MEDIENSPIEGEL 14.2.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Programm
- Bollwerk: Feinstaub-Hölle
- Police BE: Interner Stunk + Weicheier
- Rauchverbot CH
- Narrenkraut: Anbauschlachten
- Vokü Langenthal: Vegan + etabliert
- Sexwork: Businesspläne im Puff
- Gewerbeverband: Hausverbot für Billag
- Jimy Hofer: 150 Franken statt Prozess
- Staatsschutz: Mehr Überwachungen
- RTS ZH: Internet-Bürgerwehr; Reuige; Expertitis
- Sport: Buchtipp; Schnellgerichte; Fan-Skepsis
- Polizei-Pläne: Grenzwachtkorps gegen Innen
- Anzeige gegen Anti-Muslime-Schlüer
- PNOS: Germanen-Flugblatt nicht diskriminierend
- Sempach: Reclaim the Battlefield
- Festung Europa: "Ganz unten" als Kurde
- Anti-Atom: Gösgen meldete AKW-Unfall nicht

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REITSCHULE    
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So 14.02.10
19.00 Uhr - Tojo - "Clyde & Bonnie" von Holger Schober. Junge Bühne Bern. Regie: Sinje Homann. Schweizer Erstaufführung.
21.00 Uhr - Rössli-Bar - Dachstock presents: Aucan (I/Africantape). Support: duQtuç (CH)

Mi 17.02.10
19.00 Uhr - SousLePont   -  Route66 Spezialitäten

Do 18.02.10
20.30 Uhr - Tojo - "Etwas Über Leben" von Pasta del Amore.
21.00 Uhr - Rössli-Bar - Air Waves (BROOKLYN)

Fr 19.02.10
20.30 Uhr - Tojo - "Etwas Über Leben" von Pasta del Amore.
21.00 Uhr - Kino - Baskenland: La pelota vasca - La piel contra la piedra, Julio Medem, Spanien 2003
22.00 Uhr - Dachstock - Wild Wild East: Boban i Marko Markovic Orkestar (RS); Support: Djane Deeba (BE)

Sa 20.02.10
20.30 Uhr - Tojo - "Etwas Über Leben" von Pasta del Amore.
21.00 Uhr - Kino - Baskenland: La pelota vasca - La piel contra la piedra, Julio Medem, Spanien 2003
23.00 Uhr - Dachstock - Dachstock Darkside: BTK (Renegade Hardware/BRA), Deejaymf (cryo.ch), VCA (Biotic Rec); Antart (Loud&Dirty), Submerge (beatsandpics.ch)

Infos: http://www.reitschule.ch

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BOLLWERK
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Bund 13.2.10

Die Strassenschlucht Bollwerk liegt unter einer dicken Feinstaubdecke

 Die Ziele der Luftreinhaltung bleiben unerreicht. Der Kanton Bern will Massnahmen verstärken.

 Daniel Vonlanthen

 Die Kampagne gegen verrauchte Innenräume hat ihre Wirkung voll erzielt - die Kampagne gegen verschmutzte Aussenluft indes ist vom Ziel noch weit entfernt: Die Grenzwerte für Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ozon werden noch immer häufig überschritten. Dies schreibt der Kanton Bern in der gestern veröffentlichten Bilanz zur Berner Luft 2009. Demnächst will die Kantonsbehörde einen verschärften Massnahmenplan in Kraft setzen.

 Zwar habe sich die Luftqualität in den 1990er-Jahren deutlich verbessert, heisst es im Bericht der Volkswirtschaftsdirektion. Doch habe sich diese Entwicklung "in den letzten Jahren nicht mehr fortgesetzt". Betriebliche und technische Innovationen liessen nur noch graduelle Verbesserungen erwarten. Mit andern Worten: Die Bevölkerung, insbesondere jene in dicht besiedelten Gebieten, muss sich bis auf Weiteres mit einer Schadstoffbelastung auf hohem Niveau abfinden.

 Je Verkehr, desto Feinstaub

 Der Feinstaub, also schwebende Mikropartikel (PM10), ist zur beständigen Komponente der Stadtluft geworden. Wie in den Vorjahren lag die Belastung mit PM10 an Standorten mit viel motorisiertem Verkehr auch im letzten Jahr über dem Jahresgrenzwert von 20 Mikrogramm pro Kubikmeter (siehe Grafik). In der Agglomeration lag die Belastung insgesamt knapp über dem Jahresgrenzwert. Je ländlicher das Gebiet, desto geringer die Feinstaubbelastung.

 Hoch ist sie auch während winterlicher Inversionslagen. Der Tagesmittelwert für PM10 in Bern lag gestern bei 76, in Ittigen bei 94 Mikrogramm pro Kubikmeter. Besonders hoch ist die Belastung jeweils "in der schlecht durchlüfteten Strassenschlucht" am Bollwerk in Bern. Im Gegensatz zum Vorjahr sei die Luft aber nie so stark belastet gewesen, "dass die Bevölkerung informiert und zu freiwilligen Massnahmen aufgerufen werden musste", schreibt der Kanton. Gemäss Studien leben über 40 Prozent der Bevölkerung in der Schweiz in Gebieten mit einer dauernden Feinstaubbelastung von über 20 Mikrogramm pro Kubikmeter. Die gesundheitlichen Folgen sind dokumentiert und reichen von Asthma bis Krebs.

 Stickoxide sind immer da

 Auch Stickstoffdioxid ist zu einer Konstanten der städtischen Atemluft geworden. Der Kanton hält dies deutlich fest: "Der Jahresgrenzwert von Stickstoffdioxid wurde im Jahr 2009 - wie in den vergangenen Jahren - in den grossen Städten und entlang der stark befahrenen Hauptverkehrsstrassen zum Teil deutlich überschritten." Seit zehn Jahren ist dieser Befund laut der Kontrollbehörde unverändert. In den Agglomerationen hingegen lag die Belastung im Bereich des Grenzwerts oder darunter.

 Sommerliches Reizgas Ozon

 Das Ozon, das sich jeweils im Sommer in grosser Menge bildet und sich anders ausbreitet als die übrigen Schadstoffe, bleibt ebenfalls Dauerthema des Immissionsschutzes. Dank dem wechselhaften Wetter mit häufigen Störungsdurchgängen habe sich 2009 aber keine hohe und lang anhaltende Ozonbelastung aufgebaut. An 43 Tagen registrierten die Messstationen aber dennoch eine zu hohe Belastung mit Ozon. Am häufigsten wurde der Grenzwert für das Reizgas in Zimmerwald überschritten. Am Bollwerk hingegen traten nur vereinzelt Überschreitungen auf.

 Der Kanton appelliert an das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger: "Ein ganzes Spektrum von kleinen Änderungen im Verhalten jedes Einzelnen kann in der Gesamtmenge einiges bewirken." Das Amt Beco Berner Wirtschaft veröffentlicht dazu monatlich einen "Luft-Tipp" im Internet. Plattformen der Gemeinden, des Kantons und des Bunds informieren über die Schadstoffwerte.

 In Perioden mit ausserordentlich grosser Belastung sei die Sensibilität für Verhaltensänderungen grösser, sagt Gerrit Nejedly, Leiter Immissionsschutz des Kantons. Auch triviale Tipps erzeugten Wirkung. Ecodrive zum Beispiel reduziere den Schadstoffausstoss um rund zehn Prozent.

 Im September letzten Jahres schickte der Kanton verschärfte Massnahmen zur Luftreinhaltung in die Vernehmlassung. Der ergänzte Plan werde demnächst in Kraft gesetzt, sagt Nejedly. Zu den 21 geltenden Forderungen und Regeln des Massnahmenplans 2000 bis 2015 werden weitere hinzu kommen.

 Weitere Informationen: http://www.be.ch/luft

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POLICE BE
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BZ 13.2.10

Kantonspolizei

 Druck auf Blättler nimmt zu

 Der Kommandant der  Kantonspolizei schwäche die polizeiliche Versorgung der Stadt Bern gezielt:

 Ein anonymer Polizist macht Stefan Blättler happige Vorwürfe. Er belegt dies mit drei konkreten  Personalentscheiden.

 Anfang Februar wies Stefan Blättler, Kommandant der Kantonspolizei, anonyme Kritik über seinen Führungsstil aus dem Polizeikorps kategorisch zurück. Das seien pauschale Vorwürfe, zu denen er nichts sagen könne, entgegnete er im Interview mit dieser Zeitung - "nennen Sie mir konkrete Beispiele", forderte er die Redaktion auf.

 Seit gestern liegen solche Beispiele vor. Auf dem offiziellen Briefpapier der Kantonspolizei hat sich ein Polizist an die Medien gewandt - allerdings ohne mit dem Namen hinzustehen: "Leider muss auch dieser Schreibende aus Furcht vor Repressalien anonym bleiben." Doch seine Kritik an Blättler ist sehr konkret - und äusserst happig. Er wirft dem Kommandanten vor, mit fragwürdigen Personalentscheiden die Versorgung der Stadt Bern "gezielt" zu schwächen.

 Wolkige Stellungnahme

 Der Polizist verweist auf zwei Neubesetzungen von Chefposten in der Regionalpolizei Bern und eine Umstrukturierung, welche bei der Basis für Unmut sorgten. Alle drei Vorgänge werden von Polizeiinsidern gegenüber dieser Zeitung bestätigt. In einer schriftlichen Stellungnahme hat das Kommando diese denn auch nicht dementiert, sondern bloss wolkig erklärt (siehe rechts). Konkrete Antworten auf die 15 Fragen dieser Zeitung bleibt die Stellungnahme meist schuldig.

 Bei den zwei Chefposten wurde ehemalige Stadtpolizisten durch frühere Kantonspolizisten ersetzt, welche die Verhältnisse in der Stadt angeblich kaum kennen. Dies mit der Begründung, zwei Jahre nach der Polizeifusion müsse die Durchmischung der zwei Korps vorangetrieben werden. 2008 war die Stadtpolizei in der Kantonspolizei aufgegangen. Die meisten früheren Stadtpolizisten arbeiten seither in der Regionalpolizei Bern, einer Abteilung der Kantonspolizei.

 Leistungsabbau in Bern?

 Noch immer ist der Groll unter den ehemaligen Stadtpolizisten gross. Sie haben das Gefühl, "ihre" Stadtpolizei sei das Opfer einer unfreundlichen Übernahme geworden. Durch die jüngsten Personalentscheide von Stefan Blätter haben laut dem anonymen Schreiben "Frust und Wut" zugenommen.

Blättler, welcher schon vor der Fusion Chef der Kantonspolizei war, bevorzuge seine "kantonalen" Schützlinge und vernachlässige die Belange der Stadt, kritisiert der anonyme Polizist. Seit dem Zusammenschluss der beiden Korps seien die Bürger der Stadt "ganz klar" die Verlierer dieser Situation. Blättler würde die "ehemals auf die Stadt abgestimmte Organisation" der Regionalpolizei "bewusst zerschlagen". Dies führe zu einem "klaren Leistungsabbau" in der Region und der Stadt Bern.

 Moutier und Bern

 Das ist besonders pikant, weil die Polizeiversorgung der Stadt Bern gerade heiss diskutiert wird: Am 7.März stimmt die Stadt Bern über die Sicherheitsinitiative der FDP und den Gegenvorschlag des Gemeinderats ab. Beide Varianten brächten mehr Polizei und würden die Stadt Millionen kosten. So heftig die Debatte geführt wird, Einigkeit herrscht in der städtischen Politik, dass der Kanton sich stärker für die Stadt engagieren müsste. Stefan Blättler hat in dieser Diskussion betont, dass er nicht bloss auf die Belange Berns schauen könne - auch Moutier oder Langenthal bräuchten zusätzliche Polizisten.

 Adrian Zurbriggen  Jürg Spori

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Regionenchef Willi brüskiert

 Ein Leistungsabbau in der Stadt und zwei falsche Chefs am falschen Ort:  die konkreten Vorwürfe im anonymen Brief.

 Im Dezember wurden vier Stellen des Betäubungsmitteldienstes und zehn der Regionalfahndung (die frühere Kripo der Stadtpolizei) zur kantonalen Kriminalabteilung verschoben. Die 14 Mitarbeitenden sind nicht mehr nur in der Stadt Bern, sondern im ganzen Kanton tätig.

 In einer schriftlichen Stellungnahme begründet das Kommando der Kantonspolizei den Schritt mit dem Ziel, nach der Polizeifusion Doppelspurigkeiten abzubauen und neuen Kriminalitätsformen Rechnung zu tragen. "Dabei war der Blick auf den ganzen Kanton ausgerichtet", heisst es in der Stellungnahme viel sagend.

 Im Sommer 2009 quittierte die Chefin der Regionalfahndung ihren Dienst. Ihr Stellvertreter führte danach die Abteilung interimistisch, laut dem anonymen Schreiben tat er dies "hervorragend". Er, ein ehemaliger Stadtpolizist, wurde deshalb von seinem Vorgesetzten, Regionenchef Manuel Willi, als neuer Chef vorgeschlagen. Doch Kommandant Stefan Blättler machte einen Polizisten der ehemaligen Kantonspolizei aus einer anderen Abteilung vom Mitarbeiter direkt zum Offizier. Damit habe er Willi und die Mitarbeitenden der Region Bern "aufs Übelste brüskiert", kritisiert der anonyme Schreiber.

 Dazu sagt das Kommando, man habe "im ordentlichen Verfahren die Stelle intern ausgeschrieben und die für diese Funktion geeignetste Person" ausgewählt. Dies in der "Gesamtbetrachtung der Neuausrichtung der Kriminalitätsbekämpfung im Kanton und in der Stadt Bern". Der interimistische Leiter wurde übrigens nicht nur bei der Chefwahl übergangen: Er ist nicht mehr Stellvertreter.

 Auch der Stützpunkt Ost, welcher bislang von einem erfahrenen Stadtpolizisten geleitet wurde, ist neu in der Hand eines Kantonspolizisten. Gewählt wurde ein Polizist aus dem Oberland, welcher gemäss anonymem Schreiben die städtischen Gegebenheiten nicht kennt. Auch hiezu schreibt das Kommando der Kapo, man habe "im ordentlichen Verfahren die für diese Funktion geeignetste Person" ausgewählt.

 Zum grundsätzlichen Vorwurf, Kommandant Blättler schwäche die Versorgung der Stadt Bern, heisst es in der Stellungnahme, dass sich die Kantonspolizei auf die Bedürfnisse der Bevölkerung ausrichte. Oberstes Ziel sei die Gewährleistung der Sicherheit. "Dies im Wissen darum, dass die Gegebenheiten auf dem Land und in der Stadt nicht dieselben sind."
 azu/jsp

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BZ 13.2.10

Wahlpodium "Sicherheit" in Aarberg

 SVP-Kandidat:"Polizisten sind Weicheier"

 Am Wahlpodium in Aarberg zum Thema Sicherheit platzte Regierungspräsident Hans-Jürg Käser (FDP) der Kragen.

 Lehrer und SVP-Gemeinderat Fritz Affolter hatte  Polizisten als Weicheier tituliert.

 Grossratskandidaten buhlen um die Gunst der Wähler und kreuzen die parteipolitischen Klingen. Das war am Donnerstag auch im Restaurant Krone in Aarberg der Fall. Eine Gruppe um Urs Gasser aus Aarberg hatte Kandidaten aus verschiedenen Parteien zum Gespräch geladen. Sie sollten ihre Sicht der Dinge zum Thema "Sicherheit im Kanton Bern" darlegen. Fritz Affolter, Andreas Blank und Fritz Ruchti stellten das schweizerische Rechtssystem und die Ausländer aus SVP-Sicht an den Pranger.

 Affolter wetterte als Lehrer gegen ausländische Jugendliche, die keine Grenzen mehr einhalten würden, und Blank sprach davon, dass man heute Glück habe, wenn man abends überhaupt noch heil nach Hause komme. Die Gesetze müssten verschärft werden, und die Polizei solle härter durchgreifen.

 "Im Säli ists einfach"

 Diese Aussagen mochte Corrado Pardini von der SP nicht so stehen lassen. "Die grobschlächtigen Parolen der SVP helfen nicht weiter", rief er in den Raum. Verunsicherung erreiche man auch, indem man den Unmut der Leute schüre. Arnold Stalder von der FDP stimmte dem indirekt zu. Es sei müssig, einfach über das Verhalten einer Gruppe Menschen zu jammern, es gelte, die Probleme zu lösen.

 Spätestens nach diesen Aussagen hielt der "Arena"-Stil definitiv Einzug im Saal. Regierungspräsident Hans-Jürg Käser (FDP) bekundete zunehmend Mühe mit der Art und Weise, wie sich einzelne SVP-Mitglieder einbrachten: "Im Säli des Löwen ist immer alles ganz klar und einfach. Man wettert, bezahlt das Bier und geht." Wenn man Verantwortung übernehme, sehe das etwas anders aus, da komme man mit diesem Schwarz-Weiss-Denken nicht weiter, sagte Käser. Als Affolter gar sagte, dass die Gesellschaft und die Polizei Weicheier seien, platzte Käser der Kragen. Auf ein solches Diskussionsniveau lasse er sich nicht herab, rief er Affolter zu.

 "Übers Ziel hinaus"

 Einig war man sich in der Runde schliesslich darüber, dass die Umsetzung des neuen Strafrechts Unsicherheiten ausgelöst habe und über das Ziel hinausgeschossen sei. Die Ausschaffungsinitiative sei aber nicht die richtige Antwort darauf, fand Adrian Kneubühler von der FDP, weitere Anwesende stimmten ihm bei.

 Käser führte den Lehrermörder von St.Gallen als Beispiel auf: "Er wurde ausgeschafft und konnte so seiner Strafe entgehen." Da liege genau die Schwäche dieser Initiative. Parteikollege Kneubühler wiederum ortete das Hauptproblem nicht bei den Ausländern, die im Gefängnis sitzen, sondern bei denen, die ihre Kultur in der Schweiz voll ausleben. Die Diskussionsteilnehmenden liessen das Publikum etwas ratlos zurück. Es wurde klar, dass den Grossratskandidaten noch viel Arbeit bevorsteht.

 Ursula Grütter

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RAUCHVERBOT
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NZZ am Sonntag 14.2.10

Arbeitsrecht

 Kein Passivrauchen mehr für Angestellte

 Zahlreiche Kantone kennen bereits heute Vorschriften, um vor dem Passivrauchen zu schützen. Nun schafft der Bund eine gesamtschweizerische Lösung für die Bevölkerung im Allgemeinen und die Angestellten im Besonderen. Ab dem 1. Mai 2010 werden das Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen (PRSG) und die zugehörige Ausführungsverordnung des Bundesrates (PRSV) in Kraft treten. Die einzelnen Kantone dürfen darüber hinausgehen und strengere Vorschriften erlassen (Art. 4 PRSG) oder dort, wo solche schon bestehen, diese selbstverständlich aufrechterhalten.

 Das neue Bundesgesetz findet Anwendung auf geschlossene Räume, "die öffentlich zugänglich sind oder mehreren Personen als Arbeitsplatz dienen" (Art. 1 Abs. 1 PRSG). In diesen Räumen ist das Rauchen untersagt (Art. 2 Abs. 1 PRSG). Zu den öffentlich zugänglichen Räumen gehören namentlich Gebäude der öffentlichen Verwaltung, Bildungs- und Sportstätten, Restaurations- und Hotelbetriebe sowie Verkaufsgeschäfte und Einkaufszentren (Abs. 2). "Als Arbeitsplatz mehrerer Personen gilt jeder Ort, an dem sich mehrere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dauernd oder vorübergehend zur Ausführung der ihnen zugewiesenen Arbeit aufhalten müssen" (Art. 2 Abs. 2 PRSV). Ausgenommen vom Anwendungsbereich des Gesetzes sind allerdings die privaten Haushaltungen (Art. 1 Abs. 3 PRSG).

 Wer Räume betreibt, in denen das Rauchverbot gilt, kann in besonderen Raucherräumen das Rauchen gestatten, sofern diese von den übrigen "abgetrennt, besonders gekennzeichnet und mit ausreichender Belüftung versehen sind" und darin keine Angestellten beschäftigt werden. Von dem letzten Erfordernis erlaubt das PRSG eine Ausnahme nur zugunsten von Restaurations- und Hotelbetrieben. Sie dürfen Mitarbeiter in Raucherräumen beschäftigen, falls die betreffenden Personen im Rahmen ihres Arbeitsvertrages ausdrücklich ihr Einverständnis damit erklärt haben (Art. 2 Abs. 2 PRSG).

 Auf Gesuch hin können zudem Restaurationsbetriebe als Raucherlokale bewilligt werden, wenn sie "eine dem Publikum zugängliche Gesamtfläche von höchstens 80 Quadratmetern" haben, "gut belüftet und nach aussen leicht erkennbar als Raucherlokal bezeichnet" sind und nur Arbeitnehmer beschäftigen, "die einer Tätigkeit im Raucherlokal im Arbeitsvertrag zugestimmt haben" (Art. 3 PRSG). "Räumlichkeiten oder Betriebe, die hauptsächlich der Verpflegung am Arbeitsplatz dienen wie Personalrestaurants oder Kantinen" dürfen jedoch nicht als Raucherlokale geführt werden (Art. 5 Abs. 3 lit. a PRSV).

 Wer vorsätzlich oder fahrlässig namentlich gegen das Rauchverbot verstösst oder Raucherräume ohne die entsprechenden Voraussetzungen ausgibt, wird mit bis zu 1000 Franken Busse bestraft (Art. 5 Abs. 1 PRSG). Bei Verstössen gegen den Gesundheitsschutz der Angestellten schliesst die Anwendung der Strafbestimmungen des Arbeitsgesetzes (Art. 59 bis 62) allerdings diese Strafvorschrift aus (Art. 5 Abs. 3 PRSG).

 Frank Emmel, Advokat

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NARRENKRAUT
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Bund 13.2.10

Hanfhersteller und Polizei spielen "Katz-Maus"

 Der repressive Umgang mit Cannabis-Herstellern führt zum Rückzug der Hanfproduktion in den Untergrund und in Indoor-Anlagen. Das betrifft die Gross- als auch die Kleinproduktion für den Eigenbedarf. Präventionsfachleute finden diese Entwicklung bedenklich.

Rahel Bucher

 "Im Keller wuchs Hanf", "Hanf-Pflanzer von Kapo ertappt und angezeigt", "Razzia in Hanf-Indoor-Anlage im Emmental". So die Zeitungsschlagzeilen zu den Räumungen von Hanf-Indoor-Anlagen, welche die Berner Kantonspolizei diese Woche durchgeführt hat. Es handelt sich dabei laut Polizei um die Sicherstellung von drei professionell eingerichteter Hanf-Indoor-Anlagen auf dem Gebiet des Kantons Bern. Dabei wurden über 1750 Hanfpflanzen und die Infrastruktur der Anlagen vernichtet. Im Zusammenhang mit ihrer Ermittlungsarbeit spricht die Polizei grundsätzlich nicht von Zufall — auch nicht bei diesen Räumungen.

 Etwas anders sieht das Michael Mosimann, Vorstandsmitglied der Schweizer Hanf-Koordination: "Von einer Häufung kann man noch nicht sprechen." Das seien 3 von schweizweit schätzungsweise rund 150 000 bis 200 000 Indoor-Anlagen. Gleicher Meinung ist Rudolf Brenneisen, Pharmazieprofessor an der Universität Bern. Allerdings könnten die Sensibilität der Thematik, das Medienecho und eventuell auch die Jahreszeit erklären, wieso es zu den Räumungen gekommen sei. "Trotzdem ist das Risiko, entdeckt zu werden, beim Betreiben einer Indoor-Anlage kleiner als bei einer Outdoor-Anlage", sagt Brenneisen. "Das ist ein Katz-Maus-Spiel, das schon seit Jahren so geht", kommentiert Armin Bucher vom Team der Hanfmesse CannaTrade die Räumungen. "Für jede Indoor-Anlage, die geschlossen wird, gehen zwei neue auf".

 Anbau vermehrt drinnen

 Kenntnis vom Betrieb der Indoor-Anlagen hat die Polizei einerseits aufgrund der eigenen Wahrnehmung und Ermittlungen, heisst es in der Medienmitteilung der Kantonspolizei. Andererseits kämen häufig Hinweise von Bürgern hinzu. So zum Beispiel in Biglen, wo die Bevölkerung laut Polizei einen "entsprechenden Geschmack" wahrgenommen hatte. "Es gibt immer Nachbarn, die nichts Besseres zu tun haben, als Bürgerwehr zu spielen", sagt Mosimann. Daher und wegen der zunehmenden Repression sei es auch verständlich, dass der Anbau von Cannabis sich von draussen nach drinnen verlagert.

 Eine Beobachtung, die Bucher bedenklich findet: "Früher wurde viel mehr draussen angebaut, doch mit der zunehmenden Repression seit 2001 werden die Anlagen nach drinnen verlegt." Zudem führe die Repression zu einem schlechteren Angebot und steigenden Preisen auf der Strasse, sagt Brenneisen. Damit gehe die Rechnung der Produzenten wieder auf.

 Ökonomisch gesehen seien Indoor-Anlagen zudem viel effizienter als Outdoor-Anlagen, sagt Brenneisen: "Die Ausbeute ist grösser, man ist nicht abhängig von den Jahreszeiten, und auch die Qualität ist in der Regel besser." Mit der Qualität bezieht sich Brenneisen auf den THC-Gehalt. Laut einer von ihm durchgeführten Studie aus den Jahren 2002 bis 2004 (Brenneisen R. et al., Chemisches Profiling von Cannabis aus Schweizer Produktion, Universität Bern und Bundesamt für Gesundheit, 2004) hatte Indoor-Cannabis damals einen durchschnittlichen THC-Gehalt von 13 Prozent, während Outdoor-Cannabis einen THC-Wert von durchschnittlich 10 Prozent aufwies. Auch die Polizei bestätigt, dass es sich bei den auf dem Schwarzmarkt befindlichen Hanfblüten um "eine gute bis sehr gute Qualität" handelt. "Die Qualität auf der Strasse ist zurzeit extrem schlecht", sagt dagegen Mosimann. Obwohl es schwierig ist, Cannabis-Produkte zu strecken, gibt es laut Mosimann vermehrt gestrecktes Gras in der Schweiz.

 Voll professionelle Anlagen

 Diese Entwicklungen zeigen laut Bucher, dass Repression nichts bringe. "Trotzdem gibt es noch eine halbe Million Kiffer, die rauchen wollen", sagt er. Zudem seien die zunehmende Kriminalisierung und der damit verbundene Rückzug in den Untergrund sowohl wirtschaftlich, sozial als auch ökologisch gesehen der falsche Weg, findet er. Ähnlich argumentiert Alwin Bachmann, Mitarbeiter von "Rave It Safe", einem Präventionsangebot der Suchtfachstelle Contact-Netz Bern. "Aus Präventionssicht ist der Prozess, der seit einigen Jahren abläuft, nicht gerade förderlich." Das Angebot sei einseitig, weil kaum noch Outdoor-Gras auf dem Markt zu bekommen sei und Jugendliche zwangsmässig zu hoch dosiertem THC-Gras (siehe Kasten) greifen müssten, sagt er weiter.

 Eine weitere Beobachtung bezüglich der Indoor-Produktion ist die vermehrte Professionalisierung der Anlagen, wie die Polizei und Brenneisen sagen. Dies trifft laut Polizei vor allem bei sehr grossen Anlagen zu. "Automatisch geschaltete Bewässerungs-, Beleuchtungs- und Be- bzw. Entlüftungsanlagen, teilweise sogar mit automatischer Düngerzufuhr, werden vielfach von spezialisierten Fachpersonen eingebaut", schreibt die Kantonspolizei. Der Nachteil der Indoor-Anlagen beschreibt Brenneisen wie folgt: "Sie brauchen mehr Strom und Chemie als die Produktion im Freien." Im Moment versuchten Produzenten laut Mosimann vor allem energieeffizienter zu arbeiten, also weniger Strom zu verbrauchen. Denn zu hohe Stromrechnungen sind oft auch Anlass für Polizeivisiten.

 Obwohl Produktion, Konsum und Handel von Drogen-Cannabis verboten sind, gibt es laut Brenneisen und Bucher noch genug Möglichkeiten, das nötige technische Material zum Anbau und Konsum von Cannabis zu kaufen.

 Mehr kleine Indoor-Anlagen

 Bezogen auf die Produktion beobachtet Mosimann eher eine Tendenz weg von grossen Indoor-Anlagen hin zu kleinen Anlagen für die Eigenproduktion. Also auch bei der Produktion für den Eigenkonsum eine Verlagerung nach drinnen, "vom Balkon ins Zimmer", sagt er. Diese Entwicklung stellt ebenso die Kantonspolizei fest. "Cannabis-Konsumenten installieren oft kleine oder Kleinstanlagen in ihren Wohnungen", schreibt sie. Der Verband Schweizer Hanf Koordination wünscht sich nach wie vor, dass der Eigenkonsum entkriminalisiert wird und dass endlich ein Grenzwert für das Autofahren festgelegt wird.

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 Es droht eine "desaströse Überraschung"

 Infos der Präventionsfachstelle

 Alwin Bachmann, Mitarbeiter von "Rave It Safe", einem Angebot von Contact-Netz Bern, macht im Zusammenhang mit dem Cannabiskonsum auf folgende Risiken aufmerksam: - Beim Mischkonsum von Alkohol und Cannabis --vor allem auch mit hoher THC-Konzentration - ist Vorsicht geboten. Die Wechselwirkungen können zu "desaströsen Überraschungen" führen.

 - Insbesondere der regelmässige und/oder situationsunangepasste Konsum (z. B. während Schule, oder beim Autofahren) birgt Risiken und ist problematisch.

 - Häufiger Konsum von Cannabis beeinträchtigt (temporär) das Konzentrations- und Reaktionsvermögen sowie die Gedächtnisleistung.

 - Personen mit psychischen Problemen sollten kein Cannabis konsumieren. Regelmässige Kiffer haben ein höheres Risiko für psychische Beschwerden. (reh)

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VOKÜ LANGENTHAL
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Sonntag 14.2.10

Alternative Küche stopft hungrige Mäuler

 Vor dem Langenthaler Choufhüsi hat sich die wöchentliche vegane Volksküche etabliert - schräge Blicke gibts jedoch immer wieder

Von Julian Perrenoud (Text und Bild)

 Die im Herbst 2008 lancierte Aktion "Pflanzentopf" vor dem Choufhüsi in Langenthal erntet oft schräge Blicke: Die von Freiwilligen im Kulturzentrum Lakuz zubereiteten Menüs sind nämlich alle vegan. Wir warfen einen Blick in die Kochtöpfe.

 Seit über einem Jahr stehen sie jeden Montagabend da, für anderthalb Stunden. Bei Sonne, bei Regen, bei klirrend kalter Winterbise. Sie harren der Menschen, die da kommen werden - oder eben nicht. Die Handvoll Männer und Frauen sehen sich als Kollektiv, ihre Namen nennen wollen sie nicht, auf ein Foto noch viel weniger. In dicke Jacken und Mützen eingepackt, schöpfen sie aus grünen Militärkanistern dampfenden Eintopf für Bedürftige. Doch nicht heute, heute schwatzen und rauchen sie nur auf dem Pflasterstein vor dem Choufhüsi. Und warten.

 Die Volksküche in Langenthal ist keine Gassenküche im eigentlichen Sinn. Die von Freiwilligen im Kulturzentrum Lakuz zubereiteten Menüs sind allesamt vegan. Kein Fleisch, keine Milch, keine Eier. Doch Menschen auf der Gasse brauchen etwas Nahrhaftes zwischen den Zähnen; Körner, Soja und Tofu reichen nach meinem Empfinden nicht. Aber anscheinend tun sies. Die zwei vegan lebenden Köchinnen erwecken kaum den Eindruck, als stünden sie kurz vor dem Organversagen. "Unsere Gerichte sind nicht beschränkter", sagt die eine. Aus Reis, Gemüse, Teigwaren und Hülsenfrüchten liessen sich immer wieder neue Varianten kreieren. Heute stehen Tomaten-Aubergine-Eintopf mit Linsen und Soja-Klössen, Salat, Brot, Früchte und warmer Tee auf der Menükarte.

 Schräge Blicke der Vorbeieilenden ernten die alternativen Köche immer wieder. Ein junger Mann mit Dächlikappe, der zu uns tritt, meint zu wissen, warum: "Vielleicht denken sie, wir sind irgendein christlicher Verbund." Es gibt Berührungsängste, auch seitens der Bedürftigen. Die Initianten der "Aktion Pflanzentopf", wie die Volksküche heisst, verteilte in den ersten Wochen Flyer, etwa bei der jeden Donnerstag stattfindenden "Gassechuchi" hinter dem Coop. Mittlerweile kommen die meisten hungrigen Mäuler von dort oder aus dem linksalternativen Umfeld. Einige holen bloss einen Tee, andere essen und diskutieren mit den Köchen über Gott, die Welt - und den Veganismus. Einer lässt sich seine Portion immer in ein Tupperware schöpfen, für zu Hause. Und einer beschwert sich regelmässig, weshalb diese Küche kein Fleisch anbiete.

 Kurz nach sechs Uhr abends. Noch immer lässt sich vor dem Choufhüsi niemand blicken. Ich entschliesse mich, vom Eintopf zu kosten. Teller und Besteck nehmen die Initianten selber mit. Manchmal helfen ein paar Randständige, diese im Lakuz zu waschen. Die Linsen schmecken würzig, die Soja-Klösse sind fein-fasrig wie geschnetzeltes Poulet. Das ist wirklich kein Fleisch, frage ich ungläubig. Eine der beiden Frauen lacht, schüttelt den Kopf. Sie muss Alternativen suchen, will sie in der Küche ohne Tierprodukte auskommen. Der Mann mit Dächlikappe findet es spannend, wie viele Möglichkeiten die vegane Küche bietet. Auch Desserts wie Cremeschnitten sollen kein Problem sein. So ganz vorstellen kann ich mir das nicht.

 Esswaren erhält die "Aktion Pflanzentopf" von der Schweizer Tafel (siehe Kasten). Ausser Soja. Das kaufen sie selber ein. Die Reaktionen der regelmässigen Esser seien gut, sie hätten gar nicht gewusst, dass veganes Essen derart gut schmecken kann. Fallen Regentropfen, verlegen sie den Stand unter die Arkaden des Choufhüsi. Manchmal kommt fast niemand vorbei. Dann und wann sind es aber 20 und mehr, so viele, dass den Köchen das Geschirr ausgeht, so wie letzte Woche. Bisher ist nur ein gross gewachsener Mann erschienen, er fragte nach einem Tässchen Eisenkrauttee. Ein anderer ruft beim Vorübergehen: "Ich komme später noch vorbei!"

 Die Volksküche kostet nicht viel, Passanten spenden dann und wann eine Zehnernote, damit, sagt der Mann mit Käppi, könnten sie viel Reis kaufen. Der Aufwand allerdings ist beträchtlich: Jeden Montag wenden die Beteiligten im Rotationsprinzip mehrere Stunden auf. Lohn sind zwischenmenschliche Beziehungen. "Das reicht", sagt die Frau mit den langen blonden Haaren. Solange sich genug Leute an der Aktion beteiligen, wird "Pflanzentopf" weiter bestehen. Lanciert hatte sie im Herbst 2008 die Tierbefreiungsaktion Bern. Ein Zeichen gegen die kapitalistische Welt, die tonnenweise einwandfreie Lebensmittel wegwirft, heisst es auf der Website des Lakuz. Mit Veganismus wollen die Initianten den Menschen gerecht werden, die aus ethnischen und kulturellen Gründen keine Tierprodukte verzehren. Der Eintopf hat mich positiv überrascht. Auf Sonntagszüpfe mit Butter und Honig aber werde ich wohl nie verzichten können.

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Schweizer Tafel: Lebensmittel verteilen statt wegwerfen

 Die Schweizer Tafel hat eine Vision: Die überschüssigen Lebensmittel sollen nicht mehr weggeworfen, sondern an armutsbetroffene Menschen in der Schweiz verteilt werden. In elf Regionen holt sie Produkte bei Grossverteilern, Produzenten und Detaillisten ab und verteilt sie gratis an soziale Institutionen. Die Schweizer Tafel ist ein Projekt der Stiftung Hoffnung für Menschen in Not. Um die Lebensmittel zu sammeln und zu verteilen, setzt sie 29 Kühlfahrzeuge ein. Zehn Festangestellte, freiwillige Helfer, Personen aus Arbeitslosenprogrammen, Zivildienstleistende und Sozialhilfebezüger stehen dafür im Einsatz. (JPW)

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Aktion Pflanzentopf - Vegane Volksküche Langenthal
http://www.lakuz.ch/pflanzentopf/pflanzentopf.html

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SEXWORK
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BZ 13.2.10

Sex-Gewerbe

 Massageöl läuft unter Investitionskosten

 Was steht im Businessplan einer Prostituierten? Welche Dienstleistungen sie anbietet, aber auch, was sie investieren muss.

 Seit Oktober kontrolliert die Fremdenpolizei der Stadt Bern auch die Businesspläne von Prostituierten (Kasten). Eine neue Regelung, die Fragen aufwirft. Etwa jene, wie ein Businessplan einer Prostituierten aussieht und wie dessen Inhalt kontrolliert wird.

 Was sind "Feinmassagen"?

 Alexander Ott, Chef der städtischen Fremdenpolizei, erklärt anhand eines anonymisierten Beispiels, was die Frauen an schriftlichen Auskünften beibringen müssen. Zunächst wollen die Behörden wissen, welche Dienstleistungen die Frauen anbieten. In Otts Beispiel schreibt eine Ungarin, dass sie neben Ganzkörper- und Fussreflexzonen- auch Feinmassagen anbietet. "Unsere Mitarbeiterinnen fragen, was dies beinhalte", erklärt Ott. Nicht, weil sich die Behörde als Moralapostel aufspiele. "Wir wollen herausfinden, ob sich die Vorstellungen der Frauen mit dem decken, was im Plan steht." Denn nicht jede der Frauen spreche genügend Deutsch, um einen Businessplan zu schreiben. "Kann sie glaubhaft machen, dass sie dessen Inhalt kennt und damit einverstanden ist, akzeptieren wir Unterlagen, die nicht von ihr verfasst wurden." Im von ihm zitierten Beispiel bietet die Ungarin unter "Feinmassagen" Geschlechtsverkehr und Oralsex an.

 Auch müssen die Frauen einen Mietvertrag beilegen. Die Ungarin aus Otts Beispiel hat in Bern ein Studio für 800 Franken im Monat gemietet. Der Zins muss laut Ott ortsüblich sein. Die Stadt verlangt von den Prostituierten zudem einen Kontoauszug. Dies, um sicherzustellen, dass sich die Frauen aus eigener Kraft über Wasser halten können. "Wir kontrollieren auch die persönlichen Angaben der Frauen in deren Heimatländern", sagt Ott.

 1662 Franken investiert

 Im Businessplan müssen die Frauen die Preise für ihre Dienstleistungen sowie Investitionskosten angeben. Die Ungarin benötigt einen Massagetisch, Tücher, zwei Lampen und Massageöl im Wert von total rund 1662 Franken. Monatlich erwartet die Frau einen Bruttoumsatz von 4000 Franken. Dem stehen Ausgaben in der Höhe von 1960 Franken gegenüber. Damit verdient sie netto 2040 Franken im Monat. Abzüglich der Investitionen entspricht dies einem Jahresumsatz von netto 22818 Franken.

 Auf diesem Betrag muss die Ungarin Steuern bezahlen. Hier gilt es allerdings noch, eine Lücke zu schliessen. Zwar müssen die Prostituierten die Anmeldung bei der Steuerverwaltung beilegen. Wenn die Steuern fällig werden, sind die meisten Frauen bereits wieder in ihrer Heimat. "Auf Grund internationaler Abkommen dürfen wir die Rechnung nicht ins Ausland senden", sagt Moritz Jäggi, Leiter der Steuerverwaltung. Und Quellensteuer gelte nur für unselbstständig Erwerbende.

 Problem Steuerpflicht

 Derzeit suchen Stadt und Kanton nach einer einheitlichen Lösung, damit die Frauen ihrer Steuerpflicht nachkommen. Ein mögliches Szenario ist jenes, das bis letzten Oktober mit Erfolg im Bordell Hotel Schloss in Nidau angewandt wurde. Laut dem Bieler Regierungsstatthalter Werner Könitzer mussten die Frauen dort Abrechnungen erstellen, die zur Ermittlung des steuerbaren Einkommens dienten. Den Steuerbetrag übergaben die Prostituierten dem Wirt zu treuhänderischen Zwecken. Dieser beglich damit die Steuerrechnungen.

 Andrea Sommer

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Münchenbuchsee

 Die stillen Tage im Bordell

 Zurzeit ist nicht viel los im neu eröffneten Bordell im ehemaligen Motel an der Lyssstrasse bei Münchenbuchsee. Der Schnee dämpft nicht nur die Reiselust. Der Chef des Clubs Paradiso hat zur Betriebsbesichtigung eingeladen.

 "Eigentlich möchte ich lieber in einem Altersheim arbeiten", sagt Nastasia Frei. "Aber hier ist es auch gut." Sie ist gebürtige Bulgarin mit Schweizer Pass. Und Prostituierte im Club Paradiso bei Münchenbuchsee.

 Diese Zeitung berichtete, dass im früheren Motel wieder Prostituierte arbeiten. Letztes Jahr schlossen die Behörden dort den Club 3000. Die Justiz wirft den Betreibern des Clubs 3000 vor, das Gastwirtschaftsgesetz gebrochen zu haben.

 Der Geschäftszweck im neuen Club Paradiso ist der gleiche: Sex. Das Geschäftsmodell aber ist anders. Früher waren die Sexarbeiterinnen angestellt. Jetzt sind sie selbstständig. Alles sei legal, schrieb diese Zeitung, doch sei der Betreiber nicht auffindbar. Nun hat sich Daniel Reinhard gemeldet und zum Besuch eingeladen.

 Ohne Prozente

 Die Stimmung in der Kontaktbar ist wie erwartet: schummrig. Eine Minibühne hats und drauf tatsächlich eine Stange. "Halt, hier wird nicht mehr getanzt", sagt Daniel Reinhard und erklärt, was hier abgeht: Die Frauen bezahlen 100 Franken pro Tag fürs Zimmer. Dafür bekommen sie Hotelservice ohne Frühstück: Die Putzfrau bringt täglich neue Bett- und Frotteewäsche. Er schliesse keine Verträge mit den Frauen, sagt Reinhard. Er beeinflusse ihr Angebot nicht und nehme keine Prozente. Die Sexarbeiterinnen wiederum seien nicht am Umsatz der Bar beteiligt.

 Reinhard ist ein kleiner, rundlicher Mann, fröhlich und freundlich. So stellt man sich einen Wirt vor. Er wirkt eher wie ein Altrocker als wie ein Bordellbetreiber, kein Goldketteli, kein fetter schwarzer BMW. Er sei gelernter Koch, sagt er. Die letzten Jahre habe er in Nightclubs gearbeitet. Nun leitet er wieder einen Erotikbetrieb. 5 Franken kostet das Bier an der Bar, 25 Franken das Cüpli.

 Nachtklubpreise sind das. Aber von der grossen sündigen Nightlife-Ambiance ist nicht viel zu spüren. Auch die Zimmer sind eher miefiger Durchschnitt als Lasterhöhlen der Fleischeslust. 30 Räume hat das Motel. Die Hälfte hat Reinhard renovieren lassen. Zwischen fünf und zehn Lokale sind vermietet, am Ende der Woche ist mehr los als am Anfang. Um die Zimmer und Betten zu füllen, werben die Frauen über Sexportale. Ihre Tarife beginnen bei 150 Franken und sind nach oben ziemlich unbegrenzt.

 Ohne Zuhälter

 Nastasia Frei arbeitet und lebt fünf Tage pro Woche hier. Sie hat eine Wohnung in Luzern, geht ins Fitness, bezahlt Steuern. Sie hat einen AHV-Ausweis. Aber keinen Zuhälter. "Wozu auch", sagt sie. "Der Chef macht das gut." "Stimmt" bestätigt ihre Kollegin mit dem Künstlernamen Valentina Brigitta. Ein Bordellbetreiber habe einst von ihr Sex gewollt. Na und? "Ohne Bezahlung!"

 Im Rotlichtmilieu ist nicht alles im grünen Bereich. "Bei mir schon", wirbt Reinhard. "Keine Drogen, kein Menschenhandel, keine Zuhälter." Man muss es ihm glauben, kontrollieren kann man es nicht. Schwierigkeiten mit Kunden habe er kaum. "Und wenn, werde ich selbst mit ihnen fertig."

 Ein halbes Dutzend Autos standen vor dem Besuch auf dem Parkplatz, die Kleinwagen der Sexarbeiterinnen. Jetzt, am Schluss, sind ein paar weitere da, Mittelklasse. "Schade, heute ist wenig Betrieb", sagt Nastasia Frei. "Mieses Wetter." Der Schnee dämpft Reiselust und Triebe.

Peter Steiger

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BILLAG
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Sonntag 14.2.10

Hausverbot für Billag-Schnüffler

 Der Schweizerische Gewerbeverband lanciert Musterbrief mit einem Aufruf zum zivilen Ungehorsam

Von Nadja Pastega

 Mit drastischen Mitteln will der grösste Schweizer Wirtschaftsverband die Billag stoppen. Er fordert seine Mitglieder auf, den Gebühreneintreibern das Betreten des Firmengeländes zu verbieten. Die Anleitung dazu gibt es im Internet.

 Das gab es noch nie: Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) ruft seine Mitglieder zum zivilen Ungehorsam auf. Nächste Woche lanciert er im Internet einen Musterbrief - mit einem Hausverbot für die Billag-Detektive. Die 300000 SGV-Mitglieder können das Schreiben herunterladen und an die Billag schicken. Damit will der Gewerbeverband den "Gebührenwahnsinn" stoppen.

 Wörtlich heisst es in dem Brief: "Um einem unverhältnismässigen Verwaltungsaufwand Ihrerseits (zum Beispiel Detektivarbeit) zuvorzukommen, erlassen wir an Ihren Verwaltungsrat, an Sie und an alle Ihre Mitarbeiter sowie Beauftragten ein Hausverbot, das sich aufunser gesamtes Areal erstreckt."

 Das gleiche Hausverbot, so ist im Brief weiter zu lesen, gelte für alle Mitarbeiter und Beauftragten der Urheberrechtsgesellschaft Suisa. Die Billag treibt auch für die Monopolbehörde SuisaGebühren ein. "Die Gebührenschnüffler haben kein Recht, Firmengelände und -räumlichkeiten zu betreten", sagt Patrik Kneubühl, Rechtsexperte des SGV: "Das Eigentum ist im Rechtsstaat Schweiznämlich geschützt."

 Bei Den Gewerblern brodelt es. Seit einigen Monaten fordert die Billagflächendeckend kleine und mittlereBetriebe auf, Empfangsgebühren fürRadio- und TV-Geräte zu zahlen. 130000 KMU hat das Inkassobüro angeschrieben, darunter auch Einmannfirmen wie Taxifahrer oder Coiffeursalons. Im Januar startete die Billag eine neue Wel-le - jetzt bekommen auch Gärtnereien Post von der Billag. Für besonderen Unmut sorgt, dass die Rechnungen sogar rückwirkend ausgestellt werden.

 Mit dem Hausverbot will der Wirtschaftsverband die gut geölte Gebührenmaschinerie ins Stottern bringen. "Es fehlt jede Rechtsgrundlage, dassBillag-Mitarbeiter in die Firma kommen und detektivisch herumschnüffeln", sagt Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Gewerbeverbands. "Bei Haushalten gilt übrigens das Gleiche: Auch Private müssen die Billag-Fahnder nicht ins Haus lassen."

 Der SGV-Brief fordert das Inkassobüro auf, den Firmen eine beschwerdefähige Verfügung zuzustellen, die bei Verwaltungsgericht angefochten werden kann. Zudem wird das Bundesamt für Kommunikation als Aufsichtsbehörde aufgefordert, "im Rahmen der Dienstaufsicht ein Beschwerdeverfahren einzuleiten". Zu diesem Zweck sollen die Gewerbler eine Kopie des Schreibensdirekt an das Bundesamt schicken.

 "Wir wehren uns dagegen, dass KMU Billag-Gebühren zahlen müssen", sagt Verbandsdirektor Bigler: "Ein Betrieb kann nicht fernsehen." Was die Billag betreibe, sei eine "ungerechtfertigte Abkassiererei". Der SGV rechnet damit, dass die Aktion "eine Flut von Briefen" auslösen wird. Die Stimmung bei den Gewerblern sei geladen. "Viele KMU-Chefs werden der Billag die Stirn bieten", sagt Verbandsjurist Kneubühler.

 Bereits Ende Januar verabschiedete die Gewerbekammer - das Parlament des Verbands - eine geharnischte Resolution. Darin wird die Billag aufgefordert, ihre Betriebsrechnung offenzulegen und ihre Verwaltungskosten auf 5 Prozent des Umsatzes zu beschränken. Dieses Limit gilt auch für die Suisa - die 20 Prozent der eingetriebenen Gebühren in die Verwaltung und die Kaderlöhne buttert.

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JIMY HOFER
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Bund 13.2.10

Wasserwerk-Betreiber zieht Klage gegen Jimy Hofer zurück

 Stadtrat Jimy Hofer erklärte sich in einem Vergleich vor Gericht bereit, Clubbetreiber Albert Gomez 150 Franken zu bezahlen.

 Der Vorfall sorgte für Schlagzeilen: Kurz nach der Eröffnung des Mattefestes im September letzten Jahres soll der Ex-Bronco-Chef Jimy Hofer den Wasserwerk-Betreiber Albert Gomez tätlich angegriffen haben ("Bund" vom 5. September 2009). Eine Angestellte des Restaurants Cinématte sagte gegenüber den Medien, dass Gomez mit blutender Nase ins Lokal gestürmt sei, um sich vor Hofer und den Broncos zu schützen. Wie gestern bekannt wurde, hat Gomez im Nachhinein tatsächlich Klage gegen Hofer wegen Körperverletzung und Tätlichkeit eingereicht. Diese Klage habe sich aber "in Rauch aufgelöst", teilte Hofer mit. Gomez habe seine Klage vollumfänglich zurückgezogen.

 Sofortige Einigung vor Gericht

 Klubbetreiber Gomez wollte gegenüber dem "Bund" nicht Stellung nehmen. Beim Strafeinzelgericht war zu erfahren, dass es zu einem Vergleich zwischen Hofer und der Klägerschaft gekommen sei. Richterin Andrea Müller war aber nicht erreichbar. Hofer selber spricht von einem "riesigen Theater", das Gomez veranstaltet habe. Dieser habe nicht nur ihn selber, sondern auch zwei Mitglieder der Broncos mit einer Klage bedacht. Gleich zu Beginn der Verhandlung habe Gomez' Anwältin aber angeboten, die Klagen zurückzuziehen, falls die Beklagten dem Kläger 150 Franken für eine neue Jacke bezahlen würden. Hofer hatte bereits im September dementiert, Gomez angefasst zu haben. "Gomez hatte meine Leute angepöbelt und ich habe ihm bloss meine Meinung gesagt." Weil Letzteres relativ lautstark erfolgt sei, habe es sofort einen grossen Publikumsaufmarsch gegeben, sagt Hofer. Wenn er zugeschlagen hätte, wäre Gomez nicht mehr imstande gewesen, ins Restaurant Cinématte zu fliehen. "Hätte ich tatsächlich zugeschlagen, hätte Gomez keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen können", sagt Hofer.

 Gewerbler ärgerten sich über Fest

 Gomez hatte vor dem Fest eine richterliche Verfügung gegen Hofer und die Organisatoren erwirkt. Diese wurden verpflichtet, bei den Eingängen in die Festzone den Erwerb des zehnfränkigen Festivalbändels als freiwillig zu deklarieren. Gomez hatte den Eindruck, dass die Organisatoren dieser Bestimmung nicht nachgekommen seien. Er hatte sich bei ihnen beklagt, wodurch es zum Streit gekommen ist. Gomez und weitere Gewerbler befürchteten grössere Umsatzeinbussen während des Mattefestes. (bob)

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BIG BROTHER
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Sonntag 14.2.10

Big Brother hört öfter mit

 11000 Telefonüberwachungen

von Benjamin Weinmann

 2009 kam es zu 11164 Telefonüberwachungen in der Schweiz. Dies entspricht einer starken Zunahme von rund 20Prozent. Dies zeigen die neusten Zahlendes Eidgenössischen Justizdepartements (EJPD), die dem "Sonntag" vorliegen.

 Bei rund der Hälfte der Schnüffelattacken ging es laut EJPD-Generaldirektor Guido Balmer um Drogendelikte. Ein Fünftel betraf Diebstähle. Der Rest wurde wegen Delikten gegen Leib und Leben, gegen die sexuelle Integrität, wegen Pornografie, Mitgliedschaft in kriminellen Organisationen, Vermögensdelikten und Menschenhandel angeordnet.

 Telefonüberwachungen können nur von der Staatsanwaltschaft, einem Untersuchungsrichter oder von anderen Strafverfolgungsbehörden in Auftrag gegeben werden. Über das EJPD werdendie Aufträge an die Telekomfirmen weitergeleitet. Am häufigsten verlangen die Behörden rückwirkend Verbindungsdaten, um Verbrechern auf die Spur zu kommen.

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Verspätet, aber optimistisch

 Beim Staatsschutz stehen Änderungen in Aussicht

 Einmal mehr. Die Untersuchung der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des Bundesparlaments über die Staatsschutzfichen verzögert sich weiter. Grund sind dringliche Abklärungen rund um die Finanzkrise. Dennoch zeigt sich GPDel-Präsident Claude Janiak zufrieden: "Das Geschäft ist nicht mehr so dringlich", sagt der Binninger SP-Ständerat. Denn noch in diesem Jahr wolle Bundesrat Ueli Maurer eine Vorlage "light" zur Revision des Bundesgesetzes zur Wahrung der Inneren Sicherheit vorlegen mit den Punkten, die bei der Vorlage BWIS II nicht bestritten waren.

 So zeichne sich gerade bei der Aufsicht über die Tätigkeit des Staatsschutzes in den Kantonen eine Lösung ab. Maurer habe zugesichert, dass diese nun gesetzlich geregelt werde. Bisher sei die Aufsicht praktisch inexistent, so Janiak. Basel-Stadt hatte denn auch eine Verordnung zur stärkeren Kontrolle angeregt, was aber bisher beim Bund auf wenig Echo stiess. Auslöser für die umfassende Inspektion aber war nicht die Basler Fichenaffäre, sondern die steigende Anzahl Einträge auf mittlerweile über 110000 Fichen. Janiak: "Doch nun ist einiges im Gang, auch dank Regierungsrat Hanspeter Gass, der sich für eine Aufsicht in den Kantonen einsetzt." Auch Auskunfts- und Einsichtsrecht bezüglich der Fichen sollen neu geregelt werden. (db)

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RECLAIM THE STREET ZH
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Sonntag 14.2.10

Internet-Bürgerwehr jagt Zürcher Chaoten

 Nach Krawallnacht schalten Gewerbler virtuellen Pranger auf

 von Claudia Marinka und Nadja Pastega

 Die gewalttätigen Ausschreitungen vom letzten Samstag in Zürich haben politische Folgen: Der Stadtzürcher SVP-Fraktionschef Mauro Tuena und betroffene ne Gewerbler wollen Fotos der Chaoten und Aufnahmen von Überwachungskameras ins Internet stellen. Mit dem virtuellen Pranger soll der Druck auf die Polizei erhöht werden, selber in diese Richtung aktiv zu werden.

 "Ich werde anlässlich der nächsten Gemeinderatssitzung einen Vorstoss einreichen und fordere darin die Polizei auf, entsprechende Bilder und Aufnahmen zur Fahndung im Internet zu veröffentlichen", kündigt Tuena gegenüber dem "Sonntag" an: "Wenn Straftäter unter 18 Jahren darunter sind, müssen die Eltern den Schaden bezahlen. Zusätzlich sollen die Jugendlichen zu gemeinnützigen Arbeiten verdonnert werden."

 Rückhalt für das Vorgehen kommt von Jakob Büchler (CVP/SG), Präsident der nationalrätlichen Sicherheitskommission: "Die Veröffentlichung von Täterfotos im Internet ist richtig." Die Zerstörungswut war enorm, wie eine neue Schätzung zeigt: "Zurzeit sind Schadenmeldungen von rund einer halben Million Franken eingegangen", sagt Marco Cortesi, Medienstchef der Stapo Zürich. > Seite 4

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Nach Krawall-Nacht: Gewerbler wollen Fotos von Chaoten ins Netz stellen

 SVP-Fraktionschef Mauro Tuena und Ladenbesitzer drohen mit virtuellem Pranger, um Druck auf die Polizei auszuüben

von Nadja Pastega und Claudia Marinka

 Die Schadenmeldungen des Saubannerzuges in Zürich belaufen sich auf eine halbe Million Franken. Die Gewerbler und Politiker haben die Nase voll.

 Ein Stein der Demonstranten verfehlte knapp ein kleines Mädchen, das am Samstagabend mit ihrer Mutter im Restaurant zu Gast war. Als der Stein durch die Fensterscheibe flog, konnten sichdie beiden durch die Hintertür retten. "Die Mutter stand unter Schock", erzählt Lesvi Gatorno, Geschäftsführer vom "Hooters". Vergangenen Montag hat er Strafanzeige gegen Unbekannt eingereicht.

 Der Stadtzürcher SVP-Fraktionschef Mauro Tuena und betroffene Gewerbler wollen nun Fotos der Chaoten und Aufnahmen von Überwachungskameras ins Internet stellen. Mit dem virtuellen Pranger soll der Druck auf die Justizund Polizei erhöht werden, selber in diese Richtung aktiv zu werden. Tuena hat auch schon einen griffigen Namen für seine neue www-Waffe: Chaotenwanted.ch!

 Gewerbler Oliver Fux von Fux AG ist begeistert: "Wenn eine solche Homepage initiiert werden sollte, wären wir sicher kooperativ und würden entsprechendes Bildmaterial zur Verfügung stellen", sagt er. "Wenn sich die Geschädigten zusammentun und die Bilder ins Netz stellen, werde ich mich an dieser Aktion beteiligen", sagt auch Juwelier Christian Celik und Frisörin Corinne Diggelmann gibt sich ebenfalls kämpferisch: "Natürlich bin ich dabei, es muss jetzt ein Zeichen gesetzt werden."

 Tuena will so Chaoten und Querulanten vor Arbeitgeber und Freunden blossstellen. "Ich werde anlässlich der nächsten Gemeinderatssitzung einen Vorstoss einreichen und fordere darin die Polizei auf, entsprechende Bilder und Aufnahmen zur Fahndung im Internet zu veröffentlichen", sagt Tuena. "Wenn Straftäter unter 18 Jahren darunter sind, sollen die Eltern den Schaden bezahlen. Zusätzlich sollen die Jugendlichen zu gemeinnützigen Arbeiten verdonnert werden", sagt Tuena.

 Zurzeit schliesst die Stadtpolizei eine Internet-Fahndung noch aus. "Wir haben derzeit aufgrund der gesetzlichen Grundlagen keine Möglichkeit, die Bilder ins Netz zu stellen", sagt Marco Cortesi, Medienchef der Stadtpolizei Zürich, "es sei denn, die Staatsanwaltschaft beurteilt das anders." Die Polizei-Gewerkschaft begrüsst jedenfalls die Idee. "Die Internet-Fahndung ist ein gutes und adäquates Mittel, um Straftätern ein Gesicht zu geben", sagt Präsident Heinz Buttauer.

 Rückendeckung erhält SVP-Politiker Mauro Tuena auf Bundesebene: "Die Veröffentlichung von Täterfotos im Internet ist richtig und offenbar auch nötig. Es kann nicht länger geduldet werden, dass Randalierer Personen- und Sachschäden verursachen und nachher in der Menge verschwinden. Mir ist jedes Mittel recht, um solche Täter zur Verantwortung zu ziehen", sagt Jakob Büchler (CVP/SG), Präsident der nationalrätlichen Sicherheitskommission (SIK). Er fordert gar eine "spezielle Eingreiftruppe", welche in solch brenzligen Situationen sofort einschreiten könnte. Ebenso will er eine grössere verdeckte Ermittlung: "Sie ist nötig, um vorbeugen zu können." Büchler spricht sich zudem für Schnellgerichte wie bei Fussballspielen aus. So könnten Kriminelle bereits vor Ort härter angepackt werden. Ein härteres Vorgehen fordert auch Peter Malama (FDP/BS). "Die Polizei soll die Bilder veröffentlichen. Wenn Sachbeschädigungen und Übergriffe wie die letzte Woche in Zürich neuerdings über SMS, Facebook und Twitter organisiert werden, darf sichdie Strafverfolgung bei der Aufklärung ebenso moderner Medien und Methoden bedienen", sagt er.

 Hart ins Gericht geht auch Ursula Haller (BDP/BE): "Die Polizei soll die Täterfotos ins Netz stellen. Jeder potenzielle Täter muss wissen, dass er mit dieser Fahndung zur öffentlichen Persona non grata werden kann und keinen Anspruch mehr auf Persönlichkeits- und Datenschutz haben wird." Und für einmal findet selbst die Linke klare Worte. Evi Allemann (SP/Bern) sagt: "Die Veröffentlichung von Täterfotos kann in der Tat bei der Ermittlung hilfreich sein."

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Keine Wasserwerfer

 Samstagnacht waren keine Wasserwerfer im Einsatz. Der Grund: Sie waren leer und mussten erst aufgefüllt werden. Denn sie würden erst dann bereitgestellt, wenn man sie wirklich brauche. "Man kann die Wasserwerfer nicht tagelang beladen herumstehen lassen, sonst gehen sie kaputt", sagt Marco Cortesi, Medienchef der Stadtpolizei Zürich. Die Wasserwerfer würden mehrere tausend Liter fassen. "Das braucht eine gewisse Vorlaufzeit. Zudem benötigt es eine speziell ausgebildete Mannschaft, ein eingespieltes Team. Es kann nicht jeder Polizist auf einem Wasserwerfer mitfahren", sagt er. Dass keine Wasserwerfer zum Einsatz kamen, sei "ein zeitliches Problem", gewesen, "wie alles an diesem Abend". Wasserwerfer werden als Einsatzmittel zur Gefahrenabwehr bei gewalttätigen Ausschreitungen am Rande von Demonstrationen oder Sportveranstaltungen eingesetzt.

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"Damit hat keiner von uns gerechnet"

 Organisatoren zeigen Reue

 So hat sich die Aktion niemand vorgestellt. Wie ein Mitorganisator gegenüber dem "Sonntag" sagt, habe man vergangene Woche erwägt, eine Medienmitteilung herauszulassen. Doch daraus ist dann doch nichts geworden. Zu gross ist die Scheu der Organisatoren, jetzt ins Scheinwerferlicht zu treten. "Mit dieser Zerstörungswut hat keiner von uns gerechnet", sagt S.F.*, der selber am letz-ten Samstag mitgelaufen ist und im Vorfeld ebenfalls zur Aktion aufgerufen hat. "Die Sachbeschädigungen waren nicht nötig. Man hätte dafür sorgen sollen, dass die Stimmung mehr auf Party und weniger auf Aggressiv-Sachen-kaputt-Machen bleibt." Dafür hätte man die Leute beruhigen und stehen bleiben sollen, anstatt weiter herumzulaufen. Die Wut der Gewerbler stosse bei vielen Teilnehmern auf Verständnis. S. sagt: "Ich kann ihre Wut gut verstehen."

 "Reclaim the Streets", was auf Deutsch so viel wie "Holt euch die Strasse zurück" bedeutet, ist eine europäische Bewegung. Sie will mit Aktionen den öffentlichen Raum zurückerobern. So auch letzten Samstag in der Stadt Zürich. "Eigentlich haben wir mit einem grossen Polizeiaufgebot gerechnet und waren erstaunt, als wir nur wenige Polizisten gesehen haben", sagt S.

 "Reclaim the Streets" hatte die Aktion Wochen vorher geplant. Die Kommunikation fand an Partys und via Mundpropaganda statt. Eine Woche vorher seien Aufkleber verteilt worden. "Sie lagen in der Volksküche auf und klebten an Strassenlaternen", sagt S. Hinzu kamen Flyer, die verteilt worden sind. Ausser kurzfristig auf Facebook sei im Internet hingegen nichts publiziert worden. Die letzte Mobilisierung am Samstag sei per SMS erfolgt. "Es war schon Strategie, dass man es nicht an die grosse Glocke hängt." Genau daran scheiterte auch die Polizei: denn alles Elektronische, wie E-Mail, Facebook oder SMS, bekommt die Polizei nicht mit. Darum habe sie am Samstag nicht besser reagieren können.

 Der Ausgang des ursprünglich friedlich anberaumten Aktionszuges hat nun selbst Mitorganisatoren schockiert. "Das Verheerende war, dass viele der Chaoten, die dann gewalttätig wurden, nicht gross aus der Menge stachen, bis sie zuschlugen." Claudia Marinka

 * Name der Redaktion bekannt

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Editorial

Maurers Steinzeit-Methoden

Sandro Brotz ist stellvertretender Chefredaktor.

 DREI TAGE LANG hat die Zürcher Polizeichefin Esther Maurer geschwiegen, um dann doch nur Plattitüden von sich zu geben: "Die Polizei hat mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften das Optimum bei der Schadenbegrenzung erreicht."

 Das Optimum erreicht? Angesichts eines Sachschadens von einer halben Million Franken, keiner einzigen Verhaftung und frustrierten Ladenbesitzern eine etwas gar beschönigende Bilanz. In den Ohren der betroffenen Gewerbler, die auf einem Scherbenhaufen sitzen gelassen wurden, muss Maurers Kommentar zur Krawallnacht von Zürich wie Hohn geklungen haben.

 FAKT IST: Die Zürcher Polizei hat sich von ein paar hundert Chaoten vorführen lassen. Was jeder Feuerwehrmann und jeder Handwerker hat - ein Alarmierungssystem via Pager über die Einsatzzentrale -, ist bei der Stadtpolizei Zürich noch immer in Prüfung. Aber eben, um Maurers kruder Logik zu folgen, sei es "etwa sieben Jahre her, seit eine solche Aktion ‹Reclaim the streets› das letzte Mal zu Ausschreitungen geführt hat". Ausgerechnet jene Stadt, die mit wiederkehrenden 1.-Mai-Gewaltorgien eigentlich nicht auf dem falschen Fuss erwischt werden sollte, zeigte sich von einem "neuen Phänomen" überrascht. Dass die Zeit nicht gereicht haben soll, um die Wasserwerfer aufzufüllen, ist in dieser peinlichen Chronologie des Versagens ein kleines, aber bezeichnendes Detail.

 Mit Steinzeit-mEthoden kann eine aufgeputschte Allianz aus Autonomen, Hooligans und Szenegängern jedenfalls nicht gestoppt werden. Nach dieser behördlichen Fehlleistung sind Rufe nach mehr Polizisten, mehr Überwachung und mehr Gesetzen nicht weit. Eine reine Aufrüstungspolitik, die einem Polizeistaat Vorschub leisten würde, ist jedoch fehl am Platz. Wenn es aber darum geht, Personen verhaften zu können, die fremdes Eigentum mutwillig zerstören und Unbeteiligte in Gefahr bringen, müssen auch neue Kommunikationsmittel eingesetzt werden. Der Internet-Pranger mag ein unsympathisches Instrument sein, aber er ist bestimmt ein wirkungsvolles. Nur gehört die Fahndung - ob auf der Strasse oder im Netz - nicht in die Hände von Privaten, sondern muss vom Staat ausgeübt werden.

 sandro.brotz@sonntagonline.ch

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Sonntagsblick 14.2.10

Experte und Buchautor Danel Ryser über de jüngsten Krawalle in Zürich

Die Legende von den Polit-Hooligans

Von Danel Ryser

 Sind Linksautonome und Hooligans plötzlich verbrüdert? Quatsch! Ein Schläger mit FCZ-Schal macht noch keinen Hooligan.

 Am "Reclaim the Streets", einer illegalen Strassenparty in Zürich vor einer Woche, kam es zu gewaltigen Sachschäden. Mitschuldig sollen neben Autonomen und Leuten aus der Graffiti-Szene FCZ-Hooligans gewesen sein. Diese hätten während des FCZ-Spiels mit Flyers zur Demo aufgerufen. Später habe man diese an den FCZ-Schals erkannt. Fakt ist aber: Ein Hooligan trägt niemals einen Fanschal. Der "Casual"-Dresscode wird in der Szene strikt eingehalten.

 Es gibt das Abc der Fan-Einteilung: A steht für normale Fans. B für die so genannten Ultras. Und C für die gewaltbereiten Hooligans. Letztere Gruppe wird in der Schweiz immer kleiner. "Sie ist eine aussterbende Art", sagt Christoph Vögeli, Leiter der Zentralstelle Hooliganismus in Zürich. Man habe mit diesen Leuten an den Spieltagen wenig Probleme, "weil die Szene überschaubar ist, wir kennen die Leute, sprechen sie an".

 Die Hooligans verabreden sich immer öfter zu Schlägereien auf Feldern, Wiesen und in Wäldern. Sie befolgen einen Rat von Anti-Hooligan-Polizisten: "‹Ich sagte ihnen: ‹Macht den Seich doch in der Allmend›", erzählt Adolf Brack, erster Hooligan-Polizist der Schweiz. "Meine Priorität war immer, dass es ruhig ist um das Stadion."

 Wenn in den Medien also von Pyros zündenden und prügelnden Hooligans die Rede ist, sind in Wirklichkeit meist Ultras gemeint. Sie sind seit zehn Jahren die tonangebende Bewegung in den Schweizer Stadien. Die Szene ist bunt gemischt: Vom SVP-Schreck zum SVP-Wähler ist alles dabei. Das verbindende Element ist die bedingungslose Unterstützung des Clubs mit Gesängen, Fahnen, Choreografien und Feuerwerk.

 Die Szene zieht auch Gewalttäter an. Anders als Hooligans kann man Ultras jedoch nicht auf Gewalttäter reduzieren. Ultra ist, wer bereit ist, den Verein jedes Wochenende vorbehaltlos zu unterstützen. Eine Losung dabei ist: Keine Politik im Stadion.

 Trotzdem gibt es immer wieder Probleme, meistens in Zusammenhang mit Feuerwerk: Die Ultras bestehen darauf, dass die verbotenen Pyros Teil ihrer Fankultur sind. Sie kämpfen um das "kontrollierte Abbrennen", wie sie es nennen. Dieser Wunsch ist in weite Ferne gerückt, seit ein Teil der Gewaltbereiten unter den Ultras nicht davor zurückschreckt, mit Pyros andere Matchbesucher zu attackieren.

 Neue Probleme haben alte abgelöst. Die Ultras haben zwar Pyros in die Stadien gebracht. Sie haben aber etwas erreicht, was die Liga in zwanzig Jahren nicht schaffte: Mit dem Aufkommen der Ultras in der Schweiz um die Jahrtausendwende verschwand der früher offen zelebrierte Rassismus aus den Stadien. Keine fliegenden Bananen mehr, kaum noch Affengeräusche gegen schwarze Spieler.

 Hooligan-Experte Christoph Vögeli sagt: "Die Hooliganszene ist eine rechte Domäne mit linken Ausnahmen. Bei den Ultras ist das eher umgekehrt." Verändert hat sich laut Vögeli auch Folgendes: "Früher ging man an den Antifaschistischen Abendspaziergang, heute geht man an den Fussballmatch."

 Oder, wie der letzte Samstag beweist, eben an beides.

 Dass jene Ultras, die während des FCZ-Spiels Demo-Flyer verteilten, zwingend zum gewaltbereiten Teil der Szene gehören, bestätigt auch die Polizei nicht. Denn Anlässe wie "Reclaim the Streets" sind in den letzten Jahren meist friedlich verlaufen. Wer daran teilnimmt, ist noch nicht unbedingt gewaltbereit.

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 Autor recherchierte im Hooligan-Milieu

 Am Freitag ist das Buch "Feld-Wald-Wiese. Hooligans in Zürich" von Daniel Ryser erschienen. Im Artikel wird teilweise daraus zitiert. Auf das Thema stiess der Autor im Herbst 2008, als er Fotos erhielt, die den Präsidenten der Sicherheitskommission der Schweizer Fussballliga inmitten einer Hooligan-Party zeigen. Die Recherchen führten Ryser in die Zürcher Szene, wo er Männer traf, die sich zu Kämpfen weit weg von Stadien treffen.

"Feld-Wald-Wiese. Hooligans in Zürich". Echtzeit Verlag. Preis: 27 Franken. http://www.echtzeit.ch.

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SPORT
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Sonntagszeitung 14.2.10

Sachbuch

 Was sind das für Menschen, die sich stolz Hooligans nennen und sich in abgelegenen Wäldern mit Gleichgesinnten prügeln? Ausser Klischees ist über die Szene wenig bekannt - auch deshalb, weil die Hooligans die Öffentlichkeit konsequent meiden. Daniel Ryser, einem Reporter der "Wochenzeitung", ist es gelungen, tief in die Szene einzutauchen. In seinem Buch "Feld-Wald-Wiese" skizziert er das Innenleben der Zürcher Hooligans. Erwachsene Männer, die dafür leben, im Kampf Mann gegen Mann ihren Kick zu bekommen.

 Sie reisen wie eine Fussballmannschaft zum Spiel, Hunderte Kilometer nach Deutschland - "für eine Minute Action". Sie treffen sich abseits der Stadien, "keine Polizei, keine Zeugen. Gewalttäter unter sich". In einem Waldstück gehen 20 Zürcher auf 20 Deutsche los, schlagen aufeinander ein. Alles verabredet, nach klaren Regeln. Wer am Boden liegt, wird nicht mehr geschlagen. Nach kaum einer Minute ist alles vorbei, an der nächsten Raststätte das Blut abwaschen, nach Hause fahren.

 Am stärksten ist Rysers Buch an den Stellen, wo er Zitate von Hooligans zu einer Erzählung montiert, ganz ohne Kommentar. Etwas enttäuscht stellt man nach 80 Seiten fest, dass die Erzählung bereits zu Ende ist. Gerade, weil Ryser nah dran ist und den Blick auf eine fremde Welt ermöglicht, hätte man gerne noch 80 Seiten weiter gelesen.  DAVID BAUER

Daniel Ryser, "Feld-Wald-Wiese", Echtzeit, 84 S., 27 Franken

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BZ 13.2.10

Hooligans in Sportstadien

 Klares Ja zu Schnellrichtern

 Bei Berner Sportklubs ist man begeistert, dass künftig bei Hochrisikospielen in den Stadien Untersuchungsrichter sitzen. Diese sollen dann gewalttätige Hooligans in einem gerichtlichen Schnellverfahren verurteilen.

 Gross ist die Zustimmung, ja Freude, dass jetzt auch die Berner Justiz bei Ausschreitungen an Fussball- und Eishockeyspielen hart durchgreift und Gewalttätige zur Rechenschaft zieht (siehe gestrige Ausgabe). "Ich finde es gut, wenn die Justiz aktiv wird und Fehlbare bestraft", betont Marc Lüthi, CEO der SCB Eishockey AG. Dies sei auch darum positiv, weil bisher nach Ausschreitungen immer zuerst die Sportklubs in die Pflicht genommen worden seien.

 Zustimmung zum Einsatz von Untersuchungsrichtern bei Hochrisikospielen in Sportstadien signalisiert auch Albert Staudenmann, Mediensprecher von YB und Stade de Suisse: "Diese Massnahme zielt in die richtige Richtung, um die Gewaltbereitschaft in den Stadien einzudämmen." Zum Glück seien die Super-League-Spiele im Stade de Suisse bisher stets geordnet und ohne Gewaltdelikte verlaufen. Komme dazu, "dass wir mit der Stadt Bern zahlreiche Massnahmen vereinbart haben, an die wir uns selbstverständlich halten", ergänzt Staudenmann. Nicht erreichbar für eine Stellungnahme war gestern der Verein Fanarbeit Bern. Dessen Zweck ist es, eine nachhaltige professionelle Fanarbeit und konstruktive Fankultur in und um Sportveranstaltungen, in erster Linie im Fussball, zu fördern und zu unterstützen.

 Wie läuft das Verfahren ab?

 Dass die Berner Kantonspolizei künftig bei Hochrisikospielen in Fussball- und Eishockeystadien, bei denen mit Ausschreitungen zu rechnen ist, Untersuchungsrichter beiziehen kann, ist für Thomas Hansjakob, erster Staatsanwalt des Kantons St.Gallen, "schön und gut". Denn: "Wir haben ein Interesse, dass diese Praxis in allen Kantonen gleich gehandhabt wird."

 In der Schweiz waren die St.Galler die ersten, die bei Fussballspielen in der AFG-Arena gerichtliche Schnellverfahren durchführten. Am Ort des Geschehens kommen Untersuchungsrichter zum Einsatz, damit sich diese selbst ein Bild von den Gewalttaten machen können. In St.Gallen wurden Tatverdächtige von der Polizei angehalten und - samt Beweisen - dem Untersuchungsrichter zugewiesen. Dieser führte die Einvernahmen binnen 48 Stunden durch, gewährte den Betroffenen rechtliches Gehör und stellte Verurteilten bei der Entlassung bereits den Strafbescheid samt Rechnung aus.

 Zehn Verurteilungen

 Swiss Olympic ist überzeugt, dass das Vorgehen der St.Galler Justiz und Polizei "bereits Früchte getragen hat". Laut Staatsanwalt Thomas Hansjakob kam es in St.Gallen bisher zu elf Schnellverfahren. Dabei führte die strafrechtliche Fallbearbeitung zu zehn Verurteilungen. Dies wegen Landfriedensbruch und oder Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte.

 Ja zu einem Rayonverbot

 Von besonderem Interesse ist für Swiss Olympic, "dass den Verurteilten neben der Strafe zusätzlich per Weisung ein mehrjähriges Verbot zum Besuch von Fussball- und teilweise auch Hockeyspielen der oberen Ligen sowie von internationalen Spielen auferlegt wurde". Dass die kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren planen, Hooligans nach einem schweren Gewaltdelikt gleich mit einem schweizweit geltenden Rayonverbot bei Sportstadien zu belegen (siehe gestrige Ausgabe), begrüsst YB- und Stade-de-Suisse-Mediensprecher Albert Staudenmann: "Der Gewalttourismus stellt ein Problem dar, dem man nur mit schweizweiten Rayonverboten Rechnung trägt."

 Urs Egli

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Schweizweite Rayonverbote

 Rechtsgrundlage fehlt

 "Grundsätzlich ist gegen Schnellverfahren nichts einzuwenden", schreibt Fansicht auf ihrer Website. Fansicht ist die Vereinigung der Fanklubs folgender Fussballklubs: Aarau, Basel, GC Zürich, FC Zürich, Luzern, Sion, St.Gallen, Winterthur und Young Boys Bern. Allerdings kam Fansicht im letzten November zum Schluss, dass das in St.Gallen angewendete gerichtliche Schnellverfahren "rechtsstaatlich bedenklich" sei.

 Fansicht stört sich zudem an den von der St.Galler Justiz verfügten "nicht durchführbaren, unüberlegten und höchst fragwürdigen" Stadion- und Rayonverboten. Solche Verbote seien "allenfalls sogar verfassungswidrig".

 Weil bis heute die rechtliche Grundlage für schweizweite Rayonverbote tatsächlich nicht vorhanden ist, wollen die kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren dies mit einem Konkordat korrigieren.
 ue

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POLICE CH
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Sonntagszeitung 14.2.10

Grenzwächter gegen Chaoten

 Polizeikommandant will Teile des Grenzwachtkorps auf Kantone verteilen

Von Matthias Halbeis

 Zürich Nach den gewalttätigen Krawallen vom vergangenen Wochenende in Zürich rechnet Pierre Nidegger, der neue Präsident der Polizeikommandanten und damit "oberster" Polizist im Land, mit einer Zunahme von solchen spontanen und extrem gewalttätigen Ausschreitungen (vgl. Interview). Zudem bezweifelt er, ob überhaupt ein kantonales Polizeikorps in der Lage ist, jederzeit genügend Personal aufzubieten, um solche Situationen in den Griff zu bekommen.

 Deshalb will Nidegger Bestandeslücken der Polizei mit Grenzwächtern auffüllen und fordert die Aufteilung des Grenzwachtkorps (GWK): "Aus meiner Sicht sollten 1000 bis 1200 Grenzwächter proportional auf die Kantonspolizeikorps verteilt werden."

 Seine Forderung begründet Nidegger damit, dass mit dem Beitritt der Schweiz zu Schengen das GWK einen Teil seiner Aufgaben verloren hat. Die Ausdehnung der Tätigkeiten des GWK in neue Aufgabenfelder führe zu Doppelspurigkeiten mit den Polizeikorps. Letztes Beispiel ist laut Nidegger der Plan des GWK, eigene erkennungsdienstliche Zentren aufzubauen: "Das ist eine ureigene Tätigkeit der Polizei." Demgegenüber gebe es bei den Kantonspolizeien einen Unterbestand von gegen 1000 Mann, sagt Nidegger, Kommandant der Freiburger Kantonspolizei und seit September Präsident der Polizeikommandanten-Konferenz (KKPKS).

 Durch steigende Einsatzstunden bei Sportveranstaltungen wird die Problematik der Unterbestände bei mehreren Polizeikorps markant verstärkt. Dazu kommt die Belastung der Korps durch immer häufiger stattfindende Grossanlässe - beispielsweise am WEF in Davos oder während der Euro 08. Die Folge sind jeweils Zehntausende von Überstunden, die kaum abgebaut werden können. Genau für solche gesamtschweizerischen Anlässe könnten die vom GWK zu den Kantonspolizeien transferierten Beamten jeweils zusammengezogen werden, findet Nidegger: "So würde die Grundversorgung in den Kantonen durch die Grosseinsätze nicht mehr beeinträchtigt."

 Einsatz als Zivilbeamte in Passagierflugzeugen

 Gemäss Nideggers Konzeption sollen die GWK-Polizisten eine gesamtschweizerische Einsatzreserve bilden, die der Bund weiter finanziert. Weil er diese Polizisten aber nur ab und zu für Grossanlässe benötigt, könnten sie in der restlichen Zeit in den Kantonen die Unterbestände füllen.

 Auch den Rest des GWK will Nidegger stärker in die Pflicht nehmen: Neben den Zollaufgaben soll sich das GWK um Bundesaufgaben kümmern, welche heute Ressourcen der Kantone belasten. Dazu gehöre der Einsatz von Zivilbeamten in Passagierflugzeugen oder von Spezialisten bei Rückschaffungen von Asylbewerbern. Für Nidegger ist klar: "Es gibt Arbeit für alle Partner der Sicherheit. Aber eine präzisere Verteilung der Aufgaben zwischen GWK und Polizei ist notwendig."

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"Ein massives Aufgebot ist notwendig"

 Pierre Nidegger über Gewaltbereitschaft und die Zunahme der Ausschreitungen

 Herr Nidegger, am vergangenen Wochenende kam es in Zürich zu einer spontanen und gewalttätigen Demonstration. Wie muss die Polizei in einem solchen Fall reagieren?

 Sie muss sofort intervenieren mit den Mitteln, die im Dienst sind. Was sie meines Wissens gemacht hat. Ein massives Aufgebot von Polizisten ist nachher notwendig, um einen solchen Gewaltausbruch in den Griff zu bekommen.

 Die Stadtpolizei wurde überrascht und hatte zu wenig Beamte im Dienst.

 Wenn zu wenig Personal zur Verfügung steht, muss ein Korps schnell weitere Leute aufbieten. Polizisten, die beispielsweise im Urlaub, auf Pikett sind oder an anderen Orten Dienst tun. Bei einem Ereignis von der Dimension wie in Zürich bin ich mir aber nicht sicher, ob in der Schweiz überhaupt ein Polizeikorps die notwendige Anzahl von Polizisten so kurzfristig aufbieten könnte.

 Bleiben solche Demonstrationen die Ausnahme?

 Ich bin überzeugt, dass die Polizei in Zukunft immer mehr mit derartigen Ausschreitungen konfrontiert sein wird. Weil sie spontan passieren und sich durch grosse Gewaltbereitschaft auszeichnen, muss sich die Polizei darauf einstellen, mit massiven Aufgeboten zu reagieren. (EIS)

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SVP
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Sonntagszeitung 14.2.10

Anzeige gegen Ulrich Schlüer

 Muslimische Organisation sieht Verstoss gegen Rassismus-Strafnorm

 Flaach ZH Muslime nehmen Ulrich Schlüer ins Visier. Die "Union des organisations musulmans de Genève" hat bei der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland Strafanzeige gegen den SVP-Nationalrat und Verleger eingereicht. Die Anzeige sei erfolgt, weil Schlüer in seiner "Schweizerzeit" gegen die Antirassismusstrafnorm verstossen habe, bestätigt Rechtsanwalt Andreas Meili.

 Anfang November hatte Schlüer als Chefredaktor einen Aufsatz abgedruckt, der zur "Massenausschaffung der Muslime" aus der Schweiz aufruft. Der Koran, so der Text, verlange von den Muslimen bedingungslos Gewalt und Mord an den Ungläubigen. Muslime seien deshalb eine Gefahr für eine nicht muslimische Gesellschaft, sobald sie eine gewisse Zahl erreichten, und müssten deshalb ausgeschafft werden.

 Der Aufsatz sei als Aufruf zu Hass oder zur Diskriminierung einer religiösen Gruppe zu verstehen, wie ihn die Antirassismusstrafnorm verbietet, argumentieren die Muslime.

 Der Text stammt von Willy Schmidhauser, Präsident der Schweizer Demokraten des Kantons Thurgau. Die Anzeige richtet sich auch gegen ihn. Schlüer sei aber als Chefredaktor mitverantwortlich. Schlüer war gestern für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Der SVP-Politiker ist sich aber mindestens im Nachhinein der Problematik des Textes bewusst geworden. Nachdem die SonntagsZeitung über die Veröffentlichung berichtet hatte, beendete Schlüer die Zusammenarbeit mit Schmidhauser. Dieser schreibt nicht mehr für die "Schweizerzeit."
Denis von Burg

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PNOS
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Tagesanzeiger 13.2.10

Jaggi-Flugblatt nicht diskriminierend

 Langnau - Das Ende Januar in die Langnauer Haushalte verteilte Flugblatt von Georg Jaggi, Kandidat für Gemeinderat und Gemeindepräsidium, wird aus juristischer Sicht nicht als Rassendiskriminierung beurteilt. Die Staatsanwaltschaft trete nicht auf eine entsprechende Anzeige der Gemeinde ein, teilt Gemeindeschreiberin Ingrid Hieronymi mit.

 Jaggi kandidierte ursprünglich für die rechtsextreme Pnos, diese hat sich inzwischen vom 46-jährigen arbeitslosen Werkzeugmacher distanziert. Jaggi schrieb im Flugblatt: "Es bekümmert mich sehr, dass die Germanen aussterben und die nicht germanischen Rassen sich so sehr vermehren, dass es immer mehr Menschen gibt und das Leben wegen Überbevölkerung immer unerträglicher und immer qualvoller wird." Laut Staatsanwaltschaft verletzt eine pauschale Herabsetzung aller Nichtgermanen Bestimmungen im Schweizerischen Strafgesetzbuch über die Würde und Gleichheit des Menschen in seiner Eigenschaft als Angehöriger einer bestimmten Ethnie nicht. Deshalb seien die Voraussetzungen für die Eröffnung einer Strafuntersuchung nicht gegeben. (nus)

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SEMPACH
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Zürichsee Zeitung 13.2.10

Rückspiegel

Reclaim the Battlefield

 Unter dem Motto "Reclaim the Streets" haben an verschiedenen Orten in Europa meist friedliche Veranstaltungen stattgefunden. Vor einer Woche ist eine Veranstaltung in Zürich allerdings von alkoholisierten und überhormonisierten Jugendlichen missbraucht worden. Die SVP Luzern scheint unter dem - leicht abgewandelten - Motto "Reclaim the Battlefield" ein neues Betätigungsfeld gefunden zu haben. Sie lancierte am Dienstag eine Petition mit der Forderung, die Sempacher Schlachtfeier solle weiter im gewohnten Rahmen stattfinden. In den letzten Jahren entwickelte sich die Feier, die an die Schlacht von 1386 erinnert, zu einem Treffpunkt von Rechtsextremen. 2009 organisierten die Juso deswegen eine Demonstration. Damit sich die Gruppen nicht in die Quere kamen, war ein Polizeiaufgebot nötig, das 300 000 Franken kostete. Der Luzerner Regierungsrat will deshalb eine Denkpause einlegen und mit einem neuen Konzept verhindern, dass die Feier zu einer verpolitisierten Plattform verkommt. Dagegen wehrt sich die SVP. Sie fordert in ihrer Petition die Regierung auf, die Schlachtfeier im gewohnten Rahmen durchzuführen und sich gleichzeitig für die "schweizerische Kultur und unsere historische Vergangenheit" einzusetzen. (sts)

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FESTUNG EUROPA
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NZZ 13.2.10

Als Kurde unterwegs

 Fabrizio Gattis Undercover-Bericht "Bilal"

 Jonathan Fischer ⋅ "Laut Statistik", schreibt Fabrizio Gatti in seinem Buch "Bilal. Als Illegaler unterwegs nach Europa", "sind allein von den 180 Passagieren des LKW, auf dem ich war, jetzt 22 tot. Mit dem nächsten sind es 44, mit dem übernächsten schon 66." Doch was können Zahlen von den täglichen Tragödien vermitteln, die sich auf hoffnungslos überfüllten Lastwagen in der Wüste abspielen, wo diejenigen, die geschwächt herunterfallen, erkranken oder kein Geld mehr haben, ihrem Schicksal überlassen werden und man die anderen an jeder Polizeisperre ausraubt?

 Der italienische Journalist und Chefreporter des Wochenmagazins "L'Espresso" hatte schon jahrelang "undercover" das Schicksal von Flüchtlingen und Illegalen in Europa dokumentiert, bevor er sich auf den Migrantentreck durch die Sahara begab. Als "Kosovo-Albaner" war er von der Schweizer Polizei inhaftiert und mitten im Krieg in seine vermeintliche Heimat deportiert worden. Oder er deckte in der Rolle des Landarbeiters auf, zu welch schikanösen Bedingungen Illegale auf Italiens Tomatenplantagen schuften. Es lag also für Gatti auf der Hand, die Vorgeschichte dieser "modernen Sklaven" zu erforschen: ihren Weg aus Afrika durch die Wüste und übers Meer bis ins italienische Flüchtlingslager Lampedusa zu dokumentieren.

 Sein Reisebericht "Bilal" erhellt nicht nur, dass es sich beim Menschenhandel um ein hochprofitables Geschäft handelt. Er führt dem Leser auch eindringlich Einzelschicksale vor Augen: Im Busbahnhof von Agadez etwa, wo jeden Tag 4 oder 5 alte Militärlastwagen mit je bis zu 200 Menschen durch die Wüste Richtung Mittelmeer losfahren. "Ihre Aussenwände sind vollständig mit Wasserkanistern bedeckt. Auf jedem ist mit schwarzer Farbe der Name oder das Kürzel des Besitzers vermerkt: Madou, Hilal, Kiz . . ." An diesen Kanistern hängt das Überleben der Menschen. Gatti gewinnt das Vertrauen einiger dieser "stranded people": Viele von ihnen sind gut ausgebildet oder gar Akademiker. Aber Bürgerkrieg und Jobmangel haben ihnen jede Hoffnung geraubt, ihre Familie durch Arbeit zu ernähren oder das Schulgeld der Kinder bezahlen zu können. Jetzt ernähren sie sich seit Tagen und Wochen allein von Zuckerwasser. Und sparen ihr weniges Geld für die Chance zur Weiterfahrt.

 Sie erzählen von einem Freund, gerade 24 Jahre alt, der letzte Nacht im Busbahnhof krepiert ist. Wenn Gatti auch erklärt, dass er diese Männer als "moderne Helden" betrachtet, so ist doch klar, dass sie vor allem die Verzweiflung treibt. "Das ist Afrika, Bruder", erklärt ihm einer. "In Europa hätte man einen Krankenwagen geholt." Gattis Bericht berührt gerade da am meisten, wo der Autor die Distanz aufgibt - und die eigene Ohnmacht angesichts der beobachteten Grausamkeiten eingesteht.

 Zwar muss der Italiener kurz vor der libyschen Grenze kehrtmachen. Doch dank zwei nigerianischen Reisegefährten, die es nach Libyen geschafft haben, setzt er seine Recherchen per E-Mail-Austausch fort. Gerade hat sich Berlusconi um die internationale Rehabilitation des libyschen Diktators Ghadhafi bemüht - im Gegenzug soll Libyen jede illegale Immigration nach Europa unterbinden. Was das bedeutet, schildern James und Joseph dem italienischen Journalisten: Die Polizei macht Jagd auf Illegale, setzt sie in der Wüste aus, wo viele von ihnen verhungern oder verdursten. Wer in den Auffanglagern landet, wird gefoltert. Die Überlebenden machen sich freiwillig auf den Heimweg, auch wenn er Monate und Jahre dauern kann.

 "Das ist nicht mein Land", notiert Gatti an der Endstation seiner Reise, dem Flüchtlingslager auf Lampedusa. Journalisten haben hier keinen Zutritt. Gatti aber hat sich, als schiffbrüchiger Kurde Bilal getarnt, aus dem Meer fischen lassen. Und findet nicht das "Fünf-Sterne-Resort" vor, als das der Lega-Nord-Politiker Mario Borghezio das Flüchtlingslager einmal bezeichnet hatte. Stattdessen watet er durch knöchelhohen Kot und Urin, schläft in der hoffnungslos überfüllten Anstalt auf Handtüchern oder Tischen und wird Zeuge willkürlicher Gewalt und Demütigung vonseiten der Carabinieri. Immerhin hat Gattis Buch bei der Erstveröffentlichung 2005 eine parlamentarische Untersuchung in Italien ausgelöst. Viel wichtiger noch: "Bilal" gibt den namenlosen Leichen und Gestrandeten, über die in Zeitungsmeldungen aus Lampedusa oder den Kanaren berichtet wird, ein Gesicht. Sie werden als Menschen kenntlich, die Hunger, Erniedrigungen, den Verlust von Familie und Heimat auf sich nehmen, nur um ein wenig an den Privilegien teilzuhaben, die wir als unsere selbstverständlichen Rechte erachten.
(zz)

 Das Politische Buch

 Fabrizio Gatti: Bilal. Als Illegaler auf dem Weg nach Europa. Aus dem Italienischen von Rita Seuss. Verlag Antje Kunstmann, München 2010. 460 S., Fr. 42.90.

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ANTI-ATOM
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Sonntagszeitung 14.2.10

Doppelter Ausfall in Gösgen

 Sicherheitsrelevante Gleichrichter funktionierten nicht - trotzdem meldete das AKW den Vorfall nicht

 Von Catherine Boss

 Brugg AG Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) prüft ein Strafverfahren gegen die Alpiq. Es besteht der Verdacht, dass die Betreiberin des AKW Gösgen einen gefährlichen Vorfall nicht vorschriftsgemäss gemeldet hat. Im Juni 2008 sind beim Wiederanfahren des Reaktors gleich zwei sicherheitsrelevante Gleichrichter ausgefallen. Gleichrichter sind Geräte zur Umwandlung von Wechselspannung in Gleichspannung. Nach der Behebung der Störung setzte das AKW Gösgen das Anfahren des Reaktors fort, obwohl die Ursache des doppelten Ausfalls nicht bekannt war, schreibt das Ensi in einem Mitte Januar publizierten Bericht.

 Das Inspektorat kritisiert nun diese Sorglosigkeit scharf: Damit habe das AKW Gösgen einen zentralen Grundsatz der Sicherheitsvorsorge verletzt. Obwohl die Kernenergieverordnung vorschreibt, dass jeder Vorfall unverzüglich oder spätestens innert 24 Stunden gemeldet werden muss, erfuhr das Ensi von diesem Störfall erst acht Monate später.

 Jetzt droht eine Busse von bis zu 10 000 Franken

 Gösgen spielt den Fall herunter. "Kein Sicherheitssystem ist ausgefallen, es gab keinen Spannungsunterbruch", sagt Gösgens Betriebsleiter Bruno Elmiger. Nach den damaligen Richtlinien sei es kein meldepflichtiges Ereignis gewesen.

 Dem widerspricht Wolfgang Jeschki, Berater in nuklearen Sicherheitsfragen: Die Sicherheit wäre in einem Notfall beeinträchtigt gewesen, der Vorfall unterstehe somit nach Kernenergieverordnung, die über den Richtlinien stehe, klar der Meldepflicht. Das Kernkraftwerk Gösgen hätte vor dem Wiederanfahren die Ursache klären und das Ensi darüber informieren müssen, sagt Jeschki, ehemaliger Direktor der HSK, Vorgängerin der Ensi.

 Mittlerweile ist die Ursache bekannt. Bereits 2005 hatte ein Lieferant die Gleichrichter falsch eingebaut. Der Fehler bestand somit seit vier Jahren.

 "Das zeigt einmal mehr, dass heute in den Werken, aber auch bei den externen Lieferanten, Kompetenzen fehlen, um die Anlagen richtig beurteilen und prüfen zu können", sagt Walter Wildi, Nuklearexperte und Professor an der Universität Genf.

 Aufgrund des Vorfalls in Gösgen hat das Ensi nach eigenen Angaben die Inspektionstätigkeit vor Ort in den letzten Monaten intensiviert. Sollte es zur Strafklage kommen, droht Alpiq eine Busse bis zu 10 000 Franken.

 Dies wäre bereits die zweite Ensi-Klage innert weniger Monate. Seit letztem Herbst läuft ein Verfahren gegen die Axpo, weil im AKW Beznau zwei Mitarbeiter verstrahlt worden waren.