MEDIENSPIEGEL 26.2.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (RaBe)
- RaBe-Info 24.-26.2.10
- Nix Basisdemokratie in Bärn
- Demorecht: Kein Weiterzug Urteil
- Mad Wallstreet: Security-Knatsch ohne Ende
- Anti-Rauchverbot: JSVP-Herzig + die Reitschule
- Suchthilfe BE: Kanton redet mehr mit
- Kokain: Drehscheibe Venezuela
- Police vs Grenzwachkorps
- Nothilfe-Debatte Ostsschweiz
- Frontex-Watch: Festung Europa knacken
- Rassismus: Begriffs-Glossar gra.ch
- Klassenkampf: Linke haben höheren IQ :o)
- Biografie Eva Braun

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REITSCHULE    
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Fr 26.02.10
19.30 Uhr - Kino - Rabe-Fest: Jolly Roger, Beat Hirt, Schweiz 2003
20.30 Uhr - Tojo - "Agents Provocateurs" Agentenstück von Michael E. Graber. Uraufführung.
21.15 Uhr - Kino - Rabe-Fest: Radio LoRA 97,5 MHz - 25 Jahre laut!, Gido Dietrich, Schweiz 2009 und RaDialoge 08, Paola Delco' & Ricardo Dorantes, CH 2009
22.00 Uhr - SousLePont - RaBe-Fest: The Jackets, The Dead, Loose Connection (BE)
22.00 Uhr - Dachstock - RaBe-Fest: Sofa Surfers (Klein Rec/A), Clara Clara (F) / DJ Olive Oil (BE)
22.00 Uhr - Rössli-Bar - Rabe-Fest: Disco: DJ Tom Zoff (70/80/90 Mambo) / DJ Küse (Lost in Disco) / DJ Electric (Ready to Rock)
23.00 Uhr - Frauenraum - Rabe-Fest: "Female D&B Special" - DJ Flight (Play:Musik, Rinse FM, Metalheadz, Bassbin, UK) / MC Ayah (Lucky Devil Music, Hospital, CIA, UK), DJ Lockee, DJ Ryck & Badboy MC (RaBass 95.6), DJ Sueshi (Radio X, First Ladies, Basel)
22.30 Uhr - Kino - Rabe-Fest: No More Smoke Signals, Fanny Bräuning, CH 2008

Sa 27.02.10
19.30 Uhr - Kino - RaBe-Fest: No More Smoke Signals, Fanny Bräuning, CH 2008
20.30 Uhr - Tojo - "Agents Provocateurs" Agentenstück von Michael E. Graber. Uraufführung.
21.15 Uhr - Kino - RaBe-Fest: Radio LoRA 97,5 MHz - 25 Jahre laut!, Gido Dietrich, Schweiz 2009 und RaDialoge 08, Paola Delco' & Ricardo Dorantes, CH 2009
22.00 Uhr - SousLePont - RaBe-Fest: Lamps of Delta, My Wolf, Overdrive Amp Explosion, Mani Porno (CH)
22.00 Uhr - Dachstock - Rabe-Fest mit MyMy (live) (playhouse/DE); Styro2000 (motoguzzi/ZH); Racker & Brian Python (festmacher/BE)
22.00 Uhr - Frauenraum - Rabe-Fest: Miss Trouble & The Television Project / Anna Aaron / Dr. Minx / El Gata
22.00 Uhr - Rössli-Bar - Rabe-Fest: Dee Jota (Abnorm), Disko Dario (elastic trax), Flowbox *live!*(Abnorm), Gelber (4dreams), Navigator (Dream Vision Media)
22.30 Uhr - Kino - Rabe-Fest: Jolly Roger, Beat Hirt, CH 2003

So 28.02.10
19.00 Uhr - Tojo - "Agents Provocateurs" Agentenstück von Michael E. Graber. Uraufführung.
20.00 Uhr - Rössli-Bar - Marta Collica & Kassette
20.30 Uhr - Kino - Kulturprojekt Porta Chuisa, Performance. Live-Konzert aufgeführt zu Filmen mit Hans Koch (CL), Michael Thieke (CL) und Paed Conca (CL).

Infos: http://www.reitschule.ch

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20 Minuten 26.2.10

Bern Nightfever

 Rabe feiert seinen 14. Geburtstag

 Fr, 26.2., Sa, 27.2., 22 Uhr, Rabe-Fest 2010, Dachstock.

Diverses. Dieses Wochenende begiesst Berns Alternativ-Radio seinen vierzehnten Geburtstag. Den Anfang macht am Freitag die österreichische Band Sofa Surfers. Ende der 90er Jahre noch als Downbeat-Act aus dem Umfeld von Kruder und Dorfmeister bekannt, mutierte die Gruppe inzwischen zu einer Rockband, die in einem Monat ein neues Album rausbringt. Morgen beherrschen dann die elektronischen Beats den Dachstock. Am Start stehen der deutsche Minimal-Act My My mit einem Live-Set, Styro2000, Racker und Brian Python.

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RABE-INFO
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Fr. 26. Februar 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-Info_26._Februar_2010.mp3
- Offener Brief an den Bundesrat: Die Gewerkschaften wehren sich gegen missbräuchliche Kündigungen
- Die kantonale Suchthilfe geht neue Wege: Die Trennung zwischen legalen und illegalen Suchtmitteln wird aufgehoben
- Zu den Abstimmungen vom 7. März: Brauchen wir Tieranwälte oder genügt das geltende Tierschutzgesetz?

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Do. 25. Februar 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_25._Februar_2010.mp3
- Abstimmungsvorschau: pro und contra zum Verfassungsartikel über die Forschung am Menschen
- Theaterstück: Checkpoint. Israel- Palästina in unseren Köpfen
- Jubiläum: 40 Jahre ISC Club- ein Blick hinter die Kulissen

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Mi. 24. Februar 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_24._Feburar_2010.mp3
- Pro und Contra zu Abstimmungsvorlage über die BVG Revision
- Hintergründe zur Forschung im Bereich Musikpsychologie
- Leere Bierflaschen erklingen und werden zu Trinkgläsern

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BASISDEMOKRATIE
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Bund 26.2.10

Berner Stadtrat schafft sich nicht ab

(bro)

 Gestern Abend hat der Stadtrat über seine eigene Abschaffung diskutiert. Anlass dazu war eine Motion von Lea Bill (ja), in der die Einführung der Basisdemokratie in der Stadt Bern gefordert wird. Im jetzigen System habe nicht jedermann tatsächlich dieselben Mitgestaltungsmöglichkeiten, argumentierte Bill. Wer mehr Geld in der Tasche habe, dessen Stimme sei gewichtiger. Unterstützung erhielt Bill - nicht wirklich überraschend - von ganz links. "Basisdemokratie steht für die Ausweitung der demokratischen Rechte", sagte Rolf Zbinden (pda). Das sei zu unterstützen. Gleicher Meinung war Luzius Theiler (gpb), der noch eine ganz praktische Überlegung anfügte: "Die Gemeindeversammlungen müssten dann halt im Eisstadion abgehalten werden."

 Ganz anders tönte es freilich von der rechten Ratsseite: "Das ist jetzt ein Vorstoss, auf den man hätte verzichten können", fand Erich Hess (svp). Die Schweiz sei eine der weltweit besten Demokratien mit gleicher Stimmkraft für alle.

 Schlussendlich überwog der Selbsterhaltungstrieb der Parlamentarier. Die Motion wurde mit 44 zu 9 Stimmen abgelehnt.

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DEMORECHT
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Bund 26.2.10

Gemeinderat zieht Beschwerde nicht weiter

 Die Stadtberner Regierung akzeptiert den Entscheid des Verwaltungsgerichts zum Kundgebungsreglement, wonach Demonstrationsumzüge erlaubt bleiben.

 Christian Brönnimann

 "Materiell fühlt sich die Stadtregierung durch das Verwaltungsgerichtsurteil bestätigt und verzichtet daher auf alle weiteren juristischen Schritte", schreibt der Gemeinderat in einer Mitteilung. Dies, obwohl er selber mit einer Beschwerde an das Gericht gelangt war. Darin focht er das Urteil des Regierungsstatthalteramtes an. Dieses hatte den Beschluss des Stadtrats, dass Demoumzüge grundsätzlich zu verbieten seien, für rechtswidrig erklärt. Noch kurz nach Bekanntwerden des Verwaltungsgerichtsurteils von letzter Woche - das Gericht lehnte die gemeinderätliche Beschwerde mit 5 zu 0 Stimmen ab - äusserte sich Gemeinderat Reto Nause (cvp) enttäuscht. Das Urteil sei "etwas praxisfern", sagte der Sicherheitsdirektor (siehe "Bund" vom 19. Februar).

 Der Gemeinderat sei immer gegen ein Umzugsverbot gewesen, sagt nun Stadtpräsident Alexander Tschäppät (sp). Als beschwerdeberechtigte Instanz sei der Gemeinderat aber politisch verpflichtet gewesen, den Willen des Stadtrats zu respektieren und an seiner Stelle Beschwerde einzureichen. Reto Nauses Aussage sei als persönliche, nicht mit dem Gemeinderat abgesprochene Meinung zu verstehen. Nicht ganz unwichtig: Die Idee eines Umzugsverbots geht ursprünglich auf einen Vorstoss von Reto Nause - 2007 noch Stadtrat - und Ueli Stückelberger (gfl) zurück. Nause sagt inzwischen, der Entscheid, das Urteil nicht weiterzuziehen, sei "folgerichtig". Dies wegen der Kosten eines weiteren Verfahrens und der Chancenbeurteilung nach dem deutlichen Urteil des Verwaltungsgerichts.

 CVP verlangt Weiterzug

 Unverständnis löst der Entscheid des Gemeinderates bei der CVP aus. Der Verzicht auf den Weiterzug sei enttäuschend, sagt Michael Daphinoff, Präsident der CVP Stadt Bern. Seine Partei hat eine dringliche Motion eingereicht, in welcher der Gemeinderat aufgefordert wird, das Verwaltungsgerichtsurteil beim Bundesgericht anzufechten. "Wir haben eigentlich erwartet, dass die Regierung bei der Interessenabwägung die Wirtschaftsfreiheit sowie die öffentliche Sicherheit und Ordnung stärker gewichten würde", sagt Daphinoff. Doch wahrscheinlich sei der Gemeinderat froh, dass seine Beschwerde nicht gutgeheissen wurde.

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BZ 26.2.10

Umzüge an Demonstrationen

 Der Gemeinderat akzeptiert das Urteil

 In Bern sind an Demos weiterhin Umzüge möglich. Der Gemeinderat zieht das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht weiter.

 Kundgebungen in Form von Umzügen darf die Stadt Bern nicht grundsätzlich verbieten und nur noch in Ausnahmefällen bewilligen. Zu diesem Schluss kam die damalige Regierungsstatthalterin Regula Mader letztes Jahr, zum gleichen Schluss das bernische Verwaltungsgericht letzte Woche (wir berichteten).

 Der umstrittene Artikel im Kundgebungsreglement der Stadt Bern sei "verfassungswidrig und unverhältnismässig". Er greife zu stark in die Grundrechte ein und müsse darum gestrichen werden, so das Urteil des Verwaltungsgerichts. Die Stadtregierung akzeptiert es und wird es nicht ans Bundesgericht weiterziehen, wie sie gestern bekannt gab.

 Der Gemeinderat begründet seinen Verzicht damit, dass das Umzugsverbot im Mai 2008 gegen den Willen der Regierung von einer Mehrheit des Stadtrates beschlossen worden sei. Dem Willen des Parlaments sei mit der Beschwerde nach dem erstinstanzlichen Urteil der Regierungsstatthalterin Rechnung getragen worden. "Zwar hatte die Regierung ihre ablehnende Haltung zum Umzugsverbot nicht geändert, war aber politisch verpflichtet, den Willen der Mehrheit des Stadtrates zu respektieren und die Beschwerde zumindest an die nächste Instanz weiterzuziehen", heisst es in der Mitteilung des Gemeinderates.

 Anfang Woche hatte die CVP-Fraktion angekündigt, mittels Motion den Weiterzug der Beschwerde ans Bundesgericht zu verlangen. Dieser Vorstoss dürfte allerdings nichts mehr bewirken. "Der Gemeinderat ist als Exekutive berechtigt, die Stadt in Rechtsstreitigkeiten zu vertreten und zu entscheiden", erklärt Stadtschreiber Jürg Wichtermann. Die Motion hätte nur den Charakter einer Richtlinie.
 mm

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MAD WALLSTREET-SECURITY-KNATSCH
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Telebärn 25.2.10

Security-Mitarbeiter packt aus
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/securitymitarbeiter-packt-aus/c=84713&s=813432

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RAUCHVERBOT
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Tagesanzeiger 26.2.10

David Herzig Der SVP-Politiker lanciert eine Volksinitiative gegen Rauchverbote.

Von Dario Venutti

 Der Anführer der Stammtisch-Rebellion

Dario Venutti

 Seit in Bern vor einem halben Jahr das Rauchverbot eingeführt wurde, rebelliert im Anker der Stammtisch. SP-Regierungsrat Andreas Rickenbacher hat Hausverbot in dem Lokal mitten in der Altstadt, denn er ist für die Umsetzung des Rauchverbots zuständig. Persona non grata ist auch EVP-Grossrat Ruedi Löffel. Er erdreistete sich, im Fumoir des Restaurants im 1. Stock "frische Luft" zu bestellen.

 Im Berner Anker, wo man Cordon bleu isst, Schieber jasst und am Stammtisch über Politiker herzieht, ist auch die Idee einer Volksinitiative gegen das schweizweite Rauchverbot entstanden. "Am Stammtisch wird jetzt nicht mehr nur gepoltert. Der Stammtisch ist aktiv geworden", sagt David Herzig, Sekretär der Jungen SVP des Kantons Bern und Stammgast im Anker.

 Der 22-Jährige ist Präsident der Interessengemeinschaft Freie Schweizer Wirte, die gestern die Volksinitiative lanciert hat. Wirte, Barbesitzer und Discobetreiber sollen selber entscheiden können, ob sie in ihren Lokalen das Rauchen zulassen wollen. "Das Rauchverbot ist ein drastischer Eingriff des Staates in die Gewerbefreiheit", sagt Herzig. Viele Wirte würden über Umsatzeinbussen klagen, weil viele Büezer ihren Znüni nicht mehr in den Beizen essen würden - und das Partyvolk über Schikanen im Ausgang klage.

 Herzig, optisch ein Verschnitt zwischen Toni Brunner und Lukas Reimann, liegt ganz auf der harten Linie der SVP. Seine sanfte Stimme und sein schüchterner Charakter lassen nicht erahnen, dass er Mitglied ist der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns), des Bundes der Steuerzahler und von Pro Tell, der Gesellschaft für ein freiheitliches Waffenrecht. Er sei durch seinen Vater politisiert worden. Schon dieser hatte die erfolgreichen SVP-Parolen verinnerlicht: Weniger Staat! Unabhängigkeit der Schweiz! Mehr Sicherheit! Lasst die Marktkräfte spielen! David Herzigs Vorbilder sind Winston Churchill, General Guisan und Christoph Blocher, "dem ich einmal die Hand schütteln durfte", wie er stolz sagt.

 Politisch ist Herzig selbst im Kanton Bern ein unbeschriebenes Blatt. Aber vielleicht verfügt er über ähnliches Talent für Politmarketing wie der junge St. Galler SVP-Nationalrat Lukas Reimann. Als Testlauf für die Initiative gegen das Rauchverbot initiierte Herzig letztes Jahr eine Petition gleichen Inhalts zuhanden des Nationalrats. In nur zweieinhalb Monaten kamen in den Kantonen Bern, Aargau und Zürich 64 000 Unterschriften zusammen, ohne dass das Anliegen von Branchenverbänden unterstützt worden wäre. Damit war klar: Eine Volksinitiative hat gute Chancen, weil sie nicht nur SVP-Wähler anspricht. Und: Die Linke hat es verschlafen, das populäre Anliegen aufzunehmen. Herzig Herzig auch in den eher linken Szenenlokalen in Bern, Basel und Zürich Unterschriften sammeln. "Ich glaube nicht, dass es die Leute interessiert, was ich sonst denke."

 Und in der Berner Reitschule? Im alternativen Kulturzentrum wird sehr viel geraucht, weshalb seine Initiative gerade dort auf Anklang stossen müsste. Herzig zögert mit der Antwort und ringt sich dann durch zu einem schüchternen: "Ja, die Reitschule kommt auch infrage." Woher das Zögern? Seine Partei hat eben erst eine Initiative zustande gebracht, die wieder einmal die Schliessung und den Verkauf der Reitschule an den Meistbietenden verlangt.

 Weiterer Bericht Seite 17

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Selbst der Tabakladen wird rauchfrei

 Am 1. Mai tritt das Rauchverbot in Kraft. Es gilt nicht nur in Restaurants, sondern auch in allen Verkaufsgeschäften. Zürcher Tabakhändler finden das grotesk und sind verunsichert.

 Von Werner Schüepp

 Zürich - Für René Wagner ist der kommende 1. Mai ein Tag, den er am liebsten aus dem Kalender streichen würde. Der letzte selbstständige Tabakhändler Zürichs wird ab diesem Datum sein Geschäft an der Storchengasse anders führen müssen, als er es gewohnt ist. Und das ärgert ihn gewaltig.

 Am 1. Mai tritt das Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen in Kraft. Es sieht ein Rauchverbot für geschlossene Räume vor, die öffentlich zugänglich sind. Betroffen sind neben Gastrobetrieben auch Einkaufszentren und Verkaufsläden, wie das Tabak-Lädeli, das Wagner als Familienbetrieb in der Altstadt betreibt. Es ist über die Landesgrenzen hinaus bekannt; sogar aus Russland, Brasilien und Australien kommen die Raucher.

 "Völliger Verhältnisblödsinn"

 René Wagner darf seiner Kundschaft zwar noch Zigaretten, Zigarren und Pfeifen verkaufen, aber diese im Laden nicht mehr anzünden. Und der Kunde darf das Geschäft nicht mehr rauchend betreten. Wagner: "Das neue Gesetz bedeutet für mich einen gewaltigen Einschnitt in mein Geschäftsleben." Der Einbau eines Fumoirs ist für ihn keine Lösung. Sein Ladenlokal ist mit 20 Quadratmetern zu klein, das Haus steht unter Denkmalschutz. Er sei nicht prinzipiell gegen das Gesetz und durchaus einverstanden, wenn in einem Speiserestaurant nicht mehr geraucht werden dürfe, sagt Wagner. Aber: "Die Degustation von Raucherware in Fachgeschäften für Raucherwaren zu verbieten, ist doch ein völliger Verhältnisblödsinn." Wagner befürchtet einen Umsatzrückgang, denn viele Kunden wollten vor dem Kauf einer Kiste Zigarren zuerst ein Musterexemplar zur Probe rauchen. "Wenn ich 20 Flaschen einer bestimmten Weinsorte kaufe, degustiere ich vor dem Kauf ja auch zuerst den Wein."

 Auch bei Zigarren Dürr am Bahnhofplatz, dem grössten Geschäft dieser Art in Zürich, löst die Neuerung keine Freude aus. "Viele unserer Kunden wissen nichts vom neuen Gesetz und sind völlig perplex, wenn wir sie aufklären", sagt Filialleiter Niklaus Wilhelm. Man wolle in den ersten Wochen nach der Einführung die Reaktionen der Kundschaft beobachten und abwarten. Der Einbau eines Fumoirs ist vorläufig kein Thema. "Es wäre zwar eine Lösung", so Wilhelm, "aber sie ist bautechnisch nicht einfach zu realisieren."

 Die Firma Dürr betreibt in der Schweiz 30 Tabakläden, unter anderem in Zürich und Winterthur. Laut Geschäftsführer Günther Muhr schiesst das Gesetz bei den Tabakgeschäften über das Ziel hinaus. "Selbst in Amerika, wo das Rauchergesetz viel strenger ist als in der Schweiz, darf man in Tabakgeschäften rauchen." Er findet die Situation bizarr. Beharrt ein Kunde darauf, eine Probezigarre zu rauchen, muss er dies draussen vor dem Geschäft erledigen. "Das wird sich wohl auf den Umsatz auswirken." Aber Muhr will nicht provozieren. "Wir werden das Gesetz befolgen, obwohl unsere Kunden den Kopf schütteln." Fumoirs sind auch für Muhr keine Option. Die meisten der 30 Filialen seien für einen solchen Einbau zu klein.

 Kanton duldet keine Ausnahme

 Wenig Verständnis für die Tabakhändler bekundet die Zürcher Regierung. Der Kanton könne beim Vollzug kein Auge zudrücken, sagt Walter Dietrich, Leiter der Rechtsabteilung auf der Gesundheitsdirektion. "Ausnahmen werden keine toleriert. Wir müssen alle Geschäfte gleich behandeln." Wer gegen das Rauchverbot verstosse, werde verzeigt und könne mit einer Busse bis 1000 Franken bestraft werden.

 Solche Sätze sorgen bei Tabakhändler Wagner und seinen Kollegen für rauchende Köpfe. Ob er das Rauchverbot in seinem Laden befolgt, lässt Wagner offen. "Garantieren kann ich das nicht."

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 Volksinitiative

 Wirte wehren sich gegen Rauchverbot

 Die Interessengemeinschaft Freie Schweizer Wirte hat am Donnerstag die Volksinitiative "Für ein liberales Rauchergesetz" lanciert. Restaurants, Bars, Spielbanken, Discos und Nachtclubs sollen in Zukunft selber entscheiden können, ob sie ein rauchfreier Betrieb sein wollen oder nicht. Damit werde insbesondere die Gewerbefreiheit in der Schweiz wiederhergestellt. Tatsache sei, dass wenige Restaurationsbetriebe nur von Nichtrauchern leben könnten. Seit der Einführung von Rauchverboten hätten Betriebe ihre Tore schliessen müssen. "Wir sind überzeugt, dass die Gäste mündig genug sind, um selber entscheiden zu können, ob sie in ein Raucherlokal gehen wollen oder nicht", glauben die Wirte.

 Ein anderes Bild zeigt eine Erhebung des Gläubigerverbands Creditreform. Sie weist über die letzten zehn Jahre ein Wachstum der Branche aus. Seit Jahren gibt es in der Schweiz rund 20 000 Gastronomieunternehmen - Tendenz steigend. Ende 2009, als in den meisten Kantonen bereits ein Rauchverbot galt, gab es unter dem Strich über 500 Bars und Beizen mehr im Land als Anfang Jahr. 2008 waren fast 600 Betriebe dazugekommen. Im Tessin waren 2004 noch mehr Gastgewerbebetriebe geschlossen als neue eröffnet worden. Seit Einführung des Rauchverbots 2007jedoch gibt es im Südkanton insgesamt 82 Betriebe mehr. Das gleiche Bild bietet sich im Kanton Graubünden, ebenfalls ein Pionierkanton in Sachen Rauchverbot: Seit der Einführung im Frühling 2008 gibt es dort insgesamt59 zusätzliche Bars und Restaurants.

 Für die Initianten der Initiative "Schutz vor Passivrauchen", zu denen die Lungenliga Schweiz gehört, ist die Initiative der IG Freie Wirte unverantwortlich. Passivrauchen sei massiv gesundheitsgefährdend. (DDP/SDA)

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NZZ 26.2.10

Verbots-Chaos sorgt für rauchende Köpfe

 Unterschiedliche Taktiken der Wirte gegen Rauchverbote - zwei Volksinitiativen erschweren Investitionsentscheide

 Eine Gruppe von Wirten bläst zum gesamtschweizerischen Angriff auf die Rauchverbote. Gastrosuisse weiss noch nicht, was davon zu halten ist.

 Davide Scruzzi

 Die Rauchverbote bilden ein Lehrstück über die verworrenen Wege des Föderalismus und der direkten Demokratie (siehe Karte). Der jüngste Akt: die Präsentation der eidgenössischen Volksinitiative "für ein liberales Rauchgesetz" am Donnerstag in Bern. Eine Interessengemeinschaft (IG) "Freier Schweizer Wirte" will damit die Aufhebung flächendeckender Rauchverbote in der Verfassung festschreiben, insbesondere was Gaststätten angeht. Dies nachdem vielerorts bereits unterschiedliche Verbote eingeführt worden sind und auf den 1. Mai hin auf Bundesebene das Gesetz über den Schutz vor Passivrauchen seine Wirkung entfaltet. Gemäss dem Bundesgesetz ist das Rauchen in Gaststätten nur möglich, wenn diese eine Fläche von maximal 80 Quadratmetern haben und damit eine Bewilligung als "Raucherbeizen" erhalten können oder über ein Fumoir verfügen. Bestehende, strengere kantonale Bestimmungen bleiben gültig.

 Für das Bundesgesetz hat sich Gastrosuisse (der Branchenverband) 2008 erfolgreich eingesetzt, zumal es einen Kompromiss darstellt. Der Gastrosuisse-Vorstand mag denn nun nicht alleine entscheiden, ob die Initiative der IG Freie Schweizer Wirte unterstützt werden soll. Ende März werden die Präsidenten der kantonalen Sektionen dazu konsultiert. Grundsätzlich glaubt der Verband, dass die politischen Möglichkeiten für gewerbefreundliche Rauchverbote derzeit ausgeschöpft sind. Das Hauptziel bleibe, die Volksinitiative der Lungenliga für noch strengere Verbote erfolgreich zu bekämpfen (siehe Zusatztext). Gastrosuisse-Direktor Anton Schmutz hat Verständnis für die "Freien Wirte"; es stelle sich aber die Frage, ob es nicht kontraproduktiv wäre, sich im Abstimmungskampf zur Lungenliga-Vorlage kategorisch gegen Rauchverbote zu stellen und die "Freien Wirte" zu unterstützen, statt einfach die bestehende, gemässigte Lösung zu verteidigen. Die IG ihrerseits animiert nun Wirte, über die Kantonalsektionen von Gastrosuisse auf eine Unterstützung der Initiative hinzuwirken.

 Die IG präsentiert sich als Verbund von 300 bis 400 Mitgliedern. Als Präsident amtiert der 22-jährige David Herzig, der als Sekretär der Jungen SVP Bern im März auch bei den Grossratswahlen antritt. Das Engagement für das Rauchen wird dem Gelegenheitsraucher Bekanntheit verschaffen, doch will er die IG als parteipolitisch neutral positionieren. Der Hochbauzeichner setzt auf die Mobilisierungs-Möglichkeiten von Internet-Plattformen wie Facebook, aber auch auf die Mundpropaganda in Gasthäusern. Als erster Leistungsausweis werden die über 60 000 Unterschriften genannt, die für eine Anti-Rauchverbots-Petition in einigen Kantonen gesammelt wurden.

 Als Argumente gegen die Rauchverbote nennt die IG liberale Grundsätze, wonach jeder Wirt alleine entscheiden soll, ob in seinem Betrieb geraucht werden darf. Mit dem Einrichten von Fumoirs seien viele Probleme verbunden. Herzig erwähnt Umsatzeinbussen wegen der Verbote - deren genaue Quantifizierung allerdings noch kaum möglich ist. Beklagt wird auch ein drohender "Tod" der Stammtisch-Kultur durch die Verbote.

 Bisher waren radikale Vorstösse gegen Rauchverbote wenig erfolgreich, im Gegensatz zu Initiativen der kantonalen Lungenligen. Pikant: Gastrosuisse Bern äusserte sich kürzlich gegen eine grundlegende Aufweichung des kantonalen Verbots, unter anderem wegen der getätigten Investitionen für Fumoirs. Die zwei nationalen Volksinitiativen und diverse kantonale Vorstösse lassen solche Investitionen jetzt indes unsicher erscheinen. - Kurioses, wie die Versuche, durch die Umwandlung von Bars in Klubs das Verbot zu umgehen, müssen ihre Bewährungsprobe vor dem Bundesgesetz ebenfalls erst noch bestehen, denn dieses gilt auch in Vereinslokalen, wenn mehr als eine Person dort arbeitet.

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 Schon über 100 000 für Lungenliga-Initiative
 
 dsc. ⋅ Auch die Lungenliga ist mit der jetzigen Situation unzufrieden und versucht mittels einer eigenen Volksinitiative die strengsten kantonalen Rauchverbote zum nationalen Standard zu erheben. Ausnahmebewilligungen für "Raucherbeizen" sollen demnach nicht möglich sein, und in Fumoirs soll das Servicepersonal die Gäste nicht bedienen. Neun Monate nach der Lancierung habe man bereits über 100 000 Unterschriften gesammelt, so Barbara Weber von der Lungenliga. Mit einem "Endspurt" im März sollen die angepeilten 120 000 Unterschriften beisammen sein. Die IG Freie Schweizer Wirte sieht ihre Vorlage als Gegenpol zur Lungenliga-Initiative und hofft auf eine zeitgleiche Volksabstimmung. Im Zentrum der Argumentation der Lungenliga stehen nicht so sehr die Gäste als vielmehr die Gastro-Angestellten, die vor ständigem Passivrauchen zu schützen seien - darum auch die Bemühungen um ein Bedienungsverbot in den Fumoirs. Barbara Weber stört sich an der Verordnung zum Bundesgesetz über das Passivrauchen; diese sei "ein Kniefall vor der Tabaklobby", weil etwa den Kantonen die Art der Fumoir-Lüftungen nicht vorgeschrieben werde - in Appenzell Innerrhoden reichen dazu Fenster. Die Lungenliga wolle auch eine Vereinheitlichung der unterschiedlichen kantonalen Verbote, was die Sache etwa für Touristen leichter verständlich mache. Weber beklagt auch neue Gegentendenzen, etwa im Kanton Solothurn mit der dortigen Initiative zur Aufweichung des jetzigen "konsequenten Verbots".

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Telebärn 25.2.10

Wirte lancieren eine Initiative
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/wirte-lancieren-eine-initiative/c=84713&s=813431

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SUCHTHILFE
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Bund 26.2.10

Suchthilfe: Kanton will stärker mitreden

 Als Geldgeber will der Kanton Bern künftig die Angebote der Suchthilfe stärker steuern und die Mittel besser verteilen. Dazu erarbeitet er mit den Institutionen der Suchthilfe eine kantonale Suchthilfestrategie. Diese soll bis Ende dieses Jahres fertiggestellt sein.

 Als erster Schritt ist gestern der Dachverband Gesundheit und Sucht (DGS) Bern gegründet worden, der die Stiftung Berner Gesundheit (Beges) und Contact-Netz umfasst. Diese wollen enger zusammenarbeiten und Synergien nutzen. (lok) - Seite 24

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Kanton will Suchthilfe besser steuern

 Bei der Steuerung der Suchthilfeangebote will der Kanton mehr Einfluss nehmen und erarbeitet eine Suchthilfestrategie. Ein erster Schritt ist die Gründung des Dachverbands Gesundheit und Sucht Bern.

 Rahel Bucher

 Die etablierten Institutionen Stiftung Berner Gesundheit (Beges) und Contact-Netz arbeiten künftig enger zusammen und gründen am ersten März den Dachverband Gesundheit und Sucht (DGS) Bern, wie gestern an einer Medienkonferenz bekannt gegeben wurde. Mit diesem neuen Organ hat der Kanton ab 2011 nur noch einen Leistungsvertragspartner. "Das Anliegen existiert schon lange, auf strategischer Ebene ist jetzt ein Schritt getan", sagt Ueli Studer, Präsident Beges.

 Mit der Gründung des Dachverbands wollen die zwei grössten Anbieter für ambulante Suchthilfe im Kanton Bern die Angebote besser abstimmen. Neben dem Synergiegewinn werde auch die Trennung zwischen legalen und illegalen Suchtmitteln aufgehoben, sagt Philippe Perrenoud (sp), Regierungsrat und Direktor der Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern (GEF).

 Sechs Eckpfeiler für die Strategie

 "Die Annäherung der beiden Player ist ein erster Schritt im Zusammenhang mit der kantonalen Suchthilfestrategie", sagt Studer. Der Kanton als Geldgeber will künftig mehr Einfluss auf die Steuerung der Angebote im Suchthilfebereich haben, um so die finanziellen Mittel besser einsetzen zu können. Zusammen mit den Institutionen der Suchthilfe erarbeitet die GEF daher eine kantonale Suchthilfestrategie. In diesem Zusammenhang hatte der Kanton Bern die Hochschule Luzern mit einer Bestandesaufnahme des bestehenden Angebots im Bereich der Suchthilfe beauftragt.

 Auf Basis der Ende 2009 abgeschlossenen Bestandesaufnahme hat Regierungsrat Perrenoud Mitte Februar folgende Eckpfeiler festgelegt, die für die Ausgestaltung der Suchthilfestrategie wegleitend sein sollen:

 Komplementäre Stossrichtung der kantonalen Suchthilfepolitik und der Konzepte der übrigen sozial- und gesundheitspolitischen Politikbereiche (insbesondere Psychiatrieplanung und Familienkonzept).

 Reduktion der gewachsenen Vielfalt im Suchthilfebereich durch den Aufbau strategischer Partnerschaften.

 Mittelfristig differenzierte organisatorische Integration der Suchthilfe in die medizinische und soziale Regelversorgung. Die GEF zielt auf eine differenzierte Lösung gemäss dem Grundsatz "Regelversorgung vor spezialisiertem Versorgungssystem".

 Die Stärkung von regionalen Strukturen soll als Zielsetzung in der Strategie verankert werden. Der Kanton führt regionale Plattformen, abgestimmt auf die Verwaltungsregionen.

 Die Akteure der Suchthilfe im Kanton Bern bilden ein aktives, leistungsfähiges Netzwerk. Die GEF sieht sich bereits heute als Netzwerkmanagerin und möchte diese Rolle noch bewusster ausüben. Dementsprechend sind Steuerungsinstrumente zu definieren.

 Auch auf Klientenebene soll das Angebot besser gesteuert werden. Die Orientierung an den "Behandlungspfaden" soll im Vordergrund stehen. Dazu sollen auf regionaler Ebene standardisierte Behandlungspfade entwickelt werden. Komplexe Fälle werden dem Case-Management zugewiesen.

 "Diese Eckpfeiler geben die Ausrichtung vor, welche ich in der Suchthilfestrategie zukünftig einschlagen will", sagt Perrenoud. In einem nächsten Schritt werden diese Punkte von den Suchthilfeinstitutionen diskutiert und auf ihre Umsetzbarkeit in der Praxis geprüft. Die daraus resultierenden Rückmeldungen sollen verarbeitet werden und in die abschliessende Festlegung der Eckpfeiler durch den Direktor der GEF einfliessen. Um die Ergebnisse der Fachdiskussion nicht vorwegzunehmen, will sich Perrenoud zu seinen Gründen und den erwarteten Ergebnissen des eingeleiteten Vorgehens noch nicht vertieft äussern. Laut Sabine Schläppi, Abteilungsleiterin Gesundheitsförderung und Sucht in der GEF, soll die Suchthilfestrategie noch in diesem Jahr fertiggestellt werden.

 Kein Sparauftrag vom Kanton

 Barbara Mühlheim, Grossrätin (grüne)und Leiterin Heroingestützte Behandlung Koda begrüsst die Erarbeitung einer kantonalen Strategie. "Der Kanton als Geldgeber soll endlich die Zügel in die Hand nehmen", sagt sie. In den letzten Jahren seien in der Suchthilfe zu viele Angebote entstanden, die zu wenig geplant und vernetzt seien. Um den Kanton in seinen Bemühungen zu unterstützen, hat sie vorgestern eine Motion eingereicht. "Ich will damit den Kanton stärken und signalisieren, dass er gut vorgearbeitet hat", sagt sie. Die Gründung des Dachverbands sei erst ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, findet sie weiter.

 Die strategischen Synergiebemühungen haben im Jahr 2004 ihren Anfang genommen, als Andreas Blaser, SP-Grossrat und Vizepräsident des Contact-Netzes, in einem Vorstoss die Aufhebung der Trennung in legale und illegale Suchtmittel sowie ein gemeinsames Dach für die ambulante Suchthilfe forderte. In einer Motion von 2008 forderte Blaser zudem die Schaffung einer kantonalen Plattform. Mit der Gründung des Dachverbands könne der jahrelange Verteilungskampf um Mittel zugunsten einer problemorientierten Umverteilung abgelöst werden, sagt er. Er habe die Vision, dass die Plattform auch für andere Player offen sein soll.

 Fusion ohne Sparauftrag

 "Die Zusammenführung der beiden Institutionen zum Dachverband erfolgt ohne personelle Konsequenzen und ohne Sparauftrag seitens des Kantons", sagt Studer, und Perrenoud: "Wir können mit gleich viel Geld mehr anbieten." Allerdings fügt Studer an, dass bedarfsorientierte Ressourcenverlagerungen im Konsens zwischen Beges und Contact-Netz zu einem späteren Zeitpunkt vereinbart werden können. "Der Kanton zahlt zurzeit rund 20 Millionen Franken an die Suchthilfe", sagt Sabine Schläppi, Abteilungsleiterin Gesundheitsförderung und Sucht in der GEF. Der Beges stehen rund neun Millionen Franken und Contact-Netz rund elf Millionen Franken zur Verfügung. Im Contact-Netz gehen 3,5 Millionen in die ambulante Beratung und 7,6 Millionen in die Schadensminderung. Im Beges sind es 5,3 Millionen für die ambulante Beratung, 2,7 Millionen für die Gesundheitsförderung und Prävention sowie 0,5 Millionen für die Sexualpädagogik. Ob es zu Umverteilungen der Mittel komme, werde sich erst zeigen.

 Vieles bleibt trotzdem gleich

 Trotz der Gründung des Dachverbands bleibt vieles gleich. Beges engagiert sich weiterhin in der Prävention, der ambulanten Beratung und Therapie. Contact-Netz ist vor allem in der Schadensminderung sowie in Beratung und Therapie für Jugendliche tätig. Die Schnittstelle betrifft die ambulante Beratung und Therapie sowie den Mischkonsum. Hier sollen gemeinsame Angebote realisiert werden.

 Eine wichtige Neuerung ist die Aufhebung der Trennung in legale (Alkohol, Tabak, Medikamente) und illegale Suchtmittel (Cannabis, Heroin, Kokain). Bisher hat sich Beges im Bereich legale Suchtmittel und Contact-Netz verstärkt im Bereich illegale Drogen engagiert. "Aus fachlicher Sicht ist diese Trennung überholt", sagt Perrenoud. Damit einher geht die Neuverteilung von Zielgruppen. Die Beges legt den Fokus in der ambulanten Beratung und Therapie künftig auf Erwachsene, während sich das Contact-Netz in der ambulanten Beratung und Therapie an Jugendliche richtet. Die Beratung von Drop-outs und Randständigen bleibt in der Zuständigkeit des Contact-Netzes.

 In der konkreten Umsetzung beginne die Arbeit erst richtig und hänge auch mit der Suchthilfestrategie des Kantons zusammen, sagt Studer. Darüber, dass die operative Zusammenführung ein langsamer Prozess der Annäherung werde, sind sich Studer und Jakob Huber, Geschäftsleiter Contact-Netz, einig. "Wir haben zwei ganz verschiedene Kulturen", sagt Huber, und Studer: "Es gibt einfach den legalen und den illegalen Bereich." Trotzdem erhoffen sich beide eine Optimierung der verschiedenen Angebote.

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 Angebote der Suchthilfe

 Rechtlicher Rahmen

 Den Rahmen für die Suchthilfe bildet das Modell der Eidgenössischen Kommission für Drogenfragen. Es umfasst alle legalen und illegalen Suchtmittel und stützt sich auf die "vier Säulen" Prävention und Gesundheitsförderung, Therapie, Schadensminderung und Repression. Das Modell differenziert zwischen risikoarmem Konsum, problematischem Konsum und Abhängigkeit. In diesem Rahmen agiert auch der Dachverband DGS. Das Ko-Präsidium wird durch Contact-Netz-Präsidentin Therese Frösch und Beges-Präsident Ueli Studer gestellt. Die Ko-Geschäftsleitung teilen sich Jakob Huber, Geschäftsleiter von Contact-Netz, sowie Bruno Erni, Geschäftsführer von Beges. (reh)

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KOKAIN
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Basler Zeitung 26.2.10

Massive Kritik am Regime von Hugo Chávez

Venezuela als Drehscheibe im Drogenschmuggel

Ulrich Achermann, Santiago de Chile

 Eine Menschenrechtskommission und die UNO-Drogenbehörde stellen Venezuela schlechte Noten aus.

 Die linksgerichtete Regierung von Präsident Hugo Chávez höhle Demokratie und Rechtsstaat aus, dazu unternehme sie zu wenig gegen den Drogenschmuggel. So lauten die von internationalen Gremien erhobenen Vorwürfe.

 Die interamerikanische Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zeigte sich "alarmiert" über den fortschreitenden Zerfall der Rechtsstaatlichkeit. Chávez verweigerte ihr den Zutritt auf venezolanisches Territorium, obschon das Land Vollmitglied der OAS ist. Bereits zum zweiten Mal kritisiert die Kommission, Polizei und Sicherheitsorgane hätten "aussergerichtliche Hinrichtungen" zu verantworten.

Forderungskatalog

Viele Verfassungsgarantien seien ausgehöhlt, heisst es weiter. Menschenrechtler und Journalisten könnten ihrer Arbeit nicht ungehindert nachgehen, demonstrierende Regimegegner würden eingeschüchtert, geschlagen und bisweilen verfolgt. Schlecht stehe es auch um die Medienfreiheit, nachdem die Regierung letztes Jahr 34 Radiostationen die Sendeerlaubnis entzogen habe.

 Die Kommission fordert von der Regierung in Caracas Massnahmen, damit der Schutz der Rechte und Freiheiten verbessert werde. Auch müssten die Gewaltentrennung und die Unabhängigkeit der Justiz respektiert werden. Gute Noten bekam Chávez einzig für seine Sozialpolitik. In der Armutsbekämpfung, Alphabetisierung und Gesundheitsfürsorge gebe es Fortschritte.

Schmuggelroute

Auch wegen fehlender Zusammenarbeit gegen den Drogenschmuggel steht Venezuela am Pranger. Die UNO-Drogenbehörde stellt fest, dass etwa die Hälfte des in Westeuropa gehandelten Kokains kolumbianischen Ursprungs ist, aber über Venezuela an den Bestimmungsort gelangt. Banden hätten seit 2007 über Venezuela eine Versorgungsroute für Europa aufgebaut, die über Zentral- und Westafrika führe. Die Chávez-Regierung hat die internationale Kritik zurückgewiesen.

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POLICE CH VS GWK
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BZ 26.2.10

"Grenzwache abschaffen"

 Doppelspurigkeiten zwischen Grenzwache und Polizei sorgten für unsinnige Kosten, sagt der Berner Polizeikommandant.

 Stefan Blättler, Kommandant der Kantonspolizei Bern, braucht im Interview mit dieser Zeitung deutliche Worte: Das Grenzwachtkorps habe seinen grenzpolizeilichen Auftrag seit Inkrafttreten des Schengen-Abkommens weitgehend verloren. Denn die Schweiz habe sich damit verpflichtet, grenzpolizeiliche Aufgaben nicht mehr an der Grenze, sondern im Landesinnern durchzuführen. Denselben Auftrag haben laut Blättler dort aber auch die Kantonspolizeien. Das führe zu unsinnigen und sehr kostspieligen Doppelspurigkeiten, sagt Blättler. Der Grenzwachtkommandant versuche zudem, seinen Leuten neue Aufträge zu verschaffen, welche aber eigentlich Polizeiaufgaben seien.

 Um solche Doppelspurigkeiten zu beseitigen, plädiert Stefan Blättler für die Zerschlagung des Schweizerischen Grenzwachtkorps. Die Grenzwächter und der Grenzwachtauftrag könnte man auf die Kantonspolizeikorps verteilen.
 ma

 Seite 3

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Berner Polizeikommandant Stefan Blättler

 "Die Grenzwache abschaffen"

 Der Polizeikommandant des Kantons Bern redet Klartext: Stefan Blättler fände es gut, die Grenzwache abzuschaffen. Seit Schengen übernehme die Grenzwache Arbeit, die die Polizei auch verrichte. Das sei unsinnig und teuer.

 Herr Blätter, sollte man das Grenzwachtkorps auflösen?

 Stefan Blättler: Ich begrüsse, dass diese Diskussion jetzt auch öffentlich geführt wird. Man kann sich zu Recht fragen, ob es noch sinnvoll ist, ein nationales Grenzwachtkorps zu führen. Den Vorschlag, die Grenzwache abzuschaffen und die Grenzwächter auf die Kantonspolizeien zu verteilen, finde ich nicht abwegig. Man müsste den Grenzwachtauftrag den Kantonspolizeien übertragen. Ob man das will, ist allerdings eine Frage, welche die Politik beantworten muss.

 Warum würde die Auflösung des Grenzwachtkorps Sinn machen?

 Seit gut einem Jahr ist das Schengen-Abkommen in Kraft. Die Hauptarbeit der Grenzwächter ist nicht mehr direkt an der Grenze zu verrichten, sondern im rückwärtigen Raum. Das führte zu unsinnigen und kostspieligen Doppelspurigkeiten.

 Wo gibt es Doppelspurigkeiten?

 Die Grenzwache hat immer mehr ureigene Aufgaben der Polizei übernommen. Sie führt Observationen durch. Das heisst, sie beschattet verdächtige Personen in der ganzen Schweiz. Zudem macht die Grenzwacht auch Ordnungsdienst. Sie spezialisiert sich in der Identifikation von Personen, was eindeutig eine kriminalistische Tätigkeit ist. In einigen Kantonen rücken Grenzwächter zusammen mit Polizisten sogar bei Einbrüchen und häuslicher Gewalt aus.

 Warum tut die Grenzwache das, und warum in Binnenkantonen?

 Das hat mehrere Gründe. Einige Kantone sind natürlich sehr froh darüber, dass sie Unterstützung von der Grenzwache bekommen, weil ihre Polizei selber knapp dotiert ist.

 Versucht der Grenzwachtkommandant nicht einfach, seinem Korps attraktive Arbeit zuzuschanzen?

 Das ist ein weiterer Grund. Der Grenzwachtkommandant versucht natürlich, seinen Leuten abwechslungsreichere Arbeit zu verschaffen. Es gibt für die Grenzwache sicher Interessanteres, als an der Grenze zu stehen, um die Leute zu fragen, ob sie zu viel Schnaps mitführen.

 Etliche Polizeichefs behaupten, dass die Grenzwache seit Schengen ihre grenzpolizeilichen Aufgaben weitgehend verloren habe. Trifft das zu?

 Nach wie vor hat die Grenzwache den Zollauftrag. Salopp gesagt, heisst das: Sie muss Schmuggel verhindern. Dazu kommt, dass sie in verschiedenen Grenzkantonen in ganz unterschiedlichem Mass zusätzliche Aufgaben übernommen hat. Es stimmt aber, dass die Grenzwache seit Schengen ihren grenzpolizeilichen Auftrag weitgehend verloren hat.

 Inwiefern?

 Die Schweiz hat sich mit dem Schengen-Abkommen verpflichtet, grenzpolizeiliche Kontrollen nicht mehr an der Grenze, sondern im sogenannten gestaffelten Raum durchzuführen - das heisst im Landesinnern. Das Problem: Denselben Auftrag haben auch die Kantonspolizeien.

 Und das führt zu Konflikten zwischen Polizei und Grenzwache?

 Es geht nicht in erster Linie um Konflikte im operativen Bereich. Natürlich gibt es ab und zu Auseinandersetzungen zwischen Grenzwächtern und Polizisten. Das Hauptproblem ist aber, dass seit Schengen plötzlich zwei Sicherheitsorganisationen auf demselben Gebiet operieren, ohne dass geregelt ist, wer was zu tun hat.

 Zurzeit heisst es in vielen Kantonen, dass den Polizeikorps Mittel und Personal fehlen. Müssten Sie nicht um jede Arbeit froh sein, die Ihnen die Grenzwächter abnehmen?

 Das Problem sind nicht die Mittel und das Personal an sich, sondern wem die Geldmittel und wem das Personal zugeteilt ist. Das muss geklärt werden, sonst verpuffen wegen Doppelspurigkeiten unter dem Strich viele Steuergelder.

 Ist für Sie die Verteilung der Grenzwächter auf die Kantonspolizeien die einzige sinnvolle Lösung?

 Nein, keineswegs. Von mir aus gesehen gibt es grundsätzlich zwei mögliche Wege. Entweder zerschlägt man wie gesagt das Grenzwachtkorps und überträgt den nach Schengen verbleibenden Grenzwachtauftrag den Kantonen.

 Die zweite Möglichkeit?

 Sie besteht darin, dass man dazu steht, dass die Grenzwache eigentlich keine Grenzwache mehr ist, sondern eine nationale Sicherheitsorganisation, eine Art Bundespolizei mit präzise abgegrenztem Auftrag. Dafür braucht es aber eine gesetzliche Grundlage. Und damit ist diese Frage eine politische Frage.
 
Interview: Mischa Aebi

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 Grenzwache

 Kontrollen ohne Erlaubnis

 Mehrere kantonale Polizeikommandanten und Polizeidirektoren können dem Beschaffungsdrang der Grenzwächter wenig Gutes abgewinnen (siehe gestrige Ausgabe). Seit Schengen übernehmen die Grenzwächter dankbar allerlei Polizeiaufgaben. Manchmal sogar ohne Befugnis. Beispiel: Im Kanton St.Gallen hatten Grenzwächter vergangenes Jahr auf einem Autobahnabschnitt entgegen der offiziellen Vereinbarung mit dem Kanton Verkehrskontrollen durchgeführt. Das sorgte für Auseinandersetzungen mit der Polizei.

 Viele Polizeichefs äussern ihre Kritik bis jetzt vor allem in Hintergrundgesprächen. In der Öffentlichkeit zogen sie bis jetzt diplomatische Worte vor. Insbesondere die St.Galler Polizeidirektorin Karin Keller Sutter plädierte aber auch öffentlich für die Zerschlagung des Grenzwachtkorps.
 ma

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NOTHILFE
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St. Galler Tagblatt 26.2.10

Nothilfe-Debatte neu lanciert

 Trotz Sozialhilfestop und Nothilfe bleiben immer mehr Personen mit Nichteintretensentscheid (NEE) in der Schweiz, auch in St. Gallen. Für das Solidaritätsnetz Ostschweiz ist die Nothilfe-Strategie gescheitert, für den Kanton hat sie sich bewährt.

Daniel Klingenberg

St. Gallen. Vor zwei Wochen lud das kantonale Justiz- und Polizeidepartement zur Medienorientierung. Dabei wurde eine integrations- und asylpolitische Bilanz samt Massnahmen und Zahlen präsentiert (Tagblatt vom 12. Februar). Nachzulesen ist sie auch im Internet unter dem Titel "Erfolgreiche Umsetzung der Neuerungen im Ausländer- und Asylwesen".

 Verdoppelung in der Stadt

 Zu dieser Erfolgsmeldung gehört allerdings auch eine Problematik: Die Zahl der Nothilfebezüger - Personen mit Nichteintretensentscheid (NEE) und abgewiesene Asylbewerber - ist im vergangenen Jahr schweizweit deutlich gestiegen. Dies bestätigt Marie Avet, Pressesprecherin des Bundesamtes für Migration (BFM). Hauptgrund ist der Anstieg der Zahl der Asylsuchenden seit Mitte 2008. Die Zunahme ist auch im Kanton St. Gallen laut dem Ausländeramt massiv. Rund 200 Personen bezogen 2009 Nothilfe, ein Viertel von ihnen in der Stadt St. Gallen. Die Fallzahl hat sich hier innerhalb eines Jahres verdoppelt (Tagblatt vom 22. Februar).

 Ein nicht bezifferbarer Anteil dieser Personen rutscht dabei nach BFM-Angaben in die Langzeit-Nothilfe. Diese Menschen leben seit zwei Jahren von acht Franken pro Tag, haben eine Übernachtungsmöglichkeit und im Bedarfsfall medizinische Versorgung. Unter ihnen sind nach Auskunft des Solidaritätsnetzes Ostschweiz auch Familien, deren Kinder in städtischen Schulen den Unterricht besuchen.

Nothilfe-Erfolg wird untersucht

 Das aber bedeutet: Statt auszureisen (wie sie rechtlich verpflichtet wären), schlagen sich immer mehr Nothilfeempfänger irgendwie durch - und bleiben im Land. Genau das gegenteilige Ziel wollte man aber mit der Nothilfe-Strategie erreichen. Seit April 2004 gilt für NEE-Personen und seit Januar 2008 für abgewiesene Asylbewerber ein Sozialhilfestop. Sie erhalten nur noch Nothilfe. Der Aufenthalt hier soll damit so unattraktiv werden, dass sich ihre Ausreise beschleunigt.

 Nun hat das BFM im Auftrag von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf einen Fachausschuss eingesetzt, der untersucht, ob "das Ziel der freiwilligen Ausreise" erreicht wird. Offensichtlich tauchen Zweifel über den Erfolg der Nothilfe-Strategie auf. Geliefert werden sollen auch Zahlen, wie viele Personen wie lange in der Nothilfe bleiben und was die Gründe dafür sind. Der Ausschuss setzt sich aus Bundes- und Kantonsvertretern zusammen und soll bis im Frühling einen Bericht abliefern.

 Keller-Sutter: "Unbefriedigend"

 Die Vorsteherin des Sicherheits- und Justizdepartements, Karin Keller-Sutter, bestätigte gestern auf Anfrage, dass im Bereich der freiwilligen Ausreise von NEE-Personen eine "unbefriedigende" Situation vorliege und ein "Nebeneffekt" auftrete. Bevor man aber Massnahmen ergreife, seien die Resultate der BFM-Untersuchung abzuwarten. Trotz dem Anstieg der Nothilfefälle hält Karin Keller-Sutter daran fest, dass sich Nothilfe und Sozialhilfestop "vom Grundsatz her bewährt" hätten und man keine Alternative habe.

 FDP-Ständerätin dabei

 Anders sieht dies Andreas Nufer vom Solidaritätsnetz Ostschweiz. Die Nothilfe sei vom Konzept her für eine kurze Aufenthaltsdauer ausgelegt. Eine Langzeit-Nothilfe sei nicht die "Idee des Instruments". Lasse man jemanden längere Zeit in der Nothilfe, werde er in die Vereinsamung und Verarmung getrieben. So entstehe eine Schicht sozial geächteter Personen. Für ihn ist die Nothilfe als "Abschreckungspolitik" des Bundes gescheitert.

 Das Solidaritätsnetz will daher voraussichtlich im April in einer grossen Veranstaltung in St. Gallen auf dieses Thema aufmerksam machen. Mit dabei ist auch FDP-Ständerätin Erika Forster. Was zeigt, dass die Sache auch für bürgerliche Politiker und nicht nur für das eher linkspolitisch orientierte Solinetz ein Thema ist.

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 KOMMENTAR

 Fragen stellen reicht nicht

 Der Kanton St. Gallen setzt sich gerne als asylpolitischer Musterschüler in Szene. So geschehen an einer Pressekonferenz Anfang Februar: Bei den Integrationsvereinbarungen sieht man sich schweizweit als Spitzenreiter.

 Das Thema der Stunde im Asylbereich setzt aber das Solidaritätsnetz Ostschweiz auf die Agenda. Die Zahl der Nothilfe-Empfänger ist in den letzten eineinhalb Jahren massiv gestiegen. Das Solinetz stellt die Frage, die man aufgrund dieses Sachverhalts stellen muss: Funktioniert die Nothilfe-Strategie des Bundes wirklich? Statt auszureisen, schlagen sich Nothilfe-Bezüger wie abgewiesene Asylbewerber und Personen mit Nichteintretensentscheid (NEE) offensichtlich lieber mit acht Franken pro Tag durch. In der Stadt St. Gallen verdoppelte sich ihre Zahl innerhalb eines Jahres von 27 auf 54, darunter Familien mit Schulkindern.

 Es gibt dabei aber keine einfache Wahrheit. Solinetz und Ausländeramt haben mit derselben Klientel zu tun. Während die einen von deren "renitenter Haltung" sprechen, sehen die anderen eine Schicht geächteter Personen entstehen. Bei Verlautbarungen klingt gegenseitige Kritik an.

 Letztlich sitzen aber Kanton und Gemeinden sowie Solidaritätsnetz im selben Boot. Sie sehen sich vor Entscheide des Bundes gestellt, "vollziehen" diese oder setzen sich für eine "humane Migrationspolitik" ein. An der geplanten Tagung im April kann es daher nicht darum gehen, dass nur über die Sache geredet wird. Soll etwas bewegt werden, müssen Solinetz und Politik miteinander reden. Daniel Klingenberg

 d.klingenberg@tagblatt.ch

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FRONTEX-WATCH
http://frontex.antira.info
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Radio LoRa München 25.2.10

FRONTEX darf noch mehr

Die EU-Grenzschutzagentur bekommt größere Befugnisse, mehr Kriegsgerät und eine "Schulung" in Menschenrechtsfragen. Zudem dürfen sie möglicherweise bald IN noch mehr Staaten außerhalb der EU "präventiv" operieren.
http://www.freie-radios.net/mp3/20100225-frontexdarf-32385.mp3

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frontex.antira.info 11.1.08
http://frontex.antira.info/2008/01/11/frontex-broschuere/

Frontex-Broschüre

Mittlerweile ist zu Frontex eine 52-seitige Broschüre erschienen, die entweder als pdf huntergeladen oder auch gegen Porto bestellt werden kann. Inhalt:

* Der Kontext der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen - FRONTEX
* "Die Guten ins Kröpfchen, die Schlechten ins Töpfchen", Interview in: Der Standard.at, 16.11.2007
* Struktur und Aufgaben der FRONTEX-Agentur
* FRONTEX und die Europäischen Außengrenzen
* FRONTEX - Die Vernetzungsmaschine an den Randzonen des Rechtes und der Staaten
* Gutachten: Die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX
* Die Folgen der Abschottung auf See - das Mittelmeer
* Flüchtlingsrechte gelten auch auf hoher See!
* Stichworte: Seerecht / Vernetzte Sicherheit / Deutsche Rolle
* Glossar
http://frontex.antira.info/wp-content/uploads/2008/01/frontex-broschuere.pdf

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http://frontex.antira.info/frontex

Was ist Frontex

Frontex ist die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen. Grundlage ihrer Arbeit ist die Verordnung (EG) 2007/2004 des Rates der Europäischen Union. Am 26. Oktober 2004 verabschiedet der Rat der Europäischen Union besagte Verordnung zur Schaffung der Agentur Frontex. Ihre Hauptaufgabe, so sieht es die Verordnung vor, sollte in der Verbesserung der Koordinierung der operativen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich des Schutzes der Außengrenze der Mitgliedstaaten liegen. Gleichzeitig wird aber auch die Unterstützung der Mitgliedsstaaten in ihrer hoheitlichen Aufgabe der Grenzsicherung sowie der Abschiebung von nicht aufenthaltsberechtigten Ausländern hervorgehoben. Weiter werden der Agentur spezifischere Aufgaben gestellt. Im Mai 2005 nahm Frontex seine Arbeit auf, im September 2007 wurde das Hauptquartier in Warschau, Polen bezogen. Seitdem ist Frontex schnell gewachsen und arbeitet auf den verschiedensten Feldern einer Praxis der Flüchtlingsabwehr und der Sicherung von Grenzen. Die Mitarbeiterzahl ist von 44 (2005), 72 (2006) auf mittlerweile 87 (2007) gestiegen, Ende 2007 sollen es sogar 140 MitarbeiterInnen sein. 2005 verfügte die Agentur über 6,2 Millionen Euro, 2006 über 19,2 Millionen Euro und 2007 über insgesamt 35 Millionen Euro. Für 2008 wird das Budget auf 70 Mio Euro verdoppelt. Der Haushalt der Agentur setzt sich aus Zuschüssen der EU, Beiträgen der Schengen-Staaten sowie aus Gebühren für Dienstleistungen und freiwilligen Beiträgen zusammen.

Für die von deutscher Seite zu Frontex entsandten nationalen Experten werden die inländischen Dienstbezüge von deutscher Seite weiter gezahlt. Frontex finanziert die einsatzbedingten Mehrkosten für Einsatzkräfte und Sachmittel im Rahmen gemeinsamer Operationen bis zu einer Höhe von 80%. Dem Haushalt der EU und damit auch den Zuschüssen für Frontex muss das Europäische Parlament zustimmen. Hierauf beschränkt sich die parlamentarische Kontrolle der Agentur.

Oberstes Gremium von Frontex ist der Verwaltungsrat. Er setzt sich aus zwei Vertretern der EU- Kommission und jeweils einem Vertreter der EU-Mitgliedstaaten sowie der Schengen-assoziierten Länder Island und Norwegen (mit eingeschränktem Stimmrecht ebenso wie die den Schengen-Besitzstand bisher nicht voll anwendenden Mitgliedstaaten Großbritannien und Irland) zusammen. Rumänien und Bulgarien sowie die Schweiz, die Schengen noch nicht voll beigetreten sind, nehmen mit Beobachterstatus an den Sitzungen des Verwaltungsrates teil. Der Verwaltungsrat ernennt auf Empfehlung der Kommission den Exekutivdirektor und seinen Stellvertreter. Zu seinen Aufgaben zählt ferner die Festlegung des Arbeitsprogramms, welches der Exekutivdirektor vorschlägt, sowie Entscheidungen über Budget und Personal. Bei den Vertretern der Mitgliedstaaten handelt es sich meist um die höchsten Beamten der nationalen Grenzpolizeien.

Der Exekutivdirektor und sein Stellvertreter sind bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben hochgradig unabhängig. Sie dürfen Weisungen von Regierungen oder sonstigen Stelle weder anfordern noch entgegennehmen. Dem Exekutivdirektor obliegt die Dienstaufsicht und Disziplinargewalt über die Mitarbeiter von Frontex. Seit der konstituierenden Sitzung des Verwaltungsrats am 25. Mai 2005 in Warschau ist der Finne Brigadiergeneral Ilkka Laitinen, zuvor Direktor des Risk Analysis Centre (RAC) in Helsinki, Exekutivdirektor. Als Stellvertreter fungiert der Spanier Gil Arias. Beide haben eine Amtszeit von fünf Jahren und können einmal auf drei Jahre wieder gewählt werden.

Risikoanalyse: Das Wissen über das Feld

Frontex ist beauftragt, ein gemeinsames integriertes Risikoanalysemodell (CIRAM - Common Integrated Risk Analysis Model) zu erstellen. Ziel soll es sein, die EU sowie die Mitgliedsstaaten mit ausreichenden Informationen zu versehen, damit diese auf Situationen vermehrter irregulärer Einwanderung reagieren und diese verhindern können. Diese Aufgabe ist keine neue, zu diesem Zwecke existierte das Risk Analysis Center (RAC) mit Sitz in Helsinki, welches in Frontex aufgegangen ist. Da sich Frontex auch als Agentur an der Schnittstelle von Grenzpolizei und Geheimdiensten sieht, werden diese Informationen nicht veröffentlicht, sondern nur an die Grenzbehörden der Mitgliedsstaaten und Institutionen wie etwa Europol übermittelt.

2005 begann Frontex, eine allgemeine jährliche Risikoanalyse mit dem Anspruch, die gesamte Außengrenze der EU abzudecken, zu erarbeiten und zu evaluieren. Desweiteren erarbeitete Frontex spezifische Risikoanalysen für bestimmte Gebiete oder Transitländer der Migration nach Europa, 2005 etwa eine Länderstudie zu Libyen. Für 2006 und 2007 hatte sich Frontex das Ziel gesetzt, vier Länderstudien zu erstellen. Desweiteren werden diverse öffentliche und nichtöffentliche Bulletins publiziert.

Im Jahresbericht 2006 werden ein paar Andeutungen gemacht, welche Erkenntnisse das CIRAM gebracht haben könnte. Frontex führt an, dass die Landgrenzen zwischen der Slowakei und der Ukraine, Slowenien und Kroatien, Griechenland und Albanien, Griechenland und der Türkei und der österreichische Teil der Außengrenze Orte der vermehrten Migration nach Europa sind, verbunden mit erhöhten Aufgriffen von irregulären MigrantInnen. Hinzu kommen Ceuta und Melilla, die Kanarischen Inseln, Sizilien, Lampedusa, und Großbritannien. Außerdem werden mehrere internationale Flughäfen aufgezählt. Alles in allem Erkenntnisse, die wenig überraschen.

Nach der Selbsteinschätzung von Frontex ist das CIRAM die Grundlage aller operativen Einsätze. Dahingehend verfolgt Frontex das Ziel, Risikoanalyse und Einsatzplanung noch gezielter zu verknüpfen und möglichst aktuell an Frontex-Operationen, aber auch an die Mitgliedsstaaten weiterzugeben. Mittel ist der Aufbau des so genannten ICOnet, einem Informations- und Kommunikationsnetzwerk, in dem möglichst in Echtzeit Daten über die Lage an der Grenze abgerufen und eingespeist werden sollen. Spätestens 2008 will Frontex das BorderTechNet in Betrieb nehmen, welches die Möglichkeiten des ICOnet erweitern soll.

Zur Erstellung der Risikoanalyse unterhält Frontex eine Risk Analysis Unit mit 12 Mitgliedern sowie das Risk Analysis Network, in welchem mit Experten der Mitgliedsstaaten zusammengearbeitet wird. Aus Deutschland sind dies Experten der Bundespolizeidirektion.

Gemeinsame Operationen: Von der Theorie zur Praxis

Größeren Bekanntheitsgrad erlangte Frontex im Zusammenhang mit den Operationen Hera und Nautilus im Jahr 2006. Angesichts des öffentlichen Bewusstseins über die Ankunft, aber auch das Sterben vieler MigrantInnen, die sich mit Booten Richtung Lampedusa und Malta sowie zu den Kanarischen Inseln bewegten, inszenierte sich Frontex als paramilitärische Truppe, die mit Kriegsschiffen, Hubschraubern und Flugzeugen gegen die Flüchtlingsflut stellt und den überforderten Mitgliedsstaaten Solidarität zukommen lässt. Dieses öffentliche, wohl auch teilweise bewusst inszenierte Bild ist allerdings keineswegs repräsentativ für die Operationen, die Frontex durchführt. Um zu einem Verständnis über die Arbeitsweise Frontex' zu gelangen, muss sich noch einmal die spezifische Regierungsart der EU und die Aufgabe Frontex' darin vor Augen gerufen werden.

Die EU ist kein neu entstehender Nationalstaat klassischer Prägung und vielleicht unterscheidet sie sich auch ganz entschieden von einem Nationalstaat. Dennoch benötigt sie Institutionen wie etwa Grenzschutzbehörden. Dies ist vor allem den nationalen Mitgliedsstaaten geschuldet. Daher wird Frontex nicht neu geschaffen, sondern im Rahmen eines so genannten best practice Verfahrens quasi aus den existierenden Behörden der Mitgliedsstaaten und ihren Praktiken synthetisiert, ein Prozess, der normalerweise unter dem Stichwort Harmonisierung läuft. Dies beinhaltet meistens zum einen ein Operieren auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, der Schaffung von nationalen Schnittstellen und einer zunehmenden Zentralisierung. Vor diesem Hintergrund ist der Auftrag Frontex', die nationalen Grenzschutzmaßnahmen zu koordinieren, zu verstehen.

Eine erste Maßnahme Frontex war die Einrichtung dieser Schnittstelle zu den nationalen Grenzschutzbehörden. In jedem Mitgliedsstaat wurde ein National Frontex Point of Contact (NFPOC) eingerichtet. Die Kommunikation erfolgt ausschließlich über diesen Verbindungsoffizier und zwar über ein verschlüsseltes Mail-Service. Außerdem bemüht sich Frontex um Verbindungen zu den Grenzschutzbehörden in verschiedenen Drittstaaten.

Für Operationen stützt sich Frontex neben der Zentrale in Warschau auf so genannte FJST (Frontex Joint Support Teams), Teams aus einem Pool von Experten der nationalen Grenzschutzbehörden. Aufgrund der Prognosen des CIRAM werden diese in gemeinsamen Operationen mit den Mitgliedsstaaten eingesetzt. Die Mitglieder eines FJST sind Frontex unterstellt, gemeinsame Einsätze werden von den Mitgliedsstaaten befehligt. Die FJSTs werden außerdem an der Vorbereitung von operationellen Einsätzen, Pilotprogrammen wie auch Ausbildungsmaßnahme beteiligt und bilden daher das personelle Rückgrat der Grenzschutzabteilung von Frontex. Zur Zeit (2007) scheint Frontex insgesamt 14 FJST zu unterhalten, wobei sechs Landgrenzen-FJST an der europäischen Ostgrenze stationiert sind, sieben Seegrenzen-FJST im Nordmeer, Atlantik, Schwarzen Meer und Mittelmeer operieren und ein Luftgrenzen-FJST im deutsch-österreichisch-tschechischen Grenzgebiet angesiedelt ist.

2005 führte Frontex nur zwei gemeinsame Operationen aus, und es kann davon ausgegangen werden, dass diese lediglich Pilotprojekte waren, um die Möglichkeiten einer Koordinierung auszuloten. Generell ist die Sprache Frontex' durchsetzt von Begriffen wie etwa Pilotprojekt, best practice Verfahren und Evaluierung, die immer als Hinweis auf eine Harmonisierung und Vereinheitlichung von Grenzschutzpraktiken zu lesen sind. Dahinter ist zu sehen, dass sich Frontex' auf einem Feld, auf dem es schon viele Spieler gibt, zurechtfinden und gegen die nationalen und behördlichen Eitelkeiten der anderen durchsetzen muss. Anfangs wurde schon die Entsendung von Frontex-Beobachtern als Gemeinsame Operation ausgegeben und die Arbeitsberichte der ersten Jahren sprechen davon, dass Frontexmitarbeiter auf vielen Kongressen waren, um die Agentur bekannt zu machen.

2006 hat Frontex insgesamt 15 gemeinsame Operationen durchgeführt, die auf die Land-, See- und Luftgrenzen der Mitgliedsstaaten verteilt waren. Damit blieb Frontex hinter seinem eigenen Plan (16-26 Operationen 2006) zurück. Die bekanntesten Operationen waren sicherlich die verschiedenen Etappen von Hera (Abschottung der Kanarischen Inseln) und Nautilus (Abschottung von Malta), die auch bis 2007 fortdauerten, es fanden aber auch Einsätze an Flughäfen statt (bspw. Amazon), kombinierte Land- und Seegrenzeneinsätze (bspw. Poseidon) und Kontrollen zu internationalen Großereignissen (Turin und FIFA2006). Besonders entlang der Ost- und Südostgrenze der EU ist Frontex vielfache Kooperationen mit Grenzstaaten auf beiden Seiten eingegangen, und auch die Flughäfen sind im Fokus von Frontex. Für 2007 hat sich Frontex die Fortführung und Ausweitung dieser Operationen vorgenommen1.

RABITs, CRATE, Abschiebecharter: der Weg zur Grenzschutzagentur

Schon die ursprüngliche Frontex-Verordnung sah vor, einen zentralisierten Katalog von Grenzschutzmaterialien bereitzuhalten (CRATE - Centralised Records of Available Technical Equipment for control and surveillance of external borders). Diese Materialien sollen den Mitgliedsstaaten über das ICOnet bereitgestellt werden. Die Verordnung (EG) 863/2007 des Rates der Europäischen Union vom 11. Juli 2007 ergänzt die ursprüngliche Frontex-VO um das Element der so genannten RABITs (Rapid Border Intervention Team), also ein Pool von Grenzschutzpersonal, die in Krisensituationen eingesetzt werden können. Mit dieser Verordnung findet eine wichtige Verschiebung der Ausrichtung von Frontex statt. Denn mit dem Aufbau der RABITs befindet sich Frontex zum ersten Mal auf dem Weg, eine eigenständige Grenzschutzbehörde mit eigenen Truppen und Ausrüstung zu werden, ein Ziel, das schon lange vor der Einrichtung von Frontex gefordert wurde und das auch der derzeitige leitende Direktor von Frontex, Ilkka Laitinen, etwa auf der Herbsttagung des BKA 2006 bekräftigt hat. Noch ist es allerdings nicht so weit, denn weiterhin liegt die dauernde Verantwortung für die Sicherung der Grenze bei den Mitgliedsstaaten. RABIT-Personal sowie CRATE-Material ist auch weiterhin von den Mitgliedsstaaten finanziert und wird von Frontex lediglich verwaltet und in Situation, in denen Mitgliedsstaaten die Unterstützung von Frontex anfordern, eingesetzt. Dennoch bewegt sich Frontex damit von einer Agentur, die Beobachter zu Einsätzen schickt und dies als gemeinsame Operation ausgibt hin zur Koordinierung, Planung und Ausführung von gesamten Einsätzen unter Frontex-Kommando.

Im September 2007 hatte Frontex offiziell 572 Einsatzkräfte für RABITs verfügbar. Das CRATE umfasste nach eigenen Aussagen 115 Schiffe, 27 Hubschrauber, 21 Flugzeuge, 3 mobile Radareinheiten, 23 Fahrzeuge sowie weiteres Material. Dennoch klagte Ilkka Laitinen im Sommer 2007 angesichts der scheiternden Nautilus II Mission, dass diese Posten nur auf dem Papier existierten, in Wahrheit aber gar nicht abgerufen werden könnten. Angesichts des ausdrücklichen Willens der EU, Frontex zu einer einsatzfähigen Agentur zu machen, scheint es nur eine Frage der Zeit bis Frontex den Mitgliedsstaaten ihr Material abringen wird. Die RABITs sind zur Zeit noch nicht einsetzbar. Im November 2007 fand eine erste Übung eines RABITs in Porto, Portugal statt.

In dieser Hinsicht mausert sich Frontex rapide zu einer Grenzschutzagentur, die ihre eigenständige Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen will. Dies mag, neben einem eigenen Ego, auch mit einer ausstehenden Evaluation Frontex' durch die EU zusammenhängen, die über die weitere Entwicklung von Frontex entscheiden wird. Außerdem steht mit dem EU-Programm Solidarität und Steuerung der Migrationsströme 2007 - 2013 die Realisierung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an, in dessen Rahmen insgesamt 5.866 Mio Euro verteilt werden. Dass Programm umfasst Fonds für Flüchtlingsschutz, Integration, Rückkehr und Schutz der Außengrenzen. Zumindest bei den letzten beiden Töpfen will Frontex sicherlich mitspielen, auch wenn das Programm immerhin schon 285,1 Mio Euro für Frontex vorsieht. Weitere 900 Mio Euro gehen in den Ausbau von IT-Großsystemen, was in diesem Kontext auf europaweite Datenbanken wie EuroDAC, SIS II und geplante Visadatenbanken verweisen kann sowie 62,3 Mio Euro für die Schaffung einer Europäischen Beobachtungsstelle für Wanderungsbewegungen.

Der Fonds Schutz der Außengrenzen wird über 2.152 Mio Euro verfügen und soll eine Verbesserung der Effizienz der Kontrollen an den Grenzen, Beschleunigung der Einreise autorisierter Personen, Erreichung einer einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedsstaaten und eine Verbesserung der Effizienz bei der Visumerteilung und der Durchführung von Vorfeldkontrollen bewirken.

Interessanter ist jedoch der Fonds Rückkehr, der über 759 Mio Euro verfügen wird. Er soll die Einführung eines integrierten Rückkehrmanagements, eine Intensivierung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und die Förderung einer effektiven und einheitlichen Anwendung gemeinsamer Rückkehrnormen bewirken, und dies sind Felder, auf denen Frontex schon aktiv ist.

Frontex hat im Jahresbericht 2006 angegeben, dass die Agentur an vier gemeinsamen Abschiebeoperationen teilgenommen hat und Standards für gemeinsame Abschiebeflüge erarbeitet. Zudem unterhält sie zwei Expertengruppen zu diesem Thema. Vorgesehen ist, eine virtuelle Abschiebeagentur über das ICOnet zu etablieren, in denen Mitgliedsstaaten quasi Plätze auf Abschiebeflügen buchen können. Für 2007 hat Frontex geplant, bis zu sechs gemeinsame Abschiebeflüge zu organisieren und in ebenso vielen mitzuwirken.

Pilotprojekte, Training, Forschung und Entwicklung: Wie Frontex die Grenzschutzpraxis ändert

Neben den bisher skizzierten Felder agiert Frontex auch auf weiteren Feldern, die die Praxis des Grenzregimes beeinflußen. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die Einrichtung des so genannten European Patrols Networks zum Schutz der südlichen Meeresgrenzen der EU. 2006 hat Frontex die Machbarkeitsstudie MEDSEA veröffentlicht, die eine Organisations- und Kommunikationsstruktur für eine gemeinsamen Überwachung der südlichen Meeresgrenzen vorschlägt. Daraus resultierte das European Patrols Network, in welchem zuerst sechs Zonen gemeinsamer Patroullienfahrten im Mittelmeer mit den Grenzschutzbehörden der angrenzenden Mitgliedsstaaten festgelegt und in einer zweiten Stufe durch Gemeinsame Operationen von Frontex ergänzt worden sind (Hera, Minerva, Nautilus, Hermes und Poseidon). Das European Patrols Network ist ein gutes Beispiel für die vernetzende Tätigkeit Frontex' in zwei Dimensionen, zum einen zwischen den Mitgliedsstaaten, aber auch zwischen den verschiedenen Institutionen der Mitgliedsstaaten (Grenzschutz, Polizei, Geheimdienste, Militär).

In weiteren Studien (Bortec, Borsec, Bsuav und Sobcah) erforschte Frontex in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Rüstungsunternehmen verschiedene Aspekte des Ausbaus von Grenzschutzmaßnahmen. Dabei hatte Bortec einen Fokus auf die Möglichkeiten einer Vernetzung aller nationalen Uberwachungstechnologien (Radar, Satelliten) zu einer lückenlosen Überwachung von Meeresgrenzen und ist Teil des EUROSUR (European Surveillance System). Borsec beschäftigt sich mit Biogrenzsicherungstechnologien (Biometrie, Identität), Sobcah mit den Überwachungsmöglichkeiten von Küsten und Häfen (Radar, Infrarot) und Bsuav mit dem Einsatz von Drohnen.

Im Zusammenspiel mit den RABITs bietet Frontex damit eine Komplettlösung (integrated border management im Frontexsprech) zum Grenzschutz. Frontex selber scheint zuversichtlich zu sein, mit dem Aufbau des European Patrols Networks und den genannten Überwachungstechnologien die Ankunft von MigrantInnen über das Mittelmeer und den Atlantik in den nächsten Jahren effektiv unterbinden zu können und plant, sich nun auf die Landgrenzen im Osten und Südosten der EU zu konzentrieren, wobei ähnliche Programme mit Forschung, Gemeinsamen Operationen und länderübergreifenden Grenzschutzunternehmungen zu erwarten sind.

Als ebenso wichtig stuft Frontex das Training von Grenzschutztruppen ein. Dabei wurde wieder in einem best practice Verfahren ein sogenanntes Common Core Curriculum geschaffen, das in Zusammenarbeit mit einem Netzwerk europäischer Grenzschutzpolizeischulen vermittelt und weiterentwickelt werden soll (European Training Day) und zu einer Vereinheitlichung europäischer Grenzschutzstandards führen wird. Ein erster Fokus lag auf der Erkennung von gefälschten Dokumenten, Standards für Abschiebemaßnahmen, Erkennung gestohlener Autos, Training für Hubschrauberpiloten und Sprachkurse. Langfristig will Frontex eine Europäische Grenzschutzschule einrichten. Aufbauend auf dem Common Core Curriculum entwickelt Frontex nun das Common Mid-Level Curriculum. Dabei hat 2007 schon ein erster European Mid-Level Course in Lübeck an der Bundespolizeiakademie stattgefunden, an dem 60 Border Guards aus 27 Staaten teilgenommen haben. 2008 sollen schon vier solcher Trainings stattfinden.

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RASSISMUS
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Tacheles 26.2.10

GRA-Glossar

 Von "Mauscheln" und "Mischlingen"

 Die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus hat ein Glossar auf ihrer Website aufgeschaltet, in dem Begriffe erklärt werden, die immer wieder — auch missverständlich — in Journalismus und Wissenschaft verwendet werden.

Valerie Wendenburg

 Die rund 80 Begriffe, die im Glossar auf der Website der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) zu finden sind, haben wohl alle Lesenden schon oft gehört — ihre genaue Herkunft und Verwendung ist aber vielfach unbekannt, Kurz, prägnant und doch umfassend werden auf der Site www.gra.ch Worte erklärt, deren Bedeutung sich zu wissen lohnt — nicht nur im Sinne der eigenen korrekten und adäquaten Ausdrucksweise, sondern auch im Wissen um den Kontext und die Geschichte, der manche der betreffenden Wörter entsprungen sind. So wird beispielsweise gerade in der aktuellen Debatte der Begriff Islamismus oftmals gebraucht, auch wenn über die genaue Bedeutung des Wortes teilweise Unklarheit herrscht. Journalisten, Lehrkräfte, Schüler, Studierende, Politiker und politisch Interessierte können nun neu im GRA-Glossar Herkunft und aktuelle Bedeutung von historisch belasteten oder vermeintlich belasteten Wörtern schnell und einfach abfragen.

 Prägnante Informationen

GRA-Geschäftsführer Michael Chiller-Glaus betont gegenüber tachles: "Das GRA-Glossar soll Journalisten und allen Interes -sierten als Unterstützung dienen. Es ist wichtig, dass die betreffenden Begriffe mit Sorgfalt und im richtigen Kontext verwendet werden." Daniel Suter, ehemals langjähriger Redaktor beim "Tages-Anzeiger" und mit journalistischem Schreiben daher vertraut, hat die meisten Beiträge zu den Begriffe in Zusammenarbeit mit der Historikerin Shelley Berlowitz verfasst. Suter ist seit einigen Jahren Vorstandsmitglied der Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz - in dieser Funktion wurde er von Ronnie Bernheim, den Präsident der GRA, angefragt, am Glossar zu arbeiten. Suter erklärt: "Wir haben im vergangenen November mit der Arbeit begonnen und seither jeder rund 40 Begriffe beschrieben." Ziel ist es, keinen Begriff ausführlicher als auf einer Din-A4-Seite zu erklären, da die Informationen prägnant sein sollen. Daher werde innerhalb der Erklärungen bewusst auch auf Fussnoten und meistens auch auf Quellenangaben verzichtet, auch wenn diese den Autoren selbstverständlich alle vorliegen.

 Teilweise ist die Recherche aufwändig — am Längsten habe er, so Suter, an der Recherche des Begriffs "gestampfter Jude" gesessen. Er hat sich sogar an das Schweizerische Idiotikon und an die Bibliothek des Schweizerischen Verteidigungsdepartements gewandt. Das Ergebnis der Recherche ist nun online im GRA-Glossar zu lesen: "Gestampfter Jude" war in der Soldatensprache eine der gängigen Bezeichnungen für die Fleischkonserven der Schweizer Armee. Der Begriff kam im Zweiten Weltkrieg auf und war bis in die neunziger Jahre gebräuchlich. Sein antisemitischer Gehalt wurde meist übersehen oder verharmlost.

 "Semiten" und "mauscheln"

Shelley Berlowitz betont gegenüber tachles, was sie an dem Auftrag, das GRA-Glossar zu erstellen, besonders reizvoll findet: "Spannend ist, nicht nur die Herkunft der Begriffe, sondern auch ihre Verwendung zu erklären.‘> So sei es zum Beispiel wichtig zu wissen, wie der Begriff Semiten (und somit auch der Begriff Antisemiten) verwendet werde. So werde in der Öffentlichkeit teilweise der Einwand laut, Antisemiten würden sich auch gegen Araber wenden — oder Araber könnten keine Antisemiten sein, weil sie selber zu den Semiten gehörten. Im GRA-Glossar aber wird aber erklärt, dass sich die Menschen, die die Wortschöpfung Antisemitismus und die damit verbundene Ideologie gebrauchten, immer konkret gegen Juden und Jüdinnen gerichtet haben.

 Interessant zu lesen ist unter anderem auch die Herkunft des Verbs mauscheln: So war "Mauschel" vom 17. Jahrhundert an der antijüdische Spottname für einen Juden (abgeleitet vom Namen Moische). Mauschein bedeutete zuerst abfällig die undeutliche Art, wie ein "Mauschel" spricht, womit die jiddische Sprache gemeint war. Daraus entwickelte sich als zweite Bedeutung für mauschein "wie ein Schacherjude handeln", also betrügen. Dieses unsaubere Gesci~äft "nach Judenart" nannte man dann Mauschelei. Somit ist das Wort mauscheln nicht — wie oftmals angenommen — jiddischer Herkunft, sondern eine Wortprägung der Antisemiten.

 Missverständliche Verwendungen

Heikel ist besonders auch die Verwendung des Wortes "Sonderbehandlung", von dem — erstaunlicherweise — in Deutschland immer wieder gerne Gebrauch gemacht wird.

 So war im vergangenen Jahr zum Beispiel im "Fokus" der Titel zu lesen: "Keine Sonderbehandlung für Opel". Dem verantwortlichen Journalisten war offenbar nicht ausreichend bewusst, dass "Sonderbehandlung" ein nationalsozialistischer Tarnbegriff für Mord war. Der Begriff wurde zunächst von der SS, später auch von zivilen Behörden verwendet.

 Die rund 80 Wörter, die bislang von Suter und Berlowitz beschrieben worden sind, werden weiter ergänzt. So haben die beiden bereits Vorschläge mit weiteren Begriffen aus Judentum und Islam vorgeschlagen, die sie im März mit Michael Chiller-Glaus diskutieren. Der GRA-Geschäftsführer weist auch darauf hin, dass das GRA-Glossar ständig erweitert wird — auf der Liste stünden unter anderem auch die Begriffe Beschneidung und Genitalverstümmelung.

 Bereits online, aber noch nicht bearbeitet sind Begriffe wie Terrorist, Übermensch, Ungeziefer, Mischling, Nazi oder "auserwähltes Volk". Mitmachen kann jeder, der das Projekt unterstützen möchte: Auf der Homepage befindet sich ein Formular, auf dem Kommentare und Vorschläge für weitere Begriffe eingereicht werden können — mit dem Ziel, das GRA-Glossar beständig zu erweitern und es zu einem nicht mehr wegzudenkenden Werkzeug vor allem für Medienschaffende zu machen.

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http://gra.ch/lang-de/gra-glossar

GRA-Glossar

Bildung

Journalisten, Lehrkräfte, Schüler, Studierende, Politiker und politisch Interessierte können mittels des GRA-Glossars Herkunft, aktuelle Bedeutung und Konnotationen von historisch belasteten oder vermeintlich belasteten Wörtern schnell und einfach abfragen. Das GRA-Glossar erörtert auch die Bedeutung von Begriffen wie "Islamismus", die in der aktuellen Debatte zwar häufig auftauchen, über deren genaue Bedeutung jedoch oft Unklarheit herrscht. Die Einträge sind kurz und knapp gehalten und beschränken sich auf die wesentlichsten Angaben zum jeweiligen Begriff. Die Definitionen werden von erfahrenen Medienschaffenden, Historikern und in Zusammenarbeit mit der Universität Basel erstellt.

© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2009

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Begriffsverzeichnis

* Antijudaismus
* Antisemitismus
* Araber
* Arier
* Aschkenase/Aschkenasim
* Asylant
* Auserwähltes Volk
* braun / braune Gesinnung
* Chuzpe
* Endlösung
* Faschismus
* Freimaurer
* Genozid
* Gestampfter Jude
* Gestapo
* Ghetto
* Holocaust
* Imam
* Islamismus
* israelisch
* israelitisch
* Jenische / Fahrende
* Jude / Jüdin
* Judenschule
* Jüdische Schweizer / Schweizer Juden
* Kosmopolit
* KZ / Konzentrationslager
* KZ-Nummer
* Mauscheln
* Mischling
* Misrachim
* Nationalsozialismus
* Nazi
* Neger
* Neofaschist / Neonazi
* Orthodox
* Pastor
* Porajmos / Völkermord an den Sinti und Roma
* Protokolle der Weisen von Zion
* Rampe
* Rasse
* Rassismus
* Rassismus-Strafnorm
* Roma und Sinti
* SA und SS
* Säuberung
* Schtetl
* Selektion / selektieren
* Semiten
* Sepharde / Sephardim
* Shoah
* Sonderbehandlung
* Der Stürmer / Stürmerjude
* Talmudjuden
* Terrorist
* Testament
* Thora
* Überfremdung
* Übermensch
* Ungeziefer
* Vergasung
* Weltjudentum / Jüdische Weltverschwörung
* Volk
* Zigeuner
* Zionismus / Anti-Zionismus / Post-Zionismus

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KLASSENKAMPF
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Süddeutsche Zeitung 26.2.10

Hirn und Haltung

 Politisch links stehende Menschen haben etwas höheren IQ

 Welche politische Einstellung Menschen haben, lässt sich auch an ihrem Intelligenz-Quotienten ablesen — jedenfalls im Durchschnitt. In einer amerikanischen Langzeit-Studie mit 15 000 Teilnehmern haben junge Leute, die sich als "sehr konservativ" bezeichnen, im Schnitt einen IQ von 95-fünf Punkte unter dem Durchschnitt. Ihre Altersgenossen~,die sich als "sehr liberal" (im amerikanischen Verständnis des Wortes, also nach hiesigem Verständnis progressiv) bekennen, kommen auf 106 IQ-Punkte.

 Für den Psychologen Satoshi Kanazawa, der an der London School of Economics lehrt, passen die Daten ins Bild: Intelligenz erlaube es den Menschen, sich anders zu verhalten, als es die Evolution in ihnen angelegt habe, argumentiert er in Social Psychology Quarterly. Ihre hö-here Geistesleistung gibt ihnen die Freiheit, neue Wege im sozialen Zusammenleben zu suchen. Sie können wegen ihrer Intelligenz eher Ressourcen für Menschen aufwenden, die nicht mit ihnen verwandt sind, und sind eher für staatliche Wohlfahrt, die höhere Steuern erfordert.

 Kanazawas Daten passen gut zu einer britischen Langzeitstudie: Unter gut 6000 Menschen, die im April 1970 zur Welt kamen und von Forschern seither begleitet werden, neigen die intelligenteren eher dazu, Grüne oder Liberaidemokraten zu wählen als Konservative oder die Labour Party. Der Psychologe lan Deary von der Universität Edinburgh hat den Unterschied in einer Studie 2008 beziffert. Die Grünen-Wähler in der Stichprobe hatten als Kinder einen mittleren IQ von 108, Anhänger der Konservativen 104 und Labour-Unterstützer 1~03.

 Nichtwähler und Anhänger einer rechtsextremen Partei lagen jeweils unter 100.

 "Diese Unterschiede sind nicht groß, aber sie lassen sich auch nicht durch Zufälle erklären", sagt Detlef Rost, Intelligenz-Forscher an der Universität Marburg. "Um progressiv zu sein, brauchen Menschen kognitive Leistungsfähigkeit.

 Wer immer im Bekannten bleibt, muss nicht viel überlegen." Ahnlich erklärt der Londoner Forscher Kanazawa die Ergebnisse. Mit Intelligenz könne sich der Mensch von Traditionen abwenden. Dazu zählt er auch die historisch neue Idee, nicht an einen Gott zu glauben. Unter den befragten Amerikanern hatten die "überhaupt nicht religiösen" einen IQ von 103 und die "sehr religiösen" einen IQ von 97.

Christopher Schrader

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EVA BRAUN
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Bund 26.2.10

Die Gefährtin des Führers

 Von der Lehrerstochter zur einflussreichen Mätresse Adolf Hitlers, mit der sich alle gut stellen mussten. Eine spektakuläre Biografie über Eva Braun räumt auf mit alten Vorurteilen.

 Von der Lehrerstochter zur einflussreichen Mätresse Adolf Hitlers, mit der sich alle gut stellen mussten. Eine spektakuläre Biografie über Eva Braun räumt auf mit alten Vorurteilen.

 Volker Ulrich

 In der Nacht vom 28. auf den 29. April 1945, als das Regierungsviertel bereits im Dauerhagel russischer Granaten lag, fand im Führerbunker eine gespenstische Zeremonie statt. Adolf Hitler heiratete seine 23 Jahre jüngere Geliebte Eva Braun. 40 Stunden später nahm sich das frisch getraute Paar das Leben. Ihre Leichen wurden in den Garten der Reichskanzlei geschafft, mit Benzin übergossen und angezündet. Die verkohlten Überreste wurden am Abend in einem Bombentrichter vergraben.

 In der wissenschaftlichen Literatur über Hitler hat die Frau, die durch den gemeinsamen Selbstmord ihren Namen untrennbar mit dem seinen verband, nur wenig Aufmerksamkeit gefunden. Das überrascht nicht, denn alle grossen Biografen - von Alan Bullock über Joachim Fest bis Ian Kershaw - gingen davon aus, dass der Diktator entweder zu persönlichen Bindungen unfähig gewesen sei oder dass er überhaupt kein Privatleben besessen habe. Vor diesem Hintergrund konnte seiner Gefährtin nur eine Schattenexistenz, bestenfalls die Rolle einer historisch bedeutungslosen Randfigur zugebilligt werden.

 Die Berliner Historikerin Heike Görtemaker hat sich nun vorgenommen, dieses Bild zu korrigieren. Ihr Buch über Eva Braun hat sofort ein ungewöhnlich grosses Medieninteresse auf sich gezogen. Und dies zu Recht. Es handelt sich um die erste seriöse Biografie der Frau an Hitlers Seite. Dabei geht es der Autorin nicht nur darum, zu klären, wer Eva Braun war, sondern über die Beschäftigung mit ihr auch neue Perspektiven auf Hitler zu gewinnen.

 Erste Begegnung im Fotoatelier

 Freilich stand Heike Görtemaker vor einem schwer zu überwindenden Hindernis. Noch vor seinem Selbstmord liess Hitler alle privaten Dokumente in den Tresoren seiner Domizile in München und auf dem Obersalzberg vernichten, darunter vermutlich auch seine Korrespondenz mit Eva Braun. Um Aufschluss über die Beziehung zwischen Hitler und seiner Lebensgefährtin zu erlangen, war Heike Görtemaker auf andere Quellen angewiesen, auf gelegentliche Briefe Eva Brauns an Freundinnen und Bekannte, vor allem aber auf die Aussagen und Erinnerungen von Mitgliedern der engeren Umgebung Hitlers. Es ist ein besonderer Vorzug dieser Biografie, dass jedes Zeugnis sorgfältig auf seinen Wahrheitsgehalt abgeklopft wird. Und dennoch: Auch Görtemakers akribische Recherche kann nicht alle Fragen beantworten.

 Das gilt schon für den Anfang der Beziehung. Vermutlich begegnete Hitler Eva Braun, Tochter eines Münchner Berufsschullehrers, zum ersten Mal im Oktober 1929 im Atelier seines "Leibfotografen" Heinrich Hoffmann - also zu einem Zeitpunkt, als die NSDAP kurz vor ihrem Durchbruch zur entscheidenden politischen Kraft stand. Der 40-jährige Junggeselle fand offenbar Gefallen an der 17-jährigen Fotolaborantin und lud sie zum Essen und zu gemeinsamen Opern- und Kinobesuchen ein.

 Eheähnliches Liebesleben

 Wann wurde aus dem Flirt eine intime Beziehung? Heike Görtemaker vertraut den Beobachtungen von Hitlers Münchner Haushälterin, die nach dem Krieg ausgesagt hat, dass Eva Braun zu Beginn des Jahres 1932 die Geliebte Hitlers geworden sei. Allerdings musste sie sich den Platz an der Seite des NS-Führers, der auch nach der Machtübernahme 1933 zunächst seinen bohemehaften Lebensstil beibehielt, hart erkämpfen. Zweimal unternahm sie wohl nicht ganz ernst gemeinte Selbstmordversuche, um Hitler fester an sich zu binden.

 1936 war sie endlich am Ziel: Sie bezog eine von Hoffmann im Auftrag Hitlers gekaufte kleine Villa im noblen Münchner Stadtteil Bogenhausen, und sie gehörte nun zur ständigen Begleitung des Diktators in seinem Refugium auf dem Obersalzberg. Ihre Position im inneren Zirkel war damit, wie die Autorin hervorhebt, "praktisch unangreifbar" geworden. Wer die Gunst Hitlers suchte, musste sich mit seiner Geliebten gutstellen. Wer es, wie Hitlers Halbschwester Angela Raubal, wagte, Eva Braun zu kritisieren, der wurde mit der Verbannung vom Berghof bestraft.

 Keine arische Musterfrau

 Bewusst hat Heike Görtemaker darauf verzichtet, Schlüssellochfantasien zu reizen. Was sich womöglich im Schlafzimmer Hitlers zugetragen hat, darüber verliert sie kein Wort. Aber sie geht davon aus, dass die beiden ein eheähnliches Liebesleben führten. Nach aussen freilich musste die Beziehung geheimgehalten werden. Denn Hitler fürchtete, dass ein Bekanntwerden seinem Nimbus als "Führer", der sein Privatleben dem Dienst an der Nation opferte, abträglich sein könne.

 Deshalb durfte Eva Braun öffentlich nicht in Erscheinung treten. Beim Eintreffen offizieller Besucher auf dem Berghof blieb sie unsichtbar. Und wenn sie Hitler auf Staatsbesuchen begleitete, reiste sie stets abseits des offiziellen Gefolges. Die deutsche Öffentlichkeit erfuhr erst nach Kriegsende von der Existenz der Hitler-Geliebten.

 Aus vielen Bruchstücken setzt Heike Görtemaker das Porträt einer Frau zusammen, die so gar nicht dem nationalsozialistischen Idealbild einer deutschen Frau entsprach. Sie rauchte, schminkte sich, trug teure Kleider, fotografierte und filmte, trieb exzessiv Sport und feierte, sobald Hitler den Berghof verlassen hatte, Champagner-Partys. Vor allem aber war sie nicht das politisch unbedarfte Blondchen, als das sie immer wieder dargestellt worden ist.

 Heike Görtemaker korrigiert das von Albert Speer in seinen "Erinnerungen" gezeichnete Bild der Berghof-Gesellschaft, in der angeblich in Anwesenheit von Frauen über Politik nicht gesprochen werden durfte. Auch die Frauen im inneren Zirkel, allen voran Eva Braun, identifizierten sich mit dem antisemitischen Vernichtungsprogramm Hitlers und seiner aggressiven "Lebensraum"-Politik.

 Ruhig, klug, sachlich

 Allerdings: Über die Ermordung der Juden durfte auch im allerengsten Kreis niemals offen gesprochen werden. Wieweit Eva Braun davon wusste, bleibt ungeklärt. Im Zweiten Weltkrieg nahm, wie die Autorin nachweist, Eva Brauns Bedeutung für Hitler noch zu. Während sich nach der Niederlage von Stalingrad auch auf dem Berghof Untergangsstimmungen breitmachten, blieb sie scheinbar unbeeindruckt. Propagandaminister Joseph Goebbels notierte im August 1943: "Der Führer hebt demgegenüber auf das Lobendste die ruhige, kluge und sachliche Art von Eva Braun hervor."

 Heike B. Görtemaker: Eva Braun. Leben mit Hitler. Verlag C. H. Beck, München 2010. 366 S., mit 40 Abb., ca. 42 Franken.