MEDIENSPIEGEL 11.3.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Programm
- SVP-Fuchs will Stadttauben-Wagenplatz vor die Reitschule
abschieben
- WG Werkstrasse vor dem Ende
- RaBe-Info 10.+11.3.10
- Police BE: Defizit
- Zwischengeschlecht: Petition gegen IOC-Diskriminierung
- Kulturschaffende pro ERK
- PNOS: Lützhard an Neonazi-Party
- Law & Order: Wochenendarrest für junge Randalierer?
- Asyl/SansPapiers ZH: Nothilfe + Demoflyer
- Squat ZH: Film + Villa
- Schnüffelstaat: Big Brother versteckt 70 Jahre lang Brief
- Gipfel-Soli: Sanfte Strafen für Prügelorgie Genua
2001
- Anti-Atom: Endlager Nagra + AKW-Pläne Russland
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REITSCHULE
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Do 11.03.10
19.30 Uhr - Grosse Halle - Blinde Insel Küche:
dampfzentrale,
Text: Pedro Lenz "Was wotter für morn?"
20.00 Uhr - Frauenraum - BarOmeter Special: "Far
Rockaway" CD-Taufe von
Tina Kohler
21.00 Uhr - Rössli-Bar - K-Tharsis. Style: Urban Funk
20.30 Uhr - Tojo - "Bunbury" von Oscar Wilde. Berner
StudentInnentheater BeST.
Fr 12.03.10
19.30 Uhr - Grosse Halle - Blinde Insel Küche:
dampfzentrale,
Text: Pedro Lenz "Was wotter für morn?"
20.30 Uhr - Tojo - "Bunbury" von Oscar Wilde. Berner
StudentInnentheater BeST.
21.00 Uhr - Kino - Migration - Leben in der Fremde:
Wanakam, Thomas
Isler, CH 2005
23.00 Uhr - Dachstock - Groovebox: Riccardo Ferri (live)
(Alchemy
Records/I), Flavio Diaz (live) (AnalyticTrail, Loose/I), Mastra (live)
(Modular Club/be), Racker (Midilux, Festmacher/be). Style: Minimal,
Techno, House
Sa 13.03.10
14.00 Uhr - Frauenraum - AMIE -
Frauenkleidertauschbörse bis 16.00
Uhr. Women only.
17.00 Uhr - Frauenraum - Frauendemo-Party: Lounge mit
Barbetrieb
19.00 Uhr - Frauenraum - Frauendemo-Party: Feministische
Filme im
Backstage
19.30 Uhr - Grosse Halle - Blinde Insel Küche:
dampfzentrale,
Text: Pedro Lenz "Was wotter für morn?"
20.30 Uhr - Tojo - "Bunbury" von Oscar Wilde. Berner
StudentInnentheater BeST.Sa 13.03.10 - 21.00 Uhr - Kino - Migration -
Leben in der Fremde: Por Amor, Isabelle Stüssi, CH 2009
21.30 Uhr - Frauenraum - Frauendemo-Party: Disco von Pop
bis Elektro
mit DJanes Schultze und Schultze (Trash-Pop) und DJanes Agnetta und
Matilda (Elektrodääntspopnrollrock)
23.00 Uhr - Dachstock - Liquid Session: Makoto &
Deeizm MC (Human
Elements). Support: Lockee (Rabass 95.6), TS Zodiac (Liquid Sessions),
Badboy MC (FMI). Style: Drumnbass
So 14.03.10
17.00 Uhr - Tojo - "Bunbury" von Oscar Wilde. Berner
StudentInnentheater BeST.
Infos: http://www.reitschule.ch
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STADTTAUBEN
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Bund 11.3.10
Besetztes Areal in der Lorraine: Was ist nach der Räumung?
(bob)
Stadt Bern - Die städtische Liegenschaftsverwaltung
sucht
nun doch noch Ideen für die Zwischennutzung des besetzten Areals
in der Lorraine. Sie hat den Breitenrain-Lorraine-Leist und die
Quartierkommission Dialog Nordquartier zu einer Sitzung eingeladen.
Für Leist-Vizepräsident Edwin Stämpfli ist klar, was
nottäte: "Die Stadt soll das Terrain wieder der Garage Alcadis
zurückgeben, damit sie es als Ausstellungsfläche brauchen
kann." Gemeinderätin Barbara Hayoz (fdp) hat bekannt gegeben, dass
sie bei der Polizei die Räumung des Geländes in Auftrag
gegeben habe ("Bund" von gestern). Stämpfli kündigt nun
Klagen von benachbarten Hauseigentümern an, falls das Gelände
bis in zwei Wochen nicht frei ist.
Der Dialog Nordquartier ist für eine Offenhaltung des
Geländes. "Die Umzäunung hat sich nicht bewährt", sagt
Sekretär Max Singer. Die Geschäftsleitung des Dialogs habe
noch nicht über das Thema gesprochen. "Es dürfte aber
schwierig sein, für kurze Zeit eine finanzierbare Lösung zu
finden", sagt Singer. Das Gelände am Centralweg ist letzten
Samstag von der Wohnwagen-Gruppe Stadttauben besetzt worden. Es steht
seit Sommer 2009 leer, nachdem die Stadt die Gebäude der Garage
abgerissen hat, um ein Wohnhaus zu errichten. Der Neubau lässt auf
sich warten, weil Liegenschaftsverwaltung und Betriebskommission des
stadteigenen Fonds für Boden- und Wohnbaupolitik uneins über
das Wettbewerbsverfahren waren.
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Telebärn 10.3.10
Stadttauben am Centralweg
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/stadttauben-am-centralweg/c=84713&s=828923
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bernerzeitung.ch 10.3.10
http://www.bernerzeitung.ch/region/bern/Thomas-Fuchs-besucht-die-Stadttauben/story/10960990
(mit lustigem Video)
Thomas Fuchs besucht die "Stadttauben"
Von Aenea Wasmer
Für den Berner Grossrat Thomas Fuchs sind die "Stadttauben"
am
Centralweg ein Dorn im Auge. Beim Besuch von Fuchs im besetzten Areal
am Mittwoch wollte niemand der Besetzer mit ihm vor der Kamera
über die angespannte Situation reden.
Die Ideallösung für Thomas Fuchs wäre eine
Züglete
der "Stadttauben" vor die Reithalle. "Dort sind wahrscheinlich auch
ihre Kollegen", sagte Fuchs im Videointerview mit bernerzeitung.ch.
"Von der Stadt Bern war es nicht klug, das Haus abzureissen ohne eine
Zwischennutzung der Zone einzuplanen. So wäre das Gebiet niemals
besetzt worden", begründet Fuchs die entstandene Situation.
Die Quartierbevölkerung soll an einer Petition teilnehmen
Um die Wagenburg von der Lorraine zu verbannen, will Fuchs eine
Petition im Quartier lancieren: "Die Quartierbevölkerung muss sich
nun dazu äussern und wir werden sehen, ob die 'Stadttauben'
wirklich so willkommen sind wie sie meinen".
Der Verein Läbigi Lorraine und AG Wohnen haben sich bereits
positiv zu den "Stadttauben" geäussert und akzeptieren die
Stadtnomaden und ihren Standort. "Wir sind davon überzeugt, dass
sie das Quartier weder stören noch belasten", schreiben beide
Organisationen in einem Communiqué. (Bernerzeitung.ch/Newsnetz)
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kulturstattbern.derbund.ch 10.3.10
Christian Pauli am Mittwoch den 10. März 2010 um 14:25 Uhr
Alte Wagen: Wohnen on the floor
Im Nordquartier werden nicht nur teure und schöne Wohnungen
mit
super Aussicht gebaut, sondern weiter unten, keine 400 Meter davon
entfernt, ist vor ein paar Tagen günstiger Wohnraum entstanden.
Das Projekt der Stadttauben ist möglicherweise nicht
unumstritten.
Wie auch immer: Die Lorraine lebt!
Veröffentlicht in Wüsten & Oasen | 6 Kommentare "
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Junge Alternative 10.3.10
Stadttauben sollen nicht geräumt werden
Nach der Besetzung eines Grundstücks am Centralweg, sollen
die
"Stadttauben" nun polizeilich geräumt werden. Doch die Stadt hat
mit ihrer Weigerung, einen nahtlosen Übergang zwischen Abbruch der
alten Gebäude und Neubau zu ermöglichen, die Voraussetzungen
für eine solche Besetzung selber geschaffen. Nun wird
voraussichtlich bis 2012 nicht gebaut, wie der Verein Läbige
Lorraine (VLL) heute in einer Medienmitteilung schreibt.
Trotz mehrfacher Aufforderung unter anderem von Seiten der
Jungen
Alternative JA!, fehlt es in der Stadt Bern immer noch an genügend
Raum für alternative Wohnprojekte, wie die Stadttauben eines sind.
So ist es nicht verwunderlich, dass diese sich ihren Platz selber
nehmen. Der Vorfall zeigt einmal mehr, dass der Gemeinderat
bezüglich alternative Wohnprojekte keine Gesamtstrategie verfolgt,
sondern sich vom jeweiligen Gemütszustand leiten lässt. Die
Junge Alternative JA! hat bereits im August 2009 den Gemeinderat mit
einer Motion aufgefordert, ein Zwischennutzungen von leerstehenden
Wohnungen einheitlich zu regeln. In diesem Zusammenhang könnte
auch der Umgang mit vorübergehend leerstehenden Grundstücken
wie am Centralweg geregelt werden.
Die Junge Alternative JA! fordert den Gemeinderat auf, die
geplante
Räumung unverzüglich zu stoppen. Die Stadt soll mit den
Stadttauben Verhandlungen aufnehmen um eine gemeinsame Lösung zu
finden, welche eine Zwischennutzung durch die Gruppe ermöglicht.
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WERKSTRASSE
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BZ 11.3.10
Wabern
Abgesang auf die Musiker-WG
Fast 30 Jahre lang diente ein altes Lagergebäude an
der
Werkstrasse in Wabern als Ort für alternatives Wohnen. Auch Berner
Kulturgrössen wie Züri West gingen dort ein und aus. Jetzt
steht die Wohngemeinschaft vor dem Aus.
Der alte Holztisch ist rund. Und ein Kaffee steht rasch
bereit.
Doch wer sich hinsetzt, sitzt alles andere als in der Schweizer
Durchschnittswohnung. Der Holzboden ist abgewetzt. Bad hat es für
sieben Leute nur eines. Und warm wird es nur, wenn tüchtig in den
Holzofen eingefeuert wird.
"Ich wollte immer hierherziehen", erklärt Beryll
Ryder. Vor
kurzem ist die Tontechnikerin ins alte Lagergebäude an der
Werkstrasse 20 in Wabern gezügelt. Lange wird sie nicht bleiben
können. Ende März ist Schluss. Dann muss die Wohngemeinschaft
ausziehen, und das Gebäude wird abgerissen (siehe Kasten).
Fast 30 Jahre lang war die Werkstrasse ein Ort, an dem
alternatives Wohnen möglich war. "Es ist ein Haus mit Geschichte",
sagt Beryll Ryder. Kultur sei hier immer grossgeschrieben worden. Es
gibt auch eine einfache Bühne: In einer Ecke des Gebäudes ist
der Boden mit Holzplatten um ein paar Zentimeter erhöht.
Als Theater gedacht
Francesco Muzio hat in den 1980er-Jahren den Start der
Wohngemeinschaft miterlebt. Er gehört zu deren Mitbegründern.
"Wir wollten in Wabern ein eigenes Theater aufziehen", erzählt er.
Doch das sei an den Auflagen gescheitert. Zu viert startete man das
Projekt. "Weil aus dem Theater nichts wurde, haben wir dann mehr Leute
gesucht", erinnert sich Muzio.
Auch heutige Berner Kulturgrössen gingen an der
Werkstrasse
ein und aus. "Züri West gehörten zu unserem Freundeskreis.
Sie haben ab und zu Hauskonzerte gegeben", erzählt Francesco
Muzio. Wenn sich das herumgesprochen habe, sei das Haus jeweils voll
gewesen. Auch Endo Anaconda oder Stop the Shoppers waren manchmal dort.
"Es war ein sensationeller Ort", sagt Muzio. Und doch nimmt er das Ende
der Werkstrasse-WG ziemlich emotionslos zur Kenntnis. "Alles hat ein
Ende. Punkt." Dafür werde wieder Neues entstehen.
Noch das alte Körbchen
Wie viele Leute in all den Jahren an der Werkstrasse
gewohnt
haben, weiss niemand so genau. Manche reden von 50, andere von 250
WG-Bewohnerinnen und -Bewohnern. Manchmal waren es bis zu 14 aufs Mal.
"Es herrscht ein freier Geist bei uns", sagt
Gärtnerin und
WG-Bewohnerin Noëmi Aeberhard. Hier sei halt alles etwas anders,
findet der 39-jährige Patrick Knuchel, der seit sieben Jahren an
der Werkstrasse lebt. Man lerne viel Toleranz im Umgang miteinander.
Und für den Filmer und Tontechniker Florian Wyss ist klar: "Ein TV
wäre bei uns überflüssig. Es gibt immer etwas zu tun -
denn für jedes bisschen Luxus müssen wir selbst sorgen."
Überhaupt. "Oft sitzen wir einfach gemeinsam am WG-Tisch." Der
steht praktisch seit den Anfängen da. "Vieles ist seit langem
gleich geblieben", weiss Noëmi Aeberhard. Das Duschkörbchen
zum Beispiel stamme noch aus den 90er-Jahren. Der Beweis dafür:
Auch auf einem alten Film, den frühere WG-Mitglieder vor kurzem
zeigten, war es bereits zu sehen. Gerade jetzt in den letzten Tagen
schauen ab und zu frühere WG-Bewohner vorbei. "Wer kommt,
fühlt sich hier wieder wie daheim", meinen die heutigen Bewohner
dazu.
Lucia Probst
Die letzten kulturellen Anlässe in der WG an der
Werkstrasse: "Zeit zu gehen" (Fest mit Konzert und DJ), 26.März
Konzert mit Itchy Couch und DJs Fernweh und Till&Struppi. Am
27.März: Copy&Paste und noch unbekannte Band.
--
Guggisberg Dachtechnik
"Wir brauchen Platz"
Das alte Lagergebäude an der Werkstrasse 20 in Wabern
muss
einem Neubau weichen. Jürg Guggisberg will seine Firma für
Dachtechnik ausbauen. "Wir brauchen unbedingt mehr Platz", sagt
Guggisberg. Vor vier Jahren hat er deshalb das Nachbargebäude
gekauft. Auch neue Büroräume entstehen. Diese will Guggisberg
vermieten. Geplant ist ein vierstöckiger Neubau mit einer
Tiefgarage. Die Baubewilligung lag bereits öffentlich auf, diesen
Frühling sollen die Arbeiten beginnen. Guggisberg hofft, dass das
Gebäude im Herbst 2011 bezugsbereit ist. Rund 6 Millionen Franken
will er investieren.
lp
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"Es herrschte ein freundliches Chaos"
Prominente Musiker lebten an der Werkstrasse: Bassist Mich
Gerber
ebenso wie Disu Gmünder, Gitarrist von Patent Ochsner.
Der Berner Bassist und Komponist Mich Gerber war in den
1980ern
für ein paar Jahre WG-Mitglied. "Ich hatte Lust, andere
Lebensformen auszuprobieren", sagt er heute dazu. Er habe das
Industriegebäude und sein riesiges Zimmer sehr geschätzt.
"Das war ein Raum mit Zuganschluss." Am Haus führt die Bahnlinie
vorbei. "Anstatt einen Balkon hatten wir ein Perron." Viel sei man
draussen gesessen. "Und auf einem stillgelegten Gleis haben wir Feuer
gemacht und grilliert." Es sei eine sehr freie Gemeinschaft ohne
Hausordnung gewesen. "Ich habe gar nicht gewusst, dass dieses
Experiment bis heute anhielt."
Erst nach Mich Gerber zog 1990 Patent-Ochsner-Gitarrist
Disu
Gmünder in die WG ein. "Es war eine Brutstätte nonkonformer
Lebensentwürfe", schreibt er in einem Mail zu seiner Zeit in
Wabern. "Es herrschte das Chaos. Aber eben kein kaputtes und
lebensfeindliches, sondern ein freundliches Chaos, aus dem heraus
wunderbare Ideen den Weg in die Welt fanden." Viele Leute habe er
über die Werkstrasse kennen gelernt. "Auch meine heutige Partnerin
und Mutter meiner Söhne, Nicole Wiederkehr, war WG-Bewohnerin."
Oft habe man sich an der Grenze des Legalen bewegt. "Dorfpolizist
Hänni war regelmässiger Gast", so Gmünder. Unter anderem
wegen der Hanfanbauten. Für manche Eltern der Bewohner sei die WG
eine "Räuberhöhle" gewesen, für ihn selber aber ein Ort
mit enorm viel Freiraum. Gmünders Wunsch: "Möge der Geist der
Werkstrasse weiterleben!"
lp
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RABE-INFO
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Do. 11. März 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_11._Maerz_2010.mp3
- 10 Jahre Bologna- Bildungsreform: Bildungsminister feiern und
Studenten protestieren
- 30 Jahre Fraw- Beratung: Bewegte Geschichte einer
Frauenberatungsstelle
- 4 weitere Jahre Regieren: Justizdirekt Christiph Neuhaus
wünscht
sich Bürgerliche Wende
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Mi. 10. März 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_10._Maerz_2010.mp3
- Ein Spielfilm über das Den Haager Kriegsverbrecher-
Tribunal
durchleuchtet die Arbeit beim Gericht
- Eine Ausstellung setzt sich mit der Marke Schweiz und einer
dazugehörigen Gesetzesrevision auseinander
- Volkswirtschaftsdirektor Andreas Rickenbacher will für
weitere
vier Jahre im Regierungsrat sitzen
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POLICE BE
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BZ 11.3.10
Kantonspolizei
Budget überschritten
Die bernische Kantonspolizei hat ihr Budget
überschritten.
Sie braucht einen Nachkredit von 2 Millionen Franken.
Die Polizei war 2009 teurer als geplant. Bereits in der
Hochrechnung hat sich laut Regierungsrat ein Defizit von 11 Millionen
Franken abgezeichnet. Als Gründe gibt er vorab folgende Faktoren
an: vermehrte Einsätze im Polizeikonkordat Nordwestschweiz,
höhere Kosten für die Suche nach neuen Polizisten sowie
höhere Spesen. Letzteres wird primär damit erklärt, dass
die Instruktoren in die neue, weiter entfernte Polizeischule Hitzkirch
reisen müssen.
Bis auf 2,1 Millionen Franken kann die Polizei die
Überschreitung intern kompensieren. Für den Rest liegt dem
Grossen Rat in der Märzsession nun ein Nachkredit vor.
Interessant ist ein Teil der Kompensation: Die
Projektkosten
für die Umsetzung der grossen Polizeifusion - des
Zusammenschlusses der Kantonspolizei mit allen kommunalen Korps
("Police Bern") - liegen rund 800000 Franken unter Budget.
"Teure" Bieler Polizisten
Bemerkenswert ist aber auch eine Mehrbelastung, die sich
aus der
Integration der Stadtpolizei Biel in die Kantonspolizei ergab und die
zu höheren Personalkosten führte: Der Kanton hat den Bieler
Polizisten eine Garantie für die Leistungen der Pensionskasse
abgegeben. Der Kanton muss nun 1,2 Millionen Franken aufwerfen, weil
die Pensionskasse Biels zum Zeitpunkt des Austritts der Polizisten nur
einen Deckungsgrad von 90 Prozent hatte. Mit anderen Worten: Der Kanton
übernahm mit den Polizisten auch deren "Anteil" an der
Unterdeckung.
fab
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ZWISCHENGESCHLECHT
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Rundmail 10.3.10
Petition gegen Diskriminierung von Zwittern durch IOC
zwischengeschlecht.org
Menschenrechte auch für Zwitter!
R U N D M A I L
Liebe Freund_innen der Zwitterbewegung
Organisation Intersex International (OII) hat eine
unterstützenswerte >>> Online-Petition an das
Internationale Olympische Komitee
(http://www.intersexualite.org/IOC-petition.html)
aufgeschaltet,
verfasst von Hida Viloria, worin gefordert wird:
1. Das IOC soll seine Forderungen zurücknehmen, wonach
zwischengeschlechtliche Sportlerinnen ihre körperlichen
Besonderheiten ("intersex variations") diagnostizieren und "behandeln"
lassen müssen [Zwischengeschlecht.info berichtete].
2. Das IOC soll den erwähnten Athletinnen, bekannt als
zwischengeschlechtliche Frauen ("intersex women"), erlauben, als Frauen
an Wettkämpfen teilzunehmen, ohne ihre körperlichen
Besonderheiten ("intersex variations") zuerst diagnostizieren und
"behandeln" lassen zu müssen.
3. Das IOC, die Presse und Mediziner sollen diese Frauen mit
körperlichen Besonderheiten ("intersex variations") als "Intersex
Frauen" bezeichnen, und nicht als "Frauen mit einer Störung der
geschlechtlichen Entwicklung".
Kommentar: Nach dem unterstützenden Statement vom 17.2.10
(siehe
hier --> 7) zur Kampagne gegen Dexamethason-Zwangsbehandlungen
ergreift die Organisation Intersex International (OII) nun schon zum 2.
Mal im neuen Jahr konkrete Schritte gegen ZwangsbehandlerInnen von
Zwittern und ihre Handlanger und Helfershelfer (statt der sonst eher
üblichen Aktivitäten betreffend "internen Grabenkämpfen"
sowie zu den Themenkreisen "Identität" und "(Trans-)Gender").
Wir gratulieren! Und fordern alle auf: >>>
Unterschreibt auch!
Siehe auch:
- Zwitter im Sport: IOC und IAAF leugnen Verantwortung
- Pressemitteilung Zwischengeschlecht.org von 22.01.2010
- Diskriminierung von Zwittern im Sport weltweit
Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein
Verbot von
kosmetischen Zwangsoperationen an Kindern und "Menschenrechte auch
für Zwitter!". Betroffene sollen später selber darüber
entscheiden, ob sie Operationen wollen oder nicht, und wenn ja, welche.
Liebe Grüsse
n e l l a
Daniela Truffer
Gründungsmitglied Menschenrechtsgruppe
Zwischengeschlecht.org
Gründungsmitglied Schweizerische Selbsthilfegruppe
Intersex.ch
Mitglied Intersexuelle Menschen e.V.
Mitglied XY-Frauen
Mobile +41 (0) 76 398 06 50
presse@zwischengeschlecht.info
http://zwischengeschlecht.org
Regelmässige Updates: http://zwischengeschlecht.info
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ANTIRASSIMUS
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WoZ 11.3.10
Gemeinsam gegen die Vergiftung
Kultur und Gesellschaft - Kulturschaffende aus der Schweiz
wehren
sich gegen eine weitere "Vergiftung des sozialen und kulturellen
Klimas". Ihr Aufruf "für eine funktionsfähige
Antirassismuskommission" wurde bislang von rund 660 Personen
unterzeichnet und dieser Tage an die ParlamentarierInnen geschickt.
Von Adrian Riklin, Bern
"Der soziale und kulturelle Zusammenhalt der Schweiz ist
zunehmend bedroht. Die unterzeichnenden Künstlerinnen und
Künstler rufen die Parlamentarierinnen und Parlamentarier deshalb
auf, sich sowohl innerhalb ihrer Fraktionen und Parteien als auch
gegenüber der Öffentlichkeit klar gegen fremdenfeindliche und
rassistische Vorstösse zu stellen und sich zur Tätigkeit der
Anti rassismuskommission zu bekennen."
So beginnt der "Aufruf von Künstlerinnen und
Künstlern
gegen die weitere Vergiftung des sozialen und kulturellen Klimas", den
die SchriftstellerInnen Ruth Schweikert, Martin R. Dean, Johanna Lier
und Guy Krneta vergangene Woche in Bern den Medien vorstellten.
Unterstützt wurden sie von Hans Läubli,
Geschäftsführer von Suisseculture, dem Dachverband der
professionellen Kulturschaffenden.
Anlass zum Aufruf gab eine Motion des Berner
FDP-Nationalrats
Christian Wasserfallen im Dezember vergangenen Jahres, der die
Eidgenössische Kommission gegen Rassismus einer Revision
unterziehen und so in ihrer Wirkung schwächen möchte.
Wasserfallen hatte die Motion mit Unterstützung rechtsfreisinniger
und -konservativer Kolleg Innen (Filippo Leutenegger, Philipp
Müller, Doris Fiala, Thomas Müller, Toni Brunner, Christoph
Mörgeli und andere) aus allen bürgerlichen Parteien
eingereicht. Sie reagierten damit auf eine Aussage von Georg Kreis, dem
Präsidenten der Antirassismuskommission, der nach der
Minarettabstimmung den Begriff "Islamisierung" mit dem Begriff
"Verjudung" verglichen hatte und sagte, eine SVP hätte in den
dreissiger Jahren unter Umständen mit einer Initiative "gegen die
Verjudung" Erfolg gehabt.
Kulturelle Vielfalt sichern
In seiner Antwort auf die Wasserfallen-Motion hat sich der
Bundesrat am 3. Februar hinter die Antirassismuskommission gestellt.
Die Kulturschaffenden verlangen nun von den Räten, "dass sie sich
ebenso deutlich zu dieser Motion verhalten und die
Funktionsfähigkeit der Antirassismuskommission stärken".
Der Aufruf, den bis zum Redaktionsschluss dieser WOZ rund
660
Personen unterzeichnet haben, wurde dieser Tage per Mail an die
ParlamentarierInnen beider Räte geschickt. Dass er von
VertreterInnen der schreibenden Zunft lanciert wurde, ist kein Zufall:
Antirassismus und Fremdenfeindlichkeit zementieren sich nicht zuletzt
durch Sprache. Die Frage nach dem Umgang einer Gesellschaft mit dem
"Fremdartigen" und die Auseinandersetzung mit dem "Eigen-Artigen" seien
aber seit jeher Themen der Kunst, betonte Krneta. Er wies zudem darauf
hin, "dass die Schweizer Künste von sogenannten Migrantinnen und
Migranten und deren Nachkommen zentrale Impulse erfahren haben und
immer wieder erfahren". Von anderen gesellschaftlichen Bereichen lasse
sich Gleiches sagen. Das Schweizbild, das noch immer viele politische
Debatten bestimme, habe jedenfalls wenig mit der sozialen Realität
zu tun.
Die Schweiz habe mit ihrer Rücksicht auf Minderheiten
ein
"demokratisches Korrektiv entwickelt, das kulturelle Vielfalt und
sozialen Frieden möglich macht". In Zeiten "klimatischer
Verschärfung, zunehmender Partikularisierung und Polarisierung"
gelte es, diese Instrumente weiter zu verfeinern und nicht
"wahltaktischer Stimmungsmache oder Sparwut zu opfern". Gerade die
Antirassismuskommission erfülle dabei eine unverzichtbare
Funktion: "Sie ist keine Justizbehörde und kein Zensurorgan, doch
trägt sie durch Massnahmen, Vorschläge und eine aktive
Öffentlichkeitsarbeit zum sozialen und kulturellen Frieden bei."
Plattformen entwickeln
Wenn es nach den InitiantInnen geht, soll es nicht beim
einmaligen Ausruf bleiben: "Es muss heute darum gehen, dass sich die
verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte zusammenfinden, um
gemeinsam gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit anzugehen und
kulturelle Vielfalt zu sichern", so Krneta. Die Kulturschaffenden
wollen deshalb geeignete Plattformen entwickeln, um sich in gemeinsamen
Auftritten vermehrt in die gesellschaftspolitische Diskussion
einzubringen. Ein entsprechender Vorschlag soll Ende Mai an einer
Tagung des Club Helvétique in Solothurn ausgearbeitet werden.
Bis bekannt ist, wann die Motion Wasserfallen im Parlament
behandelt wird, soll der Aufruf von weiteren Kulturschaffenden
unterzeichnet werden können. Dann wollen die InitiantInnen erneut
an die Räte treten - und auch an die Öffentlichkeit. Zur
Medienkonferenz im Kornhaus-Forum allerdings erschienen ausser dem
Schreibenden keine MedienvertreterInnen. Just da sich Kulturschaffende
aller Sparten zu einer politisch relevanten Position zusammengefunden
haben, nehmen die Medien kaum Notiz davon.
Der Text des Aufrufs und die Liste der bisherigen
Unterzeichnenden: http://appel.lemmata.ch/page.php
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PNOS
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BZ 11.3.10
Pnos
Lüthard am Neonazi-Fest
"Patriotisch" nennt Pnos-Grossratskandidat Dominic
Lüthard
seine Musik - und mischt weiter in der rechtsextremen Szene mit.
Gross auf die Fahne geschrieben hat sich die Partei
national
orientierter Schweizer (Pnos) den Kampf gegen "kulturfremde
Ausländer". Wie es ums eigene Kulturverständnis steht, hat
Dominic Lüthard, Chef der Pnos Oberaargau und Grossratskandidat,
nun einmal mehr gezeigt: Mit seiner nach eigenen Aussagen
"patriotischen" Band Indiziert stand er am letzten Wochenende auf dem
Programm des No-Surrender-Festivals, zu dem gemäss einer
Mitteilung der Antifa Bern das internationale - und in der Schweiz
verbotene - Neonazinetzwerk Blood& Honour aufgerufen hatte.
Das Konzert hätte eigentlich in Belgien stattfinden
sollen,
wurde dann aber nach Deutschland verlegt, nachdem die belgischen
Behörden den Anlass verhindert hatten. Rund 200 statt der
erwarteten 1000 Besucher fanden sich schliesslich am neuen Standort
ein. Zum Auftritt von Indiziert kam es aber auch dort nicht: Der
Konzertabend wurde gemäss Einträgen auf einem rechtsextremen
Internetforum nach den Auftritten der ersten drei Neonazibands durch
die Polizei beendet.
Seit die Pnos einen Sitz im Langenthaler Parlament
innehat,
streitet sie direkte Verbindung zur Neonaziszene ab. Ihre Exponenten
beweisen aber immer wieder das Gegenteil. Auch bei Raphael
Würgler, der wie Lüthard für die Pnos Oberaargau
für den Grossen Rat kandidiert, hat die Polizei gemäss einem
Artikel in der "Wochenzeitung" bereits rechtsextremes
Propagandamaterial sichergestellt.
pd/khl
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LAW & ORDER
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20 Minuten 11.3.10
Wochenendarrest für junge Randalierer gefordert
BERN. Politiker fordern: Jugendliche, die kleinere
Straftaten
begehen, sollen ihr Wochenende in Arrestzentren verbringen.
Zerschlagene Fensterscheiben, zerkratzte Autos,
Sprayereien:
Kleinere Vandalenakte gehören schon längst zum Alltag.
Für SVP-Nationalrätin und Polizistin Andrea Geissbühler
ist es höchste Zeit, junge Randalierer in die Schranken zu weisen.
In einer Motion fordert sie Wochenendarreste für 14- bis
18-Jährige: "Es ist für einen Jugendlichen viel schlimmer,
das ganze Wochenende von seiner Clique getrennt zu sein, als im Rahmen
einer Sozialstrafe Aufräumarbeiten im Wald zu erledigen", sagt
Geissbühler. Vorteil des Wochenendarrestes sei es, dass die
Jugendlichen weiterhin die Schule besuchen oder die Lehre absolvieren
könnten.
Laut Geissbühler sollten die Strafen in einem im
Gefängnis integrierten Arrestzentrum abgesessen werden, "wo es
weder lustig noch spannend ist". Das Konzept des Jugendarrests gibt es
in Deutschland bereits seit 1990. Schon 40 Parteikollegen haben
Geissbühlers Motion unterschrieben, darunter auch
Parteipräsiden Toni Brunner. FDP-Nationalrat Christian
Wasserfallen findet den Wochenendknast "als präventive Massnahme"
ebenfalls "eine Überlegung wert". Die SP dagegen steht der Motion
nicht wohlwollend gegenüber: "Es ergibt keinen Sinn, dass
Jugendliche aus ihrem gesellschaftlichen Kontext gerissen werden", sagt
Sprecher Andreas Käsermann. Laut Philipp Frei, Jugendgewaltexperte
und Projektleiter bei Wertikal, können Wochenendarreste bei
gewissen Jugendlichen "durchaus heilsam" sein. Allerdings nicht bei
allen: "Knasterfahrung kann in bestimmten Cliquen durchaus das Image
aufwerten."
Désirée Pomper
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ASYL/SANS-PAPIERS ZH
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WoZ 11.3.10
Flüchtlinge
Elend und abweisend
"Siebzehn Monate sass ich in Ausschaffungshaft", sagt Bob.
"Dann
noch einmal fast ein Jahr im Gefängnis wegen illegalen
Aufenthalts." Der Westafrikaner ist einer von denen, die weder bleiben
noch gehen können: Asylgesuch abgelehnt, Ausreise nicht
möglich. Er lebt von Nothilfe - zehn Franken pro Tag in Form von
Migros-Gutscheinen. Das reicht nicht, vor allem nicht in diesem kalten
Winter: "Ich bin angewiesen auf Geschenke. Dabei würde ich so gern
für mich selber sorgen", sagt Bob. An diesem Dienstag ziehen knapp
hundert Menschen im eisigen Wind vom Helvetiaplatz bis nach Oerlikon,
um wieder einmal die Abschaffung des Nothilfesys tems zu fordern. "Die
Nothilfe wurde eingeführt, damit die Leute ausreisen", sagt
René, ein Aktivist des Zürcher
Flüchtlingscafés. "Aber sie bleiben, unter elenden
Umständen."
Nach eineinhalb Stunden langt die Gruppe vor dem
Migrationsamt an
- einem abweisenden Bau aus Metall und Glas. "Aus
Sicherheitsgründen" ist er heute seit 14.30 Uhr geschlossen. Ein
finster dreinblickender Sicherheitsmann steht hinter der Glastür.
Davor geht es fröhlicher zu. "Wir sind für Integra tion!",
ruft ein Flüchtling. Und beginnt auf seiner Mundharmonika zu
spielen: "Trittst im Morgenrot daher". dyt
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Indymedia 10.3.10
Bis die Welt der Papiere in Flammen aufgeht!
AutorIn : gegen staat und grenzen
Dieser Flyer wurde am 9. März in Zürich an der
Demonstration
von Sans-Papiers und "Unterstützern" verteilt; sowohl nach innen
wie auch an die Passanten. Die Demo richtete sich gegen das
Nothilfe-Programm und die Notunterkünfte. Ein Versuch, um jenseits
einer blossen "Unterstützer"-Position Wege für eine
gemeinsame Revolte gegen das zu finden, was uns letztendlich alle
betrifft: Eine erdrückende Welt voller Grenzen und Mauern.
PDF:
http://andiewaisendesexistierenden.noblogs.org/album/09-03-2010-_-bis-die-welt-der-papiere-in-flammen-aufgeht
Bis die Welt der Papiere in Flammen aufgeht!
Schon wieder Bullen, schon wieder Identitätskontrolle. Eine
falsche Bewegung im falschen Moment, eine falsche Hautfarbe im falschen
Land, ein falsches Verlangen in einer Welt, die uns am Liebsten alle
resigniert sehen will; es braucht nicht viel, um "verdächtig" zu
erscheinen. Für viele endet die Begegnung mit den Wachhunden
dieser erdrückenden Normalität in Knästen und
Ausschaffungszentren. Auf wenigen Quadratmetern eingesperrt,
kontrolliert, überwacht und erniedrigt, warten sie darauf, in das
Elend zurückgestossen zu werden, vor dem sie flüchteten.
Immer wieder laufen wir an Situationen heran, wo eben dieser Leidensweg
beginnt: Bullen umstellen Leute auf der Strasse, um sie anschliessend
abzuführen. Irgendwohin. Sei es in den Knast, in die Psychiatrie,
in das nächste Charterflugzeug oder nur ein paar Stunden auf den
Posten; niemandem soll dies wiederfahren! In einer solchen Situation
auf der Strasse, bei den verantwortlichen Betrieben und Personen oder
sonstwo in dieser untragbaren Ordnung:
Lasst uns die Kontroll- und Ausschaffungsmaschinerie sabotieren!
Zunächst sind wir Menschen, ein Wesen aus Fleisch und Blut.
Das Leben erlaubt uns, aus diesem Wesen alles mögliche zu
machen,
in beständiger Suche nach individueller und sozialer Entfaltung.
Doch die Welt, die wir bewohnen, zwingt unzählige Menschen,
eingeschlossen in Zellen ihre Tage zu fristen, oft aus dem schlichten
Grund, keine Papiere zu besitzen. Es reicht in diesen Zeiten also nicht
aus, Mensch zu sein, um frei mit seinem Leben zu experimentieren. Wir
benötigen zunächst Papiere, eine Identität, eine
Zugriffsmöglichkeit, die uns verwaltbar macht. Erst dann haben wir
die bescheidene Wahl, uns hier oder dort ausbeuten zu lassen, uns
dieser oder jener Autorität zu unterstellen, diese oder jene Ware
zu kaufen, diesen oder jenen Politiker über unser Leben walten zu
lassen. Freiheit? Niemals...
Seit den Ausbeutungsfeldzügen der Kolonialmächte im
Süden, dem Zusammenbruch der "kommunistischen" Regime im Osten und
im Allgemeinen aufgrund des Elends, das der globalisierte Kapitalismus
produziert, ziehen Millionen von Migranten auf der Suche nach einem
etwas erträglicheren Leben in der Welt umher. Während etliche
dieser unerwünschten Kinder des Kapitals vom Schutzwall Europas
aufgehalten werden oder beim Versuch, diesen zu überwinden
sterben, wartet auf jene, denen es gelingt gewiss nicht das El Dorado,
von dem sie träumten: Ausbeutungsumstände, die jenen
gleichen, vor denen sie geflüchtet sind, ein latenter Rassismus,
der die Unzufriedenheit anderer Unterdrückter zu kanalisieren
versucht, und die permanente Angst eingesperrt und wieder ausgeschafft
zu werden gestalten nun den Alltag. Stetig umherziehend und
zusammengepfercht in Notunterkünften teilen sie mit den anderen
Ausgebeuteten, auf deren Buckel diese Welt erbaut und erhalten wird,
eine Prekarität, die sich als soziale Bedingung zu generalisieren
scheint. Die Temporärarbeit als Werkzeug des modernen Kapitalismus
lässt die Machtverhältnisse verschwimmen und die Arbeiter
voneinander isolieren, während man sie dem ökonomischen
Wandel ausliefert. Deren groteske Natur wird dann offensichtlich, wenn
arme Leute als Stadtreiniger arme Leute verjagen, wenn
Unterdrückte die Büros ihrer Unterdrücker reinigen, wenn
Migranten die Mauern jener Knäste bauen, in denen sie schliesslich
eingesperrt werden. In einer restlos ökonomisierten Welt ist auch
das "Problem" der Migration vor allem ein ökonomisches. Zur
Verwaltung der Migrationsströme* dienen dem Staat
Identitätskontrollen, Asylzentren und Ausschaffungsknäste
ebenso, wie die Integrationshilfen (Anpassung an die kapitalistische
Nationalökonomie) und humanitären Organisationen wie das Rote
Kreuz (Mitverwalter von Gefängnissen [z.B. im Transit, Kloten] und
stets die ersten, die zur Beschwichtigung von Revolten herbeieilen).
Trotzdem hat der industrialisierte Staat keineswegs Interesse daran,
alle Sans-Papiers auszuschaffen, ihre Lage macht sie zu billigen und
flexiblen Arbeitskräften (das weiss selbst die SVP). Ausserdem
dienen sie als bequemer Sündenbock, um soziale Spannungen zu
entladen, bevor sich die Ausgebeuteten noch selbst als solche erkennen,
und sich gemeinsam gegen die Herrschenden wenden; bevor sie noch die
Unsinnigkeit religiöser und ethnischer Konflikte verstehen, und
den Klassenkonflikt entfachen. In dem Umherziehen der Migranten
verdeutlicht sich schliesslich dasselbe Fremdwerden, das uns allen
widerfährt: Der Imperialismus der Ware, der uns alle dazu zwingt,
denselben leblosen Traum zu träumen, hat uns der Welt und uns
selbst gegenüber völlig fremd gemacht.
Wir wollen weder Diskurse über die rechtswidrige
Unterdrückung von "Sans-Papiers" lancieren und "bessere"
Haftbedingungen oder Rechte einfordern, noch eine per se gutmütige
Gattung Mensch aus ihnen machen, wie es schon genug humanitäre
Samariter, heuchlerische Demokraten und legalistische Anti-Rassisten
tun. Die autoritären, religiösen, nationalistischen und
patriarchalen Strukturen sind unter ihnen gewiss gleichermassen
präsent, wie in dieser Gesellschaft im Allgemeinen. In den
vergangenen Jahren haben wir jedoch weltweit vermehrt
Ausschaffungsknäste in Flammen aufgehen und Gefangene ausbrechen
sehen, wir haben gesehen, wie die Sans-Papiers bei Ceuta und Melilla
(Spanische Enklaven in Marokko) den Ansturm auf die
stacheldrahtbespickten Zäune Europas autonom organisierten und wie
sie (wie küzlich in Rosarno, Italien) auf den Strassen gegen ihre
Versklavung revoltierten. All dies sind Gesten, in denen wir uns
wiedererkennen. Handlungen, die zumindest in einer Situation und
für einen Moment mit dem Zugriff der Herrschenden auf unsere Leben
brechen; mit jener erdrückenden Normalität, die uns so
alltäglich umgibt. Der Kampf gegen die Ausschaffungsmaschinerie
ist nicht vom Kampf gegen jegliche Form von Herrschaft und
Einschliessung zu trennen, denn das "Problem" der Papiere wird sich
erst mit dem Ende aller Staaten und Grenzen auflösen. Solange noch
irgendein Ausschaffungsknast aufrecht steht, wird dieser stets mit
Migranten gefüllt sein - ob nun einige regularisiert wurden oder
nicht. Und solange noch irgendeine Autorität die Freiheit der
Menschen knechtet, wollen wir für das Ende all dessen
kämpfen, was das freie Umherziehen und Entfalten der Individuen
unterdrückt.
Was uns mit der Situation der Migranten verbinden mag, ist nicht
das
allgemeine Elend, sondern der Wille, es zu bekämpfen. Wir stehen
den Unerwünschten nicht beiseite, wir sind sie.
Es ist noch immer Zeit, die Ketten der Angst und Resignation
zu durchbrechen...
*In verschiedenen Ländern existieren nationale Quoten,
welche die
Anzahl von Aufenthaltsbewilligungen genau regeln und Migration und
Arbeit eng miteinander verbinden. Für das Jahr 2007 wurden in
Italien z.B. 252‘000 ausländischen Arbeitskräfte (Je nach
Land und Immigrationsabkommen) per Dekret festgelegt.
--
Chronik:
Trotz polizeilicher und medialer Bemühungen gelangten
einige
Nachrichten über die schweigsamen Mauern der Knäste und
Zentren für Migranten.
Wir erinnern an den Aufstand im Flughafengefängnis Kloten
im
März 08 und an jenen vom Sept. 07 im Bässlergut bei Basel,
wobei zeitgleich mehrere Zellen in Brand gesteckt und ein
beträchtlicher Teil des Knastes unbenutzbar gemacht wurde.
Leider halten weniger erfreuliche Nachrichten die Oberhand.
Immer wieder finden Ausschaffungsversuche mittels Prügel
und
Narkose statt (wie bei A. Konneth im März 09).
In der Polizeistation Kaserne (Zürich) versuchten sich
zwischen
März und Mai 09 drei abgewiesene Asylbewerber umzubringen, wobei
sich einer von ihnen selbst anzündete.
Nachdem 2008 schon 2 Ausschaffungshäftlinge an
Nichtbehandlung
schwerer Tuberkulose starben, konnte im Feb. 09 der Tod eines 17
Jährigen Afrikaners durch tagelanges ignorieren einer
Hirninfektion im Flughafengefängnis Kloten nur durch die Rebellion
seiner Mitgefangenen verhindert werden.
Am 03. Okt. 09 wird in Bern ein 19 jähriger Gambianer von
Polizisten unter rassistischen Beleidigungen verhaftet,
blutiggeprügelt und nach 3 Tagen Notfallstation wieder
freigelassen. Nur wenige solcher
Geschichten gelangen ans Licht.
Ein Asylsuchender ertrinkt im Basler Rhein, genau ein Jahr
darauf
(30.05.09) kommt ein Jugendlicher in Biel unter einen Zug, etwas
später springt ein abgewiesener Ausländer im Tessin mehrere
Stockwerke tief aus einem Parkhaus, in Winterthur wird jemand
angeschossen, in Zürich ertrinkt ein Mann, sie alle
flüchteten vor einer Polizeikontrolle.
Einige scheinen sich jedoch den Drang zu verspühren, sich
gegen
die Zustände zu wehren. Eine Liste von Ereignissen in diesem
Zusammenhang:
01. April 2009 - Zürich
Die Scheiben einer Manpowerfiliale werden eingeschlagen.
"Revolte!"
steht an der Wand.
13. April 2009 - Zürich
Der Hauptsitz von Randstad (ebenfals eine
Temporärarbeitsagentur)
wird entglast.
1. Mai 2009 - Zürich
Die Scheiben der Manpowerfiliale gehen erneut zu Bruch.
03. Mai 2009 - Luzern
Securitas-Autos werden eingefärbt und ihre Pneus zerstochen.
Mai/Juni 2009 - Biel
Als Reaktion auf den auf der Flucht vor der Polizei verstorbenen
Jugendlichen finden in Zürich und Biel drei spontane
Demonstrationen statt. Polizeiposten werden mit Farbe beschädigt.
04. Juni 2009, Zürich
Die Scheiben eines Securiton-Autos [Kontroll- und
Überwachungsfirma] werden eingeschlagen.
04. Juli 2009, Zürich
Ca. 100 Personen ziehen aus Reaktion über den in Biel
verstorbenen
durch den Kreis 4. Mit Farbe, Hämmern, Steinen und Feuer wird das
Amt für Justizvollzug, ein Polizeiposten, Zivilbullen- und
Luxusautos, eine ZKB und eine UBS Bank sowie der Securitas Hauptsitz
angegriffen. Diese letzteren beteiligen sich umfänglich in
Gefängnissen und Zentren für Migranten und an deren
Ausschaffungen. "Wir haben uns diesen Tag genommen um einiges
zurückzuzahlen [...]. Für all die Betroffenen der
Polizeigewalt. Für all die Unterdrückten dieser sozialen
Ordnung. Für die Kämpfenden und Gefangenen des sozialen
Krieges."
08.Juli 2009 - Zürich
Das ORS-Büro wird mit Farbe beworfen. Ein Privatunternehmen
das
Zentren und Knäste für Migranten verwaltet.
16. Juli 2009
Das Migrationsamt von Luzern wird eingefärbt. und bei jenem
in
Zürich werden die Scheiben eingeschlagen. "Pour un monde sans
papiers!" steht gross auf der Wand.
09.Sept. 2009 - Zürich
Die Scheiben des Büros vom Roten Kreuz werden
eingeschlagen:
"Gegen die Ausschaffungsmaschinerie und ihre Handlanger" steht am Boden.
29. Sept. 2009 - Zürich
Ein Protectas-Auto [Überwachungsfirma] wird in Brand
gesteckt.
20. Okt. 2009- Zürich
Ein Brandsatz entfacht beim ORS-Gebäude und beschädigt
den
Eingangsbereich.
20. Okt. 2009 - Zürich
Erneut gehen mehrere Scheiben des Migrationsamtes zu Bruch. "Das
Illegalisieren von Menschen kommt euch teuer zu stehen", ist zu lesen.
07. Dez. 2009 - Winterthur
Unter 2 SBB-Autos wird Feuer gelegt und "No JailTrain! no
Jails!"
hinterlassen. JailTrain ist ein von SBB und Securitas verwalteter
Spezialzug für den Transport von Flüchtlingen und anderen
Gefangenen.
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SQUAT ZH
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WoZ 11.3.10
Film
Häuserbewegung
Unter dem Titel "Allein machen sie dich ein" sind in der
Zürcher Roten Fabrik an vier aufeinanderfolgenden Donnerstagen
Filme und Dokumente zu sehen, die die wichtigsten Stationen der
HausbesetzerInnenbewegung in der Stadt zeigen. Diese Aktivitäten
waren eng an die Forderung nach einem selbstverwalteten Jugendhaus
gekoppelt. Die Reise beginnt in den fünfziger Jahren, geht
über das Globus-Provisorium beim Bahnhof, die Autonome Republik
Bunker, die besetzten Häuser an der Venedigstrasse bis zu den
Aktionen der Gruppe "Luft und Lärm" in den siebziger Jahren.
Anfang der achtziger Jahre folgten das AJZ an der Limmatstrasse und die
Krawalle um das Opernhaus, die auch die Umwandlung der Roten Fabrik in
ein Kulturzentrum beschleunigten. Bald kamen die Forderungen nach
günstigen Wohnungen und Räumen für alternative
Lebensentwürfe dazu, wie sie sich etwa im Karthago am Stauffacher
herauskristallisierten.
Mischa Brutschin hat filmische und andere Materialien, die
zwischen 1979 und 1994 - bis zu den Zeiten von Wohlgroth und Dreieck -
geschaffen wurden, zu einem achtteiligen Zyklus gefügt, der auch
als DVD-Box vorliegt. Inzwischen hat sich die Wohnungsnot in "Zureich"
enorm verschärft, der Zyklus bietet also auch Anschauungsmaterial
und Anregungen für zukünftige Aktionen. ibo
"Allein machen sie dich ein" in: Zürich Rote Fabrik,
Do,
11./18./25. März und 1. April, jeweils 20 Uhr.
http://www.zureich.ch
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20 Minuten 11.3.10
Haus am edlen Zürichberg besetzt
ZÜRICH. Am Zürichberg ist ein Haus an der
Sonnenbergstrasse 83 besetzt: Seit zwei Wochen lebt dort eine Gruppe
von rund 20 Zürchern im Alter von 2 bis 49 Jahren. "Günstiger
Wohnraum ist knapp - wir finden es deshalb schlecht, wenn Wohnungen
oder ganze Häuser einfach leer stehen", so Besetzer Sven. "Vor
allem, wenn sie verfallen wie das besetzte ehemalige
Bürogebäude am Zürichberg." Der Hauseigentümer hat
den Besetzern ein Ultimatum gesetzt: Am Sonntag müssen sie die
Liegenschaft verlassen. "Sonst drohen uns unangenehme Konsequenzen",
sagt Sven.
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SCHNÜFFELSTAAT
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WoZ 11.3.10
Spanischer Bürgerkrieg
Ein Brief, der nie ankam
Charles Fischer - Er war einer von 800 Freiwilligen aus der
Schweiz,
die gegen die drohende Diktatur von General Franco kämpften. Kurz
vor seinem Tod 1937 hatte Fischer seiner Frau einen Brief geschrieben.
Dieser landete direkt bei der Bundespolizei. Siebzig Jahre später
entdeckt ihn die WOZ im Bundesarchiv.
Von Ralph Hug
"In dem Tal dort am Rio Jarama / Schlugen wir
unsre
blutigste Schlacht. / Doch wir haben, auf Tod und Verderben, / Die
Faschisten zum Stehen gebracht."
"Jarama-Valley-Song"
"Mein Vater ist gestorben, als ich 4 Jahre alt war",
erzählt
Charlotte Schärer-Fischer, die heute 77 Jahre alt ist und in Basel
lebt. Sie hat nur ein undeutliches Bild von ihm im Gedächtnis.
Klar war nur, dass er 1937 im Spanischen Bürgerkrieg umgekommen
ist. Ihre Mutter Gertrud sprach nicht über seinen Tod. Sie hatte
alle Hände voll zu tun, um als Alleinerziehende die drei Kinder
durchzubringen. Es war Krise, viele waren arbeitslos, und am Horizont
drohte bereits der Zweite Weltkrieg. Die Familie Fischer wohnte im
aargauischen Dottikon, war arm und musste von der Fürsorge
unterstützt werden.
Der Tag, an dem er verschwand
Es ist Samstag, der 9. Januar 1937, vormittags. Charles
sagt, er
gehe nach Zürich, um ein Velo zu kaufen. An der Bahnstation
Dottikon löste er ein Billett "Zürich einfach". Als er am
Abend nicht heimkehrt, stellt Gertrud fest, dass er einen Koffer mit
Wäsche mitgenommen hat. Am Dienstag, als Charles immer noch nicht
aufgetaucht ist, spricht Gertrud verzweifelt bei der Gemeindekanzlei
vor: Ihr Mann sei weg, sie wisse nicht wohin. Er habe ihr vor dem
Weggang noch fünf Franken gegeben. "Jetzt habe sie aber keinen
Rappen mehr und sollte doch etwas haben für die Familie": So ist
es im Rapport des Polizeibeamten Thut zu lesen, der den Vorfall
untersuchen musste.
Für den Polizisten war der Fall klar: Fischer war ein
Kommunist, der "nicht arbeiten, dagegen gut leben wollte,
beständig über Behörden u. Vorschriften schimpfte". Er
sei "verduftet, um in Spanien an den Feindseligkeiten teilnehmen zu
können". In Thuts Rapport spiegelt sich das negative Bild der
SpanienkämpferInnen, die im Süden gegen General Francos
Militärputsch antraten, um den Vormarsch des Faschismus zu stop
pen - ein Bild, das in der schweizerischen Gesellschaft Jahrzehnte
überdauern sollte.
Polizei und Strafverfolgern galt die anti faschistische
Solidaritätsbewegung für die spanische Republik als
gefährlicher Hort von StaatsfeindInnen. Die Bundesanwaltschaft
setzte alles daran, Spanienfreiwillige an der Abreise zu hindern. Dies
aufgrund von bundesrätlichen Erlassen, welche die Teilnahme an der
Rettung der spanischen Republik aus Neutralitätsgründen
verboten. Da sich vor allem die Kommunistische Partei (KP) und linke
GewerkschafterInnen für Spanien engagierten, schien die
Gelegenheit günstig, in diesem Hort der Unruhe aufzuräumen.
Im Herbst 1936 nahm die Polizei auf Geheiss der Bundespolizei (Bupo) in
Zürich und Basel zahlreiche Verdächtige fest, es kam zu
Hausdurchsuchungen. Auch bei der Familie Fischer in Dottikon, wo die
Polizei am 28. November 1936 anklopfte. Sie musste jedoch ohne Resultat
wieder abziehen. Man habe keine Waffen und keine Munition gefunden,
hiess es später nicht ohne Enttäuschung im Rapport. Die
Polizei war tatsächlich im Glauben, es mit gefährlichen
Umstürzler Innen zu tun zu haben.
Charles Fischer war ein Kommunist. Ob er auch ein
Parteimitglied
war, ist nicht erwiesen. Jedenfalls glaubte er daran, dass eine Welt
ohne Ausbeutung der ArbeiterInnen möglich sei. An jenem Samstag,
als er die Familie verliess, ging er nicht zum Velohändler,
sondern zu ParteigenossInnen, die sich wie er entschieden hatten, trotz
Verbot am Spanischen Bürgerkrieg teilzunehmen. Wir wissen nicht,
ob er in sich eine antifaschistische Pflicht fühlte wie manche,
die in jenen Tagen nach Süden reisten. Oder ob er einfach dem Rat
von KollegInnen folgte, denen er vertraute. Sicherlich aber stellte
sich Charles Spanien als von der Natur gesegnetes Land vor, das ihm
nach einem Sieg über Franco eine Chance auf eine neue, bessere
Existenz bieten würde. Und das war es schliesslich, was im Leben
zählt. Er sah seine Zukunft in einem utopischen Sehnsuchtsraum,
für dessen Verwirklichung er bereit war, notfalls auch sein Leben
einzusetzen.
Tod am Rio Jarama
Die Reise nach Süden führte Charles Fischer
nicht ins
Paradies, sondern in die Hölle des Bürgerkriegs. Im
Januar/Februar 1937 tobte die Schlacht um Madrid. Nachdem Franco die
Eroberung der Hauptstadt im ersten Ansturm misslungen war, suchte er
den militärischen Erfolg durch eine Umklammerungstaktik. Dabei
konnte er auf eine massive militärische Unterstützung durch
seine faschistischen Verbündeten Mussolini und Hitler zählen.
Es kam zu einer Reihe von berühmten Schlachten, deren Namen mit
der Erinnerung an diesen Konflikt untrennbar verbunden sind: Jarama,
Guadalajara, Brunete. "¡No "pasarán!" hiess die Parole -
"Sie werden nicht durchkommen!" -, und sie schien sich im Wunder von
Madrid, das während des ganzen Kriegs nie fiel, zu bestätigen.
Charles kam am 18. Januar 1937 in Albacete an, dem
Hauptquartier
der Internationalen Brigaden. Wenig später wurde er an die Front
abkommandiert, möglicherweise im reorganisierten
Thälmann-Bataillon oder auch im Bataillon André Marty der
XI. Internationalen Brigade. Vermutlich sah Charles die Front nur
wenige Tage. Am 12. Februar 1937 traf ihn die tödliche Kugel am
Rio Jarama, südöstlich von Madrid. Diese drei Wochen dauernde
Schlacht war eine der mörderischsten im ganzen Bürgerkrieg.
Sie kostete auf beiden Seiten das Leben Tausender und endete in einem
militärischen Patt. Ein Hügel in exponierter Stellung bekam
von englischen Brigadist Innen den Namen "Suicide Hill", weil er nur
unter grössten Verlusten hatte erobert werden können. Eines
der bekanntesten Lieder des Spanischen Bürgerkriegs, der
"Jarama-Valley-Song", nimmt darauf Bezug.
Charles war einer der rund sechzig Schweizer
BrigadistInnen, die
sich im Jarama-Tal den Francotruppen entgegenstellten. Und er war einer
der rund 180 Landsleute, die nicht mehr in die Schweiz
zurückkehrten und in spanischer Erde begraben wurden. Gertrud
Fischer, Charles' Ehefrau, wusste, dass ihr Mann am Jarama das Leben
verloren hatte. BrigadistInnen, die Ende 1938 heimkehrten, hatten es
ihr berichtet. Ein unendliches Jahr lang lebte sie in der schrecklichen
Ungewissheit, was mit Charles geschehen war. Sie hatte kein
Lebenszeichen und keine Nachricht von ihm erhalten. Insgeheim hatte sie
seinen Tod wohl geahnt. Vermutlich hatte sie in den Nächten nach
seinem Weggang kaum geschlafen, gequält von Fragen und Zweifeln,
weshalb Charles die Familie verlassen hatte, einfach so, ohne etwas zu
sagen.
Der Brief, den Charles aus Figueras an sie geschrieben
hatte,
hätte ihr Klarheit über seine Motive und sicher auch
Erlösung von der quälenden Ungewissheit verschafft. Im Brief
erklärt Charles seinen Entschluss, wegzugehen, sein Schweigen,
seine innere Zerrissenheit und seine grosse Hoffnung auf eine neue
Zukunft in einem von Ausbeutung befreiten Spanien (vgl. den Brief auf
der rechten Seite). Er erzählt, wie er überwältigt war
vom begeisterten Empfang durch die spanische Bevölkerung, welche
die Brigadisten als Befreier feierte und ihnen überall zujubelte.
Viele Freiwillige aus der Arbeiter Innenschicht hatten überhaupt
das erste Mal in ihrem Leben das Gefühl, gebraucht und
geschätzt zu werden. Möglicherweise hätte dies Gertruds
Wut, Trauer und Verzweiflung etwas gemildert. Doch dies alles war nicht
möglich, weil Gertrud den Brief gar nie in Händen hielt.
Otto Gloor, der "Kommunistenfresser"
Und das kam so: Charles hatte gleichzeitig einem Freund in
Dottikon, dem Maler und Sozialisten Rinaldo Campi, eine Postkarte mit
dem Text "Mein letzter Gruss, Charles" geschickt. Gertrud wusste davon
und erzählte es auch dem Polizeibeamten Thut. Ein Fehler, wie sich
bald herausstellen sollte: Der Polizei gelang es, Fischers Brief
abzufangen. Er landete nicht bei der Empfängerin, sondern in den
Akten des Zürcher Untersuchungsrichters Otto Gloor, und zwar im
Original, in Handschrift und mit Bleistift geschrieben.
Gloor war in Linkskreisen als fanatischer Ermittler und
"Kommunistenfresser" bekannt. Er führte zahlreiche
Ermittlungsverfahren gegen SpanienkämpferInnen. Damals glaubte er
sich einer illegalen kommunistischen "Werbezentrale" auf der Spur, mit
deren Hilfe viele Spanienfreiwillige nach Paris und Lyon geschleust
würden. Er sah die einzigartige Gelegenheit gekommen, gleich die
ganze KP-Spitze hinter Gitter zu bringen. Entsprechend gross waren der
Aufwand und der Eifer, mit dem er die Ermittlungen im Auftrag der
Bundesanwaltschaft vornahm. Gloors Anklageschrift gegen zahlreiche
KP-Funktionäre, angeführt von Edgar Woog, ist über
hundert Seiten lang. Nicht nur Gloor war scharf auf Post aus Spanien,
sondern sämtliche Untersuchungsrichter, denn Postkarten und Briefe
waren das beste Beweismittel, um SpanienkämpferInnen wegen
verbotenen fremden Militärdiensts überführen zu
können.
Der Brief, den Gertrud nie zu Gesicht bekam, blieb in den
Untersuchungsakten und lagert seither in einer Kartonbox im
Schweizerischen Bundesarchiv in Bern. Charles Fischer wurde nie von der
Militärjustiz angeklagt, vermutlich weil bekannt wurde, dass er in
Spanien gefallen war. Doch niemandem kam es in den Sinn, den Brief
nachträglich der Familie Fischer auszuhändigen oder
wenigstens eine Kopie davon herzustellen, auch den Richtern des
Divisionsgerichts 6 nicht. In vielen Spanienkämpferdossiers sind
beschlagnahmte Originalbriefe oder Abschriften zu finden, die nie an
die Empfänger Innen retourniert wurden. So skandalös dieser
Umstand für die Betroffenen teils anmutet, so günstig wirkte
er sich für die historische Forschung aus, denn diese Briefe sind
wertvolle Quellen zur Rekonstruktion der Geschichte der Schweizer
Spanienfreiwilligen.
Die Tochter erinnert sich
Bis vor einem Jahr lebte Charlotte Schärer-Fischer im
Ungewissen über die genauen Motive ihres Vaters, am Spanischen
Bürgerkrieg teilzunehmen. Im Zuge der Rehabilitierung der
Schweizer SpanienkämpferInnen erfuhr sie schliesslich, dass ihr
Vater der Familie noch einen Brief geschrieben hatte, und sie
erkundigte sich dann bei der IG Spanienfreiwillige danach. Noch gut
erinnert sie sich an das Engagement ihres Vaters für
Benachteiligte, für die er sein letztes Hemd weggegeben
hätte, und an die negativen Reaktionen auf seine politische
Einstellung: "Die Nachbarn sagten uns, sie müssten sich ja
schämen, dass unser Vater ein Kommunist war." Zu Hause in der
Stube hing ein Porträt von Lenin. Als kleines Mädchen wusste
sie nicht, wer das war.
Charles Fischer wurde 1908 im französischen Nancy
geboren,
sein Vater war beruflich als Monteur von Webstühlen tätig und
in dieser Funktion viel unterwegs. Das war wohl auch der Grund
dafür, dass Charles nicht in der Schweiz zur Welt kam.
Später trennten sich die Eltern, und Charles kam in die
Heimatgemeinde Dottikon zu Pflege eltern, bei denen er aufwuchs. Er
absolvierte eine Schreinerlehre, doch sagte ihm dieser Beruf nicht zu.
Er, der in der Schule gute Noten hatte, hätte viel lieber stu
dieren wollen, doch das war für jemanden aus der
ArbeiterInnenschicht zu jener Zeit kaum möglich. Er war
eingesperrt im proletarischen Milieu, blieb Hilfsarbeiter und
unzufrieden. Schliesslich hörte er in Zürich von den
Versprechungen der KP für eine bessere Zukunft der
ArbeiterInnen. Das zog ihn an und weckte in ihm grosse Hoffnungen.
Im Kreis der KommunistInnen fand er Kolleginnen und Freunde, sass mit
ihnen zusammen und sprach abends beim Bier über seine Sorgen - zu
dieser Zeit wohnte er an der Zurlindenstrasse in Wiedikon, einem damals
bekannten KP-Quartier. Spanien war an den Stammtischen das politische
Thema Nummer eins. Schon im August 1936, einen Monat nach Ausbruch des
Bürgerkriegs, waren die ersten Zürcher KP-Leute nach Paris
aufgebrochen. Bupo-Spitzel fingen sie jedoch am Bahnhof in Basel
ab und steckten sie in das Lohnhof-Gefängnis. Später
versuchten sie es wieder und kamen dann durch.
Basler KP-Leute organisierten in den folgenden Monaten den
heimlichen Transit von Hunderten von Freiwilligen aus Mittel- und
Osteuropa, die von der Komintern mobilisiert worden waren, über
die Grenze. Man traf sich mit Code worten an vereinbarten Treffpunkten,
und ortskundige FührerInnen schleusten sie nachts über die
grüne Grenze. Manchmal wurde auch ganz einfach das Tram nach
Saint-Louis benutzt, eingeweihte Kondukteure schauten weg. Charles
Fischer hatte dank eines Passes keine Grenzprobleme und benutzte den
Zug via Lyon nach Südfrankreich, wo ganze Waggonladungen mit
Brigadist Innen in Perpignan gesammelt und dann mit Camions oder zu
Fuss über die Pyrenäengrenze ins spanische Figueras gebracht
wurden. Dort wurden sie in der Festung Sant Ferran gemustert und dann
weiter per Bahn ins Hauptquartier nach Albacete gebracht. Aus Figueras
stammte die Karte, die Charles an seinen italienischen Freund Rinaldo
Campi gesandt hatte. Und auch der Brief an Gertrud, seine Frau, die er
nie mehr wiedersehen sollte.
--
Ralph Hug ist zusammen mit Peter Huber Autor des Handbuchs
"Die
Schweizer Spanienfreiwilligen", das im März 2009 im Rotpunktverlag
erschienen ist - kurz bevor die Schweizer Spanienfreiwilligen endlich
rehabilitiert wurden (siehe WOZ Nr. 11/09). In 700 Kurzbiografien wird
anhand des um-fangreichen Aktenmaterials aus Moskauer und Schweizer
Archiven das soziale und politische Profil der rund 800 freiwilligen
KämpferInnen rekonstruiert. www.rotpunktverlag.ch
--
Meine liebe Frau u. liebe Kinder!
Nun bin ich seit gestern abend in Spanien. Wir sind sehr
viele
neue Freiwillige aus allen Ländern. Von der Schweiz ist einer noch
von Basel u. einer von Lausanne u. einer vom Tessin hier. Ich habe
am Samstag in Basel die Grenze via Mühlhausen mit der Bahn
passiert u. bin dann von dort nach Lyon gefahren mit dem Nachtzug. Von
dort sind wir dann ein Tag später weitergefahren bis bereits an
die Grenze. Von dort aus sind wir in Auto-Cars über die Grenze bis
hier etwa 60 km von der Grenze geführt worden. Diese Ortschaft
gehört zu Katalonien. Hier sind wir in der Festung und haben bis
morgen frei, dann gehen wir weiter an die Front nach Barcelona oder
Madrid. Du hättest diese Begeisterung sehen sollen, als wir unter
dem Gesang der Internationale durch die Dörfer u. Städte
gefahren sind. Die Kinder u. Erwachsene begrüssten uns mit
erhobener Faust u. mit einem Lärm u. mit Rufen. Wenn du dies
gesehen hättest, dann könntest du auch unsere Begeisterung
begreifen u. dann bist auch du überzeugt von unserem Siege
über die Francos. [...]
Es reut mich gar nicht, dass ich diesen Schritt getan
habe. Im
Gegen teil, meine Überzeugung u. mein Kampfesmut ist ins
unermessliche gestiegen. Es hat noch viele verheiratete
Familienväter hier, u. alle denken gleich wie ich.
Nun meine liebe Frau will ich dir schreiben, warum ich von
Dir
fort ging. Ich weiss, dass Du noch zu ehrlich bist u. Dir u. meinen
Kindern zuliebe habe ich so gehandelt. Bestimmt hättest du der
Polizei Und wenn ich Dich gesehen hätte weinen, so hätte dies
mich an meinem Vorhaben geschwächt. Begreife mich also u. weine
nicht nach mir. Es geht mir gut u. noch nie war ich so glücklich -
Ich bleibe Dir treu u. vergesse auch nicht, dass ich verheiratet bin.
Ich werde das Versprechen, das ich Dir gegeben habe, halten. Das
heisst, Du kannst nach dem Siege zu mir kommen, wenn ich nicht für
die Sache falle. [...]
Ich küsse Dich, küsse mir die kl. Kinder
Charli
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GIPFEL-SOLI
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WoZ 11.3.10
Italien
Sanfte Strafen
Der G8-Gipfel vom Juli 2001 in Genua blieb vor allem wegen
der
schweren Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und
Globalisierungskritikerinnen in der Erinnerung haften. Mehr als 250
Gipfelgegner wurden damals mindestens drei Tage in der Haftanstalt
Bolzaneto festgehalten und dabei nach eigenen Aussagen sys tematisch
misshandelt. Polizistinnen und Gefängniswärter prügelten
unter anderem mit Schlagstöcken auf die Verhafteten ein und
liessen sie stundenlang mit erhobenen Händen an der Wand stehen.
Auch das Sanitätspersonal beteiligte sich an den Misshandlungen
und vernachlässigte die ärztliche Versorgung.
Am letzten Freitag, fast neun Jahre später, hat ein
Berufungsgericht in Genua in zweiter Instanz die Vorwürfe der
Verhafteten als korrekt angesehen und die Schuld von 44 Angeklagten
festgestellt. Dennoch verurteilte das Gericht nur 7 Angeklagte zu
Haftstrafen zwischen zwölf Monaten und drei Jahren. Die Straftaten
der übrigen gelten mittlerweile als verjährt. Die
Entschädigungssumme an die Opfer (die Tageszeitung "La Repubblica"
spricht von fünfzehn Millionen Euro) übernimmt der Staat.
Jan Jirát
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ANTI-ATOM
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WoZ 11.3.10
Atommüll
Aggressives Wasser
Die Nationale Genossenschaft für die Endlagerung
radioaktiver Abfälle (Nag ra) hat zwischen Olten und Schaffhausen
vier Gebiete ausgewählt, die sie für geeignet hält, um
dort Atommüll zu vergraben. Das Eidgenössische Nuklear
sicherheitsinspektorat (Ensi) hat Ende Februar ein Gutachten zu den
Nagra-Vorschlägen publiziert und die Auswahl der Standorte als
"fachlich fundiert" bezeichnet. Auch die Kommission für nukleare
Entsorgung (KNE) hat die Nagra-Vorschläge begutachtet und erteilt
ihr ebenfalls gute Noten, macht aber einige kritische Anmerkungen. So
hält die KNE zum Beispiel fest, das Ausbaukonzept des geplanten
Lagers müsse noch genauer spezifiziert werden.
Welche Unannehmlichkeiten auftauchen, wenn man beginnt,
sich das
Endlager konkret vorzustellen, lässt sich im Felslabor Mont Terri
verfolgen. Da erfährt man zum Beispiel, dass das Tongestein
Salzwasser enthält. Das Salzwasser wird die stählernen
Atommüllbehälter zerfressen, und dabei entsteht
hochexplosives Gas. Noch weiss niemand, wie dieses Problem zu
lösen ist. sb
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Atommüll
Der Berg tut nie, was man von ihm erwartet
Endlagersuche in der Schweiz-Die Nationale Genossenschaft
für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) möchte den
strahlenden Müll im Mittelland in einer Tonschicht vergraben.
Theoretisch eine nachvollziehbare Idee - praktisch eine Lösung,
die viele unangenehme Überraschungen bereithält. Ein Besuch
im Versuchslabor Mont Terri.
Von Susan Boos (Text) und Ursula Häne (Fotos)
In diesem Gestein, das aussieht wie Schiefer und im
Hügel
hinter Saint- Ursanne zu finden ist, lebt es: ein kleines Bakterium,
wild entschlossen, zu existieren - auch ohne Luft und ohne Licht. Ein
französischer Wissenschaftler hat die Spezies im Felslabor Mont
Terri entdeckt. Das Labor widmet sich exklusiv dem weichen,
grauschwarzen Opalinuston, in den man den Schweizer Atommüll
versenken möchte. Allerdings nicht in den Hügeln des Kantons
Jura, da wird der Ton nur erkundet.
Eigentlich waren die Wissenschaftler Innen überzeugt,
im
Opalinuston kein Leben zu finden. Bakterien sind zwar klein, aber die
Poren des Opalinustons sind noch viel kleiner. Bakterien haben gar
keinen Platz, um darin zu überleben, sagten sich die
WissenschaftlerInnen.
Trotzdem behaupten sich diese Bakterien seit Jahrmillionen
am
garstigen Ort, der entstanden ist, als die Gegend noch flach war und
auf dem Grund eines Meeres lag. Zu jener Zeit war es kühl und
feucht. Der Regen schwemmte Gesteinsschlamm ins Meer, wo er liegen
blieb. Mit ihm Ammoniten, kleine Kraken, die wie Schnecken ein Haus
herumtrugen. Noch heute findet man die Häuser der filigranen
Kopffüssler im Gestein, und sie erzählen, wie alt der Ton
ist: 180 Millionen Jahre, auf eine Million Jahre genau.
Der Fund der Bakterien war eine Sensation. So ist die Welt
unter
unseren Füssen, immer gut für eine Überraschung. Derweil
man in diesem Gestein auf Sensationen gerne verzichten würde. Der
Opalinuston sollte berechenbar und zuverlässig sein wie der
Sternenhimmel, immer gleich für Tausende von Jahren, damit man
getrost den lange strahlenden Atommüll darin versorgen kann. Doch
welches Ungemach in der Praxis droht, lässt sich im Mont Terri
beobachten.
Swisstopo statt Nagra
Paul Bossart empfängt in der alten Kalkfabrik, gleich
neben
dem Bahnhof von Saint-Ursanne. Bossart ist Geologe und Direktor des
Mont-Terri-Projekts. Fast als Erstes sagt er: "Wir sind neutral!" Er
ist bei Swisstopo angestellt, dem Bundesamt, das unter anderem die
wunderbaren Schweizer Wanderkarten produziert. Bossarts Lohn kommt also
vom Bund, nicht von der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung
radioaktiver Abfälle (Nagra).
Der Mont Terri gehört dem Kanton Jura, und damit
gehört
ihm auch das Versuchslabor im Berg. Die Nagra hätte es gerne
übernommen, doch das wollte die jurassische Regierung nicht. Sie
verlangte, eine unabhängige Instanz müsse das Labor leiten,
und deshalb hat jetzt Swiss topo dort das Sagen. Es koordiniert die
rund vierzig Projekte, die die verschiedenen Organisationen im Mont
Terri am Laufen haben - mit dabei die Nagra, die französischen,
spanischen und kanadischen Pendants der Nagra sowie verschiedene in-
und ausländische Atomaufsichtsbehörden oder
Forschungsinstitute.
Bossart ist schon lange dabei und kennt den Berg.
Opalinuston sei
im Mittelland und im nördlichen Teil der Schweiz, aber auch im
Süden Deutschlands zu finden, sagt Bossart - nur ist er nicht
überall so leicht zugänglich wie im Mont Terri. Es gebe ihn
auch in Bern, sagt Bossart: "Dort liegt er in etwa 3000 Metern Tiefe,
wo man eine Temperatur von annähernd hundert Grad hat - da
lässt sich kein Endlager bauen."
Bossart nimmt Bohrkerne vom Gestell, graue Steinzylinder,
die
zeigen, was den Opalinuston ausmacht: Er hat die Fähigkeit, Risse
wieder selber zu verschliessen. Anders als Granit, wo ein Riss ewig ein
Riss bleibt. Risse sind unangenehm in einem Endlager, denn wo sich
Risse öffnen, dringt Wasser ein. Und das ist schlecht, sehr
schlecht, weil das Wasser die Radionuklide nach draussen tragen kann.
Meerwasser im Berg
Doch der Opalinuston ist dicht, da geht kein Wasser durch.
Deshalb scheint er perfekt für Atommüll. Die Idealvorstellung
sieht wie folgt aus: Man packt den strahlenden Abfall in weichen Ton,
der schmiegt sich lückenlos um die radio aktive Fracht, packt sie
wasserdicht ab und hält sie über Jahrmillionen von der Umwelt
fern.
So viel zur Theorie. Das Unangenehme ist nur: Der Ton
enthält selber Wasser, 180 Millionen Jahre altes, salziges
Meerwasser. Das Wasser ist noch da, doch die Hälfte der Stoffe,
die im Meerwasser drin waren, sind weg. "Hinausdiffundiert", sagt
Bossart. Simpel ausgedrückt, die Stoffe sind rausgewandert. Am
Mont Terri hat dieser Prozess vor zirka sechs Millionen Jahren
begonnen, als das Juragebirge aufgefaltet wurde.
Die Radionuklide würden auch irgendwann
rausdiffundieren,
sagt Bossart, "nach spätestens 100 000 Jahren, wenn die
Behälter durchgerostet sind, dürfte dies beginnen".
100 000 Jahre sind eine lange Zeit. Doch die Stoffe, die
in einem
Atommülllager enden, sind für die Ewigkeit gemacht. Das
bekannte, hochgiftige Plutonium-239 hat eine Halbwertszeit von 24 000
Jahren. Plutonium kommt aber nicht weit, weil es an den Tonpartikeln
hängen bleibt. Anders ist es mit Jod-129, das irgendwann reichlich
im Endlager zu finden sein wird und eine Halbwertszeit von
fünfzehn Millionen Jahren hat. Ein Stoff, der sehr reisefreudig
ist, weil er sich nicht gern mit dem Ton verbindet.
Die Partizipationsmaschine
Der Bund will diesmal nicht dieselben Fehler machen wie am
Wellenberg (vgl. Text "Die Nagra und der Entsorgungsnachweis"). Heute
nimmt man die Bevölkerung ernst, was es nicht einfacher macht. Das
Bundesamt für Energie (BFE) hat ein breit angelegtes
Partizipationsverfahren entwickelt. Alle Gemeinden, die in den
auserwählten Standortgebieten liegen, sollen einbezogen werden.
Das sind über 160 Gemeinden, auch die deutschen Grenzgemeinden
dürfen mitmachen.
In den sechs Standortregionen sind zudem
Geschäftsstellen
geplant, welche die Partizipation organisieren werden. Man ist darauf
bedacht, alle relevanten Gruppierungen zu involvieren und
anzuhören - die Bäuerinnen genauso wie die Kleingewerbler
oder die EndlagergegnerInnen.
Es ist ein höchst komplexes Gebilde, das da
heranwächst. Der Prozess dürfte - so rechnet das
BFE - in den ers ten beiden Etappen, bis zur definitiven Auswahl des
Lagerstandortes, etwa 28 Millio nen Franken kosten. Das meiste davon
werde man der Nagra verrechnen, sagt Michael Aeber sold, der beim BFE
für das Verfahren zuständig ist. Noch nie habe es irgendwo
auf der Welt bei der Suche nach einem Endlagerstandort ein so breites
Partizipationsverfahren gegeben.
Jean-Jacques Fasnacht, Arzt in Benken, nennt das
Partizipationsverfahren "Scheindemokratie". Seit den neunziger Jahren
kämpft Fasnacht gegen die Nagra-Pläne im Zürcher
Weinland. "Wir müssen uns wirklich sehr gut überlegen, ob wir
bei diesem Verfahren überhaupt mitmachen wollen", sagt er.
Fasnacht fürchtet, der Widerstand könnte vereinnahmt und
pulverisiert werden. Vor allem kritisiert er, dass "das Verfahren nicht
ergebnisoffen" sei: "Sie kommen mit einem Endlagermodell, das nicht
mehr zeitgemäss ist. Doch das Modell selbst steht gar nicht mehr
zur Debatte."
Damit hat er recht, die Maschine läuft: Das
Auswahlverfahren
dürfte etwa zehn Jahre dauern. Danach wird der Bund der Nagra eine
Rahmenbewilligung erteilen. Dagegen kann das Referendum ergriffen
werden. Allerdings wird die ganze Schweiz darüber abstimmen - die
betroffene Region hat, so sieht es das Kernenergiegesetz vor, heute
kein Vetorecht mehr. Den ZürcherInnen wird es nichts nützen,
wenn sie das Lager ablehnen, aber alle andern im Land glauben, im
Weinland sei der Atommüll gut aufgehoben.
Das Gas im Fels
Frühestens 2030 dürfte das Lager für die
schwach-
und mittelaktiven Abfälle bereitstehen, frühestes 2040 wird
das Hochaktivlager den Betrieb aufnehmen. Nach fünfzig oder
hundert Jahren werden dann die Lager verschlossen und sich selber
überlassen. So ist der Plan.
Unten im Tal glitzert der Doubs. Oben, an den
Abhängen des
Mont Terri, klaffen grosse Löcher. Sie zeugen von der Zeit, als
Kalk abgebaut wurde. Später fand man, die Kavernen wären ein
praktischer Ort, um Müll verschwinden zu lassen. Nach turbulenten
Protesten von UmweltschützerInnen liess der Kanton Jura die
Deponie Ende der neunziger Jahre sanieren. 8000 Tonnen Sondermüll
mussten rausgeholt werden, ein teures Unterfangen.
Das letzte Loch am Hang führt indes in den
Jurahügel
hinein, rein ins Felslabor. Drinnen sind die Stollen hell
ausgeleuchtet. In den Nischen stehen technische Utensilien für die
unterschiedlichsten Versuche. Zwei junge Männer montieren an der
Decke eine Art Schlauch, der in den Fels hineingeht. Hier werde
untersucht, wie sich das Gas im Ton verhalte, sagt Bossart. Denn das
Gas macht Sorgen, obwohl es eigentlich gar kein Gas hat im Opalinuston.
Die Nagra möchte den Atommüll einmal in grossen
Stahlbehältern im Ton einlagern. Das Meerwasser im Ton ist jedoch
nicht nur salzig, sondern auch aggressiv. Früher oder später
wird es mit den Stahltanks in Berührung kommen. Der Stahl wird
oxidieren, dabei entsteht Wasserstoff, ein hochexplosives Gas. Paul
Bossart sagt, Wasserstoff sei ein seltsames Gas, "wenn es sich
ausdehnt, wird es wärmer, anders als bei allen anderen Gasen".
Vor diesem Gas hat man Respekt. Wie verhält es sich?
Wird
der Gasdruck den Ton aufsprengen? Werden Risse entstehen, die das Lager
undicht machen? Es wäre klüger, keine Stahlbehälter im
Ton einzulagern, sagt Bossart. Kupfer sei auch nicht viel besser.
Manche würden Keramikschäume empfehlen: "Doch bei einem
Erdbeben kann das Keramik zerbrechen, und die Radionuklide würden
austreten." Da brauche es noch viel Materialforschung, um den
geeigneten Behälter zu finden. Er sei gar nicht sicher, ob es das
richtige Material überhaupt gebe, sagt Bossart nachdenklich.
Die fehlende Glaubwürdigkeit
Marcos Buser ist ein alter Profi. Ende der achtziger Jahre
schrieb der Geologe für die Schweizerische Energie-Stiftung das
legendäre Buch "Mythos Gewähr". Detailliert hat Buser darin
aufgezeigt, wie der Bund seine eigenen Rechtsgrundlagen zurechtbog, um
kein Atomkraftwerk abstellen zu müssen, obgleich die
Atommüllfrage nicht gelöst war.
Heute schaut Buser im Auftrag der jurassischen Regierung
im Mont
Terri zum Rechten. Er kam zu dieser Aufgabe, weil er für den
Kanton Jura die Sondermülldeponien von Saint-Ursanne und von
Bonfol (für welche die Basler Chemie verantwortlich war) saniert
hat.
Zudem sitzt er in der Kommission für nukleare
Sicherheit
(KNS), die den Bundesrat in Atomfragen berät.
Buser sagt, geologisch gesehen sei der Opalinuston sicher
der
beste Ort, um in der Schweiz ein Endlager zu bauen. Er sagt aber auch,
dass am Projekt der Nagra noch vieles unklar und nicht zu Ende gedacht
sei. Zum Beispiel will die Nagra eine etwa fünf Kilometer lange
Rampe bauen, um mit grossen Fahrzeugen ins Endlager zu fahren. Buser
hält das für eine höchst problematische Idee. Dadurch
würden diverse Wasser führende Gesteinsschichten durchquert,
womit ein Wasserpfad direkt ins Endlager gelangen werde. Das Letzte,
was man brauchen kann.
Viel klüger wäre es, senkrechte Schächte zu
bauen,
um den Untergrund möglichst nicht zu stören. Die Nagra
gedenke, fünf Meter lange und bis zu dreissig Tonnen schwere
abgebrannte Brenn elemente in den Stollen einzulagern. "Das wird nie
funktionieren!", prognostiziert Buser, "so grosse, schwere
Kanister bekommt man ohne Sicherheitsprobleme nie in das Endlager
rein. Da muss man über die Bücher."
Das Hauptproblem sei jedoch ein ganz anderes: "Die Nagra
ist
zuständig für die Forschung. Sie ist finan ziell von den
AKW-Betreibern abhängig. Diese müssen zwar regelmässig
Geld in den Stilllegungs- und Entsorgungsfonds einlegen - dieser Fonds
wird aber erst für den Bau und den Betrieb des Endlagers
eingesetzt." Forschung, die heute vielleicht sinnvoll, aber teuer sei,
werde verpasst, weil die Betreiber kein Interesse haben, mehr Geld als
unbedingt nötig auszugeben. "Das Verursacherprinzip ist bei
radioaktiven Abfällen ein fundamentaler Konstruktionsfehler: Es
geht um Gefahren zeiträume von Tausenden von Jahren - da
müsste eine unabhängige Instanz für die Entwicklung des
End lagerkonzeptes zuständig sein. Und nicht Werke, die in erster
Linie Strom für die Gegenwart produzieren müssen, aber eben
auch langlebigen Abfall hinterlassen. In hundert Jahren sind die
Verursacher nicht mehr da."
Am Ende sagt er noch: "Wir stecken in einem
ausserordentlichen
Experiment. Einem Experiment, das es noch nie gegeben hat - und die
Experimentatoren, die es in Gang setzen, werden nie erfahren, wie es
ausgeht."
Der Ton mag keinen Beton
Bossart steht mitten im Mont-Terri-Felslabor und sagt wie
Buser:
Man dürfe den Ton möglichst nicht stören, wenn man
sichergehen wolle, dass er die Radio nuklide einmal über lange
Zeit sicher verwahre. Doch schon Zement reicht, um den Ton aus dem
Gleichgewicht zu bringen.
"Opalinuston mag keinen Beton", sagt Bossart. Beton
enthält
Zement und ist viel basischer als der Ton. Die Wände des
Felslabors sind mit Spritzbeton abgedeckt, um sie stabiler zu machen.
Denn jede Öffnung im Opalinuston wächst langsam zu. Die
Tunnels im Felslabor wären nach hundert Jahren verschwunden,
würde man die Wände nicht verstärken. Teile des
Endlagers sollen einmal über Jahrzehnte offen bleiben, man wird
also auch dort die Wände verstärken müssen.
In einer der Nischen im Mont-Terri-Stollen läuft ein
Betonversuch. Hier würden sie ausprobieren, ob es Betonsorten
gebe, die weniger basisch seien und sich besser mit dem Ton vertragen
würden, sagt Bossart. Aber er zweifelt, ob sich ein solcher Beton
finden lässt.
Beton würde die Chemie im Endlager für immer
verändern. Das sei riskant, sagt Bossart, weil sich manche Radio
nuklide in einer anderen chemischen Umgebung anders verhalten
würden. Manche, die nicht wasserlöslich waren, werden es
plötzlich. Eine ungemütliche Vorstellung in einem Endlager.
Deshalb wird man im Endlager keinen Beton einsetzen
dürfen.
Es braucht eine andere Lösung, vielleicht mit Eisengittern, die
man an den Wänden verankern könne, sagt Bossart. Bevor das
Lager verschlossen würde, müsse aber alles Eisen aus den
Stollen entfernt werden, wegen des Gases, das sonst entstehe.
Und da sind sie wieder, die Unwegbarkeiten, die der
Untergrund
stets bereithält. Bislang hat die real existierende Geo logie am
Ende noch jede hübsch gedachte Endlagerlösung vermasselt.
Jüngstes Beispiel ist das Prestigeprojekt Yucca Mountain, das die
US-Regierung Anfang Februar definitiv aufgeben musste, weil sich der
Berg nicht an die Vorstellungen der Endlagersucher gehalten hat und
nass war, wo er trocken sein sollte.
--
Die Nagra und der Entsorgungsnachweis
Seit 1972 sucht die Nationale Genossenschaft für die
Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) nach einem geeigneten
Lagerstandort. Die Nagra gehört den AKW-Betreibern, weil diese
laut Kernenergiegesetz verpflichtet sind, die "radioaktiven
Abfälle auf eigene Kosten sicher zu entsorgen", und zwar in einem
"geologischen Tiefenlager", also irgendwo im Untergrund.
Die Nagra ging am Anfang dilettantisch vor, suchte vor
allem im
Granit, stiess überall auf Widerstand. Sie war wegen des "Projekts
Gewähr" unter Druck, das verlangte, bis 1985 müsse
nachgewiesen sein, dass sich der Atommüll sicher entsorgen lasse,
sonst würden die bestehenden Atomkraftwerke vom Netz genommen. Den
Entsorgungsnachweis blieb die Nagra schuldig, doch kein AKW wurde
abgestellt.
1986 favorisierte die Nagra den Wellenberg im Kanton
Nidwalden
als Standort für schwach- und mittelaktiven Abfall. Die
Bevölkerung wehrte sich und lehnte im Jahr 2000 das Projekt an der
Urne definitiv ab.
Parallel dazu hatte die Nagra im Zürcher Weinland das
"Projekt Opalinuston" vorangetrieben. Hier gedachte sie, ein Lager
für hochaktiven Müll zu bauen. Sie reichte beim Bund ein
entsprechendes Projekt ein. Dieser entschied, damit sei nun der
Entsorgungsnachweis erbracht. Aber er verlangte, die Nagra müsse
noch weitere Standorte evaluieren. So stehen heute sechs Standorte zur
Diskussion: Neben dem Zürcher Weinland das Gebiet nördliche
Lägern und der Bözberg - die drei sollen geeignet sein
für ein Hoch- wie für ein S ch wach- und Mittelaktiv-Lager,
alle drei kämen im Opalinuston zu liegen. Daneben gibt es noch
drei Standorte, die sich lediglich für ein Schwach- und
Mittelaktiv- Lager eignen sollen: der Jurasüdfuss, der
südliche Randen (beide im Opalinuston) sowie der Wellenberg (im
Mergel).
Der sogenannte Entsorgungsnachweis besagt, theoretisch
lasse sich
im Opalinuston ein Endlager bauen - die Forschung im Mont Terri zeigt
aber, dass es in der praktischen Umsetzung noch viele schwerwiegende
Probleme gibt, bei denen es noch völlig unklar ist, ob sie sich
überhaupt lösen lassen. sb
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WoZ 11.3.10
Neue AKWs - Die russische Atomindustrie will massiv expandieren
- nach
Europa, in den Fernen Osten und in die Arktis. Das in Kaliningrad
geplante AKW ist ein erster Schritt.
Putins Atomoffensive
Von Ulrich Heyden, Moskau
Neman ist eine Kleinstadt in der russischen Ostsee-Exklave
Kaliningrad. Bisher lag der 12 000-EinwohnerInnen-Ort am Südufer
der Memel abseits der internationalen Politik. Doch das könnte
sich nun ändern. Denn vor zwei Wochen legte man hier den
Grundstein für ein neues russisches Atomkraftwerk, für das
Rosatom - der staatliche russische Atomkonzern - europäische
Unternehmen als Investoren gewinnen will. Im Gespräch ist
dabei vor allem der deutsche Siemens-Konzern.
Das "baltische Atomkraftwerk" - so der offizielle
Arbeitstitel
für den neuen Atommeiler - soll ab dem Jahr 2016 die baltischen
Staaten sowie Schweden, Polen und Deutschland mit Strom versorgen.
Geplant sind zwei WWER-Druckwasserreaktoren mit einer Gesamtleistung
von 2300 Megawatt. Ausschlaggebend für die Standortwahl waren zwei
Überlegungen: Einerseits unterstreicht der Kreml bei jeder
Gelegenheit die Zugehörigkeit des von den EU-Staaten Polen und
Litauen umgebenen Kaliningrad zur Russischen Föderation und hat im
dortigen Hafen einen Teil der russischen Ostseeflotte stationiert.
Andererseits aber will Russ land die Exklave verstärkt als
Brückenkopf für Stromlieferungen nach Europa nutzen.
Ein Geheimpapier
Durch die Abschaltung des litauischen Atomkraftwerks Ignalina
Ende 2009
- ein AKW vom Tschernobyl-Typ - sei in der Region eine Energie
lücke entstanden. Mit diesen Worten begründete Rosatom-Chef
Sergei Kirijenko den Bau des neuen Meilers. Die Regierung in Vilnius
plant zwar mit Polen und den baltischen Nachbarstaaten Lettland und
Estland ein neues AKW. Doch momentan fehlt den Regierungen das Geld
dafür. Nach Meinung von ExpertInnen wird es jedenfalls
frühestens 2020 fertig sein. Und so prescht Russland nun vor.
Rosatom, das das Neman-Projekt zu 51 Prozent kontrollieren
wird,
plant sogar schon Stromleitungen in die europäischen
Nachbarländer. Das geht aus einem Geheimpapier des russischen
Stromexporteurs Inter Rao Ees - eine Rosatom-Tochter - hervor, das der
russischen Umweltorganisation Ekosaschita aus der Gebietsregierung von
Kaliningrad zugespielt wurde.
Kaliningrads Gouverneur Georgi Boos verspricht sich vom
AKW-Projekt einen Prestigezuwachs. Er stellt neue Arbeitsplätze in
Aussicht und mehr Steuereinnahmen für die wirtschaftlich
vernachlässigte Region. Ob die Hoffnungen des Gouverneurs in
Erfüllung gehen, ist jedoch zu bezweifeln - nach einer Umfrage des
Soziologischen Zentrums von Kaliningrad lehnen 67 Prozent der lokalen
Bevölkerung das AKW-Projekt ab. Im Herbst letzten Jahres kam es in
der Stadt Sowjetsk, nicht weit vom Bauplatz, zu einer ersten Kundgebung
von AtomkaftgegnerInnen. Das Energiedefizit des Gebiets könne auch
mit dem Neubau von Gas- und Torfkraftwerken gedeckt werden, sagen die
KritikerInnen.
Siemens drängt nach Osten
Boos ist auf Erfolge dringend angewiesen. In Kaliningrad
reissen
Grossdemonstrationen gegen die soziale Not nicht ab. Ende Januar
demonstrierten Zehntausende gegen Steuererhöhungen und steigende
Wohnkosten. Anfang März gab es eine zweite Demonstration in der
Stadt Tschernjachowska mit 5000 TeilnehmerInnen, und für den 20.
März ist in Kaliningrad schon die nächs te Grosskundgebung
geplant.
Sollte Siemens zum Zug kommen, hätte zum ersten Mal
seit
Ende des Zweiten Weltkriegs ein deutsches Unternehmen Einfluss im
ehemals deutschen Ostpreussen gewonnen. Siemens drängt seit langem
auf die osteuropäischen Märkte. Anfang 2009 hatte der Konzern
seinen Ausstieg aus dem deutsch-französischen Atomkraftkonzern
Areva bekannt gegeben und eine Kooperation mit Rosatom
angekündigt. Der Kreml ist schon länger in Kontakt mit dem
Grossunternehmen: Nach einem Treffen zwischen Ministerpräsident
Wladimir Putin und Siemens-Chef Peter Löscher unterzeichneten Ros
a tom und Siemens im März 2009 eine Absichtserklärung
über die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens. Es soll
"die Entwicklung der russischen Druckwasserreaktor-Technologie weiter
vorantreiben", hiess es in einer Pressemitteilung. Besonders verlockend
für Siemens sind Rosatoms Erfahrungen auf dem Gebiet des
Brennstoffkreislaufs. Mit diesem Partner will Siemens den Weltmarkt
erschliessen. Bis 2030 müssten weltweit 400 neue AKWs gebaut
werden, argumentierten die beiden Konzerne in einer gemeinsamen
Erklärung. Allein 26 davon will Rosatom in Russland errichten;
sieben Reaktoren sind zurzeit im Bau.
Schwimmende AKWs
Momentan arbeiten in Russland zehn Atomkraftwerke mit
insgesamt
dreissig Reaktoren. Nach der Tschernobyl-Katastrophe und wegen des
Wirtschaftschaos unter Boris Jelzin wurde in Russ land bis 2001 kein
neues AKW gebaut. Das änderte sich unter Putin, der den
Atomstromanteil von 16 auf 25 Prozent erhöhen will. Seither wurden
zwei neue Reaktorblöcke der Atomkraftwerke Wolgodonsk (Rostow) und
Kalininskaja (bei Moskau) in Betrieb genommen.
Das Staatsunternehmen Rosatom plant nicht nur
herkömmliche
AKWs. 2013 soll das erste schwimmende AKW vor Kamtschatka ganz im Osten
Russ lands in Betrieb gehen. Die schwimmende Plattform von 144 Metern
Länge und 30 Metern Breite, auf der zwei 35-Megawatt-Reaktoren
installiert werden, liegt zurzeit in der St. Petersburger Werft
Baltiskij Sawod auf Kiel.
China, Thailand, Südkorea und Indonesien haben
bereits
Interesse an Russlands schwimmenden AKW bekundet. Für den
russischen Bedarf will Rosatom-Chef Kirijenko zehn solcher AKWs ordern.
Sie sollen entlang der russischen Nordküste stationiert werden und
den Strom für die Ausbeutung arktischer Rohstoffe (vor allem
Öl und Gas) liefern.