MEDIENSPIEGEL 12.2.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo)
- Bollwerk-Kunst
- Dicke Luft am Bollwerk
- Sicherheitswahn: 2xNein
- Grosse Schanze beleben
- RaBe-Info 10.-12.2.10
- Mokka Thun: Suppen-Bädu clubklagt
- Antisemitismus: TT-Leser zum Eklat
- Sport: SchnellrichterInnen in Stadien; Hooligan-Buch;
Polizeiübungen
- Kalchi ZH noch bis 12.3.10
- RTS ZH: Protest und Riots; mehr Cops mit Pagern;
antikapitalistische Krawallanten
- Ausschaffungs-Urteil BVG rügt BfM
- Sempach: Kniefall nur vor Gott
- Narrenkraut + psychische Probleme
- Little Helpers + die Suchtfrage
- Reclaim the Fields: Widerstand ist fruchtbar
- 21 Jahre Gefangenen-Info
- FAU: Interview zum Babylon-Arbeitskampf
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REITSCHULE
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Fr 12.02.10
20.30 Uhr - Kino - Baskenland: 0Itsasoaren Alaba (La hija
del mar), Josu Martinez, Euskal Herria (Baskenland) 2009
23.00 Uhr - Dachstock - Groovebox mit: SCSI-9 (live)
(kompakt, pro-tez / RUS); Marc Depulse (live) (Ostwind Records,
Kiddaz.FM, BluFin / DE); Jagged (live) (Quintessentials / be); Bud
Clyde (festmacher / be).
Sa 13.02.10
20.00 Uhr - Kino - Veranstaltung zum Baskenland mit
Gästen
20.30 Uhr - Tojo - "Clyde & Bonnie" von Holger
Schober. Junge Bühne Bern. Regie: Sinje Homann. Schweizer
Erstaufführung.
22.00 Uhr - SousLePont - Baskenland Soli: BERRI TXARRAK
(EH, Alternativ Power Rock)
22.00 Uhr - Dachstock - Cool & Deadly presents:
Rebellion the Recaller (Gambia- Live and Direct!) & Silly Walks
Discotheque (Hamburg): Soundsystem Show, Jugglin by: Junior Pilot (Boss
Hi-Fi) & Moya (More Fire).
So 14.02.10
19.00 Uhr - Tojo - "Clyde & Bonnie" von Holger
Schober. Junge Bühne Bern. Regie: Sinje Homann. Schweizer
Erstaufführung.
21.00 Uhr - Rössli-Bar - Dachstock presents: Aucan
(I/Africantape). Support: duQtuç (CH)
Infos: http://www.reitschule.ch
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Bund 11.2.10
"Clyde & Bonnie"
B-Movie fürs Theater
(reg)
Banken zu überfallen ist okay, da die wahren Verbrecher ja
dort sitzen. Diese Haltung liegt dem Mythos um Bonnie und Clyde
zugrunde - und passt gut zur aktuellen Situation. Sinje Homann
inszeniert Holger Schobers Jugendtheaterstück "Clyde & Bonnie"
als B-Movie für das Theater und lässt darin ein junges Paar
den historischen Vorbildern als Bankräuber nacheifern.
Tojo-Theater Reitschule Do, 11.2./Sa, 13.2., 20.30 Uhr. So,
14.2., 19 Uhr.
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BOLLWERK ART
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Bund 11.2.10
Ausstellung Linda Tegg
Bollwerk mit Pferd
Leer stehende Räume mit Kunst bespielen: Das ist ein
attraktives Konzept mit "Guerilla"-Touch für agile, mobile
Austellungsmacher - und ein Gewinn für die interessierte urbane
Öffentlichkeit. Den Beweis dafür erbringt derzeit die Neue
Galerie. Sie nutzt zwei brachliegende Verkaufslokale am Bollwerk gleich
neben dem Kino Cinemastar (dessen Tage ebenfalls gezählt sind) und
zeigt die zweiteilige Videoinstallation "Horse Study Video" der
Australierin Linda Tegg.
Der Blick von draussen durch die leeren Räume fällt
auf zwei Projektionen, die ein edles, majestätisch wirkendes Pferd
- einmal gesattelt, einmal nicht - in einem unerwarteten Kontext
zeigen: in einem herrschaftlichen Innenraum. Es ist eine seltsame
Labor-Situation, die Tegg geschaffen hat und scheinbar objektiv mit der
Videokamera dokumentiert. Das Arrangement wird damit tatsächlich
zur Studie - zur Studie des Pferds als Objekt in der Geschichte der
Kunst, als Statussymbol der Reichen und Mächtigen, als Inbild von
Energie und Kraft und als hochgezüchtetes Geschöpf einer
Gesellschaft, die auf makellose Oberflächen und Leistung setzt
(klb)
Neue Galerie Bollwerk 17/19. Bis 16. Februar, nachts.
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BOLLWERK AIR
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bernerzeitung.ch 12.2.10
Berner Luft muss noch sauberer werden
aw
Die Grenzwerte für Feinstaub, Ozon und
Stickstoffdioxid wurden 2009 häufig überschritten, teilt die
Volkswirtschaftsdirektion mit. Während winterliche Inversionslagen
ist die Luft stark vom Feinstaub belastet.
Am häufigsten wurde 2009 der Tagesgrenzwert für
Feinstaub in der Strassenschlucht am Bollwerk Bern übertreten. Im
Gegensatz zum Vorjahr war die Luft nie so stark belastet, dass die
Bevölkerung informiert und zu freiwilligen Massnahmen aufgerufen
werden musste.
Der Jahresgrenzwert für Stickstoffdioxid wurde im
Jahr 2009 in den grossen Städten und entlang stark befahrener
Hauptverkehrsstrassen zum teil deutlisch überschritten. Die
Belastungssituation hat sich in den letzten 10 Jahren nicht verbessert,
sondern eher verschlechter, schreibt die Volkswirtschaftsdirektion in
einer Mitteilung.
Aufgrund des wechselhaften Wetter letzten Sommer konnte
sich keine anhaltende Ozonbelastung aufbauen. Am häufigsten wurde
im Sommer 2009 der Grenzwert in Zimmerwald überschritten.
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SICHERHEITS-WAHN
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Medienmitteilung 12.2.10
_2x NEIN zu mehr Polizei_
Die folgenden Parteien und Organisationen haben beschlossen,
gemeinsam als Aktionskomitee 2x NEIN zu mehr Polizei am Montag, 15.
Februar um 12 Uhr auf dem Bahnhofplatz eine Aktion durchzuführen:
Augenauf Bern, grundrechte.ch, Grünes Bündnis,
Grüne Partei Bern, Junge Alternative JA!, Komitee der Arbeitslosen
und Armutsbetroffenen KABBA und PdA Bern (Stand: 12.2.2010)
Die GegnerInnen der Polizeiinitiative und des Gegenvorschlags
des Gemeinderates führen an:
. mehr Polizei bedeutet nicht mehr Sicherheit
. mehr Polizeipräsenz kann mehr Verunsicherung bedeuten
. mehr Polizeipräsenz kann verleiten, vermehrt
Problemlösungen an die OrdnungshüterInnen zu delegieren, mit
der Folge, dass es noch mehr Polizei braucht
. die Initiative wie der Gegenvorschlag sind kostspielig der
Kanton Bern stellt heute 200 fehlende Polizei-Stellen fest
. mit der Initiative müssten 40 neue PolizistInnen
angestellt werden, was jährlich 5.8 Mio. Franken kostet
. mit dem Gegenvorschlag müssten in einem ersten Schritt
rund 7, dann rund 14 neue PolizistInnen angestellt und das Projekt
PINTO um 2.4 Stellen aufgestockt werden, es entstehen Mehrkosten von
jährlich 2.2 Mio Franken
. die Polizeiinitiative stellt auf Anzeigestatistiken ab, eine
Zunahme von Anzeigen bedeutet nicht eine Zunahme von Verurteilungen,
d.h. tatsäch- lichen Delikten
. die erfassten Straftaten haben in der Stadt Bern in den Jahren
2006/2007 deutlich abgenommen
. PolizistInnen müssen eine gute Grundausbildung
durchlaufen und müssen psychologisch geschult werden
Der Begriff Sicherheit muss viel offener begriffen werden. Wenn
die Stadt (Gegenvorschlag) schon neues Geld ausgeben will fordern wir,
dass es für längerfristige Aufgaben eingesetzt wird. Es
braucht dringend eine zweite Drogenanlaufstelle, mehr Engagement des
Kantons gegen häusliche Gewalt, mehr bezahlbare Ausgehlokale und
Orte für Jugendliche, weniger Einschränkung des
öffentlichen Raums usw.
Das Komitee wird in den nächsten Wochen mit Aktionen auf
Berns Strassen präsent sein.
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GROSSE SCHANZE
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BZ 12.2.10
Grosse Schanze
Mehr Leben gefordert
Die SP Länggasse-Felsenau fordert eine Belebung der
Grossen Schanze und eine massvolle Erhöhung der
Polizeipräsenz.
Die Grosse Schanze gehört zu den "Problemzonen" der
Stadt. Dort ist, wie Politiker von links bis rechts eingestehen, die
Sicherheitslage zu gewissen Zeiten prekär. Solche Orte stehen im
Fokus der FDP-Sicherheits-Initiative, über die am 7.März
abgestimmt wird. Für die SP Länggasse-Felsenau, welche sich
seit langem für eine Verbesserung der Situation auf der Schanze
einsetzt, geht die Initiative aber zu weit. Zwar fordert auch die SP
mehr Polizeipräsenz auf der Schanze, diese Erhöhung
müsse aber massvoll sein. Sie unterstützt deshalb den
Gegenvorschlag des Gemeinderates. Mehr Sicherheit soll primär
durch Belebung geschaffen werden. Konkret fordert die SP die
Installation von Spielgeräten, die Versetzung des Spielplatzes auf
die grosse Wiese, verlängerte Öffnungszeiten beim
SBB-Restaurant und einen Barbetrieb im Sommer.
azu
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Blick am Abend 11.2.10
"Wir sind untervertreten"
Sicherheit
Mit verschiedenen Ideen fordert die SP Länggasse eine
Belebung der Grossen Schanze.
Ja, wir wollen auch mehr Polizeipräsenz für die
Grosse Schanze", sagt Silvia Schoch-Meyer von der SP-Sektion
Länggasse-Felsenau. "Die Erhöhung muss aber massvoll sein."
Die SP Länggasse sagt deshalb Nein zur Initiative "Für eine
sichere Stadt Bern" und unterstützt den Gegenvorschlag des
Gemeinderats.
Mit einer Reihe von Ideen soll die Grosse Schanze belebt
werden: Ausrichtung des SBB-Restaurants auf ein Freizeitpublikum mit
längeren Öftnungszeiten am Abend, im Sommer ein Barbetrieb
auf der Einstein-Terrasse sowie mehr Polizei und mehr Präsenz der
Pinto-Strassenarbeiter sind nur einige Vorschläge. "Wir
fühlen uns beim frunden Tischft, der die Problematik der Grossen
Schanze diskutiert, untervertreten." Auf der Grossen Schanze seien
ausser dem Ersetzen von ein paar Lampen keine Resultate sichtbar. "Wir
haben den Eindruck, dass das Quartier nicht ernst genommen wird und die
SBB, die Uni und die Grosse Schanze AG wenig Interesse haben, die
Schanze für die Bevölkerung attraktiver zu machen." ehi
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RABE-INFO
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Fr. 12. Februar 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_12.Februar_2010.mp3
- Vermischung von Presse- und Werbefotos: Wie klar zieht
Keystone die Grenze?
- Bienensterben: welche neusten Erklärungen haben die
Forscher?
- Kinderarmut in Deutschland: wird das Problem verharmlost?
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Do. 11. Februar 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_11.Februar_2010.mp3
- Warum es keine weitere Gotthard Röhre braucht
- Wie Exiliranerinnen den Jahrestag der islamischen Revolution
sehen
- Warum Schlaf- und Beruhigungsmittel süchtig machen
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Mi. 10. Februar
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_10.Februar_2010.mp3
- Jeder sechste Bernische Verpflegungsbetrieb ist unhygienisch
- Der WWF will mit zusätzlichen Abgaben
umweltfreundlicheres Handeln erzwingen
- La Onf leistet gewaltfreien Widerstand im Irak
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MOKKA THUN
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Bund 11.2.10
"Mokka-Bädu" kocht Suppe um Club-Existenz heiss - und isst
sie lauwarm
Bädu Anliker vom Thuner Kulturlokal Café Bar Mokka
klagt lauthals über schwindende Besucherzahlen - ein
grundsätzliches Phänomen sei dies aber nur punkto
Club-Betrieb.
Patricia Götti
Er stelle sich die Sinnfrage ziemlich oft, schreibt Bädu
Anliker, der legendäre Betreiber des Thuner Kulturlokals
Café Bar Mokka, im Vorwort des jüngsten Programmhefts des
"Mokka": "Warum mache ich ein amtlich daherkommendes Plakat, einen
Internetauftritt, der nicht von schlechten Eltern ist, Pressearbeit und
Programmheft, wenn dann am Konzertabend 10 bis 15 Leute auftauchen?"
Wirtschaftlich sei der zweite Teil des Januars "die vollste
Katastrophe" gewesen. Ähnlich klingt es auf der Homepage des
"Mokka": "Wir sind voll bei den Leuten, noch lieber sind wir aber voll
mit Leuten", schreibt Anliker dort. Die Frage könnte sich da
stellen: Ist das "Mokka" nach 24 Jahren Bestehens in seiner Existenz
bedroht?
",Clubbing‘ im Wandel"
Im Gespräch mit "Mokka-Bädu" klingt es indes weitaus
weniger dramatisch. Bei den Konzerten gebe es immer starke
Schwankungen, und der Januar sei generell jeweils ein schlechter Monat
für Ausgehlokale, sagt Anliker. Das Jahr 2009 sei nicht a priori
schlecht verlaufen. Aber: Beim Club-Betrieb sei der Rückgang wohl
eine grundsätzliche Tendenz, meint er: "Das ,Clubbing‘ ist im
Wandel; die Leute kaufen sich im Supermarkt etwas zu trinken, schauen
sich dann am Computer eine Konzertaufnahme an und haben das
Gefühl, dabei gewesen zu sein." Im Gastrobereich mache das "Mokka"
an einigen Abenden noch ein Zehntel des Umsatzes der fetten Jahre in
der zweiten Hälfte der 1990er.
Hinzu kommt laut Anliker das Rauchverbot, das seit Juli letzten
Jahres in Restaurants und Bars im Kanton Bern gilt: "Das Verbot ist ein
echter ,Stimmungskiller‘." Da überlege sich manch einer zweimal,
überhaupt noch auszugehen. Schliesslich mache sich auch die
Wirtschaftskrise direkt bei den Getränkebestellungen bemerkbar,
sagt der Kulturveranstalter; auch verfüge das "Mokka" nicht
über ein riesiges Werbebudget. Und dennoch blickt Anliker
zuversichtlich in die Zukunft: "Ein Kulturlokal zu betreiben, das war
schon immer eine Berg-und-Tal-Fahrt", sagt er. Gespannt blickt er auf
die seit gestern laufende Regionaltonwoche zur Entdeckung von neuen
Musiktalenten, die das "Mokka" zum ersten Mal seit über drei
Jahren wieder durchführt. "Aber auch hier kann man als
Veranstalter nie wissen, ob man finanziell herauskommt."
"Schwankungen normal"
Die Stadt Thun beteiligt sich mit jährlich 220 000 Franken
am Betrieb des "Mokka", 80 Prozent davon sind über den
Lastenausgleich mit dem Kanton finanziert. In der letzten Saison, die
vom Sommer 2008 bis zum Sommer 2009 ging, sei die Rechnung des
Kulturlokals mehr oder weniger ausgeglichen gewesen, sagt Daniel
Landis, bei der Stadt Thun verantwortlich für den Leistungsvertrag
mit dem "Mokka".
Gewisse Schwankungen über die Jahre seien normal und
hätten bis jetzt immer über das Vermögen des Vereins
Café Bar Mokka abgegolten werden können. "Dass Herr Anliker
zuweilen etwas dramatisiert, entspricht eben seinem Stil", sagt Landis.
"Wertvolle Arbeit"
Der Leistungsvertrag zwischen dem Verein Mokka und dem
Gemeinderat von Thun besteht seit 1996 und schreibt die
überregionale Ausstrahlung des Clubs fest. Als Kulturbetrieb
für Jugendliche und junge Erwachsene soll er an vier Tagen in der
Woche geöffnet haben. Der Beitrag der Stadt Thun ist dafür
vorgesehen, die "mit diesem Auftrag verbundenen personellen Mehrkosten
zu tragen", wie Landis erklärt.
Anlässe wie die Regionaltonwoche seien auch der Grund,
warum die Stadt Thun das Mokka unterstütze und "die wertvolle
Arbeit von Herrn Anliker und seinem Team" schätze.
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ANTISEMITISMUS BE
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Thuner Tagblatt 11.2.10
Sigriswil und die Antisemitismus-Vorwürfe
Die Lüge, die nicht sterben will
Ausgabe vom 6. Februar
"Antisemitismus ist in der Gemeinde weit verbreitet"
Jedem Leser, der auch nur ein Qäuntchen Wahrheit aus den
Texten in den Sigriswiler Anzeigern vom 22. und 29. Januar 2010 zu
entnehmen gedenkt, empfehle ich dringend, das 1998 erschienene
Geschichtsbuch zu lesen. Dessen Titel lautet: "Die protokolle der
Weisen von Zion - Anatomie einer Fälschung". Die 419 Seiten sind
kein Roman! Sehr treffend ist auch der engliche Originaltitel: "The Lie
That Wouldn't Die" ("Die Lüge, die nicht sterben will").
Vor zehn Jahren habe ich diese Anatomie einer Fälschung
gelesen. Ich bin schockiert, dass es in unserem christlichen
Rechtsstaat auch heute noch Leute gibt, die die "Protokolle der Weisen
von Zion" ernsthaft und öffentlich als sogenannte Wahrheit
proklamieren, ohne das genauer recherchiert zu haben!
Andreas Frauchiger Aeschlen-Sigrisiwl
Wehe uns!
Auch ich habe mich entsetzt über die Juden-Hass-Schrift im
Sigriswiler Anzeiger. Aber noch fast erschreckender, ist die Tatsache,
dass Frau Kusano als Jüdin, feststellen muss, dass der
Antisemitismus hier weit verbreitet ist. Wie ist das möglich, nach
dem Holocaust? Warum verurteilt die Kirche solche Hetzschriften nicht
sofort aufs schärfste? Kennt man die Bibel nicht mehr? In 1. Mose
12.3.spricht der Herr zum Urvater der Juden, zu Abraham "Ich will
segnen, die dich segnen, und verfluchen die dich fluchen." Die Juden
sind also Gottes Volk. Wehe uns, wenn wir Antisemitismus gut heissen.
Patrik Zurbrügg Frutigen
Auf den Scheiterhaufen?!
Was ist wohl skandalöser: Dass sich die ewig gleichen
Probleme der Juden in dieser Welt stetig wiederholen (warum wohl?),
oder dass ein kleiner Bürger (Otto Grossglauser) den Mut hat, der
herrschenden "politischen Korrektheit" und ihren antifreiheitlichen
Maulkorbgesetzen mit seiner Meinung entgegen zu treten, oder dass ein
gemäss Journalisten-Berufsethos zu freier, selbständiger und
gründlichster Wahrheitsforschung verpflichteter TT-Redaktor mit
seiner "politisch korrekten" Schreibart indirekt zur Verfolgung und
Existenzvernichtung des oben genannten Sigriswilers aufruft, oder dass
das Thuner Tagblatt allen Ernstes eine so lächerliche Tat, bei
welcher keinem auch ein Haar gekrümmt wurde, in die
Titelschlagzeile nimmt, wo sonst nur Menschheitsverbrecher wie die
entsprechend bekannten Banker, Politiker, Wirtschaftsbosse und
Kirchenoberen hingehören, welche uns allen das Leben zur
Hölle machen?
Florian Koch Schwanden
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SPORT
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BZ 12.2.10
Hooligans
Schnellrichter künftig auch in Berner Stadien
Hooligans geht es an den Kragen: Drohen in Berner Sportstadien
Ausschreitungen, gehen Schnellrichter künftig direkt vor Ort.
Jetzt greift auch die Berner Justiz bei Ausschreitungen an
Fussball- und Eishockeyspielen hart durch: "Wir haben mit der Polizei
eine Absprache betreffend Vorgehen bei Hochrisikospielen getroffen",
sagt Rolf Grädel, oberster Staatsanwalt des Kantons Bern,
gegenüber dieser Zeitung. Vereinbart wurde laut Grädel
Folgendes: "Wenn sich abzeichnet, dass es bei einem Spiel
Ausschreitungen gibt, kann die Polizei Untersuchungsrichter ersuchen,
vor Ort zu erscheinen."
Noch konkreter wird Christoph Kipfer, Chef der Berner
Kriminalpolizei: "Vor Ort" bedeute, dass die Untersuchungsrichter
künftig "direkt in die Stadien oder an einen Ort in der Nähe
des Stadions gehen".
Das Ziel sei, dass sich die Untersuchungsrichter direkt am
Ort des Geschehens ein Bild der Gewalttaten machen könnten,
erklärt Kipfer. Das erleichtere die Beurteilung der Delikte. "Die
Täter können sich so kaum noch mit Ausreden aus der
Affäre ziehen", sagt Kipfer. So wird es möglich, dass die
Untersuchungsrichter Gewalttäter unmittelbar nach der Tat
verurteilen respektive Strafmandate ausstellen.
Damit übernimmt Bern zumindest teilweise das Modell
der St.Galler Justiz. Dort gehen Untersuchungsrichter bereits seit
einiger Zeit bei problematischen Spielen direkt ins Stadion. Das System
hat sich in St.Gallen bewährt. ma
Seite 5
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Plan der Polizei- und Justizdirektoren
Schweizweite Rayonverbote
Brisanter Plan der kantonalen Justiz- und
Polizeidirektoren: Sie wollen, dass Hooligans nach einem schweren
Gewaltdelikt künftig gleich schweizweit ein Rayonverbot auferlegt
werden kann. Bis jetzt war das nur lokal möglich.
"Geplant ist, dass Justizbehörden einem Täter
nach einem schweren Gewaltdelikt ein Rayonverbot gleich für alle
Stadien in der ganzen Schweiz auferlegen können", sagt Roger
Schneeberger, Generalsekretär der Konferenz der kantonalen Justiz-
und Polizeidirektoren (KKJPD), gegenüber dieser Zeitung.
Erhält ein Hooligan ein Rayonverbot, darf er sich
während eines Fussball- oder Eishockeyspiels nicht mehr in die
Nähe eines Stadions begeben. Der Verbotsradius ist im Rayonverbot
genau festgelegt.
Bis jetzt sind nur regionale Rayonverbote möglich.
Das heisst, wenn einem Gewalttäter in Zürich ein Rayonverbot
auferlegt wird, darf er sich etwa in Bern oder St.Gallen weiterhin
jederzeit beliebig nahe bei einem Stadion aufhalten. Die Berner und die
St.Galler müssten den Täter explizit auch mit einem
Rayonverbot belegen. Rayonverbote sind nicht zu verwechseln mit
Stadionverboten. Reine Stadionverbote können schon heute national
ausgesprochen werden. Für Stadionverbote sind nicht die
Behörden, sondern die Sportverbände zuständig.
Ein langer Weg
Die rechtliche Grundlage für schweizweite
Rayonverbote ist laut Schneeberger bis jetzt noch nicht vorhanden. Sie
muss - so der Plan der Justiz- und Polizeidirektoren - in einem
Konkordat festgelegt werden. Konkordate sind in diesem Zusammenhang
eine Art interkantonale Vereinbarungen mit gesetzähnlichem
Charakter. Das Zustandekommen einer entsprechenden
Konkordatsänderung dürfte laut dem KKJPD-Generalsekretär
Schneeberger mindestens ein bis zwei Jahre dauern. Denn die einzelnen
Kantonsparlamente müssen Konkordatsänderungen absegnen.
Bereits die regionalen Rayonverbote haben zum Teil zu
Härtefällen geführt, weil die Betroffenen eben nicht nur
Stadionverbot hatten, sondern ganze Stadtteile während der Spiele
nicht mehr betreten durften.
Kooperation mit Klubs
Die Konferenz der Polizei- und Justizdirektoren will
überdies die Zusammenarbeit mit den Sportverbänden
verbessern. Zu diesem Zweck arbeitet sie derzeit eine
Mustervereinbarung mit schweizweit gültigen Massnahmen gegen
Hooligans aus. Das Ziel der KKJPD ist eine Gesamtkonzeption als Basis
für Verhandlungen von lokalen Behörden und Klubs für
eine engere Zusammenarbeit.
Mischa Aebi
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Kampf gegen Hooligans
Schnellrichter in Bern
Die Justizbehörden im Kanton Bern wollen künftig
bei Sportveranstaltungen, bei welchen Ausschreitungen absehbar sind,
härter durchgreifen. Bei Bedarf werden Untersuchungsrichter direkt
in die Stadien beordert. Das gilt nicht nur für die Stadien in der
Stadt Bern, sondern auch für Stadien in anderen Städten, etwa
das Eisstadion in Biel. So können sich die Schnellrichter direkt
vor Ort ein Bild machen. Damit soll es möglich werden,
Gewalttätige unmittelbar nach der Tat zu bestrafen. Gemäss
Justizbehörde könnte die Beweisaufnahme noch besser gemacht
werden, wenn zwischen den Stadtberner Stadien und dem Bahnhof Wankdorf
Videokameras installiert werden dürften. Die Stadt lässt
solche Kameras bis jetzt nicht zu.
ma
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Tagesanzeiger 12.2.10
Zürichs kranke Horde: Prügel-Dates im Wald
ZÜRICH. Sie nennen sich Zürichs kranke Horde und
wollen nur eines: den Adrenalinstoss beim Kampf Mann gegen Mann. Ein
neues Buch berichtet über Zürichs Hooligans.
Am liebsten verabreden sie sich mit anderen
Hooligan-Gruppen irgendwo an einem abgeschiedenen Ort, fernab von
Fussballstadien, Unbeteiligten und der Polizei. Hooligans unter sich:
Feld-Wald-Wiese heisst in ihrer Szene das Wort für solche
Prügel-Dates, und so lautet auch der Titel des neuen Buches, das
der WoZ-Journalist Daniel Ryser (31) über die Zürcher
Hooligans geschrieben hat. Ihm haben sich zahlreiche Mitglieder der
Gruppe anvertraut, die sich Zürichs kranke Horde nennt und sowohl
aus GC- als auch aus FCZ-Anhängern besteht. "Was uns vereint, ist
die Gewalt. Wir sind geil auf Action. Auf Adrenalin", sagt ein Mitglied.
Vereinbarte Schlägereien gibt es laut Ryser immer
wieder: Zürichs kranke Horde tritt gegen andere Hooligan-Gruppen
aus Bern, Luzern, St. Gallen sowie dem Ausland an. Die einzige Regel:
Wer am Boden liegt und aufgibt, wird nicht mehr geschlagen. Nur gegen
die Basler soll es seit 2003 keine abgemachte Schlägerei mehr
gegeben haben - weil diese wegen der starken gegenseitigen Abneigung
nicht fair ablaufen würde.
Für Negativschlagzeilen hätten in den letzten
Jahren jedoch nicht diese klassischen Hooligans gesorgt, schreibt
Ryser, "sondern die Ultras, jene, die singen, Fahnen schwingen,
Choreografien malen und Feuerwerk zünden": Auf das Konto von
FCZ-Ultras geht etwa die Entführung eines GC-Fans im November
2007, um die Rückgabe geklauter Fahnen zu erzwingen. marco
Lüssi
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St. Galler Tagblatt 11.2.10
Polizei übt in der AFG Arena
ST. GALLEN. Über 80 Führungskräfte von
Schweizer Polizeikorps liessen sich gestern in der AFG Arena von der
Stadtpolizei St. Gallen, der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen
und der Kriminalpolizei der Kantonspolizei St. Gallen über das
Vorgehen bei der Festnahme von gewalttätigen Personen im Umfeld
von Sportveranstaltungen informieren, wie die Stadtpolizei hinterher
mitteilte. Dabei wurde auch das weitere Vorgehen nach der Festnahme von
Personen bis zur Zuführung an den Untersuchungsrichter aufgezeigt.
Auch die Anwendung des beschleunigten Verfahrens und die damit
gemachten Erfahrungen in St. Gallen wurden geschildert.
Der Informationsnachmittag endete mit dem Einblick in eine
praktische Ausbildungssequenz von Einsatzkräften der Stadtpolizei
St. Gallen vor der AFG Arena. Dabei wurde das gezielte Ergreifen von
Personen aus gewalttätigen Gruppierungen demonstriert. (red.)
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kkjpd.ch 29.12.09
KONFERENZ DER KANTONALEN JUSTIZ- UND POLIZEIDIREKTORINNEN UND
-DIREKTOREN
CONFERENCE DES DIRECTRICES ET DIRECTEURS DES DEPARTEMENTS
CANTONAUX DE JUSTICE ET POLICE
CONFERENZA DELLE DIRETTRICI E DEI DIRETTORI DEI DIPARTIMENTI
CANTONALI DI GIUSTIZIA E POLIZIA
Medienmitteilung
Das Hooligan-Konkordat tritt in Kraft
Drei Massnahmen gegen Gewalt im Sport, die das Parlament 2007
eingeführt hat - Rayonverbot, Meldeauflage und Polizeigewahrsam -
sind bis Ende 2009 befristet. Die Kantone haben mit ihrem Beitritt zu
einem Konkordat, das am 1. Januar 2010 in Kraft tritt, sichergestellt,
dass diese Massnahmen weiterhin gelten werden. Sie signalisieren damit,
dass das Vorgehen gegen die Gewalt im Umfeld des Fussballs und des
Eishockeys nicht nur weitergeführt, sondern intensiviert werden
muss.
Zur Bekämpfung der Gewalt im Sport und nicht zuletzt auch
im Hinblick auf die Durchführung der Fussball-Europameisterschaft
2008 und der Eishockey-Weltmeisterschaft 2009 in der Schweiz
führte das Eidgenössische Parlament am 1. Januar 2007
fünf Massnahmen gegen den Hooliganismus ein, die sich im
europäischen Ausland bewährt hatten: Rayonverbote,
Polizeigewahrsam, Meldeauflagen und Ausreisebeschränkungen
für Gewalttäter sowie die Schaffung einer Hooligan-Datenbank.
Die ersten drei Massnahmen wurden allerdings wegen
verfassungsmässiger Bedenken bis Ende 2009 befristet, weil das
Parlament die Kantone dafür als zuständig erachtete. Die
Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und
-direktoren (KKJPD) beschloss deshalb am 15. November 2007 ein
Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich vom
Sportveranstaltungen, um die Fortführung der drei befristeten
Massnahmen sicher zu stellen. Zusätzlich wurde ein Artikel
eingefügt, der es der Polizei erlaubt, die Namen von
Gewalttätern an die Klubs und Stadionbetreiber weiterzuleiten,
damit diese in Zukunft auch dann Stadionverbote aussprechen
können, wenn die Gewalt ausserhalb der Stadien ausgeübt wurde.
Bis heute sind dem Konkordat 24 Kantone beigetreten. Die Kantone
Jura und Wallis werden in den ersten Monaten des kommenden Jahres
folgen, falls die Parlamente den Anträgen der Regierungen statt
geben. Die KKJPD stellt mit Befriedigung fest, dass damit die
Weitergeltung von Rayonverboten, Polizeigewahrsam und Meldeauflagen
gesichert ist. Die Konferenz wird sich im ersten Halbjahr 2010
dafür einsetzen, dass zusätzlich die von der
Plenarversammlung am 13. November 2009 verabschiedeten Massnahmen
umgesetzt werden. Die KKJPD empfiehlt verstärkte Anstrengungen auf
allen Ebenen, um jene Matchbesucherinnen und -besucher zu
identifizieren und zu sanktionieren, die für die Probleme
verantwortlich sind. Die KKJPD erwartet von den Behörden,
Verbänden, Ligen, Klubs und Stadionbetreibern, dass sie die
Massnahmen national und lokal im Umfeld der Klubs der höchsten
Spielklassen konkretisieren und soweit wie möglich bereits ab
Beginn der nächsten Saison im Fussball und im Eishockey
einführen.
Bern, 29. Dezember 2009
Für weitere Auskünfte:
▪ Roger Schneeberger, Generalsekretär KKJPD, Telefon 031
318 15 05
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KALKBREITE ZH
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Indymedia 12.2.10
Kalkbreite 4 ::
AutorIn : B.Setzer
Ohalätz, die Kalki steuert aufs Grab zu. Und auch auf die
Wiederauferstehung.
Alles hat ein Ende. Auch die Kalkbreite 4. Und wie es aussieht,
kommt es näher und näher und näher. Die Geleise, die
dereinst quer durch unsere schöne Hütte laufen, sollen im Mai
verlegt werden und, ja, es wird konkret. Die VBZ als
Hauseigentümerin hat uns aufgefordert, die Kalkbreite zu
verlassen. Am 12.3.2010 wird es also vorbei sein, Schutt und Asche,
zerbröselt und zerdengelt. Als die Kalki besetzt wurde am
1.12.2003 war sie schon einmal ziemlich zerdengelt. Obwohl die
Hütte 2001 für gutes Geld in Stand gesetzt wurde, hat die
Stadt diese Investition knapp zwei Jahre später gleich selber
wieder in den Sand gesetzt. Heizungen und WCs wurden professionell
zerdeppert um eine Besetzung zu verunmöglichen. Genützt hat's
zum Glück nicht viel. Mit viel Herzblut und Ellbogenschmalz wurde
die Kalki langsam wieder ein Ort, an dem sich's im warmen scheissen
lässt. Aber auch noch viel, viel mehr als das. In guter
D.I.Y.-Manier entstand in den letzten sechs Jahren im Herzen von
Aussersihl ein Kultursquat, eine befreite und unkommerzielle Insel, auf
der vieles möglich ist, was angeblich unmöglich ist. Bands
aus 3000 Stilrichtungen und noch mehr Ländern für 5.- Stutz
Eintritt zu sehen etwa. Oder sich einen gesunden dicken Bauch
anzumampfen in der Volxküche. Oder Soli-Abende organisieren zu
können, um notorisch leere Polit-Kassen zu füllen. Oder
gratis ins Kalki-Kino zu kommen, um neue und alte, lustige und
traurige, schreckliche und schöne Spiel- und Dokumentarfilme zu
sehen. Oder in der Siebdruck-Werkstatt Transpis malen. Oder Plakate
oder deine eigenen Kleider zu bedrucken. Oder ungezwungen endlose
Sitzungen zu machen. Oder im Kompi-Raum durch ein flimmerndes Tor in
die weite Internetwelt zu entsschwinden. Oder deutsch lernen. Oder im
K-Set die kunterbunte Gegenwelt der D.I.Y.-Kultur in Fanzines, CD-Rs,
selbstvertriebenen Kassetten und Platten zu durchforsten. Oder
stundenlang ohne Konsumationszwang am Töggelikasten zu
vertrödeln. Oder Bier. Oder oder oder.
Zweifelsohne das Beste an der Kalki ist aber, dass man nicht nur
konsumieren darf, sondern lieber noch machen soll. Etwas, das in
unserer durchprofessionalisierten und durchkommodifizierten Zeit leider
immer seltener wird.
Natürlich hat nicht nur alles ein Ende. Es hat auch alles
einen Anfang. Im Falle eine neuen Kultursquats in Zürich heisst
das konkret: Leere. Leere, die gefüllt werden soll, kann und wird.
Mit Musik und Film. Mit Minigolf und Brettspielfestival und
Rollschuhbahn. Vielleicht mit viel Bewährtem, vielleicht mit viel
Neuem, wer weiss. Wie die Kalki wird auch die neue Hütte davon
leben, was an Ideen, Liebe, Zeit, Politik, Energie und Spinnerei in sie
reingesteckt wird. Also bringt eure Visionen, eure Flausen und eure
Luftschlösser und lasst uns bauen, was und niemand baut: unser
Haus.
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RECLAIM THE STREET ZH
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Tagesanzeiger 12.2.10
Die Party, die zur Schlacht wurde
"Reclaim the Streets" sieht sich als friedliche
Protestbewegung gegen die Kommerzialisierung Zürichs: Zu vieles
ist den Aktivisten zu teuer. Am Samstag endete ihre Demonstration in
massiver Zerstörung. Warum?
Von Dario Venutti
Die einen waren verkleidet wie an der Street Parade und
tanzten zu Technobeats. Sie verkauften Bier für drei und Africola
für einen Franken. Andere waren vermummt und trugen Hammer und
Schlagstock. Ihr erstes Opfer: die Überwachungskameras am
Limmatplatz.
Die einen waren: Gymnasiasten, KV-Angestellte,
Arbeitslose, Journalisten, Hausbesetzerinnen. Nach Polizeiangaben 500
Leute, laut Teilnehmern über 1000. Die anderen: Anarchisten,
Revolutionäre, Hooligans, Jugendliche aus dem Kreis 4, die Gang
"031" aus Bern. Zwischen 50 und 100 aggressive junge Männer.
"Der Anlass begann als Party und endete in Gewalt. Leider
wird er jetzt darauf reduziert", sagt Richard Wolff, Stadtsoziologe und
Dozent an der Hochschule in Winterthur. Wolff beschäftigt sich
beruflich mit der Entwicklung von Städten und interessiert sich
für Subkulturen. Am letzten Samstag war er mit seinen beiden
Söhnen dabei, als die ungefähr zehnte Veranstaltung unter dem
Namen "Reclaim the Streets" in Zürich durchgeführt wurde.
Der coolste Ausgehtipp
Die erste fand 1999 gleichzeitig wie in über 30
europäischen Städten anlässlich des G-7-Gipfels in
Köln statt. Die letzte vor gut zwei Monaten. 300 Leute tanzten
vergnügt unter der Hardbrücke. Es gab keine
Sachbeschädigungen, keine Polizeicommuniqués und deshalb
auch keine Medienberichte.
Der grösste Anlass war 2008: die Besetzung des
Hardturm-Stadions. Innert wenigen Minuten drangen ein paar Dutzend
Leute ins Gelände. Nach einer halben Stunde waren schon Hunderte
drin. "Brotäktschen" war an jenem warmen Wochenende im Juli der
coolste Ausgehtipp in Zürich: 6000 Menschen vergnügten sich
drei Tage lang im Stadion. Die Presse schrieb: "Das war
Hausfriedensbruch. Aber es war toll."
"Shantytown", das Barackendorf an der Sihl bei der
Börse, hatte bereits ein Jahr zuvor gezeigt, wie die Sache
funktioniert: Ein kleiner Kreis, meistens Leute aus der alternativen
Partyszene und Hausbesetzer, plant eine Aktion und kümmert sich um
Musik, Getränke, Bühnenbretter. Dann geht alles schnell,
für die Polizei zu schnell: Wenige Stunden vor der Aktion wird per
SMS mobilisiert. Daraufhin nimmt man das Gelände in Beschlag und
baut die Infrastruktur auf: Bars, Bühnen, Informationsstände.
Am Tag nach "Shantytown" erzählte ein begeisterter Chefredaktor an
einer Redaktionssitzung von der friedlichen Stimmung, günstigem
Bier und hübschen Studentinnen.
Seit dem Krawall am letztem Samstag ist die Stimmung
allerdings gekippt. Die Polizei will "Reclaim the Streets" in Zukunft
nicht mehr dulden, sondern hart durchgreifen. Angesichts des
Sachschadens von mehreren Hunderttausend Franken reagiert die
Öffentlichkeit mit Abneigung und Unverständnis, nachdem
frühere Aktionen noch auf Sympathie stiessen. Und Politiker von
links bis rechts schimpfen über die "wohlstandsverwahrloste
Jugend". Mit Politik habe das nichts zu tun!
"Wir waren eigentlich gekommen, um Spass zu haben", sagt
ein Aktivist, der sonst Student ist. Er und seine Mitstreiter wollten
für einige Stunden mit Musik, Tanz und Kostümen die Strassen
vom Privatverkehr befreien und diesen Raum für alle nutzbar
machen. Genau diesen Zweck verfolgten auch die ersten "Reclaim the
Streets"-Partys in London zu Beginn der 90er-Jahre. Sie waren
Protestaktionen gegen neue Strassenbauprojekte. Weil die Strassen
früher einmal allen gehörten, so die Rechtfertigung in
eigener Sache, bräuchten die Aktivisten keine Bewilligung für
ihre Demonstrationen einzuholen.
"Das Kapital" will keiner lesen
In der Zwischenzeit hat sich die Bewegung auf
Kontinentaleuropa ausgeweitet und ist je nach Stadt unterschiedlich
geprägt. In Zürich ist "Reclaim the Streets" ein Protest
gegen die Aufwertung und Sanierung der Kreise 4 und 5: Zürich ist
eine tolle Partystadt, aber nicht alle können es sich leisten, 45
Franken Eintritt in einen Club und 8 Franken für ein Bier zu
bezahlen. Zudem werden Menschen wegen der steigenden Mietzinse
gezwungen, in andere Quartiere oder in die Agglomeration wegzuziehen.
"Yuppies raus aus dem Kreis 4" steht seit Samstag in der
Unterführung der Kornhausbrücke.
Schlagworte wie "Ausgrenzung" und "Privatisierung von
öffentlichem Raum" ziehen allerdings auch selbst ernannte
Revolutionäre an. Sie hoffen, diese aus ihrer Sicht verelendenden
Jugendlichen für die Weltrevolution zu gewinnen. Doch die
marxistische Begleitmusikinteressiert das alternative Partyvolk nicht.
Es will nicht das "Kapital" lesen, sondern für fünf Franken
Eintritt ein gutes Konzert in einem besetzten Haus in der Binz,
Kalkbreite oder Wehntalerstrasse hören. Und dabei nicht
grossformatige Werbeplakate von Handyfirmen anschauen müssen.
Schon 2003 kam es an einem ähnlichen Happening zum
Krawall. Damals zog "Reclaim the Streets" von der Josefswiese über
die Langstrasse in Richtung Lochergut. Auf der Kornhausbrücke
knallte es zum ersten Mal, in der Seebahnstrasse beendete die Polizei
den Umzug mit Gummischrot undTränengas. Der Sachschaden betrug 80
000 Franken.
Bereits damals hatten Mitläufer ihr eigenes
politisches Süppchen gekocht. Am letzten Samstag war alles
nochgewalttätiger und aggressiver. Linke Gruppen wie die
Anarchisten und der Revolutionäre Aufbau nahmen ihre klassischen
Ziele ins Visier: McDonald's, Hooters, ZKB, Mercedes-Garage als Symbole
von US-Imperialismus und Kapitalismus. Wahrscheinlich gab es eine
Arbeitsteilung: politische Gewalt seitens der Anarchisten und der
Revolutionäre, unpolitische gegen einen Coiffeurladen und
VBZ-Haltestellen vonJugendlichen aus dem Kreis 4 und der Berner Gang
"031". Letztere ist eine Gruppe von rund einem Dutzend jungen Leuten
aus der Mittelschicht, die in Bern für Skrupellosigkeit und
Gewalttätigkeit bekannt ist. Ihr Vorbild sind die "Mara" aus El
Salvador: organisierte Banden aus den Slums, die mit Waffen und Drogen
handeln, Schutzgeld erpressen und morden.
Als die vier Soundmobiles von "Reclaim the Streets" mit
Bar und rund 1000 Leute die Strassen entlang tanzten, regelten an der
Spitze einige Aktivisten sogar den Verkehr. Gegen die Gewalttäter
war jedoch nichts zu machen: Als die ersten Scheiben zu Bruch gingen,
kam es zu Handgreiflichkeiten. Und gegen Hammer und Schlagstock waren
Worte machtlos. Als es auf der Stauffacherbrücke zur Konfrontation
mit der Polizei kam, verliessen viele den Umzug.
Was tun mit Mitläufern?
"Reclaim the Streets" und Revolutionärer Aufbau
würden nicht zusammenpassen, sagt der Soziologe Richard Wolff.
"Der Revolutionäre Aufbau ist aus der Zeit gefallen." Das hinderte
die Kommunisten freilich nicht daran, zusammen mit den Anarchisten die
Demo von "Reclaim the Streets" für eigene Zwecke zu
instrumentalisieren. Und weil die Partys illegal sind, hofften
Hooligans und Jugendliche aus dem Kreis 4 auf Adrenalinkicks durch
Strassenschlachten mit der Polizei.
Die Aktivisten von "Reclaim the Streets" sind weitgehend
ratlos, wie es nach dem letzten Samstag weitergehen soll. Falls sie die
unbeliebten Mitläufer ausgrenzen, verstossen sie gegen dieeigene
Grundidee: Die Bewegung ist für alle offen, und sie will wachsen,
um Wirkung zu erzielen. Zudem müsste sieeinen eigenen
Sicherheitsdienst aufstellen wie das "Bündnis gegen Rechts" in
Bern: Dieses beschützt die "antifaschistischen Spaziergänge"
gegen Neonazis und geht gegen Krawallanten in deneigenen Reihen vor.
Doch wer in Zürich will das auf sich nehmen?
Vielleicht wird "Reclaim the Streets" ein ähnliches
Schicksal erleben wie der 1. Mai: Die Nachdemo ist seit Mitte der
90er-Jahre ein ritualisiertes Krawallspektakel. Früher war es
nicht selten eine friedliche Angelegenheit: wenn etwa spanische
Immigranten gegen die Franco-Diktatur protestierten.
"Selbst massive Polizeipräsenz wird die Leute nicht
von Aktionen abhalten", sagt einer von "Reclaim the Streets". Die
Vermummten mit Hammer und Schlagstock werden aber auch da sein.
--
Jetzt wollen auch die Linken mehr Polizei
An der Podiumsdiskussion des "Tages-Anzeigers" zu den
Stadtratswahlen vom 7. März war der Kaufleuten-Saal gestern Abend
sehr gut besucht.
Von Jürg Rohrer
Zürich - Was ist nach den Ausschreitungen vom
Wochenende zu tun? Das war der erste Fragenblock, den TA-Redaktor Edgar
Schuler den sechs Kandidatinnen und Kandidaten für den Stadtrat
und fürs Stadtpräsidium stellte. Stadtpräsidentin Corine
Mauch (SP) zeigte sich schockiert, dass es sich bei den
Zerstörungen um reine Randale ohne jede politische Botschaft
gehandelt hatte. Es gelte jetzt, das Vorgefallene zu analysieren, denn
bisher seien die Reclaim-the-Street-Umzüge immer friedlich
gewesen. Mauch geht davon aus, dass die Polizei eine falsche
Risikoanalyse gemacht habe.
Für SP-Gemeinderätin Claudia Nielsen ist klar,
dass es mehr Polizisten braucht. Nicht in erster Linie wegen der
letzten Krawalle, sondern weil Zürich in den letzten Jahren um 20
000 Einwohner gewachsen sei und sich zur 24-Stunden-Stadt entwickelt
habe - bei gleich bleibendem Polizeibestand. Sie staunte allerdings
auch, dass kein einziger Randalierer verhaftet werden konnte. "Der
Einsatz war nicht optimal." Daniel Leupi (Grüne) meinte, vor einer
allfälligen Aufstockung des Personalbestandes sollten erst einmal
die bestehenden Kräfte effizienter eingesetzt und im Notfall
schneller mobilisiert werden.
SVP-Gemeinderat Mauro Tuena warf dem links-grünen
Stadtrat und insbesondere Polizeivorsteherin Esther Maurer vor, der
Polizei nie einen klaren Auftrag erteilt zu haben. Illegale Umzüge
wie Reclaim the Street dürften nie toleriert werden. "Die Polizei
hat einen klaren Auftrag", warf die Stadtpräsidentin dazwischen.
"Ja, zuschauen", konterte Tuena. Gemeinderätin Susi Gut (Partei
für Zürich) sagte auf die Frage, wie viel Polizisten sie denn
einstellen würde: "So viele wies braucht! Sicherheit darf etwas
kosten." FDP-Gemeinderat Urs Egger war ebenfalls für eine
massvolle Aufstockung, meinte aber auch, die Polizei müsste
gezielter Informationen über bevorstehende Demonstrationen
sammeln. Auch drohe in Zürich jedes Wochenende Gewalt an
bestimmten Orten. "Zürich ist eine der sichersten Städte der
Welt", relativierte die Stadtpräsidentin, "reden Sie nicht etwas
herbei, das nicht stimmt." - "Statistik hin oder her, man muss auf die
Leute hören", entgegnete Susi Gut.
Wohin mit den Kongressen?
Wohin soll das Kongresszentrum, lautete das nächste
Thema. Susi Gut: "Carparkplatz, es pressiert." Claudia Nielsen:
"Keinesfalls die Kaserne, sonst gibt es einen Aufstand im Kreis 4." Urs
Egger: "Als Vision an den See, aber realistisch beim HB." Mauro Tuena:
"Das Projekt muss fein angegangen werden, es ist nicht das
vordringlichste."
Das dritte Thema hiess Wohnen. Leupi und Nielsen sprachen
sich für mehr gemeinnützige Wohnungen aus; der Anteil von
heute 25 Prozent genüge nicht. Er genüge sehr wohl, meinten
Egger und Tuena und forderten, dass private Bauträger verdichtet
und höher bauen könnten. Der private Markt sei wichtig, sagte
zum Schluss Corine Mauch, aber er versage bei den günstigen
Wohnungen. Nach 90 Minuten endete die Diskussion; die Stimmung auf dem
Podium und im Publikum war vornehmlich interessiert und gesittet.
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WoZ 11.2.10
Reclaim The Streets - Am Wochenende demonstrierten über
tausend Menschen in den Strassen der Zürcher Kreise 4 und 5.
Protokoll eines Nachtspaziergangs.
"Aktion Respeck"
Von Carlos Hanimann
Stell dir vor, du erhältst eine SMS: "RECLAIM THE
STREETS Heute Samstag 6.2. 22.00 Uhr pünktlich Carparkplatz
Zürich Bitte Weiterleiten! Kommt zahlreich!"
Da freust du dich natürlich im ersten Moment, weil du
vielleicht gute Erinnerungen an vergangene Reclaim-the-Streets-Events
hast. Und wenn du dich nicht erinnerst, hast du vielleicht schon
ähnliche SMS erhalten, Einladungen an klandestine Partys. Du
weisst aber auch, dass jede "Reclaim the Streets" sagen kann - was sie
damit meint, weisst du aber nicht. Reclaim the Streets kann ja auch
VoKü im Regen mit einem kaputten Generator und zwanzig Leuten
heissen. Oder eine gewöhnliche Demonstration mit 150 Leuten. Das
kennst du alles. Und du hast die SMS auch nicht von einer Organisatorin
direkt erhalten, sondern von einem Freund, der selber gar nicht daran
teilnimmt. Und der hat sie von einer Kollegin und so weiter. Und du
weisst nicht so recht, was du von dem bevorstehenden Anlass halten
sollst. Ist ja nicht immer gute Laune drin, wo "Reclaim the Streets"
draufsteht. Dann erhältst du noch eine SMS und noch eine. Und
darin stehen dann Fragen wie: "Wird das heute Spass oder Spannung?"
Eine Antwort hast du natürlich nicht parat, aber du hoffst
vielleicht, dass es eine Mischung aus beidem wird ...
Das wird ein guter Abend
Beim Carparkplatz in Zürich siehst du zwanzig, dreissig
Leute. Du bist zwanzig Minuten zu früh, aber die SBB spricht ihre
Zugverbindungen ja nicht mit den Demonstrantinnen ab. Also gehst du zum
Kiosk und kaufst dir ein Bier - und als du zurückkommst, stehen da
schon fast 200 Leute. Und dann kommt ein Wagen herangefahren, jemand
schiesst Feuerwerk in den Himmel, und irgendwie merkst du: Das wird ein
guter Abend.
Du triffst Bekannte und fragst, was denn jetzt passiert,
auch nicht die üblichen Verdächtigen, die bei so was immer
Bescheid wissen, können dir sagen, wohin es geht, wie lange es
dauert und wer dahinter steckt.
Aber das ist egal. Weil: Plötzlich spielt die Musik,
harte Bässe rollen über die Strasse, mehrere Hundert Szenis,
Punks, Fussballfans, Hausbesetzer, Studentinnen laufen los in Richtung
Limmatplatz. Einer bemalt VBZ-Billett automaten mit einer
Silberspraydose, und eine verstopft die Münzschlitze mit
Silikonspray, und ein anderer sprayt mit roter Farbe: "Gratis ÖV!"
Du denkst, das kann ja heiter werden - je mehr Sprayereien, desto
schneller kommt die Polizei. Aber dann hörst du Dubstep-Beats von
einem der zwei oder drei Soundwagen, wie viele es genau sind, siehst du
nicht, weil der Demozug schon ziemlich gross geworden ist, und du bist
erstaunt, woher plötzlich all die Leute gekommen sind. Dann siehst
du vorne ein paar Vermummte rumrennen, die mit Schablonen Parolen
sprühen, und andere, die ein riesiges, buntes Transparent mit sich
tragen. "Reclaim the Streets" steht da drauf, und du denkst, da hat es
jemand aber gut gemeint mit dem LSD, so bunt ist das gemalt.
Die Leute tanzen, trinken, rauchen - sie feiern, wie sie
es sonst vielleicht auch tun. Aber sie müssen nicht anstehen, sich
von Türstehern durchwinken lassen, 25 Franken Eintritt bezahlen,
die Jacke an der Garderobe abgeben, "zwei Schtutz", und über die
Bar brüllen, um ein Getränk zu bestellen, nur um erstaunt
festzustellen, dass es für die Zwanzigernote halt nur noch einen
Fünfliber Rückgeld gibt, obwohl sie doch nur einen Drink
bestellt haben.
So geht das eine Stunde lang, vielleicht auch zwei.
Zwischendurch klirren Scheiben: Hooters ("Gegen Sexismus"), McDonald's
("Down Down USA") und die Mercedes-Garage müssen dran glauben. Und
du fragst dich, warum die Polizei nicht eingreift. Weil, sonst sind die
Polizisten an der Langstrasse auch immer schnell zur Stelle. Aber du
lachst, als einer "Aktion Respeck" an die Wand sprayt, weil dich die
Polizei vielleicht auch schon von deinem Velo gezerrt hat, als du in
der falschen Richtung durch die Einbahnstrasse gefahren bist.
Als du vor Gebäude der Tamedia stehst und
beobachtest, wie die Leute Pflastersteine gegen den Glaspalast
schmeissen, nach vorne rennen, die Steine wieder aufsammeln und von
neuem werfen, erinnert dich das an ein Squash-Spiel.
Und dann kommt die Polizei.
War ja klar, dass sie den Pöbel nicht in die Innenstadt
ziehen lassen. Der Umzug löst sich kurz auf. Ein paar Dutzend
bleiben auf der Brücke zurück, werfen Steine und Flaschen
gegen die überforderten Polizisten. Diese antworten mit
Tränengas und Gummischrot. Du beobachtest die Szene aus der Ferne,
frierst das Bild ein und denkst: Irgendwie romantisch - dunkle
Gestalten stehen auf der nebelverhangenen Brücke, rote
Feuerwerkskörper fliegen gegen Blaulicht, und vom Himmel regnet es
Tränengas.
Von nah betrachtet sind die jungen Kämpfer aber nicht
mehr romantisch, sondern höchstens aggressiv, der Nebel beisst,
und die Aktion ist ziemlich sinnlos.
Abgeschriebener Polizeirapport
Später versammelt sich, was von den Demonstranten
übrig geblieben ist, zieht wieder Richtung Langstrasse, und die
Polizei siehst du erst wieder am Montagmorgen, als du an der
Langstrasse auf den Bus wartest, der dich zur Arbeit fährt.
Du liest die Zeitungen und merkst, dass kein Reporter vor
Ort war und alle nur die Polizeimeldungen abschreiben. Und du fragst
dich, weshalb niemand über die Gründe für die Demonstra
tion schreibt - zum Beispiel über Quartieraufwertung, hohe Mieten,
Polizeirepression und enge Räume - sondern nur über
versprayte Wände. Erst bist du empört, aber dann sagst du
dir: Vielleicht bist du naiv?
Und dann musst du für die Zeitung einen Bericht
darüber schreiben, wie es wirklich war. Was schreibst du?
--
Reclaim The Streets
Reclaim the Streets (Holt euch die Strasse zurück, kurz:
RTS) ist keine Organisation, sondern eine Aktionsform. Dabei schliessen
sich Menschen mit verschiedenen sozialen Hintergründen zusammen,
um die Strasse, also den öffentlichen Raum, für ihre Anliegen
zu nutzen. Die Aktionsform kommt ursprünglich aus England. In
Zürich fanden bereits mehrere Reclaim-the- Streets-Anlässe
statt. Am meisten Aufmerksamkeit erregte das Strassenfest von 2003,
wohl auch, weil es dabei zu Ausschreitungen mit der Polizei kam. Am
vergangenen Samstag nahmen zeitweilig rund 1000 Personen am RTS-Umzug
durch die Zürcher Kreise 4 und 5 teil. Dabei entstand ein
Sachschaden von über hunderttausend Franken.
---
Tagesanzeiger 11.2.10
Was die Polizei in Zürich plant, hat Winterthur längst
Donzé René
Alle Polizisten in Winterthur und bei der Kantonspolizei
sind mit Pager ausgerüstet.
Zürich/Winterthur - Im Nachgang zur chaotischen
Demonstration vom letzten Wochenende in der Stadt Zürich hat
Polizeivorsteherin Esther Maurer (SP) gestern ein neues
Alarmierungssystem in Aussicht gestellt (TA von gestern Mittwoch): "Es
soll dafür sorgen, dass wir für derart überraschende
Einsätze schneller mehr Einsatzkräfte haben", erklärte
sie. Ähnlich wie bei der Milizfeuerwehr sollen die Polizisten auch
in ihrer Freizeit per Pager oder Handy aufgeboten werden können,
kündigte sie an. Sie hoffe, dass das System 2011 umgesetzt werden
könne.
Damit wird die Stadtpolizei Zürich auf einen Stand
gebracht, der in anderen Polizeikorps schon lange Standard ist. Bei der
Stadtpolizei Winterthur seien sämtliche Mitarbeiter mit Pager
ausgerüstet, sagte Mediensprecher Peter Gull. Neben den
Diensthabenden haben einige Polizisten Pikettdienst und werden
dafür entschädigt. Bei unerwarteten Grossereignissen, wie
etwa einer spontanen Demonstration mit Gewaltpotenzial, könnten
auch jene Polizisten alarmiert werden, die frei haben. Wer daraufhin
einrückt, wird für den Einsatz entschädigt. Ein
ähnliches System kennt auch die Kantonspolizei Zürich. Wie
die Medienstelle bestätigt, haben alle Korpsangehörigen seit
Jahren Pager. Weitere Details über ihre Organisation gibt sie
nicht bekannt. (rd)
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Zürichsee-Zeitung 11.2.10
Zürcher Gemeinderat
Ruf nach mehr Polizei
Im Zürcher Gemeinderat herrscht Empörung
über die Sachbeschädigungen vom letzten Samstag. Es
ertönte der Ruf nach mehr Polizei.
Alfred Borter
Dass am letzten Samstagabend Autonome, Hooligans und
betrunkenes Partyvolk in den Stadtkreisen 4 und 5 enorme
Zerstörungen anrichteten, ohne dass die Polizei dies verhindern
konnte, wurde von allen Gemeinderats-Fraktionen von links bis rechts
scharf verurteilt. Offenbar genüge das Einsatzdispositiv nicht.
Ebenfalls wurde moniert, die Polizei setze offenbar die falschen
Prioritäten: am gleichen Samstag seien nämlich genügend
Polizisten vorhanden gewesen, um peinlich genau zu kontrollieren, ob
die Mitglieder verschiedener Parteien für ihre Wahlkampfwerbung an
Ständen in Zürich über die nötige Bewilligung
verfügten. Auch zur Kontrolle potenzieller Schwarzfahrer
verfüge die Polizei offenbar über genügend
Einsatzkräfte.
Es gelte nun zu analysieren, welche Fehler beim Einsatz
gemacht worden seien, sagte die SP-Fraktionschefin Min Li Marti.
Nachdem die SP noch im Dezember einem Antrag auf Aufstockung des
Polizeikorps um 15 Personen eine Absage erteilt hatte, sagte sie jetzt,
darüber könne man diskutieren. Doch sei auch über den
zielgerechten Einsatz der bestehenden Mittel nachzudenken.
Kritik an Esther Maurer
Für die SVP fehlt es in Zürich in erster Linie
am Willen der Polizeiführung zum harten Durchgreifen, wie
Fraktionschef Mauro Tuena ausführte. "Die Zeit des Duldens, des
Tolerierens und des Zusehens ist vorbei", betonte er. Der
Personalbestand der Polizei müsse massiv erhöht werden. Zudem
kritisierte Tuena, dass es die Polizeivorsteherin Esther Maurer nicht
für nötig gehalten habe, anwesend zu sein, um zu den
Fraktionserklärungen Stellung zu nehmen.
"Hoffentlich haben die Ereignisse des Wochenendes auch der
rot-grünen Mehrheit vor Augen geführt, dass in dieser Stadt
mehr Polizeikräfte nötig sind", erklärte
FDP-Präsident Urs Egger. Die Fraktionen von CVP und EVP, vertreten
durch Christian Traber, fanden in erster Linie, die Alarmorganisation
müsse verbessert werden.
Pikettdienst wäre sehr teuer
Die Grünen fanden laut den Worten von Daniel Leupi,
man solle daraus keinen Wahlkampfschlager machen. Man müsse sich
aber schon fragen, warum die Polizei so viel langsamer sei als die
Feuerwehr. Allerdings gelte es, kühlen Kopf zu behalten. Ein
Pikettdienst für jedes Wochenende wäre sehr teuer. Der
Alternative Niklaus Scherr mokierte sich darüber, dass die Polizei
offenbar erst spät merkte, dass sich etwas ankündigte. Doch
die Leute, die jetzt nach mehr Polizeikräften rufen, bezeichnete
er als Maulhelden. Damit war die Diskussion erschöpft.
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Weltwoche 11.2.10
Tatenlose Behörden
In Zürich kam es wieder einmal zu Krawallen. Die Polizei
übte sich in gewohnter Zurückhaltung. Dabei wären die
Rädelsführer längst bekannt. Politische
Verantwortungslosigkeit und eine jahrelangpropagierte
"Deeskalationsstrategie" verhindern ein entschiedenes Durchgreifen.
Von Andreas Kunz
Zu Hunderten zogen sie durch die Strassen, versprayten
Hauswände, zerschlugen mit Hämmern und Stöcken die
Fensterscheiben - und versteckten sich im fröhlich
mitmarschierenden Partyvolk. Unter dem Motto "Reclaim the Streets" kam
es am vergangenen Samstagabend in Zürich zu Randalen mit
Sachschäden in der Höhe von mehreren hunderttausend Franken.
Die "antikapitalistischen" Krawallanten erwischten die
Stadtpolizei sprichwörtlich auf dem linken Fuss. Hatten sie ihre
Aktionen früher noch über Plakate oder im Internet Tage im
Voraus angekündigt, mobilisierten sie diesmal innert weniger
Stunden. Erst nach einer kilometerlangen Spur der Zerstörung
standen ihnen gerade mal ein paar Dutzend Polizisten gegenüber.
Verhaftungen gab es keine.
Während die Gewalttäter immer schneller, zahlreicher
und brutaler werden, herrscht bei den Behörden Konzeptlosigkeit
und Ohnmacht. An den 1.-Mai-Umzügen sowie an Fussball- oder
Eishockeyspielen können die Chaoten fast ungehindert Häuser
verschmieren, Steine werfen oder Autos anzünden. Die Polizei
reagiert mit der 3-D-Strategie: Dialog, Deeskalation, Durchgreifen.
Letzteres wird seit Jahren nicht mehr gemacht.
Hausbesetzer gegen den Kapitalismus
Dabei wären die Rädelsführer längst bekannt.
Sie sitzen in den bis zu fünfzehn besetzten Häusern, verteilt
über die ganze Stadt, und leben von Studiendarlehen, Elterngeld,
Schwarzarbeit oder Kleinkriminalität handeln mit Drogen oder
plündern Baustellen. Die Szene hat sich regelrecht
institutionalisiert. Finden sie ein leerstehendes Gebäude, brechen
sie die Türen auf, überweisen dem Besitzer ein vorgefertigtes
Formular für eine sogenannte Gebrauchsleihe und verpflichten sich
- wenn's hoch kommt zur Vergütung des benötigten Stroms. Kurz
darauf sind die Schlösser ausgewechselt, die Fassaden versprayt
und die Räume zugemüllt. Eingepackt in Kleider von
amerikanischen Kapitalistenfirmen wie Nike, sitzen sie vor
stromfressenden Elektroheizern und schreiben Pamphlete gegen die
Marktwirtschaft und für den Umweltschutz.
Die Polizei lässt sie gewähren - aus Angst vor einer
Eskalation und den damit verbundenen Schlagzeilen. Wie mehrere
Hauseigentümer der Weltwoche bestätigten, werden von den
Besetzern nicht einmal die Personalien aufgenommen. Reklamieren die
Eigentümer direkt auf dem Polizeiposten, erwartet sie die immer
gleiche Antwort: "Wir können nichts machen."
Tatsächlich kämpft die Polizei mit Personalmangel und
der Entscheidungsschwäche der verantwortlichen Politiker.
Polizeivorsteherin Esther Maurer (SP) meldete sich erst drei Tage nach
dem Vorfall zu Wort. Für die Chaoten muss es in den vergangenen
Jahren ein Vergnügen gewesen sein, in den Zeitungen zu lesen, wie
sich Bund und Kantone, Vereine und Verbände gegenseitig den
Schwarzen Peter zuschoben. Die langsamen politischen Abläufe, das
Gerangel um Verantwortung und Kompetenzen, vor allem aber der
Datenschutz verhinderten immer wieder griffige Massnahmen gegen die
rücksichtslosen Krawallanten.
Zwar ist die Isis-Datenbank des Inlandgeheimdienstes
mittlerweile auf rund 120 000 Personeneinträge angewachsen (6000
davon betreffen Schweizer Bürger), doch oft ist nicht klar,
wofür und wann die Daten überhaupt angewendet werden
dürfen. Im vergangenen Herbst hat das Zürcher Stimmvolk zwar
die Einführung der Gamma-Datenbank beschlossen, in der Personen
registriert werden, die sich regelmässig in der Nähe von
Gewaltausbrüchen befinden. Doch dürfen die Daten nur von den
sechs Hooligan-Spezialisten der Stadtpolizei - und unter strenger
Aufsicht des Gemeinderats - benutzt werden. Mit der längst
angekündigten Revision des Bundesgesetzes über Massnahmen zur
Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) dürften zwar
Privaträume verwanzt, E-Mails abgefangen oder Computer gehackt
werden. Doch Bundesrat Ueli Maurer (SVP) verschob die Präsentation
des Gesetzes kürzlich auf das Jahr 2013 ("Es braucht weitere
Anhörungen und Diskussionen").
Das Warten auf bessere Gesetze müsste nicht sein.
Massnahmen, um die Chaoten abzuschrecken und zu bestrafen, wären
vorhanden. Die Teilnahme an einer Kundgebung, die zu
Sachbeschädigungen führt, wäre schon heute per
Strafgesetz verboten. Es gibt ein Vermummungsverbot, mit dem anonyme
Demonstranten bestraft werden könnten. Und auf einen konkreten
Tatverdacht hin dürfte jederzeit verdeckt recherchiert oder
könnten Telefone abgehört werden. Staatsanwälte und
Richter begnügten sich bisher mit Nachsichtigkeit, bedingten
Haftstrafen oder Strafgeldern in der Höhe einer
Geschwindigkeitsbusse.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Die linken Chaoten
predigen Gerechtigkeit und Toleranz, zerstören aber mutwillig
Gebäude und bewerfen Unschuldige mit Steinen. Der als
"faschistisch" verschriene Staat übt sich in Zurückhaltung
und einer "Deeskalationsstrategie", die längst nur noch als
Aufforderung zur ungezügelten Gewalt verstanden wird.
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AUSSCHAFFUNG
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NZZ 11.2.10
Rechtsschutz im Dublin-Verfahren
Bundesverwaltungsgericht verlangt eine Frist vor der
Ausschaffung in Drittstaaten
Asylbewerber dürfen nicht sofort nach dem
betreffenden Entscheid in einen Dublin-Staat verbracht werden. Das
Bundesverwaltungsgericht verlangt eine effektive Rekursmöglichkeit.
C. W. ⋅ Das Dublin-Recht der EU, das seit Dezember 2008
vertraglich auch für die Schweiz gilt, erlaubt es, Asylsuchende in
einen Mitgliedstaat zurückzuschicken, in dem sie sich nachweislich
schon aufgehalten haben. Das Bundesamt für Migration (BfM) vollzog
bisher solche Wegweisungen ohne Verzug. Das Bundesverwaltungsgericht
verlangt nun aber, dass die Betroffenen, die einen solchen Entscheid
anfechten, abwarten können, ob ihrer Beschwerde aufschiebende
Wirkung zuerkannt wird.
Wie sicher ist Griechenland?
Ein betroffener Afghane, der lange in Pakistan gelebt
hatte, kam über mehrere feststellbare Zwischenstationen in die
Schweiz. Als verantwortlich für die Behandlung seines
Asylbegehrens erwies sich Griechenland. Das BfM trat daher im letzten
September nicht auf das Gesuch ein, nahm den Mann in Haft und liess ihn
am nächsten Morgen nach Athen fliegen. Seither haben das BfM (auf
Anordnung des Bundesverwaltungsgerichts) und die Schweizerische
Flüchtlingshilfe, die sich für die Beschwerde engagierte,
über Stellen in Griechenland vergeblich versucht, den Afghanen
wieder ausfindig zu machen.
Die Rückführung von Asylsuchenden nach
Griechenland wird von den Hilfswerken generell kritisiert, weil dort
der Zugang zu einem fairen Asylverfahren und akzeptable
Aufenthaltsbedingungen fehlten. Wie die Behörden einiger anderer
Staaten sieht das BfM bei besonders verletzlichen (zum Beispiel
älteren oder minderjährigen) Personen von solchen
Wegweisungen ab, verneint aber, dass es Anhaltspunkte für
Verstösse gegen das Rückschiebe- oder das Folterverbot gebe.
Letztes Jahr wurden 99 Asylsuchende nach Griechenland überstellt,
für 417 Fälle lag die (allenfalls stillschweigende)
Zustimmung vor.
Beschwerde nicht erst danach
Das Bundesverwaltungsgericht ging nicht auf die Frage ein,
ob die Schweiz direkt verpflichtet wäre, das Asylverfahren selber
durchzuführen, wenn im zuständigen Dublin-Staat eine schwere
Menschenrechtsverletzung droht. Es hob den Entscheid des BfM schon aus
verfahrensrechtlichen Gründen auf. So wurde der Entscheid
mündlich dem Betroffenen, der Rechtsvertreterin aber erst am Tag
der Ausschaffung korrekt eröffnet. Ein Rekurs hat zwar an sich
keine aufschiebende Wirkung, doch kann das Bundesverwaltungsgericht
diese gewähren. Ein solches Begehren muss logischerweise gestellt
werden können, bevor der angefochtene Akt vollzogen ist, also in
der Schweiz, und der Betroffene benötigt dafür Zeit, laut
Gericht fünf Tage oder auch weniger.
Ein "sofortiger Vollzug" der Wegweisung ist gemäss
dem Urteil weder in der Dublin-Verordnung der EU noch im
schweizerischen Asylgesetz vorgesehen. Ein Untertauchen des
Asylsuchenden kann auch mit einer Ausschaffungshaft verhindert werden.
Das Bundesverwaltungsgericht verweist im Weiteren auf die
Rechtsweggarantie der Bundesverfassung und auf das Recht zu einer
wirksamen Beschwerde gemäss der Europäischen
Menschenrechtskonvention, wogegen die Praxis des BfM ebenfalls
verstosse. Daraus ergibt sich auch, dass der vor dem Parlament liegende
Antrag des Bundesrats, den sofortigen Vollzug im Gesetz vorzusehen,
übergeordnetes Recht verletzt.
Das Bundesamt für Migration äussert sich auf
Anfrage noch nicht zu den Auswirkungen des Urteils und den Folgerungen,
die für die Praxis gezogen werden, zumal auch die am Vollzug
beteiligten Kantone einzubeziehen sind. Fest steht, dass die
Beteiligung am Dublin-System das schweizerische Asylwesen im ersten
Jahr der Anwendung entlastet hat, indem bei gut einem Viertel der
Asylsuchenden die Wegweisung in einen anderen Staat in Frage kam.
Unzureichende Unterbringung
Der Vollzug, ist anzunehmen, wird auch bei Einschaltung
einer kurzen Beschwerdefrist funktionieren. Eine andere Frage, die sich
aber ohnehin stellt, ist die der Bedingungen in den Partnerstaaten.
2009 erfolgten 869 der 1904 Überstellungen (viele weitere sind
vorbereitet) nach Italien, in ein Land, dessen Umgang mit Asylsuchenden
engagierte Organisationen sehr kritisch beobachten. Denise Graf von
Amnesty International hält etwa die Möglichkeiten zur
Unterbringung von Familien für völlig unzureichend. Direkt
darüber liegt offenbar noch kein Gerichtsurteil vor.
Gegenwärtig sind in Dublin-Verfahren 146 Beschwerden pendent.
Urteil E-5841/2009 vom 2. 2. 10.
---
Südostschweiz 11.2.10
Rüge an den Bund für Wegweisungspraxis
Das Bundesverwaltungsgericht rügt das Bundesamt
für Migration (BFM) für Wegweisungen von Asylsuchenden.
Künftig dürfen diese nach einem Nichteintretensentscheid
nicht sofort an einen Dublin-Staat überstellt werden.
Bern. - Im konkreten Fall hiess das Gericht die Beschwerde
eines Afghanen gut, auf dessen Asylgesuch das BFM im letzten Jahr nicht
eingetreten war. Der Mann war nach diesem Entscheid sofort nach
Griechenland überstellt worden. Dort war er zuvor in den
Dublin-Raum eingereist.
Rechtsschutz verletzt
Die Wegweisung bei einem Nichteintretensentscheid sieht
das Dublin-Abkommen vor, das für die Schweiz seit Dezember 2008 in
Kraft ist. Entsprechend musste der Mann nach Griechenland ausreisen,
bevor ein Schweizer Gericht seinen Rekurs gegen den
Nichteintretensentscheid behandeln konnte. Diese Praxis hält das
Bundesverwaltungsgericht für rechtswidrig. Sie verstosse gegen den
Rechtsschutz, wie ihn die Bundesverfassung garantiert: Jede Person hat
bei Rechtsstreitigkeiten Anspruch auf Beurteilung durch eine
richterliche Behörde.
Nach Angaben des Sprechers des Gerichts, Andrea
Arcidiacono, handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Im Moment seien
beim Bundesverwaltungsgericht 146 Fälle hängig, bei denen es
um die Anwendung des Dublin-Abkommens gehe, sagte er. Das Urteil hat
deshalb weitere Folgen für das BFM: In knapp einem Dutzend
Fällen habe das Gericht das BFM angehalten, auf die
Rückführung der zu schnell weggewiesenen Personen in die
Schweiz hinzuarbeiten.
Flüchtlingshilfe begrüsst Urteil
Nach dem Urteil muss das BFM seine Praxis anpassen.
Asylsuchenden, die einen Nichteintretensentscheid erhielten, muss
genügend Zeit eingeräumt werden, damit eine Beschwerde
behandelt werden kann. Zudem muss das BFM dem Afghanen eine
Entschädigung von 3410 Franken bezahlen.
Aus Sicht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, die
den Rekurs anstrengte, zeigt der Entscheid, dass in Schweizer
Asylverfahren "wesentliche Verfahrensmängel" bestünden, wie
die Organisation mitteilte. Man hoffe auf eine menschenrechtskonforme
Anwendung des Dublin-Abkommens. (sda)
Urteil E-5841/2009 vom 2. Februar.
---
NLZ 11.2.10
Asylbewerber
Das Gericht unterbindet die Sofort-Abschiebung
Fabian Fellmann
Seit dem Schengen-Beitritt hat die Schweiz Tausende
Asylbewerber so schnell wie möglich ausgeschafft. Nun muss der
Bund bremsen.
Es ging alles sehr schnell im vergangenen Sommer. Der
heute 19-jährige Afghane kam im Juni 2009 aus Griechenland via
Ungarn und Österreich in die Schweiz und stellte einen Asylantrag.
Am 14. September wurde ihm mündlich erklärt, das Bundesamt
für Migration trete darauf nicht ein, weil er in Griechenland in
den Schengen-Raum eingereist sei. Und am 15. September um 9.45 Uhr sass
der Mann bereits wieder im Flugzeug zurück in die griechische
Hauptstadt Athen. Denn, so besagt ein Grundsatz der Schweizer
Asylpolitik: Leute, die hier keine Chance auf Asyl haben, sollen so
schnell wie möglich das Land verlassen.
Ganz so schnell gehe es aber nicht, hat das
Bundesverwaltungsgericht nun entschieden. Zwar ist die Schweiz mit den
zweiten bilateralen Abkommen auch den Verträgen von Schengen und
Dublin der EU beigetreten, welche seit September 2008 in Kraft sind.
Und die besagen, dass Flüchtlinge in jenem Staat ein Asylgesuch
stellen müssen, in dem sie in den Schengen-Raum einreisen.
Gelangen sie später an ein anderes Land, wie der Afghane im
aktuellen Grundsatzurteil, werden sie automatisch ins erste Land
zurückgeschickt. 3486 Entscheide hat das Bundesamt für
Migration im vergangenen Jahr, gestützt auf diese Regel,
gefällt.
Urteil kam zuerst nur mündlich
Diese bleibt trotz des gestrigen Urteils gültig, doch
war das Bundesamt für Migration in der Beschleunigung der
Verfahren etwas übereifrig, wie die Bundesverwaltungsrichter
befunden haben. Der Afghane zum Beispiel hatte gar keine Zeit,
Beschwerde gegen den Nichteintretensentscheid des Bundesamts für
Migration einzulegen. "Das Urteil wurde ihm mündlich
eröffnet", sagt Adrian Hauser, Sprecher der Schweizer
Flüchtlingshilfe. Die Anwältin des Afghanen erhielt das
Urteil per Fax am gleichen Tag und reichte am anderen Tag Beschwerde
ein. Doch als das Bundesverwaltungsgericht wieder einen Tag später
verfügte, der Mann dürfe vorerst bis zum Vorliegen eines
Urteils nicht abgeschoben werden, war der bereits seit zwei Tagen in
Griechenland.
Die Asylsuchenden hätten aber ein Anrecht darauf, den
Rechtsweg zu beschreiten, urteilt jetzt das Bundesverwaltungsgericht,
und für eine sofortige Ausschaffung habe das Bundesamt für
Migration gar keine Rechtsgrundlage. Entsprechend hätte der
Afghane erst ausser Landes gebracht werden dürfen, nachdem ein
Gericht die Möglichkeit gehabt hätte, den
Nichteintretensentscheid auf die Einhaltung der Menschenrechte zu
überprüfen. "Was eine angemessene Frist ist, sagt das
Bundesverwaltungsgericht nicht. Aber man spricht in der Tendenz von
fünf Tagen", erklärt Adrian Hauser von der
Flüchtlingshilfe. "Das ist relativ wenig, würde aber die
Gelegenheit geben, die Rekurse seriös zu prüfen. Und es ist
eine vertretbare Frist, welche den ganzen Apparat nicht unnötig
aufbläst." Zudem dürfe das Bundesamt für Migration die
Entscheide künftig nicht mehr nur mündlich oder per Fax
eröffnen, sondern nur noch schriftlich per Post.
Der Afghane wird zurückgeholt
Die Flüchtlingshilfe hat den Afghanen vor
Bundesverwaltungsgericht vertreten. Sie wollte einen Grundsatzentscheid
erwirken.
Das Bundesverwaltungsgericht weist aber in seinem Urteil
bereits darauf hin, dass der Bundesrat eine Revision des Asylgesetzes
vorbereitet hat. Darin schlägt dieser vor, dass die sofortige
Ausschaffung bei Dublin-Entscheiden ausdrücklich im Gesetz
festgeschrieben wird. Fraglich ist, ob dies nach dem gestrigen Urteil
noch möglich ist. Das Bundesamt für Migration nahm gestern
inhaltlich noch nicht Stellung; man müsse das Urteil zuerst intern
prüfen.
Ob dieses für den jungen Afghanen überhaupt
Folgen haben wird, ist offen. Der Kontakt ist laut Adrian Hauser
abgebrochen; es sei fraglich, ob der Mann in Griechenland ins
Asylverfahren aufgenommen werde. Die Ironie: Der Afghane dürfte
wieder in die Schweiz kommen, und zwar auf Kosten der
Eidgenossenschaft. Nachdem das Bundesamt für Migration ihn
vorschnell ausgeschafft hatte, soll es nun alles unternehmen, um ihn
wieder herzuholen, damit er seine Rechte wahrnehmen kann, hat das
Bundesverwaltungsgericht geurteilt.
---
Bundesverwaltungsgericht 2.2.10
http://relevancy.bger.ch/pdf/azabvger/2010/e_05841_2009_2010_02_02_t.pdf
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SEMPACH
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Wilisauer Bote 12.2.10
Luzerner SVP verteidigt "junge Patrioten"
Sempach | Petition zur Schlachtfeier
Die Sempacher Schlachtfeier soll weiter im gewohnten
Rahmen stattfinden. Die Luzerner SVP lancierte eine entsprechende
Petition.
In den letzten Jahren entwickelte sich die Feier, die an
die Schlacht von 1386 erinnert, zu einem Treffpunkt von Rechtsextremen.
2009 organisierten die Juso deswegen eine Demonstration. Damit sich die
Gruppen nicht in die Quere kamen, war ein grosses Polizeiaufgebot
nötig, das 300 000 Franken kostete.
Denkpause und neues Konzept
Der Regierungsrat will deshalb eine Denkpause einlegen und
mit einem neuen Konzept verhindern, dass die Feier zu einer
verpolitisierten Plattform verkommt. Diese Pläne stiessen bei den
bürgerlichen Parteien aber auf Kritik. Die Stadt Sempach
kündigte an, dieses Jahr in Eigenregie eine Feier zu organisieren.
Die Petition der SVP
Am heftigsten reagierte nun die SVP. Nach ihrer Ansicht
schafft die Regierung mit ihren Plänen "den letzten patriotischen
Gedenkanlass des Kantons" ab. Der Regierungsrat kusche vor den
Linksextremen, die die friedlich und anständig an der
Schlachtfeier teilnehmenden "jungen Patrioten" als Rechtsextreme
verschrien hätten. Die SVP fordert in ihrer Petition die Regierung
auf, die Schlachtfeier im gewohnten Rahmen durchzuführen und sich
gleichzeitig für die "Schweizerische Kultur und unsere historische
Vergangenheit einzusetzen".
Juso: "Nicht gegen Feier"
Die Juso wiesen in einer Mitteilung die Kritik der SVP
zurück. Sie seien nicht die Auslöser der Debatte, sondern
hätten ein Problem aufs Tapet gebracht. Sie seien nicht gegen die
Schlachtfeier, schreiben die Juso. Wer ein ruhiges und schönes
Volksfest haben wolle, müsse es aber von Rechtsextremen freihalten
und dürfe diese nicht verharmlosen.sda/WB
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Zofinger Tagblatt 12.2.10
"Einen Kniefall kann es nur vor Gott geben"
Kanton Der Schriftsteller und Historiker Pirmin Meier
appelliert an die "ungebetenen Gäste" an der Schlachtfeier
624 Jahre sind seit der Schlacht bei Sempach vergangen.
Warum gedenken wir noch immer der damals Gefallenen?
Pirmin Meier: Der Krieg war zur Zeit der alten
Eidgenossenschaft, so paradox das heute klingen mag, Bestandteil der
Kultur, eine Art Ritual, wie das zum Beispiel in den Schlachtgebeten
zum Ausdruck kam. Nicht selten fand der Krieg, wie zum Beispiel im Fall
Sempach, zwischen Heuet und Emdet statt, also in einer Phase, da die
landwirtschaftliche Arbeit ruhte oder den Frauen überlassen blieb.
Rechtlich gesehen war der Krieg die Fortsetzung eines Prozesses mit
anderen Mitteln. Das Resultat des Krieges wurde als eine Art
Gottesurteil gesehen. Im Fall der Schlacht bei Sempach bedeutete dies
einen vorläufigen Schritt zur Ausdehnung des Territorialstaates
Luzern. Dies galt jedoch erst nach der Eroberung des Aargaus (1415), zu
dem dieses Gebiet ja auch gehörte, historisch nachhaltig. Die
Schweiz als Eidgenossenschaft hat sich erst im 15. Jahrhundert
endgültig von Habsburg abgesetzt. Dessen wurde man sich bei der
Schlachtfeier zunehmend bewusst.
Sie waren vor zwei Jahren Redner an der Schlachtfeier. Wie
haben sie die damalige Feier in Erinnerung?
Meier: Es waren wertvolle Begegnungen, zum Teil auch mit
Magistraten aus Nachbarkantonen, aber auch mit dem mittlerweile
verstorbenen alt Regierungsrat Hans-Ernst Balsiger, meinem Aargauer
Landsmann, dazu mit ehemaligen Schülern und Menschen aus der
Region. Für den Fall, dass Rechtsextreme bei der Feier
gestört hätten, hatte ich entsprechende "Rede-Munition"
vorbereitet. Dies war aber nicht der Fall. Jedoch wurde über diese
Randgruppe in den Medien mehr berichtet als über den Kern der
Feier. Mit dem Festprediger, dem Luzerner Schultheissen wie auch mit
dem Gros der Teilnehmer der Gedenkfeier habe ich mich ausgezeichnet
verstanden. Es war eine schöne und im Prinzip würdige Feier.
Was verstehen Sie unter dem Begriff "Rede-Munition"?
Meier: Dass ich auf Störungen, Zwischenrufe,
Geschmacklosigkeiten und generelle Überraschungen so weit wie
möglich vorbereitet bin und darauf reagieren kann.
Schlagfertigkeit ist eine Tugend, aber viele Schlagfertige sind
schlagfertig, weil sie mit einer Situation rechnen. Über die
Rechtsextremen habe ich mich damals absolut nicht gefreut, gerade weil
keine Auseinandersetzung stattfindet. Immerhin muss man für den
Fall einer Störung gewappnet sein, auch verbal.
Damals betonten Sie, dass die Feier der älteste
historische Gedenktag der Schweiz ist und auch karitative Züge
trug. Wie verliefen frühere Feiern ab?
Meier: Ganz ursprünglich war die Feier wenig
politisch, eben ein "Jorzet" für die Toten beider Lager. Aber um
1844, am Vorabend der Freischarenzüge, fielen bei liberalen
Rednern, etwa Kasimir Pfyffer, Bekenntnisse zum republikanischen
Gedankengut auf. Dieses Bekenntnis versuchte ich in meiner Rede von
2008 zu erneuern.
Der Luzerner Regierungsrat will die Dreigliederung in
einen Gottesdienst in der Pfarrkirche, einen Festzug auf das
Schlachtfeld und die Gedenkfeier entschlacken und nur noch einen
"schlichten Gottesdienst" abhalten. Ein Kniefall vor den Extremen oder
ein sinnvoller Marschhalt?
Meier: Einen Kniefall kann es nur vor Gott geben. Jeder
andere Kniefall wäre undemokratisch und unrepublikanisch. Eine
Besinnungspause halte ich aber für richtig. Doch sollte anstelle
des Predigers, falls dieser nicht erstklassig ist, auch in der Kirche
ein weltlicher Redner zu Wort kommen, und zwar zum Beispiel ein Redner
oder eine Rednerin vom Format eines Peter von Matt. Bis 2011,
spätestens aber 2015 (Jubiläum von Morgarten und von 200
Jahre Neu-tralität am Wiener Kongress) muss aber die Schlachtfeier
bei der Schlachtkapelle wieder aufgenommen werden.
2011 soll die Feier in überarbeiteter Form abgehalten
werden. Braucht es Änderungen?
Meier: Der Schwerpunkt der Feier könnte vermehrt auf
musikalische Beiträge gelegt werden. Worte der Besinnung sind auch
in Zukunft wichtig, jedoch nicht im Nebensinn von Wahlwerbung. Die
Präsenz ungebetener Gäste ist nie ganz auszuschliessen. Dass
diese auf direkte Störungen verzichten und sich anständig
aufführen, ist das Minimum, was zu erwarten wäre. Da die
Linksextremen sich mangels historischen Wissens für harmloser
halten als ihre rechten Antipoden, mussten sie mit Vermummung und
Pöbelplakaten auf sich aufmerksam machen. Wenn dieses Verhalten
Schule macht, muss man sich vielleicht sogar über mehrere Jahre
auf den Festgottesdienst mit Ansprache beschränken.
Pirmin Meier trat vor zwei Jahren als Festredner an der
Schlachtfeier in Sempach auf. Er schildert im Interview seine
Eindrücke der laufenden Debatte um Beibehaltung oder Marschhalt
der Feier.
Thomas Stillhart
Update
Der Regierungsrat hat entschieden, die Schlachtfeier in
diesem Jahr auf eine schlichte Feier zu reduzieren. Eine Arbeitsgruppe
unter Staatsschreiber Markus Hodel ist derweil eingesetzt worden, um
bis im nächsten Jahr, dem 625. Gedenkjahr, ein neues Konzept der
Feier auszuarbeiten. (sti)
---
Blick am Abend 10.2.10
Politische Kampfansage wegen Schlachtabsage
Knatsch
Wegen der Schlachtfeier von Sempach fahren sich Linke und Rechte
mächtig an den Karren.
Die Luzerner SVP wehrt sich mit einer Petition gegen die
abgesagte Schlachtfeier von Sempach. Der traditionelle Anlass soll 2010
nur mit einem Gottesdienst gefeiert werden, da es in vergangenen Jahren
wiederholt zum Aufmarsch von Rechtsextremen und zu Protestaktionen von
Linken kam. SVP-Sprecher Anian Liebrand fi ndet den Entscheid der
Luzerner Regierung daneben. "Die Schlachtfeier darf nicht Linken
geopfert werden", schrieb er in einer Mitteilung. Die Antwort folgte
prompt: In einem Schreiben werfen SP und Juso der SVP, insbesondere
Liebrand, vor, Rechtsextreme in Schutz zu nehmen und diese als "junge
Patrioten" zu verharmlosen. Das wiederum stösst Liebrand sauer
auf. Der politische Kleinkrieg dürfte also in eine nächste
Runde gehen. pi
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NARRENKRAUT
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BZ 12.2.10
Gesundheit
Kiffer schlecht drauf
Cannabis-Konsumierende klagen häufiger über
psychische Probleme als Personen, die nie kiffen.Das zeigt eine neue
Studie.
Kiffer leiden häufiger an psychischen Problemen.
Unklar ist, ob Cannabis die Ursache ist oder ob Menschen mit
psychischen Problemen eher zum Joint greifen. Insgesamt leidet nur eine
Minderheit der Kiffer unter solchen Beschwerden. Zu diesen
Feststellungen gelangt die Schweizerische Fachstelle für Alkohol-
und andere Drogenprobleme (SFA) nach einer Analyse der
repräsentativen Daten der letzten Schweizerischen
Gesundheitsbefragung von 2007. Ist der Cannabiskonsum aktuell und
regelmässig, leiden Betroffene demnach eher unter Depressionen,
psychischen Belastungen oder allgemeiner Schwäche, Müdigkeit
und Energielosigkeit als Personen, die nicht konsumieren. Wer oft
kifft, berichtet vermehrt über entsprechende Beschwerden, heisst
es. Als gesichert gilt laut SFA, dass bei gewissen Menschen latent
vorhandene Psychosen eher ausbrechen, wenn sie Cannabis konsumieren,
und dass der Krankheitsverlauf durch Cannabis verschlimmert oder
beschleunigt werden kann.
sda
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LITTLE HELPERS
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BZ 12.2.10
Medizin
Suchtauslöser im Hirn entdeckt
Ein Forscher der Universität Genf fand heraus, wie
Sucht entsteht. Er belegte durch Tests mit Mäusen, wie
Medikamente, die Benzodiazepine enthalten, zwanghaftes Suchtverhalten
auslösen: durch Veränderungen im Hirn.
Die meist verwendeten Schlaf- und Beruhigungsmittel wie
beispielsweise Temesta, Dalmadorm, Seresta oder Valium gehören
pharmakologisch gesehen zur Klasse der Benzodiazepine. Obwohl die
Gefahr der Gewöhnung bei regelmässiger Einnahme dieser
Arzneimittel bekannt ist und obwohl Benzodiazepine als Medikamente mit
der weltweit höchsten Missbrauchsrate gelten, war bisher
umstritten und unklar, ob und wie sie süchtig machen.
Medikamente auf der Basis von Benzodiazepine können
angstlösend, krampflösend, muskelentspannend, beruhigend,
schlaffördernd oder leicht stimmungsaufhellend wirken. Und sie
können zeitweise die Erinnerung blockieren. Damit werden sie gegen
eine Fülle von Krankheiten eingesetzt. Am häufigsten
verschreiben die Ärzte sie zur Bekämpfung von Ängsten
und als Schlafmittel.
Professor Christian Lüscher, Neurowissenschafter an
der Universität Genf, und sein Forscherteam konnten an Hand von
Versuchen mit Mäusen erstmals aufdecken, wie Benzodiazepine im
Hirn wirken. Sie verstärken einen hemmenden Neurotransmitter,
indem sie an die GABA(A)-Rezeptoren der Nervenzellen andocken. Diese
Rezeptoren sind aus Untereinheiten zusammengesetzt.
Lüscher deckte auf, dass die Suchtwirkung der
Benzodiazepine von Rezeptoren der Untereinheit "alpha 1" abhängig
ist. Weil Benzodiazepine aber an alle GABA(A)-Rezeptoren andocken,
wirken sie auch auf jene Nervenzellen ein, die das natürliche
Suchtverhalten des Menschen einschränken. In diesem Punkt
unterscheiden sie sich nicht von Heroin und anderen Drogen.
Gezieltere Wirkung im Hirn
Aus früheren Untersuchungen ging hervor, dass die
Angst lösende Wirkung der Benzodiazepine hauptsächlich von
der Untereinheit "alpha 2" des GABA(A)-Rezeptors vermittelt wird.
Christian Lüscher: "Unsere Tests beweisen also, dass
angstlösende Medikamente nicht grundsätzlich auch
suchtbildend sein müssen." Substanzen, die keine Wirkung auf
"alpha 1" haben, würden keine der Nervenzellen lähmen, die
das Suchtverhalten eindämmen.
Es gibt bereits Substanzen, die nicht an die "alpha
1"-Untereinheit andocken. Sie wurden bislang aber noch nicht klinisch
entwickelt. Christian Lüscher: "Einige dieser Substanzen wurden
wegen ihrer Toxizität ausgeschieden. Sie führten zu Problemen
mit der Leber und der Haut." Die Giftigkeit der Substanzen hing aber
nicht mit ihrer Wirkung auf die GABA(A)-Rezeptoren zusammen.
Lüscher: "Die Schwierigkeit besteht nun darin, die
veränderten Moleküle der auf ‹alpha 1› nicht einwirkenden
Substanzen zu nehmen und sie so weit zu bringen, dass man sie an einer
grösseren Gruppe von Patienten testen kann."
Lüscher hofft, dass seine vorklinische Studie hilft,
das Interesse der Pharmaindustrie an der Entwicklung entsprechender
Substanzen zu verstärken. Solange die Benzodiazepine nicht durch
Verbote bedroht sind, ist das nicht selbstverständlich.
Gute Chancen im Markt
Dabei wäre die Perspektive für die Pharmabranche
gut. Lüscher glaubt, dass dank seiner Entdeckung auch Medikamente
etwa gegen Fress- und Spielsucht zu entwickeln wären. Bislang sind
Süchte zwar behandel-, aber generell nicht heilbar.
Der European Brain Council EBC in Brüssel beziffert
die durch Suchterkrankungen allgemein entstandenen Schäden in
Europa auf 60 Milliarden Euro (90 Milliarden Franken) - jährlich.
Das wirtschaftliche Potenzial für suchtbekämpfende
Medikamente ist also enorm gross.
Thomas Kohler
---
Basler Zeitung 12.2.10
Tranquilizer bringt Belohnungssystem aus der Ruhe
Genfer Forschungsteam klärt auf, warum Benzodiazepine
süchtig machen, und fordert Alternativen
Benzodiazepine sind in Beruhigungs- und Schlafmitteln weit
verbreitet. Doch sie machen auch süchtig. Weil sie das
Belohnungssystem entfesseln und das Hirn verändern, wurde in Genf
gezeigt.
Die meist verwendeten Schlaf- und Beruhigungsmittel wie
beispielsweise Temesta, Dalmadorm oder Valium gehören zur Klasse
der Benzodiazepine. Obwohl die Gefahr der Gewöhnung bei
regelmässiger Einnahme dieser Arzneimittel bekannt ist und
Benzodiazepine als Medikamente mit der weltweit höchsten
Missbrauchsrate gelten, war bisher unklar, ob und wie sie süchtig
machen.
Jetzt beschreiben Christian Lüscher und sein Team an
der Universität Genf in "Nature", unterstützt mit
Forschungsgeldern des Schweizerischen Nationalfonds, was dahinter
steckt. Benzodiazepine vermindern - genau wie Heroin, Haschisch und
andere Drogen auch - die Aktivität jener Neuronen, die
normalerweise das Belohnungssystem im Mittelhirn im Zaum halten. Wenn
aber das entfesselte Belohnungssystem keiner Kontrolle mehr untersteht,
kann es mit der Zeit abwägende Entscheide verunmöglichen und
zwanghafte Sucht auslösen.
Den diesem Verhalten zugrunde liegenden molekularen
Mechanismus haben die Wissenschaftler in Mäusehirnen
entschlüsselt. Demzufolge docken sich Benzodiazepine an bestimmte
Eiweisse, sogenannte Gaba(A)-Rezeptoren, an. Diese sind - je nach
Nervenzelle, auf deren Oberfläche sie sich befinden - aus
unterschiedlichen Untereinheiten zusammengesetzt und vermitteln
verschiedene Funktionen.
Gebunden an alle
Weil die momentan auf dem Markt erhältlichen Benzodiazepine
(mit wenigen Ausnahmen) sich an alle Untereinheiten binden, wirken sie
so vielfältig: Sie heben etwa Angstzustände auf, lösen
epileptische Muskelkrämpfe und fördern den Schlaf - und
machen gleichzeitig auch süchtig. Die Forschenden um Christian
Lüscher haben nun aufgedeckt, dass die süchtig machende
Wirkung der Benzodiazepine von Gaba(A)-Rezeptoren von der Untereinheit
alpha1 abhängig ist. Sie verabreichten normalen Mäusen
Benzodiazepine, worauf sich deren Hirnfunktionen veränderten und
schliesslich zu einer verstärkten Aktivität des
Belohnungssystems führten. Darüber hinaus bevorzugten diese
Mäuse im Laufe von einigen Tagen immer mehr die Flasche, die in
Zuckerwasser gelöste Benzodiazepine enthielt, als eine identische
ohne. Kontrollmäuse aber, deren Untereinheit alpha1 aufgrund einer
Mutation keine Benzodiazepine an sich binden konnte, verloren weder die
Kontrolle über ihr Belohnungssystem im Hirn noch legten sie Sucht
an den Tag. Weil - wie früher belegt - die angstlösende
Wirkung der Benzodiazepine hauptsächlich von einer anderen
Untereinheit alpha 2 des Rezeptors vermittelt wird, steht für
Christian Lüscher fest, dass die Entwicklung von
angstlösenden, aber nicht süchtig machenden Wirkstoffen
prinzipiell möglich sein muss.
Alternativen suchen
Solche selektiv wirksamen Substanzen, die nur mit vereinzelten
Untereinheiten interagieren, sind zwar vorhanden, wurden bisher jedoch
nicht klinisch entwickelt. "Dies erachte ich jedoch als dringlich",
sagt er, "vor allem, weil von Ängsten geplagte Menschen besonders
suchtgefährdet sind."
snf/hckl
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RECLAIM THE FIELDS
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Indymedia 10.2.10
Reclaim the Fields - Widerstand ist fruchtbar ::
AutorIn : Jay Digger: http://www.reclaimthefields.org/
Vom 30. September bis 4. Oktober letzten Jahres, trafen sich
mehrere hundert politisch engagierte Jungbäuer_Innen und
-gärtner_Innen, oder jene die es werden wollen, auf dem
Kollektiv-Hof Cravirola im äußersten Süden Frankreichs.
Doch wie kam es dazu? Die Geschichte begann auf dem Via
Campesina-Jugendcamp in Malmö im September 2008. Dort muss wohl
eine Gruppe junger Menschen entschlossen haben, dass es ein
eigenständiges ViaCampesina-nahes aber trotzdem unabhängiges
Netzwerk in Europa braucht. Für
Ernährungssouveränität. Für eine bäuerliche
Landwirtschaft. Für eine Zukunft mit viel mehr junge Menschen auf
dem Land. Für eine bedürfnisorientierte, dezentrale,
kollektive und autonome Nahrungsmittelproduktion als Alternative zum
globalisierten und industrialisierten Kapitalismus. Für eine
Verbindung unserer ländlichen Widerständigkeit mit anderen
sozialen Kämpfen, weltweit. Um zu diskutieren, uns auszutauschen,
zusammen zu leben, voneinander zu lernen, uns Mut zu zusprechen, uns zu
wehren und unser Leben in die eigenen Hände zu nehmen.
Und das taten wir. Wir, dass waren Menschen aus wirklich allen
Ecken des Kontinents. Im mild-sonnigem Spätherbst führten uns
schließlich nicht Enden wollende Serpentinen auf dem idyllischen
südfranzösischen Gehöft bei Minerve zusammen. Auf dem
weitläufigen Gelände tauchten immer mehr Zelte und Wägen
auf. Das ganze Camp über, fanden sich Menschen in kleinen
Grüppchen zusammen. Mal ganz informell, mal in konkreten
Workshops. Politisch motivierte Übersetzer sorgten mit teils
moderner aber nicht ganz so zuverlässiger Technik für
Übersetzungen ins Englische, Spanische und Französische.
Damit fielen auch die Sprachbarrieren. Das Camp organisierte sich
selbst. Hier kochten einige (regional, bio und vegan versteht sich) und
schenkten Wein aus, dort bauten jene die letzte Infrastruktur auf oder
begrüßten Neuankömmlinge und wieder andere
säuberten täglich die Solarduschen und Kompostklos. Bis tief
in die Nacht knisterte das Lagerfeuer und die Geigen und Quetschkomoden
kamen zum Vorschein. Erst leise und zurückhaltend, begleiteten die
Musiker_Innen bald leidenschaftlich die nächtlichen
Kreistänze. Einen anderen Abend führte die Delegation aus
Südamerika ein ganz eigenes Theaterstück um uns ihre
Situation nahe zu bringen.
Und am Tag danach immer wieder Fragen, und viele verschiedene
Antworten:
Was heißt es heute Bäuer_In zu werden? Wie kann Land
wieder entprivatisiert und als Gemeingut, jungen Menschen zur
Verfügung gestellt werden? Welche Rechts- und Finanzierungsformen
gibt es in unseren Regionen? Wie erlangen wir Zugang zu Land? Sollten
wir es den Landlosen in Südamerika gleich tun und mit Besetzungen
beginnen? Wer besitzt das Land in unseren Regionen? Neugründer und
Abgebende müssten zusammen gebracht werden war ein oft
gehörtes Credo. Eine Delegation aus Ungarn berichtete über
die vollkommen andere Sitution bei sich vor Ort und in Osteuropa
allgemein. Die geschichtlichen Hintergründe wurde erläutert;
Wirkungslosigkeit von Moratorien gegen Landnahme durch externe
Investoren und Landflucht als heutige Probleme benannt.
Wie können sich zukünftige Bäuer_Innen Wissen
aneignen? Welche Bildungsmöglichkeiten gibt es? Und: Wie kann eine
alternative Ausbildung aussehen die sowohl unseren Ansprüchen als
auch jenen der erfahrenen Bäuer_Innen gerecht wird? Dieser Frage
gingen wir in meiner Kleingruppe auf den Grund. Viele wünschten
sich ein möglichst gleichberechtigtes Verhältnis und einen
reflektierten Umgang mit den bestehenden Wissenshierarchien in der
Ausbildung. Es war ein starker Bedarf für eine gute und
strukturierte Vermittlung von bäuerlichem Wissen trotz der vielen
ökonomischen Zwänge fühlbar und der Wunsch nach mehr
Bewusstsein auf den Höfen, dafür was es heißt in diesen
kapitalistischen und autoritären gesellschaftlichen Umständen
gute Landwirtschaft betreiben zu wollen und deshalb schließlich
auch dir Hoffnung auf mehr Bereitschaft sich gegen diese Umstände
zur Wehr zu setzen. Zusammen mit den "Lernenden".
Welche Dynamiken gibt es in kollektiven Hofgemeinschaften (Aus
der BRD waren u.a. da: Karlshof, Ulenkrug und die Garten-Kooperative
Freiburg)? Wie können wir einander helfen? Wie kann eine
solidarische, nicht-kommerzielle Produktion aussehen? Kooperativen aus
der Schweiz, Frankreich und Spanien stellten sich vor und
erläuterten ihre Versuche dem Prinzip "Jeder gibt was er_sie kann
und bekommt was er_sie braucht" gerecht zu werden. Praktiziert werden
die Einbindung der "Konsumenten" in die Produktion, kollektive
(finanzielle) Jahresplanung und schließlich die bedingungslose
zur Verfügung-Stellung der hofeigenen Produkte in der CSA /
Wirtschaftsgemeinschaft und den Kooperativen.
Was heißt bäuerliche Landwirtschaft und
Ernährungssouveränität? Welche Anbaumethoden passen dazu
und welche nicht? Hier wurden Konzepte wie Permakultur,
organisch-biologisch und bio-dynamischer Landbau, Agrarökologie
und bäuerliche Landwirtschaft vorgestellt und trotz verschiedener
Schwerpunkte als sich gut ergänzende Denksysteme anerkannt. Andere
Kleingruppen trafen sich in fachspezifischeren Kreisen: Imkerei, Tier-
oder Pflanzenzüchtung. Ein offener Saatgut-Tausch ließ die
Solidarität praktisch werden.
Und wohin nun? Nun geht es wohl darum diesem Aufbruch eine
Kontinuität zu verleihen. "Zu Hause" aktiv zu werden und uns immer
wieder auszutauschen. Als nächstes beim gemeinsamen Widerstand in
Kopenhagen gegen die Klimazerstörung durch die industrielle
Landwirtschaft und dann beim nächsten Camp in Ungarn 2010.
Und in der BRD? Nun ja, bei der Tagung "Zukunftsfähige
Landwirtschaft" des AgrarBündnisses (
http://www.agrarbuendnis.de/) fanden sich alle Akteuere außer
"uns". Dem was mensch wohl "Aktivist_Innen aus sozialer Bewegung" und
"politisch-bäuerliche Jugend" nennen könnte. Klar, ein
Netzwerk gibt es noch nicht. Aber was nicht ist kann ja noch werden.
Also: Meldet euch Jungbäuer_Innen und bildet Banden!
Und auch ihr, widerständige Bäuer_Innen: Nehmt Kontakt
auf und werdet aktiv, wenn ihr Interesse habt an einem alternativen
Ausbildungsverbund oder dem Austausch zu explizit politischem Leben auf
dem Land, alternativen Wirtschaftsformen oder den vielen anderen Themen.
In diesem Sinne: "Semons des Alternatives" - "Lasst uns
Alternativen säen".
Infos zum letztjährigen Camp: http://www.reclaimthefields.org/content/pictures-camp-and-action
Reclaim the Fields in Kopenhagen: http://www.reclaimthefields.org/content/rtf-cop-15-text-pics-videos
Infos Allgemein: http://www.reclaimthefields.org/
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GEFANGENEN-INFO
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Indymedia 10.2.10
Zur Geschichte des Gefangenen Infos ::
AutorIn : Redaktion des Infos: http://www.gefangenen.info
Seit 21 Jahren gibt es diese Zeitschrift aus der BRD. In ihrer
neuen Ausgabe 352 gibt es einen lesenswerten Artikel zur Historie.
Das heutige "Gefangenen Info" ist im Frühjahr 1989
anlässlich des zehnten kollektiven Hungerstreiks der Gefangenen
aus der RAF und des antiimperialistischen Widerstands unter dem Titel
"Hungerstreik-Info" entstanden. Lange Jahre wurde es von den
Angehörigen der politischen Gefangenen aus der BRD herausgegeben
und vom GNN-Verlag verlegt.
Seitdem sind beinahe 21 Jahre vergangen. Um den damaligen
Hintergrund der Auseinandersetzungen um die Gefangenenfrage besser zu
verstehen, müssen wir uns die damalige politische Situation noch
einmal vergegenwärtigen. Insbesondere wurde die Haftsituation und
deren Auswirkungen auf die Eingesperrten kritisiert. Diese als
"weiße Folter" bezeichneten Haftbedingungen hinterließen
oft keine sichtbaren physischen Spuren. Selbst die UNO hatte die
Isolationshaft als Folter geächtet. 9 politische Gefangene hatten
bisher den Knast nicht überlebt.
Dieser besagte zehnte (und letzte) kollektive Hungerstreik der
Gefangenen aus der RAF wurde gemeinsam mit den Gefangenen aus dem
antiimperialistischen Widerstand geführt. Diese Gefangenen hatten
draußen im Gegensatz zu denen aus der RAF nicht bewaffnet als
Stadtguerilla gekämpft. Die GenossInnen aus dem Widerstand wurden
u.a. dafür kriminalisiert und eingesperrt, weil sie sich mit den
Illegalen aus der RAF zum Gedankenaustausch trafen, mit den Gefangenen
aus der Guerilla kommunizierten, oder sich öffentlich oder
verdeckt für die Verbesserungen der Haftbedingungen einsetzten.
Auch wenn diese Gefangenengruppen einen unterschiedlichen
Erfahrungshintergrund hatten, verband beide die politische Zielsetzung,
für eine befreite Gesellschaft und eine kommunistische Perspektive
einzutreten. Diese Ziel konnte nur durch ein abgestimmtes
internationales Handeln erreicht werden. Der Versuch, eine
"westeuropäische Front" aufzubauen, war ein Ausdruck dieser Linie.
Am 1. Februar ´89 begann der Hungerstreik mit der
Forderung nach der Zusammenlegung aller dieser Gefangenen in ein oder
zwei Gruppen und der nach der Freilassung aller haftunfähigen
Gefangenen, wie z. B. Günter Sonnenberg. Eine weitere Forderung
bezog sich auf die Zusammenlegung aller Gefangenen, die dafür
kämpfen. Zirka 40 Gefangene beteiligten sich anfangs an dieser
Aktion, etwa die Hälfte waren RAF-Gefangene, der Rest kam aus dem
Widerstand. Dem Streik schlossen sich diverse soziale und migrantische
Gefangene mit eigenen Zielen an. Verschiedene Gruppen aus der Kirche,
den Gewerkschaften und Linksradikale aus dem In- und Ausland
unterstützten die Gefangenenforderungen. Eine bundesweite
Demonstration in der damaligen Hauptstadt Bonn Ende April mit über
10.000 TeilnehmerInnen war der Mobilisierungshöhepunkt der
Solidarität mit den Gefangenen. Die Forderungen konnten im
Ergebnis nicht durchgesetzt werden. Es gab lediglich minimale
Verbesserungen, die Isolation der Gefangenen blieb aber weiter
bestehen. Statt dessen wurde das Modell bundesdeutscher Isolationshaft
in diverse Länder exportiert, nach
Spanien, Chile oder in die Türkei.
Das den Gefangenenkampf begleitende "Hungerstreik-Info" erschien
zu dieser Zeit wöchentlich mit einer Auflage von zirka 10.000
Exemplaren. Nach dem Hungerstreik wurde das Info in
"Angehörigen-Info" umbenannt. Es erschien zuerst alle zwei,
später alle vier Wochen.
Das Engagement, sich für die Gefangenen und deren
Forderungen einzusetzen, bröckelte zunehmend ab. Ein Grund war
bestimmt, dass "vergessen" wurde, dass es nicht nur um die Freiheit der
Gefangenen gehen konnte, sondern auch um die eigene im globalen
Zusammenhang. Hinzu kamen die weltweiten Umbrüche Ende der
achtziger und Anfang der neunziger Jahre, die die gesamte Linke in eine
Krise stürzten, und logischerweise auch nicht vor den politischen
Zusammenhängen dieser Zeitschrift Halt machten.
Das Kollektiv der Gefangenen aus der RAF, das über 20 Jahre
ein wichtiger Faktor war, spaltete sich und löste sich
letztendlich auf. Die solidarischen Zusammenhänge außerhalb
der Knasttore waren von einer parallelen Entwicklung betroffen. Eine
Transformation in eine neue politische Kraft gelang nicht, obwohl sich
die Bedingungen in
Großdeutschland auf allen Ebenen verschärften und
eine starke linke internationalistische und antagonistische Bewegung
wichtig gewesen wäre bzw. ist.
Das "Info" nannte sich ab 2004 "Gefangenen Info", nach dem die
Angehörigen auf Grund ihres fortgeschrittenen Alters die
HerausgeberInnenschaft aufgeben mussten. Das Blatt hatte in der
Folgezeit weiterhin die Funktion, dazu beizutragen, dass alle
Gefangenen aus diesem vergangenen Kampfprozess rauskommen. Bis auf
Birgit Hogefeld sind alle Inhaftierten aus der RAF inzwischen auf
freiem Fuß!
Der Staat versuchte wiederholt unter der Federführung der
Bundesanwaltschaft diese Zeitschrift durch rund 30 Verfahren mundtot zu
machen:
- Im Info wurde häufig das staatliche Vorgehen gegen
Gefangene kritisiert, statt die Bedingungen zu ändern, reagierte
der Staat zum Beispiel mit Verfahren nach §187 (Verleumdung);
- oder es wurde ein § 129a-Verfahren "wegen Werbung
für eine terroristische Vereinigung" eröffnet, weil
Erklärungen der RAF
dokumentiert worden sind, die in Prozessen verlesen wurden;
- weitere Anlässe waren Artikel, die die staatliche Version
z.B. der Selbstmorde in Stuttgart-Stammheim am 18.10.1977 oder von
Wolfgang Grams am 27.6.1993 in Bad Kleinen thematisierten und damit in
Frage stellten.
Mit dem neuen Verfahren nach § 187, das im Sommer 2009
gegen das "Info" angestrengt wurde, zeigt sich, dass die Behörden
weiterhin verhindern wollen, dass die Isolationshaft "Made in Germany"
thematisiert wird. So wurde in den neunziger Jahren dieses Haftmodell
in die Türkei exportiert. Aktuell wird die Isolationshaft an
türkisch-kurdischen Gefangenen exekutiert, die wegen des §
129b inhaftiert sind. Auch die Sondergesetze und -gerichte bestehen
weiter und werden ausgebaut.
Im "Info" wurde auch die Geschichte des weltweiten Aufbruchs von
1968 authentisch dargestellt, aus denen die Gefangenen aus der RAF
kamen. Diese Geschichte des Widerstandes soll aus dem Gedächtnis
und Köpfen der alten und jungen Menschen ausradiert werden, damit
es schwieriger wird, heute zu kämpfen. Neben der Leugnung der
Isolationshaftbedingungen werden auch die Gründe der weltweiten
Rebellion für eine freie und emanzipatorische Gesellschaft, durch
die herrschende Klasse regelmäßig durch Typen wie Stefan
Aust u.a. umgeschrieben und damit verfälscht, weil sie sich vor
einem neuen Aufstand fürchten. Sie wissen natürlich,
dass ein neuer globaler Aufstand kommen wird...
Wolfgang, seit Ende 1991 Mitarbeiter des Infos
Dieser Beitrag erschien in der Ausgabe 352 des Gefangenen Infos.
Aus dem Vorwort:
Liebe Leserinnen und Leser,
wir möchten uns zunächst bei allen Gefangenen,
Leserinnen und Lesern, Unterstützerinnen und Unterstützern
bedanken, die es ermöglicht haben, die Zeitung am Leben zu
erhalten. Dank der solidarischen Unterstützung in Form von Spenden
und Verbreitung der Zeitung können wir sagen, dass wir das Jahr
2009 trotz einiger schwieriger Momente mit einer positiven Bilanz
hinter uns gelassen haben.
Wir berichteten in unseren letzten Ausgaben, dass unser
presserechtlicher Verantwortlicher Wolfgang Lettow wegen eines Artikels
mit dem Titel "Blind in Beugehaft" (Ausgabe 348) eine Strafanzeige
erhalten hatte. Nun folgte dem ein Strafbefehl in Höhe von 2.800
Euro (40 Tagessätze), gegen den Einspruch erhoben wurde. Wir
erwarten nun eine Gerichtsverhandlung, die wir natürlich nicht
undokumentiert lassen werden.
Bereits zuvor hatte die Herausgeberin der Onlinezeitung
"scharf-links", Edith Bartelmus-Scholich, einen Strafbefehl über
12.000 Euro wegen desselben Artikels erhalten. Der Prozess gegen Edith
beginnt am 16. Februar 2010 vor dem Amtsgericht Krefeld.
Diese Ausgabe hat den Konflikt im Baskenland als Schwerpunkt und
versucht, einen aktuellen Ein- und Überblick zur Situation
baskischer politischer Gefangener und zur Repression dort zu liefern .
Wir schließen uns damit dem Aufruf für die europaweiten
Aktionstage an. Wir verweisen in unserem Einleitungsbeitrag auf Seite 4
auf die baskischen politischen Gefangenen, die ab März diesen
Jahres in den Widerstand treten werden. Diese gilt es in ihren
Forderungen und in ihrem Kampf zu unterstützen.
Kurz vor Redaktionsschluss hat uns außerdem die Mitteilung
über den Prozessbeginn gegen Cengiz, Nurhan und Ahmet erreicht.
Der Prozess, der am 11.oder 12. März 2010 vor der OLG
Düsseldorf beginnen soll, wird somit neben dem Stammheimer- und
dem Düsseldorfer Prozess der dritte laufende §129b-Prozess
sein. Es gilt, die Angeklagten nicht alleine zu lassen, die Prozesse zu
besuchen und Öffentlichkeit zu schaffen.
Eine andere Meldung, die uns kurzfristig erreichte, betrifft die
Situation von Mumia Abu-Jamal. In seinem Fall habe das 3.
Bundesberufungsgericht am 19. Januar vom US Supreme Court die Anweisung
erhalten, die Entscheidung neu zu würdigen. Auch wenn damit eine
mögliche Hinrichtung Mumias erstmal aufgeschoben zu sein scheint,
sollte die Mobilisierung für Mumia und gegen die Todesstrafe
weiterhin mit bisherigem Tempo fortgesetzt werden.
In diesem Sinne:
Solidarität ist eine Waffe!
Nutzen wir sie!
Die Redaktion
Aus dem Inhalt:
Schwerpunkt
Euskal Herria - Widerstand und Repression im Baskenland
Interview mit einem Aktivisten der Izquierda Abertzale
Aus einem Brief des baskischen Gefangenen Markel Ormazabal
Interview mit Jone Artola Ibarretxe von der
Angehörigenorganisation Etxerat
Inland
Solidarität organisieren! Der Kampf gegen den §129b!
Eure Unterstützung ist nicht unsichtbar geblieben vom
Einstellungsbündnis zu dem Berliner 129-Verfahren
Break the Silence! Gerechtigkeit für Oury Jalloh
Sand im Getriebe der Meinungsmacher?
Zur Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Gudrun
Ensslin und Bernward Vesper
International
Kampagne für Georges Cipriani und Jean-Marc Rouillan,
Gefangene der fanzösischen Action Directe
Repression in Kopenhagen
Der Kampf für Mumias Leben
Gefangene
Briefe von Cengiz Oban und Thomas Meyer-Falk
Kontakt:
Gefangenen Info
c/o Stadtteil- und Infoladen Lunte e.V.
Weisestraße 53
12049 Berlin
Abos:
abo@gefangenen.info
Kosten: 2, 70 Euro . Jahresabo kostet 28,40 Euro
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FAU
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Wüste Welle (Tübingen) 11.2.10
Interview mit FAU zum Babylon Arbeitskampf und dem Verbot sich
Gewerkschaft nennen zu dürfen
http://www.freie-radios.net/mp3/20100211-interviewmi-32112.mp3
Lars Röhm von der FAU Berlin berichtet über den
Arbeitskampf der Beschäftigten des Kinos Babylon und die Folgen
für die Berliner FAU. Die sich nun nicht mehr Gewerkschaft nennen
darf. Mehr Infor4mationen findet ihr im Internet unter http://www.fau.org