MEDIENSPIEGEL 17.2.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Dojo, DS)
- RTS ZH: 1 Mio Sachschaden
- Hooligans: Auf Knopfdruck asozial
- Drogenpolitik Tschechien
- Anti-Atom: Mühleberg strahlt; Bauplatz-Knatsch; Gösgen

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REITSCHULE    
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Mi 17.02.10
19.00 Uhr - SousLePont   -  Route66 Spezialitäten

Do 18.02.10
20.30 Uhr - Tojo - "Etwas Über Leben" von Pasta del Amore.
21.00 Uhr - Rössli-Bar - Air Waves (BROOKLYN)

Fr 19.02.10
20.30 Uhr - Tojo - "Etwas Über Leben" von Pasta del Amore.
21.00 Uhr - Kino - Baskenland: La pelota vasca - La piel contra la piedra, Julio Medem, Spanien 2003
22.00 Uhr - Dachstock - Wild Wild East: Boban i Marko Markovic Orkestar (RS); Support: Djane Deeba (BE)

Sa 20.02.10
20.30 Uhr - Tojo - "Etwas Über Leben" von Pasta del Amore.
21.00 Uhr - Kino - Baskenland: La pelota vasca - La piel contra la piedra, Julio Medem, Spanien 2003
23.00 Uhr - Dachstock - Dachstock Darkside: BTK (Renegade Hardware/BRA), Deejaymf (cryo.ch), VCA (Biotic Rec); Antart (Loud&Dirty), Submerge (beatsandpics.ch)

Infos: http://www.reitschule.ch

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kulturagenda.be 18.2.10

Pasta del Amore zeigt "Etwas Über Leben" im Tojo

Bruno Maurer und Christian Gysi, auch bekannt als Pasta del Amore, geben auf. Die zwei Komiker versuchen nicht mehr länger die Welt zu retten. Im neuen Programm "Etwas Über Leben" wollen sie nun aber die Verantwortung für den Weltuntergang übernehmen. Unterstützt werden sie dabei vom Musiker René von Grünig.
Tojo Theater in der Reitschule, Bern. Do., 18.2., bis Sa., 20.2., 20.30 Uhr

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kulturagenda.be 18.2.10

Balkanbrass: Glanz und Elend eines Volkes

Der furiose Balkansound boomt. Jetzt kommen mit Boban und Marko Markovic der König und sein Thronfolger nach Bern - in die Reitschule. Der für Staatsempfänge ungeeignete Ort passt zu den Gegensätzen, die den Balkanbrass prägen. Ein Ausflug in seine Geschichte, eine Würdigung seiner Royals.

Für die Roma ist die Trompete, was die Geige für die Klassik, das Sax für den Jazz, die Gitarre für den Rock. Das Leitinstrument. Es jubelt an Hochzeiten zum Himmel, bläst zur Party, gibt an Beerdigungen das letzte Geleit. Der Trompeter ist in Serbien der König der Musiker und Musik für die Roma die einzige Möglichkeit, gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen. Wenig erstaunlich, dass die Extreme von Outlaw und König in ihrer Musik aufeinandertreffen.

Renaissance der Romamusik

Das erklärt zwar die Intensität ihrer Musik, in der sich Einflüsse von Orient und Okzident bunt vermischen, aber nicht das kontinuierlich steigende Interesse, das der Balkanbrass seit Mitte der Neunziger erfährt. Dabei ist die Erklärung simpel. Es war zuvor fast unmöglich, ihn überhaupt zu hören. Während der ersten Hälfte der Neunziger prägten die Kriegswirren den Balkan. Und zuvor versuchte das herrschende sozialistische Regime kulturelle Eigenheiten möglichst kleinzuhalten. Als serbische Intellektuelle 1961, während der Diktatur Titos, das Festival von Guca ins Leben riefen, wurden sie von der Obrigkeit argwöhnisch beobachtet und schikaniert. Dabei spielten bei der ersten Ausgabe gerade mal vier Bands im Hof der Kirche.
Vor allem hatte der Staat, unabsichtlich und unbemerkt, eine noch mächtigere Waffe zur Hand als die Zensur. Das staatliche Monopol der mehr schlecht als recht funktionierenden Plattenindustrie verhinderte professionelle Karrieren. Seit die möglich wurden, setzte die Renaissance der Romamusik ein. Heute strömen bis zu 300 000 Menschen zum Wettbewerb in Guca - das für den Rest des Jahres in sein Dasein als 3000-Seelen- Kaff zurückfällt. Noch heute erhält die lukrativsten Aufträge an den grössten Hochzeiten, wer in Guca gewinnt.

Aufbau des Thronfolgers

Über den Soundtrack der Filme von Emir Kusturica erreichten die aberwitzigen Fanfaren ab Mitte der Neunziger auch ein zentraleuropäisches Publikum. Und Anfang des Jahrtausends mixte der deutsche DJ Shantel Balkanbrass in den Mainstream - der seither die Originale entdeckt, etwa Boban Markovic. Der Sohn einer traditionsreichen Musikerfamilie hat in Guca so oft gewonnen, dass er schliesslich gebeten wurde, nur noch ausser Konkurrenz aufzutreten. Spätestens seit diesem Zeitpunkt gilt er als unumstrittener König des Genres, der am Festival das Privileg erhält, ein stündiges Konzert zu geben. Alle anderen müssen sich mit 15 Minuten begnügen. Kein Wunder, bezeichnet er die drei Tage des anarchischen Open Air als die schönsten des Jahres.
Es ist nicht nur der Wille zum gesellschaftlichen Aufstieg, der Boban Markovic zum Trompetenkönig des Balkans gemacht hat. Markovic der Ältere wurde zum König, weil er die orientalisch verschlungenen Melodien, die in euphorischem Tempo über Neunachtel-Takte und ähnliche Rhythmussperenzchen gejubelt werden, mit Klezmer, Klassik, Jazz und Latin verband. Und weil er seinen Sohn Marko über Jahre hinweg zum Bandleader seines eigenen "Orkestars " auf baute. Die Wachablösung verkündete der stolze Boban über Plattentitel. Erst war Marko noch "The Promise" (das Versprechen), das nächste Album hiess selbsterklärend "Go, Marko, Go!".

Rauschhaftes Spiel um Leben und Tod

Boban Markovic hat die Grösse, in die zweite Reihe zu treten und sich dabei immer mehr aufs Singen zu verlegen. Von seinem 1988 geborenen Sohn schwärmte die Szene schon bald, er werde einmal besser als der Vater. Die Prophezeiung dürfte sich mittlerweile erfüllt haben. Markovic der Jüngere erhielt mit 3 Jahren seine erste Trompete, durfte mit 13 zum Vater auf die Bühne, mit 16 erste Soli spielen, mit 18 wurde ihm offiziell die Leitung des Orkestars übertragen.
Und Marko, der den Balkanbrass mit einer Intensität zelebriert, die man sonst von guten Rockkonzerten kennt, treibt die stilistischen Erweiterungen seines Vaters in neue, aktuelle Musikströmungen. Mal integriert er Clubsounds, mal flirtet er mit Hip-Hop, mal rast er einen Jazzlauf, doch stets auf der Basis der traditionellen Romamusik. Und immer mit ihrer emotionalen Grundbedingung: ein sich langsam steigerndes, rauschhafthypnotisches Spielen um Leben oder Tod, bei dem sich Depression und Ekstase die Hand geben - manchmal im gleichen Stück. Wer sich davon nicht anstecken lässt, ist ein Fall für den Arzt.

Silvano Cerutti
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Dachstock der Reitschule, Bern
Fr., 19.2., 22 Uhr
www.reitschule.ch

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RECLAIM THE STREET ZH
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Tagblatt der Stadt Zürich 17.2.10

Der Expertenrat

 Vandalenschäden am Gebäude extra versichern

Stefan Thurnherr

 Nach den Krawallen der Veranstaltung "Reclaim the Streets" haben Gewerbetreibende sowie Privatpersonen im Kreis 4 Schäden von über einer Million zu verzeichnen. Wie man sich für solche Fälle ausreichend versichert, weiss Stefan Thurnherr, Versicherungsexperte beim VZ-Vermögenszentrum.

 Vandalenschäden sind in der freiwilligen Teilkaskoversicherung versicherbar. Allerdings gibt es von Versicherer zu Versicherer grosse Differenzen bezüglich der Leistungsdetails. Immer versichert sind Brandschäden am Fahrzeug. Meist werden auch Schäden wie das Abbrechen von Zierleisten und Rückspiegel bezahlt. Seltener ist das Zerkratzen des Fahrzeugs versichert. Aber aufgepasst, es gibt auch Versicherer die Schäden, welche bei Massenunruhen geschehen, ganz von der Deckung ausschliessen. Verhandeln kann man diese Deckung in der Regel nicht, daher ist es wichtig, beim Abschluss der Teilkaskoversicherung das Kleingedruckte in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen genau zu lesen.

 Glasschäden am Haus lassen sich freiwillig über eine Gebäudeglasversicherung absichern. Für Schäden an Fassaden, Schaufenstern oder Leuchtreklamen gibt es spezielle Zusatzversicherungen. Der Versicherer ist nicht verpflichtet, einen solchen Versicherungsschutz anzubieten. So kann es vorkommen, dass in stark von Vandalen geplagten Strassen oder Quartieren eine solche Zusatzdeckung vom Versicherer verweigert wird.

 Zusammenfassend gilt: Bei Gebäuden müssen durch Krawalle verursachte Schäden immer extra versichert werden. Bei der Autoteilkaskoversicherung gehört ein Schutz zumindest gegen gewisse Vandalenschäden meist dazu. Kaspar Isler

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HOOLIGAN
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St. Galler Tagblatt 17.2.10

Auf Knopfdruck asozial

Hooligans Fast im Wochentakt gibt es Krawalle rund um die Fussballstadien. Jetzt bringt ein Buch die Hooligans zum Reden. Der Journalist Daniel Ryser schildert in "Feld-Wald-Wiese" die unterschiedlichen "Szenen" und auch die Sicht der Polizei. Um Fussball geht es bei den Prügeleien immer weniger.

 Peter Surber

 Stadionverbote, Alkoholverbot, Schnellgerichte, Hooligankartei, Polizei wie sonst nur am WEF: Um die Schweizer Fussballstadien herrscht Ausnahmezustand. Und in der Öffentlichkeit Ratlosigkeit, welche Mittel gegen die zunehmende Gewalt helfen könnten.

 Eine Antwort darauf hat auch das jüngste Buch zum Thema nicht: "Feld-Wald-Wiese" von Daniel Ryser, früher "Tagblatt"-Journalist und jetzt Inlandredaktor der "Wochenzeitung". Aber das beim Basler Echtzeit-Verlag erschienene Sachbuch bietet in Collage-Form Nahaufnahmen einer "Szene", die komplexer ist, als es die gängige Schwarz-Weiss-Diskussion wahrhaben will.

 Prügeln fürs Adrenalin

 "Feld-Wald-Wiese" ist der Codebegriff der Hooligans für ihre Treffen - nicht etwa zum Match, sondern am Waldrand oder auf einer verschwiegenen Wiese, dort, wo keiner hinschaut, abseits der Hochsicherheitszonen rund um die Stadien. Mann gegen Mann, 20 gegen 20 oder 8 gegen 8 geht es los, mit blosser - allerdings sandgepolsterter - Faust. Und mit der einzigen Regel: Wer am Boden liegt und aufgibt, wird nicht weiter geschlagen. Was sie antreibt, heisst im simplen Selbstbild der Gewalttäter: Adrenalin. Was sie tun, ist tiefes Mittelalter.

 "Ich halte mich heute von den Stadien fern. Zu viel Polizei", sagt ein Hooligan im Buch, einer von "Zürichs kranker Horde". So nennt sich die Hardcore-Truppe von Schlägern, fusioniert aus GC- und FCZ-Anhängern, deren Mitglieder dem Autor Auskunft geben. Und mit denen er mitgeht, zu den Stadien und zu einem "Feld-Wald-Wiese" irgendwo in Deutschland: ein Blutbad und Knochengesplitter, angezettelt von Männern mit Box- und Kampfsportausbildung. Die Verabredung geschieht hochkonspirativ. Der Kampf dauert kaum eine Minute. Eine "Parallelwelt", schreibt Ryser, "von der die Polizei wenig weiss" - und die Öffentlichkeit noch weniger.

 Was diese umso heftiger zu Gesicht bekommt und debattiert, sind die allwöchentlichen Krawalle rund um die Stadien. Der Hooligan-Spezialist der Zürcher Stadtpolizei, Christoph Vögeli, bestätigt im Buch: "Zürichs kranke Horde" und ähnliche Kampfverbände seien heute selten an den Randalierereien im und um das Stadion beteiligt. Schlagzeilen machten vielmehr die "Ultras", die Fahnen schwingen, Choreographien malen, Pyros zünden. Und sich aufteilen in gewaltbereite und Gewalt ablehnende Fraktionen. Eine "kreative Fankultur" (Vögeli) - aber immer brutaler und immer unübersichtlicher.

 Rysers Verdienst ist es, die Unterschiede zwischen den Gruppen nicht im Qualm der Rauchpetarden und Tränengasschwaden zu vernebeln. Aber auch: die Gewalt nicht zu beschönigen, sondern in harten Sätzen fast körperlich erlebbar zu machen. Er ist nah dran, manchmal so nah, dass er selber eins "in die Fresse" kriegt, wie es im rustikalen Landsknecht-Jargon der "Szene" heisst.

 Motivforschung

 So gelingt dem Buch eine Art Motivforschung am prügelnden Subjekt. Im O-Ton: "Ich bin total normal. Habe einen guten Job, eine Freundin. Aber in den Augen der Gesellschaft gelte ich als asozial. Aber ich bin gar nicht asozial. Ich bleibe meistens ziemlich gelassen. Wenn du mich nicht anmachst, dann hast du kein Problem mit mir. Aber wenn du mich anmachst, dann rennst du in einen Betonhammer. Ich bin auf Knopfdruck asozial. Und der Fussball ist der Knopf."

 Was es nicht auf Knopfdruck gibt, sind Lösungen. Polizei und Politik setzen auf Härte, sie kommen im Buch ebenfalls ausgiebig zu Wort. "Wir wollen die Gewalt nicht als gesellschaftliches Phänomen hinnehmen", wird die St. Galler Regierungsrätin Karin Keller-Sutter zitiert. Und der Berner Polizeidirektor will "eine harte Schiene fahren". Antwort eines Hooligans: "Das Problem ist, dass auf unserer Seite viele nur darauf warten, bis die Bullen einen Fehler machen, um dann so richtig loszulegen. Ich weiss das, ich bin ja selbst so." Ein Teufelskreis der Gewalt, der nicht zu durchbrechen ist, weil es bei vielen genau um die Gewaltfaszination an sich geht - und nicht mehr um Fussball.

 Die Sinnfrage

 Das zeigen die ausführlich geschilderten Vorfälle im vergangenen Jahr in St. Gallen. Beim Spiel der U-21-Teams von GC und St. Gallen im Mai prügeln sich St. Galler und Zürcher "Ultras". Die Revanche folgt im August am St. Galler Fest: GC-Hooligans überfallen den Stand der Fanvereinigung "Dachverband 1879". Es gibt Verletzte und Sachschaden zuhauf - "wie Weihnachten", jubelt ein Zürcher Hooligan. "Wie Profiboxer gegen Amateure", klagt ein St. Galler "Ultra". Im Oktober 2009 die nächste "Schlacht", diesmal in Winkeln. "Fussball, Gewalt, Adrenalin, das ist meine Sucht", sagt einer. Und ein anderer: "Alles muss Sinn machen im Leben. Das hier macht keinen Sinn. Genau das ist so verdammt geil."

 Den Reim darauf muss man sich selber machen. Ryser kommentiert nicht. Sicher scheint: Repression kann im guten Fall die Stadien wieder für jene zugänglich machen, denen es um Fussball geht. Die Gewalt aber wird dadurch nicht verschwinden. Sie ist, auch wenn das die St. Galler Polizeidirektorin nicht akzeptieren will, ein gesellschaftliches Phänomen. Wie schon im Mittelalter.

 Daniel Ryser: Feld-Wald-Wiese. Hooligans in Zürich, Echtzeit-Verlag Basel 2010, Fr. 27.-

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 "Ein dünnes Buch, das zu dicken Diskussionen Anlass geben wird"

 "Feld-Wald-Wiese" von Daniel Ryser sei "ein dünnes Buch, das zu dicken Diskussionen Anlass geben wird", schreibt der Fussballkenner Pascal Claude in seinem Blog "Knapp daneben". Der Titel habe "übrigens nichts mit Geografie, Forst- oder Landwirtschaft zu tun, sondern mit der Zürcher Hooliganszene. Und nein, es ist nicht so, wie Sie denken. Es ist nicht in der Tradition englischer oder neuerdings auch deutscher Hooligan-Literatur gehalten, weil zwar von innen betrachtet, aber immer von aussen beschrieben wird."

 Lobend fällt auch das Urteil der Sonntags-Zeitung vom 14.2. über das Buch aus: "Am stärksten ist Rysers Buch an den Stellen, wo er Zitate von Hooligans zu einer Erzählung montiert, ganz ohne Kommentar. Etwas enttäuscht stellt man nach 80 Seiten fest, dass die Erzählung bereits zu Ende ist." (Su.)

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DROGENPOLITIK
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Tagesanzeiger 17.2.10

Drogenliberalisierung Tschechien wagt, wovor die Schweiz zurückschreckte.

Von Jean-Martin Büttner

Aufsteigende Rauschzeichen aus dem Osten

Jean-Martin Büttner

 Beeindruckt oder irritiert, je nach Einstellung, schaut man in Europa nach Tschechien. Ausgerechnet ein ehemaliger sowjetischer Satellit vollzieht eine Form der Drogenliberalisierung, wie sie nicht einmal Holland praktiziert (TA von gestern). Und zwar ohne grosse Aufregung, ohne hysterische Repressionsdebatte, ohne das Lobbying händeringender Christen.

 Zwar bleibt der Konsum von Rauschdrogen in Tschechien weiterhin illegal, doch wird er jetzt nicht mehr bestraft. Ein neues Gesetz regelt die exakten Besitzmengen und nimmt dabei selbst das Heroin nicht aus. Strafbar macht sich nur noch, wer mehr mitführt als erlaubt. Und wer Drogen an Jugendliche verkauft.

 Wem das in der Schweiz irgendwie bekannt vorkommt, ist nicht am Halluzinieren. Denn das tschechische Drogenmodell kombiniert pragmatisch zwei Varianten, die auch in der Schweiz entwickelt wurden und dann gescheitert sind. Einerseits die Droleg-Initiative mit ihrer Forderung nach einer unbegrenzten Drogenfreigabe. Das Stimmvolk hat sie 1998 wuchtig verworfen, weil sie ihm zu weit ging. Andererseits den Versuch des Bundesrats, wenigstens den Hanfkonsum zu entkriminalisieren. Der Antrag scheiterte im Parlament, nachdem sich die CVP, unter massivem Druck der Drogenhardliner, auf deren Seite geschlagen hatte. Auch die Hanfinitiative blieb chancenlos. Einzig die kontrollierte Heroinabgabe an Schwerstsüchtige kam durch. Seither bleibt, was war: Drogenkonsum trotz Drogenverboten.

 Wieso geht Tschechien weiter? Der Pragmatismus des Landes gründet im liberalen Selbstverständnis, das moralistischen Verordnungen gegenüber immer skeptisch blieb. Die Tschechen hatten sich schon gegen den von der k. u. k Monarchie verordneten Katholizismus gewehrt. Dass Tschechien seinen Liberalismus jetzt auf die Drogenpolitik anwendet, wirkt kühn, ist aber folgerichtig. Umso mehr, als das Land aus einer jahrzehntelangen internationalen Erfahrung die Konsequenzen zieht: Dass die Drogenprohibition nicht die Bürger schützt, sondern das organisierte Verbrechen alimentiert.

 Zu welchen Exzessen das führen kann, zeigt sich in mehreren südamerikanischen Ländern und vor allem in Mexiko. Dort regieren die Drogenkartelle faktisch mit und brutalisieren das Land mit ihren Bandenkriegen. Selbst in den USA mit ihren Prohibitionsreflexen wächst behutsam die Einsicht, dass die Drogenrepression mehr Probleme schafft als löst.

 Ob Tschechien seine neue Drogenpolitik zu Ende gedacht hat, ist damit noch nicht gesagt. Das Land liberalisiert zwar den Drogenkonsum, gibt aber fast kein Geld für Prävention und Suchtbehandlung aus. Irritierend bleibt auch, dass in Tschechien viel von der Liberalisierung, aber wenig vom Jugendschutz geredet wurde. Solche Unterlassungen drohen einer Reform zu schaden, bevor sie nützen kann.

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ANTI-ATOM
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BZ 17.2.10

Zu viel Strahlen?

Die Umgebung des Kernkraftwerks Mühleberg sei radioaktiv stärker belastet als andere Orte - sagen Anwohner.

 In der Umgebung des Kernkraftwerks Mühleberg sei die radioaktive Belastung höher als anderswo, schreibt die Zeitschrift "Gesundheitstipp" in der Ausgabe, die heute erscheint. Die Reporter haben selbst Stichproben aus der Umgebung des 40-jährigen Kernkraftwerks im kantonalen Labor Basel untersuchen lassen. Dieses stellte fest, dass die Werte von Tritium und Cobalt-60 (zwei radioaktive Elemente) rund um das KKW Mühleberg erhöht seien. Beide Werte bewegten sich jedoch unter dem gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwert.

 Krebsfälle sind "häufiger"

 Anwohner rund um das Kraftwerk, das im Dezember eine unbefristete Betriebsbewilligung erhalten hat, sagen seit langer Zeit, dass sich die Krebsfälle häufen. Die Aussagen lassen sich jedoch nicht belegen, da im Kanton Bern kein Krebsregister besteht. Deshalb ist nicht nachzuweisen, ob die Nähe des KKW tatsächlich schädlich für die Gesundheit der Anwohner ist. Manche, wie der Landwirt Wal-ter Ramseier aus Oltigen, sind überzeugt, dass das Kraftwerk Mensch und Natur schadet. Deshalb hat Ramseier mit einer Gruppe Gleichgesinnter erfolglos Beschwerde gegen die unbefristete Bewilligung des KKWs Mühleberg erhoben.

 Studie zeigt erhöhtes Risiko

 Zahlen zu erhöhten Krebsraten in der Nähe von Kernkraftwerken gibt es aus Deutschland: Gemäss dem "Gesundheitstipp" sei das Risiko, an Krebs zu erkranken, für Kinder in der Nähe von KKW höher. Die BKW, welche das Kernkraftwerk Mühleberg betreibt, bestreitet gegenüber dem Magazin, dass das KKW krank machen könne. Die höchste Strahlenbelastung in der Schweiz sei natürlicher Art, und die Werte rund um Mühleberg lägen weit unter der Freigrenze.
 ats

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Bund 17.2.10

Unzufriedene Anwohner

 Gegen die BKW-Pläne für den Bau eines neuen AKW in Mühleberg hat sich Widerstand formiert: Die BKW solle für den Logistikplatz und die Arbeitersiedlung ihr eigenes Land in Marfeldingen verwenden, fordert eine IG von Grundeigentümern und Anwohnern. Die Variante Marfeldingen ist aber nach Ansicht der BKW und der Gemeinde Mühleberg verkehrstechnisch viel weniger gut geeignet.
(wal)

Seite 19

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"BKW soll eigenes Land brauchen"

 Eine Interessengemeinschaft von Anwohnern und Landbesitzern in Mühleberg wehrt sich gegen die Pläne für ein neues AKW: Sie wollen keinen Logistikplatz und keine Arbeitersiedlung vor der Haustür.

 Simon Wälti

 "Wir haben momentan den Schwarzen Peter", sagt Kurt Mäder. Der rund 13 Hektaren grosse Logistikplatz für das geplante neue AKW in Mühleberg soll im Bereich Bergacher/Grabematt/Stöck zu liegen kommen. Anwesend an einem Lokaltermin sind Landbesitzer und Anwohner, die von den Plänen der BKW für einen Ersatz für das AKW Mühleberg direkt betroffen sind. Im Rahmen der Planung waren für den Logistikplatz zuerst auch andere Standorte im Gespräch: Einer lag direkt unterhalb des Dorfes Mühleberg. Hier wären jedoch deutlich mehr Leute von Lärm, Verkehr und den anderen Immissionen tangiert gewesen.

 "Auswirkungen sind massiv"

 François Andrey verweist auf die negativen Folgen für die Lebensqualität: "Auf einer Karte ist das nur ein ,Fläckli‘, aber die Auswirkungen sind massiv: Flutlichtbeleuchtung, Mehrschichtbetrieb, Lastwagenfahrten im Minutentakt." Die Gemeinde Mühleberg sprach sich nach zwei Workshops Ende 2009 für die eingangs erwähnte Lösung aus (siehe auch Kasten). Landbesitzer und Anwohner haben sich in einer "IG Betroffene Grundeigentümer und Anwohner Ersatzkernkraftwerk Mühleberg (EKKM)" zusammengeschlossen (der "Bund" berichtete). Sie sind der Meinung, dass die Infrastruktur in erster Linie auf BKW-eigenem Land realisiert werden soll. "Die BKW soll ihr eigenes Land brauchen", lautet ihr Credo. Dass dies möglich sei, sei von BKW-Verantwortlichen in Gesprächen bestätigt worden. Die IG, der derzeit rund 20 Personen angehören, leistet nicht nur Widerstand gegen den Logistikplatz, sondern auch gegen die geplante Arbeitersiedlung in der Salzweid direkt an der Gemeindegrenze zu Frauenkappelen. Hier sollen zwischen 1500 und 1700 Arbeiter während der Bauzeit des neuen AKW vorübergehend eine Unterkunft finden. Landwirt Christian Minder wohnt in Frauenkappelen, aber für die Siedlung sind auch vier Hektaren seines Landes gefragt. "Wir wollen, dass die BKW für die Arbeitersiedlung und den Logistikplatz auf eigene Landreserven in Marfeldingen zurückgreift", sagt Minder. Das Land an der Saane liege abseits der Durchgangsstrasse. Ein Anschluss an die Autobahn, die Kantonsstrasse und auch an das Baugelände neben dem heutigen AKW sei ohne nennenswerten Mehrverkehr für das Dorf Mühleberg machbar.

 "Erfolgreiche Einigung"?

 "Auch die Gemeinde muss ihre Hausaufgaben machen", findet die IG. Man sei sich aber bewusst, dass es auch in Marfeldingen Betroffene gebe, sagt Minder. Die Variante in Marfeldingen auf BKW-eigenem Boden sei aber wesentlich kompakter, weil alles am gleichen Ort realisiert würde, sagt Peter Schmid. Dies wolle man auch an einem Treffen mit dem Gemeinderat in der nächsten Woche unterstreichen. Verärgert ist man bei der IG auch über einen Brief, den die Gemeinde Mühleberg und die BKW kurz vor Weihnachten an die Einwohnerinnen und Einwohner verschickten. In der Überschrift war von einer "erfolgreichen Einigung" die Rede. Das sieht die IG anders. "Die Gemeinde hätte früher auf die Anwohner zukommen müssen", kritisiert Britta Glasow. Nicht äussern will sich die IG zur Frage "Atomkraft ja oder nein". Mühleberg sei grundsätzlich eine "BKW-freundliche Gemeinde", erklärt Minder: "Aber durch das Vorgehen der BKW und der Gemeindebehörde werden alle natürlich kritischer."

 Es geht auch ums Geld

 Die BKW will dafür sorgen, dass "die Einreichung des Rahmenbewilligungsgesuchs EKKM niemanden wirtschaftlich schädigt", wie es in einem Schreiben des Energiekonzerns heisst. Das bedeutet: Die BKW will für das Land, das während der Bauzeit von sieben bis zehn Jahren benötigt würde, Geld zahlen, wie viel ist Gegenstand der künftigen Verhandlungen. Geld könne aber nicht alles aufwiegen, sagt Mäder: "Für viele in der IG geht es um Land, das sich seit Generationen im Familienbesitz befindet." Der Humus werde zwar entfernt, das Land danach wieder rekultiviert, sagt Minder. Doch der Landwirt ist überzeugt: "Das Land ist aber danach klar minderwertig." Man müsse auch an die nächste Generation denken, findet Minder. "Wohnlage und Boden sind unersetzlich."

 Und Kurt Mäder fasst seine Situation so zusammen: "Meinem Grossvater haben sie einen Strommast aufs Land gestellt, meinem Vater wurde die Autobahn hinter das Haus gebaut, und ich soll nun den Logistikplatz erhalten."

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 Debatte um den richtigen Standort

 "Eine ideale Lösung"

 Mühleberg und BKW sind skeptisch gegenüber der Variante Marfeldingen. Sie bevorzugen die Lösung, welche die IG bekämpft.

 "Wir müssen als Gemeinderat für die Allgemeinheit schauen", sagt der Mühleberger Gemeindepräsident Kurt Herren (svp). Man habe "x Varianten" geprüft und sei zum Schluss gekommen, dass die Lösung mit der Salzweid und dem Gebiet Bergacher/Grabematt/Stöck die beste sei. Herren spricht sogar von einer "idealen Lösung", weil hier am wenigsten Personen direkt betroffen seien. Die Variante Marfeldingen habe grossen Mehrverkehr durch Mühleberg und Gümmenen zur Folge. Neue Zufahrtsstrassen zu bauen, wie von der IG vorgeschlagen, sei "nicht realistisch". Es sei aber das Recht der IG, sich gegen die Planung zu wehren. Es sei jedoch nicht möglich, ein Bauwerk dieser Grössenordnung zu realisieren, "ohne dass es Betroffene gibt". Herren verteidigt sich gegen den Vorwurf, die Gemeinde habe die Landbesitzer und Anwohner zu spät informiert. Information mache erst dann Sinn, wenn ein Standort wirklich infrage komme, aber nicht schon vorher.

 "Verkehrstechnisch weniger gut"

 Eine Mehrheit der Einwohner in Mühleberg ist gemäss einer 2009 durchgeführten Umfrage für ein neues AKW. Das sei auch die Haltung des Gemeinderats: "Vorläufig hat man in Sachen Energie nichts Besseres zur Hand als Kernkraft, wir stehen darum hinter der Planung der BKW", sagt Kurt Herren. Es sei aber nun Sache der BKW als Bauherrschaft, mit den Landbesitzern eine "gangbare Lösung" zu finden.

 Auch die BKW zeigt sich gegenüber der Variante Marfeldingen skeptisch. "Diese Lösung wäre verkehrstechnisch sehr viel weniger gut", sagt der Medienverantwortliche Antonio Sommavilla. Man wolle auf der bisherigen Basis weitermachen und mit der Gemeinde Mühleberg eng zusammenarbeiten. "Das sehen wir als die beste Variante an." Die BKW nutze für den geplanten Bau zudem sehr viel eigenes Land, sagt Sommavilla. Auf der nördlichen Seite der Aare ist zum Beispiel ein Platz für den Aushub (Brättele) und eine Logistikfläche (Thalmatt) vorgesehen. (wal)

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Boden mit radioaktiven Stoffen belastet

 Die Zeitschrift "Gesundheitstipp" hat Boden und Aaresedimente beim AKW Mühleberg untersuchen lassen. Die Werte liegen laut BKW weit unter den erlaubten Werten.

 Simon Wälti

 Das AKW Mühleberg verstrahle die Umgebung, hat die Zeitschrift Gesundheitstipp gestern gemeldet. Schnee und Aaresedimente seien in der Nähe des AKW mit den radioaktiven Stoffen Kobalt-60 und Tritium belastet. Die Zeitschrift sammelte in der Umgebung Proben von Schnee und von Ablagerungen am Boden der Aare ein und liess diese untersuchen. Demnach waren Proben der Flusssedimente oberhalb des AKW mit weniger als 0,1 Becquerel pro Kilo Kobalt-60 belastet. Unterhalb des AKW waren es 5,4 Becquerel pro Kilo. Ein Becquerel bedeutet ein radioaktiver Zerfall pro Sekunde. Auch beim Tritium ergab sich gemäss "Gesundheitstipp" ein signifikanter Unterschied: In Zürich wurden pro Kilo Schnee 4,4 Becquerel gemessen. Schnee in der Umgebung des Reaktors wies dagegen 15 Becquerel auf. Der "Gesundheitstipp" vermutet einen Zusammenhang mit Krebsfällen in der Umgebung des Atomkraftwerks: Gemäss Listen, die von Anwohnern erstellt wurden, häuften sich die Fälle von Leukämie, Brustkrebs und anderen Krebsarten ("Bund" vom 4. 5. 2009).

 Ein Zusammenhang zwischen Atomkraftwerken und Krebsrisiko ist bei Fachleuten umstritten. Eine deutsche Studie kam zwar zum Schluss, dass Kinder unter fünf Jahren, die im Umkreis von fünf Kilometern eines AKW aufwachsen, eher an Krebs erkranken als andere. Es konnte jedoch kein Zusammenhang zwischen den Erkrankungen und der Strahlendosis, die von den Kraftwerken ausging, nachgewiesen werden.

 BKW: Tritium kommt aus der Luft

 Die Schlussfolgerung, dass die gemessenen Werte durch das KKM verursacht würden, sei nicht gerechtfertigt, hält die BKW fest. Das Tritium zum Beispiel stamme aus der Luft. Die Werte für Kobalt-60 liegen laut BKW fast drei Grössenordnungen unterhalb der gesetzlich fixierten Freigrenzen, "selbst bei dem 200-fachen Wert würde das Sediment noch nicht als radioaktives Material gelten." Zudem hätten die Messungen auch ergeben, dass die Aare oberhalb von Mühleberg stärker mit Cäsium belastet sei als unterhalb. Die erhöhten Cäsium-Werte seien zu einem wesentlichen Teil die Folgen von Atomwaffentests und des Reaktorunglücks in Tschernobyl.

 Im Jahresbericht 2008 des Bundesamts für Gesundheit zu den Strahlendosen heisst es: "An einigen Stellen entlang der Umzäunung der Kernkraftwerke Mühleberg und Leibstadt war zudem die Direktstrahlung nachweisbar. Die daraus resultierenden Dosen für die Bevölkerung in der Umgebung lagen jedoch deutlich unter den gesetzlichen Grenzwerten und sind somit für die Gesundheit nicht relevant."

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 Projekt für ein neues AKW

 Die BKW will das 1972 in Betrieb genommene Kernkraftwerk Mühleberg (KKM) ersetzen. Dazu hat die BKW das Rahmenbewilligungsgesuch eingereicht. Eingereicht wurden auch Gesuche für die Standorte Beznau und Gösgen. Nach dem Entscheid des Bundesrates ist das Parlament gefragt. Da der Entscheid dem fakultativen Referendum untersteht, wird es zu einer Volksabstimmung kommen. Diese würde frühestens 2013 stattfinden. Nach der Zeitplanung der BKW soll 2018 das Baubewilligungsverfahren abgeschlossen sein. Der Bau würde sechs bis sieben Milliarden Franken kosten. Mühleberg profitiert finanziell vom AKW. Pro Jahr fliessen rund 1,5 Millionen Franken in die Kasse der Gemeinde. Dazu wohnen viele BKW-Angestellte im Dorf. Ende letzten Jahres erhielt das KKM eine unbefristete Betriebsbewilligung. Dagegen gehen 107 Anwohner mit einer Kollektivbeschwerde vor Bundesverwaltungsgericht. (wal)

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Tribune de Genève 11.2.10

Contre l'exploitation illimitée du nucléaire

 L'Exécutif de la Ville de Genève combat l'exploitation illimitée de la centrale nucléaire de Mühleberg (BE). Le Conseil administratif a décidé hier de rejoindre le comité des opposants et s'est engagé à lui verser une aide financière de 25 000 francs. L'Exécutif emboîte ainsi le pas au Conseil municipal qui a adopté le mois dernier une résolution demandant de recourir auprès du Tribunal administratif fédéral contre l'autorisation d'exploitation de Mühleberg.

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Grenchner Tagblatt 17.2.10

Vorfall wird abgeklärt

 AKW Gösgen Betreiberin meldete Störung viel zu spät

 Statt innert 24 Stunden hat die Betreiberin des Kernkraftwerks Gösgen, die Alpiq, einen Störfall erst nach acht Monaten gemeldet. Jetzt droht eine Busse.

 Bislang galt das Kernkraftwerk Gösgen (KKG) in Bezug auf Sicherheit als Musterknabe. Deshalb fragte man sich nach einem Beitrag in der letzten "SonntagsZeitung", ob die Sicherheitskultur im KKG nicht mehr das ist, was sie bisher versprach. Grund dafür ist ein Zwischenfall im Juni 2008, als beim Wiederanfahren des Reaktors gleich zwei sicherheitsrelevante Gleichrichter ausgefallen sind. Gleichrichter dienen dazu, Wechsel- in Gleichspannung umzuwandeln. Das KKG setzte nach der Behebung der Störung das Anfahren des Reaktors fort, "obwohl die Ursache des doppelten Ausfalls nicht bekannt war", was einem Mitte Januar veröffentlichten Bericht des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorates (Ensi) zu entnehmen ist.

 Bedeutung zu spät erkannt

 Für Bruno Elmiger vom KKG handelte es sich nach den damaligen Richtlinien nicht um einen meldepflichtigen Vorfall, weil es weder einen Spannungsunterbruch noch einen Ausfall eines Sicherheitssystems gegeben habe. "Im Sinne einer gelebten Sicherheitskultur wurden durch unsere Mitarbeiter trotzdem zusätzliche Abklärungen und Versuche beim Lieferanten vorgenommen", betont Elmiger gegenüber dieser Zeitung. Erst in diesem Zusammenhang habe man die mögliche übergeordnete Bedeutung und die Meldepflicht erkannt. Nach Vorliegen dieser neuen Erkenntnisse sei das Vorkommnis am 2. März 2009 vom KKG unverzüglich dem Ensi gemeldet worden. Dass das erst acht Monate nach dem Störfall erfolgt ist, stösst beim Ensi auf Kritik. Und weil betreffend Meldepflicht zwischen dem KKG und dem Ensi unterschiedliche Auffassungen bestehen, wurde eine detaillierte Abklärung angeordnet.

 Stärkere Kontrollen in Gösgen

 Nach Prüfung der entsprechenden Dokumente will das Ensi entscheiden, ob ein Verfahren gegen das KKG eingeleitet werden soll. In diesem Fall würde dem Kernkraftwerk Gösgen eine Busse von bis zu 10000 Franken drohen. Im Zusammenhang mit diesem Vorfall hat das Ensi seine Inspektionstätigkeit im KKG im Verlauf des vergangenen Jahres intensiviert. (otr)

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 Auf Panne folgt Motion

 Aufgrund besorgter Anrufe aus der Bevölkerung hat sich Nationalrätin Bea Heim (SP, Starrkirch-Wil) der AKW-Panne angenommen. Sie vermutet, "dass Unklarheiten in den Richtlinien bestehen, die zu präzisieren sind". Andererseits lässt sie durchblicken, sie sei schon vor längerer Zeit auf einen Abbau an Fachleuten im Kernkraftwerk Gösgen aufmerksam gemacht worden. Heim will deshalb im Nationalrat eine Motion einreichen, die den Bundesrat auffordert, über alle Vorfälle in Schweizer AKW der letzten fünf Jahre zu berichten und das Inspektorat zu verstärken. (otr)