MEDIENSPIEGEL 19.2.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo, DS)
- Kulturgutscheine: Hess-Idee
- Rabe-Info 18.2.10
- Demorecht: Umzüge bleiben erlaubt
- Sicherheitswahn: Streitgespräch
- Police BE weist Kritik zurück
- Antirep-Demo Aarau 20.2.10
- Big Brother Video: Beobachter-Tipps
- FAU-Umfrage Lehrlingskampagne
- Rauchverbot: IG Freies Entscheiden + Handeln
- Dritte Halbzeit: Hooligans in Buchform
- Pnos: Alle vorbestraft
- Big Brother Schengen
- Juso-Squatters Baden verurteilt
- Sexismus: Sexy Teletubbies are back
- Kein Mensch ist illegal: Brutale Fluchtrouten
- Anti-Atom: GE-Widerstand; Niederamt ohne Endlager
----------------------
REITSCHULE
----------------------
Fr 19.02.10
20.30 Uhr - Tojo - "Etwas Über Leben" von Pasta del
Amore.
21.00 Uhr - Kino - Baskenland: La pelota vasca - La piel
contra la piedra, Julio Medem, Spanien 2003
22.00 Uhr - Dachstock - Wild Wild East: Boban i Marko
Markovic Orkestar (RS); Support: Djane Deeba (BE)
Sa 20.02.10
20.30 Uhr - Tojo - "Etwas Über Leben" von Pasta del
Amore.
21.00 Uhr - Kino - Baskenland: La pelota vasca - La piel
contra la piedra, Julio Medem, Spanien 2003
23.00 Uhr - Dachstock - Dachstock Darkside: BTK (Renegade
Hardware/BRA), Deejaymf (cryo.ch), VCA (Biotic Rec); Antart
(Loud&Dirty), Submerge (beatsandpics.ch)
Infos: http://www.reitschule.ch
---
BZ 18.2.10
Der Untergang
Nach etlichen Versuchen, die Welt zu retten, betritt das
Komikerduo Pasta del Amore Neuland: In ihrem aktuellen Programm
übernehmen Bruno Maurer und Christian Gysi die Verantwortung
für den Weltuntergang.
pd
Vorstellungen: Donnerstag bis Samstag, jeweils um 20.30
Uhr im Tojo Theater Bern. www.tojo.ch.
---
Bund 18.2.10
Boban i Marko Markovic
Animierende Blechmusik
Sie spielten mit ihrer Musik eine wesentliche Rolle
für den Ruhm von Emir Kusturicas Filmen "Underground" oder
"Arizona Dream", und da sie beim serbischen Festival of Brass Music
stets Preise abräumten, sind sie dort nur noch als
Spezialgäste zugelassen: Boban und Marko Markovic mit ihrem
Orkestar, das auch in Bern mit animierender Blechmusik für
Schweissausbrüche sorgen dürfte. (reg)
Reitschule Dachstock Freitag, 19. Februar, 22 Uhr.
---------------------------------------
KULTURGUTSCHEINE
---------------------------------------
Telebärn 18.2.10
Volk soll Gelder verteilen
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/volk-soll-gelder-verteilen/c=84713&s=785682
---
Blick am Abend 18.2.10
SVP nimmt sich der Kultur an
Idee
Die SVP will Subventionen für Kulturbetriebe
streichen. Widerstand ist programmiert.
markus.ehinger@ringier.ch
Die Stadt lässt sich die Kultur jährlich 30
Millionen Franken kosten. "Häufi g gehen diese Subventionen in
Projekte oder Einrichtungen, welche überhaupt nicht dem Geschmack
der Bevölkerung entsprechen", sagt SVP-Stadtrat Erich J. Hess. In
einer Motion, die er heute im Parlament einreicht, fordert er, dass die
Subventionen gestrichen werden. "Stattdessen erhalten alle Berner
Steuerzahler Kulturgutscheine. Sie können dann frei entscheiden,
welche kulturellen Einrichtungen sie unterstützen wollen." Die
Kulturbetriebe ihrerseits können die verwendeten Gutscheine bei
der Stadt abgeben und erhalten anteilmässig weiter finanzielle
Unterstützung. "So ist gewährleistet, dass nur Einrichtungen
unterstützt werden, die auch einem Bedürfnis entsprechen",
sagt Hess. Positiver Nebenefekt: "Leute, die das Kulturangebot bisher
nur wenig oder gar nicht genutzt haben, werden motiviert, am
kulturellen Leben teilzunehmen."
"Diese Idee ist absolut realitätsfremd", sagt Felix
Müller, stellvertretender Direktor des Historischen Museums. Die
Subventionen seien für den Erhalt von Kulturgütern und den
Betrieb gedacht. "Ausstellungen sind immer fremdfi nanziert."
Ähnlich tönt es beim Stadttheater. "Der
Vorschlag wirft mehr Fragen als Lösungen auf", sagt Marc Adam,
Intendant des Stadttheaters Bern. "Ich bin überzeugt, dass mit
diesem Modell keine der aktuell subventionierten Kulturinstitutionen
überleben würde, sondern vielmehr eine Verödung der
Kulturlandschaft voranschreitet."
---------------------
RABE-INFO
---------------------
Do. 18. Februar 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-Info_18._Februar_2010.mp3
- Kritik an der Lohnpolitik des Berner Detailhandels: Die UNIA
fordert verbindliche Mindestlöhne
- Mit dem Essen spielt man nicht: Neue Kampagne gegen unfairen
Handel
- Solar- statt Petrollampen: Solafrica.ch erhält den "Prix
Nature"
--------------------------
DEMO-RECHT
---------------------------
Bund 19.2.10
Demonstrationsumzüge in der Stadt Bern bleiben erlaubt
Verwaltungsgericht hält Berner Kundgebungsreglement
für verfassungswidrig.
Stefan Wyler
Im Mai 2008 verschärfte der Berner Stadtrat - mit den
Stimmen der Bürgerlichen und der Grünen Freien Liste - das
Stadtberner Kundgebungsreglement: Demonstrationen in der Innenstadt
sollten grundsätzlich nur noch als Platzkundgebungen und nicht
mehr als Umzüge bewilligt werden, Ausnahmen in Einzelfällen
sollten möglich bleiben.
Vor dem Berner Verwaltungsgericht hielt die neue strenge
Regel nicht stand: Die fünf Richter urteilten gestern einstimmig,
dass die Einschränkung die Grundrechte der Meinungs- und
Versammlungsfreiheit verletze und damit verfassungswidrig sei. Die
Berner Behörden, so befanden die Richter, müssten weiterhin
jedes Demonstrationsgesuch einzeln prüfen, die Sicherheitslage
anschauen und die Interessen der Demonstranten, der Stadtbewohner,
Passanten und Gewerbetreibenden abwägen. Eine generelle Regel
aber, die im Grundsatz nur noch Platzkundgebungen zulasse, sei
rechtswidrig.
Gegen das Umzugsverbot hatten SP, GB, GPB, Gewerkschaften
sowie weitere Organisationen und Einzelpersonen Beschwerde eingereicht;
die Berner Statthalterin hatte diese gutgeheissen. Der Gemeinderat
hatte dann aber den Fall ans Verwaltungsgericht weitergezogen -
erfolglos, wie sich nun zeigte.
Während SP, Linksgrüne und Gewerkschaften im
Urteil gestern einen "Sieg für die Grundrechte" sahen, zeigte sich
der Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause (cvp) "enttäuscht".
Er war, seinerzeit noch als Stadtrat, einer der Initianten des
Umzugs-Verbots gewesen.
Seite 24, Kommentar rechts
--
Stadt darf Demonstrationsumzüge nicht grundsätzlich
verbieten
Das Verwaltungsgericht kippt eine Verschärfung des
städtischen Kundgebungsreglements: Dass die Stadt Demonstrationen
in der Regel nur noch als Platzkundgebungen erlauben wollte, sei
verfassungswidrig.
Stefan Wyler
Im Mai 2008 beschloss der Berner Stadtrat eine
Verschärfung des Kundgebungsreglements. Eingefügt wurde ein
neuer Artikel 6a unter dem Titel "Kundgebungen in der Innenstadt".
Darin heisst es: "Kundgebungen werden in der Regel nur als
Platzkundgebungen, namentlich ohne Inanspruchnahme der Hauptgassen,
bewilligt. Über Ausnahmen in Einzelfällen entscheidet der
Gemeinderat (analog Regelung ,Bundesplatz)".
Die neue Bestimmung war von den damaligen Stadträten
Reto Nause (cvp) und Ueli Stückelberger (gfl) eingebracht worden.
Sie hatten mit der Überlastung der Innenstadt bezüglich
Demonstrationen argumentiert, mit Sicherheitsüberlegungen, mit der
Aufrechterhaltung des öffentlichen Verkehrs und mit den Interessen
der Innenstadtgeschäfte. Die Debatte stand unter dem Eindruck des
heftigen Anti-SVP-Krawalls vom 6. Oktober 2007. Der Entscheid des
Stadtrats für den neuen Artikel fiel mit 40 gegen 36 Stimmen - die
bürgerlichen Parteien und die GFL stimmten zu, SP, GB, GPB und PdA
dagegen.
Statthalterin kippt Artikel
Zahlreiche Parteien, Gewerkschaften, Verbände und
Einzelpersonen fochten den Stadtratsbeschluss in der Folge mit einer
Gemeindebeschwerde an - darunter die SP von Stadt und Kanton Bern, GB
und GPB, die GsoA, der Verein Augenauf, aber auch die Grüne Partei
Schweiz - deren Mitglied GFL den umstrittenen Artikel paradoxerweise
erst ermöglicht hatte. Die frühere Berner
Regierungsstatthalterin Regula Mader hiess die Beschwerde gut und hob
den Artikel 6a als verfassungswidrig auf.
Der Berner Gemeinderat akzeptierte den Entscheid nicht -
und gelangte ans Verwaltungsgericht. Dieses hat den Fall gestern
öffentlich beraten - es war eine der kürzesten
Urteilsberatungen der letzten Jahre. Das Gericht wies die Beschwerde
der Stadt einstimmig ab: Der Artikel 6a, so befanden die fünf
Richter, sei ein unverhältnismässiger Eingriff in die
Grundrechte der Meinungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit.
Was die Verfassung vorgibt
Bundesverfassung und Kantonsverfassung gäben den
Veranstaltern von Kundgebungen keinen Anspruch, zu demonstrieren, wann
und wo sie wollten, erinnerte Verwaltungsrichterin Ruth Herzog. Der
Staat dürfe Demonstrationen einer Bewilligungspflicht
unterstellen. Aus den Grundrechten der Meinungs- und der
Versammlungsfreiheit fliesse aber "ein bedingter Anspruch", zu
demonstrieren. So sind laut der Berner Kantonsverfassung Kundgebungen
auf öffentlichem Grund zu bewilligen, "wenn ein geordneter Ablauf
gesichert und die Beeinträchtigung der anderen Benutzer zumutbar
erscheint". Und auch wenn die Demonstranten keinen Anspruch haben, an
einem bestimmten Ort zu demonstrieren, so ist laut dem Bundesgericht
ihrem Bedürfnis, eine Appellwirkung zu erzielen, Rechnung zu
tragen. Zum Selbstbestimmungsrecht der Veranstalter gehöre es
zudem, so erklärte Richterin Herzog, die Form der Kundgebung
(Umzug oder Platzkundgebung) zu wünschen.
Ausnahme wird Regel
Herzog taxierte das grundsätzliche Umzugsverbot als
schweren Eingriff in die Kundgebungsfreiheit. Dieses lasse sich durch
entgegenstehende öffentliche Interessen wie jene des
öffentlichen Verkehrs oder der Gewerbetreibenden nicht
rechtfertigen - es sei daher unverhältnismässig. Klar aber
war für die fünf Richter, dass die Stadt bei der Prüfung
jedes Demonstrationsgesuchs die Interessen von Demonstrierenden,
Stadtbewohnern und Gewerbetreibenden abwägen muss, dass sie
Sicherheitsfragen prüfen muss, dass sie - im Einzelfall - auch nur
eine Platzkundgebung erlauben darf oder, wo Randale droht, eine
Demonstration gar ganz verbieten darf. Aber eben: Nötig sei eine
Güterabwägung im Einzelfall, man dürfe Umzüge nicht
generell verbieten. Mit dem umstrittenen Artikel 6a aber, so sagte es
Verwaltungsrichter Robert Burkhard, werde der Grundsatz der Verfassung
- Kundgebungsfreiheit im Grundsatz, Einschränkung im Einzelfall -
gerade ins Gegenteil verkehrt.
Die Stadt hatte in ihrer Beschwerde argumentiert,
eigentlich werde mit Artikel 6a nur die heutige Bewilligungspraxis
festgeschrieben, schon heute würden nur 10 bis 15 Prozent aller
Demonstrationen als Umzüge bewilligt, der Rest seien
Platzkundgebungen. Das Argument überzeugte die Richter nicht.
Wieso müsste die Stadt denn das Reglement ändern, wenn alles
beim Alten bleiben solle, fragten sie. Die Voten in der
Stadtratsdebatte zeigten zudem klar, dass eine Verschärfung des
Reglements beabsichtigt worden sei. Fast jede siebte Demonstration sei
bisher als Umzug bewilligt worden, erklärte Richter Thomas
Häberli, das seien "nicht nur Einzelfälle".
Nause "enttäuscht"
Während Umzugsverbots-Gegner wie die Demokratischen
Juristinnen und Juristen gestern das Urteil als "Sieg für die
Grundrechte" begrüssten, erklärte der Berner
Sicherheitsdirektor Reto Nause, er sei "enttäuscht". Das Urteil
sei "etwas praxisfern". Mit diesem werde der Druck auf die
Bewilligungsbehörden erhöht, Demonstrations-Umzüge zu
erlauben.
Ob der Gemeinderat den Fall ans Bundesgericht in Lausanne
weiterzieht, werde er nach Vorliegen der schriftlichen
Urteilsbegründung entscheiden, sagte Nause.
--
Kommentar
Grundrecht geht vor Kommerz
Bernhard Ott
Demonstrationen mit Umzügen sind in der Stadt Bern
grundsätzlich gestattet. In einer der kürzesten
Urteilsberatungen seiner Geschichte hat das Verwaltungsgericht eine
Verschärfung des Stadtberner Kundgebungsreglements gekippt.
Urheber der Verschärfung war der Berner Stadtrat, der vor zwei
Jahren eine Motion von Grüner Freier Liste (GFL) und CVP
überwies, die in der Berner Innenstadt nur noch Platzkundgebungen
zuliess. Linke Parteien und Organisationen haben diesen Entscheid mit
einer Beschwerde bekämpft, die vom Statthalteramt gutgeheissen
wurde. Der Gemeinderat wiederum focht den Statthalterentscheid beim
Verwaltungsgericht an - und ist damit nun abgeblitzt.
Stadt- und Gemeinderat haben in den letzten Jahren drei
Anläufe zur örtlichen Einschränkung des
Demonstrationsrechtes unternommen. 2005 hiess das Stadtparlament ein
Kundgebungsverbot auf dem Bundesplatz während der Sessionen gut,
das nach wie vor in Kraft ist. Ein Jahr später scheiterte der
Gemeinderat mit dem Versuch, ein Umzugs-Verbot für die Spital- und
Marktgasse per Verordnung durchzusetzen. Damals wie heute
argumentierten die Verbotsbefürworter mit den Interessen des
Gewerbes und der Behinderung des öffentlichen Verkehrs. Mit dem
Urteil des Verwaltungsgerichtes ist nun aber klar, dass
grundsätzliche Umzugs-Verbote einen unverhältnismässigen
Eingriff in die Demonstrationsfreiheit darstellen. Der Gemeinderat
kommt im Bewilligungsverfahren für Demo-Umzüge nicht umhin,
eine Güterabwägung der Interessen im Einzelfall vorzunehmen.
Dabei ist ein Umzugs-Verbot für einzelne Kundgebungen im Rahmen
der Auflagen ja nach wie vor möglich.
In wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist das Einstehen
für die Grundrechte weniger populär. Vom rot-grün
dominierten Berner Gemeinderat dürfte man aber mehr
Sensibilität erwarten. Wenn Sicherheitsdirektor Reto Nause (cvp)
das Urteil des Verwaltungsgerichtes als "praxisfern" tituliert, beweist
er, dass er das Prinzip nicht begriffen hat. Grundrechte sind
Menschenrechte und keine Frage der Konjunktur oder der Umsetzbarkeit.
---
BZ 19.2.10
Demonstrationen in der Stadt Bern
"Ein Sieg für die Grundrechte"
Ein Verbot von Demo-Umzügen greife zu stark in die
Grundrechte ein. Zu diesem Schluss kommt das Verwaltungsgericht. Die
Stadt muss ihr Reglement korrigieren. Das Urteil sei "praxisfern", sagt
Sicherheitsdirektor Reto Nause.
Regula Mader ist zwar nicht mehr Regierungsstatthalterin,
erschien aber gestern trotzdem zur Verhandlung des Verwaltungsgerichts.
Dieses hatte einen Entscheid zu prüfen, den Mader 2009
gefällt hatte und gegen den die Stadt Bern Beschwerde führte.
"Das ist diejenige Beschwerde, die mich in meiner Amtszeit am meisten
aufgeregt hat", sagte Mader vor der Verhandlung.
Maders Entscheid gestützt
Nicht mehr ärgern musste sie sich danach, denn das -
mehrheitlich bürgerlich zusammengesetzte - Gericht kam zum
gleichen Schluss wie die Sozialdemokratin Mader: Die Stadt Bern darf
Kundgebungsumzüge nicht grundsätzlich verbieten. Das sei
"verfassungswidrig und unverhältnismässig", urteilten die
fünf Verwaltungsrichter einstimmig. Die Ankündigung der
Stadt, man werde den betreffenden Artikel grosszügig auslegen und
in Ausnahmefällen auch Umzüge bewilligen, verwirrte das
Gericht: "Weshalb überhaupt dieser neue Artikel, wenn in der
Praxis die Ausnahme doch wieder zur Regel werden soll?", fragte ein
Verwaltungsrichter. Ein anderer fügte an: "Freiheit im Grundsatz.
Einschränkung als Ausnahme." Was in Kantons- und Bundesverfassung
für die Bewilligung von Demos gelte, dürfe die Stadt nicht
einfach umdrehen.
Das Stadtparlament hatte 2008 beschlossen, nur noch Demos
auf Plätzen zuzulassen, ging damit aber offensichtlich zu weit.
Nach der Regierungsstatthalterin gibt auch das Verwaltungsgericht den
insgesamt 20 Beschwerdeführern aus dem links-grünen Lager
Recht. Das Gericht musste das erstinstanzliche Urteil prüfen, weil
es die Stadt Bern nicht akzeptierte. Man habe das Urteil weitergezogen,
weil die Haltung und der Auftrag des Parlaments klar gewesen sei, sagt
Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause.
"Genügend Spielraum"
"Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist ein Sieg für
die Grundrechte", findet Regula Mader. Links-grüne Parteien, die
Grundrechtsorganisation "Augenauf" oder die demokratischen Juristinnen
und Juristen (DJS) zeigten sich zufrieden. "Die Stadt hat mit dem
heutigen Reglement genügend Spielraum, um den verschiedenen
Interessen entgegenzukommen", sagt Catherine Weber von den DJS.
Nause ist enttäuscht
Anders sieht das Sicherheitsdirektor Reto Nause. Er ist
enttäuscht über das Urteil: "Es ist praxisfern und
schränkt den Spielraum der Stadt erheblich ein." Nause sieht
praktische Probleme auf die Bewilligungsbehörden zu kommen: Mit
diesem Urteil werde es schwierig, Kundgebungen einzuschränken oder
auf andere Routen umzuleiten. "Jeder, der ein Gesuch stellt, wird sich
auf den Entscheid des Verwaltungsgerichts und auf seine Grundrechte
berufen." Ob der Gemeinderat das Urteil ans Bundesgericht weiterziehe,
sei noch offen. "Wir warten die schriftliche Begründung ab."
Vorerst hofft der Sicherheitsdirektor darauf, dass das Volk am 13.Juni
zustimmt, das Demo-Reglement mit dem "Entfernungsartikel" zu
ergänzen (Text unten). "Dann bekämen wir wenigstens dieses
zusätzliche Instrument in die Hand", sagt Nause.
Mirjam Messerli
--
Baustelle Demo-Reglement
Erneut wurde gestern die Stadt Bern zurückgepfiffen,
weil sie ihr Kundgebungsreglement verschärft hatte.
Es war gestern nicht das erste Mal, dass sich eine
übergeordnete Instanz mit dem Kundgebungsreglement der Stadt Bern
befassen musste. Es war auch nicht das erste Mal, dass die Stadt
zurückgepfiffen wurde.
Bereits Ende 2006 machte die damalige
Regierungsstatthalterin Regula Mader einen Entscheid der Stadtregierung
rückgängig. Mader hob das Demo-Verbot in den Hauptgassen
während der Geschäftszeiten auf. Der Gemeinderat hatte es in
die Kundgebungsverordnung aufgenommen.
Diese Verordnung darf der Gemeinderat gestalten. Mit ihr
wird die praktische Umsetzung des Kundgebungsreglements festgelegt. Das
Reglement muss vom Stadtparlament abgesegnet werden. Gegen das
partielle Demo-Verbot in der Markt- und Spitalgasse hatte sich im Jahr
2006 der inzwischen verstorbene grüne Stadtrat Daniele Jenni
gewehrt - und von Mader Recht bekommen. Nach dem gestrigen Entscheid
des Verwaltungsgerichts (siehe Haupttext) wird nun zum zweiten Mal die
Fussnote "aufgehoben gemäss Entscheid der Regierungsstatthalterin"
im städtischen Demo-Reglement Aufnahme finden.
Die Diskussion wann, wo und in welcher Form in Bern
demonstriert werden darf, geht weiter. Nächster Streitpunkt ist
der "Entfernungsartikel". Dieser soll es der Polizei ermöglichen,
Demo-Teilnehmer von einer Kundgebung wegzuweisen, wenn diese aus
Sicherheitsgründen aufgelöst werden muss. Lanciert wurde die
Ergänzung des Reglements von einem bürgerlichen Komitee mit
der Volksinitiative "Keine gewalttätigen Demonstranten". Sie soll
am 13.Juni vors Stimmvolk kommen. Der Gemeinderat ist für die
Verschärfung des Reglements, das Parlament dagegen.
mm
---
20 Minuten 19.2.10
Demo-Verbot: Gericht pfeift Stadt Bern zurück
Bern. Schlappe für die Stadt Bern vor dem
Verwaltungsgericht: Die Hauptstadt muss Demo-Umzüge definitiv
wieder zulassen.
Es war ein klarer Entscheid, den das Verwaltungsgericht
gestern fällte: Einstimmig beschlossen die Richter, dass das
generelle Verbot von Demonstrationszügen in der Stadt Bern
verfassungswidrig und unverhältnismässig sei. Damit pfeift
das Gericht die Stadt zurück. Diese hielt trotz einer
gutgeheissenen Beschwerde beim Regierungsstatthalteramt am Umzugsverbot
fest und wandte sich ans Verwaltungsgericht. Begonnen hatte der Knatsch
um das Demo-Verbot nach den Krawallen vom 6. Oktober 2007, als
SVP-Anhänger von Linksautonomen attackiert worden waren (20
Minuten berichtete).
Bei den Demokratischen JuristInnen Schweiz ist man
begeistert vom Richterspruch: "Das ist ein Sieg für die
Grundrechte", so Simone Rebmann. Mit dem Entscheid allein gebe man sich
aber nicht zufrieden. "Wir fordern, dass auch das Verbot von
Platzkundgebungen auf dem Bundesplatz während den Sessionen
aufgehoben wird." Es sei ein merkwürdiges Verständnis von
Demokratie, seine Meinung nicht äussern zu dürfen, wenn
wichtige Angelegenheiten entschieden würden.
Der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause ist
enttäuscht vom Urteil. "Bern als Hauptstadt ist in einer
aussergewöhnlichen Situation, was Demos betrifft." Ob man das
Urteil weiterziehe, sei noch unklar: "Wir warten die schriftliche
Begründung ab."
Nora Camenisch
---
Telebärn 18.2.10
Kein Verbot für Demo-Umzüge
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/kein-verbot-fur-demoumzuge/c=84713&s=785687
---
Demokratische Juristinnen und Juristen der Schweiz Neuengasse 8
Juristes Démocrates de Suisse 3011 Bern
Giuristi e Giuriste Democratici Svizzeri Tel 031 312 83 34
Giuristas e Giurists Democratics Svizzers Fax 031 312 40 45
info@djs-jds.ch
http://www.djs-jds.ch
MEDIENMITTEILUNG
Bern, 18. Februar 2010
Kein Umzugsverbot in der Stadt Bern:
Ein Sieg für die Grundrechte!
Das Berner Verwaltungsgericht hebt den neuen Artikel im
städtischen Kundgebungsreglement KgR wegen Verfassungswidrigkeit
einstimmig auf. Das Gericht folgt damit der breiten Koalition aus
Parteien, Gewerkschaften und sozialen Organisationen, die gegen die
Einführung des Artikels 6a KgR Beschwerde erhoben hat. Besagter
Artikel sähe in der Stadt Bern in der Regel Platzkundgebungen vor,
Marschkundgebungen sollten zur Ausnahme werden.
In der heutigen öffentlichen Beratung argumentierten die
VerwaltungsrichterInnen, dass Art. 6a KgR gegen die
Meinungsäusserungs- und die Versammlungsfreiheit der
Bundesverfassung sowie der Verfassung des Kantons Bern verstösst.
Diese Grundrechte beinhalten insbesondere das Selbstbestimmungsrecht
über die Form einer Kundgebung. Art. 6a würde eine nicht
annehmbare Beschränkung dieses Rechts bedeuten, in dem er
Platzkundgebungen zur Regel macht. Marschkundgebungen müssten
demnach besonders begründet werden und würden nur im
Ausnahmefall bewilligt. Die Gemeindebehörden bekämen damit
einen zu weit gehenden Ermessensspielraum um die Form einer Kundgebung
einzuschränken. Damit wäre auch die Gefahr verbunden,
über das Bewilligungsverfahren eine inhaltlich-politische
Kontrolle auszüben und eine abschreckende Wirkung auszulösen.
Die von der Stadt in Aussicht gestellte grosszügige Handhabung der
Bewilligungspraxis vermag nach Ansicht der RichterInnen die Folgen
einer Regelumkehr nicht zu entschärfen.
Nach Ansicht des Gerichts ist die Interessensabwägung
darüber, wie eine Kundgebung gestaltet werden soll und wie den
Interessen Dritter Rechnung zu tragen sei, jeweils im Einzelfall
vorzunehmen. Eine generell abstrakte Regelung in der vorliegenden
Unbestimmtheit sei fehl am Platz und berge die Gefahr der
Rechtsunsicherheit. Für die GegnerInnen des neuen Artikels war
immer klar, dass die heute bestehende gesetzliche Grundlage vollauf
genügt und die Stadt Bern insbesondere mit Artikel 2 des KgR
(Bewilligungsverfahren) genügend Spielraum hat, um den
verschiedenen Interessen entgegenzukommen. Das Gericht würdigte
auch die Bedenken der Polizei gegen einer solchen
Platzkundgebungs-Regel sowie die Tatsache, dass bei einer Verweigerung
einer Marschkundgebung keine Möglichkeit gegeben ist, rechtzeitig
vor dem geplanten Anlass Beschwerde zu führen.
Gestützt auf die Begründungen des heutigen
einstimmigen Entscheids muss nach Ansicht der beschwerdeführenden
Organisationen auch die bestehende Einschränkung für
Kundgebungen auf dem Bundesplatz während den Parlamentsessionen
aufgehoben werden.
RA Willi Egloff
Für die DJS:
Simone Rebman
Catherine Weber
Die Gemeindebeschwerde wurde namentlich (in alphabetischer
Reihenfolge) eingereicht von:
augenauf bern; comedia schweiz; Demokratische Juristinnen und Ju
risten Bern, djb; Gewerkschaft Kommunikation GEKO, Regionalsekretariat
Bern; Gewerk schaft Kommunikation, Sektion Bern-Postpersonal;
Gewerkschaftsbund Kanton Bern GKB; Gewerkschaftsbund Stadt Bern GSB;
grundrechte.ch; Grüne Partei Bern-Demokratische Al ternative
GPB-DA; Grüne Partei der Schweiz GPS; Grünes Bündnis
Bern GB; Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSoA;
Jungsozialistinnen und Jungsozialisten Schweiz, JUSO; Solidarité
sans frontières; Sozialdemokratische Partei der Stadt Bern;
Sozialdemokratische Partei des Kantons Bern
Zusätzlich wurde die Beschwerde mitgetragen von:
Demokratische Juristinnen und Juristen Schweiz DJS; Gewerkschaft
Kommunikation, Sek tion Zentrale Bereiche Post; Junge Alternative JA!;
PdA Bern; Schweizerischer Gewerk schaftsbund SGB; Sozialdemokratische
Partei der Schweiz SPS; StudentInnenschaft der Universität Bern
SUB; Syna Region Bern; Travail Suisse; Unia, Sektion Bern und Region
Bern; vpod Region Bern und Bundespersonal
----------------------------------
SICHERHEITS-WAHN
----------------------------------
Bund 19.2.10
"Bern ist eine sichere Stadt. Es braucht aber mehr Polizei zu
gewissen Zeiten an gewissen Orten"
Wie viel Polizeipräsenz braucht die Stadt Bern? - Ein
Streitgespräch zur Sicherheits-Initiative.
Gespräch: Bernhard Ott
Herr Sancar, Ihre Partei, das Grüne Bündnis
(GB), bekämpft seit jeher jede Verstärkung der Polizei. Hat
das GB ein Problem mit der Polizei?
Hasim Sancar: Nein, sicher nicht. Wir sind nicht a priori
gegen die Polizei. So haben wir uns einst gegen die Schliessung der
Quartierwachen in der Stadt Bern gewehrt, weil damit
Bürgernähe verloren ging.
Herr Nause, als Stadtrat waren Sie für die
Initiative, jetzt sind Sie für den Gegenvorschlag. Wie kam es zu
diesem Gesinnungswandel?
Reto Nause: Ich habe mich immer für mehr
Polizeipräsenz eingesetzt. Die Initiative entstand in einer Zeit
der Hochkonjunktur. Heute haben wir aber gewisse finanzpolitische
Einschränkungen. Der Gegenvorschlag will 2,2 statt 5,8 Millionen
Franken für mehr Polizeipräsenz einsetzen und trägt
damit der wirtschaftlichen Entwicklung Rechnung. Die 2,2 Millionen
entsprechen annähernd dem jährlich wiederkehrenden
Synergiegewinn aus der Polizeifusion in der Höhe von 3 Millionen
Franken. Der Gemeinderat setzt damit ein deutliches Zeichen.
Sie lehnen die Initiative primär aus finanziellen
Überlegungen ab?
Reto Nause: Nicht nur. Der Gegenvorschlag ist auch die
adäquate Antwort auf die Sicherheitslage in der Stadt. Die
Probleme sind örtlich und zeitlich lokalisierbar auf wenige Hot
Spots in den Nächten der Wochenenden von Mitternacht bis sechs Uhr
früh. Man kann eine Milchbüchleinrechnung machen, die etwa
dem Gegenvorschlag entspricht: 20 000 Stunden Polizeipräsenz,
geteilt durch 156 Tage (Donnerstag bis Samstag), geteilt durch
sechseinhalb Stunden Präsenz ergibt in etwa die Aufstockung um 20
Mann, die der Gegenvorschlag anstrebt.
Sie haben sich gegen diese Milchbüchleinrechnung
stets gewehrt, Herr Müller?
Philippe Müller: Herr Nause versucht, die
Realität an den ungenügenden Vorschlag des Gemeinderats
anzupassen. Doch die Überfälle geschehen eben nicht nur in
den Nächten des Wochenendes, sie geschehen zu jeder Tages- oder
Nachtzeit. Der Gegenvorschlag bringt einfach viel zu wenig. Zweimal
sieben Polizisten sind zweimal ein Prozent des Bestandes - und das nach
27 Jahren. Der Gemeinderat wollte damit ja auch nicht die Sicherheit in
der Stadt verbessern. Die einzige Überlegung hinter dem
Gegenvorschlag ist es, die Initiative zu bodigen, um möglichst
wenig Polizeiaufstockung zu bewirken.
Reto Nause: Der Gegenvorschlag wurde auch vom Stadtrat
gutgeheissen. Der Gemeinderat verfolgt in der Sicherheitspolitik einen
ganzheitlichen Ansatz. Er hat in den Ausbau der Fremdenpolizei
investiert, er setzt mehr private Sicherheitsdienste ein, er ist
für bauliche Massnahmen und Videoüberwachung - leider wurde
Letzteres vom Stadtrat abgelehnt. Zum ganzheitlichen Ansatz gehört
auch die Verstärkung der Gasseninterventionstruppe Pinto, wie das
der Gegenvorschlag beabsichtigt. Philippe Müller: Eine Aufstockung
um 2,4 Stellen bei Pinto kann man einfach nicht ernst nehmen. Pinto
kümmert sich um Randständige. Das sind aber nicht die Leute,
die am Wochenende dreinschlagen. Die Sicherheit wird nicht besser, wenn
man Randständigen verbietet, im öffentlichen Raum zu
urinieren. Wenn immer mehr private Sicherheitsdienste eingesetzt werden
müssen, so heisst das doch auch, dass die bestehenden Kräfte
der Polizei nicht ausreichen. Die Initiative geht in der
Prävention viel weiter: Sie verlangt 25 000 Jahresstunden, was
ungefähr 10 Stellen entspricht.
Hasim Sancar: Die Initiative will 110 000 Stunden
Polizeipräsenz in der Gemeindeverfassung festschreiben. Da
gehört das aber einfach nicht hin. Zudem ist es erstaunlich, dass
die Sparpartei FDP auf Kantonsebene die Steuern für Reiche
reduzieren will und auf städtischer Ebene mehr Geld ausgeben will.
Wenn Geld vorhanden ist, müsste man es in die aufsuchende
Jugendarbeit stecken.
Herr Nause, woher wollen Sie die 2,2 Millionen Franken
nehmen, die der Gegenvorschlag kostet?
Reto Nause: Es muss eine Umverteilung zugunsten der
Sicherheit geben. Wo man sparen muss, kann ich im jetzigen Moment nicht
sagen. Fakt ist, dass die Synergiegewinne aus der Polizeifusion bereits
ausgegeben sind. Herr Müller, die FDP hat doch in den
Budgetdebatten jeweils gesagt, man müsse 3 Millionen Franken mehr
in die Sicherheit investieren. Die 2,2 Millionen Franken des
Gegenvorschlages sind nicht weit davon entfernt.
Hasim Sancar: Wenn man das Geld im Sozialen sparen will,
so ist das ein Denkfehler. Kriminalität wird nicht verhindert,
indem man beim Sozialen spart und in die Polizei investiert. So
gerät man in einen Teufelskreis. Weniger Sozialausgaben
können auch Kriminalität verursachen.
Herr Müller, wollen Sie die 5,8 Millionen für
die Initiative beim Sozialen sparen?
Philippe Müller: Wir wollen gar nicht in diesen
Teufelskreis geraten. Wir sagen bloss, dass die Polizei seit 27 Jahren
nicht mehr aufgestockt wurde. Im gleichen Zeitraum haben sich die
Ausgaben im Sozialbereich auf 130 Millionen Franken verfünffacht.
Die Initiative will 3,6 Millionen Franken mehr in die
Polizeipräsenz investieren als der Gegenvorschlag. Das sind drei
Promille des städtischen Budgets. Ich akzeptiere einfach die
Behauptung nicht, dass dies die Stadt finanziell ruinieren könnte.
Herr Nause, die FDP hat in der Budgetdebatte 2007 tatsächlich eine
Erhöhung der Polizeipräsenz verlangt, die nur wenig mehr
verlangte, als dies heute der Gegenvorschlag will. Aber der Gemeinderat
war damals dagegen, weil die Initiative noch nicht lanciert war. Die
rot-grünen Gemeinderatsmitglieder wollten nie eine
Verstärkung der Polizei.
Hasim Sancar: Es stimmt nicht, dass die Polizei 27 Jahre
lang nicht verstärkt wurde. So wurden zum Beispiel mit der
Einführung des Botschaftsschutzes und der Auslagerung der
Parkkontrollen Ressourcen frei.
Philippe Müller: Es kamen einfach neue Aufgaben dazu.
Dafür hatte man Geld, für die Polizeipräsenz aber nicht.
Reto Nause: Die Polizeipräsenz, um die es hier geht,
ist tatsächlich in den letzten 27 Jahren nie erhöht worden.
Gleichzeitig sind neue Aufgaben dazugekommen, zum Beispiel die Gewalt
vor den Sportstadien und die häusliche Gewalt.
Herr Sancar, wie soll man Ihrer Meinung nach denn der
Gewalt vor den Sportstadien begegnen?
Hasim Sancar: Da müsste man genug in die Fanarbeit
investieren. In der Stadt Bern gab es zum Zeitpunkt der Polizeifusion
628 Polizistinnen und Polizisten. Es ist eine Disqualifizierung der
Polizei, wenn man denen nicht zutraut, die zwei, drei Hot Spots in der
Stadt im Griff zu haben. In den Klubs ginge es vor allem darum, die
Prävention von Alkoholmissbrauch zu verstärken.
Philippe Müller: Es gibt in der Stadt Bern wesentlich
mehr als zwei, drei Hot Spots. Und es gibt nicht 628 Polizisten,
sondern etwas über 400. Der Rest sind Bürolisten und
technisches Personal.
Bezüglich Repression und Prävention kann man ja
das eine tun und das andere nicht lassen.
Hasim Sancar: Das war ja das Versprechen der
Polizeifusion. Damals hiess es immer, die Polizei verfüge dann
über eine grössere Kapazität, die sie bei
Grossanlässen einsetzen könne.
Reto Nause: Die Polizei hat die Situation in der Stadt
Bern unter Kontrolle. Wir haben aber eine gesellschaftliche
Liberalisierung, die zum Beispiel Alkoholverkauf fast rund um die Uhr
ermöglicht. Wir haben auch eine grosse Gewaltbereitschaft unter
Jugendlichen. Das kannte man früher in dieser Form nicht. Die
physische Polizeipräsenz ist da die beste Prävention.
Hasim Sancar: Gemäss einer internationalen Studie ist
die Stadt Bern eine der sichersten Städte Europas. Die Zahl der
Körperverletzungen ist in den Jahren 2007 und 2008 stagniert. Die
Zahl der Tötungsdelikte ist gesunken.
Philippe Müller: Von 1998 bis 2006 haben die Delikte
gegen Leib und Leben aber massiv zugenommen.
Reto Nause: In den letzten drei Jahren blieben die Delikte
gegen Leib und Leben stabil, über einen längeren Zeitraum
betrachtet, haben sie stark zugenommen. Ich will die Zahlendiskussion
nicht führen. Bern ist eine sichere Stadt. Es braucht aber mehr
Polizei zu gewissen Zeiten an gewissen Orten. Jedes Opfer ist eines zu
viel. Den Opfern sind die Statistiken egal.
Philippe Müller: Mit der Initiative wird es weniger
Opfer geben.
Laut Polizeikommandant Stefan Blättler bedeutet mehr
Polizei nicht automatisch weniger Kriminalität. Kann man mit
Polizeipräsenz überhaupt Gewalttaten verhindern?
Reto Nause: Gegen die Prügeleien vor den Klubs kann
man damit etwas bewirken. Bei Überfällen auf Tankstellenshops
und Kioske sind aber die kriminalpolizeilichen Ermittlungen
ausschlaggebend.
Philippe Müller: Es geht bei der Initiative ja nicht
allgemein um Kriminalität, sondern um Gewaltdelikte auf der
Strasse. Ein potenzieller Täter schreckt angesichts von
Polizeipräsenz aber eher vor einem Überfall zurück. In
den sieben Jahren seit dem Überfall in der Postgasse, als ein
Lehrer invalid geschlagen wurde, hat der Gemeinderat in Sachen
Sicherheit nichts unternommen. Das ist eine menschenverachtende Politik.
Hasim Sancar: Die Aussage des Polizeikommandanten trifft
den Nagel auf den Kopf. Stabile Lebensverhältnisse und materielle
Sicherheit gewährleisten Sicherheit. Der Überfall in der
Postgasse ist vor 7 Jahren geschehen. Auch mit 200 Polizisten mehr
wäre die Tat kaum zu verhindern gewesen.
Stadtrat Philippe Müller (fdp) hat die Initiative zur
Erhöhung der Polizeipräsenz in der Stadt Bern lanciert.
Gemeinderat Reto Nause (cvp) trat als Stadtrat für
die Initiative ein. Als Sicherheitsdirektor der Stadt Bern setzt er
sich nun aber für den Gegenvorschlag ein.
Stadtrat Hasim Sancar (gb) lehnt sowohl die Initiative als
auch den Gegenvorschlag ab.
--
Die Abstimmung vom 7. März
Wie viel Polizei hat Bern nötig?
Die Initiative für eine sichere Stadt Bern will eine
Erhöhung der sichtbaren Polizeipräsenz um 45 000 auf 110 000
Stunden in der Gemeindeordnung festschreiben. Zudem sollen in der
Verfassung 25 000 Stunden polizeiliche Gewaltprävention
festgehalten werden. Der Gegenvorschlag des Gemeinderats will eine
gestaffelte Erhöhung bis zu 20 000 Stunden im Jahr 2013 und eine
Aufstockung der Gasseninterventionstruppe Pinto um 240 Stellenprozente.
(bob)
Abstimmung 7. März 2010 Sicherheits-Initiative Stadt
Bern
---------------------
POLICE BE
---------------------
BZ 19.2.10
Polizei weist Kritik zurück
Die Kantonspolizei reagiert auf die Interpellation der
Stadtberner SP (Ausgabe von gestern): Es sei falsch, zu behaupten, die
Polizei baue in der Stadt Leistungen ab. Die von der SP ins Feld
geführten Neubesetzungen und Stellenverschiebungen weg von der
Regionalpolizei dienten der Optimierung der 2008 vollzogenen Fusion von
Stadt- und Kantonspolizei. Anders als dies die SP befürchte,
würden die im Ressourcenvertrag mit der Stadt vereinbarten
Leistungen vollumfänglich erbracht, heisst es in einer
Stellungnahme.
azu
---
20 Minuten 19.2.10
Kapo: "Vorwürfe stimmen nicht"
BERN. Die Kantonspolizei nahm gestern in einer Mitteilung
Stellung zu den anonymen Vorwürfen aus dem Korps. Dies, nachdem
die SP der Stadt Bern in Frage gestellt hatte, dass die Kapo nach
angeblich fragwürdigen Personalentscheiden und internen Problemen
den Aufgaben auf Stadtgebiet überhaupt noch nachkommen kann. "Die
mit der Stadt vereinbarten Leistungen wurden und werden erbracht",
antwortet nun die Polizei. Personalentscheide seien zudem durchdacht
und in offenen Bewerbungsverfahren gefällt worden. Auch seien
keine Fahnder aus der Stadt abgezogen worden.
---
BZ 18.2.10
Kantonspolizei
SP verlangt Aufklärung
Die Vorwürfe, wonach die Kapo Leistungen in der Stadt
Bern abbaue, sind für die SP "berechtigt". Man müsse genauer
hinsehen.
Stefan Blättler, Kommandant der Kantonspolizei, baue
Leistungen in der Stadt Bern ab: Diese Zeitung machte Ende letzte Woche
entsprechende Vorwürfe aus dem Korps der Regionalpolizei Bern
publik. Konkret ging es um Neubesetzungen von Chefposten in der
Regionalpolizei, der früheren Stadtpolizei, durch ortsunkundige
Kantonspolizisten und die Verschiebung von 14 Fahndern weg von der
Stadt Bern.
Vertrauensfrage gestellt
Nun wird die Stadtberner Politik aktiv: SP-Stadträtin
Corinne Mathieu, als Vizepräsidentin der Sicherheitskommission
Fachfrau, reicht heute im Stadtrat eine Interpellation ein.
"Gemäss Ressourcenvertrag muss bei Veränderungen des
Leistungsumfangs der Gemeinderat zwingend angehört werden",
erklärt Mathieu. Sie will deshalb vom Gemeinderat wissen, ob er
über die Stellenverschiebungen informiert war und ob die
Kantonspolizei ihre im Ressourcenvertrag festgelegten Leistungen noch
vollumfänglich erbringt.
Die jüngsten Entscheide von Kapo-Kommandant
Blättler lassen bei Mathieu grundlegende Zweifel aufkommen: "Die
Frage stellt sich, ob man dieser Kantonspolizei noch vertrauen kann,
wenn sie offenbar nicht willens ist, den Ressourcenvertrag
einzuhalten." Sie verweist auf Nachfragen bei Insidern, welche die
fraglichen Personalentscheide als "völlig unverständlich"
taxieren. Die anonym erhobenen Vorwürfe seien deshalb "berechtigt".
Grosser Rat gleichgültig
Der SP-Fraktion sei bewusst, dass eigentlich der Grosse
Rat das Aufsichtsorgan der Kantonspolizei wäre, heisst es im
Vorstoss. "Doch dort herrscht eine grosse Gleichgültigkeit
gegenüber der Stadt", konstatiert Mathieu. "Deshalb sind wir der
Ansicht, dass es unsere Pflicht ist, genauer hinzusehen." Das sei auch
mit Blick auf die Abstimmung über die Sicherheits-Initiative vom
7.März wichtig: "Man muss sich fragen, ob zusätzliche
Polizisten wirklich der Stadt zugute kommen würden."
azu
---
police.be.ch 18.2.10
Medienmitteilung vom 18. Februar 2010
Stellungnahme der Kantonspolizei zu falschen Behauptungen
pkb. Die Kantonspolizei Bern ist in Zusammenhang mit kommenden
politischen Entscheiden in den Fokus der Öffentlichkeit geraten.
Dabei werden Behauptungen verbreitet, welche völlig falsch sind.
In den Medienberichten werden Schlüsse gezogen, welche
teils auf anonymen Schreiben und unwahren Behauptungen über
Strukturanpassungen und Personalentscheide beruhen.
Zudem werden grundlegende Zweifel an der
Vertrauenswürdigkeit der Kantonspolizei Bern geäussert. Die
Vertrauensfrage müsse man sich stellen, weil die Kantonspolizei
offenbar nicht Willens sei, den Ressourcenvertrag mit der Stadt Bern
einzuhalten.
Das Polizeikommando stellt klar: Die jüngsten
Personalentscheide haben mit den für die Stadt Bern zu
erbringenden Leistungen nichts zu tun. Die im Ressourcenvertrag mit der
Stadt Bern vereinbarten Leistungen wurden und werden erbracht. Die
Gerichtspolizei ist eine kantonale Aufgabe und somit nicht Gegenstand
des Vertrages.
Es ist falsch, wenn behauptet wird,
* dass 14 Fahnder aus der Stadt abgezogen worden sind. Richtig
ist, dass nach dem Zusammenschluss und Abschluss von Police Bern in
einzelnen Bereichen Optimierungen vorgenommen wurden. Um
Doppelspurigkeiten zu vermeiden, wurden u. a. die Bereiche Ziel- und
Personenfahndung zusammengeführt und in der Kriminalabteilung
unter der Leitung eines ehemaligen Stadtpolizisten angesiedelt. Damit
wird auch neuen Kriminalitätsformen wie etwa dem Menschenhandel
Rechnung getragen. Die erwähnten Fahnder werden auch weiterhin
für Aufgaben in der Stadt Bern im Einsatz stehen.
* die frühere Chefin der Regionalfahndung Bern habe im
Sommer 2009 den Dienst quittiert. Richtig ist, dass sie nach wie vor
Angehörige der Kantonspolizei ist und als solche in eine
höhere Charge der Kriminalabteilung befördert wurde.
* dass ein unerfahrener Polizist ohne Gebietskenntnis zum Chef
des Stützpunktes Bern-Ost ernannt wurde und damit der Sicherheit
in der Stadt Bern nicht Rechnung getragen werde. Richtig ist, dass der
ernannte Kaderangehörige eine langjährige Berufserfahrung,
zuletzt als Chef der Stationierten Polizei des Berner Oberlandes,
mitbringt und sich in einem offenen Bewerbungsverfahren für diese
Stelle qualifiziert hat.
* dass Fälle von sexueller Belästigung unter den
Teppich gekehrt würden. Würden dem Polizeikommando solche
bekannt, werden die erforderlichen Massnahmen getroffen. Sexuelle
Belästigungen würden unter keinen Umständen toleriert.
Das Polizeikommando ruft in Erinnerung, dass die Zusammenlegung
der beiden Polizeikorps dem politischen Willen der Bürgerinnen und
Bürger von Stadt und Kanton Bern entspricht.
Zu berücksichtigen gilt es dabei, dass die frühere
Stadt- wie auch die Kantonspolizei eigene über viele Jahre
gewachsene Kulturen und Strukturen hatten. Diese werden nun in einem
kontinuierlichen Prozess zusammengeführt.
Die Kantonspolizei muss sich laufend den neuen Rahmenbedingungen
und Anforderungen anpassen. Viele neuere Kriminalitätsformen
machen nicht vor den Gemeindegrenzen Halt. Den unterschiedlichen
Anforderungen und Bedürfnissen in der Stadt und auf dem Land wird
mit einem laufenden Dialog Rechnung getragen.
---
20 Minuten 18.2.10
Kapo-Knatsch: SP reicht Vorstoss ein
BERN. Die Kantonspolizei kann den Anforderungen der Stadt
Bern allenfalls nicht mehr genügend nachkommen. Das
befürchtet die SP der Stadt Bern, nachdem in anonymen Briefen aus
dem Korps wiederholt Missstände angeprangert wurden. Die
Vorwürfe umfassen Mobbing, sexuelle Belästigung sowie
ungünstige Personalverschiebungen innerhalb des Korps.
SP-Stadträtin Corinne Mathieu fordert deshalb per Vorstoss, dass
die Stadt Bern als Leistungseinkäuferin der Kantonspolizei die
Situation genau untersucht. Es müsse abgeklärt werden, ob das
Funktionieren der Kapo auf dem Stadtgebiet weiterhin gewährleistet
sei oder ob die Polizei eine Verschlechterung der Versorgung der Stadt
in Kauf nehme. Ausserdem will Mathieu vom Gemeinderat wissen, wie er
die Vorgänge bei der Polizei beurteilt und ob man noch Vertrauen
in deren Leistungen habe. NJ
---------------------------------------
ANTIREP-DEMO AARAU
--------------------------------------
Indymedia 18.2.10
Neuigkeiten zur Antirep-Demo in Aarau ::
AutorIn : antirepdemo
Es gibt keine gute Bullengewalt…
Gegen die Repression, heisst gegen den Kapitalismus!
Antirep-Demonstration
20. Februar 2010, 15 Uhr, Igelweid Aarau
Aufgrund vom E-Mail-Verkehr zwischen der Stadt und Polizei sowie
den Demonstrations-Organisatoren gehen wir zum jetztigen Zeitpunkt
davon aus, dass die Antirep-Demo vom Samstag, 20. Februar 2010 in Aarau
tolleriert wird. Trotzdem empfehlen wir allen eine frühzeitige und
unauffällige anreise.
Ausserdem ist nun die Antirep- und Sani-Nummer von diesem Tag
bekannt.
Antirep-Nummer: 077 414 99 60
Sani-Nummer: 078 928 45 40
Bei Repressionen, Vorladungen etc nach der Demo:
antirepaarau@immerda.ch
---
Aufruf
http://ch.indymedia.org/de/2010/02/73657.shtml
-----------------------------------
BIG BROTHER VIDEO
-----------------------------------
Beobachter 19.2.10
Ratgeber
Sie werden gerade gefilmt
Immer mehr Kameras überwachen das Geschehen im
öffentlichen und privaten Raum. Doch lange nicht alles ist
erlaubt, nur weil es der Sicherheit dient. Wer darf eigentlich was?
Patrick Strub
Die Privatsphäre der Schweizer ist in Gefahr. Das
findet zumindest der eidgenössische Datenschutzbeauftragte und
kämpft gegen Google, das mit Street View virtuelle Fahrten durch
Städte ermöglicht. Der Internetriese hat sich nun
verpflichtet, keine neuen Bilder online zu stellen - bis ein
Gerichtsentscheid vorliegt.
Doch der Staat ist nicht immer um die Privatsphäre
seiner Bürger besorgt; manchmal verunsichert er sie selber mit
Überwachungsmassnahmen. Weil der Schutz der Persönlichkeit in
der Schweiz aber einen hohen Stellenwert geniesst, ist es für
Bund, Kantone und Gemeinden nur unter strengen Voraussetzungen
zulässig, ihre Bürger mit Kameras zu beobachten.
Die meisten Kameras sind jedoch privat installiert:
Überwachungskameras von Hauseigentümern, die sich vor
ungeliebten Gästen schützen wollen, und unzählige
Webcams. Schätzungen zufolge gibt es in der Schweiz heute weit
über eine halbe Million Kameras. Beim Datenschutzbeauftragten
treffen wöchentlich mehrere Anfragen zu privaten Videokameras ein.
Sprecherin Eliane Schmid: "Meist bieten wir den Leuten eine Beratung
an. Nähere Abklärungen können wir nur vornehmen, wenn
die Persönlichkeit einer grösseren Anzahl von Betroffenen
gefährdet ist."
Wer tummelt sich im Whirlpool nebenan?
Auch die Beobachter-Berater hören regelmässig
Geschichten über Nachbarn, die zwar auf Sicherheit bedacht sind,
jedoch keinen Respekt vor der Privatsphäre ihrer Umgebung haben.
So nahm eine private Kamera in einer Luzerner Gemeinde nicht nur den
Vorplatz eines Hauses auf, sondern auch den Zugang zum Nachbarn - und
alle Personen, die dort ein und aus gehen.
Das ist unzulässig, wie sich auch aus dem Merkblatt
des eidgenössischen Datenschützers zur Videoüberwachung
durch private Personen ergibt: "Die Videokamera muss so aufgestellt
werden, dass nur die für den verfolgten Zweck absolut notwendigen
Bilder in ihrem Aufnahmefeld erscheinen." Ein Grundsatz, der auch in
einem delikaten Fall im Kanton St. Gallen verletzt wurde: Eine Kamera
erfasste dort jenen Teil eines fremden Gartensitzplatzes, auf dem ein
Whirlpool steht.
Staatliche Videoüberwachung
Die Überwachung durch Videokameras ist ein schwerer
Eingriff ins verfassungsmässige Recht auf den Schutz der
Persönlichkeit. Sie darf nur unter folgenden Voraussetzungen
vorgenommen werden:
- Es sind keine milderen Massnahmen möglich
(baulicher, personeller oder sozialer Art).
- Die Delikte, die verhindert werden sollen, sind nicht
untergeordneter Art, wie etwa blosse Ruhestörungen oder illegales
Abfallentsorgen.
- Die Überwachung ist zeitlich und örtlich auf
das absolute Minimum zu beschränken.nIn einem Reglement ist der
genaue Einsatz der Kameras zu regeln, ebenso, was mit den Aufnahmen
geschieht.
- Betroffene müssen auf die Überwachung
aufmerksam gemacht werden.
So wehren Sie sich
Jeder Kanton hat sein eigenes Datenschutzgesetz und seinen
eigenen Datenschutzbeauftragten. Gegen Überwachungen durch
kommunale oder kantonale Institutionen wehrt man sich beim kantonalen,
gegen solche durch den Bund beim eidgenössischen
Datenschutzbeauftragten.
Private Überwachungskameras und Webcams
Will ein Privater eine Kamera betreiben, muss dieser
Eingriff in die Persönlichkeitsrechte allfälliger Betroffener
folgende Voraussetzungen erfüllen:
- Rechtmässigkeit: Der Eingriff ist durch ein
öffentliches oder privates Interesse gerechtfertigt. Beispiele:
Ein Warenhaus schützt sich gegen Ladendiebstahl, ein
Hauseigentümer gegen Einbruch.
- Verhältnismässigkeit: Die Kamera ist geeignet
und nötig, um den gewünschten Zweck zu erreichen. Es ist
keine weniger weit gehende Massnahme durchführbar, die den Zweck
gleichermassen erreicht (etwa der Einbau eines Alarmsystems).
Für den Betrieb einer privaten
Überwachungskamera gelten diese Regeln:
- Wer das Aufnahmefeld betritt, muss mit einem
Hinweisschild informiert werden, dass er überwacht wird und wo er
Auskunft über die erhobenen Daten einholen kann.
- Die Daten müssen vor unbefugtem Zugriff
geschützt werden. Gespeicherte Daten müssen zum Beispiel in
einem verschlossenen Raum aufbewahrt werden.
- Die Kamera darf nur die absolut notwendigen Bilder
aufnehmen.
- Die Aufnahmen dürfen nur dem Schutz von Personen
und Sachen dienen.
- Die Bilder müssen innert kürzester Zeit wieder
gelöscht werden (in der Regel 24 Stunden), sofern keine
Unregelmässigkeiten entdeckt wurden.
Webcams erfüllen in der Regel keinen Schutzzweck,
sondern dienen ausschliesslich der Unterhaltung. Bedingung zum Betrieb
einer Webcam:
- Die Webcam ist so konfiguriert, dass keine Personen
erkannt werden können.
- Oder die betroffenen Personen werden über die
Aufnahme informiert und erteilen ihre Einwilligung.
So wehren Sie sich
Wer sich mit dem Kamerabetreiber nicht auf eine
Lösung einigen kann, welche die Persönlichkeitsrechte
respektiert, kann sich an den eidgenössischen
Datenschutzbeauftragten wenden. Ergibt sich auch mit dessen
Unterstützung kein Einvernehmen, ist man auf den gewöhnlichen
Zivilprozessweg angewiesen, in der Regel zuerst mit einer Klage an den
Friedensrichter. Geschieht die unzulässige Überwachung
wissentlich und willentlich, kann man zudem einen Strafantrag bei der
Polizei stellen wegen Verletzung des Geheim- oder Privatbereichs durch
Aufnahmegeräte.
Weitere Infos: Ein Verzeichnis der zuständigen
Datenschutzbeauftragten und mehr finden Sie auf der
Beobachter-Beratungsplattform www.helponline.ch: → Staat → Bürger
und Behörden → Datenschutz
Bürger unter Beobachtung: Was ist erlaubt und was
nicht?
----------
FAU
----------
Indymedia 18.2.10
Umfrage für Lehrlingskampagne der FAU Bern ::
AutorIn : FAU Bern: http://faubern.ch/
Die FAU (Freie ArbeiterInnen Union) Bern will 2010 eine
Sensibilisierungskampagne zur Situation der Lehrlinge durchführen.
Fragebogen zum herunterladen (PDF)
http://ch.indymedia.org/media/2010/02//73894.pdf
Um die konkreten Interessen und Probleme von Lehrlingen
anzusprechen, führt die FAU eine möglichst breite Umfrage bei
(Ex-)Lehrlingen durch. Das Ziel der Umfrage ist es, die Interessen und
Probleme der Lehrlinge näher kennenzulernen und die gewonnen
Erkenntnisse in die gewerkschaftliche Arbeit der FAU Bern einfliessen
zu lassen.
Bitte fülle diesen Fragebogen aus, falls du dich momentan
in einer Lehre befindest oder in den letzten 5 Jahren eine Lehre
entweder abgeschlossen oder abgebrochen hast.
Den ausgefüllten Fragebogen bitte so rasch wie möglich
an folgende Adresse schicken: FAU Bern, Postfach 636, 3000 Bern 25.
Danke für deine Mithilfe!
--------------------------
RAUCHVERBOT
-------------------------
Bund 19.2.10
Stadtratsmitglieder kämpfen gegen kantonales Rauchverbot
Mitglieder des Berner Stadtrats haben eine IG Freies
Entscheiden und Handeln gegründet. Diese bekämpft das
kantonale Rauchverbot und will dieses durch die flexiblere
Bundesregelung ersetzen. Den Vorsitz hat Wirt und SVP-Stadtrat Peter
Bühler. Weitere Mitglieder sind Martin Schneider und Jimy Hofer.
In kürzester Zeit habe sie 55 Sympathisanten gewonnen, schreibt
die IG. (pd)
---
20 Minuten 19.2.10
Wirte gründen IG gegen Rauchverbot
BERN. Die Stadträte Jimy Hofer, Peter Bühler und
Martin Schneider haben diese Woche die Interessengemeinschaft Freies
Entscheiden und Handeln gegründet. Ihr erstes Ziel: das kantonale
Rauchverbot aufzuheben und dieses durch die weniger strenge
eidgenössische Lösung zu ersetzen. Kleinbetriebe bis 80
Quadratmeter könnten so wieder selbst entscheiden, ob sie Raucher-
oder Nichtraucherbetriebe sein wollen - heute sind reine
Raucherbetriebe im Kanton Bern tabu. "Bis gestern hatten wir schon 60
Mitglieder", sagt Wirt Peter Bühler. Die IG wolle eine kantonale
Initiative vorbereiten, falls der Grosse Rat nicht bereit sei, das
Rauchverbot durch die nationale Lösung zu ersetzen.
Vielleicht wird aber auch dieses bald massiv
verschärft: Die Lungenliga und 50 weitere Organisationen haben
nämlich eine entsprechende eidgenössische Volksinitiative
lanciert und schon 100 000 Unterschriften gesammelt. sah
---
20 Minuten 18.2.10
Rauchverbot ist "Eingriff in unternehmerische Freiheit"
Bern. Der Direktor des Branchenverbandes GastroSuisse, Anton
Schmutz, empört sich über das Rauchverbot in Restaurants, das
am 1. Mai 2010 in Kraft tritt.
Wird das Rauchverbot die wirtschaftlichen Probleme in der
Gastrobranche weiter verschärfen?
Anton Schmutz: Erste Erfahrungen zeigen, dass insbesondere
Betriebe mit einem hohen Anteil an Getränkeumsatz stark betroffen
sind, zum Beispiel Bars, Diskotheken und Lokale mit gut frequentierten
Stammtischen. Die Langzeitwirkung auf die Branche kann heute noch nicht
beurteilt werden. Generell sind die Vorschriften des
Passivrauchschutzes ein massiver Eingriff in die unternehmerische
Freiheit.
Eine Umfrage der Branchenzeitschrift "eXpresso" bei Wirten
hat gezeigt, dass die Angst vor Umsatzeinbrüchen in der Regel
unbegründet ist.
Wir stützen uns auf die Aussagen unserer Mitglieder
und Arbeitgeber. Diese haben je nach Betriebstyp erhebliche
Umsatzeinbussen erlitten.
Wie stehen Sie zu Fumoirs?
Rund 30 Prozent der Bevölkerung zählt zu den
Rauchern. Ein fairer Umgang mit dieser Minderheit würde zumindest
bedingen, dass diese in einem abgetrennten Teil des Betriebes die
gleichen Leistungen erhalten dürfen wie Nichtraucher.
Mit wie vielen Investitionen muss ein Gastwirt rechnen,
wenn er einen bestehenden Raum in ein Fumoir umbauen lassen will?
Nicht selten werden Kosten bis zu 60 000 Franken genannt.
Ein stolzer Betrag für einen Raum, in dem man seine Rolle als
Gastgeber nicht ausüben darf. sda
-------------------------------
DRITTE HALBZEIT
-------------------------------
Die Zeit 19.2.10
Zwei Minuten Endspiel
Weil Hooligans von der Polizei scharf beobachtet werden,
weichen sie aus: Sie treffen sich fern der Stadien zum Kampf unter
Gleichgesinnten. Blick in eine Schattenwelt
Von Daniel Ryser
Bahnhofbuffet Altstetten. Das Telefon meines
Gegenübers klingelt ununterbrochen. Der Gegner ist dran: "20 gegen
20. In zwei Wochen. Es steht. Wir sind bereit." Er legt auf und ruft
umgehend den Kontaktmann einer verbündeten Gruppe an: "Das Ding
steht. 20 gegen 20. Organisier sieben bis acht Leute. Ich will, dass
wir 25 sind. Und dann zählen wir ab. Die Sache muss unbedingt fair
laufen. Ihr habt doch da bei euch dieses schöne, ruhige
Wäldchen. Geht das klar?"
Mein Gegenüber ist ein Zürcher Hooligan. Die Rede war
von einem "Feld-Wald-Wiese", einer verabredeten Schlägerei
zwischen zwei Hooligangruppen fernab von Offentlichkeit, Kameras,
Unbeteiligten. Später zeigt er auf dem Laptop eine Filmaufnahme:
20 junge Männer marschieren in Dreier- und Viererreihen auf einem
schmalen Weg. Links und rechts Bäume. Sie tragen weiße
T-Shirts, Turnschuhe. Sportlerkleidung. Ihre Hände sind in
Bandagen gewickelt. Nach einigen Metern rennen sie los. Kamera
schwenkt. Weggabelung: Rote Gruppe. Weiß: Zürcher
Hooligans. Rot: ein Gegner aus Deutschland. Weiß rennt. Rot
steht wie eine Wand. Der Aufprall. Männer schlagen und treten
aufeinander ein. Und halten dabei trotz aller Brutalität einen
Kodex ein: Wer am Boden liegt, wird in Ruhe gelassen. Nach einer
Minute, eine gefühlte Ewigkeit, ist die Schlägerei vorbei. Im
Autokonvoi schnell weg vom Schauplatz. Das Blut auf der nächsten
Autobahnraststätte abwaschen. Fünf Stunden Rückfahrt.
"Die vorn schlagen zu, die hinten drücken nach vorn.
Wie beim Rugby"
Es sind Szenen eines Hooliganlebens in der Schweiz. In
Deutschland. Polen. Russland. Osterreich. Den Gef~.hrlichsten unter den
gewaltbereiten Fans, den Hooligans, wird zumindest in der Schweiz und
in Deutschland rund um die Stadien das Leben erheblich erschwert.
Tauchen sie auf, werden sie von Szenekennern sofort angesprochen,
Wegweisung und Verhaftung drohen. Als ich an einem Spieltag 15
Zürcher Hooligans begleite, dauert es nur Minuten, bis sie von der
Polizei umstellt sind. Einer sagt: "So macht das keinen Spaß
mehr. In den Achtzigern und auch noch in den Neunzigern war es kein
Problem." Also tauchen sie ab. In eine andere Welt. Feld-Wald-Wiese.
Schlä-gereien unter Gleichgesinnten. Abseits von Spielragen,
Offentlichkeit, Unbeteiligten. Sie geben Auskunft über das
"Handwerk", aber stellen eine Bedingung: keine Namen anderer Gruppen.
Zürcher Hooligans, die für solche Schlägereien nach
Deutschland reisen, beschreiben diese so:
"Du stellst dich in kleinen Reihen auE Etwa vier Mann pro Reihe
und fünf hintereinander. So läufst du auf den Gegner zu. Beim
Kontakt schlagen die Vorderen zu, die Hinteren drücken nach vorne.
Ahnlich wie beim Rugby."
"Kein Alkohol im Vorfeld, viel Training. Du stellst dir den
Gegner so schlimm vor wie mög-lich. Wenn du im Kopf nicht parat
bist, hast du verloren. Am Vorabend packst du deine Tasche: Mundschutz,
Bandagen, Getränk. Früh ins Bett, früh raus. Meistens
geht es nach Deutschland." ‘
"10 gegen 10, 20 gegen 20. Das ist unterschied-lich. Ein Kampf
dauert zwischen 15 Sekunden und ein bis zwei Minuten. Aber davon
weiß ich jeweils nichts mehr. Das Adrenalin befreit mich von
allen Gedanken."
"Die Deutschen sind extrem vorsichtig. Die ha-ben dauernd Arger
mit den Bullen. Dabei sagen uns die Bullen hier ständig: Macht den
Seich doch im Wald. Da könnt ihr euch die Köpfe ein-schlagen,
so fest ihr wollt, und keinen stört es."
Keinen stört es: Das mag die Meinung einzelner Polizisten
sein. Offiziell klingt es jedoch anders. "Wenn wir von einer solchen
Schlägerei erfahren, gehen wir dagegen vor. Die Beteiligung an
einer Schlägerei ist eine Straftat. Und sie gefährdet den
Landfrieden", sagt Andreas Piastowski, Polizeidirektor von
Nordrhein-Westfalen und Chef der Zentralen Informationsstelle
Sporteinsätze. Piastowski ist der oberste Hooliganfahnder
Deutschlands. Ja, es gebe in Deutschland eine aktive
"Feld-Wald-Wiese"-Szene. Namen nennen könne er nicht. Keine Namen,
keine Zahlen. "Wir wollen diesen Leuten keinen Hinweis geben, wie viel
wir über sie wissen." Er sagt auch: Man wisse von Gewaktourismus
aus der Schweiz, "doch dazu kein Wort mehr".
Unldar ist, für wie viele solcher Schlägereien
der Fußball überhaupt noch Ausgangspunkt ist. )>Geht es
überhaupt noch darum, einen Verein zu präsentieren, oder
immer mehr darum, auszuprobieten, was man gerade im Boxstudio gelernt
hat?" Obwohl sich Piastowski mit Informationen zurückhält,
zeigt der Jahresbericht seiner Dienststelle, wie viel die Polizei
über die Szene weiß: "Häufig fanden verabredete
Auseinandersetzungen zu Zeiten statt, zu denen die besondere
Aufbauorganisation der Polizei aus Anlass einer Fußballbegegnung
noch nicht (Vorabend der Begegnung) oder nicht mehr (späte
Nachspielphase) bestand. Darüber hinaus wurde vereinzelt auch
über Verabredungen vollkommen ohne Fußbailbezug berichtet."
Und weiter: "Um Aufldärungsmaßnahmen der Polizei zu
erschweren und das vorzeitige Bekanntwerden abgesprochener Aktionen zu
verhindern, treffen als Führungspersonen beziehungsweise
Organisatoren anerkannte Angehörige gewaltbereiter Gruppen im
Vorfeld beabsichtigter Auseinandersetzungen die erforderlichen
Absprachen, dies in der Regel über Mobilfunknetze."
"Nur zwei Leute wissen vorher Bescheid. Damit es kein Gerede
gibt"
Der Bericht beschreibt im Detail die Vorsichtsmaßnahmen.
Ein Zürcher Hooligan sagt: "Aus Sicherheitsgründen erfahren
unsere Leute erst am Morgen, wohin es geht und gegen wen. Nur zwei
Leute wissen bei uns vorher Bescheid. Damit es kein Gerede gibt." Die
Angst, von der finken und flexiblen deutschen Polizei geortet zu
werden, ist offenbar groß. Doch auch in der Schweiz hat die
Polizei ihr Ohr an der Szene, wenngleich Christoph Vögeli sagt:
"Diese klassische Hooliganszene ist am Aussterben"; der Leiter der
Zentralstelle Hooliganszene sagt aber auch: "Feld-Wald-Wiese hat es
seit vielen Jahren nicht mehr gegeben."
Eine Fehleinschätzung? Oder ein Manöver? Ich erfahre,
abgestützt durch mehrere Quellen, von diversen
FeIJ-Wald-Wiese-Aktioners in der Schweiz, und dies auch ohne
Betei1igur~g aus den Städten Zürich und Basel, die seit je
die gefürchtetsten Gruppen stellen: St. Gallen, Aarau, Bern,
Winterthur, Luzern, Vaduz. Zürcher Hooli~ans sagten mir — und
einer Reporterin der Basler Zeitung berichteten Basler Hooligans 2008
Ähnliches —‚ dass die Feld-Aktionen zum Refugium für
Schläger geworden sind; für Hooligans, die polizeibekannt
sind und die sich an Spieltagen nicht mehr blicken lassen können.
Aber weil das Schlagwort Hooligans regelmäßig in den Medien
ist, weil die Politik, angeführt von der FDP-Regierungsrätin
Karin Keller-Sutter, in einen regelrechten Kampf gegen die
Stadion-Ultras gezogen ist, jene Fans, die Fahnen schwenken, singen,
Pyro zünden, und weil dies von Keller-Sutter als "Kampf gegen die
Gewalt" deklariert wird — deshalb wird es selbst auf den Feldern
offenbar eng. Und weil Christoph Vögelis Kollegen nicht schlafen:
Als sich kürzlich zwei Schweizer Hooligangruppen zur
Schlägerei trafen, tauchte wenig später die Polizei auf; da
war die Schlägerei allerdings schon vorbei.
Vorladungen, Bußen, Verhaftungen, U-Haft: Die
Polizei ist an der Szene dran, überall. Karin Keller-Sutter sagt:
"Es handelt sich hier um Gruppen, wie sie es überall gibt,
Gruppen, die sich an keine Regeln halten und voller destruktiver
Absichten sind. Es gibt kein Menschenrecht, in fremde Gärten zu
urinieren, andere zusammenzuschlagen. Diese Leute müssen wir
isolieren. Die anderen Menschen, die friedlich Fußballspiele
schauen wollen, werden das zu schätzen wissen. So wie wir es am
Flughafen schätzen, wenn wir zwar die Schuhe ausziehen
müssen, aber daflir sicher fliegen können." Die
Regierungsrätin ist überzeugt: "Ein Grund für die Gewalt
rund um den Fußball ist, dass die Leute glauben, dass sie damit
davonkommen. Deshalb braucht es härtere Gesetze."
Der Blick in die Szene zeichnet jedoch ein völlig anderes
Bild: Der Paranoiastand ist hoch. Bei den Hooligans herrscht denn auch
keine Heiterkeit wegen handlungsunfähiger Polizei. Es herrscht
eher Kamikazestimmung: "Erwischt werde ich sowieso. Also lasse ich es
wenigstens richtig krachen." Tatsächlich traf ich bei meiner
Recherche auf keinen Hooligan, der nicht zumindest von der Polizei
registriert worden war. Viele stehen mit einem Bein im Gefängnis.
Ein führender Zürcher Hooligan sagt: "Tauche ich an einem
Spieltag auf, werde ich sofort angesprochen. Dann lassen sie mich nicht
mehr aus den Augen. Knallt es, bin ich mir der Vorladung sicher. Der
einzige wirkliche Spaß, den man heute noch hat, ist auf dem Feld.
Feld-Wald-Wiese. Hunderte Kilometer für eine Minute Action. Keine
Polizei, keine Zeugen. Gewalttäter unter sich."
Die meisten Zitate entstammen dem neuen Buch von Daniel Ryser:
Feld-Wald-Wiese. Hooligans in Zürich. Echtzeit-Verlag,
www.echtzeit.ch
---
WoZ 18.2.10
Neues Buch
Hooligans in Zürich
Wenn es mal wieder knallt, nach dem Fussballspiel, am
Reclaim the Streets, kommt meistens er auf TeleZüri: Adolf Brack.
1985 erster Hooliganpolizist der Schweiz, seit 2001 pensioniert. Seine
Analysen sind umstritten, weil sich die Fanszenen seit seinem Abgang
verändert haben: Nun haben in den Kurven die Ultras das Sagen.
Trotzdem gibt es nach wie vor kaum einen Mann, der die klassische
Schweizer Hooliganszene so gut kennt wie er. Auf Seite 13 drucken wir
einen Auszug aus dem Buch "Feld-Wald-Wiese. Hooligans in Zürich"
von WOZ-Redaktor Daniel Ryser. Darin erklärt Brack, wie der
Hooliganismus in der Schweiz begann, wer zu den ersten Gruppen
gehörte, und dass es auch vor zwanzig Jahren "nach fast jedem
Spiel des ZSC gebrannt hat".
Brack schätzt auch den "Fall Landolt" um den
Ex-Sicherheitsverantwortlichen der Swiss Football League ein, der eine
Stripparty für Hooligans organisiert hatte. Die WOZ hatte diese im
Herbst 2008 publik gemacht. Zudem: Zürcher Hooligans werfen ein
neues Licht auf den "Kessel von Altstetten", wo die Zürcher
SP-Polizeivorsteherin Esther Maurer Hunderte Basler Fans als
vermeintliche Hooligans verhaften liess: Während die Polizei in
Altstetten ihre Verhaftungsaktion abhielt, prügelten sich im
Zürcher Niederdorf 150 Zürcher und Basler Hooligans. fm
--
Hooliganismus-Adolf Brack kennt die Männer, die sich vor
und nach Fussballspielen prügeln. 25 Jahre lang war er
Hooliganspezialist bei der Polizei. WOZ-Redaktor Daniel Ryser
lässt ihn in seinem neuen Buch zu Wort kommen.
--
"Hooligans sind schwer zu handhaben"
Von Daniel Ryser
Bis er 2001 aus dem Dienst der Stadtpolizei ausscheidet,
ist Adolf Brack ein wandelnder Hooliganismus-Google. Google aber ist
eine Maschine und darum gefühllos. Adolf Brack nicht. Darum hat
er, nachdem die Bilder von Peter Landolts Party publiziert worden
waren, gelitten (vgl. Kasten). Nicht wie Menschen im Krieg leiden, aber
wie einer, der ein schlechtes Gewissen hat. "Als Landolt 1995 im
Hardturm anfing, war er ein Hardliner. Er warf die Leute einfach raus
aus der Kurve", sagt Brack. "Ich sagte ihm: Wenn du etwas erreichen
willst, musst du den Leuten etwas geben, dann geben sie dir etwas
zurück. Du musst mit ihnen reden. Vertrauen ist wichtig." Brack
ist überzeugt, dass Landolt ohne seinen Rat nie eine Stripparty
veranstaltet hätte.
Während sich in der Halle US-amerikanische Wrestler
warm machen, sitzt Adolf Brack im Bürotrakt des Hallenstadions.
Der Ex-Polizist, den hier alle nur Dölf nennen, fühlt sich
sichtlich wohl bei seiner neuen Arbeit. Das war bei der alten Arbeit
nicht mehr so. Er redet nicht darüber. Nur, dass ihm die Methoden
der neuen Kollegen nicht mehr gepasst hätten: "Zu viel Härte,
zu wenig Fingerspitzengefühl für Situationen."
Rückblende: Am 29. Mai 1985 stürmen vor dem
Endspiel um den Europapokal der Landesmeister zwischen dem FC Liverpool
und Juventus Turin Anhänger von Liverpool den neutralen Fansektor
im Heysel-Stadion in Brüssel. Dort halten sich italienische Fans
auf. Es kommt zur Massenpanik. 39 Menschen sterben. 454 werden
verletzt. Jetzt will man auch in Zürich wissen: Gibt es hier
Hooligans? Wer sind sie? Wie viele? Die Polizei kommt zum Schluss, dass
es die Basler sind, die in der Schweiz das Sagen haben. Sie nennen
sich: "Anal Terror Hooligans". In Zürich beginnt Adolf Brack zu
dieser Zeit seine Arbeit als Hooliganspezialist. Er arbeitete
eigentlich im Jugenddienst. "‹Der Brack, der macht Sport, der soll mal
hingehen›, hiess es", sagt Brack heute. Also ist Brack mal hingegangen,
hat bei den Zürcher Klubs nachgefragt, und die haben geantwortet:
"Ja, wir haben militante Gruppen, die ‹City Boys› und die
‹Hardturm-Front›." Die ersten Hooligans trifft Adolf Brack im
Hallenstadion, denn die ‹City Boys› besuchen auch die Spiele des
Zürcher Schlittschuh-Clubs ZSC. "Die Hooligans von damals", sagt
Brack, "sind heute wieder dabei - aber als normale Zuschauer."
Zwischen 1987 und 1992 brennt es nach fast jedem Spiel des
ZSC. Eine Gruppe von vierzig bis fünfzig Leuten schiebt Container
auf die Strasse, zündet sie an, baut Barrikaden. "Fährt ein
Kas tenwagen vorbei, bewerfen ihn zwanzig Vermummte mit Steinen", sagt
Brack.
Scheinwerfer im Rückspiegel
Die Polizei wird nach jedem Spiel angegriffen, aber sie
weiss nicht, von wem. "Eines Tages Ende der Achtziger haben wir
zugeschlagen: Wir liessen einen Kastenwagen langsam vorbeifahren. Der
Mob verfolgte den Wagen bis zur nächsten Kreuzung. Dort haben wir
sie eingekesselt." Zur Überprüfung auf die Hauptwache kommen
siebzig junge Männer, viele aus dem Zürcher Unterland, die
meisten unter achtzehn Jahre alt. Brack lässt die Eltern anrufen.
Nachts um zwei. Die meisten der Randalierer sieht Brack nie wieder.
Einige vom harten Kern aber sieht er eher, als ihm lieb ist.
Ein paar Tage später, seine Schicht ist soeben zu
Ende gegangen, ist Brack gegen Mitternacht auf der Heimfahrt, als er
Scheinwerfer im Rückspiegel entdeckt: Zwei Autos, die sich nicht
abschütteln lassen. Handys gibt es noch nicht. Funkgerät und
Dienstpistole liegen im Büro. Brack fährt rechts, links,
biegt an den sonderbarsten Orten ab. Die Autos kleben an ihm. Dann rast
er über mehrere Rotlichter, bis die Verfolger abgeschüttelt
sind. Beim nächsten Spiel geht er auf zwei ältere Hooligans
zu und sagt:
"Wer mir auch immer gefolgt ist: Das nächste Mal
werde ich eine Pistole dabeihaben. Geladen."
Von da an lässt man ihn in Ruhe. Und von da an ist er
nahe dran. Er kennt sie alle. Vornamen. Namen. Er weiss, wer ein
Mitläufer ist, wer ein notorischer Hooligan. "Immer wieder haben
mir Hooligans Informationen über bevorstehende Prügeleien
gesteckt", sagt Brack. "Wenn sie merkten, dass der Gegner
übermächtig ist, haben sie reagiert und gesagt, die kommen
heute. Die Nähe konnte zu Situationen führen, in denen man
von einer Anzeige absah. Wenn ich wusste, dass es schwierig werden
würde, einem Täter einen Landfriedensbruch nachzuweisen, habe
ich es bei einer Warnung belassen. ‹Macht den Seich doch in der
Allmend!›, sagte ich jeweils."
An einem sonnigen Tag entdeckt Brack dreissig Hooligans,
die Schirme mit sich tragen. Eine laut Brack beliebte Waffe unter
Hooligans. "Da wusste ich, dass etwas los ist. Ich lernte ihre Codes
lesen. Wir konnten nicht zulassen, dass es rund um das Stadion knallt,
dass Unbeteiligte verletzt werden."
"Wer als Polizist eine Art Vaterfigur wird", sagt Adolf
Brack, "kann davon ausgehen, dass er die Leute irgendwann im Griff hat,
und dann gibt es weniger Kollateralschaden. Also Familien, Frauen und
Kinder, die in ein Donnerwetter aus Tränengas und fliegenden
Fäusten geraten." Für diesen Frieden hat Polizist Brack auch
Methoden angewandt, von denen er sagt, dass sie seinen Kopf hätten
kosten können; etwa wenn jemand dabei gestorben wäre. "Aber
es war in jenem Moment die einzige praktikable Lösung, die mir in
den Sinn kam."
Zum Beispiel Mitte der neunziger Jahre: GC gegen YB. Zum
Spiel reisen auch fünfzig Basler Hooligans. Sie wollen die
"Hardturm-Front" angreifen. Brack stoppt sie ein paar Hundert Meter vor
dem Stadion. "Ich sagte ihnen, wenn ihr nur einen Schritt näher
kommt, setzen wir Tränengas ein."
Die Zürcher kommen. Sagen, sie hätten mit den
Baslern eine Schlägerei verabredet, und dass sie unter sich
bleiben wollen. "Ich habe auf die Uhr geschaut", sagt Brack. "Ich
sagte: ‹Das Spiel dauert noch zwanzig Minuten, dann ist hier alles
voller Zivilisten. Ihr habt drei Minuten hier an Ort und Stelle. Ich
habe eine Trillerpfeife dabei. Wenn ich pfeife, ist die Schlägerei
vorbei, sonst werdet ihr alle festgenommen und angezeigt.›"
Das sind die Worte, die Adolf Brack an jenem Tag
gesprochen hat.
Die Schlägerei geht los und dauert drei Minuten.
Schlusspfiff. Dann ziehen die Hooligans ab; die Matchbesucher werden
von Tränengas und Krawallen verschont und bekommen von den
Tumulten nichts mit. "Deshalb", sagt Brack, "kann ich nicht sagen, dass
die Party, die Peter Landolt veranstaltet hat, komplett das falsche
Mittel ist. Als er die Stripperinnen holte, schlug er über die
Stränge. Doch Hooligans sind schwer zu handhaben. Meine
Priorität war immer, dass rund um das Stadion Ruhe ist. Und das
ist kein Spaziergang."
Gebrandmarkt
In den Neunzigern habe es Aktionen "jenseits von Gut und
Böse gegeben", sagt Brack. Etwa 1994 - der FC Basel und der FC
Zürich treffen in der Auf-/Abstiegsrunde aufeinander. Zum Spiel
ins Basler Joggeli kommen 42 126 Zuschauer. Doch einige, die erwartet
werden und deretwegen ein grosses Polizeiaufgebot vor Ort ist, fehlen:
die Hooligans.
"Um 11 Uhr morgens bekomme ich einen Anruf", sagt Brack.
"Ich erfuhr: Die Basler sind nicht in Basel geblieben, wo das Spiel
stattfindet. Sie sind nach Zürich gefahren." Dann eine weitere
Meldung: Messerstecherei in der Tiefgarage des Hotel Zürich. Vier
Zürcher mit Messerstichen im Spital. "Die Basler hatten
rausgefunden, wo sich die Zürcher besammeln, und haben sie dann
angegriffen." (…)
Kurz darauf stürmen Basler Hooligans eine Bar im
Zürcher Niederdorf, einen angeblichen Treffpunkt der
"Hardturm-Front". "Fünfzig mit Ketten bewaffnete Leute schlugen
die Bar kurz und klein", sagt Brack. "Wir kamen zu spät. Wir
stellten sie am Central. Sie entkamen. Wir wussten, wo der Car war. Den
haben wir abgepasst, alle verhaftet, einzeln einvernommen, angezeigt.
In jeder Gemeinde kam die Polizei zu ihnen nach Hause. Im Dorf wurden
sie als Schläger gebrandmarkt. Das wirkte abschreckend. Negativ
war, dass niemand verurteilt wurde, weil wir es ihnen nicht beweisen
konnten."
(…)
Mehrere Zürcher Hooligans erzählen
übereinstimmend folgende Geschichte, die sich im Schatten einer
grossen Polizeiaktion abgespielt hat. Im Dezember 2004 kesselt die
Polizei am Bahnhof Altstetten rund 650 Basler Fans ein, die mit dem
Extrazug anreisen. 427 werden festgenommen, in die Kaserne
transportiert, dort stundenlang stehen gelassen und anschliessend
registriert. Die Grossaktion beschäftigt später unter dem
Titel "Kessel von Altstetten" und der Frage nach der
Verhältnismässigkeit Presse und Politik. Die Aktion war von
der sozialdemokratischen Polizeivorsteherin Esther Maurer angeordnet
und wie folgt gerechtfertigt worden: Im Extrazug hätten sich
unzählige Basler Hooligans aufgehalten. Doch die Aussagen von
Hooligans zeichnen ein anderes Bild und bestätigen Gerüchte,
die bereits damals im Umlauf waren: Die Basler Hooligans waren zwar
tatsächlich in Zürich. Aber nicht im Extrazug. Sie waren
schon vorher angereist. Mit Autos. Und während die Polizei in
Altstetten Hunderte Fans festnimmt, halten sich im Restaurant
"Johanniter" im Niederdorf, im Zentrum von Zürich, fast hundert
Mitglieder der "Hardturm-Front" auf. Sie warten auf die Basler. Und die
kommen. "Es hat an jenem Tag unglaublich heftig geknallt", sagt ein
Zürcher Hooligan. Während die Polizei in Altstetten
Hunderttausende Franken in eine riesige Polizeiaktion gegen
Hooliganismus inves tiert, prügeln sich im Niederdorf über
150 Zürcher und Basler Hooligans.
Im Zürcher Hallenstadion, Ende 2008: Adolf Brack
lehnt sich im Sessel zurück. Er schweigt. Plötzlich wirkt er
müde. Sagt, ich solle diese ganze Geschichte vielleicht besser
nicht aufschreiben. "Es wäre bedauerlich, wenn sich Leute
inspiriert fühlten." Er schlägt ein Heftchen auf, ein
Überbleibsel aus seiner Arbeit als Polizist, und schüttelt
lächelnd den Kopf. Dort, im handkopierten Fanzine "Bloodfight:
Hardturm-Front-Report" heisst es in einem Bericht vom Cupfinal GC - FC
Sion vom 5. Juni 1995: "Ein Stück weiter sah man plötzlich
überall Bullen, welche sämtliche Bomberjackenträger
notierten und filzten. Auch einige entsprechend gekleidete Jungs aus
unseren Reihen durften deshalb ihre Herkunft preisgeben. Grund für
diesen Anlass waren Sachbeschädigungen, die Sion-Anhänger im
Bahnhof anrichteten. Unser Zivi Adolf Brack hat sich übrigens sehr
für unsere Leute eingesetzt, so dass sie schon nach kurzer Zeit
wieder unter uns waren. Hiermit ein Dankeschön!"
Ergänzung zu Adolf Brack: Am 18. Mai 2009, ein paar
Monate nach unseren Treffen, sagt Adolf Brack auf TeleZüri, die
Südkurve des FC Zürich bestehe aus "tausend
Gewalttätern". Damit löst er Empörung und
Kopfschütteln aus. Die Zahl Tausend sei viel zu hoch gegriffen.
Fans werfen dem pensionierten Polizisten vor, er sei nicht mehr auf dem
neusten Stand.
--
"Feld-Wald-Wiese"
Im Herbst 2008 erhält WOZ-Reporter Daniel Ryser
Fotos, die den damaligen Sicherheitschef der Swiss Football League,
Peter Landolt, inmitten der berüchtigten Zürcher
Hooligan-Gruppe "Hardturm-Front" an einer bizarren Samichlausparty
zeigen, für die Landolt drei asiatische Stripperinnen organisiert
hatte. Der darauf folgende WOZ-Artikel "Der Heilige vom Hardturm" sorgt
in den Medien für heftigen Wirbel. Spätere Recherchen
führen Ryser in die Zürcher Hooliganszene. Und unter anderem
zu Adolf Brack, Ex-Hooliganspezialist der Stadtpolizei. Der Text auf
dieser Seite ist ein leicht gekürzter Auszug aus Rysers jetzt
erschienenem Buch "Feld-Wald-Wiese. Hooligans in Zürich".
WOZ-LeserInnen können es auf www.woz.ch/wozshop für 25 statt
für 27 Franken kaufen.
Daniel Ryser: "Feld-Wald-Wiese. Hooligans in Zürich".
Echtzeit Verlag. Basel 2010. 88 Seiten.
---
NLZ 18.2.10
Hooligans
Eindrücklich
mg
Richtige Hooligans prügeln sich längst nicht
mehr im Stadion. Und auch sonst muss vieles, was der Laie über die
Gewalttäterszene zu wissen glaubt, revidiert werden nach der
Lektüre von "Feld-Wald-Wiese" von Daniel Ryser. Der Autor hat
einen Einblick erhalten in eine Welt, die sich sonst gerne in Schweigen
hüllt. Ryser spricht mit Hooligans, sieht Videos von ihren
Schlägereien und zieht gar mit nach St. Gallen, wo Zürcher
Hooligans an einem Fest die St. Galler überfallen.
Auf dem Feld
Zwar haben die Hooligans (aus ihrer Sicht) immer noch
genügend Schlägereien. Diese finden aber abseits des Stadions
und oft auch ohne direkten Bezug zum Spiel statt. Die Treffen finden im
Wald, auf Raststätten oder sonst wo statt. Keine Unbeteiligten,
keine Zuschauer. Dafür klare Regeln: Abgezählt gehen die
Schläger aufeinander los, wer am Boden liegt, ist tabu, und nach
wenigen Minuten ist alles vorbei. Ryser berichtet von Schlägereien
zwischen Deutschen und Zürchern, Zürchern und Baslern und
sogar im beschaulichen Vaduz soll es eine sogenannte Acker-Truppe geben.
Ryser geht mit der nötigen Distanz an die Sache,
lässt aber eine gewisse Faszination für die Szene
durchblicken. Und obwohl sich die Hooligans stets als unpolitisch
bezeichnen, zeichnet Ryser eine gewisse Verbundenheit mit der
Rechtsextremenszene. Einige der Protagonisten sah Ryser schon
während seiner Zeit als Zeitungsreporter an Aufmärschen von
Neonazis.
Pflichlektüre für Interessierte
Insgesamt ist Rysers Werk etwas vom Besten, was in letzter
Zeit zum Thema veröffentlicht wurde. Und gerade über die
Hooligan-Szene in der Schweiz kann man fast nichts lesen, was
"Feld-Wald-Wiese" ebenbürtig wäre. Die 88 Seiten hinterlassen
einen zuweilen verstörenden Eindruck und wirken gerade deswegen
seltsam anziehend. Ein Pflichtkauf für alle, die sich mit der
Materie beschäftigen wollen.
Daniel Ryser: "Feld-Wald-Wiese. Hooligans in Zürich",
Echtzeit, 88 Seiten, Fr. 27.-
------------
PNOS
-----------
WoZ 18.2.10
Pnos
Alle KandidatInnen vorbestraft
Mit zwei Männern und einer Frau beteiligt sich die
rechtsextreme Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) an den
Berner Grossratswahlen. Bekannt war bis anhin, dass Dominic
Lüthard und Denise Friedrich einschlägig vorbestraft sind.
Aber auch der dritte Pnos-Kandidat hat einen Tolggen im
Reinheft. Raphael Würgler gehörte zu jenen rund zwanzig
Rechtsextremen, die Ende Oktober 2004 die ersten eintreffenden
TeilnehmerInnen einer Demonstration gegen Rassismus in Willisau
angegriffen und vertrieben haben. Bei einer Hausdurchsuchung fanden die
Polizisten beim heute 23-jährigen Schreiner auch rechtsextremes
Propagandamaterial. Dieses wurde später eingezogen und vernichtet.
Anfang Juni 2005 verurteilte ihn das Amtsstatthalteramt Willisau wegen
Landfriedensbruchs und verbotenen Waffenbesitzes zu einem Monat
Gefängnis bedingt und zu einer Busse von 800 Franken. Dies geht
aus der Strafverfügung hervor, die der WOZ vorliegt. Würgler
war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
"Konsequente Ausländerrückführung" verlangt
die Pnos im Wahlkampf und zielt damit - wie die SVP - auf "kriminelle
Ausländer". In ihren eigenen Reihen gilt eine andere Regel:
Rechtskräftig Verurteilte gehören ins Parlament. Das
Bezirksgericht Aarau verurteilte Denise Friedrich - zusammen mit
anderen Pnos-Vorstandsmitglie dern - Anfang 2009 wegen Widerhandlung
gegen die Rassismusstrafnorm. Dies wegen einer Aussage im
Parteiprogramm, wonach es ein Irrtum sei, anzunehmen, der Mensch
müsse in jedem Land der Erde die gleichen Rechte haben. Dominic
Lüthard seinerseits erhielt im September 2004 vom Amtsgericht
Aarwangen acht Tage Gefängnis bedingt, weil er im September 2002
am Ende einer turbulenten Nacht vor dem Spital Langenthal auf
Türken eingeschlagen hatte.
Hans Stutz
------------------------------------------
BIG BROTHER SCHENGEN
------------------------------------------
WoZ 18.2.10
Kommentar - Die Schweiz und das Schengener Informationssystem.
Googeln für PolizistInnen
Erfolge, nichts als Erfolge. Das ist die Botschaft der
Schengen-Bilanz, die die Behörden letzte Woche präsentierten.
Seit dem 14. August 2008 haben das Grenzwachtkorps (GWK), das Bundesamt
für Polizei (Fedpol) und die Kantonspolizeien Zugang zum
Schengener Informationssystem (SIS) der EU. So konnte man erstmals eine
Schweizer SIS-Statistik für ein ganzes Jahr präsentieren.
Dabei sein ist alles: Nach diesem olympischen Motto wird
allein schon die Zahl der helvetischen Datenabfragen im SIS als Erfolg
verkauft. Durchschnittlich waren es 183 000 pro Tag, macht auf das
ganze Jahr 2009 gerechnet über 65 Millionen. Eine irrwitzige Zahl,
die aber ein Rätsel bleibt, weil die Schengen-Zentrale des Fedpol
sie nicht nach den abfragenden Stellen aufschlüsselt.
Zu diesen Benutzern gehören zum einen die
schweizerischen Konsulate im Ausland. Bei jedem Visumgesuch prüfen
sie, ob die betreffende Person von der Schweiz oder einem anderen
Schengen-Staat zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist. Rund eine
halbe Million Visa stellen sie pro Jahr aus. Rechnet man eine gleich
hohe Zahl geprüfter, aber abgelehnter Gesuche hinzu, dann kommt
man allenfalls auf einen täglichen Durchschnitt von etwa 3000
Abfragen.
Auf einem ähnlichen Niveau bewegen sich die Abfragen
im Inland und an den Grenzen - und das ist nicht wenig. Das
Grenzwachtkorps kontrolliert zunehmend - ohne Verdacht und ohne Anlass
- im Inland, insbesondere in Zügen auf den Hauptverkehrsachsen,
zum Beispiel zwischen Zürich und Bern. Insgesamt komme man auf
1100 SIS-Abfragen pro Tag, sagte GWK-Kommunikationschef Thomas
Schrämli vor einigen Monaten. Die Grenzwache nutze das SIS etwa
gleich häufig wie die Kantonspolizeien. Die Kontrolldichte hat mit
Schengen massiv zugenommen. Dennoch bleibt es ein Rätsel, wie es
zu 183 000 SIS-Abfragen pro Tag kommt und welchem Zweck sie dienen.
Was aber kommt dabei heraus? Insgesamt 6477 Treffer
aufgrund von Ausschreibungen anderer Schengen-Staaten vermeldet das
Fedpol. Fast die Hälfte davon, 2999, bezog sich auf
Einreiseverweigerungen. 199 betrafen Leute, die per Haftbefehl gesucht
werden, von denen allerdings 40 nicht ausgeliefert werden konnten oder
durften. Der Rest verteilt sich auf vermisste oder bloss zu
überwachende Personen, gesuchte Sachen (von gestohlenen
Pässen bis hin zu Autos) und Ähnliches. Umgekehrt erzielten
die anderen 24 Schengen-Staaten 2155 Treffer aufgrund von
Ausschreibungen aus der Schweiz. Auch hier dominierten die
Einreiseverweigerungen mit 1860 Fällen.
Und das ist kein Zufall. Denn erstens sind neunzig Prozent
aller in der Mega-Datenbank gespeicherten Personen
Nicht-EU-Staatsangehörige, die aus dem Schengen-Raum
ausgeschlossen werden sollen. Und zweitens zielt die polizeiliche
Kontrollstrategie systematisch auf die Suche nach "Illegalen". Man kann
es drehen und wenden, wie man will; Schengen ist in erster Linie ein
ausländerpolitisches Ins trument. Ein toller Erfolg.
Heiner Busch
-----------------------------------
JUSO-SQUAT BADEN
-----------------------------------
Aargauer Zeitung 19.2.10
Strafbefehl für Cédric Wermuth
Der Juso-Chef hält das Urteil wegen einer
Hausbesetzung für "völlig überrissen"
300 Franken Busse, eine bedingte Geldstrafe und ein
Eintrag ins Strafregister. Das ist die Rechnung für Juso-Chef
Cédric Wermuth für eine Hausbesetzung in Baden.
Es sollte ein friedliches Happening werden, aber die
Situation geriet ausser Kontrolle. Eine Hausbesetzungsparty in der
Dépendance Ochsen des leerstehenden Hotels Verenahof in Baden
zog im Januar 2009 auch Vandalen an, die beträchtlichen
Sachschaden anrichteten. Geschäftsführerin Christine Zehnder
von der Verenahof AG reichte Strafanzeige ein.
Zur Besetzerparty, mit der sie auf den Mangel an
günstigem Wohnraum aufmerksam machen wollten, hatten die
Jungsozialisten des Bezirks Baden aufgerufen. Sie bekommen nun die
Rechnung präsentiert. Wie diese Zeitung bereits vergangenen
November ankündigte, hat das Bezirksamt Baden gegen Juso-Chef
Cédric Wermuth und 20 weitere Personen einen Strafbefehl wegen
Hausfriedensbruch erlassen. Wermuth erhält eine bedingte
Geldstrafe von 20 Tagessätzen und eine Busse von 300 Franken
aufgebrummt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es kann an
das Bezirksgericht Baden weitergezogen werden. Man werde sich gut
überlegen, ob man das tun soll, erklärte Wermuth gestern
gegenüber der Nachrichtenagentur sda. Die 20 Tagessätze, die
zu einem Eintrag ins Strafregister führen, seien jedenfalls
"völlig überrissen".
Gegen 20 weitere Beteiligte an der Besetzungsaktion sprach
das Bezirksamt ebenfalls Bussen von 300 Franken und bedingte
Geldstrafen wegen Hausfriedensbruch aus. Untersuchungsrichterin Vivien
Sandmeyer gab auf Anfrage aber nicht bekannt, ob es dabei für alle
gleich viel oder weniger Tagessätze absetzte als für
Cédric Wermuth.
Die Kantonspolizei hatte nach der Hausbesetzung insgesamt
32 Personen einvernommen und we- gen Hausfriedensbruch und
Sachbeschädigung angezeigt. Die Strafbefehle beziehen sich aber
nur auf den Hausfriedensbruch, der Tatbestand der Sachbeschädigung
habe den angezeigten Personen nicht nachgewiesen werden können, so
Untersuchungsrichterin Sandmeyer.
Die Dépendance Ochsen, wo die quasi offizielle
Besetzerparty stattfand, war unversehrt geblieben. Die Vandalen waren
unbemerkt durch Verbindungsgänge im Untergeschoss in den Trakt des
Hotels Vere-nahof gelangt und hatten dort Wände und unter
Denkmalschutz stehende Säulen mit Farbe verschmiert. Die
Schmierereien wurden erst am Tag nach der Party entdeckt. Eine
Delegation der Juso mit Cédric Wermuth und Andrea Arezina hatte
sich bei der Verenahof AG förmlich für die Ausschreitungen
entschuldigt, Geschäftsführerin Christine Zehnder hielt aber
an der Strafanzeige fest. (mou/sda)
---
Bund 19.2.10
SP-Vizepräsident wegen Hausfriedensbruchs verurteilt
Juso-Chef und SP-Vizepräsident Cédric Wermuth
ist wegen Hausfriedensbruchs vom Bezirksamt Baden zu einer bedingten
Geldstrafe von 20 Tagessätzen und einer Busse von 300 Franken
verurteilt worden. Wermuth war im Januar 2009 an einer Besetzungsaktion
zweier stillgelegter Badener Hotels beteiligt. Das Bezirksamt sprach
auch gegen 20 weitere Personen bedingte Geldstrafen und Bussen aus.
Wermuth hält das Urteil, das zu einem Eintrag ins Strafregister
führt, für "völlig überrissen und in keinem
Verhältnis". (sda)
------------------
SEXISMUS
-----------------
Bund 19.2.10
Jenseits der Selbstbestimmung
Von wegen der Sexismus ist überwunden: Wenn schon
kleine Mädchen Miniröcke, hochhackige Schuhe und Lippenstift
tragen, dann ist bei der Emanzipation was schiefgelaufen, sagt die
Feministin Natasha Walter.
Bettina Weber
Er scheint wie ein Relikt aus einer längst
vergangenen Zeit: Sexismus, was für ein Begriff! Er riecht nach
lila Latzhosen und strickenden Männergruppen und
Lustfeindlichkeit. Weshalb man vom Sexismus redet wie von einem ehemals
berühmten Menschen, von dem man sich nicht sicher ist, ob er noch
lebt:
Gibt es das heute überhaupt noch, Sexismus? Oh ja,
sagt die britische Feministin Natasha Walter - und es ist sogar
schlimmer denn je. Vor 12 Jahren sah sie das noch ganz anders; da
wähnte sie den Sexismus in ihrem aufsehenerregenden Buch "The New
Feminism" überwunden: Die Emanzipation habe die Frauen im privaten
Bereich so selbstbewusst und eigenständig gemacht, dass dem
Sexismus gleichsam der Garaus gemacht worden sei. Nun könne man
sich auf die grossen Themen verlegen, also auf konkrete Verbesserungen
in der Arbeitswelt, in der Politik, im Gesetz. Heute ist sie
ernüchtert und sagt: "Ich habe mich geirrt."
Hypersexualisierung
In ihrem neuen Buch "Living Dolls - The Return of Sexism"
zeigt Walter auf, dass ein zentrales Anliegen des Feminismus, die
sexuelle Selbstbestimmung der Frau, zwar erfolgreich durchgesetzt
werden konnte, dass dies aber zu einer neuen Abhängigkeit
geführt hat.
Angesichts der Omnipräsenz von Sex und nackter Haut
spricht Walter von einer Hypersexualisierung und zeigt auf, dass die
erkämpfte weibliche Freiheit nur eine vermeintliche ist, denn
Frauen lernten heute all der Gleichberechtigung zum Trotz vor allem
eines: dass ein perfekter Körper und die damit verbundene
Attraktivität der einzige Weg zur Selbstverwirklichung sei. Und so
wünschen sich Teenager zum 18. Geburtstag statt einer Weltreise
eine Brustvergrösserung oder bewerben sich als Seite-1-Girl beim
"Blick", der mit Bewerbungen für die Nacktaufnahmen
überschwemmt wird. Und selbst wenn Heidi Klum ruft, stehen sich in
klirrender Kälte Tausende junger Frauen die Beine in den Bauch, um
dann in Tränen auszubrechen, wenn sie abgelehnt werden - weil ihr
Äusseres nicht gefällt.
Alle sind so wahnsinnig tolerant
Man kann nun zweifellos einwenden, Mädchen
hätten heute immerhin die Wahl, und oft genug seien es ja gerade
die Frauen selbst, die das Spiel bereitwillig mitspielen würden.
Stimmt, sagt Walter, bloss sei es vor allem für Mädchen und
junge Frauen, erst recht für solche aus schwierigen
Verhältnissen, nicht leicht, sich der Manipulation durch Werbung,
Internet und Fernsehen zu entziehen. Und weil heutzutage alle so
wahnsinnig tolerant und aufgeschlossen und freizügig sind, regt
sich niemand mehr auf angesichts der vielen nackten Haut überall -
auch nicht über Dieter Bohlen bei "Deutschland sucht den
Superstar", wenn dieser, anstatt die stimmlichen Leistungen der
weiblichen Gesangstalente zu bewerten, lieber deren Aussehen und
Dekolleté taxiert.
Die Wirkung ist dennoch fatal, denn die Botschaft lautet:
Frauen müssen gefallen, und gefallen tun sie, wenn sie sexy sind.
In ihrem Buch schildert Walter Gespräche mit den
unterschiedlichsten Frauen und stellt fest, dass sich dem Druck kaum
eine entziehen kann. Dass Fünfzehnjährige, die nicht wahllos
Blowjobs zu machen bereit sind, als prüde und verklemmt gelten.
Und Frauen, die sich keine Pornos ansehen mögen, sowieso.
Der Fall Katie Price
Die Hypersexualisierung hängt eng mit der Verbreitung
der Pornografie zusammen; das Internet hat deren Schönheitsideale
massentauglich gemacht, wie zum Beispiel die komplett rasierte
weibliche Scham oder grotesk grosse, künstliche Brüste.
Gemäss einer englischen Studie, die Walter zitiert, hält mehr
als die Hälfte der darin befragten Mädchen denn auch eine
Karriere als Glamourmodel für erstrebenswert. Ein Glamourmodel ist
mitnichten ein besonders glamouröses Model, sondern eines, das
dafür bekannt ist, sich ohne Textilien ablichten zu lassen, also
eigentlich ein Model der untersten Charge. Boxenluder nennt man die
hierzulande wohl eher, und die Mutter aller Boxenluder ist die Britin
Katie Price, die es dank immer grösser werdenden Silikonkissen vor
der Kamera zur Millionärin gebracht hat.
Diese Karriere nun für selbstbestimmt zu halten,
wäre indes verkehrt. Walter zeigt, dass Price in ihrer ganzen
Künstlichkeit aussieht wie eine jener Puppen, auf die sie im
Buchtitel anspielt, und dass Price nur schon wegen der ganzen
Operationen und Schmerzen, die sie auf sich genommen hat, um einem
bestimmten Bild zu entsprechen, keinen Deut freier ist als die Frauen,
die einst ein Korsett zu tragen gezwungen waren. Denn das Bild hat
nicht Price entworfen: Sie liess sich zu dem machen, von dem ihr gesagt
wurde, dass es als sexy gilt. Weibliche Selbstbestimmung sieht anders
aus.
Das Kleiderangebot ist gross
Vor allem aber beunruhigt Walter, dass die
Hypersexualisierung auch vor Kindern, sprich Mädchen, nicht
haltmacht. Vor einer Woche hätte eine Siebenjährige am
Karneval von Rio als Sambakönigin den Umzug ihrer Sambaschule
anführen sollen: Herausgeputzt im knappen Glitzerkostüm und
mit einem BH-Oberteil auf der flachen Kinderbrust, geschminkt wie eine
Erwachsene. Dass sie all der erlernten Hüftschwünge und der
aufreizenden Maskerade zum Trotz eben doch ein Kind ist, zeigte sich
spätestens dann, als sie angesichts der bedrohlichen
Fotografenmeute in Tränen ausbrach und sich in die Arme ihrer
Mutter flüchtete.
Oder dann ist da Noah Cyrus, die jüngere Schwester
von Teenie-Star Miley Cyrus, die als Neunjährige soeben eine
eigene Modekollektion lanciert hat. Sie präsentierte die
Entwürfe höchstpersönlich, und da sah man dann ein Kind,
zurechtgemacht wie eine Frau mit einem modisch zweifelhaften Geschmack:
mit hochhackigen Lacklederstiefeln, Netzstrümpfen, und viel, viel
Make-up. Aber Mädchen können heute nicht früh genug sexy
sein, und das entsprechende Angebot ist vorhanden: In
Modegeschäften werden für die Kleinen String-Tangas,
Miniröcke und hochhackige Schuhe angeboten. Als Rolemodel dient
Suri Cruise, die dreijährige Tochter von Tom Cruise und Katie
Holmes, die Schuhe mit Absätzen, Handtaschen und Lippenstift
trägt.
Kaufen und onanieren
Man muss nicht über ein ausgeprägt
feministisches Gemüt verfügen, um Walter recht zu geben, wenn
sie diese Entwicklung für besorgniserregend hält und von
einem emanzipatorischen Rückschritt spricht. In einer der
eindrücklichsten Szenen in ihrem Buch schildert sie, wie sich
irgendwo in einem Londoner Club junge Frauen darum bewerben, das
nächste Covergirl eines Männermagazins sein zu dürfen.
Dafür müssen sie sich auf einem Bett räkeln, an der
Stange tanzen und sich auf Kommando ihrer Kleidung entledigen. Und dann
fälllt dieser Satz, mit dem der Moderator die Siegerin
verabschiedet, und dieser Satz bringt auf den Punkt, was Walter zu
erklären versucht: "So", sagt der Mann, "jetzt kauft sie, nehmt
sie mit nach Hause und onaniert auf sie."
Natasha Walter: "Living Dolls: The Return of Sexism",
Virago Press. 288 Seiten, London, 2010, ca. 15 Franken.
-----------------------------------------------
KEIN MENSCH IST ILLEGAL
-----------------------------------------------
Bund 18.2.10
Der Traum von Europa ist ein brutales Geschäft
Der Reporter Fabrizio Gatti hat illegale Einwanderer auf
ihrem Treck durch die Sahara nach Europa begleitet.
Martin Ebel
Jeder kennt die Bilder von verängstigten, vor
Kälte zitternden schwarzen Menschen, die gerade von völlig
überlasteten und schrottreifen Booten gerettet worden sind. Die
ihr Leben riskiert haben, um Zugang zu Europas Milch- und
Honigtöpfen zu erhalten. Rund 37 000 Boatpeople sind allein im
Jahr 2008 an Italiens Südküste registriert worden. Die
Hälfte von ihnen hat Asyl erhalten. Andere sind abgeschoben worden
oder untergetaucht. Wie viele ertrunken sind im Mittelmeer, hat niemand
gezählt.
12 Prozent: Diese Zahl nennt Fabrizio Gatti. 12 Prozent
Ertrunkene. Eine ungeheure Zahl. Gatti macht sie sich bewusst, als er
auf einem Lastwagen sitzt, der von Agadez in Niger zur Oase Dirkou
fährt. Die Strecke ist Teil der alten Sklavenroute und jetzt ein
Teilstück des grossen Trecks nach Norden. 182 Personen
transportiert der Lastwagen, auf den sich Gatti gequetscht hat, und der
Reporter rechnet: Rein statistisch werden von den 182 Passagieren 22
die Überfahrt nicht überleben. "Und wenn bei uns alle
überleben, werden vielleicht 44 Menschen des nächsten
umkommen. Oder 66 des übernächsten. Und dann sind da noch
Kofi, Oliver und die anderen Namenlosen, die bereits in der Wüste
begraben sind: die Stranded People, die das Meer nie zu Gesicht
bekommen werden."
Vor Überfahrt zurückgeschreckt
Fabrizio Gatti ist mitgefahren auf der "Route der neuen
Sklaven": von Dakar in Senegal über Mali und Niger bis an die
libysche Grenze. Weiter kam er nicht, der libysche Konsul hatte schon
gedroht, ihn als Spion verhaften zu lassen. Erst an der tunesischen
Mittelmeerküste klinkt sich der Reporter wieder ein; vor der
Überfahrt schreckt er allerdings im letzten Moment zurück -
zu dubios erscheint ihm das Fahrzeug.
Die vielen jungen Männer aus Nigeria, Ghana und
anderswo, die sich auf Last- und Geländewagen so weit
durchgeschlagen haben, können sich solche Skrupel nicht leisten.
Nach der strapaziösen, demütigenden und gefahrvollen Tour
durch die Sahara wollen sie nicht im letzten Moment aufgeben. "Was
treibt sie an?", fragt Gatti immer wieder. Es ist die Armut zu Hause,
die Aussichtslosigkeit, trotz guter Ausbildung Arbeit zu finden, das
Weinen der hungernden Kinder, das Gefühl, als Ernährer
versagt zu haben. Oder ein Bürgerkrieg, der etwa James und Joseph
aus Liberia vertrieben hat. Gatti lernt sie in Dirkou kennen, einem der
trostlosesten Orte der Sklavenroute, er freundet sich mit ihnen an und
hilft ihnen, als sie in Tripolis gestrandet sind, mit Zuspruch,
Kontakten und Geld.
Gefährliche Recherche
James und Joseph sind nicht einmal Illegale, sie haben
Visa und Flugtickets, sogar eine Einladung zu einer Konferenz in
Slowenien. Aber das beeindruckt die libyschen Behörden keineswegs.
Man lässt sie nicht abfliegen, Ticket und Visum verfallen; als die
beiden protestieren, werden sie verhaftet und schwer misshandelt. Es
dauert ein ganzes Jahr, bis sie nach unendlichen Schikanen Libyen
verlassen können - und wieder dort landen, von wo sie aufgebrochen
sind: in einem Flüchtlingslager in Ghana. Die E-Mails, die Joseph
und James dem Reporter Fabrizio Gatti schicken, sind das
bedrückendste und empörendste Kapitel in seinem Buch. Sie
berichten von ständigen Razzien der Polizei und Pogromen einer
gegen Afrikaner aufgehetzten Bevölkerung.
Andere Geschichten hört Gatti auf der Sklavenroute
selbst: von Geländewagen, die in der Wüste verschwinden. Von
Schleusern, die ihre menschliche Fracht irgendwo auf der Strecke
abladen und mit dem Fahrgeld davonfahren. Mit eigenen Augen sieht Gatti
die Polizisten und Soldaten, die aus den bettelarmen Reisenden mit
Knüppeln, Kabeln und Gummischläuchen die letzten Geldscheine
herausprügeln. Manchmal kann er sie mit Medikamenten
"überzeugen", die Quälerei zu beenden.
Gatti selbst bewahrt sein italienischer Pass vor
körperlicher Unbill. Ungefährlich ist die Recherche für
ihn durchaus nicht. Der Transport der Afrikaner ist ein riesiges
Geschäft, da lässt man sich nicht gern in die Karten schauen.
Gatti zählt und rechnet und kommt auf Millionensummen, die
allmonatlich bei den Transporteuren wie den Kontrolleuren hängen
bleiben. Nicht nur Menschen "wandern" auf dieser Route von Süd
nach Nord, auch Zigaretten, Kokain und Waffen.
Undercover auf Lampedusa
Richtig undercover arbeitet Gatti erst auf der letzten
Etappe seiner Recherche, als er für eine Woche die Identität
eines kurdischen Flüchtlings annimmt und sich vor der Insel
Lampedusa aus dem Meer fischen und ins dortige Lager einliefern
lässt. Nur für diese Woche trifft korrekterweise zu, was der
Buchtitel "Bilal", der Klappentext und etwas ungenaue Rezensionen
verheissen (Gatti ist nicht ganz unschuldig daran, weil er die
verschiedenen mit grossem Abstand unternommenen Reportagereisen zu
einem Stück verbindet und keine Jahreszahlen nennt).
"Bilal" erlebt das Internierungslager als
überfüllte Kloake mit überforderten, teilweise
gewalttätigen und sadistischen Aufsehern. Es gelingt ihm, seine
falsche Identität zu wahren und schliesslich entlassen zu werden -
in die Illegalität. Auf das, was er danach auf
süditalienischen Tomatenplantagen als moderner Sklave erlebt -
eigentlich der notwendige dritte Teil dieses Triptychons der
Auswanderung -, hat der deutsche Verlag aus Platzgründen leider
verzichtet.
Es ist eine beeindruckende, immer wieder
erschütternde Recherche, für die Gatti zu Recht mehrere
Journalistenpreise erhalten hat. Er schreibt anschaulich und (meist)
uneitel, mit Sinn für den provozierenden Kontrast von
existenzieller Not und brutaler Geschäftemacherei. Er lässt
die politischen Zusammenhänge nie aus den Augen, richtet den Blick
aber immer auf den Einzelfall. Die Absicht ist deutlich: Aus den
riesigen Zahlen, die bei Europäern Abwehrreflexe auslösen,
sollen wieder Menschen werden, die ein Gesicht, einen Namen, ein
Schicksal bekommen.
Das Recht auf ein menschenwürdiges Leben auch
für die, die im "falschen Teil der Welt" geboren sind, steht
für ihn ausser Frage. Er bewundert ihren Mut, ihre
Hartnäckigkeit, ihre Leidensfähigkeit. Er geisselt die
Heuchelei der Europäer, vor allem der Italiener, deren Wirtschaft
auf illegale, spottbillige und rechtlose Arbeitskräfte angewiesen
ist. Was passieren würde, wenn man die Tür für alle
öffnen würde, fragt er sich nicht, das ist nicht sein Thema.
Ihm geht es um die Opfer eines globalen Ungleichgewichts - und um die
Profiteure.
Zu denen gehört Libyen. Mit den 37 000 Boatpeople von
2008 hat Ghadhafi Italien erpresst, mit Erfolg: Er bekam einen Vertrag
über Öl- und Gaslieferungen und 5 Milliarden Dollar für
die Schäden des Kolonialismus. Dafür verpflichtete er sich,
die Grenzen dichter zu machen. Die Lager in Lampedusa sind heute leer,
die Afrikaner werden schon in Libyen abgefangen, ohne Rücksicht
auf möglichen Asylstatus eingesperrt, abgeschoben in Herkunfts-
oder irgendwelche Länder, manchmal einfach in die Wüste. Das
UNHCR protestiert gegen diese Praxis. Und der Flüchtlingsstrom
sucht sich neue Wege; aufhalten lassen sich Kofi, Oliver und die vielen
Namenlosen nicht.
Fabrizio Gatti: Bilal. Als Illegaler auf dem Weg nach
Europa. Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann und Rita Seuss.
Kunstmann, München 2010. 456 S., 43 Fr.
---------------------
ANTI-ATOM
---------------------
La Liberté 18.2.10
Centrale de Mühleberg
Protestations genevoises
Le Conseil d'Etat genevois a adressé un courrier de
protestation au Conseil fédéral suite à la
décision d'autoriser l'exploitation illimitée de la
centrale nucléaire de Mühleberg (BE). Il estime que tous
les cantons auraient dû être consultés. Le
Gouvernement genevois relève que la sécurité des
centrales nucléaires concerne l'ensemble du territoire national.
ATS
---
Oltener Tagblatt 18.2.10
Motto: "Wachhund gegen Atom-Endlager"
Obergösgen Der Verein "Niederamt ohne Endlager"
führte seine erste Generalversammlung durch
Im November 2008 gab die Nagra bekannt, dass auch die
Region Niederamt als Standort eines Atom-Endlagers vorgeschlagen und
untersucht werde. Daraufhin wurde sogleich der Verein NoE, Niederamt
ohne Endlager, gegründet, der mit allen Mitteln ein solches Lager
verhindern will. Nun fand in Obergösgen die erste
Generalversammlung statt.
NoE-Präsident Urs Huber erinnerte die Mitglieder
daran, wie die Stimmung im Herbst 2008 bei Bekanntwerden der
Nagra-Pläne war: "Aber das nicht auch noch, genug ist genug, jetzt
langts". Daraufhin wurde der Verein "Niederamt ohne Endlager" in
Schönenwerd gegründet mit dem Zweck, ein Endlager für
atomare Abfälle jeglicher Art auf dem Gebiet des Niederamts und
seiner Nachbarschaft zu verhindern. Er ist überparteilich und
zählt rund 200 Mitglieder. An der Gründungsversammlung wurde
auch ein Vorstand gewählt mit Isabelle Meier, Olten, als
Kassierin; Aktuarin Theresia Dalla Via, Dulliken; Michael Saner,
Trimbach; Iris Schelbert, Olten, und Urs Huber, Obergösgen, als
Vereinspräsident. Diese wurden einstimmig bestätigt.
Behörden gegen Endlager
Die regionalen Behörden haben sich immer wieder und
klar gegen ein Endlager ausgesprochen. Man sehe als NoE-Verein die
Aufgaben auch darin, als Wachhund gut aufzupassen und allenfalls zu
knurren, wenn die lokalen, regionalen und vor allem kantonalen
Behörden vergässen, wem ihre Loyalität zu gelten habe.
Wenn nötig, müsse man dann halt laut bellen und vielleicht
auch zubeissen.
NoE will ein Sprachrohr und ein Lautsprecher sein,
insbesondere damit das Nein des Vereins auch im Rest der Schweiz
gehört werde. Neben verschiedenen Aktivitäten rund um die
Gründungsversammlung wurden die Nagra-Aktivitäten kritisch
und aktiv vor Ort verfolgt. So bei der so genannten Information der
Bevölkerung im Dezember 2008 oder beim teuren Werbeauftritt in der
Oltner Altstadt. Die Grossveranstaltung der NoE bei klirrender
Kälte Anfang 2009 in Obergösgen zeigte auch auf, dass
wirklich ein breites politisches Spektrum unter allen Umständen
ein Endlager verhindern will.
Mit einem vielbeachteten Riesenplakat wollte man auch
gegenüber den sogenannten Entscheidungsträgern zwischen
Zürich und Bern Klartext reden. Mit einem Auftrag des Solothurner
Kantonsrates wurde im August die Regierung verpflichtet, sich gegen ein
Endlager im Niederamt einzusetzen. Eine grosse Gruppe von
Niederämterinnen und Niederämtern überreichte den
Ratsmitgliedern dabei ein Töpfchen mit Niederämter Erde unter
dem Motto: "In diese Erde kann man alles stecken, aber kein atomares
Endlager".
Die Politik wird entscheiden
Bekannt ist inzwischen auch, dass die Nagra ein
grösseres Gebiet in den Planungsperimeter einbezogen hat. Der
Verein NoE sieht darin auch einen Versuch, sich in einem grösseren
Gebiet eine willfährige Gemeinde suchen zu können, nach dem
Motto: "Wo ist die kleine Gemeinde, die man mit grossen Beträgen
kaufen kann?" Der Verein NoE wird auch an offizielle Veranstaltungen
eingeladen.
Man nehme diese wahr, soweit sie nicht als reine
Alibiübungen dienten, um demokratische Abstützung
vorzugaukeln. Als lokaler Verein könne man nie mit gleich langen
Spiessen wie die mächtige Nagra mit ihren zig-Millionen
kämpfen. Gerade deshalb sei auch die fachliche Unterstützung
durch die Schweizerische Energie-Stiftung eine grosse Hilfe.
Für das Jahr 2010 hat sich der Verein Niederamt ohne
Endlager vorgenommen, mit verschiedenen Aktivitäten
öffentlich weiter laut und deutlich gegen ein Endlager zu
kämpfen. Zu diskutieren gab vor allem auch die Tatsache, dass
über den Eingangsbereich eines Endlagers, wo die Transporte
ankommen, verarbeitet und verpackt würden, so gut wie nie
gesprochen werde. Das müsse man unbedingt thematisieren.
Der Verein NoE will 2010 auch die Mitgliederzahl weiter
erhöhen. Man müsse insbesondere bereit stehen, wenn die
nächste Etappe des Entscheidungsverfahrens anstehe. Präsident
Urs Huber drückte es so aus: "Ich bin überzeugt, dass
politisch entschieden wird. Wo ist die Region, die am wenigsten
Widerstand leistet, wo kann man den Widerstand mit viel Geld und Druck
brechen?" Denn es sei offensichtlich, trotz aller Propaganda: Atomare
Abfälle wolle niemand freiwillig lagern. (uho)