MEDIENSPIEGEL 10.4.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo)
- RaBe-Info 9.4.10
- Grosse Schanze: City-Beach ab Juni
- Police BE: Kein Presserats-Verfahren gegen WoZ-Journi
- Squat Biel: die 2. Woche an der Neuengasse 9
- Antifa: Prozess Biglen; Nachlese Antifa-Demo Grosshöchstetten
- Antira: Demo gegen Molino SA in Fribourg am 24.4.10
- 1. Mai Lausanne
- 1. Mai Zureich: Regentanz von oben; RAF-Polemik
- Undercover-Verbot: Polizei beklagt sich
- Delta Security an FCB-Spiel in ZH
- LU verbietet Choreos nicht
- Schnüffelstaat: Basel kontrolliert Bund
- Asyl/Sans-Papiers: Gesundheitsberatung BS; Illegal in SG
- Neonazis Schweden: Auschwitz-Schild-Klauer ausgeliefert
- Gipfel-Soli-News 9.4.10
- Kinoleben BE: Raubritter-Kapitalismus

----------------------
REITSCHULE
----------------------

Sa 10.04.10
20.30 Uhr - Tojo - "Alleinsein ist immer zu kurz" ein Stück über Annemarie von Matt. Regie: Lilian Naef. Mit: Stine Durrer
21.00 Uhr - Kino - "Fressen und gefressen werden?": The Rocky Horror Picture Show, Jim Sharman, USA/UK 1975
22.00 Uhr - Dachstock - Sophie Hunger (CH) & Band, Support: George Vaine
22.00 Uhr - SousLePont - Budget Boozers (Garage Trash Rock'n'Roll), Support: Shady & the Vamp (Garage Punk) und Sonic Angels (Garage Rock'nRoll)

So 11.04.10
21.00 Uhr - Dachstock - ISWHAT?! (Hyena/Discograph/Alive/USA), feat. Napoleon Maddox (Rap/BeatBox), Brent Olds (Bass), Cocheme'a Gastelum (Sax), Hamid Drake (Drums)

Infos: http://www.reitschule.ch

---

kulturstattbern.derbund.ch 10.4.10

Nicolette Kretz am Samstag den 10. April 2010 um 07:00 Uhr

"Werde nächstens Geheimsitzung mit mir abzuhalten nötig haben"

Ich hatte bis gestern Abend nur ein sehr diffuses Bild von Annemarie von Matt. Und nun, seit ich "Alleinsein ist immer zu kurz" von Liliane Naef und Stine Durrer gesehen hab, ist es auch nicht viel klarer. Aber ich konnte eine Stunde lange ihre eigenwilligen Gedichte, Aphorismen und Tagebucheinträge geniessen und eine wenig in eine schräge Welt einer verschrobenen Künstlerin eintauchen.

Von Matt erlebte in den 1930er und 40er Jahren einige Erfolge mit ihren Kunstwerken: Objekte, Bilder, Zeichnungen. Sie war stets eine selbst gewählte Aussenseiterin, deren grösstes Vergnügen es war, alleine zu sein. Sie war mit dem Bildhauer Hans von Matt verheiratet, begann aber ein geheimes Verhältnis mit einem Jesuitenpater. Und ausgerechnet sie, die sagte "Langeweile entsteht erst ab zwei Personen, allein gibt es das nie," ging an dieser Liebe zugrund.

Naef (Konzept und Regie) und Durrer (Idee und Spiel) stellen aus den Texten und dem visuellen Material von Matts eine ruhige Collage zusammen. Texteinspielungen ab Band aus Berichten von Bekannten von Matts ergänzen das Bild dieser eigentümlichen Frau. Durrer wurstelt das ganze Stück durch mit Zetteln, Papiertüten, Flaschen und sonstigen Gegenständen rum, und erst ganz zum Schluss erkennt man, dass sie damit die ganze Bühne in ein grosses Bild verwandelt hat.

"Freue mich, wenn ihr Einblick tun werdet, eines Tages, in meine Unterwelt," schrieb die Künstlerin einst. Das tut man gern, auch wenn es stets ein bisschen schmerzt.

--------------------
RABE-INFO
--------------------

Fr. 9. April 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_9._April_2010.mp3
- Der Dalai Lama ist in der Schweiz- doch diese will ihn nicht offiziell empfangen
- Palmölplantagen statt Regenwald- Greenpace kristisert Nestlé
- Zusammen Chancengleichheit erwerben- interkulturelle Kinder- Projekte gesucht

-----------------------------
GROSSE SCHANZE
-----------------------------

BZ 10.4.10

City-Beach

 Ab Juni Strandleben an Berns Stadtstrand

 Das Projekt City-Beach auf der Grossen Schanze ist auf guten Wegen. Kanton und Veranstalter sind sich bis auf wenige Details einig.

 Liegestühle, Sonnenschirme und ein Pool - ab Anfang Juni soll die Einsteinterrasse am Rand der Grossen Schanze zu einem Stadtstrand werden. "Das Projekt ist auf guten Wegen", bestätigte gestern Michael Achermann, Geschäftsführer der City-Beach AG. Nach Startschwierigkeiten sieht es nun so aus, als ob die Luzerner Eventagentur in Bern einen City-Beach einrichten könnte.

 Uni hatte Zweifel

 Als die Pläne für den Stadtstrand publik geworden waren, äusserte vorab die Universitätsleitung Zweifel, ob das Strandleben mit dem Uni-Betrieb kompatibel sei (wir berichteten). Grundeigentümer der Einsteinterrasse ist der Kanton. Wie Christian Albrecht, Generalsekretär der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion (BVE), gestern sagte, liegt nun ein Entwurf für eine Nutzungsvereinbarung zwischen dem Kanton und der City-Beach AG vor.

 Gewisse Details müssen aber von der Veranstalterin noch bereinigt werden. "Wir müssen noch einen Situationsplan mit den Zufahrten für die Feuerwehr sowie den Notausgängen einreichen", sagt der City-Beach-Geschäftsführer. Er ist zuversichtlich, dass sich alle offenen Fragen klären werden. Denn: "Wir haben immer unsere Bereitschaft signalisiert, unseren Betrieb auf denjenigen der Uni und des Open-air-Kinos abzustimmen."

 Wann es genau losgeht, kann Achermann noch nicht sagen. "Das Startdatum ist abhängig davon, wann die Uni-Prüfungen vorbei sind."

Mirjam Messerli

--------------------
POLICE BE
--------------------

Bund 10.4.10

Presserat

 Kein Verfahren gegen "WOZ"-Journalisten

(sda) (pkb)

 In einem Artikel unter dem Titel "Der Polizist und seine ,Nigger hat ein Journalist der "Wochenzeitung" einen Drogenfahnder der Berner Kantonspolizei im Bild gezeigt und mit Namen genannt. Der Polizist habe sich mehrere rassistische Übergriffe zuschulden kommen lassen. Dagegen hat die Polizei eine Beschwerde eingereicht. Der Presserat ist nicht darauf eingetreten: Weil eine Zivilklage wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte anstehe, sei die Durchführung zweier paralleler Verfahren nicht sinnvoll. (lok)

---

presserat.ch 19.3.10

Nr. 9/2010: Presserats- und Gerichtsverfahren (Kantonspolizei Bern c. "Wochenzeitung") Stellungnahme des Presserates vom 19. März 2010


I. Sachverhalt

A. Unter dem Titel "Der Polizist und seine ‹Nigger›" veröffentlichte die "WochenZeitung" am 17. Dezember 2009 einen Artikel von Dinu Gautier. Der Bericht erhob gegen einen darin namentlich genannten Drogenfahnder der Berner Kantonspolizei den Vorwurf, dieser habe sich mehrfach rassistische Übergriffe zuschulden kommen lassen. Der Betroffene sei auch politisch aktiv. Als Mitglied der Jungen SVP habe er 2007 den Nationalratswahlkampf der Kantonalsektion geleitet.

B. Am 26. Januar 2010 richtete der Kommandant der Berner Kantonspolizei, Stefan Blättler, eine Beschwerde gegen den obengenannten Bericht der "WochenZeitung" an den Presserat. Die Zeitung habe die Persönlichkeitsrechte eines Mitarbeiters durch die Nennung des Namens und den Abdruck eines Bilds wissentlich und willentlich verletzt. Ergänzend wies der Beschwerdeführer darauf hin, die Persönlichkeitsverletzung werde spätestens Ende Februar 2010 klageweise beim zuständigen Zivilgericht geltend gemacht.

C. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements des Presserats werden Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt, vom Presseratspräsidium behandelt.

D. Das Presseratspräsidium bestehend aus Presseratspräsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina hat die vorliegende Stellungnahme per 19. März 2010 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.


II. Erwägungen

1. Gemäss Art. 10 Abs. 2 seines Geschäftsreglements kann der Presserat auch dann auf Beschwerden eintreten, wenn im Zusammenhang mit dem Beschwerdegegenstand bereits ein Gerichtsverfahren eingeleitet worden ist oder ein solches vom Beschwerdeführer noch anhängig gemacht werden soll. Vorauszusetzen ist allerdings, dass sich im konkreten Fall grundlegende berufsethische Fragen stellen.

2. Bei der Prüfung der Frage, ob eine Beschwerde grundlegende berufsethische Fragen aufwirft, berücksichtigt der Presserat nicht allein die als verletzt gerügten abstrakten berufsethischen Bestimmungen, sondern den konkret zur Diskussion stehenden Sachverhalt in Verbindung mit diesen Bestimmungen. Ebenso fällt bei der durch den Presserat vorzunehmenden Interessenabwägung ins Gewicht, inwiefern es von der Bedeutung der Sache her gerechtfertigt erscheint, zu einem identischen oder zumindest ähnlichen Sachverhalt zwei parallele Verfahren durchzuführen. Beanstandet der Beschwerdeführer im parallel hängigen Gerichtsverfahren weitgehend die gleichen Punkte wie in der Presseratsbeschwerde, ist diese Doppelspurigkeit aus Sicht des Presserates in aller Regel nicht gerechtfertigt (46/2007).

3. Bei der vom Beschwerdeführer angekündigten Zivilklage wegen Verletzung der Persönlichkeit stellen sich im Wesentlichen die gleichen Fragen wie im Presseratsverfahren. Insbesondere: War die Nennung des vollen Namens des Beschwerdeführers und seiner Verurteilung durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt? Unter diesen Umständen ist die Durchführung zweier paralleler Verfahren nach Auffassung des Presserates nicht sinnvoll, weshalb er auf die Beschwerde nicht eintritt.


III. Feststellungen

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.

---

WoZ 17.12.09

Rassismus - Ein minderjähriger Asylbewerber erhebt schwere Misshandlungsvorwürfe gegen einen Berner ­Drogenfahnder. Der Polizist ist Sicherheitspolitiker der Jungen SVP.

Der Polizist und seine "Nigger”

Von Dinu Gautier

Er sei gefesselt und anschliessend auf dem Polizeiposten verprügelt worden, erzählt ein sechzehnjähriger Asylbewerber aus Bern. Nachdem er drei Tage im Spital lag, erstattete er Anzeige. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Berner Kantonspolizist rassistischer Übergriffe bezichtigt wird. Im Frühling berichtete etwa der "Beobachter” von einem ähnlichen Fall.

Die WOZ weiss: In beiden Fällen wird derselbe Polizist beschuldigt. Er heisst Andreas Wicki. Unter Schwarzen in Bern geniesst er einen dermassen zweifelhaften Ruf, dass er einen Übernamen erhalten hat: Wicked Wicki (der boshafte Wicki).

Der Dreissigjährige ist Drogenfahnder in der speziellen Einsatzgruppe Krokus der Kantonspolizei Bern. Krokus soll das Entstehen einer offenen Drogenszene verhindern und den Drogenhandel bekämpfen. Wicki ist auch politisch aktiv. Das Mitglied der Jungen SVP (JSVP) leitete 2007 den Nationalratswahlkampf der Kantonalsektion. Bei der Nominierung für die Wahl landete er auf Rang drei der JSVP-Liste. Er war zudem Präsident der JSVP-Sicherheitskommission. Seine Forderungen? "Kriminelle Ausländer raus!”, "Aussetzung von Kopfgeld auf Sprayer!”. Wickis ausländerpolitische Ansichten sind in einem online zugänglichen Positionspapier nachzulesen. Ein Auszug: "Jedes Jahr wird ein Heer von Sozialarbeitern, Schul- und anderen Psychologen generiert, welche ausländische Schläger, Vergewaltiger, Erpresser und halbstarke Schulhofterroristen bei Kaffee und Kuchen ins Bodenlose therapieren sollen. Solche Streicheltherapien sind für brutale Schläger, welche oftmals aus Ländern stammen, in denen Gewalt zur Tagesordnung gehört, eine Lachnummer.”

Heute beschränke sich Wickis aktives politisches Engagement auf einen Sitz in der Parteikommission Polizei und Militär. Er wolle sich zusehends aus der aktiven Politik zurückziehen, wie er der WOZ telefonisch versicherte. Dies aus familiären und zeitlichen Gründen und weil "ein gewisser Interessenkonflikt mit dem Polizeiberuf” bestehe.

"Gefesselt, geschlagen, getreten”

Wir sitzen in einem Zimmer des Durchgangszentrums Enggistein, oberhalb von Worb bei Bern. Lamine S. (Name der Redaktion bekannt) ist von kräftigem Körperbau, etwas schüchtern sein Blick. Ruhig beginnt der sechzehnjährige Asylbewerber aus Gambia zu schildern, was er am Abend des 3. Oktober erlebt haben will. Er habe einen Kollegen in Freiburg besuchen wollen, erzählt Lamine, beim Besteigen des Zugs sei er aber von zwei Polizisten angehalten worden. "Ausweiskontrolle!”. Lamine darf sich nicht in der Stadt Bern aufhalten. "Sie brachten mich zum Bahnhofposten. Solange wir unter Leuten waren, haben sie mich anständig behandelt”, so Lamine. "Als wir aber den Posten betraten, wurde ich getreten und fiel auf den Boden.” Sofort seien seine Arme auf den Rücken gefesselt worden. Die beiden Polizisten hätten angefangen, ihn zu prügeln und zu treten. "Switzerland is not for motherfucking African people”, die Schweiz sei nicht für gottverdammte Afrikaner da, oder "Berne doesn't welcome niggers” (in Bern sind Neger nicht willkommen), sei ihm gesagt worden, so Lamine.

"Ein weiterer Polizist und eine Polizistin waren am Essen und schauten zu. Sie lachten.” Dann sei er hart am Auge getroffen worden und habe stark aus der Nase zu bluten begonnen. "Now you are one eye, Lamine” - "Jetzt bist du ein Einauge, Lamine”, soll der Polizist Andreas Wicki in spöttischem Ton gesagt haben. Lamine kennt dessen Namen von einer früheren "Begegnung”.

Stark blutend sei er an einen Tisch gesetzt worden, sagt der junge Mann. Um das von Auge und Nase tropfende Blut aufzufangen, sei seine Baseballmütze unter seinem Kinn platziert worden. Die mit Blut vollgesogene Mütze habe Andreas Wicki später im Papierkorb entsorgt. "Ich habe geweint. Wicki sagte: ‹Hör auf zu heulen, sonst lassen wir dich nicht raus.›” Wieder habe es Schläge gesetzt, dann sei ihm gesagt worden, er solle seine Nase waschen und nach Hause gehen. "Ich sagte, in dem Zustand könne ich nicht nach Hause.” Schliesslich hätten die Polizisten beschlossen, ihn ins Inselspital zu fahren. Als sie bereits im Polizeiauto sassen, seien draussen ein paar Afrikaner vorbeigegangen. Wicki habe seinem Kollegen auf Englisch gesagt: "Da hat es noch mehr Neger, lass sie uns schnappen.” Der zweite Polizist habe ihn aber zuerst ins Spital bringen wollen, so Lamine. Wicki habe dann - noch immer auf Englisch - gesagt, den "Niggers” würde er dann halt später die Hände brechen.

In der Notaufnahme des Inselspitals angekommen, hätten die Polizisten dem Mann am Empfang gesagt, Lamine sei weggerannt und gestürzt, daher die Verletzungen. Der Mann habe ungläubig geguckt, sagt Lamine. Die Polizisten hätten sich vor dem eintreffenden Arzt zivilisiert verhalten, aber sobald der mal kurz das Behandlungszimmer verlassen habe, hätten sie wieder begonnen, ihn zu verspotten.

Rätselhafter Sturz

Lamine wird am Auge operiert. Die Diagnose laut Unterlagen des Inselspitals, die der WOZ vorliegen: Gebrochener Orbitalboden (der Knochen direkt unter dem Auge) mit eingeklemmtem Fettgewebe, starke Schwellung unter dem Auge, Blut in der Nasennebenhöhle, beidseitig Prellungen am Brustkorb. Der Kollege von Wicki wird später auch vor dem Untersuchungsrichter behaupten, Lamine sei bei einer Verfolgungsjagd gestürzt. Die Frage, wie man sich bei einem Sturz so stark am rechten Auge verletzen und sich gleichzeitig an beiden Seiten des Brustkorbes Prellungen zuziehen könne, bleibt bislang unbeantwortet.

Nach drei Tagen Spitalaufenthalt wird Lamine mit noch immer stark geschwollenem Auge, einem Schnäuzverbot und Rezepten für diverse Schmerzmittel aus dem Spital entlassen.

Lamine S. ist vorbestraft. Er soll mit Cannabis gehandelt haben. Darauf angesprochen sagt er, er deale nicht, er sei lediglich Konsument. "Aber selbst Drogendealer haben doch ein Recht darauf, dem Gesetz entsprechend behandelt zu werden.” Lamine, der ohne seine Eltern via Kanarische Inseln in die Schweiz gelangt ist (vgl. den Artikel auf Seite 6 über unbegleitete minderjährige Asylsuchende) reichte in der Folge mit Hilfe der Menschenrechtsgruppe Augenauf Bern eine Anzeige gegen Andreas Wicki und dessen Kollegen ein.

Für Paed Conca von Augenauf ist Lamine kein "Unschuldslamm”, sondern ein Jugendlicher, der auch mal "Seich” mache. "Dennoch schätzten wir seine Aussage - leider - als sehr glaubwürdig ein, weil wir schon relativ viele Erfahrungen in dem Bereich gemacht haben.” Dieser Polizist sei bereits an vielen ähnlichen Geschichten beteiligt gewesen, so Conca.

Nicht die erste Anzeige

Einen dieser Vorfälle hat ein Betroffener zusammen mit Augenauf bereits vor Monaten angezeigt. Ein 27-jähriger Schweizer mit dunkler Hautfarbe wirft Andreas Wicki unter anderem vor, er habe ihn im Rahmen einer Personenkontrolle im September 2008 geschlagen und getreten. Ausserdem habe er ihn rassistisch beschimpft ("Schwarze können doch gar keine Schweizer sein”) und ihm einen falschen (positiven) Kokainschnelltest untergejubelt. Als sich der Mann nur eine Stunde nach der Polizeikontrolle ärztlich beaufsichtigt erneut auf Drogenkonsum habe testen lassen, sei der Test negativ ausgefallen, schrieb der "Beobachter” im Frühling.

In diesem Fall ist die Voruntersuchung inzwischen abgeschlossen, wie Untersuchungsrichter Thomas Perler auf Anfrage der WOZ bestätigt. Der Fall liege nun beim Strafeinzelgericht. Der Fall Lamine S. befinde sich hingegen noch im Stadium der Voruntersuchung. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass die beiden Verfahren aus Gründen der Prozessökonomie zusammengelegt werden.” Mit einer Hauptverhandlung sei frühestens im Frühling zu rechnen, so der Untersuchungsrichter.

Das ist aber noch nicht alles, was Wicki vorgeworfen wird: Paed Conca weiss von weiteren Verfahren gegen Wicki, die aus Mangel an Beweisen bereits eingestellt worden seien. "Innerhalb eines Polizeipostens gibt es keine unabhängigen Zeugen”, so Conca zur Beweislage. Polizisten würden sowieso kaum je verurteilt.

Drei weitere Fälle

Eine ehemalige Mitarbeiterin eines Durchgangszentrums, die namentlich nicht genannt werden will, sagt der WOZ: "Ich erinnere mich an drei afrikanische Asylsuchende, die diesen Frühling unabhängig voneinander von Vorfällen mit Andreas Wicki erzählt haben.” So sei etwa ein Asylbewerber aus dem Kongo mit einer geringen Menge Cannabis erwischt worden. "Hey Neger, weisst du nicht, dass ich schwul bin? Zieh dich aus!”, habe Andreas Wicki bei der anschliessenden Leibesvisitation auf dem Polizeiposten gesagt. Weiter habe er dem Kongolesen klar gemacht, dass er dafür sorgen werde, dass dieser keinen Schritt mehr in die Stadt wagen würde.

Sie habe daraufhin das Gespräch mit der Polizei gesucht, mit dem Ziel, die se Vorwürfe zur Sprache zu bringen. "Es ging mir nicht darum, kriminelles Handeln zu legitimieren, sondern um die Frage der Verhältnismässigkeit, des grundsätzlichen Respekts und um die Erhaltung der Würde eines Menschen”, so die ehemalige Mitarbeiterin des Durchgangszentrums. Sicherlich werde oft übertrieben oder sogar gelogen. Was sie aber an diesen Geschichten nachdenklich gestimmt habe, sei, dass alle drei unabhängig voneinander ähnliche Sachverhalte dargelegt hätten. Ein Gespräch mit dem Regionalchef der Kantonspolizei und dem Chef der Sondereinsatzgruppe Krokus habe dann auch stattgefunden. Sie habe die Polizeikader gebeten, mit Herrn Wicki das Gespräch zu suchen, was diese später auch getan hätten.

Die WOZ konfrontierte Andreas Wicki telefonisch mit den Vorwürfen. Wicki antwortete in freundlichem, gelassenem Ton: "Die Darstellung der Ereignisse in der Anzeige von Lamine S. weicht grob von dem ab, was am 3. Oktober tatsächlich vorgefallen ist. Was wirklich geschehen ist, wird sich vor Gericht zeigen.” Mehr könne er zu den konkreten Fällen nicht sagen, da es sich um laufende Verfahren handle. Allgemein könne er sagen, dass er noch nie jemanden rassistisch beschimpft habe. "Wenn man im schwierigen Bereich des Kampfes gegen den Drogenhandel tätig ist, kann es sein, dass es zu Anzeigen kommt”, so der Polizist. Er betont: "Meine Vorgesetzten stützen mich.”

Erich Hess, Präsident der JSVP, hält Andreas Wicki für ein "gutes Parteimitglied, das viel gemacht hat und differenziert argumentiert”. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten und Andreas Wicki verurteilt werden, würde er dann aus der Partei ausgeschlossen? Erich Hess: "Nein. Er wäre als Mitglied auf jeden Fall noch tragbar. Für einen Polizisten ist es doch immer schwierig, korrekt zu handeln.”

Belastete Krokusse

Die Kantonspolizei wiederum will sich zu "laufenden Verfahren” nicht äussern, unterstreicht aber, dass sie "im Wissen um das unterschiedliche Kommunikationsverhalten von Menschen anderer Kulturen immer wieder interkulturelle Ausbildungen durchführt”. Die Einsatzgruppe Krokus arbeite in einem sehr schwierigen, belastenden Umfeld. "Einerseits werden die Mitarbeitenden täglich mit dem Drogen elend konfrontiert, andererseits haben sie es immer wieder mit sich äusserst aggressiv verhaltenden Drogendealern zu tun”, schreibt Pressesprecher Franz Märki weiter. Deswegen würden PolizistInnen nie längere Zeit in der Einsatzgruppe verweilen. Den seltenen Klagen zu Krokus-Einsätzen gehe man sorgfältig nach.

Paed Conca von Augenauf wiederum wünscht sich, dass korrekt arbeitende PolizeibeamtInnen künftig eingreifen, wenn sie Zeuge von "Kompetenzüberschreitungen, Gewalt oder rassistischen Äusserungen” eines Kollegen würden. "Und Andreas Wicki müsste zumindest ins Büro versetzt werden.”

--

"Zielgruppe” Schwarze

Amnesty International hob in ihrem 2007 erschienenen Bericht "Polizei, Justiz und Menschenrechte - Polizeipraxis und Menschenrechte in der Schweiz” fünf besondere Zielgruppen willkürlicher Polizei einsätze hervor, darunter Asyl­suchende und Schwarze. Amnesty kritisierte, dass einige Polizeikorps noch immer das "Täterprofil aufgrund der Rassenzugehörigkeit” einsetzten. So würden Personen allein aufgrund ihrer (dunklen) Hautfarbe und ihrer Präsenz in bestimmten Quartieren angehalten. Einer besonders hohen Willkür gefahr sind schwarze Asylsuchende ausgesetzt, gehören sie doch gleich zwei Zielgruppen an.

----------------------
SQUAT BIEL
----------------------

Indymedia 9.4.10
http://ch.indymedia.org/de/2010/04/74900.shtml (mit Fotos)

Besetzung in Biel geht weiter/Programm 2te Woche ::

AutorIn : Freies Fabrikgässli         

Seit letztem Dienstag ist das Haus an der Neuengasse 9 (nicht 7) nun besetzt. Alle angekündigte Kurse wurden durchgeführt und eine Dynamik setzt sich langsam in Gang. Es braucht aber immer noch mehr Leute um ein langfristiges Projekt auf die Beine zu stellen.
Von der Besitzerin, der Stadt Biel kam bis jetzt noch keine Nachricht, nur der Stadtpräsident Stöckli ist kurz vorbeigekommen.     
    
Programm der anti-autoritären Bildungswerkstatt
Woche vom 12. bis zum 18. April
Neuengasse 9/Biel

Mo. 12.04 18 Uhr: Jonglieren für Anfänger

Di. 13.04 17 Uhr: PGP, verschlüsseln, Datenschutz im Netz, wie geht das? Informatiker anwesend

Mi. 14.04 13 Uhr: Malfest-Jam
20 Uhr: Vokü und Bistro (regelmässig)

Do. 15.04 15 Uhr: Diskussion über Sexismus + Patriarchat
17 Uhr: Thai-Box Training (regelmässig)

Fr. 16.04 18 Uhr: Rythmik-kurs/ Trommeln

So. 18.04 15 Uhr LaBlatt' Soli-Frühlingsfest auf der Wiese vor dem Haus, im freien Fabrikgässli!

Kontakt:  craaduc@gmx.ch     

--------------
ANTIFA
--------------

Bund 10.4.10

Rechtsradikale wegen Tätlichkeiten vor Gericht

 Ein Angriff Rechtsradikaler auf Linke beschäftigt die Justiz; zwei angeschuldigte Schweizer aus dem Pnos-Umfeld verstrickten sich gestern vor dem Einzelrichter in Widersprüche. — Seite 33

--

"Für späte linke Abendunterhaltung ist gesorgt"

 Zwei junge Rechtsextreme stehen wegen einer Schlägerei mit Linksextremen in Biglen vor Gericht.

 Anita Bachmann

 Beim Vereinshaus der Ornithologen am Rand eines kleinen Wäldchens bei Biglen trafen sich in der Nacht auf den 3. Mai 2009 Leute zu einem antifaschistischen Bräteln. Um Mitternacht warteten zwei Punks den letzten Zug am Bahnhof Biglen ab. Dabei wurde ein 17-Jähriger von rechtsextremen Personen angegriffen, die mit Baseballschlägern ausgerüstet waren. Der junge Mann aus der linken Szene lieferte sich einen Kampf mit den Rechtsextremen, wobei er verletzt wurde, und flüchtete schliesslich zurück zu seinen Kollegen ans Fest. Diese eilten ihm zu Hilfe, und es kam zwischen den beiden Gruppierungen zu einer Schlägerei. Die Polizei nahm vor Ort zwei junge Männer aus der rechtsextremen Szene fest. Die beiden mussten gestern erstmals vor dem Kreisgericht Konolfingen erscheinen. "Ich kann die Zeugenaussagen nicht ernst nehmen", sagte der 20-jährige angeklagte Schweizer. Die beiden streiten alles ab.

 Das Treffen der Linksextremen habe unter dem Motto "Kick out Pnos" stattgefunden. Davon habe er sich persönlich betroffen gefühlt, sagte der 20-Jährige zur Begründung, warum er an diesem Abend in Biglen war. Zudem habe er diese Leute zur Rede stellen wollen, weil sie "Vandalenakte" begehen würden und auch sein Haus versprayt hätten. Gemäss dem Angeklagten hat er sich weder an einem Handgemenge beteiligt noch einen Linksextremen verfolgt. Er sei lediglich einer Person gefolgt, weil er nicht genau gewusst habe, wo das Fest stattfinde.

 "Es braucht mehr Zeugen"

 Vor Gericht stritt er auch ab, mit seinem Mitangeklagten, einem 23-jährigen Schweizer, in Biglen abgemacht zu haben. Der Text in einer SMS vom 23-Jährigen - "für späte linke Abendunterhaltung ist gesorgt" - beziehe sich auf die Sachbeschädigungen, welche die Linken an diesem Abend in Biglen bestimmt angerichtet hätten. Der 23-Jährige versuchte mit seinen Aussagen seinen Mitangeklagten zu decken. Immerhin sagte er aber zum Umstand, dass er einem Linksextremen Richtung Fest gefolgt war: "Heute würde ich es nicht mehr machen." Nebst den Anschuldigungen der einfachen Körperverletzung und des Angriffs muss sich der ältere Angeklagte wegen Gewaltvideos und Pornografie, die er auf seinem Handy abgespeichert hatte, verantworten.

 "Es ist klar, dass es weitere Zeugen braucht", sagte Gerichtspräsident Marci Ferrari. An der Hauptverhandlung, die voraussichtlich am 6. Mai stattfinden soll, werde unter anderen auch das Opfer aussagen.

---

BZ 10.4.10

Gericht

 Bigler Schlägerei ungeklärt

 Wer schlug in Biglen vor bald einem Jahr zu? Das Kreisgericht in Schlosswil hat zwei Angeschuldigte erfolglos befragt.

 Mai 2009: Linksextreme rufen im Internet zu einer "Kick out Pnos"-Party in Biglen auf. Am Bahnhof werden sie von Rechtsextremen erwartet. Die Umstände, unter denen ein 16-jähriger Linker damals mit einem Baseballschläger spitalreif geprügelt worden war, konnten gestern vor dem Kreisgericht Schlosswil nicht geklärt werden. Die beiden Angeschuldigten, ein 21- und ein 23-Jähriger, wollen wenig bis nichts mitgekriegt haben und verwickelten sich in Widersprüche.

 Gerichtspräsident Marco Ferrari liess die jungen Männer die Ereignisse aus ihrer Sicht schildern. Der 21-Jährige ist bereits vorbestraft wegen Fahrens trotz entzogenem Führerausweis und in angetrunkenem Zustand. Der Mann in der rot-schwarz karierten Kapuzenjacke gab sich wortkarg. Seine Beschreibung des Maiabends war kurz und so leise, dass auch Ferrari mehrmals nachfragen musste. Er habe auf linksextremen Websites von der geplanten "Kick out Pnos"-Party erfahren. Weil er sich über die im Vorfeld verübten linken Sprayereien und Vandalenakte geärgert habe, habe er mit den Linken reden wollen. Wie genau dieses "Reden" vor sich ging und ob der 21-Jährige allein oder mit dem Mitangeschuldigten einem flüchtenden Linken nachjagte, ist noch nicht geklärt. Der Jüngere sagte aus, er sei dem Mann nur gefolgt - nicht nachgerannt -, um zu sehen, wo das Fest stattfinde. Er sei allein gewesen, habe sich mit niemandem verabredet und die Linken einzig verbal aufgefordert, "endlich mit dem Sprayen und den Vandalenakten aufzuhören".

 "Der Nazi von Biglen"

 Der Gerichtspräsident konfrontiert ihn mit einer SMS, die die Angeschuldigten und andere Beteiligte damals erhalten hatten: "Der Nazi von Biglen lädt zum antifaschistischen Bräteln. Für Speis und Trank sowie späte (linke) Abendunterhaltung ist gesorgt." Der Angeschuldigte meinte, das sei nicht so ernst zu nehmen. Und einen Baseballschläger habe er nur zur Verteidigung mitgenommen. "Wir erwarteten 40 bis 50 Linke." Den Baseballschläger hatte er weggeworfen, als ihn die Polizei festgenommen hatte. "Mir ist bewusst, dass man keinen Baseballschläger mit sich führen darf." Es sei beim Bahnhof zu einem Handgemenge mit einem Linken gekommen, aber in eine Schlägerei sei er nicht verwickelt gewesen, behauptete der Angeschuldigte. Konfrontiert mit Aussagen von Zeugen, die ihn erkannt und gesehen haben wollen, dass er Bierflaschen geworfen hatte, konterte er: "Ich nehme solche Zeugenaussagen nicht ernst."

 Gedächtnislücken

 Der 23-Jährige, auch er vorbestraft wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand, gab sich ebenfalls wortkarg. Er zog seine schwarze Kapuzenjacke aus, bevor er sich den Fragen des Gerichtspräsidenten stellte. Ja, auch er habe die Nazi-SMS erhalten. Am Bahnhof habe er Linksextreme gesehen, mit denen es zu Diskussionen gekommen sei. Aber mehr könne er nicht sagen, da setze sein Gedächtnis aus. Auf einem Feld habe es im Dunkeln ein Handgemenge gegeben. "Plötzlich kam aber die Polizei, und ich lag am Boden."

 Warum er den Linken verfolgt habe, wisse er nicht mehr. "Ich würde es heute nicht mehr tun", sagte der 23-Jährige. Zu den Zeugenaussagen in den Akten meinte er nur, es sei ja "normal", dass die Gegenseite so und nicht anders aussage. "Die wollen ja, dass wir verurteilt werden."

 Gerichtspräsident Marco Ferrari wird im Mai nun noch Zeugen und den Geschädigten vernehmen, bevor er das Urteil fällt. Er machte die Beschuldigten darauf aufmerksam, dass auch sie Zeugen aufbieten können.

 Laura Fehlmann

---

Bund 10.4.10

Extremismus in der Region Konolfingen

 Demo gegen Rechtsextreme in Grosshöchstetten

 Kürzlich sollen im Raum Konolfingen gewalttätige Übergriffe auf Linksextreme stattgefunden haben.

 Vor zehn Tagen fand in Grosshöchstetten am Bahnhof eine Spontandemo gegen Rassismus statt. Dies teilten die Organisatoren mit, die sich Libertäre Aktion Konolfingen nennen. Nach eigenen Angaben demonstrierten 50 Personen, weil die Gefahr rechtsextremer Übergriffe in den letzten Jahren besonders auch in der Region Konolfingen stetig steige. "Alleine in den letzten zwei Wochen gab es zwei gewalttätige Übergriffe durch rechtsextreme Schläger auf Jugendliche und auch auf Minderjährige, von denen zumindest eine Person mit Verletzungen und inneren Blutungen ins Spital musste", teilten die Organisatoren mit. Die Rechtsextremen würden sich vermehrt in der Partei National Orientierter Schweizer (Pnos), der Helvetischen Jugend oder den freien Kameradschaften organisieren. Logische Konsequenz dieser Tendenzen seien die vermehrten Übergriffe, wie sie unter anderem im letzen Mai in Biglen stattgefunden haben (siehe Text links).

 Probleme mit Linksextremen

 Mimo Caci, Gemeinderat in Grosshöchstetten und zuständig für die öffentliche Sicherheit, bestätigt, dass die Demonstration mit 30 bis 50 Personen stattgefunden hat. Caci, selber erst 22-jährig, hat zumindest Vermutungen, wer hinter der Libertären Aktion Konolfingen stecken könnte. Beim "Bund" meldeten sich die Organisatoren der Demonstration auf Anfrage aber nicht mehr. Klar scheint, dass es sich bei den Demonstranten um Personen aus dem linksextremen Lager handelt.

 Mit linksextremen Gruppierungen habe man in der Gegend eher Probleme als mit rechtsextremen, sagt Caci. Vor vier, fünf Jahren sei es aber schlimmer gewesen. Ein ähnliches Bild zeichnet der Bigler Gemeindepräsident Jean-Paul Mange. Tendenziell gebe es mehr links- als rechtsextrem Orientierte. "Zu sagen, bei uns gibt es keine extremen Gruppierungen, wäre gelogen", sagt er. Das Problem betreffe aber nicht speziell Biglen, im Amt Konolfingen bestehe ein generelles Problem mit einem Teil der Jugend. "Es ist aber eine Minderheit", sagt Mange. Weiter beobachtet der Gemeindepräsident, dass sich gewisse Szenen an den Wochenenden von städtischen auf ländliche Gebiete verlagern.

 "Ich habe in letzter Zeit keine gewalttätigen Angriffe festgestellt", sagt Rechtsextremismusexperte Hans Stutz. Wo Übergriffe stattfinden würden, habe es aber auch die entsprechenden Leute. Dass sich Rechtsextreme mehr organisierten als früher, könne er nicht bestätigen. Dass die Libertäre Aktion Konolfingen die Region nicht widerstandslos den Rechtsextremen überlassen wolle, bedeute nicht unbedingt eine Ankündigung körperlicher Gewalt, sagt Stutz. "Es geht um Dominanz im öffentlichen Raum." In dem Sinn sei die Drohung als Aufspielen zu verstehen.

 Übergriffe nicht ausgeschlossen

 Die Polizei kann die Übergriffe, die in den letzten Wochen stattgefunden haben sollen, nicht bestätigten. "Wir können aber auch nicht ausschliessen, dass es zu Auseinandersetzungen gekommen ist", sagt Polizeisprecher Franz Märki. Oft würden Vorfälle zwischen links- und rechtsextremen Gruppierungen der Polizei nicht gemeldet, weil die Betroffenen ihre Szenenzugehörigkeit nicht verraten wollten. (ba)

----------------------------
ANTIRASSISMUS
----------------------------

Indymedia 9.4.10

Demo gegen Molino AG - 24. April 2010 in Fribourg ::

AutorIn : ArbeiterInnenkollektiv Molino         

STOPP Rassendiskriminierungen!
Kundgebung: Samstag, 24. April 2010, 15.00 Uhr
Nova-Friburgo Platz, unteres Ende der rue de Lausanne (Fribourg)     
    
Die Molino AG ist eine italienische Restaurantkette in Fribourg sowie in der ganzen Schweiz. Sie gehört der Investmentgesellschaft Athris Holding AG (ehemals Jelmoli AG). Seit 2008 praktiziert die Molino AG öffentlich eine diskriminierende Politik gegen ihr Personal: Sie entlässt schrittweise die Angestellten, die nicht italienischer Herkunft sind - bei den Aussereuropäischen beginnend - um sie mit italienischen Angstellten zu ersetzen, die dafür aus Italien rekrutiert werden.

In Fribourg sind innerhalb von weniger als einem Jahr 10 Angestellte entlassen worden. Einige arbeiteten schon seit mehr als zehn Jahren bei Molino.
Die Angestellten verurteilen diese Politik. Aber die Direktion von Molino AG schaut weg! Sie führt die Selektionspraktiken nach geographischer Herkunft weiter und verzichtet weiterhin darauf, die Angestellten, die aus diskriminierenden Gründen entlassen wurden, zu entschädigen. Diese Politik ist inakzeptabel:

> Sie verletzt das versprochene Engagement der Schweiz im Kampf gegen Diskriminierungen im allgemeinen und in der Arbeitswelt im besonderen;

> Sie raubt den Angestellten jeglichen Schutz vor Kündigungen;

> Sie fördert den Rassismus und die Xenophobie.

Es ist unabdingbar, sich mit den betroffenen Angestellten zu mobilisieren, um den Stopp der Diskriminierungen bei der Molino AG und das Engagement der kantonalen politischen Verantwortlichen gegen diese Praktiken im öffentlichen Bereich zu verlangen.

Kommt zahlreich zur Kundgebung gegen Rassendiskriminierung!

-------------------------------
1. MAI LAUSANNE
-------------------------------

Indymedia 9.4.10

Revolutionärer 1.Mai in Lausanne

AutorIn : Action Autonome  |  übersetzt von : der Wind         

Für einen revolutionären 1.Mai in der Romandie: Demo in Lausanne, 15 Uhr, Parc de Milan

In einer Konsumgesellschaft, die uns die Illusion der unendlichen Möglichkeiten verkaufen will, ist unser Lebensablauf schon vollständig vorgegeben. Seit wir klein sind fragt man uns gerührt, "was wir später machen wollen". Schon als Kind flösst man uns Kenntnisse ein, die unsere Ausbeutung ermöglichen werden, um uns danach eine Bildung - sei sie universitär oder professionnell - zu geben, die immer entsprechend den Erfordernissen des Marktes gestaltet ist. Es existiert keine Lebensalternative, überhaupt keine Wahlfreiheit: Wir müssen uns verkaufen, um uns zu erhalten.

Die vorherrschende Ansicht spricht der Arbeit eine befreiende Kraft zu. Der Mythos von der "wirtschaftlichen Unabhängigkeit" bestärkt das Individuum in seiner Illusion, die Arbeit mache frei. Frei von was? Die Arbeit ist nichts anderes als eine Abhängigkeit vom System, die uns zermürbt und in Ketten legt. Die "Berufsmessen" in knalligen Farben, wo jeder, so scheint es, "seinen Weg" finden soll, sind das Symbol dieser Heiligmachung der Ausbeutung. Denn heute ist die einzige Aktivität, die für den weitaus grössten Teil der Bevölkerung in Frage kommt, diejenige, welche jemand anderen reich macht: die Lohnarbeit. Obwohl die karikaturartige Figur des von seiner Aufgabe getöteten Arbeiters in unseren Gesellschaften dazu tendiert, zu verblassen, ist das Proletariat weit davon entfernt, verschwunden zu sein.

Zu seiner Zeit definierte Marx die Proletarier als diejenigen, welche keine Produktionsmittel besitzen und ihre Arbeitskraft im Tausch für einen Lohn an einen Chef verkaufen. Diese Situation, die auf einen immer grösseren Teil der Bevölkerung zutrifft, hat sich zwar in ihrer Substanz nicht verändert, doch zumindest den Namen gewechselt: man nennt es heute vorsichtig die Lohnarbeit.
Jeden Tag stehen in der Schweiz wie auch anderswo Milliarden von Menschen am Morgen auf, um zu arbeiten und damit Gewinn zu produzieren und die Aktionäre fett werden zu lassen. So nehmen wir Tag für Tag am Unterhalt und an der Reproduktion dieses Systems teil, das unsere eigene Versklavung bedeutet.

Darüber hinaus sind die in den letzten Jahren vorgenommenen Veränderungen in der Arbeitswelt weit davon entfernt, das tägliche Leben der Proletarier zu verbessern: Flexibilität, Prekarität und chronische Arbeitslosigkeit, die wir immer intensiver hinnehmen müssen.
Seit einigen Jahren bröckeln gar die mageren Garantien des Staates, die der Abschwächung des Klassenkampfes dienen, unter den unruhigen Blicken machtloser Gewerkschaften. Man fordert von uns, flexibel und leicht entlassbar zu sein, und darüber hinaus wird, wenn wir scheitern, unser Misserfolg als Frucht unserer Mängel, und nicht als logische Konsequenz eines faulen wirtschaftlichen Systems, dargestellt. Die Lehrlinge, die die Bosse sicher nicht aus Gutmütigkeit einstellen, bedeuten für die Unternehmen eine fast kostenlose Arbeitskraft, die aufgrund ihres Mangels an Erfahrung leicht auszubeuten ist.
Die strukturelle Arbeitslosigkeit als integraler Bestandteil der kapitalistischen Strategie erlaubt es, den "Glücklichen", die eine Anstellung finden, jämmerliche Arbeitsbedingungen aufzuzwingen. Die Politiker zeigen mit dem Finger auf die Immigranten als Sündenböcke für die Arbeitslosigkeit und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. So entziehen sie sich ihrer Verantwortung und schaffen eine künstliche Spaltung unter den Lohnabhängigen, um besser die einzig wirklich existierende Grenze zu kaschieren: diejenige zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern.

Es ist von zentraler Bedeutung, die Mechanismen dieser gut geölten, uns zermalmenden Maschine zu sabotieren, um uns emanzipieren zu können.

Der erste Mai darf nicht den Gewerkschaften vorbehalten sein. Es ist die Natur selbst der Ausbeutung, und nicht nur ihre Bedingungen, die kritisiert werden, es ist die Natur selbst des Kapitalismus, die bekämpft werden muss. Weit entfernt von den Interessen der Arbeiter und der sozialen Realität spielen sich die Gewerkschaften als Sozialpartner des Staates auf, wobei sie um jeden Preis die Versöhnung der Klassen und den sozialen Frieden suchen: ihr sogenannter Reformismus hat einzig und allein die Konsolidierung des uns zerreibenden Systems zum Ziel.

Während unserer 1.-Mai-Demonstration 2009 [in Lausanne] hatten die Chefetage der Gewerkschaften und der aus der parlamentarischen "Linken" kommende Lausanner Polizeichef Hand in Hand gehandelt, um unseren - jedoch wenig offensiven - Demonstrationszug mit grosser Zuhilfenahme von Stockschlägen und Verhaftungen zu zerschlagen. Dieser Akt bezeugt in konkreter Art und Weise die Kollaboration der "sozial" oder "links" genannten Institutionen mit dem bürgerlichen Staat, ihren Willen, die herrschende Ordnung zu verteidigen und somit jegliche Bewegung, die es ablehnt, sich zu institutionalisieren oder der Klassenzusammenarbeit feindlich gegenübersteht, zu sabotieren. Womit sie ihre Seite gewählt haben.

Wir wollen uns nicht damit begnügen, von Brosamen zu leben, in einer Welt, die uns nicht entspricht. Das ist der Grund, weshalb die Autonomen an Terrain gewinnen. Nicht weil wir Provokateure oder Ausgeschlossene wären, sondern weil wir wahrer und historisch tiefer verwurzelt sind als das ganze reformistische Krebsgeschwür.
Wir sind der Wind, der die Eintönigkeit des totalitären Marktsystems wegbläst: die Welt ist mehr denn je eine Barrikade, auf der einen Seite die Ausgebeuteten, auf der anderen die Ausbeuter. Auf der einen Seite diejenigen, welche eine Perfektionierung der Organisation der Ausbeutung anstreben, auf der anderen diejenigen, welche für ihre Zerstörung kämpfen. Auf der einen Seite diejenigen, die aus dem Ersten Mai einen Festtag gemacht haben, um "Lohn", "Anstellung" und "Renten" zu fordern und auf der anderen diejenigen, welche der Arbeit den Marsch blasen wollen. Womit wir unsere Seite gewählt haben! Und die Barrikaden haben nur zwei Seiten: die Gewerkschaften und die Reformisten sind nicht mehr auf unserer Seite.

Aus dieser Überzeugung heraus haben wir die Notwendigkeit erkannt, uns von den staubigen Gewerkschaftstraditionen zu entfernen und mit unseren eigenen Farben zu defilieren.

Wir laden Euch ein, der Arbeit in Lausanne den Marsch zu blasen anlässlich der Streetparade des revolutionären 1.Mai.

-----------------------------
1. MAI ZUREICH
------------------------------

Tagesanzeiger 10.4.10

Türler hofft auf Regen am 1. Mai

 Strassenschlachten und Sachbeschädigungen: Der Tag der Arbeit ist in Zürich geprägt von Auseinandersetzungen zwischen Polizei und randalierenden Chaoten. Aber ausgerechnet an diesem brisanten Tag ist das Amt des Polizeivorstandes verwaist: Die bisherige Stadträtin Esther Maurer (SP) hatte am 31. März ihren letzten Arbeitstag, der neue Polizeivorstand Daniel Leupi (Grüne) tritt sein Amt erst am 17. Mai an.

 Andres Türler, Vorsteher Departement der Industriellen Betriebe, amtet so lange als stellvertretender Vorsteher des Polizeidepartements. Operativ wird der 1. Mai von der Stadt- und Kantonspolizei Zürich betreut. Der FDP-Politiker sieht seiner Aufgabe daher gelassen entgegen. "Es ist wie jedes Jahr: Das Polizeicorps bereitet sich so gut wie möglich vor", so Türler. "Ich werde der Polizei nicht in ihre operative Arbeit reinreden. Sie würde dadurch nicht besser werden." Es seien erfahrene Chefs und Mitarbeitende im Einsatz, und er könne versichern, dass das Polizeicorps seine Arbeit am 1. Mai gut machen werde.

 Der Polizeichef ad interim hofft am 1. Mai auch auf Unterstützung von ganz oben. "Vieles hängt vom Wetter ab. Wenn es regnet, werden weniger Leute auf die Strasse gehen", meint Türler. Er fände es überhaupt schön, wenn der Tag so angegangen werden könnte, wie er ursprünglich gedacht war: als Tag der Arbeit und der friedlichen Demonstration. "Als die Leute noch vornehmlich aus politischen Gründen auf die Strasse gingen, hatten die Demonstrierenden ein Gesicht", sagt Türler. "Heute suchen die Chaoten am 1. Mai einfach den Kampf, die Auseinandersetzung mit der Polizei und den Adrenalinschub. Das ist tragisch. Aber die Polizei kann solche gesellschaftlichen Probleme nicht lösen."

 Esther Maurer braucht Distanz

 Türler werde sich am Tag der Arbeit selber ein Bild vor Ort machen. Wo er sich aufhalten wird, wollte er jedoch aus Sicherheitsgründen nicht verraten. Seine Vorgängerin, Esther Maurer, war bisher am 1. Mai jeweils in der Einsatzzentrale der Polizei anzutreffen. In diesem Jahr lässt sie den Umzug ganz aus. "Ich brauche vorerst etwas Distanz", sagte sie unlängst in einem Interview mit dem TA. Sie hoffe jedoch, dass der 1. Mai ruhig abläuft, und wünscht ihrem Nachfolger viel Glück. (tif)

---

Zürichsee-Zeitung 10.4.10

Revolutionärer Aufbau

 RAF-Verherrlichung in Kanzleiturnhalle

 Zum 1. Mai zeigt der Revolutionäre Aufbau in der Zürcher Kanzleiturnhalle, einer städtischen Einrichtung, eine brisante Ausstellung. Neben Zeichnungen von Arenas und Bildern von Sanchez Casas werden auch Mosaike zu sehen sein, die von Paolo Neri, einem ehemaligen Mitglied der Brigate Rosse, gestaltet wurden. Diese sind eine Widmung an die Terrorkämpfer der Rote-Armee-Fraktion. Auf den bereits andernorts ausgestellten Kunstwerken steht etwa neben Andreas Baaders Porträt "Baader lebt" und "Primat der Praxis". Baader war 1972 an fünf Sprengstoffanschlägen mit vier Todesopfern beteiligt. Laut der Stadt Zürich handelt es sich dabei um Kunst, die nicht gewaltverherrlichend ist. (msc)

---------------------------
UNDERCOVER
---------------------------

NLZ 9.4.10

Fahndungsmethoden

 Bundesgericht schwächt Polizei

 red. Das Bundesgericht hat die Praxis der verdeckten Ermittlung eingeschränkt. Damit wird es der Polizei praktisch verunmöglicht, etwa durch Scheinkäufe Drogendealern das Handwerk zu legen. Die Strafbehörden sehen sich in ihren Ermittlungen stark behindert und befürchten, dass davon "einzig die Kriminellen profitieren", wie Franz Bättig, der Cheffahnder der Zürcher Kantonspolizei, urteilt. Die Luzerner Polizei habe durch Scheinkäufe "schon einige Male Kriminelle aus dem Verkehr ziehen können", sagt Peter Bühlmann, stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. Er hofft, dass das Parlament korrigierend eingreift: "Wir sind um jedes Mittel froh, das die Aufdeckung von Verbrechen erleichtert."

 Seite 3

--

Verdeckte Ermittlung

 "Davon profitieren nur die Kriminellen"

Von Christoph Reichmuth und Kari Kälin

 Das Bundesgericht verbietet der Polizei, Scheinkäufe bei Drogendealern zu tätigen. Experten befürchten, dass die verschärfte Praxis den Strassenhandel fördert.

 Der Polizeibeamte Fritz Müller, im Dienst, aber zivil gekleidet, setzt sich in einer in der Drogenszene bekannten Wirtschaft alleine an einen Ecktisch, bestellt einen Kaffee. Nach ein paar Minuten gesellt sich der Verdächtige X an Müllers Tisch. Die Männer kommen ins Reden, X lenkt das Gespräch bald auf das Wesentliche: Er bietet dem Gast "etwas zum Rauchen", 30 Gramm Haschisch für 300 Franken, zum Kauf an. Müller wittert den Coup, glaubt, über den Kleindealer an Hintermänner zu gelangen, und steigt darauf ein.

 Fritz Müller tat Verbotenes

 Nach heutiger Gerichtspraxis allerdings hätte dies Fritz Müller gar nicht tun dürfen. Der Verdächtige X würde trotz erdrückender Beweise freigesprochen. Denn das Bundesgericht erlaubt verdeckte Ermittlungen nur bei schwerwiegenden Delikten - und darunter fällt der Verkauf von Haschisch für 300 Franken nicht.

 Diese 2008 beschlossene Praxis haben die Lausanner Richter in zwei den Kanton Zürich betreffenden, ähnlichen Fällen abermals bestätigt - ein Kokaindealer und ein Kleinhändler wurden trotz klarer Indizien freigesprochen (siehe Kasten). Was Müller in unserem fiktiven Beispiel hätte tun müssen: sich im Restaurant als Polizist zu erkennen geben - oder auf den Scheinkauf verzichten und den Ort des Geschehens unverrichteter Dinge verlassen.

 Die Entscheide des Bundesgerichtes lösen bei Ermittlern, Strafverfolgern und Rechtsexperten in der Schweiz Kopfschütteln aus. Der Cheffahnder der Kantonspolizei Zürich, Franz Bättig, kritisierte gegenüber Tele Züri jüngst: "Das Urteil erschwert die Arbeit der Polizei ganz massiv, wenn sie nicht sogar verunmöglicht wird." Für Bättig steht fest: "Davon profitieren einzig die Kriminellen." Die Festnahme von Kleinkriminellen auf der Strasse und in Szenentreffs sei die Basis der Polizeiarbeit, "wir müssen an der Wurzel mit dem Ermitteln beginnen, damit wir überhaupt an die Hintermänner gelangen", so Bättig weiter.

 "Frust ist nachvollziehbar"

 Verdeckte Ermittlungen sind nur bei schweren Delikten erlaubt und benötigen eine richterliche Genehmigung. In Luzern erteilt diese das Obergericht auf Antrag der Strafverfolgungsbehörde, welche sie anordnet. Und dort bringt man für den Ärger der Zürcher Kollegen Verständnis auf: "Der Frust ist nachvollziehbar, weil Scheinkäufe nach dem Betäubungsmittelgesetz bis Ende 2010 an sich erlaubt wären", sagt der stellvertretende Geschäftsleiter der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Peter Bühlmann. Bühlmann gibt sich zurückhaltend, sagt aber auch: "Die Luzerner Polizei hat etwa durch Scheinkäufe schon einige Male Kriminelle aus dem Verkehr ziehen können. Die Arbeit der Luzerner Polizei wird durch das Bundesgerichtsurteil nun erschwert, aber wie gesagt nur bis 2011 neue Regeln in Kraft treten."

 Deutliche Worte findet auch Bühlmanns Zürcher Kollege Andreas Brunner, Leitender Oberstaatsanwalt des Kantons Zürich: "Der Bundesgerichtsentscheid nutzt den Spielraum des Gesetzes nicht, und Scheingeschäfte im Drogenmilieu mit nachfolgenden Verurteilungen werden verunmöglicht." Brunner ahnt für Zürich, wo die Kleinkriminalität ausgeprägt ist, nichts Gutes: "Der Strassenhandel wird wieder mehr florieren."

 Politiker wollen Korrektur

 Auf das Dilemma der Strafverfolgungsbehörden aufmerksam geworden ist inzwischen die Politik. Der Zürcher Strafrechtsprofessor und SP-Nationalrat Daniel Jositsch verlangt in einer parlamentarischen Initiative, dass Beamte künftig wieder undercover gegen Kleinkriminelle fahnden dürfen. Jositsch will, dass Scheinkäufe und einfache Lügen wieder erlaubt werden. "Diese Auslegung des Bundesgerichtes hat weitreichende Konsequenzen und schränkt die Ermittlungsmöglichkeiten der Polizei stark ein", sagt Jositsch. Und fügt hinzu: "Was das Bundesgericht entschieden hat, ist schlicht und ergreifend nicht praxistauglich. Das hilft nur den Kriminellen."

 Jositsch steht mit seinem Anliegen im Parlament nicht alleine da. In der vorberatenden Rechtskommission (RK) des Nationalrats wurde die Initiative des Zürcher Sozialdemokraten oppositionslos gutgeheissen. Die Rechtspolitiker wollen einfache Scheinkäufe und Täuschungen zur Aufklärung geringer Delikte von der restriktiven Auslegung des Bundesgesetzes über die verdeckte Ermittlung (BVE) ausnehmen und in den kantonalen Polizeigesetzen regeln.

 Das wäre auch im Sinne der Urner FDP-Fraktionschefin und RK-Mitglied Gabi Huber: "Dass die Fahnder ohne richterliche Bewilligung keine einfachen Scheinkäufe mehr machen können, scheint für die polizeiliche Praxis ein Problem zu sein."

 Hoffen bei Fahndungschef

 Die parlamentarische Initiative von Jositsch wird demnächst in der ständerätlichen Rechtskommission behandelt. Wenn sie auch dort gutgeheissen wird, bräuchte sie noch die Zustimmung des Parlaments. Der Zürcher Cheffahnder Franz Bättig setzt darauf: "Wir brauchen diese Gesetzesänderung, sonst können wir unsere Arbeit nicht mehr ausführen, wie es nötig wäre."

--

Scheinkäufe

 Es braucht den Segen des Richters

sda/cr

 Die Zürcher Stadtpolizei hat mit dem Einsatz von Scheinkäufern im Drogenmilieu Schiffbruch erlitten. Das Bundesgericht hat in zwei Fällen Ende März bestätigt, dass eine verdeckte Ermittlung vorliegt, die der Bewilligung durch einen Richter bedurft hätte.

 Das Bundesgericht verweist darauf, dass eine verdeckte Ermittlung immer dann vorliegt, wenn ein als solcher nicht erkennbarer Polizeibeamter mit einer verdächtigen Person zu Ermittlungszwecken Kontakt knüpft. Laut Bundesgericht kann bereits bei einem einfachen, isolierten Scheingeschäft eine verdeckte Ermittlung vorliegen.

 Früheres Urteil bestätigt

 Die Lausanner Richter bestätigten damit ein früheres Urteil des Bundesgerichtes aus dem Jahre 2008. Damals hatte sich ein Zürcher Polizeibeamter in einem Kinder-Chatroom im Internet als "manuela_13" ausgegeben. Der Nick-Name weckte das Interesse eines 26-Jährigen. Der Mann wurde beim vereinbarten Treffpunkt verhaftet. Da aber eine Genehmigung für eine verdeckte Ermittlung fehlte, wurde der 26-Jährige vor Gericht freigesprochen.

--

Luzerner Ermittler hoffen auf die Politik

INTERVIEW CHRISTOPH REICHMUTH

 Peter Bühlmann, wird bei der Luzerner Polizei im grossen Rahmen verdeckt ermittelt?

 Peter Bühlmann*: Zunächst gilt es begrifflich zu unterscheiden, dass blosse Informanten, Vertrauensleute oder auch observierende Polizeibeamte noch nicht unter den eigentlichen Begriff des verdeckten Ermittlers - kurz VE - fallen. Als verdeckte Ermittlung bezeichnet man Polizeibeamte oder bei der Polizei angestellte Personen, die als solche nicht erkennbar sind und unter geänderter Identität aktiv in das kriminelle Umfeld eindringen und so meist über längere Zeit versuchen, Informationen über schwere Straftaten zu beschaffen.

 Wird diese Methode oft angewendet?

 Bühlmann: Es kommt vor, dass die Luzerner Strafverfolgungsorgane mit verdeckten Ermittlern zusammenarbeiten. Dies geschieht aber nur in sehr wenigen Ausnahmefällen, weil formelle Auflagen, die Planung und Begleitung eines solchen Einsatzes, die damit verbundenen Risiken zu berücksichtigen sind und ein geeigneter Ermittler zur Verfügung stehen muss. Der Erfolg hängt von der Sorgfalt des Vorgehens des Ermittlers und der Wachsamkeit der Zielpersonen ab, wobei auch schon Teilerkenntnisse sehr hilfreich sein können. Der VE muss versuchen, direkt Beweismittel für geplante oder verübte schwere Delikte zu sammeln.

 Wann wird die verdeckte Ermittlung vor allem angewendet?

 Bühlmann: Drogendelikte bilden den Hauptanwendungsfall. Denkbar sind aber auch Waffenschiebereien, kriminelle Organisationen, Betrugsdelikte, Menschenhandel, Entführungen oder sonst gefährliche Schwerstverbrechen, die besonderer Ermittlungsmethoden bedürfen. Es hängt jedoch stark von der Tätergruppe oder der Art des Delikts ab, ob überhaupt über einen VE ein erfolgversprechender Kontakt zu den Zielpersonen hergestellt werden kann.

 Nach welchen Kriterien gibt die Staatsanwaltschaft grünes Licht zu dieser Methode?

 Bühlmann: Die Staatsanwaltschaft ist an die gesetzlichen Voraussetzungen gebunden: Es muss der Tatverdacht für ein Delikt gemäss Gesetzeskatalog bestehen, die Schwere der Tat den Einsatz eines VE rechtfertigen und aufgrund bisheriger Ermittlungen oder der Tatumstände dargelegt werden können, dass bisherige Vorkehren erfolglos blieben oder die Ermittlungen ohne VE aussichtlos wären oder zumindest unverhältnismässig erschwert würden.

 Wird die Staatsanwaltschaft nach dem Bundesgerichtsurteil solche Einsätze nun zurückhaltender genehmigen?

 Bühlmann: Nein, bei uns würde man im Zweifelsfalle die verdeckte Ermittlung gerichtlich genehmigen lassen. Übrigens müssen solche Einsätze ab 2011 mit Inkrafttreten der neuen Schweizerischen Strafprozessordnung ohnehin nach den Regeln über die verdeckte Ermittlung abgewickelt werden.

 Parlamentarier fordern, dass die Polizei künftig wieder durch Scheinkäufe die Kleinkriminalität bekämpfen darf, ohne dass zuvor eine richterliche Genehmigung dafür eingeholt werden muss. Teilen Sie diese Ansicht?

 Bühlmann: Auf jeden Fall. Nachdem der Gesetzgeber mit formellen Hürden die Ermittlungs- und Untersuchungsarbeit stark reguliert hat und die Kriminalität wegen der heutigen elektronischen Mittel, organisierten Täterschaften und durchlässigeren Grenzen immer schwieriger zu bekämpfen ist, sind wir um jedes Mittel froh, das uns die Aufdeckung von Verbrechen und Vergehen erleichtert. Wir würden es zudem begrüssen, wenn auf kantonaler Ebene - wie beim Bund oder in anderen Kantonen - zur Abgrenzung gesetzliche Grundlagen für Informanten und Vertrauenspersonen geschaffen würden.

 Hinweis: * Peter Bühlmann (57) ist stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.

---

Südostschweiz 9.4.10

Aus für die "Aktion Ameise"

 Der Einsatz von verdeckten Fahndern beim Scheinkauf von Drogen hat sich bewährt. Weil das Bundesgericht dies nun aber verbietet, befürchtet die Polizei, dass die Drogendealer ihre Geschäfte künftig wieder offen abwickeln.

 Von Thomas Schwizer

 St. Gallen. - Im Drogenmilieu gehört der Einsatz von verdeckten Fahndern zu den gängigen Ermittlungsmethoden. Jetzt sorgt ein Bundesgerichtsurteil, das diese verdeckten Ermittlungen praktisch verbietet, für grossen Unmut bei den Polizisten.

 Rund 2000 Dealer verurteilt

 Bekannt wurde der Leitentscheid des Bundesgerichts vom 8. März durch einen Bericht in der Sendung "10vor10" von SF DRS. Vertreter von Polizei, Staatsanwaltschaft und Politik bedauern das Urteil. Das Bundesgericht begründet, dass eine rechtliche Grundlage für verdeckte Ermittlungen nur bei schweren Delikten, nicht aber bei Scheinkäufen bei Strassendealern vorhanden ist.

 "Wir haben mit Bekanntwerden des Bundesgerichtsurteils unsere Drogen-Scheinkäufe im Rahmen der 'Aktion Ameise' gestoppt", bestätigte kürzlich Hanspeter Krüsi, Mediensprecher der St. Galler Kantonspolizei. Das Bundesgericht habe die erfolgreiche "Aktion Ameise" vergiftet.

 Laut Peter Bartholet, stellvertretender Chef Betäubungsmittel der St. Galler Kantonspolizei, erfolgten von Februar 2009 bis Februar 2010 im Kanton St. Gallen 25 Festnahmen von Strassendealern, die durch Scheinkäufe auf frischer Tat ertappt wurden. Durchschnittlich sei pro Einsatz der "Aktion Ameise" ein Dealer verhaftet worden. Im Kanton Zürich sind seit dem Start der verdeckten Scheinkäufe rund 2000 Dealer verurteilt worden.

 Wieder offene Szene befürchtet

 Alfred Schelling, Kommandant der St. Galler Kantonspolizei, hatte gegenüber "10vor10" die Befürchtung geäussert, dass mit dem Verbot der Scheinkäufe die Dealerszene wieder offen werde, zum Ärger der Bevölkerung und der Gewerbetreibenden. Als die Polizei im Jahr 2008 nach einem Urteil des Zürcher Obergerichts für rund zwei Monate ein erstes Mal auf die Scheinkäufe verzichtet hatte, sei diese Entwicklung innert kürzester Zeit festgestellt worden. "Die Szene reagierte sofort, die Dealer gingen aggressiv und aktiv auf mögliche Kunden los", sagte Schelling. Nachdem die Anklagekammer des Kantons St. Gallen daraufhin die Scheinkäufe wieder erlaubt hatte, war die Szene umgehend wieder abgetaucht.

 Auch Peter Bartholet befürchtet, dass die Dealer wieder wahrnehm-bar werden und in den Gassen auftauchen, was dank der "Aktion Ameise" stark eingedämmt worden sei. Besonders in Buchs sind die Bilder aus früheren Jahren mit der offenen Szene noch abschreckend bekannt, ebenso die Selbsthilfemassnahmen, die das Gewerbe daraufhin umsetzte.

 Jositsch kündigt Vorstoss an

 Die Politik kennt die abschreckende Wirkung der verdeckten Scheinkäufe durch Polizisten. Deshalb hat Strafrechtsprofessor und Nationalrat Daniel Jositsch bereits einen Vorstoss angekündigt, mit dem das Gesetz so angepasst werden soll, dass die Scheinkäufe wieder erlaubt werden. Allerdings wird es bis dahin einige Zeit dauern - zur Freude der Dealer und zum Ärger der Bevölkerung.

---

Blick am Abend 9.4.10

"Aktion Ameise" gestorben

 BUNDESGERICHTSURTEIL

 Die St. Galler Polizei muss die Drogen-Scheinkäufe sofort stoppen.

 Im Drogenmilieu gehört der Einsatz von verdeckten Fahndern zu den gängigen Ermittlungsmethoden. Das Bundesgericht hat nun aber entschieden, dass es für die Drogen-Scheinkäufe keine rechtliche Grundlage gibt. Das Gerichtsurteil sorgt für Unmut bei der Polizei. "Wir haben mit Bekanntwerden des Bundesgerichtsurteils unsere Drogen-Scheinkäufe im Rahmen der Aktion Ameise gestoppt", sagt Polizeisprecher Hanspeter Krüsi. Die St. Galler Polizei befürchtet nun, dass die Dealer wieder wahrnehmbar werden und in den Gassen auftauchen, was dank der "Aktion Ameise" stark eingedämmt worden sei.

 Zwischen Februar 2009 und Februar 2010 hat die Polizei im Kanton St. Gallen insgesamt 25 Strassendealer auf frischer Tat ertappt. Der St. Galler Staatsanwalt Thomas Hansjakob sagt heute zum "Werdenberger & Obertoggenburger": "Das Gericht interpretiert meines Erachtens den Willen des Gesetzgebers falsch. Aber wir werden uns daran halten müssen." dst

-----------------------------
DELTA SECURITY
-----------------------------

Blick am Abend 9.4.10

Treffen mit Deltas

 BASEL

 Am Sonntag kommt es in Zürich für die FCB-Fans zu einem Wiedersehen mit der umstrittenen Sicherheitsfirma Delta. Beim letzten Rencontre in St. Gallen kam es zu Streit. Zwölf Fans wurden verhaftet, diverse verletzt. Ein Delta-Mitarbeiter wurde entlassen, weil er im Internet mit seinen Gewalttaten prahlte. Zudem entlarvte der "Tagi" heute Delta-Mitarbeiter, die am 1.5.09 zusammen mit Neo-Nazis Demonstranten verprügelten.

-----------------------------------
BIG BROTHER SPORT
-----------------------------------

NLZ 10.4.10

Nachgefragt

 Verbietet der FCL Choreografien?

Interview Luca Wolf

 Der Vorstand des Fussballclubs St. Gallen will seine Fans disziplinieren. Er verbietet ihnen, Choreografien zu zeigen. Dies als Reaktion auf diverse Entgleisungen eines Teils der Anhängerschaft, wie "NZZ Online" berichtet. Unter anderem würden Materialien für Choreografien zum Schmuggeln von Feuerwerk missbraucht. Auch müssten üble Sprechchöre aufhören sowie das Werfen von Gegenständen auf den Rasen.

 Mike Hauser, will auch der FCL Choreografien verbieten?

 Mike Hauser: Nein, das war bei uns noch nie ein Thema.

 Folglich gibt es keine Probleme wie in St. Gallen? Auch im Stadion Gersag wird gelegentlich Feuerwerk abgebrannt, und noch immer fliegen Becher aufs Spielfeld?

 Mike Hauser: Im Gersag hatten wir in der Vorrunde keine Feuerwerke im Heimsektor. Und das Werfen von Bierbechern hat mit Choreos nichts zu tun, das versuchen wir mit Netzen und Gesprächen zu verhindern.

 Wie steht der FCL grundsätzlich zu den Choreografien?

 Mike Hauser: Choreografien sind ein tolles Zeichen für eine engagierte Fankultur. Da arbeiten viele junge Menschen tagelang in ihrer Freizeit, nur um das Sujet ein paar Sekunden lang zeigen zu können.

--------------------------------
SCHNÜFFELSTAAT
--------------------------------

Basler Zeitung 10.4.10

Bessere Kontrolle über Arbeit des Staatsschutzes

 Bern. Die Kantonseinsicht bei der Staatsschutzüberwachung soll durch Listen über erteilte Aufträge erleichtert werden: Eine vom Basler Justiz- und Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass präsidierte Arbeitsgruppe hat dazu einen Vorschlag ausgearbeitet. Entscheiden muss der Gesamtbundesrat. > Seite 29

--

Gass erhält eine Liste aus Bern

 Kantone sollen Einblick in Arbeit des Staatsschutzes bekommen

 Patrick Künzle

 Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren will die Verordnung über die Kontrolle des Staatsschutzes neu regeln. Sie hat den Vorschlägen einer Arbeitsgruppe von Bund und Kantonen zugestimmt, die vom Basler Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass (FDP) präsidiert wurde.

 Für Hanspeter Gass ist das Resultat ein "Durchbruch". Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren hat einstimmig den Vorschlägen einer Arbeitsgruppe aus Bund und Kantonen zugestimmt, die vom Basler Sicherheitsdirektor geleitet wurde. Demnach sollen die Kantone Einblick in die Arbeit des Staatsschutzes erhalten. Konkret soll künftig jene kantonale Stelle, die mit der Dienstaufsicht betraut ist, vom Bund eine Liste erhalten, auf der die Tätigkeitsfelder des Staatsschutzes verzeichnet sind. Im Kanton Basel-Stadt liegt diese Dienstaufsicht bei Regierungsrat Gass. Dieser kann schliesslich aufgrund der Liste beim Bund einen Antrag auf Einsicht in die Arbeit der Staatsschützer stellen.

 "Diese Liste ist ein Fortschritt", freut sich Gass. "Ich habe bisher immer bemängelt: Wie kann ich etwas überprüfen, wenn ich nicht weiss, woran der Nachrichtendienst arbeitet?" Als nächsten Schritt wird Verteidigungsminister Ueli Maurer (SVP) das Resultat der Arbeitsgruppe in den Gesamtbundesrat tragen. Stimmt dieser der notwendigen Änderung der Verordnung über den Nachrichtendienst des Bundes zu, dann tritt diese Mitte Jahr in Kraft.

 Die Basler Grossrätin Tanja Soland (SP), die selber fichiert wurde, ist "froh darüber, dass die kantonalen Sicherheitsdirektoren den Vorschlägen zugestimmt haben". Dies zeige, dass nicht nur in Basel der Wunsch nach einer Aufsicht über den Staatsschutz vorhanden sei. Sie findet jedoch, "dass das Einsichtsrecht so nicht reicht". Sie fordert, dass die Kontrolle den nationalen oder kantonalen Datenschutzbeauftragten übergeben wird.

---

Basellandschaftliche Zeitung 10.4.10

Staatsschutz darf nicht mehr heimlich fichieren

 Regierungsrat Hanspeter Gass hat sein Ziel erreicht: Der Staatsschutz soll künftig die Kantone informieren müssen

Esther Jundt

 Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) soll künftig nicht mehr in den Kantonen ohne deren Wissen ermitteln. Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) erreichte in zähen Verhandlungen mit dem zuständigen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) eine Regelung zur Einsichtnahme der Kantone in die Aktivitäten des Nachrichtendienstes, der im Auftrag des Bundes auch in den Kantonen tätig ist. Für den Basler Polizei- und Justizdirektor Hanspeter Gass ist diese Einigung ein Durchbruch in den Verhandlungen mit dem VBS. In einem Gespräch mit der bz sagte er, der Regelung könne er zustimmen. Gass leitete eine Delegation der KKJPD, die diese Woche mit dem VBS über Kontrollmöglichkeiten der Kantone beim Staatsschutz verhandelt hatte.

 Laut Gass ist diese Kontrolle der Kantone in der seit dem 1. Januar 2010 geltenden "Verordnung über den Nachrichtendienst des Bundes" ungenügend. Der zuständige Bundesrat Ueli Maurer habe dies inzwischen auch eingesehen und sich bereit erklärt, die Verordnung "nachzubessern".

 Demnach kann ein dafür bestimmtes Mitglied einer Kantonsregierung beim Nachrichtendienst Informationen über die Aufträge im eigenen Kanton verlangen. Dazu muss ein Gesuch eingereicht werden. Wird dieses vom NDB abgelehnt, muss der VBS-Vorsteher darüber entscheiden, bei einem Weiterzug auch das Bundesgericht.

 Bundesrat muss noch zustimmen

 Wird dem Gesuch stattgegeben, muss der Nachrichtendienst eine Liste seiner Aktivitäten im betreffenden Kanton an das Regierungsmitglied abgeben. "Dann sehen wir, was der Staatsschutz in unserem Kanton macht", sagte Gass. Diese Liste wird kaum detailliert Auskunft über die Tätigkeit des Staatsschutzes geben - in Basel ist dafür die Fachgruppe neun zuständig. Aber immerhin erhalten die Kantone die Möglichkeit, nachzufragen, und sie können die Sache beobachten.

 Der Haken: Bundesrat Maurer muss diese Neuerung noch dem Bundesratskollegium zur Zustimmung vorlegen. Dies dürfte in ein paar Monaten der Fall sein. Anschliessend müssen die Kantone ihre entsprechenden Verordnungen anpassen. Auch das dauert seine Zeit.

 Mit dem nun erzielten Durchbruch erreichten die kantonalen Polizeidirektoren vermutlich das Maximum an Einsichtnahme in die Arbeit des Staatsschutzes. Regierungsrat Gass ist deswegen seit 2008 in Bern unterwegs. Damals wurde bekannt, dass einige Grossratsmitglieder türkischer Herkunft und aus linken Parteien fichiert wurden. Daten wurden auch ausländischen Nachrichtendiensten übermittelt. Die Basler Regierung wusste davon nichts und verlangte eine bessere Information über die Aktivitäten des Staatsschutzes im eigenen Kanton. Das VBS verweigerte dies damals.

 Bereits in der Verordnung festgehalten ist die Dienstaufsicht über den Staatsschutz in den Kantonen, die von einem Kontrollorgan vorgenommen wird. Dieses muss mit Personen besetzt werden, die nichts mit dem Staatsschutz zu tun haben. Auch dieses Gremium erhält Einsicht in die Daten des Bundes, sofern der Nachrichtendienst dies bewilligt. Das Kontrollorgan überprüft nicht, was der Nachrichtendienst ermittelt, sondern ob die Verwaltungsabläufe den Rechtsvorschriften entsprechen.

-------------------------------------
ASYL / SANS-PAPIERS
-------------------------------------

Basellandschaftliche Zeitung 10.4.10

Hilfe für Sans-Papiers

 Das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz (Heks) zieht eine erste Bilanz der im November eröffneten "Gesundheitsberatung für Sans-Papiers". Dort werden Menschen mit gesundheitlichen Problemen beraten, die keinen legalen Aufenthaltsstatus haben. Da sie selten auf eine Krankenversicherung zählen können, würden sie kaum Spitäler oder Arztpraxen aufsuchen. Geschätzte 10000 Sans-Papiers leben im Raum Basel. Das Angebot der Beratungsstelle werde seit Projektstart von den Betroffenen rege genutzt. (bz)

---

St. Galler Tagblatt 10.4.10

Asylbewerber Leben in der Illegalität

 Letztes Jahr stellten 180 Flüchtlinge in St. Gallen ein Gesuch auf Nothilfe - acht Franken Überlebenshilfe. Einer von ihnen ist Fadura. Vor elf Monaten erhielt er von den Behörden einen Nichteintretensentscheid (NEE). Sein Asylgesuch wurde abgelehnt - seine Hoffnungen zerstört. Seither lebt Fadura illegal in St. Gallen. Er werde alles tun, aber niemals zurückgehen, sagt er. So verbringt er seine Tage in einer abgedunkelten 1-Zimmer- Wohnung, wagt sich kaum aus dem Haus. Lebt von Almosen und der Hilfe weniger Freunde. Im Gespräch mit dieser Zeitung erzählt Fadura seine Geschichte. Es ist die Geschichte von vielen und ein Happy End ist unwahrscheinlich. (red.)

Focus 9

--

Illegal in St. Gallen

 Asylbewerber Fadura* ist untergetaucht. Lieber lebt er illegal von Nothilfe und Almosen, als zurück in sein Land zu gehen. Irgendwann darf er bleiben, hofft er.

Julia Buatsi

 In Gambia hat Fadura Kühe gehütet. Jetzt sitzt er die meiste Zeit in seiner verdunkelten Wohnung in St. Gallen. Fadura hat kein Geld, keine Papiere, keine Aufenthaltsbewilligung. Vor elf Monaten hat er den Nichteintretensentscheid (NEE) bekommen. "Am 2. Mai 2009", sagt er wie aus der Pistole geschossen. An jenem Tag ist sein Traum geplatzt. Seither ist er illegal.

 Bekannte zahlen Miete

 Fadura fällt auf. Nicht nur, weil er schwarz ist. Seine Kleidung verrät, dass er kein Geld hat: Auf dem übergrossen Jeanshemd steht der Name einer Ostschweizer Elektrofirma. So zieht sich nur an, wer die Kleider aus der Sammlung hat. Fadura geht schnell, spielt mit seinem Handy, schaut sich oft um. Dabei möchte er vor allem eins: nicht auffallen.

 Nachdem wir in seiner Wohnung angekommen sind, dreht er den Schlüssel dreimal im Schloss und zupft die Nachtvorhänge zurecht. Erst dann entspannt er sich. Er sei so wenig wie möglich draussen, sagt er. Sein 1-Zimmer-Studio ist zweckmässig eingerichtet: eine grosse Luftmatratze zum Schlafen, Kühlschrank, Kochnische, Schuhregal. Wie Trophäen sind die Schuhe darauf angeordnet, auf dem obersten Fach stehen Kerzen. Ansonsten gibt es keine persönlichen Gegenstände in der Wohnung. Keine Bilder, keine Bücher, nichts. Bekannte mieten das Zimmer für ihn. "Helfer", wie Fadura sagt. Sie machen sich strafbar, weil sie dem Illegalen einen Wohnsitz verschaffen. Deshalb trage er den Wohnungsschlüssel nie auf sich, sondern verstecke ihn in der Nähe des Hauses - damit ihn die Polizisten nicht entdecken.

 Jeden Mittag fährt Fadura in die Stadt, wo er im "Cabi", einem Treffpunkt für Migranten und Flüchtlinge, gratis isst. Den Morgen verbringt er in seiner Wohnung. Am Nachmittag trifft er manchmal Freunde, meistens bleibt er aber in der Wohnung. "Ich will auf keinen Fall negativ auffallen. Deshalb habe ich immer ein Billett für Bus und Zug", sagt Fadura. Er zeigt sein "Gleis 7" und das "Ostwind"-Abo, das ihm Bekannte gekauft haben. Wenn die Polizei ihn trotzdem anhält, kooperiert er. "Sie durchsuchen mich. Manchmal muss ich für einige Tage ins Gefängnis. Dann lassen sie mich wieder frei - weil ich mich gut benehme. Nur das Land verlasse ich nicht."

 Im Schlepperboot übers Meer

 Ende 2008 hat Fadura in der Schweiz Asyl beantragt. Seine Heimat verlassen habe er bereits 2006, erzählt der Westafrikaner. Zwei Jahre dauerte die Reise: von Gambia über Senegal, Mali, Burkina Faso, Niger, Libyen. An Libyens Küste geht er auf ein Schlepperboot, das ihn nach Italien bringt. Dort lebt er auf der Strasse, bis jemand Mitleid mit ihm hat und ihm ein Zugticket in die Schweiz kauft. "Ich wollte von Anfang an in die Schweiz. Hier kenne ich Leute." Fadura wirkt seltsam unbeteiligt, wenn er von seiner Reise erzählt. Er antwortet knapp, erzählt keine Details. Ob die Reise hart gewesen sei? "Manchmal." Wie er sie finanziert habe? "Ich bin gereist, habe gearbeitet. Bin weitergereist. Am längsten war ich in Libyen, weil ich viel Geld für die Fahrt übers Mittelmeer brauchte." Ob er wisse, dass in solchen Schlepperbooten jedes Jahr viele Flüchtlinge ums Leben kommen? "Ja." Ob er Freunden in der Heimat von der Reise nach Europa abraten würde? Fadura überlegt. "Das muss jeder für sich entscheiden."

 Herkunft unbekannt

 Den St. Galler Polizisten sagt Fadura: "Wenn ihr mich zurückschickt, könnt ihr mir gleich einen Sarg mitgeben." Doch bis jetzt droht ihm die Zwangsausschaffung nicht. Wohin auch? Er hat keine Papiere. Es ist nicht einmal sicher, dass er aus Gambia stammt. Fadura erzählt "seine Geschichte" nur zögerlich: "In Gambia hatte ich eine Beziehung zur Tochter eines Imams. Die Frau wurde schwanger. Als ihre Familie davon erfuhr, wollte sie mich töten. Deshalb bin ich geflohen." Jeder Asylsuchende hat so eine Geschichte. Denn wer nicht aus einem Land kommt, in dem Krieg herrscht, muss belegen, dass er von Folter, Mord oder Gefängnis bedroht ist. Wirtschaftsflüchtlinge, Menschen, die ihre Heimat verlassen, weil sie sich an einem anderen Ort ein besseres Leben erhoffen, haben keine Chance, aufgenommen zu werden.

 Jeden Tag etwas zu essen

 Vielleicht existiert die Tochter des Imams. Gut möglich aber auch, dass ein ganzer Clan sehnsüchtig darauf wartet, dass Fadura Geld nach Hause schickt. Manchmal spare er seine acht Franken Nothilfe, sagt Fadura, "zehn Tage oder noch länger". Dann schicke er das Geld seiner Mutter. "Ich habe hier jeden Tag zu essen. Meine Mutter hat manchmal nichts."

 Was sein Traum sei? Jetzt strahlt Fadura übers ganze Gesicht. "Ein gutes Leben." Dafür brauche er die Aufenthaltsbewilligung, denn erst dann dürfe er arbeiten. "Wenn du hier arbeitest, hast du ein gutes Leben." So einfach ist die Rechnung von Fadura. Mehr weiss er nicht, möchte er nicht wissen. Er bete jeden Tag zu Gott, dass er "das Papier" irgendwann erhalte. An diesen Traum klammert er sich. Zurück in die Heimat gehe er nicht, wiederholt er. Bestimmt, fast trotzig. Obwohl er seine Familie jede Minute vermisse. Wenn er es nicht mehr aushalte, rufe er die Mutter an.

 Fadura wartet darauf, dass sich in der Schweiz "eine Möglichkeit" ergibt. Was für eine Möglichkeit das sein soll, kann er nicht sagen. Lieber flüchtet er sich in Lebensweisheiten: "Wenn du heute leidest, bist du morgen glücklich." Was, wenn nicht? Was, wenn er auch in zwei, drei Jahren immer noch illegal hier lebt, sich versteckt, auf Almosen angewiesen ist? Daran denke er nicht, sagt Fadura. Die Vorstellung ist ihm so unangenehm, dass er zu stottern beginnt. Vielleicht finde er hier ja eine Frau, sagt er schliesslich. Dass er als Papierloser nicht heiraten kann, davon möchte Fadura nichts wissen.

 *Name von der Redaktion geändert

-------------------------------------
NEONAZIS SCHWEDEN
-------------------------------------

Basler Zeitung 10.4.10

Zweifel an der Läuterung

Mutmasslicher Anstifter des Auschwitz-Diebstahls war früher ein bekannter Neonazi

Hannes Gamillscheg, Kopenhagen

 Fünf Diebe stahlen vor vier Monaten das "Arbeit macht frei"-Schild vom Tor von Auschwitz. Nun wurde der mutmassliche Anstifter des Raubs, ein bekannter ehemaliger Rechtsextremer, von Schweden an Polen ausgeliefert.

 Er war eine der schillerndsten Figuren der schwedischen Neonaziszene: Der 34-jährige Anders Högström gilt als Drahtzieher des Diebstahls des "Arbeit macht frei"-Schildes vom Tor des ehemaligen NS-Konzentrationslagers Auschwitz im Dezember. Am Freitag wurde er nach Polen ausgeliefert. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis. Er selbst bestreitet die Vorwürfe. Er sei erst nach dem Raub von den Tätern kontaktiert worden und habe der Polizei bei der Aufklärung geholfen.

 Die fünf in Polen festgenommenen Diebe behaupteten, von Högström angeheuert worden zu sein. Der Schwede habe das Schild an einen britischen Sammler von Nazi-Devotionalien verkaufen wollen. Laut schwedischen Presseberichten sollte dadurch die Tätigkeit radikaler Rechtsextremisten finanziert werden, die angeblich auch einen Mordanschlag im Stockholmer Parlament planten. Högström behauptet, er sei nur zum Schein als Mittelsmann zwischen den Dieben und den eigentlichen Auftraggebern aufgetreten und habe stattdessen die Polizei auf die Spur der Täter geführt. Dies bestreiten die polnischen Ermittler. Ein schwedisches Gericht beschloss im März seine Auslieferung.

 Gewaltwelle

Högström zählte als Gründer der "Nationalsozialistischen Front" (NSF) in den Neunzigerjahren zu den rabiatesten Akteuren der damals extrem gewaltbereiten rechten Szene. Er wurde wegen Volksverhetzung, Zwang und Gewalt verurteilt und rangierte ganz oben, als Schwedens Zeitungen 1999 die Liste der gefährlichsten Neonazis veröffentlichten. Damals hatte eine Welle von Gewalttaten das ganze Land erschüttert. Asylbewerber, Homosexuelle, Menschen mit "falscher Hautfarbe", ein linker Gewerkschafter und zwei Polizisten waren die Opfer, ein Journalist und sein Sohn entkamen nur knapp einem Bombenanschlag. Die massive Mobilisierung gegen die rechte Gewalt führte dann zu einer Abkehr vieler Sympathisanten vom braunen Gedankengut, die in Schweden gegründete Exit-Bewegung half Aussteigern bei der Rückkehr ins zivile Leben.

 Erneut verurteilt

Auch Högström gab den Geläuterten, hielt Vorträge in Schulen gegen Rassismus und den Missbrauch von Dopingmitteln, die ihn fast den Verstand gekostet hätten, und liess sich für seine neue Agenda feiern. 2007 wurde er jedoch erneut wegen des Besitzes illegaler Dopingmittel verurteilt, und nach dem Auffliegen seiner mutmasslichen Rolle als Anstifter des Auschwitz-Diebstahls fragen Kenner der Szene, wie seriös seine Wende war.

 Schwedens Geheimpolizei Säpo nimmt die Gerüchte über die angeblichen Anschlagpläne sehr ernst. In den letzten Jahren habe die Gewaltbereitschaft der Rechten wieder zugenommen, "vieles deutet auf eine neue Radikalisierung", meint die Historikerin Helene Lööw, die führende Forscherin über Rechtsextremismus in Schweden. Der harte Kern der Neonaziszene ist mit geschätzten 500 bis 600 Mitgliedern zwar klein, neben der NSF sind die "Schwedische Widerstandsbewegung" und "Info-14" die aktivsten. Wegen der liberalen Auslegung der Druck- und Versammlungsfreiheit spielen die Schweden jedoch auch international als Propagandazentrale und Treffpunkt des rechtsextremen Lagers eine wichtige Rolle. Ein Grossteil der in Europa vertriebenen "White Power"-Hassmusik stammt von hier, Konzerte sammeln Skinheads und Gleichgesinnte von weit her.

 Daneben wächst ein Kreis offen rassistischer, ausländerfeindlicher Gruppierungen von obskuren Cliquen bis hin zu den "Schwedendemokraten", die der "Bewahr Schweden schwedisch"-Bewegung entstammen, sich jetzt aber gemässigter geben und gute Chancen haben, bei den Wahlen im September ins Parlament einzuziehen.

---------------------
GIPFEL-SOLI
---------------------

gipfelsoli.org/Newsletter 9.4.10

9.4.2010 Ontario -- London -- Strasbourg/ Baden-Baden -- Genua -- Kopenhagen -- L'Aquila

- What to do if the police come knockin'
- Anti Prison Demo during G20 in Toronto (Canada)
- Local councillor criticized for saying too much about G20 summit
- Diplomatic immunity doled out to thousands of Toronto visitors as G20 approaches
- Met police to pay G20 protest compensation
- Metropolitan Police admit G20 unlawful arrests
- VERFASSUNGSSCHUTZ IN BADEN-WÜRTTEMBERG 2009
- REMARCABLE APPEAL SENTENCE IN GENOA: THE RIGHTS OF BOLZANETO VICTIMS RECOGNIZED
- Tragicomical trials after COP15
- Auswertungsreader zu den Klimaprotesten in Kopenhagen 2009
- Stop Harassing Our Italian Comrades
Mehr: http://gipfelsoli.org/Newsletter/8331.html

---------------------------
KINO-LEBEN BE
---------------------------

Bund 10.4.10

"Es herrscht auch in Bern eine Art Raubritter-Kapitalismus"

 Multiplex-Kinos boomen, Arthouse-Säle darben. In Bern schliesst die Quinnie-Kette zwei Kinos. "Wir müssen uns verkleinern, um zu überleben", sagt Kinobesitzer und Filmer Thomas Koerfer. Er bedauert den Vormarsch der Synchronfassungen, kritisiert die Konkurrenz - und gesteht, dass er wieder Lust hat, Filme zu drehen.

 Interview: Thomas Allenbach

 Die Schweizer Kinos haben 2009 zehn Prozent mehr Umsatz gemacht, die Berner Innenstadt-Kinos aber haben 120 000 Zuschauer verloren. Was läuft da falsch?

 Das scheint tatsächlich paradox, ist es allerdings nur auf den ersten Blick. Denn wenn man die Zahlen analysiert, sieht man, dass die Multiplexe Publikum gewinnen, die Arthouse-Kinos und auch die Studio-Mainstreamkinos hingegen Zuschauer verlieren oder stagnieren. Es ist ein schweizweites Phänomen, dass sich die Arthouse-Gruppen verkleinern müssen, um überleben zu können. Das zeigt auch das Beispiel Basel, wo das Kino Movie geschlossen werden muss.

 In Bern haben Sie das Splendid bereits geschlossen, Ende Mai geht auch das Cinemastar zu. Ihre Quinnie-Kette verliert damit drei Säle und schrumpft um fast einen Drittel. Gab es zu diesem Rückzug keine Alternative?

 Nein. Die Publikumsrückgänge waren so gravierend, dass wir einfach reagieren mussten. Wir haben die Kinos zwei andern Kinobetreibern angeboten, weil wir die Arbeitsplätze erhalten wollten, aber diese hatten kein Interesse, auch nicht am Splendid, das ja noch nicht alt und von der Ausrüstung und vom Bauwert her auf gutem Stand ist.

 Haben Sie die Kinos auch Ihrem Konkurrenten Kitag angeboten?

 Wir haben Vertraulichkeitsvereinbarungen unterschrieben. Ich kann dazu deshalb nichts sagen.

 Wir müssen noch kurz bei den Zahlen bleiben: Wie viele Eintritte haben die Quinnie-Kinos verloren, wie viele Kitag?

 Wir haben etwas weniger als 45 000 Besucher verloren, die Kitag - nach unserer Schätzung - demnach um die 75 000.

 Weshalb schliessen Sie Kinos, die Kitag aber nicht?

 Im Unterschied zu uns ist die Kitag ein Grosskonzern, der in der ganzen Schweiz Kinos betreibt und hälftig der Swisscom gehört. Für das Gesamtergebnis einer solchen Gruppe ist Bern nicht derart wichtig. Wir leiden in der Schweiz unter den Marktverzerrungen durch die grossen Kinoketten. Festzustellen ist auch, dass das Klima unter den Konkurrenten sehr unkooperativ ist. Es herrscht auch in Bern eine Art Raubritter-Kapitalismus.

 Worin zeigt sich dies?

 Zum Beispiel in der rücksichtslosen Art, mit der die Pathé-Gruppe Orange über den Tisch gezogen hat, um den Kino-Dienstag mit einer Freikarte für zwei einzuführen, dies an anderen Kinobetreibern vorbei und über die Köpfe der Verleiher hinweg. Die Einführung des Kino-Montags mit reduziertem Eintrittspreis war noch eine gemeinsame Sache aller Kinobetreiber in Bern.

 1,2 Millionen Eintritte verzeichneten letztes Jahr die Berner Kinos, davon Pathé Westside allein 500 000. Wissen Sie, wie viel Publikum Sie an Pathé verloren haben?

 Das lässt sich nicht konkret beziffern. Unter der Konkurrenz durch Pathé haben wir bei kommerziellen Filmen wie etwa "Harry Potter" gelitten. "Harry Potter" hatten wir früher exklusiv, das war eine Quersubventionierung unseres Arthouse-Programms. Pathé hat uns aber nicht nur Publikum "gestohlen", sondern auch neues Publikum generiert.

 Sie stehen von zwei Seiten unter Druck, denn zur Konkurrenz durch Pathé kommt die Tatsache, dass das Arthouse-Kino an sich schrumpft. Dessen Marktanteil ist in den letzten zehn Jahren von über 30 Prozent auf 20 Prozent zurückgegangen. Was sind die Gründe dafür?

 Generell gesagt gibt es heute einen andern Umgang mit dem bewegten Bild. Die jüngere Generation schaut sich zwar viele Filme an, aber nicht mehr unbedingt im Kino, sondern übers Internet, zu Hause, auf DVD, unterwegs auf dem Laptop, zusammen mit andern oder allein, an einem Stück oder in Portionen. Im Kino "spricht" der Film sozusagen ex cathedra, man muss ihn im dunklen Saal zu einer bestimmten Zeit von Anfang bis Ende anschauen. Die DVD hat den Umgang "demokratisiert". Dann ist es offenbar auch so, dass die junge Generation keine fremdsprachigen Originalversionen mehr sehen will, auch nicht englischsprachige.

 Das scheint paradox, dominiert doch Englisch in der Popkultur und zunehmend auch in der Werbung.

 Das begreife ich auch nicht. Die Ablehnung von Untertiteln hängt vielleicht mit der Abkehr vom geschriebenen Wort zusammen. Dieser Teil der Jugend liest nicht mehr oder nur noch wenig. Untertitel lesen wird als Arbeit empfunden, das passt nicht in die Freizeit. Publikum verloren haben wir auch bei der Generation zwischen 25 und 40, die mit Beruf und Familie so überbeschäftigt ist, dass sie keine Zeit hat, ins Kino zu gehen. Zugenommen hat hingegen der Anteil der älteren Generation von 60 Jahren an aufwärts. Das ist ein sehr gutes Publikum, das Originalversionen sehen will, das konzentriert Filme schaut, das Filme auch diskutieren will, und das ist neu. Aber dieses Publikum ist nicht so gross, dass es die Verluste in den andern Segmenten kompensieren kann.

 Erfolgreich war 2009 vor allem, wer auf 3-D gesetzt hat. Ist 3-D der Totengräber des Arthouse-Kinos?

 Nein, das glaube ich nicht. Es sind zwei Phänomene, die zusammengespielt haben: Dass die Multiplexe in der Schweiz so gut greifen, glaubte niemand vor fünf, sechs Jahren. Und dass sich 3-D so schnell als derart grosser Lockvogel entwickeln kann, glaubte eigentlich auch niemand. Da wird sich aber sehr bald eine Normalisierung ergeben. Nur die wirklich guten 3-D-Filme werden auch erfolgreich sein.

 Sie rüsten erst jetzt das Kino Bubenberg auf 3-D auf. Haben Sie die Entwicklung verschlafen?

 Verschlafen nicht, aber es stimmt, wir sind ein bisschen spät. Wir haben geglaubt, dass man ein Kino wie das Bubenberg auch ohne 3-D erfolgreich bespielen kann. Ende Juni werden nun auch wir soweit sein.

 Zur grossen finanziellen Belastung wird für die Arthouse-Kinos die Digitalisierung der Säle, zu der es keine Alternative gibt. Sind weitere Schliessungen unumgänglich?

 Die Situation ist gesamtschweizerisch tatsächlich prekär. Wenn die Eintrittszahlen schon nicht gut sind und man dann noch in Kinos investieren soll, kommt man sehr schnell an ökonomische Schmerzgrenzen, immerhin geht es dabei ja um Investitionen pro Saal von 100 000 bis 150 000 Franken. Um die Kinovielfalt zu stützen, hat das Bundesamt für Kultur ein Programm mit Subventionen für die Umrüstung lanciert. Leider aber werden diese Subventionen erst 2011 greifen.

 Verliert das Arthouse-Kino nicht auch deshalb Zuschauer, weil es schlicht an attraktiven Autorenfilmen mangelt?

 Es fehlen heute tatsächlich die grossen Autoren, die ein Meisterwerk nach dem andern realisieren. Und es fehlen Leute wie Kaurismäki, die mit schrägen Filmen unheimlich grosse Publikumszahlen machen - auch ein Woody Allen hat einen Teil seines Publikums verloren. Verändert hat sich aber auch das Zuschauerverhalten. Man orientiert sich heute nicht mehr so sehr an Filmautoren oder an Schauspielern, sondern stärker an Themen.

 Man hat den Eindruck, dass die Arthouse-Kinos selber nicht mehr an den Autorenfilm glauben und auf Masse statt auf Qualität setzen. Weshalb werden immer mehr Filme in immer kürzerer Kadenz auf die Leinwände geworfen?

 Es stimmt, die Zahl der Kinostarts nimmt zu, die durchschnittliche Laufzeit wird kürzer und deshalb können Filme kaum noch eine eigene Kraft entfalten. Wir können uns aber nicht ausklinken aus der makroökonomischen Struktur. Nehmen wir die Oscars: Früher gelang es der amerikanischen Filmindustrie noch, ihre Filme über die Oscars an die Leute zu bringen, heute kräht kein Hahn mehr danach, wie derzeit "Crazy Heart", "The Blind Side" oder "Precious" zeigen. Entweder werden die Filme zu einem Event, oder sie gehen unter. Ich finde "Precious" wirklich einen mutigen, sehr emotionalen Film. Weshalb er nicht mehr Aufmerksamkeit bekommt, ist mir unverständlich.

 Sie haben in Bern nun weniger Leinwände, wollen aber nicht weniger Filme spielen. Das heisst: Immer mehr Filme laufen in sogenannten "Schienen". Entwerten Sie durch diese Programmierung die Filme nicht noch mehr?

 Wir entwerten Filme nicht, sondern wir versuchen, intelligent zu programmieren. Wir spielen Filme, die eher für ein älteres Publikum sind, nun vermehrt am Nachmittag und abends Filme für ein jüngeres Publikum. Das machen auch Kinos in London oder New York und das funktioniert. Die Kinos sind in der Miete und im Betrieb einfach zu teuer, als dass man mit den Abendvorstellungen die Verluste am Nachmittag auffangen könnte.

 Sie haben erfolgreich das Multiplex-Kino im Wankdorf verhindert, kämpften aber nicht gegen Pathé Westside. Dieses sei keine Gefahr, weil es weiter vom Zentrum entfernt sei. Eine Fehleinschätzung?

 Ich bin nicht jemand, der mit Einsprachen und juristischem Quengeln neue Trends glaubt abblocken zu können. Als die Migros aufkam, ging auch ein Aufschrei durch den Detailhandel, doch letztlich hat sich der intelligente Detailhandel gleichwohl positionieren können. Ich jammere deshalb auch nicht über Westside, ich muss einfach schauen, wie ich unternehmerisch-kulturell weiterführen kann, was mir am Herzen liegt. Deshalb ist die Verkleinerung ein logischer Schritt, und es ist auch eine Garantie für das gute Überleben. Ich sehe jetzt schon wieder beruhigter in die Zukunft. Der Abwärtstrend im Arthouse-Bereich wird nicht anhalten, wir haben die Talsohle erreicht.

 Hoffnung allein ist aber noch keine erfolgreiche Strategie.

 Natürlich nicht. Wir verfolgen deshalb eine doppelte Strategie: Einerseits werden wird im Kino Bubenberg mit 3-D kommerzieller spielen und so Anteile zurückerobern. Andererseits wollen wir den Arthouse-Bereich mit flankierenden Massnahmen stützen. Wir werden uns stärker mit der Universität, mit der Studentenschaft verbinden und sind daran, neue Instrumente zu entwickeln.

 Was für neue Instrumente sind das?

 Es geht darum, auch ausserhalb der Filmvorführungen mit dem Publikum zu kommunizieren. Dann wollen wir die Vorführungen vermehrt begleiten und unsere Kinos stärker zu einem Diskussionsforum machen, das wichtig ist für Leute, die sich für den Film interessieren. Bis im Herbst sollen diese Massnahmen entwickelt sein, dann werden wir informieren.

 Müssten Sie nicht Kooperationen mit andern Arthouse-Kinos, zum Beispiel in Zürich, anstreben?

 Es gibt bereits seit Langem einen regen informellen Austausch. Schon vor Jahren wurde zudem geprüft, ob man das Programmieren zusammenlegen könnte. Es hat sich aber gezeigt, dass dies nicht sinnvoll ist, weil die Unterschiede von Stadt zu Stadt zu gross sind. Wenn man nicht mehr lokal programmiert, geht die Sensibilität für die Verhältnisse vor Ort verloren.

 Werden sich die Kinos in Zukunft vermehrt vom Film emanzipieren? Pathé Westside überträgt in seinen Sälen ja auch Opern und kämpft mit der Kitag um die Rechte an Spielen der Fussball-Weltmeisterschaft in 3-D.

 Wir werden in unsern Kinos sicher auch vermehrt Kulturereignisse zeigen - Tanz, Theater und Oper, wie auch signifikante Musik-Events. Den Fussball überlassen wir den andern. Sollen die sich um den Ball streiten. Das ist vom Arthouse zu weit entfernt.

 Sie sind Mitbesitzer von Frenetic Films und damit auch im Verleihgeschäft aktiv. Eigentlich müsste auch Frenetic unter der Arthouse-Krise leisen. Ist das so?

 Nein, da sieht es im Moment relativ gut aus. Dank der engen Kooperation mit zwei französischen Weltvertrieben haben wir ein sehr gutes Standbein in der französischen Schweiz, wo wir einen wesentlichen Teil unserer Einnahmen machen. Dabei profitieren wir von der europäischen Verleihförderung. Nur dank diesem Fördermittel kann man so stark auf den europäischen Studiofilm setzen, wie wir das tun.

 Andere unabhängige Schweizer Filmverleiher haben derzeit aber schwer zu kämpfen. Glauben Sie, dass es in der Schweiz in fünf Jahren immer noch über 20 Verleihfirmen geben wird?

 Man wird mich heftig kritisieren, wenn ich das jetzt sage, aber ich gehe davon aus, dass die Schweiz zu klein ist für so viele Verleiher. Es wird notwendigerweise eine Konzentration geben.

 Sie sind Erbe eines grossen Vermögens. Es heisst oft, Frenetic könne bei Filmeinkäufen anders rechnen als andere Verleiher. Stimmt das?

 Oh, das ist immer das gleiche Lied! Frenetic ist überhaupt nicht ein irgendwie mäzenatisch geführter Verleih, er muss wirtschaftlich rentabel sein, es gibt da keine Quersubventionierungen. Auch das Kino muss sich selber tragen. Aber natürlich hat es schon die Situation gegeben, dass ich kurzfristig ein Loch gestopft habe, damit es weitergehen konnte.

 Bekannt wurden Sie als Filmemacher, nebst Kinobesitzer und Verleiher sind Sie auch noch Kunstsammler, was ist Ihnen am nächsten?

 Das wechselt. Ich bin ein Projektmensch. Ich hatte einmal eine Zeit lang genug vom Spielfilmmachen, von diesen langwierigen Produktionsprozessen und immer wieder ähnlichen Abläufen. Ich kam dann darauf, es sei interessanter, einen Verleih zu gründen. Als dieser lief, habe ich die Fühler nach etwas Neuem ausgestreckt, und so kamen die Kinos dazu. Jetzt aber habe ich wieder vermehrt Lust, mich dem Filmemachen zuzuwenden.

 Ihr letzter Film war 1991 "Der grüne Heinrich". Wie sehr hat Sie der Misserfolg des Films getroffen?

 Der Film wurde zur Zäsur, weil das eine sehr lange, aufwendige Produktion war und der Film dann leider sein breites Publikum nicht gefunden hat. In den negativen, zum Teil fast hasserfüllten Kritiken war eine Aufregung, die ich nicht ganz begriffen habe. Ich wollte aus dem "grünen Heinrich" nicht einen protestantischen, sondern einen katholischen Film machen, und da gab es Kritiker, die offenbar mit der Sinnlichkeit des Films nicht umgehen konnten.

 Haben Sie neue Filmprojekte?

 Da gibt es derzeit zwei. Das eine basiert auf dem amerikanischen Roman "The Coffee Trader" von David Liss und spielt 1650 in Amsterdam unter Börsenhändlern. Der zweite Stoff, der mir seit Jahren schon sehr am Herzen liegt, heisst "Venus Hottentot". Es geht um eine Eingeborene aus Südafrika, die 1812 in London und Paris ausgestellt wurde.

 Diese beiden Filme erwähnten Sie bereits vor vier Jahren.

 Die Finanzkrise hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Beim "Coffee Trader" prüfe ich, ob ich die Regie an einen Regisseur mit grösserem kommerziellem Potenzial abtreten und mich aufs Produzieren beschränken soll. Grosse Projekte wie diese sind im Moment einfach schwierig aufzubauen. Ich bin deshalb auch an einem Low-Budget-Projekt, damit ich schneller loslegen kann.

 Wenn Sie einen Low-Budget-Film drehen wollen, könnten Sie es sich nicht leisten, das einfach zu tun?

 Doch. Aber ich habe mich immer auf den Standpunkt gestellt, dass meine Produktionen finanziert sein sollen wie die der andern auch. Ich habe die kompliziertesten Koproduktionen gemacht, um nicht eigenes Geld hineinzustecken.

 Haben Sie 1973 Ihren ersten Film, "Der Tod des Flohzirkusdirektors", nicht mit eigenem Geld finanziert?

 Doch, aber das war die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Man ist unabhängiger, wenn man nicht eigenes Geld in die Filme steckt, zudem ist das auch eine Vorsichtsmassnahme: Man kann mit Filmproduktionen unheimlich schnell unheimlich viel Geld verlieren.

 Ihr Geld stecken Sie lieber in Kunst als in Filme.

 Der Aufbau meiner Sammlung hat mir geholfen, die Zeit zu überbrücken, als ich keine Filme machte. Die Beschäftigung mit Kunst erlaubte mir, mich intensiv mit Bildern anderer zu befassen. Ich bewege mich, und das ist unheimlich faszinierend, in vielfältigen Bildwelten zwischen Malerei, Fotografie und bewegten Bildern, zwischen Kunstsammlungen, Filmverleih, Kino und Filmproduktion. Es ist mir in keinem Moment langweilig, und so bin ich auch nie in Versuchung gekommen, über die Situation in der Schweiz in Bezug auf das Filmemachen zu jammern.

 Wie beurteilen Sie die Qualität des Schweizer Films heute?

 Ich wundere mich über den Trend zur kommerziellen Anbiederung mit oft untauglichen Mitteln. So etwas hat es zu unserer Zeit nicht gegeben. Ich habe nichts dagegen, wenn Filme kommerziell ausgerichtet sind, aber dann müssen sie auch gut gemacht sein. Dafür gibt es Beispiele, "Grounding" oder "Mein Name ist Eugen" etwa. Es fehlt mir auch eine gewisse kreative Vitalität bei den jüngeren Regisseuren und Regisseurinnen. Aber es ist schwierig, wenn die ältere Generation sich so zu Wort meldet. Das sieht nach Altersarroganz aus.

 Welches war 2010 bisher Ihr Kino-Highlight?

 "Precious" und der Coen-Brothers-Film "A Serious Man". Diesen fand ich unheimlich toll, so frei und so genau erzählt.

 Und welches ist Ihr Lieblingsfilm unter den Schweizer Produktionen der letzten zwölf Monate?

 Es ist schrecklich, aber ich kann keinen nennen. Ich muss gestehen, ich sehe nicht so viele Filme, ich schaue mir nur an, was mich wirklich interessiert und gebe der Schweizer Produktion nicht den Vorzug.

--

Kinomarkt

 Der Sieger heisst Pathé

 Die Schweizer Kinos blicken auf ein gutes Jahr 2009 zurück. Insgesamt wurden 15,6 Millionen Tickets verkauft, 6 Prozent mehr als im Vorjahr, die Einnahmen stiegen gar um 10 Prozent auf 236 Millionen Franken. Zu verdanken ist dieser Schub vor allem den 3-D-Filmen, die 2009 über eine 1 Million Eintritte verzeichneten. Profitiert davon haben vor allem die Multiplexe und die Mainstreamkinos. Gewinnerin ist die Pathé-Kette. Mit ihren 70 Sälen hat sie laut eigenen Angaben die Kitag als Marktführerin abgelöst. Pathé verzeichnete 3,65 Millionen Eintritte und einen Marktanteil von 23 Prozent.

 In Bern verzeichnete das Pathé Westside mit seinen 11 Leinwänden und 2400 Plätzen letztes Jahr 500 000 Eintritte, das Total in Bern beträgt 1,2 Millionen Eintritte. Bei den Innenstadt-Kinos von Quinnie und Kitag gingen die Eintritte hingegen von 820 000 auf 700 000 zurück. Quinnie reagiert darauf mit Kinoschliessungen: Ende März ging das Splendid zu (2 Säle, 350 Plätze), Ende Mai schliesst das Cinemastar (200 Plätze). Damit schrumpft die Kette, die stark auf Arthouse-Filme setzt, von 10 auf 7 Säle respektive von 1900 auf 1350 Plätze. Schweizweit hat das Arthouse-Kino (Autorenfilme, Werke aus kleinen Kinoländern, unabhängige Produktionen, Dokfilme) in den letzten zehn Jahren deutlich an Terrain eingebüsst. Man schätzt, dass der Marktanteil von über 30 Prozent auf knapp 20 Prozent gesunken ist. (all)