MEDIENSPIEGEL 19.2.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo, DS)
- Kulturgutscheine: Hess-Idee
- Rabe-Info 18.2.10
- Demorecht: Umzüge bleiben erlaubt
- Sicherheitswahn: Streitgespräch
- Police BE weist Kritik zurück
- Antirep-Demo Aarau 20.2.10
- Big Brother Video: Beobachter-Tipps
- FAU-Umfrage Lehrlingskampagne
- Rauchverbot: IG Freies Entscheiden + Handeln
- Dritte Halbzeit: Hooligans in Buchform
- Pnos: Alle vorbestraft
- Big Brother Schengen
- Juso-Squatters Baden verurteilt
- Sexismus: Sexy Teletubbies are back
- Kein Mensch ist illegal: Brutale Fluchtrouten
- Anti-Atom: GE-Widerstand; Niederamt ohne Endlager

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REITSCHULE    
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Fr 19.02.10
20.30 Uhr - Tojo - "Etwas Über Leben" von Pasta del Amore.
21.00 Uhr - Kino - Baskenland: La pelota vasca - La piel contra la piedra, Julio Medem, Spanien 2003
22.00 Uhr - Dachstock - Wild Wild East: Boban i Marko Markovic Orkestar (RS); Support: Djane Deeba (BE)

Sa 20.02.10
20.30 Uhr - Tojo - "Etwas Über Leben" von Pasta del Amore.
21.00 Uhr - Kino - Baskenland: La pelota vasca - La piel contra la piedra, Julio Medem, Spanien 2003
23.00 Uhr - Dachstock - Dachstock Darkside: BTK (Renegade Hardware/BRA), Deejaymf (cryo.ch), VCA (Biotic Rec); Antart (Loud&Dirty), Submerge (beatsandpics.ch)

Infos: http://www.reitschule.ch

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BZ 18.2.10

Der Untergang

 Nach etlichen Versuchen, die Welt zu retten, betritt das Komikerduo Pasta del Amore Neuland: In ihrem aktuellen Programm übernehmen Bruno Maurer und Christian Gysi die Verantwortung für den Weltuntergang.
 pd

 Vorstellungen: Donnerstag bis Samstag, jeweils um 20.30 Uhr im Tojo Theater Bern. www.tojo.ch.

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Bund 18.2.10

Boban i Marko Markovic

Animierende Blechmusik

 Sie spielten mit ihrer Musik eine wesentliche Rolle für den Ruhm von Emir Kusturicas Filmen "Underground" oder "Arizona Dream", und da sie beim serbischen Festival of Brass Music stets Preise abräumten, sind sie dort nur noch als Spezialgäste zugelassen: Boban und Marko Markovic mit ihrem Orkestar, das auch in Bern mit animierender Blechmusik für Schweissausbrüche sorgen dürfte. (reg)

 Reitschule Dachstock Freitag, 19. Februar, 22 Uhr.

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KULTURGUTSCHEINE
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Telebärn 18.2.10

Volk soll Gelder verteilen
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/volk-soll-gelder-verteilen/c=84713&s=785682

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Blick am Abend 18.2.10

SVP nimmt sich der Kultur an

Idee

 Die SVP will Subventionen für Kulturbetriebe streichen. Widerstand ist programmiert.

 markus.ehinger@ringier.ch

 Die Stadt lässt sich die Kultur jährlich 30 Millionen Franken kosten. "Häufi g gehen diese Subventionen in Projekte oder Einrichtungen, welche überhaupt nicht dem Geschmack der Bevölkerung entsprechen", sagt SVP-Stadtrat Erich J. Hess. In einer Motion, die er heute im Parlament einreicht, fordert er, dass die Subventionen gestrichen werden. "Stattdessen erhalten alle Berner Steuerzahler Kulturgutscheine. Sie können dann frei entscheiden, welche kulturellen Einrichtungen sie unterstützen wollen." Die Kulturbetriebe ihrerseits können die verwendeten Gutscheine bei der Stadt abgeben und erhalten anteilmässig weiter finanzielle Unterstützung. "So ist gewährleistet, dass nur Einrichtungen unterstützt werden, die auch einem Bedürfnis entsprechen", sagt Hess. Positiver Nebenefekt: "Leute, die das Kulturangebot bisher nur wenig oder gar nicht genutzt haben, werden motiviert, am kulturellen Leben teilzunehmen."

 "Diese Idee ist absolut realitätsfremd", sagt Felix Müller, stellvertretender Direktor des Historischen Museums. Die Subventionen seien für den Erhalt von Kulturgütern und den Betrieb gedacht. "Ausstellungen sind immer fremdfi nanziert."

 Ähnlich tönt es beim Stadttheater. "Der Vorschlag wirft mehr Fragen als Lösungen auf", sagt Marc Adam, Intendant des Stadttheaters Bern. "Ich bin überzeugt, dass mit diesem Modell keine der aktuell subventionierten Kulturinstitutionen überleben würde, sondern vielmehr eine Verödung der Kulturlandschaft voranschreitet."

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RABE-INFO
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Do. 18. Februar 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-Info_18._Februar_2010.mp3
- Kritik an der Lohnpolitik des Berner Detailhandels: Die UNIA fordert verbindliche Mindestlöhne
- Mit dem Essen spielt man nicht: Neue Kampagne gegen unfairen Handel
- Solar- statt Petrollampen: Solafrica.ch erhält den "Prix Nature"

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DEMO-RECHT
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Bund 19.2.10

Demonstrationsumzüge in der Stadt Bern bleiben erlaubt

 Verwaltungsgericht hält Berner Kundgebungsreglement für verfassungswidrig.

 Stefan Wyler

 Im Mai 2008 verschärfte der Berner Stadtrat - mit den Stimmen der Bürgerlichen und der Grünen Freien Liste - das Stadtberner Kundgebungsreglement: Demonstrationen in der Innenstadt sollten grundsätzlich nur noch als Platzkundgebungen und nicht mehr als Umzüge bewilligt werden, Ausnahmen in Einzelfällen sollten möglich bleiben.

 Vor dem Berner Verwaltungsgericht hielt die neue strenge Regel nicht stand: Die fünf Richter urteilten gestern einstimmig, dass die Einschränkung die Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit verletze und damit verfassungswidrig sei. Die Berner Behörden, so befanden die Richter, müssten weiterhin jedes Demonstrationsgesuch einzeln prüfen, die Sicherheitslage anschauen und die Interessen der Demonstranten, der Stadtbewohner, Passanten und Gewerbetreibenden abwägen. Eine generelle Regel aber, die im Grundsatz nur noch Platzkundgebungen zulasse, sei rechtswidrig.

 Gegen das Umzugsverbot hatten SP, GB, GPB, Gewerkschaften sowie weitere Organisationen und Einzelpersonen Beschwerde eingereicht; die Berner Statthalterin hatte diese gutgeheissen. Der Gemeinderat hatte dann aber den Fall ans Verwaltungsgericht weitergezogen - erfolglos, wie sich nun zeigte.

 Während SP, Linksgrüne und Gewerkschaften im Urteil gestern einen "Sieg für die Grundrechte" sahen, zeigte sich der Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause (cvp) "enttäuscht". Er war, seinerzeit noch als Stadtrat, einer der Initianten des Umzugs-Verbots gewesen.

Seite 24, Kommentar rechts

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Stadt darf Demonstrationsumzüge nicht grundsätzlich verbieten

 Das Verwaltungsgericht kippt eine Verschärfung des städtischen Kundgebungsreglements: Dass die Stadt Demonstrationen in der Regel nur noch als Platzkundgebungen erlauben wollte, sei verfassungswidrig.

Stefan Wyler

 Im Mai 2008 beschloss der Berner Stadtrat eine Verschärfung des Kundgebungsreglements. Eingefügt wurde ein neuer Artikel 6a unter dem Titel "Kundgebungen in der Innenstadt". Darin heisst es: "Kundgebungen werden in der Regel nur als Platzkundgebungen, namentlich ohne Inanspruchnahme der Hauptgassen, bewilligt. Über Ausnahmen in Einzelfällen entscheidet der Gemeinderat (analog Regelung ,Bundesplatz)".

 Die neue Bestimmung war von den damaligen Stadträten Reto Nause (cvp) und Ueli Stückelberger (gfl) eingebracht worden. Sie hatten mit der Überlastung der Innenstadt bezüglich Demonstrationen argumentiert, mit Sicherheitsüberlegungen, mit der Aufrechterhaltung des öffentlichen Verkehrs und mit den Interessen der Innenstadtgeschäfte. Die Debatte stand unter dem Eindruck des heftigen Anti-SVP-Krawalls vom 6. Oktober 2007. Der Entscheid des Stadtrats für den neuen Artikel fiel mit 40 gegen 36 Stimmen - die bürgerlichen Parteien und die GFL stimmten zu, SP, GB, GPB und PdA dagegen.

 Statthalterin kippt Artikel

 Zahlreiche Parteien, Gewerkschaften, Verbände und Einzelpersonen fochten den Stadtratsbeschluss in der Folge mit einer Gemeindebeschwerde an - darunter die SP von Stadt und Kanton Bern, GB und GPB, die GsoA, der Verein Augenauf, aber auch die Grüne Partei Schweiz - deren Mitglied GFL den umstrittenen Artikel paradoxerweise erst ermöglicht hatte. Die frühere Berner Regierungsstatthalterin Regula Mader hiess die Beschwerde gut und hob den Artikel 6a als verfassungswidrig auf.

 Der Berner Gemeinderat akzeptierte den Entscheid nicht - und gelangte ans Verwaltungsgericht. Dieses hat den Fall gestern öffentlich beraten - es war eine der kürzesten Urteilsberatungen der letzten Jahre. Das Gericht wies die Beschwerde der Stadt einstimmig ab: Der Artikel 6a, so befanden die fünf Richter, sei ein unverhältnismässiger Eingriff in die Grundrechte der Meinungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit.

 Was die Verfassung vorgibt

 Bundesverfassung und Kantonsverfassung gäben den Veranstaltern von Kundgebungen keinen Anspruch, zu demonstrieren, wann und wo sie wollten, erinnerte Verwaltungsrichterin Ruth Herzog. Der Staat dürfe Demonstrationen einer Bewilligungspflicht unterstellen. Aus den Grundrechten der Meinungs- und der Versammlungsfreiheit fliesse aber "ein bedingter Anspruch", zu demonstrieren. So sind laut der Berner Kantonsverfassung Kundgebungen auf öffentlichem Grund zu bewilligen, "wenn ein geordneter Ablauf gesichert und die Beeinträchtigung der anderen Benutzer zumutbar erscheint". Und auch wenn die Demonstranten keinen Anspruch haben, an einem bestimmten Ort zu demonstrieren, so ist laut dem Bundesgericht ihrem Bedürfnis, eine Appellwirkung zu erzielen, Rechnung zu tragen. Zum Selbstbestimmungsrecht der Veranstalter gehöre es zudem, so erklärte Richterin Herzog, die Form der Kundgebung (Umzug oder Platzkundgebung) zu wünschen.

 Ausnahme wird Regel

 Herzog taxierte das grundsätzliche Umzugsverbot als schweren Eingriff in die Kundgebungsfreiheit. Dieses lasse sich durch entgegenstehende öffentliche Interessen wie jene des öffentlichen Verkehrs oder der Gewerbetreibenden nicht rechtfertigen - es sei daher unverhältnismässig. Klar aber war für die fünf Richter, dass die Stadt bei der Prüfung jedes Demonstrationsgesuchs die Interessen von Demonstrierenden, Stadtbewohnern und Gewerbetreibenden abwägen muss, dass sie Sicherheitsfragen prüfen muss, dass sie - im Einzelfall - auch nur eine Platzkundgebung erlauben darf oder, wo Randale droht, eine Demonstration gar ganz verbieten darf. Aber eben: Nötig sei eine Güterabwägung im Einzelfall, man dürfe Umzüge nicht generell verbieten. Mit dem umstrittenen Artikel 6a aber, so sagte es Verwaltungsrichter Robert Burkhard, werde der Grundsatz der Verfassung - Kundgebungsfreiheit im Grundsatz, Einschränkung im Einzelfall - gerade ins Gegenteil verkehrt.

 Die Stadt hatte in ihrer Beschwerde argumentiert, eigentlich werde mit Artikel 6a nur die heutige Bewilligungspraxis festgeschrieben, schon heute würden nur 10 bis 15 Prozent aller Demonstrationen als Umzüge bewilligt, der Rest seien Platzkundgebungen. Das Argument überzeugte die Richter nicht. Wieso müsste die Stadt denn das Reglement ändern, wenn alles beim Alten bleiben solle, fragten sie. Die Voten in der Stadtratsdebatte zeigten zudem klar, dass eine Verschärfung des Reglements beabsichtigt worden sei. Fast jede siebte Demonstration sei bisher als Umzug bewilligt worden, erklärte Richter Thomas Häberli, das seien "nicht nur Einzelfälle".

 Nause "enttäuscht"

 Während Umzugsverbots-Gegner wie die Demokratischen Juristinnen und Juristen gestern das Urteil als "Sieg für die Grundrechte" begrüssten, erklärte der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause, er sei "enttäuscht". Das Urteil sei "etwas praxisfern". Mit diesem werde der Druck auf die Bewilligungsbehörden erhöht, Demonstrations-Umzüge zu erlauben.

 Ob der Gemeinderat den Fall ans Bundesgericht in Lausanne weiterzieht, werde er nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung entscheiden, sagte Nause.

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Kommentar

 Grundrecht geht vor Kommerz

Bernhard Ott

 Demonstrationen mit Umzügen sind in der Stadt Bern grundsätzlich gestattet. In einer der kürzesten Urteilsberatungen seiner Geschichte hat das Verwaltungsgericht eine Verschärfung des Stadtberner Kundgebungsreglements gekippt. Urheber der Verschärfung war der Berner Stadtrat, der vor zwei Jahren eine Motion von Grüner Freier Liste (GFL) und CVP überwies, die in der Berner Innenstadt nur noch Platzkundgebungen zuliess. Linke Parteien und Organisationen haben diesen Entscheid mit einer Beschwerde bekämpft, die vom Statthalteramt gutgeheissen wurde. Der Gemeinderat wiederum focht den Statthalterentscheid beim Verwaltungsgericht an - und ist damit nun abgeblitzt.

 Stadt- und Gemeinderat haben in den letzten Jahren drei Anläufe zur örtlichen Einschränkung des Demonstrationsrechtes unternommen. 2005 hiess das Stadtparlament ein Kundgebungsverbot auf dem Bundesplatz während der Sessionen gut, das nach wie vor in Kraft ist. Ein Jahr später scheiterte der Gemeinderat mit dem Versuch, ein Umzugs-Verbot für die Spital- und Marktgasse per Verordnung durchzusetzen. Damals wie heute argumentierten die Verbotsbefürworter mit den Interessen des Gewerbes und der Behinderung des öffentlichen Verkehrs. Mit dem Urteil des Verwaltungsgerichtes ist nun aber klar, dass grundsätzliche Umzugs-Verbote einen unverhältnismässigen Eingriff in die Demonstrationsfreiheit darstellen. Der Gemeinderat kommt im Bewilligungsverfahren für Demo-Umzüge nicht umhin, eine Güterabwägung der Interessen im Einzelfall vorzunehmen. Dabei ist ein Umzugs-Verbot für einzelne Kundgebungen im Rahmen der Auflagen ja nach wie vor möglich.

 In wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist das Einstehen für die Grundrechte weniger populär. Vom rot-grün dominierten Berner Gemeinderat dürfte man aber mehr Sensibilität erwarten. Wenn Sicherheitsdirektor Reto Nause (cvp) das Urteil des Verwaltungsgerichtes als "praxisfern" tituliert, beweist er, dass er das Prinzip nicht begriffen hat. Grundrechte sind Menschenrechte und keine Frage der Konjunktur oder der Umsetzbarkeit.

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BZ 19.2.10

Demonstrationen in der Stadt Bern

 "Ein Sieg für die Grundrechte"

 Ein Verbot von Demo-Umzügen greife zu stark in die Grundrechte ein. Zu diesem Schluss kommt das Verwaltungsgericht. Die Stadt muss ihr Reglement korrigieren. Das Urteil sei "praxisfern", sagt Sicherheitsdirektor Reto Nause.

 Regula Mader ist zwar nicht mehr Regierungsstatthalterin, erschien aber gestern trotzdem zur Verhandlung des Verwaltungsgerichts. Dieses hatte einen Entscheid zu prüfen, den Mader 2009 gefällt hatte und gegen den die Stadt Bern Beschwerde führte. "Das ist diejenige Beschwerde, die mich in meiner Amtszeit am meisten aufgeregt hat", sagte Mader vor der Verhandlung.

 Maders Entscheid gestützt

 Nicht mehr ärgern musste sie sich danach, denn das - mehrheitlich bürgerlich zusammengesetzte - Gericht kam zum gleichen Schluss wie die Sozialdemokratin Mader: Die Stadt Bern darf Kundgebungsumzüge nicht grundsätzlich verbieten. Das sei "verfassungswidrig und unverhältnismässig", urteilten die fünf Verwaltungsrichter einstimmig. Die Ankündigung der Stadt, man werde den betreffenden Artikel grosszügig auslegen und in Ausnahmefällen auch Umzüge bewilligen, verwirrte das Gericht: "Weshalb überhaupt dieser neue Artikel, wenn in der Praxis die Ausnahme doch wieder zur Regel werden soll?", fragte ein Verwaltungsrichter. Ein anderer fügte an: "Freiheit im Grundsatz. Einschränkung als Ausnahme." Was in Kantons- und Bundesverfassung für die Bewilligung von Demos gelte, dürfe die Stadt nicht einfach umdrehen.

 Das Stadtparlament hatte 2008 beschlossen, nur noch Demos auf Plätzen zuzulassen, ging damit aber offensichtlich zu weit. Nach der Regierungsstatthalterin gibt auch das Verwaltungsgericht den insgesamt 20 Beschwerdeführern aus dem links-grünen Lager Recht. Das Gericht musste das erstinstanzliche Urteil prüfen, weil es die Stadt Bern nicht akzeptierte. Man habe das Urteil weitergezogen, weil die Haltung und der Auftrag des Parlaments klar gewesen sei, sagt Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause.

 "Genügend Spielraum"

 "Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist ein Sieg für die Grundrechte", findet Regula Mader. Links-grüne Parteien, die Grundrechtsorganisation "Augenauf" oder die demokratischen Juristinnen und Juristen (DJS) zeigten sich zufrieden. "Die Stadt hat mit dem heutigen Reglement genügend Spielraum, um den verschiedenen Interessen entgegenzukommen", sagt Catherine Weber von den DJS.

 Nause ist enttäuscht

 Anders sieht das Sicherheitsdirektor Reto Nause. Er ist enttäuscht über das Urteil: "Es ist praxisfern und schränkt den Spielraum der Stadt erheblich ein." Nause sieht praktische Probleme auf die Bewilligungsbehörden zu kommen: Mit diesem Urteil werde es schwierig, Kundgebungen einzuschränken oder auf andere Routen umzuleiten. "Jeder, der ein Gesuch stellt, wird sich auf den Entscheid des Verwaltungsgerichts und auf seine Grundrechte berufen." Ob der Gemeinderat das Urteil ans Bundesgericht weiterziehe, sei noch offen. "Wir warten die schriftliche Begründung ab." Vorerst hofft der Sicherheitsdirektor darauf, dass das Volk am 13.Juni zustimmt, das Demo-Reglement mit dem "Entfernungsartikel" zu ergänzen (Text unten). "Dann bekämen wir wenigstens dieses zusätzliche Instrument in die Hand", sagt Nause.

 Mirjam Messerli

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 Baustelle Demo-Reglement

 Erneut wurde gestern die Stadt Bern zurückgepfiffen, weil sie ihr Kundgebungsreglement verschärft hatte.

 Es war gestern nicht das erste Mal, dass sich eine übergeordnete Instanz mit dem Kundgebungsreglement der Stadt Bern befassen musste. Es war auch nicht das erste Mal, dass die Stadt zurückgepfiffen wurde.

 Bereits Ende 2006 machte die damalige Regierungsstatthalterin Regula Mader einen Entscheid der Stadtregierung rückgängig. Mader hob das Demo-Verbot in den Hauptgassen während der Geschäftszeiten auf. Der Gemeinderat hatte es in die Kundgebungsverordnung aufgenommen.

 Diese Verordnung darf der Gemeinderat gestalten. Mit ihr wird die praktische Umsetzung des Kundgebungsreglements festgelegt. Das Reglement muss vom Stadtparlament abgesegnet werden. Gegen das partielle Demo-Verbot in der Markt- und Spitalgasse hatte sich im Jahr 2006 der inzwischen verstorbene grüne Stadtrat Daniele Jenni gewehrt - und von Mader Recht bekommen. Nach dem gestrigen Entscheid des Verwaltungsgerichts (siehe Haupttext) wird nun zum zweiten Mal die Fussnote "aufgehoben gemäss Entscheid der Regierungsstatthalterin" im städtischen Demo-Reglement Aufnahme finden.

 Die Diskussion wann, wo und in welcher Form in Bern demonstriert werden darf, geht weiter. Nächster Streitpunkt ist der "Entfernungsartikel". Dieser soll es der Polizei ermöglichen, Demo-Teilnehmer von einer Kundgebung wegzuweisen, wenn diese aus Sicherheitsgründen aufgelöst werden muss. Lanciert wurde die Ergänzung des Reglements von einem bürgerlichen Komitee mit der Volksinitiative "Keine gewalttätigen Demonstranten". Sie soll am 13.Juni vors Stimmvolk kommen. Der Gemeinderat ist für die Verschärfung des Reglements, das Parlament dagegen.
 mm

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20 Minuten 19.2.10

Demo-Verbot: Gericht pfeift Stadt Bern zurück

Bern. Schlappe für die Stadt Bern vor dem Verwaltungsgericht: Die Hauptstadt muss Demo-Umzüge definitiv wieder zulassen.

 Es war ein klarer Entscheid, den das Verwaltungsgericht gestern fällte: Einstimmig beschlossen die Richter, dass das generelle Verbot von Demonstrationszügen in der Stadt Bern verfassungswidrig und unverhältnismässig sei. Damit pfeift das Gericht die Stadt zurück. Diese hielt trotz einer gutgeheissenen Beschwerde beim Regierungsstatthalteramt am Umzugsverbot fest und wandte sich ans Verwaltungsgericht. Begonnen hatte der Knatsch um das Demo-Verbot nach den Krawallen vom 6. Oktober 2007, als SVP-Anhänger von Linksautonomen attackiert worden waren (20 Minuten berichtete).

 Bei den Demokratischen JuristInnen Schweiz ist man begeistert vom Richterspruch: "Das ist ein Sieg für die Grundrechte", so Simone Rebmann. Mit dem Entscheid allein gebe man sich aber nicht zufrieden. "Wir fordern, dass auch das Verbot von Platzkundgebungen auf dem Bundesplatz während den Sessionen aufgehoben wird." Es sei ein merkwürdiges Verständnis von Demokratie, seine Meinung nicht äussern zu dürfen, wenn wichtige Angelegenheiten entschieden würden.

 Der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause ist enttäuscht vom Urteil. "Bern als Hauptstadt ist in einer aussergewöhnlichen Situation, was Demos betrifft." Ob man das Urteil weiterziehe, sei noch unklar: "Wir warten die schriftliche Begründung ab."  

Nora Camenisch

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Telebärn 18.2.10

Kein Verbot für Demo-Umzüge
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/kein-verbot-fur-demoumzuge/c=84713&s=785687

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Demokratische Juristinnen und Juristen der Schweiz Neuengasse 8
Juristes Démocrates de Suisse 3011 Bern
Giuristi e Giuriste Democratici Svizzeri Tel 031 312 83 34
Giuristas e Giurists Democratics Svizzers Fax 031 312 40 45
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http://www.djs-jds.ch

MEDIENMITTEILUNG
 
Bern, 18. Februar 2010
 
Kein Umzugsverbot in der Stadt Bern:
Ein Sieg für die Grundrechte!
 
Das Berner Verwaltungsgericht hebt den neuen Artikel im städtischen Kundgebungsreglement KgR wegen Verfassungswidrigkeit einstimmig auf. Das Gericht folgt damit der breiten Koalition aus Parteien, Gewerkschaften und sozialen Organisationen, die gegen die Einführung des Artikels 6a KgR Beschwerde erhoben hat. Besagter Artikel sähe in der Stadt Bern in der Regel Platzkundgebungen vor, Marschkundgebungen sollten zur Ausnahme werden.
 
In der heutigen öffentlichen Beratung argumentierten die VerwaltungsrichterInnen, dass Art. 6a KgR gegen die Meinungsäusserungs- und die Versammlungsfreiheit der Bundesverfassung sowie der Verfassung des Kantons Bern verstösst. Diese Grundrechte beinhalten insbesondere das Selbstbestimmungsrecht über die Form einer Kundgebung. Art. 6a würde eine nicht annehmbare Beschränkung dieses Rechts bedeuten, in dem er Platzkundgebungen zur Regel macht. Marschkundgebungen müssten demnach besonders begründet werden und würden nur im Ausnahmefall bewilligt. Die Gemeindebehörden bekämen damit einen zu weit gehenden Ermessensspielraum um die Form einer Kundgebung einzuschränken. Damit wäre auch die Gefahr verbunden, über das Bewilligungsverfahren eine inhaltlich-politische Kontrolle auszüben und eine abschreckende Wirkung auszulösen. Die von der Stadt in Aussicht gestellte grosszügige Handhabung der Bewilligungspraxis vermag nach Ansicht der RichterInnen die Folgen einer Regelumkehr nicht zu entschärfen.
 
Nach Ansicht des Gerichts ist die Interessensabwägung darüber, wie eine Kundgebung gestaltet werden soll und wie den Interessen Dritter Rechnung zu tragen sei, jeweils im Einzelfall vorzunehmen. Eine generell abstrakte Regelung in der vorliegenden Unbestimmtheit sei fehl am Platz und berge die Gefahr der Rechtsunsicherheit. Für die GegnerInnen des neuen Artikels war immer klar, dass die heute bestehende gesetzliche Grundlage vollauf genügt und die Stadt Bern insbesondere mit Artikel 2 des KgR (Bewilligungsverfahren) genügend Spielraum hat, um den verschiedenen Interessen entgegenzukommen. Das Gericht würdigte auch die Bedenken der Polizei gegen einer solchen Platzkundgebungs-Regel sowie die Tatsache, dass bei einer Verweigerung einer Marschkundgebung keine Möglichkeit gegeben ist, rechtzeitig vor dem geplanten Anlass Beschwerde zu führen.
 
Gestützt auf die Begründungen des heutigen einstimmigen Entscheids muss nach Ansicht der beschwerdeführenden Organisationen auch die bestehende Einschränkung für Kundgebungen auf dem Bundesplatz während den Parlamentsessionen aufgehoben werden.
 
RA Willi Egloff
Für die DJS:
Simone Rebman
Catherine Weber
 
Die Gemeindebeschwerde wurde namentlich (in alphabetischer Reihenfolge) eingereicht von:
augenauf bern; comedia schweiz; Demokratische Juristinnen und Ju risten Bern, djb; Gewerkschaft Kommunikation GEKO, Regionalsekretariat Bern; Gewerk schaft Kommunikation, Sektion Bern-Postpersonal; Gewerkschaftsbund Kanton Bern GKB; Gewerkschaftsbund Stadt Bern GSB; grundrechte.ch; Grüne Partei Bern-Demokratische Al ternative GPB-DA; Grüne Partei der Schweiz GPS; Grünes Bündnis Bern GB; Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSoA; Jungsozialistinnen und Jungsozialisten Schweiz, JUSO; Solidarité sans frontières; Sozialdemokratische Partei der Stadt Bern; Sozialdemokratische Partei des Kantons Bern

Zusätzlich wurde die Beschwerde mitgetragen von:
Demokratische Juristinnen und Juristen Schweiz DJS; Gewerkschaft Kommunikation, Sek tion Zentrale Bereiche Post; Junge Alternative JA!; PdA Bern; Schweizerischer Gewerk schaftsbund SGB; Sozialdemokratische Partei der Schweiz SPS; StudentInnenschaft der Universität Bern SUB; Syna Region Bern; Travail Suisse; Unia, Sektion Bern und Region Bern; vpod Region Bern und Bundespersonal
 
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SICHERHEITS-WAHN
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Bund 19.2.10

"Bern ist eine sichere Stadt. Es braucht aber mehr Polizei zu gewissen Zeiten an gewissen Orten"

 Wie viel Polizeipräsenz braucht die Stadt Bern? - Ein Streitgespräch zur Sicherheits-Initiative.

 Gespräch: Bernhard Ott

 Herr Sancar, Ihre Partei, das Grüne Bündnis (GB), bekämpft seit jeher jede Verstärkung der Polizei. Hat das GB ein Problem mit der Polizei?

 Hasim Sancar: Nein, sicher nicht. Wir sind nicht a priori gegen die Polizei. So haben wir uns einst gegen die Schliessung der Quartierwachen in der Stadt Bern gewehrt, weil damit Bürgernähe verloren ging.

 Herr Nause, als Stadtrat waren Sie für die Initiative, jetzt sind Sie für den Gegenvorschlag. Wie kam es zu diesem Gesinnungswandel?

 Reto Nause: Ich habe mich immer für mehr Polizeipräsenz eingesetzt. Die Initiative entstand in einer Zeit der Hochkonjunktur. Heute haben wir aber gewisse finanzpolitische Einschränkungen. Der Gegenvorschlag will 2,2 statt 5,8 Millionen Franken für mehr Polizeipräsenz einsetzen und trägt damit der wirtschaftlichen Entwicklung Rechnung. Die 2,2 Millionen entsprechen annähernd dem jährlich wiederkehrenden Synergiegewinn aus der Polizeifusion in der Höhe von 3 Millionen Franken. Der Gemeinderat setzt damit ein deutliches Zeichen.

 Sie lehnen die Initiative primär aus finanziellen Überlegungen ab?

 Reto Nause: Nicht nur. Der Gegenvorschlag ist auch die adäquate Antwort auf die Sicherheitslage in der Stadt. Die Probleme sind örtlich und zeitlich lokalisierbar auf wenige Hot Spots in den Nächten der Wochenenden von Mitternacht bis sechs Uhr früh. Man kann eine Milchbüchleinrechnung machen, die etwa dem Gegenvorschlag entspricht: 20 000 Stunden Polizeipräsenz, geteilt durch 156 Tage (Donnerstag bis Samstag), geteilt durch sechseinhalb Stunden Präsenz ergibt in etwa die Aufstockung um 20 Mann, die der Gegenvorschlag anstrebt.

 Sie haben sich gegen diese Milchbüchleinrechnung stets gewehrt, Herr Müller?

 Philippe Müller: Herr Nause versucht, die Realität an den ungenügenden Vorschlag des Gemeinderats anzupassen. Doch die Überfälle geschehen eben nicht nur in den Nächten des Wochenendes, sie geschehen zu jeder Tages- oder Nachtzeit. Der Gegenvorschlag bringt einfach viel zu wenig. Zweimal sieben Polizisten sind zweimal ein Prozent des Bestandes - und das nach 27 Jahren. Der Gemeinderat wollte damit ja auch nicht die Sicherheit in der Stadt verbessern. Die einzige Überlegung hinter dem Gegenvorschlag ist es, die Initiative zu bodigen, um möglichst wenig Polizeiaufstockung zu bewirken.

 Reto Nause: Der Gegenvorschlag wurde auch vom Stadtrat gutgeheissen. Der Gemeinderat verfolgt in der Sicherheitspolitik einen ganzheitlichen Ansatz. Er hat in den Ausbau der Fremdenpolizei investiert, er setzt mehr private Sicherheitsdienste ein, er ist für bauliche Massnahmen und Videoüberwachung - leider wurde Letzteres vom Stadtrat abgelehnt. Zum ganzheitlichen Ansatz gehört auch die Verstärkung der Gasseninterventionstruppe Pinto, wie das der Gegenvorschlag beabsichtigt. Philippe Müller: Eine Aufstockung um 2,4 Stellen bei Pinto kann man einfach nicht ernst nehmen. Pinto kümmert sich um Randständige. Das sind aber nicht die Leute, die am Wochenende dreinschlagen. Die Sicherheit wird nicht besser, wenn man Randständigen verbietet, im öffentlichen Raum zu urinieren. Wenn immer mehr private Sicherheitsdienste eingesetzt werden müssen, so heisst das doch auch, dass die bestehenden Kräfte der Polizei nicht ausreichen. Die Initiative geht in der Prävention viel weiter: Sie verlangt 25 000 Jahresstunden, was ungefähr 10 Stellen entspricht.

 Hasim Sancar: Die Initiative will 110 000 Stunden Polizeipräsenz in der Gemeindeverfassung festschreiben. Da gehört das aber einfach nicht hin. Zudem ist es erstaunlich, dass die Sparpartei FDP auf Kantonsebene die Steuern für Reiche reduzieren will und auf städtischer Ebene mehr Geld ausgeben will. Wenn Geld vorhanden ist, müsste man es in die aufsuchende Jugendarbeit stecken.

 Herr Nause, woher wollen Sie die 2,2 Millionen Franken nehmen, die der Gegenvorschlag kostet?

 Reto Nause: Es muss eine Umverteilung zugunsten der Sicherheit geben. Wo man sparen muss, kann ich im jetzigen Moment nicht sagen. Fakt ist, dass die Synergiegewinne aus der Polizeifusion bereits ausgegeben sind. Herr Müller, die FDP hat doch in den Budgetdebatten jeweils gesagt, man müsse 3 Millionen Franken mehr in die Sicherheit investieren. Die 2,2 Millionen Franken des Gegenvorschlages sind nicht weit davon entfernt.

 Hasim Sancar: Wenn man das Geld im Sozialen sparen will, so ist das ein Denkfehler. Kriminalität wird nicht verhindert, indem man beim Sozialen spart und in die Polizei investiert. So gerät man in einen Teufelskreis. Weniger Sozialausgaben können auch Kriminalität verursachen.

 Herr Müller, wollen Sie die 5,8 Millionen für die Initiative beim Sozialen sparen?

 Philippe Müller: Wir wollen gar nicht in diesen Teufelskreis geraten. Wir sagen bloss, dass die Polizei seit 27 Jahren nicht mehr aufgestockt wurde. Im gleichen Zeitraum haben sich die Ausgaben im Sozialbereich auf 130 Millionen Franken verfünffacht. Die Initiative will 3,6 Millionen Franken mehr in die Polizeipräsenz investieren als der Gegenvorschlag. Das sind drei Promille des städtischen Budgets. Ich akzeptiere einfach die Behauptung nicht, dass dies die Stadt finanziell ruinieren könnte. Herr Nause, die FDP hat in der Budgetdebatte 2007 tatsächlich eine Erhöhung der Polizeipräsenz verlangt, die nur wenig mehr verlangte, als dies heute der Gegenvorschlag will. Aber der Gemeinderat war damals dagegen, weil die Initiative noch nicht lanciert war. Die rot-grünen Gemeinderatsmitglieder wollten nie eine Verstärkung der Polizei.

 Hasim Sancar: Es stimmt nicht, dass die Polizei 27 Jahre lang nicht verstärkt wurde. So wurden zum Beispiel mit der Einführung des Botschaftsschutzes und der Auslagerung der Parkkontrollen Ressourcen frei.

 Philippe Müller: Es kamen einfach neue Aufgaben dazu. Dafür hatte man Geld, für die Polizeipräsenz aber nicht.

 Reto Nause: Die Polizeipräsenz, um die es hier geht, ist tatsächlich in den letzten 27 Jahren nie erhöht worden. Gleichzeitig sind neue Aufgaben dazugekommen, zum Beispiel die Gewalt vor den Sportstadien und die häusliche Gewalt.

 Herr Sancar, wie soll man Ihrer Meinung nach denn der Gewalt vor den Sportstadien begegnen?

 Hasim Sancar: Da müsste man genug in die Fanarbeit investieren. In der Stadt Bern gab es zum Zeitpunkt der Polizeifusion 628 Polizistinnen und Polizisten. Es ist eine Disqualifizierung der Polizei, wenn man denen nicht zutraut, die zwei, drei Hot Spots in der Stadt im Griff zu haben. In den Klubs ginge es vor allem darum, die Prävention von Alkoholmissbrauch zu verstärken.

 Philippe Müller: Es gibt in der Stadt Bern wesentlich mehr als zwei, drei Hot Spots. Und es gibt nicht 628 Polizisten, sondern etwas über 400. Der Rest sind Bürolisten und technisches Personal.

 Bezüglich Repression und Prävention kann man ja das eine tun und das andere nicht lassen.

 Hasim Sancar: Das war ja das Versprechen der Polizeifusion. Damals hiess es immer, die Polizei verfüge dann über eine grössere Kapazität, die sie bei Grossanlässen einsetzen könne.

 Reto Nause: Die Polizei hat die Situation in der Stadt Bern unter Kontrolle. Wir haben aber eine gesellschaftliche Liberalisierung, die zum Beispiel Alkoholverkauf fast rund um die Uhr ermöglicht. Wir haben auch eine grosse Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen. Das kannte man früher in dieser Form nicht. Die physische Polizeipräsenz ist da die beste Prävention.

 Hasim Sancar: Gemäss einer internationalen Studie ist die Stadt Bern eine der sichersten Städte Europas. Die Zahl der Körperverletzungen ist in den Jahren 2007 und 2008 stagniert. Die Zahl der Tötungsdelikte ist gesunken.

 Philippe Müller: Von 1998 bis 2006 haben die Delikte gegen Leib und Leben aber massiv zugenommen.

 Reto Nause: In den letzten drei Jahren blieben die Delikte gegen Leib und Leben stabil, über einen längeren Zeitraum betrachtet, haben sie stark zugenommen. Ich will die Zahlendiskussion nicht führen. Bern ist eine sichere Stadt. Es braucht aber mehr Polizei zu gewissen Zeiten an gewissen Orten. Jedes Opfer ist eines zu viel. Den Opfern sind die Statistiken egal.

 Philippe Müller: Mit der Initiative wird es weniger Opfer geben.

 Laut Polizeikommandant Stefan Blättler bedeutet mehr Polizei nicht automatisch weniger Kriminalität. Kann man mit Polizeipräsenz überhaupt Gewalttaten verhindern?

 Reto Nause: Gegen die Prügeleien vor den Klubs kann man damit etwas bewirken. Bei Überfällen auf Tankstellenshops und Kioske sind aber die kriminalpolizeilichen Ermittlungen ausschlaggebend.

 Philippe Müller: Es geht bei der Initiative ja nicht allgemein um Kriminalität, sondern um Gewaltdelikte auf der Strasse. Ein potenzieller Täter schreckt angesichts von Polizeipräsenz aber eher vor einem Überfall zurück. In den sieben Jahren seit dem Überfall in der Postgasse, als ein Lehrer invalid geschlagen wurde, hat der Gemeinderat in Sachen Sicherheit nichts unternommen. Das ist eine menschenverachtende Politik.

 Hasim Sancar: Die Aussage des Polizeikommandanten trifft den Nagel auf den Kopf. Stabile Lebensverhältnisse und materielle Sicherheit gewährleisten Sicherheit. Der Überfall in der Postgasse ist vor 7 Jahren geschehen. Auch mit 200 Polizisten mehr wäre die Tat kaum zu verhindern gewesen.

 Stadtrat Philippe Müller (fdp) hat die Initiative zur Erhöhung der Polizeipräsenz in der Stadt Bern lanciert.

 Gemeinderat Reto Nause (cvp) trat als Stadtrat für die Initiative ein. Als Sicherheitsdirektor der Stadt Bern setzt er sich nun aber für den Gegenvorschlag ein.

 Stadtrat Hasim Sancar (gb) lehnt sowohl die Initiative als auch den Gegenvorschlag ab.

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 Die Abstimmung vom 7. März

 Wie viel Polizei hat Bern nötig?

 Die Initiative für eine sichere Stadt Bern will eine Erhöhung der sichtbaren Polizeipräsenz um 45 000 auf 110 000 Stunden in der Gemeindeordnung festschreiben. Zudem sollen in der Verfassung 25 000 Stunden polizeiliche Gewaltprävention festgehalten werden. Der Gegenvorschlag des Gemeinderats will eine gestaffelte Erhöhung bis zu 20 000 Stunden im Jahr 2013 und eine Aufstockung der Gasseninterventionstruppe Pinto um 240 Stellenprozente. (bob)

 Abstimmung 7. März 2010 Sicherheits-Initiative Stadt Bern

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POLICE BE
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BZ 19.2.10

Polizei weist Kritik zurück

 Die Kantonspolizei reagiert auf die Interpellation der Stadtberner SP (Ausgabe von gestern): Es sei falsch, zu behaupten, die Polizei baue in der Stadt Leistungen ab. Die von der SP ins Feld geführten Neubesetzungen und Stellenverschiebungen weg von der Regionalpolizei dienten der Optimierung der 2008 vollzogenen Fusion von Stadt- und Kantonspolizei. Anders als dies die SP befürchte, würden die im Ressourcenvertrag mit der Stadt vereinbarten Leistungen vollumfänglich erbracht, heisst es in einer Stellungnahme.
 azu

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20 Minuten 19.2.10

Kapo: "Vorwürfe stimmen nicht"

 BERN. Die Kantonspolizei nahm gestern in einer Mitteilung Stellung zu den anonymen Vorwürfen aus dem Korps. Dies, nachdem die SP der Stadt Bern in Frage gestellt hatte, dass die Kapo nach angeblich fragwürdigen Personalentscheiden und internen Problemen den Aufgaben auf Stadtgebiet überhaupt noch nachkommen kann. "Die mit der Stadt vereinbarten Leistungen wurden und werden erbracht", antwortet nun die Polizei. Personalentscheide seien zudem durchdacht und in offenen Bewerbungsverfahren gefällt worden. Auch seien keine Fahnder aus der Stadt abgezogen worden.

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BZ 18.2.10

Kantonspolizei

 SP verlangt Aufklärung

 Die Vorwürfe, wonach die Kapo Leistungen in der Stadt Bern abbaue, sind für die SP "berechtigt". Man müsse genauer hinsehen.

 Stefan Blättler, Kommandant der Kantonspolizei, baue Leistungen in der Stadt Bern ab: Diese Zeitung machte Ende letzte Woche entsprechende Vorwürfe aus dem Korps der Regionalpolizei Bern publik. Konkret ging es um Neubesetzungen von Chefposten in der Regionalpolizei, der früheren Stadtpolizei, durch ortsunkundige Kantonspolizisten und die Verschiebung von 14 Fahndern weg von der Stadt Bern.

 Vertrauensfrage gestellt

 Nun wird die Stadtberner Politik aktiv: SP-Stadträtin Corinne Mathieu, als Vizepräsidentin der Sicherheitskommission Fachfrau, reicht heute im Stadtrat eine Interpellation ein. "Gemäss Ressourcenvertrag muss bei Veränderungen des Leistungsumfangs der Gemeinderat zwingend angehört werden", erklärt Mathieu. Sie will deshalb vom Gemeinderat wissen, ob er über die Stellenverschiebungen informiert war und ob die Kantonspolizei ihre im Ressourcenvertrag festgelegten Leistungen noch vollumfänglich erbringt.

 Die jüngsten Entscheide von Kapo-Kommandant Blättler lassen bei Mathieu grundlegende Zweifel aufkommen: "Die Frage stellt sich, ob man dieser Kantonspolizei noch vertrauen kann, wenn sie offenbar nicht willens ist, den Ressourcenvertrag einzuhalten." Sie verweist auf Nachfragen bei Insidern, welche die fraglichen Personalentscheide als "völlig unverständlich" taxieren. Die anonym erhobenen Vorwürfe seien deshalb "berechtigt".

 Grosser Rat gleichgültig

 Der SP-Fraktion sei bewusst, dass eigentlich der Grosse Rat das Aufsichtsorgan der Kantonspolizei wäre, heisst es im Vorstoss. "Doch dort herrscht eine grosse Gleichgültigkeit gegenüber der Stadt", konstatiert Mathieu. "Deshalb sind wir der Ansicht, dass es unsere Pflicht ist, genauer hinzusehen." Das sei auch mit Blick auf die Abstimmung über die Sicherheits-Initiative vom 7.März wichtig: "Man muss sich fragen, ob zusätzliche Polizisten wirklich der Stadt zugute kommen würden."
 azu

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police.be.ch 18.2.10

Medienmitteilung vom 18. Februar 2010

Stellungnahme der Kantonspolizei zu falschen Behauptungen

pkb. Die Kantonspolizei Bern ist in Zusammenhang mit kommenden politischen Entscheiden in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Dabei werden Behauptungen verbreitet, welche völlig falsch sind.

In den Medienberichten werden Schlüsse gezogen, welche teils auf anonymen Schreiben und unwahren Behauptungen über Strukturanpassungen und Personalentscheide beruhen.

Zudem werden grundlegende Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der Kantonspolizei Bern geäussert. Die Vertrauensfrage müsse man sich stellen, weil die Kantonspolizei offenbar nicht Willens sei, den Ressourcenvertrag mit der Stadt Bern einzuhalten.

Das Polizeikommando stellt klar: Die jüngsten Personalentscheide haben mit den für die Stadt Bern zu erbringenden Leistungen nichts zu tun. Die im Ressourcenvertrag mit der Stadt Bern vereinbarten Leistungen wurden und werden erbracht. Die Gerichtspolizei ist eine kantonale Aufgabe und somit nicht Gegenstand des Vertrages.

Es ist falsch, wenn behauptet wird,

* dass 14 Fahnder aus der Stadt abgezogen worden sind. Richtig ist, dass nach dem Zusammenschluss und Abschluss von Police Bern in einzelnen Bereichen Optimierungen vorgenommen wurden. Um Doppelspurigkeiten zu vermeiden, wurden u. a. die Bereiche Ziel- und Personenfahndung zusammengeführt und in der Kriminalabteilung unter der Leitung eines ehemaligen Stadtpolizisten angesiedelt. Damit wird auch neuen Kriminalitätsformen wie etwa dem Menschenhandel Rechnung getragen. Die erwähnten Fahnder werden auch weiterhin für Aufgaben in der Stadt Bern im Einsatz stehen.

* die frühere Chefin der Regionalfahndung Bern habe im Sommer 2009 den Dienst quittiert. Richtig ist, dass sie nach wie vor Angehörige der Kantonspolizei ist und als solche in eine höhere Charge der Kriminalabteilung befördert wurde.

* dass ein unerfahrener Polizist ohne Gebietskenntnis zum Chef des Stützpunktes Bern-Ost ernannt wurde und damit der Sicherheit in der Stadt Bern nicht Rechnung getragen werde. Richtig ist, dass der ernannte Kaderangehörige eine langjährige Berufserfahrung, zuletzt als Chef der Stationierten Polizei des Berner Oberlandes, mitbringt und sich in einem offenen Bewerbungsverfahren für diese Stelle qualifiziert hat.

* dass Fälle von sexueller Belästigung unter den Teppich gekehrt würden. Würden dem Polizeikommando solche bekannt, werden die erforderlichen Massnahmen getroffen. Sexuelle Belästigungen würden unter keinen Umständen toleriert.

Das Polizeikommando ruft in Erinnerung, dass die Zusammenlegung der beiden Polizeikorps dem politischen Willen der Bürgerinnen und Bürger von Stadt und Kanton Bern entspricht.

Zu berücksichtigen gilt es dabei, dass die frühere Stadt- wie auch die Kantonspolizei eigene über viele Jahre gewachsene Kulturen und Strukturen hatten. Diese werden nun in einem kontinuierlichen Prozess zusammengeführt.

Die Kantonspolizei muss sich laufend den neuen Rahmenbedingungen und Anforderungen anpassen. Viele neuere Kriminalitätsformen machen nicht vor den Gemeindegrenzen Halt. Den unterschiedlichen Anforderungen und Bedürfnissen in der Stadt und auf dem Land wird mit einem laufenden Dialog Rechnung getragen.

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20 Minuten 18.2.10

Kapo-Knatsch: SP reicht Vorstoss ein

 BERN. Die Kantonspolizei kann den Anforderungen der Stadt Bern allenfalls nicht mehr genügend nachkommen. Das befürchtet die SP der Stadt Bern, nachdem in anonymen Briefen aus dem Korps wiederholt Missstände angeprangert wurden. Die Vorwürfe umfassen Mobbing, sexuelle Belästigung sowie ungünstige Personalverschiebungen innerhalb des Korps. SP-Stadträtin Corinne Mathieu fordert deshalb per Vorstoss, dass die Stadt Bern als Leistungseinkäuferin der Kantonspolizei die Situation genau untersucht. Es müsse abgeklärt werden, ob das Funktionieren der Kapo auf dem Stadtgebiet weiterhin gewährleistet sei oder ob die Polizei eine Verschlechterung der Versorgung der Stadt in Kauf nehme. Ausserdem will Mathieu vom Gemeinderat wissen, wie er die Vorgänge bei der Polizei beurteilt und ob man noch Vertrauen in deren Leistungen habe.  NJ

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ANTIREP-DEMO AARAU
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Indymedia 18.2.10

Neuigkeiten zur Antirep-Demo in Aarau ::

AutorIn : antirepdemo         

Es gibt keine gute Bullengewalt…
Gegen die Repression, heisst gegen den Kapitalismus!

Antirep-Demonstration
20. Februar 2010, 15 Uhr, Igelweid Aarau     
    
Aufgrund vom E-Mail-Verkehr zwischen der Stadt und Polizei sowie den Demonstrations-Organisatoren gehen wir zum jetztigen Zeitpunkt davon aus, dass die Antirep-Demo vom Samstag, 20. Februar 2010 in Aarau tolleriert wird. Trotzdem empfehlen wir allen eine frühzeitige und unauffällige anreise.

Ausserdem ist nun die Antirep- und Sani-Nummer von diesem Tag bekannt.
Antirep-Nummer: 077 414 99 60
Sani-Nummer: 078 928 45 40

Bei Repressionen, Vorladungen etc nach der Demo:  antirepaarau@immerda.ch

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Aufruf
http://ch.indymedia.org/de/2010/02/73657.shtml

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BIG BROTHER VIDEO
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Beobachter 19.2.10

Ratgeber

 Sie werden gerade gefilmt

 Immer mehr Kameras überwachen das Geschehen im öffentlichen und privaten Raum. Doch lange nicht alles ist erlaubt, nur weil es der Sicherheit dient. Wer darf eigentlich was?

 Patrick Strub

 Die Privatsphäre der Schweizer ist in Gefahr. Das findet zumindest der eidgenössische Datenschutzbeauftragte und kämpft gegen Google, das mit Street View virtuelle Fahrten durch Städte ermöglicht. Der Internetriese hat sich nun verpflichtet, keine neuen Bilder online zu stellen - bis ein Gerichtsentscheid vorliegt.

 Doch der Staat ist nicht immer um die Privatsphäre seiner Bürger besorgt; manchmal verunsichert er sie selber mit Überwachungsmassnahmen. Weil der Schutz der Persönlichkeit in der Schweiz aber einen hohen Stellenwert geniesst, ist es für Bund, Kantone und Gemeinden nur unter strengen Voraussetzungen zulässig, ihre Bürger mit Kameras zu beobachten.

 Die meisten Kameras sind jedoch privat installiert: Überwachungskameras von Hauseigentümern, die sich vor ungeliebten Gästen schützen wollen, und unzählige Webcams. Schätzungen zufolge gibt es in der Schweiz heute weit über eine halbe Million Kameras. Beim Datenschutzbeauftragten treffen wöchentlich mehrere Anfragen zu privaten Videokameras ein. Sprecherin Eliane Schmid: "Meist bieten wir den Leuten eine Beratung an. Nähere Abklärungen können wir nur vornehmen, wenn die Persönlichkeit einer grösseren Anzahl von Betroffenen gefährdet ist."

 Wer tummelt sich im Whirlpool nebenan?

 Auch die Beobachter-Berater hören regelmässig Geschichten über Nachbarn, die zwar auf Sicherheit bedacht sind, jedoch keinen Respekt vor der Privatsphäre ihrer Umgebung haben. So nahm eine private Kamera in einer Luzerner Gemeinde nicht nur den Vorplatz eines Hauses auf, sondern auch den Zugang zum Nachbarn - und alle Personen, die dort ein und aus gehen.

 Das ist unzulässig, wie sich auch aus dem Merkblatt des eidgenössischen Datenschützers zur Videoüberwachung durch private Personen ergibt: "Die Videokamera muss so aufgestellt werden, dass nur die für den verfolgten Zweck absolut notwendigen Bilder in ihrem Aufnahmefeld erscheinen." Ein Grundsatz, der auch in einem delikaten Fall im Kanton St. Gallen verletzt wurde: Eine Kamera erfasste dort jenen Teil eines fremden Gartensitzplatzes, auf dem ein Whirlpool steht.

 Staatliche Videoüberwachung

 Die Überwachung durch Videokameras ist ein schwerer Eingriff ins verfassungsmässige Recht auf den Schutz der Persönlichkeit. Sie darf nur unter folgenden Voraussetzungen vorgenommen werden:

 - Es sind keine milderen Massnahmen möglich (baulicher, personeller oder sozialer Art).

 - Die Delikte, die verhindert werden sollen, sind nicht untergeordneter Art, wie etwa blosse Ruhestörungen oder illegales Abfallentsorgen.

 - Die Überwachung ist zeitlich und örtlich auf das absolute Minimum zu beschränken.nIn einem Reglement ist der genaue Einsatz der Kameras zu regeln, ebenso, was mit den Aufnahmen geschieht.

 - Betroffene müssen auf die Überwachung aufmerksam gemacht werden.

 So wehren Sie sich

 Jeder Kanton hat sein eigenes Datenschutzgesetz und seinen eigenen Datenschutzbeauftragten. Gegen Überwachungen durch kommunale oder kantonale Institutionen wehrt man sich beim kantonalen, gegen solche durch den Bund beim eidgenössischen Datenschutzbeauftragten.

 Private Überwachungskameras und Webcams

 Will ein Privater eine Kamera betreiben, muss dieser Eingriff in die Persönlichkeitsrechte allfälliger Betroffener folgende Voraussetzungen erfüllen:

 - Rechtmässigkeit: Der Eingriff ist durch ein öffentliches oder privates Interesse gerechtfertigt. Beispiele: Ein Warenhaus schützt sich gegen Ladendiebstahl, ein Hauseigentümer gegen Einbruch.

 - Verhältnismässigkeit: Die Kamera ist geeignet und nötig, um den gewünschten Zweck zu erreichen. Es ist keine weniger weit gehende Massnahme durchführbar, die den Zweck gleichermassen erreicht (etwa der Einbau eines Alarmsystems).

 Für den Betrieb einer privaten Überwachungskamera gelten diese Regeln:

 - Wer das Aufnahmefeld betritt, muss mit einem Hinweisschild informiert werden, dass er überwacht wird und wo er Auskunft über die erhobenen Daten einholen kann.

 - Die Daten müssen vor unbefugtem Zugriff geschützt werden. Gespeicherte Daten müssen zum Beispiel in einem verschlossenen Raum aufbewahrt werden.

 - Die Kamera darf nur die absolut notwendigen Bilder aufnehmen.

 - Die Aufnahmen dürfen nur dem Schutz von Personen und Sachen dienen.

 - Die Bilder müssen innert kürzester Zeit wieder gelöscht werden (in der Regel 24 Stunden), sofern keine Unregelmässigkeiten entdeckt wurden.

 Webcams erfüllen in der Regel keinen Schutzzweck, sondern dienen ausschliesslich der Unterhaltung. Bedingung zum Betrieb einer Webcam:

 - Die Webcam ist so konfiguriert, dass keine Personen erkannt werden können.

 - Oder die betroffenen Personen werden über die Aufnahme informiert und erteilen ihre Einwilligung.

 So wehren Sie sich

 Wer sich mit dem Kamerabetreiber nicht auf eine Lösung einigen kann, welche die Persönlichkeitsrechte respektiert, kann sich an den eidgenössischen Datenschutzbeauftragten wenden. Ergibt sich auch mit dessen Unterstützung kein Einvernehmen, ist man auf den gewöhnlichen Zivilprozessweg angewiesen, in der Regel zuerst mit einer Klage an den Friedensrichter. Geschieht die unzulässige Überwachung wissentlich und willentlich, kann man zudem einen Strafantrag bei der Polizei stellen wegen Verletzung des Geheim- oder Privatbereichs durch Aufnahmegeräte.

 Weitere Infos: Ein Verzeichnis der zuständigen Datenschutzbeauftragten und mehr finden Sie auf der Beobachter-Beratungsplattform www.helponline.ch: → Staat → Bürger und Behörden → Datenschutz

 Bürger unter Beobachtung: Was ist erlaubt und was nicht?

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FAU
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Indymedia 18.2.10

Umfrage für Lehrlingskampagne der FAU Bern ::

AutorIn : FAU Bern: http://faubern.ch/     

Die FAU (Freie ArbeiterInnen Union) Bern will 2010 eine Sensibilisierungskampagne zur Situation der Lehrlinge durchführen.
    
Fragebogen zum herunterladen (PDF)
http://ch.indymedia.org/media/2010/02//73894.pdf

Um die konkreten Interessen und Probleme von Lehrlingen anzusprechen, führt die FAU eine möglichst breite Umfrage bei (Ex-)Lehrlingen durch. Das Ziel der Umfrage ist es, die Interessen und Probleme der Lehrlinge näher kennenzulernen und die gewonnen Erkenntnisse in die gewerkschaftliche Arbeit der FAU Bern einfliessen zu lassen.
Bitte fülle diesen Fragebogen aus, falls du dich momentan in einer Lehre befindest oder in den letzten 5 Jahren eine Lehre entweder abgeschlossen oder abgebrochen hast.
Den ausgefüllten Fragebogen bitte so rasch wie möglich an folgende Adresse schicken: FAU Bern, Postfach 636, 3000 Bern 25. Danke für deine Mithilfe!

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RAUCHVERBOT
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Bund 19.2.10

Stadtratsmitglieder kämpfen gegen kantonales Rauchverbot

 Mitglieder des Berner Stadtrats haben eine IG Freies Entscheiden und Handeln gegründet. Diese bekämpft das kantonale Rauchverbot und will dieses durch die flexiblere Bundesregelung ersetzen. Den Vorsitz hat Wirt und SVP-Stadtrat Peter Bühler. Weitere Mitglieder sind Martin Schneider und Jimy Hofer. In kürzester Zeit habe sie 55 Sympathisanten gewonnen, schreibt die IG. (pd)

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20 Minuten 19.2.10

Wirte gründen IG gegen Rauchverbot

 BERN. Die Stadträte Jimy Hofer, Peter Bühler und Martin Schneider haben diese Woche die Interessengemeinschaft Freies Entscheiden und Handeln gegründet. Ihr erstes Ziel: das kantonale Rauchverbot aufzuheben und dieses durch die weniger strenge eidgenössische Lösung zu ersetzen. Kleinbetriebe bis 80 Quadratmeter könnten so wieder selbst entscheiden, ob sie Raucher- oder Nichtraucherbetriebe sein wollen - heute sind reine Raucherbetriebe im Kanton Bern tabu. "Bis gestern hatten wir schon 60 Mitglieder", sagt Wirt Peter Bühler. Die IG wolle eine kantonale Initiative vorbereiten, falls der Grosse Rat nicht bereit sei, das Rauchverbot durch die nationale Lösung zu ersetzen.

 Vielleicht wird aber auch dieses bald massiv verschärft: Die Lungenliga und 50 weitere Organisationen haben nämlich eine entsprechende eidgenössische Volksinitiative lanciert und schon 100 000 Unterschriften gesammelt.  sah

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20 Minuten 18.2.10

Rauchverbot ist "Eingriff in unternehmerische Freiheit"

Bern. Der Direktor des Branchenverbandes GastroSuisse, Anton Schmutz, empört sich über das Rauchverbot in Restaurants, das am 1. Mai 2010 in Kraft tritt.

 Wird das Rauchverbot die wirtschaftlichen Probleme in der Gastrobranche weiter verschärfen?

 Anton Schmutz: Erste Erfahrungen zeigen, dass insbesondere Betriebe mit einem hohen Anteil an Getränkeumsatz stark betroffen sind, zum Beispiel Bars, Diskotheken und Lokale mit gut frequentierten Stammtischen. Die Langzeitwirkung auf die Branche kann heute noch nicht beurteilt werden. Generell sind die Vorschriften des Passivrauchschutzes ein massiver Eingriff in die unternehmerische Freiheit.

 Eine Umfrage der Branchenzeitschrift "eXpresso" bei Wirten hat gezeigt, dass die Angst vor Umsatzeinbrüchen in der Regel unbegründet ist.

 Wir stützen uns auf die Aussagen unserer Mitglieder und Arbeitgeber. Diese haben je nach Betriebstyp erhebliche Umsatzeinbussen erlitten.

 Wie stehen Sie zu Fumoirs?

 Rund 30 Prozent der Bevölkerung zählt zu den Rauchern. Ein fairer Umgang mit dieser Minderheit würde zumindest bedingen, dass diese in einem abgetrennten Teil des Betriebes die gleichen Leistungen erhalten dürfen wie Nichtraucher.

 Mit wie vielen Investitionen muss ein Gastwirt rechnen, wenn er einen bestehenden Raum in ein Fumoir umbauen lassen will?

 Nicht selten werden Kosten bis zu 60 000 Franken genannt. Ein stolzer Betrag für einen Raum, in dem man seine Rolle als Gastgeber nicht ausüben darf.  sda

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DRITTE HALBZEIT
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Die Zeit 19.2.10

Zwei Minuten Endspiel

 Weil Hooligans von der Polizei scharf beobachtet werden, weichen sie aus: Sie treffen sich fern der Stadien zum Kampf unter Gleichgesinnten. Blick in eine Schattenwelt

Von Daniel Ryser

 Bahnhofbuffet Altstetten. Das Telefon meines Gegenübers klingelt ununterbrochen. Der Gegner ist dran: "20 gegen 20. In zwei Wochen. Es steht. Wir sind bereit." Er legt auf und ruft umgehend den Kontaktmann einer verbündeten Gruppe an: "Das Ding steht. 20 gegen 20. Organisier sieben bis acht Leute. Ich will, dass wir 25 sind. Und dann zählen wir ab. Die Sache muss unbedingt fair laufen. Ihr habt doch da bei euch dieses schöne, ruhige Wäldchen. Geht das klar?"

Mein Gegenüber ist ein Zürcher Hooligan. Die Rede war von einem "Feld-Wald-Wiese", einer verabredeten Schlägerei zwischen zwei Hooligangruppen fernab von Offentlichkeit, Kameras, Unbeteiligten. Später zeigt er auf dem Laptop eine Filmaufnahme: 20 junge Männer marschieren in Dreier- und Viererreihen auf einem schmalen Weg. Links und rechts Bäume. Sie tragen weiße T-Shirts, Turnschuhe. Sportlerkleidung. Ihre Hände sind in Bandagen gewickelt. Nach einigen Metern rennen sie los. Kamera schwenkt. Weggabelung: Rote Gruppe. Weiß: Zürcher Hooligans.  Rot: ein Gegner aus Deutschland. Weiß rennt. Rot steht wie eine Wand. Der Aufprall. Männer schlagen und treten aufeinander ein. Und halten dabei trotz aller Brutalität einen Kodex ein: Wer am Boden liegt, wird in Ruhe gelassen. Nach einer Minute, eine gefühlte Ewigkeit, ist die Schlägerei vorbei. Im Autokonvoi schnell weg vom Schauplatz. Das Blut auf der nächsten Autobahnraststätte abwaschen. Fünf Stunden Rückfahrt.

 "Die vorn schlagen zu, die hinten drücken nach vorn. Wie beim Rugby"

Es sind Szenen eines Hooliganlebens in der Schweiz. In Deutschland. Polen. Russland. Osterreich. Den Gef~.hrlichsten unter den gewaltbereiten Fans, den Hooligans, wird zumindest in der Schweiz und in Deutschland rund um die Stadien das Leben erheblich erschwert. Tauchen sie auf, werden sie von Szenekennern sofort angesprochen, Wegweisung und Verhaftung drohen. Als ich an einem Spieltag 15 Zürcher Hooligans begleite, dauert es nur Minuten, bis sie von der Polizei umstellt sind. Einer sagt: "So macht das keinen Spaß mehr. In den Achtzigern und auch noch in den Neunzigern war es kein Problem." Also tauchen sie ab. In eine andere Welt. Feld-Wald-Wiese. Schlä-gereien unter Gleichgesinnten. Abseits von Spielragen, Offentlichkeit, Unbeteiligten. Sie geben Auskunft über das "Handwerk", aber stellen eine Bedingung: keine Namen anderer Gruppen. Zürcher Hooligans, die für solche Schlägereien nach Deutschland reisen, beschreiben diese so:

"Du stellst dich in kleinen Reihen auE Etwa vier Mann pro Reihe und fünf hintereinander. So läufst du auf den Gegner zu. Beim Kontakt schlagen die Vorderen zu, die Hinteren drücken nach vorne. Ahnlich wie beim Rugby."

"Kein Alkohol im Vorfeld, viel Training. Du stellst dir den Gegner so schlimm vor wie mög-lich. Wenn du im Kopf nicht parat bist, hast du verloren. Am Vorabend packst du deine Tasche: Mundschutz, Bandagen, Getränk. Früh ins Bett, früh raus. Meistens geht es nach Deutschland." ‘

"10 gegen 10, 20 gegen 20. Das ist unterschied-lich. Ein Kampf dauert zwischen 15 Sekunden und ein bis zwei Minuten. Aber davon weiß ich jeweils nichts mehr. Das Adrenalin befreit mich von allen Gedanken."

"Die Deutschen sind extrem vorsichtig. Die ha-ben dauernd Arger mit den Bullen. Dabei sagen uns die Bullen hier ständig: Macht den Seich doch im Wald. Da könnt ihr euch die Köpfe ein-schlagen, so fest ihr wollt, und keinen stört es."

Keinen stört es: Das mag die Meinung einzelner Polizisten sein. Offiziell klingt es jedoch anders. "Wenn wir von einer solchen Schlägerei erfahren, gehen wir dagegen vor. Die Beteiligung an einer Schlägerei ist eine Straftat. Und sie gefährdet den Landfrieden", sagt Andreas Piastowski, Polizeidirektor von Nordrhein-Westfalen und Chef der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze. Piastowski ist der oberste Hooliganfahnder Deutschlands. Ja, es gebe in Deutschland eine aktive "Feld-Wald-Wiese"-Szene. Namen nennen könne er nicht. Keine Namen, keine Zahlen. "Wir wollen diesen Leuten keinen Hinweis geben, wie viel wir über sie wissen." Er sagt auch: Man wisse von Gewaktourismus aus der Schweiz, "doch dazu kein Wort mehr".

 Unldar ist, für wie viele solcher Schlägereien der Fußball überhaupt noch Ausgangspunkt ist. )>Geht es überhaupt noch darum, einen Verein zu präsentieren, oder immer mehr darum, auszuprobieten, was man gerade im Boxstudio gelernt hat?" Obwohl sich Piastowski mit Informationen zurückhält, zeigt der Jahresbericht seiner Dienststelle, wie viel die Polizei über die Szene weiß: "Häufig fanden verabredete Auseinandersetzungen zu Zeiten statt, zu denen die besondere Aufbauorganisation der Polizei aus Anlass einer Fußballbegegnung noch nicht (Vorabend der Begegnung) oder nicht mehr (späte Nachspielphase) bestand. Darüber hinaus wurde vereinzelt auch über Verabredungen vollkommen ohne Fußbailbezug berichtet." Und weiter: "Um Aufldärungsmaßnahmen der Polizei zu erschweren und das vorzeitige Bekanntwerden abgesprochener Aktionen zu verhindern, treffen als Führungspersonen beziehungsweise Organisatoren anerkannte Angehörige gewaltbereiter Gruppen im Vorfeld beabsichtigter Auseinandersetzungen die erforderlichen Absprachen, dies in der Regel über Mobilfunknetze."

"Nur zwei Leute wissen vorher Bescheid. Damit es kein Gerede gibt"

Der Bericht beschreibt im Detail die Vorsichtsmaßnahmen. Ein Zürcher Hooligan sagt: "Aus Sicherheitsgründen erfahren unsere Leute erst am Morgen, wohin es geht und gegen wen. Nur zwei Leute wissen bei uns vorher Bescheid. Damit es kein Gerede gibt." Die Angst, von der finken und flexiblen deutschen Polizei geortet zu werden, ist offenbar groß. Doch auch in der Schweiz hat die Polizei ihr Ohr an der Szene, wenngleich Christoph Vögeli sagt: "Diese klassische Hooliganszene ist am Aussterben"; der Leiter der Zentralstelle Hooliganszene sagt aber auch: "Feld-Wald-Wiese hat es seit vielen Jahren nicht mehr gegeben."

Eine Fehleinschätzung? Oder ein Manöver? Ich erfahre, abgestützt durch mehrere Quellen, von diversen FeIJ-Wald-Wiese-Aktioners in der Schweiz, und dies auch ohne Betei1igur~g aus den Städten Zürich und Basel, die seit je die gefürchtetsten Gruppen stellen: St. Gallen, Aarau, Bern, Winterthur, Luzern, Vaduz. Zürcher Hooli~ans sagten mir — und einer Reporterin der Basler Zeitung berichteten Basler Hooligans 2008 Ähnliches —‚ dass die Feld-Aktionen zum Refugium für Schläger geworden sind; für Hooligans, die polizeibekannt sind und die sich an Spieltagen nicht mehr blicken lassen können. Aber weil das Schlagwort Hooligans regelmäßig in den Medien ist, weil die Politik, angeführt von der FDP-Regierungsrätin Karin Keller-Sutter, in einen regelrechten Kampf gegen die Stadion-Ultras gezogen ist, jene Fans, die Fahnen schwenken, singen, Pyro zünden, und weil dies von Keller-Sutter als "Kampf gegen die Gewalt" deklariert wird — deshalb wird es selbst auf den Feldern offenbar eng. Und weil Christoph Vögelis Kollegen nicht schlafen: Als sich kürzlich zwei Schweizer Hooligangruppen zur Schlägerei trafen, tauchte wenig später die Polizei auf; da war die Schlägerei allerdings schon vorbei.

 Vorladungen, Bußen, Verhaftungen, U-Haft: Die Polizei ist an der Szene dran, überall. Karin Keller-Sutter sagt: "Es handelt sich hier um Gruppen, wie sie es überall gibt, Gruppen, die sich an keine Regeln halten und voller destruktiver Absichten sind. Es gibt kein Menschenrecht, in fremde Gärten zu urinieren, andere zusammenzuschlagen. Diese Leute müssen wir isolieren. Die anderen Menschen, die friedlich Fußballspiele schauen wollen, werden das zu schätzen wissen. So wie wir es am Flughafen schätzen, wenn wir zwar die Schuhe ausziehen müssen, aber daflir sicher fliegen können." Die Regierungsrätin ist überzeugt: "Ein Grund für die Gewalt rund um den Fußball ist, dass die Leute glauben, dass sie damit davonkommen. Deshalb braucht es härtere Gesetze."

Der Blick in die Szene zeichnet jedoch ein völlig anderes Bild: Der Paranoiastand ist hoch. Bei den Hooligans herrscht denn auch keine Heiterkeit wegen handlungsunfähiger Polizei. Es herrscht eher Kamikazestimmung: "Erwischt werde ich sowieso. Also lasse ich es wenigstens richtig krachen." Tatsächlich traf ich bei meiner Recherche auf keinen Hooligan, der nicht zumindest von der Polizei registriert worden war. Viele stehen mit einem Bein im Gefängnis. Ein führender Zürcher Hooligan sagt: "Tauche ich an einem Spieltag auf, werde ich sofort angesprochen. Dann lassen sie mich nicht mehr aus den Augen. Knallt es, bin ich mir der Vorladung sicher. Der einzige wirkliche Spaß, den man heute noch hat, ist auf dem Feld. Feld-Wald-Wiese. Hunderte Kilometer für eine Minute Action. Keine Polizei, keine Zeugen. Gewalttäter unter sich."

Die meisten Zitate entstammen dem neuen Buch von Daniel Ryser: Feld-Wald-Wiese. Hooligans in Zürich. Echtzeit-Verlag, www.echtzeit.ch

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WoZ 18.2.10

Neues Buch

 Hooligans in Zürich

 Wenn es mal wieder knallt, nach dem Fussballspiel, am Reclaim the Streets, kommt meistens er auf TeleZüri: Adolf Brack. 1985 erster Hooliganpolizist der Schweiz, seit 2001 pensioniert. Seine Analysen sind umstritten, weil sich die Fanszenen seit seinem Abgang verändert haben: Nun haben in den Kurven die Ultras das Sagen. Trotzdem gibt es nach wie vor kaum einen Mann, der die klassische Schweizer Hooliganszene so gut kennt wie er. Auf Seite 13 drucken wir einen Auszug aus dem Buch "Feld-Wald-Wiese. Hooligans in Zürich" von WOZ-Redaktor Daniel Ryser. Darin erklärt Brack, wie der Hooliganismus in der Schweiz begann, wer zu den ersten Gruppen gehörte, und dass es auch vor zwanzig Jahren "nach fast jedem Spiel des ZSC gebrannt hat".

 Brack schätzt auch den "Fall Landolt" um den Ex-Sicherheitsverantwortlichen der Swiss Football League ein, der eine Stripparty für Hooligans organisiert hatte. Die WOZ hatte diese im Herbst 2008 publik gemacht. Zudem: Zürcher Hooligans werfen ein neues Licht auf den "Kessel von Altstetten", wo die Zürcher SP-Polizeivorsteherin Esther Maurer Hunderte Basler Fans als vermeintliche Hooligans verhaften liess: Während die Polizei in Altstetten ihre Verhaftungsaktion abhielt, prügelten sich im Zürcher Niederdorf 150 Zürcher und Basler Hooligans. fm

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Hooliganismus-Adolf Brack kennt die Männer, die sich vor und nach Fussballspielen prügeln. 25 Jahre lang war er Hooliganspezialist bei der Polizei. WOZ-Redaktor Daniel Ryser lässt ihn in seinem neuen Buch zu Wort kommen.

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 "Hooligans sind schwer zu handhaben"
 
Von Daniel Ryser

 Bis er 2001 aus dem Dienst der Stadtpolizei ausscheidet, ist Adolf Brack ein wandelnder Hooliganismus-Google. Google aber ist eine Maschine und darum gefühllos. Adolf Brack nicht. Darum hat er, nachdem die Bilder von Peter Landolts Party publiziert worden waren, gelitten (vgl. Kasten). Nicht wie Menschen im Krieg leiden, aber wie einer, der ein schlechtes Gewissen hat. "Als Landolt 1995 im Hardturm anfing, war er ein Hardliner. Er warf die Leute einfach raus aus der Kurve", sagt Brack. "Ich sagte ihm: Wenn du etwas erreichen willst, musst du den Leuten etwas geben, dann geben sie dir etwas zurück. Du musst mit ihnen reden. Vertrauen ist wichtig." Brack ist überzeugt, dass Landolt ohne seinen Rat nie eine Stripparty veranstaltet hätte.

 Während sich in der Halle US-amerikanische Wrestler warm machen, sitzt Adolf Brack im Bürotrakt des Hallenstadions. Der Ex-Polizist, den hier alle nur Dölf nennen, fühlt sich sichtlich wohl bei seiner neuen Arbeit. Das war bei der alten Arbeit nicht mehr so. Er redet nicht darüber. Nur, dass ihm die Methoden der neuen Kollegen nicht mehr gepasst hätten: "Zu viel Härte, zu wenig Fingerspitzengefühl für Situationen."

 Rückblende: Am 29. Mai 1985 stürmen vor dem Endspiel um den Europapokal der Landesmeister zwischen dem FC Liverpool und Juventus Turin Anhänger von Liverpool den neutralen Fansektor im Heysel-Stadion in Brüssel. Dort halten sich italienische Fans auf. Es kommt zur Massenpanik. 39 Menschen sterben. 454 werden verletzt. Jetzt will man auch in Zürich wissen: Gibt es hier Hooligans? Wer sind sie? Wie viele? Die Polizei kommt zum Schluss, dass es die Basler sind, die in der Schweiz das Sagen haben. Sie nennen sich: "Anal Terror Hooligans". In Zürich beginnt Adolf Brack zu dieser Zeit seine Arbeit als Hooliganspezialist. Er arbeitete eigentlich im Jugenddienst. "‹Der Brack, der macht Sport, der soll mal hingehen›, hiess es", sagt Brack heute. Also ist Brack mal hingegangen, hat bei den Zürcher Klubs nachgefragt, und die haben geantwortet: "Ja, wir haben militante Gruppen, die ‹City Boys› und die ‹Hardturm-Front›." Die ersten Hooligans trifft Adolf Brack im Hallenstadion, denn die ‹City Boys› besuchen auch die Spiele des Zürcher Schlittschuh-Clubs ZSC. "Die Hooligans von damals", sagt Brack, "sind heute wieder dabei - aber als normale Zuschauer."

 Zwischen 1987 und 1992 brennt es nach fast jedem Spiel des ZSC. Eine Gruppe von vierzig bis fünfzig Leuten schiebt Container auf die Strasse, zündet sie an, baut Barrikaden. "Fährt ein Kas tenwagen vorbei, bewerfen ihn zwanzig Vermummte mit Steinen", sagt Brack.

 Scheinwerfer im Rückspiegel

 Die Polizei wird nach jedem Spiel angegriffen, aber sie weiss nicht, von wem. "Eines Tages Ende der Achtziger haben wir zugeschlagen: Wir liessen einen Kastenwagen langsam vorbeifahren. Der Mob verfolgte den Wagen bis zur nächsten Kreuzung. Dort haben wir sie eingekesselt." Zur Überprüfung auf die Hauptwache kommen siebzig junge Männer, viele aus dem Zürcher Unterland, die meisten unter achtzehn Jahre alt. Brack lässt die Eltern anrufen. Nachts um zwei. Die meisten der Randalierer sieht Brack nie wieder. Einige vom harten Kern aber sieht er eher, als ihm lieb ist.

 Ein paar Tage später, seine Schicht ist soeben zu Ende gegangen, ist Brack gegen Mitternacht auf der Heimfahrt, als er Scheinwerfer im Rückspiegel entdeckt: Zwei Autos, die sich nicht abschütteln lassen. Handys gibt es noch nicht. Funkgerät und Dienstpistole liegen im Büro. Brack fährt rechts, links, biegt an den sonderbarsten Orten ab. Die Autos kleben an ihm. Dann rast er über mehrere Rotlichter, bis die Verfolger abgeschüttelt sind. Beim nächsten Spiel geht er auf zwei ältere Hooligans zu und sagt:

 "Wer mir auch immer gefolgt ist: Das nächste Mal werde ich eine Pistole dabeihaben. Geladen."

 Von da an lässt man ihn in Ruhe. Und von da an ist er nahe dran. Er kennt sie alle. Vornamen. Namen. Er weiss, wer ein Mitläufer ist, wer ein notorischer Hooligan. "Immer wieder haben mir Hooligans Informationen über bevorstehende Prügeleien gesteckt", sagt Brack. "Wenn sie merkten, dass der Gegner übermächtig ist, haben sie reagiert und gesagt, die kommen heute. Die Nähe konnte zu Situationen führen, in denen man von einer Anzeige absah. Wenn ich wusste, dass es schwierig werden würde, einem Täter einen Landfriedensbruch nachzuweisen, habe ich es bei einer Warnung belassen. ‹Macht den Seich doch in der Allmend!›, sagte ich jeweils."

 An einem sonnigen Tag entdeckt Brack dreissig Hooligans, die Schirme mit sich tragen. Eine laut Brack beliebte Waffe unter Hooligans. "Da wusste ich, dass etwas los ist. Ich lernte ihre Codes lesen. Wir konnten nicht zulassen, dass es rund um das Stadion knallt, dass Unbeteiligte verletzt werden."

 "Wer als Polizist eine Art Vaterfigur wird", sagt Adolf Brack, "kann davon ausgehen, dass er die Leute irgendwann im Griff hat, und dann gibt es weniger Kollateralschaden. Also Familien, Frauen und Kinder, die in ein Donnerwetter aus Tränengas und fliegenden Fäusten geraten." Für diesen Frieden hat Polizist Brack auch Methoden angewandt, von denen er sagt, dass sie seinen Kopf hätten kosten können; etwa wenn jemand dabei gestorben wäre. "Aber es war in jenem Moment die einzige praktikable Lösung, die mir in den Sinn kam."

 Zum Beispiel Mitte der neunziger Jahre: GC gegen YB. Zum Spiel reisen auch fünfzig Basler Hooligans. Sie wollen die "Hardturm-Front" angreifen. Brack stoppt sie ein paar Hundert Meter vor dem Stadion. "Ich sagte ihnen, wenn ihr nur einen Schritt näher kommt, setzen wir Tränengas ein."

 Die Zürcher kommen. Sagen, sie hätten mit den Baslern eine Schlägerei verabredet, und dass sie unter sich bleiben wollen. "Ich habe auf die Uhr geschaut", sagt Brack. "Ich sagte: ‹Das Spiel dauert noch zwanzig Minuten, dann ist hier alles voller Zivilisten. Ihr habt drei Minuten hier an Ort und Stelle. Ich habe eine Trillerpfeife dabei. Wenn ich pfeife, ist die Schlägerei vorbei, sonst werdet ihr alle festgenommen und angezeigt.›"

 Das sind die Worte, die Adolf Brack an jenem Tag gesprochen hat.

 Die Schlägerei geht los und dauert drei Minuten. Schlusspfiff. Dann ziehen die Hooligans ab; die Matchbesucher werden von Tränengas und Krawallen verschont und bekommen von den Tumulten nichts mit. "Deshalb", sagt Brack, "kann ich nicht sagen, dass die Party, die Peter Landolt veranstaltet hat, komplett das falsche Mittel ist. Als er die Stripperinnen holte, schlug er über die Stränge. Doch Hooligans sind schwer zu handhaben. Meine Priorität war immer, dass rund um das Stadion Ruhe ist. Und das ist kein Spaziergang."

 Gebrandmarkt

 In den Neunzigern habe es Aktionen "jenseits von Gut und Böse gegeben", sagt Brack. Etwa 1994 - der FC Basel und der FC Zürich treffen in der Auf-/Abstiegsrunde aufeinander. Zum Spiel ins Basler Joggeli kommen 42 126 Zuschauer. Doch einige, die erwartet werden und deretwegen ein grosses Polizeiaufgebot vor Ort ist, fehlen: die Hooligans.

 "Um 11 Uhr morgens bekomme ich einen Anruf", sagt Brack. "Ich erfuhr: Die Basler sind nicht in Basel geblieben, wo das Spiel stattfindet. Sie sind nach Zürich gefahren." Dann eine weitere Meldung: Messerstecherei in der Tiefgarage des Hotel Zürich. Vier Zürcher mit Messerstichen im Spital. "Die Basler hatten rausgefunden, wo sich die Zürcher besammeln, und haben sie dann angegriffen." (…)

 Kurz darauf stürmen Basler Hooligans eine Bar im Zürcher Niederdorf, einen angeblichen Treffpunkt der "Hardturm-Front". "Fünfzig mit Ketten bewaffnete Leute schlugen die Bar kurz und klein", sagt Brack. "Wir kamen zu spät. Wir stellten sie am Central. Sie entkamen. Wir wussten, wo der Car war. Den haben wir abgepasst, alle verhaftet, einzeln einvernommen, angezeigt. In jeder Gemeinde kam die Polizei zu ihnen nach Hause. Im Dorf wurden sie als Schläger gebrandmarkt. Das wirkte abschreckend. Negativ war, dass niemand verurteilt wurde, weil wir es ihnen nicht beweisen konnten."

 (…)

 Mehrere Zürcher Hooligans erzählen übereinstimmend folgende Geschichte, die sich im Schatten einer grossen Polizeiaktion abgespielt hat. Im Dezember 2004 kesselt die Polizei am Bahnhof Altstetten rund 650 Basler Fans ein, die mit dem Extrazug anreisen. 427 werden festgenommen, in die Kaserne transportiert, dort stundenlang stehen gelassen und anschliessend registriert. Die Grossaktion beschäftigt später unter dem Titel "Kessel von Altstetten" und der Frage nach der Verhältnismässigkeit Presse und Politik. Die Aktion war von der sozialdemokratischen Polizeivorsteherin Esther Maurer angeordnet und wie folgt gerechtfertigt worden: Im Extrazug hätten sich unzählige Basler Hooligans aufgehalten. Doch die Aussagen von Hooligans zeichnen ein anderes Bild und bestätigen Gerüchte, die bereits damals im Umlauf waren: Die Basler Hooligans waren zwar tatsächlich in Zürich. Aber nicht im Extrazug. Sie waren schon vorher angereist. Mit Autos. Und während die Polizei in Altstetten Hunderte Fans festnimmt, halten sich im Restaurant "Johanniter" im Niederdorf, im Zentrum von Zürich, fast hundert Mitglieder der "Hardturm-Front" auf. Sie warten auf die Basler. Und die kommen. "Es hat an jenem Tag unglaublich heftig geknallt", sagt ein Zürcher Hooligan. Während die Polizei in Altstetten Hunderttausende Franken in eine riesige Polizeiaktion gegen Hooliganismus inves tiert, prügeln sich im Niederdorf über 150 Zürcher und Basler Hooligans.

 Im Zürcher Hallenstadion, Ende 2008: Adolf Brack lehnt sich im Sessel zurück. Er schweigt. Plötzlich wirkt er müde. Sagt, ich solle diese ganze Geschichte vielleicht besser nicht aufschreiben. "Es wäre bedauerlich, wenn sich Leute inspiriert fühlten." Er schlägt ein Heftchen auf, ein Überbleibsel aus seiner Arbeit als Polizist, und schüttelt lächelnd den Kopf. Dort, im handkopierten Fanzine "Bloodfight: Hardturm-Front-Report" heisst es in einem Bericht vom Cupfinal GC - FC Sion vom 5. Juni 1995: "Ein Stück weiter sah man plötzlich überall Bullen, welche sämtliche Bomberjackenträger notierten und filzten. Auch einige entsprechend gekleidete Jungs aus unseren Reihen durften deshalb ihre Herkunft preisgeben. Grund für diesen Anlass waren Sachbeschädigungen, die Sion-Anhänger im Bahnhof anrichteten. Unser Zivi Adolf Brack hat sich übrigens sehr für unsere Leute eingesetzt, so dass sie schon nach kurzer Zeit wieder unter uns waren. Hiermit ein Dankeschön!"

 Ergänzung zu Adolf Brack: Am 18. Mai 2009, ein paar Monate nach unseren Treffen, sagt Adolf Brack auf TeleZüri, die Südkurve des FC Zürich bestehe aus "tausend Gewalttätern". Damit löst er Empörung und Kopfschütteln aus. Die Zahl Tausend sei viel zu hoch gegriffen. Fans werfen dem pensionierten Polizisten vor, er sei nicht mehr auf dem neusten Stand.

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 "Feld-Wald-Wiese"

 Im Herbst 2008 erhält WOZ-Reporter Daniel Ryser Fotos, die den damaligen Sicherheitschef der Swiss Football League, Peter Landolt, inmitten der berüchtigten Zürcher Hooligan-Gruppe "Hardturm-Front" an einer bizarren Sami­chlausparty zeigen, für die Landolt drei asiatische Stripperinnen organisiert hatte. Der darauf folgende WOZ-Artikel "Der Heilige vom Hardturm" sorgt in den Medien für heftigen Wirbel. Spätere Recherchen führen Ryser in die Zürcher Hooliganszene. Und unter anderem zu Adolf Brack, Ex-Hooliganspezialist der Stadtpolizei. Der Text auf dieser Seite ist ein leicht gekürzter Auszug aus Rysers jetzt erschienenem Buch "Feld-Wald-Wiese. Hooligans in Zürich". WOZ-LeserInnen können es auf www.woz.ch/wozshop für 25 statt für 27 Franken kaufen.

 Daniel Ryser: "Feld-Wald-Wiese. Hooligans in Zürich". Echtzeit Verlag. Basel 2010. 88 Seiten.

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NLZ 18.2.10

Hooligans

 Eindrücklich

mg

 Richtige Hooligans prügeln sich längst nicht mehr im Stadion. Und auch sonst muss vieles, was der Laie über die Gewalttäterszene zu wissen glaubt, revidiert werden nach der Lektüre von "Feld-Wald-Wiese" von Daniel Ryser. Der Autor hat einen Einblick erhalten in eine Welt, die sich sonst gerne in Schweigen hüllt. Ryser spricht mit Hooligans, sieht Videos von ihren Schlägereien und zieht gar mit nach St. Gallen, wo Zürcher Hooligans an einem Fest die St. Galler überfallen.

 Auf dem Feld

 Zwar haben die Hooligans (aus ihrer Sicht) immer noch genügend Schlägereien. Diese finden aber abseits des Stadions und oft auch ohne direkten Bezug zum Spiel statt. Die Treffen finden im Wald, auf Raststätten oder sonst wo statt. Keine Unbeteiligten, keine Zuschauer. Dafür klare Regeln: Abgezählt gehen die Schläger aufeinander los, wer am Boden liegt, ist tabu, und nach wenigen Minuten ist alles vorbei. Ryser berichtet von Schlägereien zwischen Deutschen und Zürchern, Zürchern und Baslern und sogar im beschaulichen Vaduz soll es eine sogenannte Acker-Truppe geben.

 Ryser geht mit der nötigen Distanz an die Sache, lässt aber eine gewisse Faszination für die Szene durchblicken. Und obwohl sich die Hooligans stets als unpolitisch bezeichnen, zeichnet Ryser eine gewisse Verbundenheit mit der Rechtsextremenszene. Einige der Protagonisten sah Ryser schon während seiner Zeit als Zeitungsreporter an Aufmärschen von Neonazis.

 Pflichlektüre für Interessierte

 Insgesamt ist Rysers Werk etwas vom Besten, was in letzter Zeit zum Thema veröffentlicht wurde. Und gerade über die Hooligan-Szene in der Schweiz kann man fast nichts lesen, was "Feld-Wald-Wiese" ebenbürtig wäre. Die 88 Seiten hinterlassen einen zuweilen verstörenden Eindruck und wirken gerade deswegen seltsam anziehend. Ein Pflichtkauf für alle, die sich mit der Materie beschäftigen wollen.

 Daniel Ryser: "Feld-Wald-Wiese. Hooligans in Zürich", Echtzeit, 88 Seiten, Fr. 27.-

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PNOS
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WoZ 18.2.10

Pnos

 Alle KandidatInnen vorbestraft

 Mit zwei Männern und einer Frau beteiligt sich die rechtsextreme Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) an den Berner Grossratswahlen. Bekannt war bis anhin, dass Dominic Lüthard und Denise Friedrich einschlägig vorbestraft sind.

 Aber auch der dritte Pnos-Kandidat hat einen Tolggen im Reinheft. Raphael Würgler gehörte zu jenen rund zwanzig Rechtsextremen, die Ende Oktober 2004 die ersten eintreffenden TeilnehmerInnen einer Demonstration gegen Rassismus in Willisau angegriffen und vertrieben haben. Bei einer Hausdurchsuchung fanden die Polizisten beim heute 23-jährigen Schreiner auch rechtsextremes Propagandamaterial. Dieses wurde später eingezogen und vernichtet. Anfang Juni 2005 verurteilte ihn das Amtsstatthalteramt Willisau wegen Landfriedensbruchs und verbotenen Waffenbesitzes zu einem Monat Gefängnis bedingt und zu einer Busse von 800 Franken. Dies geht aus der Strafverfügung hervor, die der WOZ vorliegt. Würgler war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

 "Konsequente Ausländerrückführung" verlangt die Pnos im Wahlkampf und zielt damit - wie die SVP - auf "kriminelle Ausländer". In ihren eigenen Reihen gilt eine andere Regel: Rechtskräftig Verurteilte gehören ins Parlament. Das Bezirksgericht Aarau verurteilte Denise Friedrich - zusammen mit anderen Pnos-Vorstandsmitglie dern - Anfang 2009 wegen Widerhandlung gegen die Rassismusstrafnorm. Dies wegen einer Aussage im Parteiprogramm, wonach es ein Irrtum sei, anzunehmen, der Mensch müsse in jedem Land der Erde die gleichen Rechte haben. Dominic Lüthard seinerseits erhielt im September 2004 vom Amtsgericht Aarwangen acht Tage Gefängnis bedingt, weil er im September 2002 am Ende einer turbulenten Nacht vor dem Spital Langenthal auf Türken eingeschlagen hatte.

 Hans Stutz

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BIG BROTHER SCHENGEN
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WoZ 18.2.10

Kommentar - Die Schweiz und das Schengener Informationssystem.

 Googeln für PolizistInnen

 Erfolge, nichts als Erfolge. Das ist die Botschaft der Schengen-Bilanz, die die Behörden letzte Woche präsentierten. Seit dem 14. August 2008 haben das Grenzwachtkorps (GWK), das Bundesamt für Polizei (Fedpol) und die Kantonspolizeien Zugang zum Schengener Informationssystem (SIS) der EU. So konnte man erstmals eine Schweizer SIS-Statistik für ein ganzes Jahr präsentieren.

 Dabei sein ist alles: Nach diesem olympischen Motto wird allein schon die Zahl der helvetischen Datenabfragen im SIS als Erfolg verkauft. Durchschnittlich waren es 183 000 pro Tag, macht auf das ganze Jahr 2009 gerechnet über 65 Millionen. Eine irrwitzige Zahl, die aber ein Rätsel bleibt, weil die Schengen-Zentrale des Fedpol sie nicht nach den abfragenden Stellen aufschlüsselt.

 Zu diesen Benutzern gehören zum einen die schweizerischen Konsulate im Ausland. Bei jedem Visumgesuch prüfen sie, ob die betreffende Person von der Schweiz oder einem anderen Schengen-Staat zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist. Rund eine halbe Million Visa stellen sie pro Jahr aus. Rechnet man eine gleich hohe Zahl geprüfter, aber abgelehnter Gesuche hinzu, dann kommt man allenfalls auf einen täglichen Durchschnitt von etwa 3000 Abfragen.

 Auf einem ähnlichen Niveau bewegen sich die Abfragen im Inland und an den Grenzen - und das ist nicht wenig. Das Grenzwachtkorps kontrolliert zunehmend - ohne Verdacht und ohne Anlass - im Inland, insbesondere in Zügen auf den Hauptverkehrsachsen, zum Beispiel zwischen Zürich und Bern. Insgesamt komme man auf 1100 SIS-Abfragen pro Tag, sagte GWK-Kommunikationschef Thomas Schrämli vor einigen Monaten. Die Grenzwache nutze das SIS etwa gleich häufig wie die Kantonspolizeien. Die Kontrolldichte hat mit Schengen massiv zugenommen. Dennoch bleibt es ein Rätsel, wie es zu 183 000 SIS-Abfragen pro Tag kommt und welchem Zweck sie dienen.

 Was aber kommt dabei heraus? Insgesamt 6477 Treffer aufgrund von Ausschreibungen anderer Schengen-Staaten vermeldet das Fedpol. Fast die Hälfte davon, 2999, bezog sich auf Einreiseverweigerungen. 199 betrafen Leute, die per Haftbefehl gesucht werden, von denen allerdings 40 nicht ausgeliefert werden konnten oder durften. Der Rest verteilt sich auf vermisste oder bloss zu überwachende Personen, gesuchte Sachen (von gestohlenen Pässen bis hin zu Autos) und Ähnliches. Umgekehrt erzielten die anderen 24 Schengen-Staaten 2155 Treffer aufgrund von Ausschreibungen aus der Schweiz. Auch hier dominierten die Einreiseverweigerungen mit 1860 Fällen.

 Und das ist kein Zufall. Denn erstens sind neunzig Prozent aller in der Mega-Datenbank gespeicherten Personen Nicht-EU-Staatsangehörige, die aus dem Schengen-Raum ausgeschlossen werden sollen. Und zweitens zielt die polizeiliche Kontrollstrategie systematisch auf die Suche nach "Illegalen". Man kann es drehen und wenden, wie man will; Schengen ist in erster Linie ein ausländerpolitisches Ins trument. Ein toller Erfolg.

 Heiner Busch

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JUSO-SQUAT BADEN
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Aargauer Zeitung 19.2.10

Strafbefehl für Cédric Wermuth

 Der Juso-Chef hält das Urteil wegen einer Hausbesetzung für "völlig überrissen"

 300 Franken Busse, eine bedingte Geldstrafe und ein Eintrag ins Strafregister. Das ist die Rechnung für Juso-Chef Cédric Wermuth für eine Hausbesetzung in Baden.

 Es sollte ein friedliches Happening werden, aber die Situation geriet ausser Kontrolle. Eine Hausbesetzungsparty in der Dépendance Ochsen des leerstehenden Hotels Verenahof in Baden zog im Januar 2009 auch Vandalen an, die beträchtlichen Sachschaden anrichteten. Geschäftsführerin Christine Zehnder von der Verenahof AG reichte Strafanzeige ein.

 Zur Besetzerparty, mit der sie auf den Mangel an günstigem Wohnraum aufmerksam machen wollten, hatten die Jungsozialisten des Bezirks Baden aufgerufen. Sie bekommen nun die Rechnung präsentiert. Wie diese Zeitung bereits vergangenen November ankündigte, hat das Bezirksamt Baden gegen Juso-Chef Cédric Wermuth und 20 weitere Personen einen Strafbefehl wegen Hausfriedensbruch erlassen. Wermuth erhält eine bedingte Geldstrafe von 20 Tagessätzen und eine Busse von 300 Franken aufgebrummt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es kann an das Bezirksgericht Baden weitergezogen werden. Man werde sich gut überlegen, ob man das tun soll, erklärte Wermuth gestern gegenüber der Nachrichtenagentur sda. Die 20 Tagessätze, die zu einem Eintrag ins Strafregister führen, seien jedenfalls "völlig überrissen".

 Gegen 20 weitere Beteiligte an der Besetzungsaktion sprach das Bezirksamt ebenfalls Bussen von 300 Franken und bedingte Geldstrafen wegen Hausfriedensbruch aus. Untersuchungsrichterin Vivien Sandmeyer gab auf Anfrage aber nicht bekannt, ob es dabei für alle gleich viel oder weniger Tagessätze absetzte als für Cédric Wermuth.

 Die Kantonspolizei hatte nach der Hausbesetzung insgesamt 32 Personen einvernommen und we- gen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung angezeigt. Die Strafbefehle beziehen sich aber nur auf den Hausfriedensbruch, der Tatbestand der Sachbeschädigung habe den angezeigten Personen nicht nachgewiesen werden können, so Untersuchungsrichterin Sandmeyer.

 Die Dépendance Ochsen, wo die quasi offizielle Besetzerparty stattfand, war unversehrt geblieben. Die Vandalen waren unbemerkt durch Verbindungsgänge im Untergeschoss in den Trakt des Hotels Vere-nahof gelangt und hatten dort Wände und unter Denkmalschutz stehende Säulen mit Farbe verschmiert. Die Schmierereien wurden erst am Tag nach der Party entdeckt. Eine Delegation der Juso mit Cédric Wermuth und Andrea Arezina hatte sich bei der Verenahof AG förmlich für die Ausschreitungen entschuldigt, Geschäftsführerin Christine Zehnder hielt aber an der Strafanzeige fest. (mou/sda)

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Bund 19.2.10

SP-Vizepräsident wegen Hausfriedensbruchs verurteilt

 Juso-Chef und SP-Vizepräsident Cédric Wermuth ist wegen Hausfriedensbruchs vom Bezirksamt Baden zu einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen und einer Busse von 300 Franken verurteilt worden. Wermuth war im Januar 2009 an einer Besetzungsaktion zweier stillgelegter Badener Hotels beteiligt. Das Bezirksamt sprach auch gegen 20 weitere Personen bedingte Geldstrafen und Bussen aus. Wermuth hält das Urteil, das zu einem Eintrag ins Strafregister führt, für "völlig überrissen und in keinem Verhältnis". (sda)

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SEXISMUS
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Bund 19.2.10

Jenseits der Selbstbestimmung

 Von wegen der Sexismus ist überwunden: Wenn schon kleine Mädchen Miniröcke, hochhackige Schuhe und Lippenstift tragen, dann ist bei der Emanzipation was schiefgelaufen, sagt die Feministin Natasha Walter.

 Bettina Weber

 Er scheint wie ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit: Sexismus, was für ein Begriff! Er riecht nach lila Latzhosen und strickenden Männergruppen und Lustfeindlichkeit. Weshalb man vom Sexismus redet wie von einem ehemals berühmten Menschen, von dem man sich nicht sicher ist, ob er noch lebt:

 Gibt es das heute überhaupt noch, Sexismus? Oh ja, sagt die britische Feministin Natasha Walter - und es ist sogar schlimmer denn je. Vor 12 Jahren sah sie das noch ganz anders; da wähnte sie den Sexismus in ihrem aufsehenerregenden Buch "The New Feminism" überwunden: Die Emanzipation habe die Frauen im privaten Bereich so selbstbewusst und eigenständig gemacht, dass dem Sexismus gleichsam der Garaus gemacht worden sei. Nun könne man sich auf die grossen Themen verlegen, also auf konkrete Verbesserungen in der Arbeitswelt, in der Politik, im Gesetz. Heute ist sie ernüchtert und sagt: "Ich habe mich geirrt."

 Hypersexualisierung

 In ihrem neuen Buch "Living Dolls - The Return of Sexism" zeigt Walter auf, dass ein zentrales Anliegen des Feminismus, die sexuelle Selbstbestimmung der Frau, zwar erfolgreich durchgesetzt werden konnte, dass dies aber zu einer neuen Abhängigkeit geführt hat.

 Angesichts der Omnipräsenz von Sex und nackter Haut spricht Walter von einer Hypersexualisierung und zeigt auf, dass die erkämpfte weibliche Freiheit nur eine vermeintliche ist, denn Frauen lernten heute all der Gleichberechtigung zum Trotz vor allem eines: dass ein perfekter Körper und die damit verbundene Attraktivität der einzige Weg zur Selbstverwirklichung sei. Und so wünschen sich Teenager zum 18. Geburtstag statt einer Weltreise eine Brustvergrösserung oder bewerben sich als Seite-1-Girl beim "Blick", der mit Bewerbungen für die Nacktaufnahmen überschwemmt wird. Und selbst wenn Heidi Klum ruft, stehen sich in klirrender Kälte Tausende junger Frauen die Beine in den Bauch, um dann in Tränen auszubrechen, wenn sie abgelehnt werden - weil ihr Äusseres nicht gefällt.

 Alle sind so wahnsinnig tolerant

 Man kann nun zweifellos einwenden, Mädchen hätten heute immerhin die Wahl, und oft genug seien es ja gerade die Frauen selbst, die das Spiel bereitwillig mitspielen würden. Stimmt, sagt Walter, bloss sei es vor allem für Mädchen und junge Frauen, erst recht für solche aus schwierigen Verhältnissen, nicht leicht, sich der Manipulation durch Werbung, Internet und Fernsehen zu entziehen. Und weil heutzutage alle so wahnsinnig tolerant und aufgeschlossen und freizügig sind, regt sich niemand mehr auf angesichts der vielen nackten Haut überall - auch nicht über Dieter Bohlen bei "Deutschland sucht den Superstar", wenn dieser, anstatt die stimmlichen Leistungen der weiblichen Gesangstalente zu bewerten, lieber deren Aussehen und Dekolleté taxiert.

 Die Wirkung ist dennoch fatal, denn die Botschaft lautet: Frauen müssen gefallen, und gefallen tun sie, wenn sie sexy sind. In ihrem Buch schildert Walter Gespräche mit den unterschiedlichsten Frauen und stellt fest, dass sich dem Druck kaum eine entziehen kann. Dass Fünfzehnjährige, die nicht wahllos Blowjobs zu machen bereit sind, als prüde und verklemmt gelten. Und Frauen, die sich keine Pornos ansehen mögen, sowieso.

 Der Fall Katie Price

 Die Hypersexualisierung hängt eng mit der Verbreitung der Pornografie zusammen; das Internet hat deren Schönheitsideale massentauglich gemacht, wie zum Beispiel die komplett rasierte weibliche Scham oder grotesk grosse, künstliche Brüste. Gemäss einer englischen Studie, die Walter zitiert, hält mehr als die Hälfte der darin befragten Mädchen denn auch eine Karriere als Glamourmodel für erstrebenswert. Ein Glamourmodel ist mitnichten ein besonders glamouröses Model, sondern eines, das dafür bekannt ist, sich ohne Textilien ablichten zu lassen, also eigentlich ein Model der untersten Charge. Boxenluder nennt man die hierzulande wohl eher, und die Mutter aller Boxenluder ist die Britin Katie Price, die es dank immer grösser werdenden Silikonkissen vor der Kamera zur Millionärin gebracht hat.

 Diese Karriere nun für selbstbestimmt zu halten, wäre indes verkehrt. Walter zeigt, dass Price in ihrer ganzen Künstlichkeit aussieht wie eine jener Puppen, auf die sie im Buchtitel anspielt, und dass Price nur schon wegen der ganzen Operationen und Schmerzen, die sie auf sich genommen hat, um einem bestimmten Bild zu entsprechen, keinen Deut freier ist als die Frauen, die einst ein Korsett zu tragen gezwungen waren. Denn das Bild hat nicht Price entworfen: Sie liess sich zu dem machen, von dem ihr gesagt wurde, dass es als sexy gilt. Weibliche Selbstbestimmung sieht anders aus.

 Das Kleiderangebot ist gross

 Vor allem aber beunruhigt Walter, dass die Hypersexualisierung auch vor Kindern, sprich Mädchen, nicht haltmacht. Vor einer Woche hätte eine Siebenjährige am Karneval von Rio als Sambakönigin den Umzug ihrer Sambaschule anführen sollen: Herausgeputzt im knappen Glitzerkostüm und mit einem BH-Oberteil auf der flachen Kinderbrust, geschminkt wie eine Erwachsene. Dass sie all der erlernten Hüftschwünge und der aufreizenden Maskerade zum Trotz eben doch ein Kind ist, zeigte sich spätestens dann, als sie angesichts der bedrohlichen Fotografenmeute in Tränen ausbrach und sich in die Arme ihrer Mutter flüchtete.

 Oder dann ist da Noah Cyrus, die jüngere Schwester von Teenie-Star Miley Cyrus, die als Neunjährige soeben eine eigene Modekollektion lanciert hat. Sie präsentierte die Entwürfe höchstpersönlich, und da sah man dann ein Kind, zurechtgemacht wie eine Frau mit einem modisch zweifelhaften Geschmack: mit hochhackigen Lacklederstiefeln, Netzstrümpfen, und viel, viel Make-up. Aber Mädchen können heute nicht früh genug sexy sein, und das entsprechende Angebot ist vorhanden: In Modegeschäften werden für die Kleinen String-Tangas, Miniröcke und hochhackige Schuhe angeboten. Als Rolemodel dient Suri Cruise, die dreijährige Tochter von Tom Cruise und Katie Holmes, die Schuhe mit Absätzen, Handtaschen und Lippenstift trägt.

 Kaufen und onanieren

 Man muss nicht über ein ausgeprägt feministisches Gemüt verfügen, um Walter recht zu geben, wenn sie diese Entwicklung für besorgniserregend hält und von einem emanzipatorischen Rückschritt spricht. In einer der eindrücklichsten Szenen in ihrem Buch schildert sie, wie sich irgendwo in einem Londoner Club junge Frauen darum bewerben, das nächste Covergirl eines Männermagazins sein zu dürfen. Dafür müssen sie sich auf einem Bett räkeln, an der Stange tanzen und sich auf Kommando ihrer Kleidung entledigen. Und dann fälllt dieser Satz, mit dem der Moderator die Siegerin verabschiedet, und dieser Satz bringt auf den Punkt, was Walter zu erklären versucht: "So", sagt der Mann, "jetzt kauft sie, nehmt sie mit nach Hause und onaniert auf sie."

 Natasha Walter: "Living Dolls: The Return of Sexism", Virago Press. 288 Seiten, London, 2010, ca. 15 Franken.

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KEIN MENSCH IST ILLEGAL
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Bund 18.2.10

Der Traum von Europa ist ein brutales Geschäft

 Der Reporter Fabrizio Gatti hat illegale Einwanderer auf ihrem Treck durch die Sahara nach Europa begleitet.

 Martin Ebel

 Jeder kennt die Bilder von verängstigten, vor Kälte zitternden schwarzen Menschen, die gerade von völlig überlasteten und schrottreifen Booten gerettet worden sind. Die ihr Leben riskiert haben, um Zugang zu Europas Milch- und Honigtöpfen zu erhalten. Rund 37 000 Boatpeople sind allein im Jahr 2008 an Italiens Südküste registriert worden. Die Hälfte von ihnen hat Asyl erhalten. Andere sind abgeschoben worden oder untergetaucht. Wie viele ertrunken sind im Mittelmeer, hat niemand gezählt.

 12 Prozent: Diese Zahl nennt Fabrizio Gatti. 12 Prozent Ertrunkene. Eine ungeheure Zahl. Gatti macht sie sich bewusst, als er auf einem Lastwagen sitzt, der von Agadez in Niger zur Oase Dirkou fährt. Die Strecke ist Teil der alten Sklavenroute und jetzt ein Teilstück des grossen Trecks nach Norden. 182 Personen transportiert der Lastwagen, auf den sich Gatti gequetscht hat, und der Reporter rechnet: Rein statistisch werden von den 182 Passagieren 22 die Überfahrt nicht überleben. "Und wenn bei uns alle überleben, werden vielleicht 44 Menschen des nächsten umkommen. Oder 66 des übernächsten. Und dann sind da noch Kofi, Oliver und die anderen Namenlosen, die bereits in der Wüste begraben sind: die Stranded People, die das Meer nie zu Gesicht bekommen werden."

 Vor Überfahrt zurückgeschreckt

 Fabrizio Gatti ist mitgefahren auf der "Route der neuen Sklaven": von Dakar in Senegal über Mali und Niger bis an die libysche Grenze. Weiter kam er nicht, der libysche Konsul hatte schon gedroht, ihn als Spion verhaften zu lassen. Erst an der tunesischen Mittelmeerküste klinkt sich der Reporter wieder ein; vor der Überfahrt schreckt er allerdings im letzten Moment zurück - zu dubios erscheint ihm das Fahrzeug.

 Die vielen jungen Männer aus Nigeria, Ghana und anderswo, die sich auf Last- und Geländewagen so weit durchgeschlagen haben, können sich solche Skrupel nicht leisten. Nach der strapaziösen, demütigenden und gefahrvollen Tour durch die Sahara wollen sie nicht im letzten Moment aufgeben. "Was treibt sie an?", fragt Gatti immer wieder. Es ist die Armut zu Hause, die Aussichtslosigkeit, trotz guter Ausbildung Arbeit zu finden, das Weinen der hungernden Kinder, das Gefühl, als Ernährer versagt zu haben. Oder ein Bürgerkrieg, der etwa James und Joseph aus Liberia vertrieben hat. Gatti lernt sie in Dirkou kennen, einem der trostlosesten Orte der Sklavenroute, er freundet sich mit ihnen an und hilft ihnen, als sie in Tripolis gestrandet sind, mit Zuspruch, Kontakten und Geld.

 Gefährliche Recherche

 James und Joseph sind nicht einmal Illegale, sie haben Visa und Flugtickets, sogar eine Einladung zu einer Konferenz in Slowenien. Aber das beeindruckt die libyschen Behörden keineswegs. Man lässt sie nicht abfliegen, Ticket und Visum verfallen; als die beiden protestieren, werden sie verhaftet und schwer misshandelt. Es dauert ein ganzes Jahr, bis sie nach unendlichen Schikanen Libyen verlassen können - und wieder dort landen, von wo sie aufgebrochen sind: in einem Flüchtlingslager in Ghana. Die E-Mails, die Joseph und James dem Reporter Fabrizio Gatti schicken, sind das bedrückendste und empörendste Kapitel in seinem Buch. Sie berichten von ständigen Razzien der Polizei und Pogromen einer gegen Afrikaner aufgehetzten Bevölkerung.

 Andere Geschichten hört Gatti auf der Sklavenroute selbst: von Geländewagen, die in der Wüste verschwinden. Von Schleusern, die ihre menschliche Fracht irgendwo auf der Strecke abladen und mit dem Fahrgeld davonfahren. Mit eigenen Augen sieht Gatti die Polizisten und Soldaten, die aus den bettelarmen Reisenden mit Knüppeln, Kabeln und Gummischläuchen die letzten Geldscheine herausprügeln. Manchmal kann er sie mit Medikamenten "überzeugen", die Quälerei zu beenden.

 Gatti selbst bewahrt sein italienischer Pass vor körperlicher Unbill. Ungefährlich ist die Recherche für ihn durchaus nicht. Der Transport der Afrikaner ist ein riesiges Geschäft, da lässt man sich nicht gern in die Karten schauen. Gatti zählt und rechnet und kommt auf Millionensummen, die allmonatlich bei den Transporteuren wie den Kontrolleuren hängen bleiben. Nicht nur Menschen "wandern" auf dieser Route von Süd nach Nord, auch Zigaretten, Kokain und Waffen.

 Undercover auf Lampedusa

 Richtig undercover arbeitet Gatti erst auf der letzten Etappe seiner Recherche, als er für eine Woche die Identität eines kurdischen Flüchtlings annimmt und sich vor der Insel Lampedusa aus dem Meer fischen und ins dortige Lager einliefern lässt. Nur für diese Woche trifft korrekterweise zu, was der Buchtitel "Bilal", der Klappentext und etwas ungenaue Rezensionen verheissen (Gatti ist nicht ganz unschuldig daran, weil er die verschiedenen mit grossem Abstand unternommenen Reportagereisen zu einem Stück verbindet und keine Jahreszahlen nennt).

 "Bilal" erlebt das Internierungslager als überfüllte Kloake mit überforderten, teilweise gewalttätigen und sadistischen Aufsehern. Es gelingt ihm, seine falsche Identität zu wahren und schliesslich entlassen zu werden - in die Illegalität. Auf das, was er danach auf süditalienischen Tomatenplantagen als moderner Sklave erlebt - eigentlich der notwendige dritte Teil dieses Triptychons der Auswanderung -, hat der deutsche Verlag aus Platzgründen leider verzichtet.

 Es ist eine beeindruckende, immer wieder erschütternde Recherche, für die Gatti zu Recht mehrere Journalistenpreise erhalten hat. Er schreibt anschaulich und (meist) uneitel, mit Sinn für den provozierenden Kontrast von existenzieller Not und brutaler Geschäftemacherei. Er lässt die politischen Zusammenhänge nie aus den Augen, richtet den Blick aber immer auf den Einzelfall. Die Absicht ist deutlich: Aus den riesigen Zahlen, die bei Europäern Abwehrreflexe auslösen, sollen wieder Menschen werden, die ein Gesicht, einen Namen, ein Schicksal bekommen.

 Das Recht auf ein menschenwürdiges Leben auch für die, die im "falschen Teil der Welt" geboren sind, steht für ihn ausser Frage. Er bewundert ihren Mut, ihre Hartnäckigkeit, ihre Leidensfähigkeit. Er geisselt die Heuchelei der Europäer, vor allem der Italiener, deren Wirtschaft auf illegale, spottbillige und rechtlose Arbeitskräfte angewiesen ist. Was passieren würde, wenn man die Tür für alle öffnen würde, fragt er sich nicht, das ist nicht sein Thema. Ihm geht es um die Opfer eines globalen Ungleichgewichts - und um die Profiteure.

 Zu denen gehört Libyen. Mit den 37 000 Boatpeople von 2008 hat Ghadhafi Italien erpresst, mit Erfolg: Er bekam einen Vertrag über Öl- und Gaslieferungen und 5 Milliarden Dollar für die Schäden des Kolonialismus. Dafür verpflichtete er sich, die Grenzen dichter zu machen. Die Lager in Lampedusa sind heute leer, die Afrikaner werden schon in Libyen abgefangen, ohne Rücksicht auf möglichen Asylstatus eingesperrt, abgeschoben in Herkunfts- oder irgendwelche Länder, manchmal einfach in die Wüste. Das UNHCR protestiert gegen diese Praxis. Und der Flüchtlingsstrom sucht sich neue Wege; aufhalten lassen sich Kofi, Oliver und die vielen Namenlosen nicht.

 Fabrizio Gatti: Bilal. Als Illegaler auf dem Weg nach Europa. Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann und Rita Seuss. Kunstmann, München 2010. 456 S., 43 Fr.

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ANTI-ATOM
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La Liberté 18.2.10

Centrale de Mühleberg

 Protestations genevoises

 Le Conseil d'Etat genevois a adressé un courrier de protestation au Conseil fédéral suite à la décision d'autoriser l'exploitation illimitée de la centrale nucléaire de Mühleberg (BE). Il estime que tous les cantons auraient dû être consultés. Le Gouvernement genevois relève que la sécurité des centrales nucléaires concerne l'ensemble du territoire national. ATS

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Oltener Tagblatt 18.2.10

Motto: "Wachhund gegen Atom-Endlager"

 Obergösgen Der Verein "Niederamt ohne Endlager" führte seine erste Generalversammlung durch

 Im November 2008 gab die Nagra bekannt, dass auch die Region Niederamt als Standort eines Atom-Endlagers vorgeschlagen und untersucht werde. Daraufhin wurde sogleich der Verein NoE, Niederamt ohne Endlager, gegründet, der mit allen Mitteln ein solches Lager verhindern will. Nun fand in Obergösgen die erste Generalversammlung statt.

 NoE-Präsident Urs Huber erinnerte die Mitglieder daran, wie die Stimmung im Herbst 2008 bei Bekanntwerden der Nagra-Pläne war: "Aber das nicht auch noch, genug ist genug, jetzt langts". Daraufhin wurde der Verein "Niederamt ohne Endlager" in Schönenwerd gegründet mit dem Zweck, ein Endlager für atomare Abfälle jeglicher Art auf dem Gebiet des Niederamts und seiner Nachbarschaft zu verhindern. Er ist überparteilich und zählt rund 200 Mitglieder. An der Gründungsversammlung wurde auch ein Vorstand gewählt mit Isabelle Meier, Olten, als Kassierin; Aktuarin Theresia Dalla Via, Dulliken; Michael Saner, Trimbach; Iris Schelbert, Olten, und Urs Huber, Obergösgen, als Vereinspräsident. Diese wurden einstimmig bestätigt.

 Behörden gegen Endlager

 Die regionalen Behörden haben sich immer wieder und klar gegen ein Endlager ausgesprochen. Man sehe als NoE-Verein die Aufgaben auch darin, als Wachhund gut aufzupassen und allenfalls zu knurren, wenn die lokalen, regionalen und vor allem kantonalen Behörden vergässen, wem ihre Loyalität zu gelten habe. Wenn nötig, müsse man dann halt laut bellen und vielleicht auch zubeissen.

 NoE will ein Sprachrohr und ein Lautsprecher sein, insbesondere damit das Nein des Vereins auch im Rest der Schweiz gehört werde. Neben verschiedenen Aktivitäten rund um die Gründungsversammlung wurden die Nagra-Aktivitäten kritisch und aktiv vor Ort verfolgt. So bei der so genannten Information der Bevölkerung im Dezember 2008 oder beim teuren Werbeauftritt in der Oltner Altstadt. Die Grossveranstaltung der NoE bei klirrender Kälte Anfang 2009 in Obergösgen zeigte auch auf, dass wirklich ein breites politisches Spektrum unter allen Umständen ein Endlager verhindern will.

 Mit einem vielbeachteten Riesenplakat wollte man auch gegenüber den sogenannten Entscheidungsträgern zwischen Zürich und Bern Klartext reden. Mit einem Auftrag des Solothurner Kantonsrates wurde im August die Regierung verpflichtet, sich gegen ein Endlager im Niederamt einzusetzen. Eine grosse Gruppe von Niederämterinnen und Niederämtern überreichte den Ratsmitgliedern dabei ein Töpfchen mit Niederämter Erde unter dem Motto: "In diese Erde kann man alles stecken, aber kein atomares Endlager".

 Die Politik wird entscheiden

 Bekannt ist inzwischen auch, dass die Nagra ein grösseres Gebiet in den Planungsperimeter einbezogen hat. Der Verein NoE sieht darin auch einen Versuch, sich in einem grösseren Gebiet eine willfährige Gemeinde suchen zu können, nach dem Motto: "Wo ist die kleine Gemeinde, die man mit grossen Beträgen kaufen kann?" Der Verein NoE wird auch an offizielle Veranstaltungen eingeladen.

 Man nehme diese wahr, soweit sie nicht als reine Alibiübungen dienten, um demokratische Abstützung vorzugaukeln. Als lokaler Verein könne man nie mit gleich langen Spiessen wie die mächtige Nagra mit ihren zig-Millionen kämpfen. Gerade deshalb sei auch die fachliche Unterstützung durch die Schweizerische Energie-Stiftung eine grosse Hilfe.

 Für das Jahr 2010 hat sich der Verein Niederamt ohne Endlager vorgenommen, mit verschiedenen Aktivitäten öffentlich weiter laut und deutlich gegen ein Endlager zu kämpfen. Zu diskutieren gab vor allem auch die Tatsache, dass über den Eingangsbereich eines Endlagers, wo die Transporte ankommen, verarbeitet und verpackt würden, so gut wie nie gesprochen werde. Das müsse man unbedingt thematisieren.

 Der Verein NoE will 2010 auch die Mitgliederzahl weiter erhöhen. Man müsse insbesondere bereit stehen, wenn die nächste Etappe des Entscheidungsverfahrens anstehe. Präsident Urs Huber drückte es so aus: "Ich bin überzeugt, dass politisch entschieden wird. Wo ist die Region, die am wenigsten Widerstand leistet, wo kann man den Widerstand mit viel Geld und Druck brechen?" Denn es sei offensichtlich, trotz aller Propaganda: Atomare Abfälle wolle niemand freiwillig lagern. (uho)