahes aber trotzdem unabhängiges Netzwerk in Europa braucht. Für Ernährungssouveränität. Für eine bäuerliche Landwirtschaft. Für eine Zukunft mit viel mehr junge Menschen auf dem Land. Für eine bedürfnisorientierte, dezentrale, kollektive und autonome Nahrungsmittelproduktion als Alternative zum globalisierten und industrialisierten Kapitalismus. Für eine Verbindung unserer ländlichen Widerständigkeit mit anderen sozialen Kämpfen, weltweit. Um zu diskutieren, uns auszutauschen, zusammen zu leben, voneinander zu lernen, uns Mut zu zusprechen, uns zu wehren und unser Leben in die eigenen Hände zu nehmen.

Und das taten wir. Wir, dass waren Menschen aus wirklich allen Ecken des Kontinents. Im mild-sonnigem Spätherbst führten uns schließlich nicht Enden wollende Serpentinen auf dem idyllischen südfranzösischen Gehöft bei Minerve zusammen. Auf dem weitläufigen Gelände tauchten immer mehr Zelte und Wägen auf. Das ganze Camp über, fanden sich Menschen in kleinen Grüppchen zusammen. Mal ganz informell, mal in konkreten Workshops. Politisch motivierte Übersetzer sorgten mit teils moderner aber nicht ganz so zuverlässiger Technik für Übersetzungen ins Englische, Spanische und Französische. Damit fielen auch die Sprachbarrieren. Das Camp organisierte sich selbst. Hier kochten einige (regional, bio und vegan versteht sich) und schenkten Wein aus, dort bauten jene die letzte Infrastruktur auf oder begrüßten Neuankömmlinge und wieder andere säuberten täglich die Solarduschen und Kompostklos. Bis tief in die Nacht knisterte das Lagerfeuer und die Geigen und Quetschkomoden kamen zum Vorschein. Erst leise und zurückhaltend, begleiteten die Musiker_Innen bald leidenschaftlich die nächtlichen Kreistänze. Einen anderen Abend führte die Delegation aus Südamerika ein ganz eigenes Theaterstück um uns ihre Situation nahe zu bringen.

Und am Tag danach immer wieder Fragen, und viele verschiedene Antworten:

Was heißt es heute Bäuer_In zu werden? Wie kann Land wieder entprivatisiert und als Gemeingut, jungen Menschen zur Verfügung gestellt werden? Welche Rechts- und Finanzierungsformen gibt es in unseren Regionen? Wie erlangen wir Zugang zu Land? Sollten wir es den Landlosen in Südamerika gleich tun und mit Besetzungen beginnen? Wer besitzt das Land in unseren Regionen? Neugründer und Abgebende müssten zusammen gebracht werden war ein oft gehörtes Credo. Eine Delegation aus Ungarn berichtete über die vollkommen andere Sitution bei sich vor Ort und in Osteuropa allgemein. Die geschichtlichen Hintergründe wurde erläutert; Wirkungslosigkeit von Moratorien gegen Landnahme durch externe Investoren und Landflucht als heutige Probleme benannt.

Wie können sich zukünftige Bäuer_Innen Wissen aneignen? Welche Bildungsmöglichkeiten gibt es? Und: Wie kann eine alternative Ausbildung aussehen die sowohl unseren Ansprüchen als auch jenen der erfahrenen Bäuer_Innen gerecht wird? Dieser Frage gingen wir in meiner Kleingruppe auf den Grund. Viele wünschten sich ein möglichst gleichberechtigtes Verhältnis und einen reflektierten Umgang mit den bestehenden Wissenshierarchien in der Ausbildung. Es war ein starker Bedarf für eine gute und strukturierte Vermittlung von bäuerlichem Wissen trotz der vielen ökonomischen Zwänge fühlbar und der Wunsch nach mehr Bewusstsein auf den Höfen, dafür was es heißt in diesen kapitalistischen und autoritären gesellschaftlichen Umständen gute Landwirtschaft betreiben zu wollen und deshalb schließlich auch dir Hoffnung auf mehr Bereitschaft sich gegen diese Umstände zur Wehr zu setzen. Zusammen mit den "Lernenden".

Welche Dynamiken gibt es in kollektiven Hofgemeinschaften (Aus der BRD waren u.a. da: Karlshof, Ulenkrug und die Garten-Kooperative Freiburg)? Wie können wir einander helfen? Wie kann eine solidarische, nicht-kommerzielle Produktion aussehen? Kooperativen aus der Schweiz, Frankreich und Spanien stellten sich vor und erläuterten ihre Versuche dem Prinzip "Jeder gibt was er_sie kann und bekommt was er_sie braucht" gerecht zu werden. Praktiziert werden die Einbindung der "Konsumenten" in die Produktion, kollektive (finanzielle) Jahresplanung und schließlich die bedingungslose zur Verfügung-Stellung der hofeigenen Produkte in der CSA / Wirtschaftsgemeinschaft und den Kooperativen.

Was heißt bäuerliche Landwirtschaft und Ernährungssouveränität? Welche Anbaumethoden passen dazu und welche nicht? Hier wurden Konzepte wie Permakultur, organisch-biologisch und bio-dynamischer Landbau, Agrarökologie und bäuerliche Landwirtschaft vorgestellt und trotz verschiedener Schwerpunkte als sich gut ergänzende Denksysteme anerkannt. Andere Kleingruppen trafen sich in fachspezifischeren Kreisen: Imkerei, Tier- oder Pflanzenzüchtung. Ein offener Saatgut-Tausch ließ die Solidarität praktisch werden.

Und wohin nun? Nun geht es wohl darum diesem Aufbruch eine Kontinuität zu verleihen. "Zu Hause" aktiv zu werden und uns immer wieder auszutauschen. Als nächstes beim gemeinsamen Widerstand in Kopenhagen gegen die Klimazerstörung durch die industrielle Landwirtschaft und dann beim nächsten Camp in Ungarn 2010.

Und in der BRD? Nun ja, bei der Tagung "Zukunftsfähige Landwirtschaft" des AgrarBündnisses ( http://www.agrarbuendnis.de/) fanden sich alle Akteuere außer "uns". Dem was mensch wohl "Aktivist_Innen aus sozialer Bewegung" und "politisch-bäuerliche Jugend" nennen könnte. Klar, ein Netzwerk gibt es noch nicht. Aber was nicht ist kann ja noch werden. Also: Meldet euch Jungbäuer_Innen und bildet Banden!
Und auch ihr, widerständige Bäuer_Innen: Nehmt Kontakt auf und werdet aktiv, wenn ihr Interesse habt an einem alternativen Ausbildungsverbund oder dem Austausch zu explizit politischem Leben auf dem Land, alternativen Wirtschaftsformen oder den vielen anderen Themen.

In diesem Sinne: "Semons des Alternatives" - "Lasst uns Alternativen säen".

Infos zum letztjährigen Camp:  http://www.reclaimthefields.org/content/pictures-camp-and-action

Reclaim the Fields in Kopenhagen:  http://www.reclaimthefields.org/content/rtf-cop-15-text-pics-videos

Infos Allgemein:  http://www.reclaimthefields.org/

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GEFANGENEN-INFO
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Indymedia 10.2.10

Zur Geschichte des Gefangenen Infos ::

AutorIn : Redaktion des Infos: http://www.gefangenen.info     

Seit 21 Jahren gibt es diese Zeitschrift aus der BRD. In ihrer neuen Ausgabe 352 gibt es einen lesenswerten Artikel zur Historie.     

Das heutige "Gefangenen Info" ist im Frühjahr 1989 anlässlich des zehnten kollektiven Hungerstreiks der Gefangenen aus der RAF und des antiimperialistischen Widerstands unter dem Titel "Hungerstreik-Info" entstanden. Lange Jahre wurde es von den Angehörigen der politischen Gefangenen aus der BRD herausgegeben und vom GNN-Verlag verlegt.
Seitdem sind beinahe 21 Jahre vergangen. Um den damaligen Hintergrund der Auseinandersetzungen um die Gefangenenfrage besser zu verstehen, müssen wir uns die damalige politische Situation noch einmal vergegenwärtigen. Insbesondere wurde die Haftsituation und deren Auswirkungen auf die Eingesperrten kritisiert. Diese als "weiße Folter" bezeichneten Haftbedingungen hinterließen oft keine sichtbaren physischen Spuren. Selbst die UNO hatte die Isolationshaft als Folter geächtet. 9 politische Gefangene hatten bisher den Knast nicht überlebt.
Dieser besagte zehnte (und letzte) kollektive Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF wurde gemeinsam mit den Gefangenen aus dem antiimperialistischen Widerstand geführt. Diese Gefangenen hatten draußen im Gegensatz zu denen aus der RAF nicht bewaffnet als Stadtguerilla gekämpft. Die GenossInnen aus dem Widerstand wurden u.a. dafür kriminalisiert und eingesperrt, weil sie sich mit den Illegalen aus der RAF zum Gedankenaustausch trafen, mit den Gefangenen aus der Guerilla kommunizierten, oder sich öffentlich oder verdeckt für die Verbesserungen der Haftbedingungen einsetzten.
Auch wenn diese Gefangenengruppen einen unterschiedlichen Erfahrungshintergrund hatten, verband beide die politische Zielsetzung, für eine befreite Gesellschaft und eine kommunistische Perspektive einzutreten. Diese Ziel konnte nur durch ein abgestimmtes internationales Handeln erreicht werden. Der Versuch, eine "westeuropäische Front" aufzubauen, war ein Ausdruck dieser Linie.
Am 1. Februar ´89 begann der Hungerstreik mit der Forderung nach der Zusammenlegung aller dieser Gefangenen in ein oder zwei Gruppen und der nach der Freilassung aller haftunfähigen Gefangenen, wie z. B. Günter Sonnenberg. Eine weitere Forderung bezog sich auf die Zusammenlegung aller Gefangenen, die dafür kämpfen. Zirka 40 Gefangene beteiligten sich anfangs an dieser Aktion, etwa die Hälfte waren RAF-Gefangene, der Rest kam aus dem Widerstand. Dem Streik schlossen sich diverse soziale und migrantische Gefangene mit eigenen Zielen an. Verschiedene Gruppen aus der Kirche, den Gewerkschaften und Linksradikale aus dem In- und Ausland
unterstützten die Gefangenenforderungen. Eine bundesweite Demonstration in der damaligen Hauptstadt Bonn Ende April mit über 10.000 TeilnehmerInnen war der Mobilisierungshöhepunkt der Solidarität mit den Gefangenen. Die Forderungen konnten im Ergebnis nicht durchgesetzt werden. Es gab lediglich minimale Verbesserungen, die Isolation der Gefangenen blieb aber weiter bestehen. Statt dessen wurde das Modell bundesdeutscher Isolationshaft in diverse Länder exportiert, nach
Spanien, Chile oder in die Türkei.
Das den Gefangenenkampf begleitende "Hungerstreik-Info" erschien zu dieser Zeit wöchentlich mit einer Auflage von zirka 10.000 Exemplaren. Nach dem Hungerstreik wurde das Info in "Angehörigen-Info" umbenannt. Es erschien zuerst alle zwei, später alle vier Wochen.
Das Engagement, sich für die Gefangenen und deren Forderungen einzusetzen, bröckelte zunehmend ab. Ein Grund war bestimmt, dass "vergessen" wurde, dass es nicht nur um die Freiheit der Gefangenen gehen konnte, sondern auch um die eigene im globalen Zusammenhang. Hinzu kamen die weltweiten Umbrüche Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre, die die gesamte Linke in eine Krise stürzten, und logischerweise auch nicht vor den politischen Zusammenhängen dieser Zeitschrift Halt machten.
Das Kollektiv der Gefangenen aus der RAF, das über 20 Jahre ein wichtiger Faktor war, spaltete sich und löste sich letztendlich auf. Die solidarischen Zusammenhänge außerhalb der Knasttore waren von einer parallelen Entwicklung betroffen. Eine Transformation in eine neue politische Kraft gelang nicht, obwohl sich die Bedingungen in
Großdeutschland auf allen Ebenen verschärften und eine starke linke internationalistische und antagonistische Bewegung wichtig gewesen wäre bzw. ist.
Das "Info" nannte sich ab 2004 "Gefangenen Info", nach dem die Angehörigen auf Grund ihres fortgeschrittenen Alters die HerausgeberInnenschaft aufgeben mussten. Das Blatt hatte in der Folgezeit weiterhin die Funktion, dazu beizutragen, dass alle Gefangenen aus diesem vergangenen Kampfprozess rauskommen. Bis auf Birgit Hogefeld sind alle Inhaftierten aus der RAF inzwischen auf freiem Fuß!
Der Staat versuchte wiederholt unter der Federführung der Bundesanwaltschaft diese Zeitschrift durch rund 30 Verfahren mundtot zu machen:
- Im Info wurde häufig das staatliche Vorgehen gegen Gefangene kritisiert, statt die Bedingungen zu ändern, reagierte der Staat zum Beispiel mit Verfahren nach §187 (Verleumdung);
- oder es wurde ein § 129a-Verfahren "wegen Werbung für eine terroristische Vereinigung" eröffnet, weil Erklärungen der RAF
dokumentiert worden sind, die in Prozessen verlesen wurden;
- weitere Anlässe waren Artikel, die die staatliche Version z.B. der Selbstmorde in Stuttgart-Stammheim am 18.10.1977 oder von Wolfgang Grams am 27.6.1993 in Bad Kleinen thematisierten und damit in Frage stellten.
Mit dem neuen Verfahren nach § 187, das im Sommer 2009 gegen das "Info" angestrengt wurde, zeigt sich, dass die Behörden weiterhin verhindern wollen, dass die Isolationshaft "Made in Germany" thematisiert wird. So wurde in den neunziger Jahren dieses Haftmodell in die Türkei exportiert. Aktuell wird die Isolationshaft an türkisch-kurdischen Gefangenen exekutiert, die wegen des § 129b inhaftiert sind. Auch die Sondergesetze und -gerichte bestehen weiter und werden ausgebaut.
Im "Info" wurde auch die Geschichte des weltweiten Aufbruchs von 1968 authentisch dargestellt, aus denen die Gefangenen aus der RAF kamen. Diese Geschichte des Widerstandes soll aus dem Gedächtnis und Köpfen der alten und jungen Menschen ausradiert werden, damit es schwieriger wird, heute zu kämpfen. Neben der Leugnung der Isolationshaftbedingungen werden auch die Gründe der weltweiten Rebellion für eine freie und emanzipatorische Gesellschaft, durch die herrschende Klasse regelmäßig durch Typen wie Stefan Aust u.a. umgeschrieben und damit verfälscht, weil sie sich vor einem neuen Aufstand fürchten. Sie wissen natürlich,
dass ein neuer globaler Aufstand kommen wird...

Wolfgang, seit Ende 1991 Mitarbeiter des Infos


Dieser Beitrag erschien in der Ausgabe 352 des Gefangenen Infos.

Aus dem Vorwort:
Liebe Leserinnen und Leser,
wir möchten uns zunächst bei allen Gefangenen, Leserinnen und Lesern, Unterstützerinnen und Unterstützern bedanken, die es ermöglicht haben, die Zeitung am Leben zu erhalten. Dank der solidarischen Unterstützung in Form von Spenden und Verbreitung der Zeitung können wir sagen, dass wir das Jahr 2009 trotz einiger schwieriger Momente mit einer positiven Bilanz hinter uns gelassen haben.
Wir berichteten in unseren letzten Ausgaben, dass unser presserechtlicher Verantwortlicher Wolfgang Lettow wegen eines Artikels mit dem Titel "Blind in Beugehaft" (Ausgabe 348) eine Strafanzeige erhalten hatte. Nun folgte dem ein Strafbefehl in Höhe von 2.800 Euro (40 Tagessätze), gegen den Einspruch erhoben wurde. Wir erwarten nun eine Gerichtsverhandlung, die wir natürlich nicht undokumentiert lassen werden.
Bereits zuvor hatte die Herausgeberin der Onlinezeitung "scharf-links", Edith Bartelmus-Scholich, einen Strafbefehl über 12.000 Euro wegen desselben Artikels erhalten. Der Prozess gegen Edith beginnt am 16. Februar 2010 vor dem Amtsgericht Krefeld.
Diese Ausgabe hat den Konflikt im Baskenland als Schwerpunkt und versucht, einen aktuellen Ein- und Überblick zur Situation baskischer politischer Gefangener und zur Repression dort zu liefern . Wir schließen uns damit dem Aufruf für die europaweiten Aktionstage an. Wir verweisen in unserem Einleitungsbeitrag auf Seite 4 auf die baskischen politischen Gefangenen, die ab März diesen Jahres in den Widerstand treten werden. Diese gilt es in ihren Forderungen und in ihrem Kampf zu unterstützen.
Kurz vor Redaktionsschluss hat uns außerdem die Mitteilung über den Prozessbeginn gegen Cengiz, Nurhan und Ahmet erreicht. Der Prozess, der am 11.oder 12. März 2010 vor der OLG Düsseldorf beginnen soll, wird somit neben dem Stammheimer- und dem Düsseldorfer Prozess der dritte laufende §129b-Prozess sein. Es gilt, die Angeklagten nicht alleine zu lassen, die Prozesse zu besuchen und Öffentlichkeit zu schaffen.
Eine andere Meldung, die uns kurzfristig erreichte, betrifft die Situation von Mumia Abu-Jamal. In seinem Fall habe das 3. Bundesberufungsgericht am 19. Januar vom US Supreme Court die Anweisung erhalten, die Entscheidung neu zu würdigen. Auch wenn damit eine mögliche Hinrichtung Mumias erstmal aufgeschoben zu sein scheint, sollte die Mobilisierung für Mumia und gegen die Todesstrafe weiterhin mit bisherigem Tempo fortgesetzt werden.
In diesem Sinne:
Solidarität ist eine Waffe!
Nutzen wir sie!
Die Redaktion

Aus dem Inhalt:


Schwerpunkt
Euskal Herria - Widerstand und Repression im Baskenland
Interview mit einem Aktivisten der Izquierda Abertzale
Aus einem Brief des baskischen Gefangenen Markel Ormazabal
Interview mit Jone Artola Ibarretxe von der Angehörigenorganisation Etxerat
Inland
Solidarität organisieren! Der Kampf gegen den §129b!
Eure Unterstützung ist nicht unsichtbar geblieben vom Einstellungsbündnis zu dem Berliner 129-Verfahren
Break the Silence! Gerechtigkeit für Oury Jalloh
Sand im Getriebe der Meinungsmacher?
Zur Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Gudrun Ensslin und Bernward Vesper

International
Kampagne für Georges Cipriani und Jean-Marc Rouillan, Gefangene der fanzösischen Action Directe
Repression in Kopenhagen
Der Kampf für Mumias Leben
Gefangene
Briefe von Cengiz Oban und Thomas Meyer-Falk

Kontakt:


Gefangenen Info
c/o Stadtteil- und Infoladen Lunte e.V.
Weisestraße 53
12049 Berlin

Abos:
 abo@gefangenen.info

Kosten: 2, 70 Euro . Jahresabo kostet 28,40 Euro

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FAU
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Wüste Welle (Tübingen) 11.2.10

Interview mit FAU zum Babylon Arbeitskampf und dem Verbot sich Gewerkschaft nennen zu dürfen
http://www.freie-radios.net/mp3/20100211-interviewmi-32112.mp3

Lars Röhm von der FAU Berlin berichtet über den Arbeitskampf der Beschäftigten des Kinos Babylon und die Folgen für die Berliner FAU. Die sich nun nicht mehr Gewerkschaft nennen darf. Mehr Infor4mationen findet ihr im Internet unter http://www.fau.org