MEDIENSPIEGEL 4.5.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Rössli, GH, DS)
- Hoppe Hoppe Reiter: Kuhtreiber Erich Hess
- Rabe-Info 3. + 4.5.10
- Kultur & Medien: Podium
- Bad Bonn: Jetzt doch mehr Geld
- Kokain: Entzug im Wohnheim
- BfM vs Nigeria: Inti mit Botschafter
- Sexwork BE: Widerstand gegen Wohnwagen-Projekt
- 1. Mai Bern: Deisswil + Revolutionäres Fest
- 1. Mai Thun: Pnos beklagt sich
- 1. Mai Zureich: Nach den Riots und dem illegalen Fest
- 1. Mai BS/BL: Harassenlauf und 1. Mai-Riots
- 1. Mai Lausanne: SP-Büro besetzt
- 1. Mai Berlin: Erfolgreiche Nazidemo-Blockade
- Gewaltdebatte SG: "ExpertInnen" unter sich...
- Neonazis: Hakenkreuze in Triengen + Rheinfelden
- Ueli Mauerer unerwünscht am 6.5.10 an der Uni ZH
- Anti-Atom: Endlager Jurasüdfuss?

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REITSCHULE
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Di 04.05.10
20.30 Uhr - Kino  - Uncut - Warme Filme am Dienstag

Mi 05.05.10
19.00 Uhr - SousLePont - Himalaya-Spezialitäten
20.30 Uhr - Tojo - "Kosmose" Butoh-Tanztheater von Cie Elektra.
20.30 Uhr - Kino - Schwarz auf Weiss, Günter Wallraff, Pagonis Pagonakis, Susanne Jäger, Gerhard Schmidt, D 2009
21.00 Uhr - Rössli - Aluminum Babe

Do 06.05.10
10.15 Uhr - Grosse Halle - Frühlings Erwachen, von Ensemble U18 I, Junge Bühne Bern (Schulvorstellung)
14.00 Uhr - Grosse Halle - Frühlings Erwachen, von Ensemble U18 I, Junge Bühne Bern (Schulvorstellung)
20.30 Uhr - Tojo - "Kosmose" Butoh-Tanztheater von Cie Elektra.
20.30 Uhr - Kino - Mitgliederversammlung Cinébern: Golem2000 mit Musik-Begleitung
21.00 Uhr - Rössli - Plattentaufe: Meienberg

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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kulturagenda.be 6.5.10

Bill Ayers liest im Rössli in der Reitschule
So ein Lebenslauf war wohl nur in den Sechzigern möglich. Damals ging der Bürgerrechtler
Bill Ayers mit Gleichgesinnten in den Untergrund und versuchte, die Gesellschaft mit
unblutigen Bombenanschlägen aufzurütteln. Ayers ist längst geläutert, unterrichtet
heute Pädagogik in Chicago und hat über die Sechziger eine nostalgiefreie Autobiografie
geschrieben. Rössli-Bar in der Reitschule, Bern. Mi., 12.5., 21 Uhr

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kulturagenda.be 6.5.10

Die Junge Bühne spielt "Frühlings Erwachen"

Die U18-Auswahl der Jungen Bühne Bern nimmt sich Frank Wedekinds bekanntes Sozialdrama "Frühlings Erwachen" vor. In der beliebten Schullektüre geht es ums Erwachsenwerden, um Aufklärung, Liebe und die Schwierigkeiten, die das alles mit sich bringt. Leitung: Karin Maurer und Christoph Hebing.
Grosse Halle der Reitschule, Bern. Fr., 7.5., Sa., 8.5., 19.30 Uhr, und So., 9.5., 19 Uhr

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kulturstattbern.derbund.ch 3.5.10

Von Manuel Gnos am Montag, den 3. Mai 2010, um 17:05 Uhr
Yann tappt in die Post-Rock-Falle

In völliger Unkenntnis des aktuellen Schaffens von Yann Tiersen abseits der Amélie-Pfade ist der Schreibende gestern im Dachstock eingetrudelt - gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie die Band die Bühne betritt.

Das Konzert war schon seit ein paar Tagen ausverkauft, was doch einigermassen überraschend ist, weil er trotz seiner Erfolge mit der Filmmusik keine der ganz grossen Figuren der Szene ist. Doch schien mir, dass viele der Anwesenden gute Kenntnisse von Tiersens aktuellen Arbeiten hat. Jedenfalls genügend, um die Liedanfänge zu beklatschen, sobald man den entsprechenden erkannte. Auch die Gespräche rundherum deuteten darauf hin, dass viele schon an einem seiner früheren Auftritte in der Region waren.

Ich selbst war, wie gesagt, bis gestern ein Frischling und war deshalb gespannt, wie sich die Sache angehen würde. Leider muss ich gestehen, dass ich doch einigermassen enttäuscht war von der insgesamt fünfköpfigen Band beziehungsweise vor allem von der gespielten Kompositionen.

Da wurde doch allzu uninspiriert vermengte Ware feilgeboten: Irgendwo zwischen Post-Rock, französischem Chanson, Brachial-Klassik, Amélie-Zauberhaftigkeiten und noch mehr Postrock entstand eine Musik, die mir zu wenig Persönliches, zu wenig Intimes hatte.

Auch der fast konsequente Verzicht auf Gesang führte dazu, dass es ein Konzert blieb, das auf eigenartige Weise an mir vorbeizog. Einzig einige mit der Violine gespielte Passagen, sowie die Melodika-Duette, die Gesangs-Quartette und so manches aus der Korg-Synthesizer-Küche vermochten etwas Begeisterung und Schaudern aufkommen lassen.

Da gäbe es doch so einige Konzerte, die es mehr verdient hätten, ausverkauft zu werden als dieses gestern in der Reitschule.

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kulturstattbern.derbund.ch 3.5.10

Kulturbeutel 18/10

(...)

Frau Feuz empfiehlt:
Am Donnerstag tauft der Herr Meienberg im Rössli sein zweites Solo Album "Rapid Cycling". Erwartet werden darf ein Kaleidoskop avantgardistischer Electronica. Wers mehr mit Worten hat, der soll sich am Mittwoch die Lesung von Jürgen Teipel im Kairo anhören gehen, dieser liest dort nämlich aus seinem Neuling "Ich weiss nicht".

(...)

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HOPPE HOPPE REITER
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Blick am Abend 3.5.10

Cowboy Hess auf einer Rinderfarm in Bolivien

Kuhtreiber

 Mit Gegengift gegen Schlangen in der Satteltasche: Erich Hess gab den Cowboy.

 Während drei Wochen bereiste er Südamerika; jetzt ist Erich Hess zurück in Bern. Wie kam er auf die Idee, in Bolivien auf einer Rinderfarm zu arbeiten? "Seit drei Jahren hatte ich keine Ferien mehr. Der Farmer ist Schweizer und hat mich eingeladen", sagt der SVP-Stadtrat und neu gewählte Grossrat. Den ganzen Tag war er mit drei Cowboys unterwegs. "So stellt man sich den Wilden Westen vor: Mit dem Lasso fi ngen wir die 700 Rinder ein und trieben sie zusammen."

 Und was befand sich in den ominösen Satteltaschen, die Hess wie seinen Augapfel hütete? "Kein Schnaps. Während des Tages waren wir seriös", sagt Hess. "Wir hatten immer Gegengift gegen Schlangenbisse dabei, weitere Medikamente und Salz für die Rinder und Kühe."

 Erst am Abend gönnte sich der SVP-Hardliner jeweils ein kühles Bier. ehi

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KUBB
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20 Minuten 4.5.10

Kubb im Hoch: Eigenes Turnier in der Innerschweiz

 HORW. Das Kubb-Fieber hat den Kanton Luzern erreicht: Am 22. Mai findet in der Horwer Seebadi der erste Pilatus-Kubb-Cup statt. Erwartet werden 40 Teams.

 Sobald die Temperaturen steigen und der Frühling kommt, zieht es Kubb-Fans im ganzen Land nach draussen. "Auch in der Innerschweiz gibt es immer mehr Menschen, die Kubb spielen", sagt Martin Hauser (44). Zusammen mit Raffy Koch (36) organisiert er am Pfingstsamstag den ersten Pilatus-Kubb-Cup in der Seebadi Horw. Bierernst soll es dort aber nicht zugehen. "Bei uns steht der Spass im Vordergrund, aber natürlich ist auch ein bisschen Ehrgeiz dabei", so Hauser. Ein DJ sorgt dafür, dass die Kubber in den richtigen Groove kommen. Hauser und Koch wollen 40 Teams à mindestens drei Spieler zusammenbringen; 17 Mannschaften haben sich bereits angemeldet. "Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen", so Hauser.

 Um den Sieg mitkämpfen wird auch ein Team des Kubb-Klubs Luzern, der letztes Jahr gegründet wurde. "Aber auch bei uns steht die Geselligkeit im Vordergrund", sagt Aktuar Burghard Förster. Die Trainings finden in der Ufschötti statt, die Daten werden jeweils auf Facebook kommuniziert.

Markus Fehlmann

http://www.pilatuskubbcup.ch

http://www.kubb-klub-luzern.ch

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 "Wikingerschach" aus Schweden

 LUZERN. Kubb stammt ursprünglich aus Schweden und wird auch als Wikingerschach bezeichnet. Es ist ein Freiluftspiel, bei dem zwei Gruppen gegeneinander um den Sieg kämpfen. Ziel ist es, die gegnerischen Holzklötze (Klotz = Kubb) und letztlich den König mit Wurfhölzern umzuwerfen. Kubb gilt als ideales Spiel für den Strand, Grillabende oder einfach zwischendurch. In der Schweiz gibt es mehrere grosse Turniere; als Kubb-Hochburgen gelten das Welschland, Basel und Baden.

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RABE-INFO
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Di. 4. Mai 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_4._Mai_2010.mp3
- Kosovo-Schweiz: UNIA verlangt die Weiterführung des Sozialversicherungs-Abkommens
- Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Kanton Bern informiert auf eigener Website
- Was ist Los in Bern?: Podium über Kulturberichterstattung

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Mo. 3. Mai 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_3._Mai_2010.mp3
- Sanierung der Sozialversicherungen: die PdA will Grosskonzerne zur Kasse bittet
- Erneuerbar statt Atomar - der zurücktretende Sp-Nationalrat Rudolf Rechsteiner ist unser Kopf der Woche

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KULTUR & MEDIEN
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Bund 4.5.10

Der "Jazzband- aus-Tokio-Vorwurf"

 Wie berichten "Bund" und BZ über das Berner Kulturleben? Das war gestern Thema an einem Podium.

Simon Jäggi

 Daniel Kölliker, Veranstalter des kleinen Kulturlokals Ono, war der erste Votant aus dem Publikum. Und er brachte gleich einen zentralen Konflikt aufs Parkett, der wohl manchem Kulturveranstalter unter den Nägeln brannte, der gestern Abend das Kunstmuseum besuchte. Stehe eine bekannte Band auf dem Programm, sagte Kölliker, so habe er kein Problem, sein Haus zu füllen. Wenn aber eine innovative Jazzband aus Tokio spiele, dann sei er auf die Zeitungen angewiesen. Doch "Bund" und BZ berichteten immer dann über sein Lokal, wenn er feste Grössen bringe.

 "Was ist los in Bern?" war das gestrige Kulturpanel übertitelt, das Bekult organiserte, der junge Verband der Berner Kulturveranstalter. Und es kamen 200 Leute, darunter etliche grosse Fische des Berner Kulturteichs. Der Untertitel "Kultur, Kulturpolitik und Kulturberichterstattung" war etwas gar breit angelegt, die Diskussion selbst konzentrierte sich aber auf die Frage, ob "Bund" und BZ angemessen über die Kultur berichten. Auf dem Podium anwesend waren nämlich unter anderem die Chefredaktoren der beiden Berner Tageszeitungen. Und sie äusserten sich auch zum "Jazzband-aus-Tokio"-Vorwurf. "Es ist nicht unser Job, Ihr Lokal zu füllen", sagte BZ-Chef Michael Hug. Gerade über die Veranstaltungen zu berichten, die kaum Publikum anzögen, und die grossen Anlässe zu ignorieren - dies könne sich seine Zeitung nicht leisten. "Da wären wir doch völlig neben den Schuhen."

 Auch "Bund"-Chefredaktor Artur K. Vogel unterstrich, dass eine Zeitung nicht nur ein Minderheitenprogramm bieten könne. Er betonte aber auch, dass sich seine Kulturredaktion durchaus leiste, Perlen hinauszupicken - aus dieser Flut von 200 Veranstaltungen, die wöchentlich in Bern stattfinden. Eine Zahl übrigens, die Kultursekretärin Veronica Schaller in die Runde warf. Sie nahm zusammen mit Thomas Beck, Direktor der Hochschule der Künste Bern, ebenfalls an der Diskussion teil. Eine Diskussion, die nicht hitzig verlief, aber einen Grundgefühlszustand des Berner Kulturbefindens gut widerspiegelte: mittlere Unzufriedenheit.

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kulturstattbern.derbund.ch 4.5.10

Von Manuel Gnos am Dienstag, den 4. Mai 2010, um 01:34 Uhr

Wir haben die Zeitungen, die wir verdienen

Dem Schreibenden ist auch jetzt, einige Stunden nach der Bekult-Podiumsdiskussion, nicht ganz klar, was eigentlich ihr Ziel war. Das Thema war mit "Was ist los in Bern? — Kultur, Kulturpolitik, Kulturberichterstattung" weit gefasst, zu weit vielleicht. Dass die beiden Chefredaktoren der zwei grossen Berner Tageszeitungen zum Podium geladen waren, machte jedoch die Richtung, die das Gespräch nehmen sollte, schon etwas klarer.

Neben Michael Hug von der "Berner Zeitung" und Artur K. Vogel vom "Bund" sassen Veronica Schaller, Leiterin der Abteilung Kulturelles der Stadt Bern, sowie Thomas Beck, Direktor der Hochschule der Künste Bern auf dem Podium. Geleitet wurde die Sache von Bekult-Vertreter Beat Glur.

Nehmen wir es gleich vorneweg: Das Resultat gestern Abend entsprach dem Resultat einer jeden Podiumsdiskussion… Ratlosigkeit. Einige interessante Themenfelder wurden trotzdem abgesteckt. Hier deshalb in recht willkürlicher Form ein kurzer Überblick:

Veronica Schaller: "Bern macht sich kleiner, als es ist." Sie verwies dazu auf eine Auszählung der "Berner Kulturagenda", in der man herausfand, dass in Bern 200 kulturelle Veranstaltungen pro Woche angeboten werden. Zudem würden jährlich 60 bis 70 Millionen Franken an öffentlichen Geldern in die Kultur investiert, was für die Grösse der Stadt ein ansehnlicher Betrag sei. "Warum also ist man hier so unzufrieden?"

Thomas Beck: "Die Berner Kulturszene ist sehr vielfältig, gleichzeitig fehlt es ihr aber an Profil." Gravitationszentren und Akzente wie die Art Basel oder das KKL in Luzern gebe es hier nicht. "Deshalb ist die Wahrnehmung von aussen nicht besonders gross."

Michael Hug: "Wir sind nicht da, um den Kulturschaffenden ein Feedback zu geben, sondern um den Leserinnen und Lesern bei der Auswahl aus den vielen Veranstaltungen zu helfen." Dabei könne man nicht in grossem Ausmass auf Nischenangebote Rücksicht nehmen. Wer aber gut programmiere, werde dank grösseren Namen die Aufmerksamkeit auch auf den Rest des Programms lenken können. "Wir können den Veranstaltern dieses Risiko jedoch nicht abnehmen."

Artur K. Vogel: "Wir hätten die Kulturagenda sehr gerne als Beilage im ‘Bund' gehabt." Das habe leider nicht geklappt; aus Gründen, die er heute noch nicht verstehe. Es sei heute zudem illusorisch zu erwarten, dass eine Tageszeitung alleine eine Veranstaltungsbeilage finanzieren könne. Auch deshalb, weil in Bern niemand in einem solchen Produkt inseriert habe, wie Michael Hug ergänzte: "Das ist ein trauriges Zeichen für diese Stadt."

Zum Schluss brachte es Bekult-Präsident (und KulturStattBern-Autor) Christian Pauli auf den Punkt: "Jede Stadt hat die Zeitungen, die sie verdient." Man könne die Verantwortung dafür nicht nur den Redaktionen zuschieben, sondern müsse auch die Politik und nicht zuletzt das Publikum in die Verantwortung nehmen; denn offenbar wolle dieses keine andere Kulturberichterstattung einfordern.
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Ohne Bad Bonn, ohne mich!

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BAD BONN
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BZ 4.5.10

Düdingen

 Deutlich mehr Geld fürs Bad Bonn

 Die Behörden antworten auf den Brief der Bad-Bonn-Betreiber. Die Agglo Freiburg teilt mit, dass sie in diesem Jahr 50000 Franken an das Bad Bonn überweisen wird, der Staatsrat bleibt hingegen hart in der Rauchverbotsfrage.

 "Das Bad Bonn hat für unsere Kulturförderung Priorität", sagt Markus Baumer, Kulturdelegierter der Agglo, auf Anfrage.

 Tatsächlich habe die Kulturkommission am 17.April entschieden, fürs Jahr 2010 50000 Franken zu überweisen. "Leider haben wir den Entscheid den Betreibern bisher noch nicht mitgeteilt, da hat die Kommunikation nicht geklappt", bedauert Baumer. Der Entscheid ist also keine direkte Folge des Briefs der Bad-Bonn-Betreiber.

 "Keine Bevorteilung"

 Bisher war der Beitrag bedeutend kleiner, da Düdingen nicht Mitglied von Coriolis war. Mit dem Beitritt zur Agglo habe sich das geändert, erklärt Baumer. "Uns ist klar, dass Institutionen wie das Fri-Son, Nouveau Monde oder die Spirale deutlich mehr Geld erhalten, aber diese sind bereits seit sieben Jahren Vollmitglied im Verband."

 In welche Richtung sich der Beitrag der Agglo Freiburg ans Bad Bonn in Zukunft bewegen wird, kann Baumer noch nicht sagen. Eines sei aber klar: "Mit einer Bevorteilung der Lokale im französischsprachigen Gebiet hat die Verteilung nichts zu tun."

 Schritt in richtige Richtung

 Patrick Boschung, Finanzchef des Bads Bonn, freut sich über den deutlich erhöhten Beitrag: "Es ist schön, dass es Leute gibt, die sich für uns einsetzen. Für uns sind diese 50000 Franken sicher ein Schritt in die richtige Richtung."

 Keine Bewegung kommt hingegen in die Rauchverbotsfrage. "Für die kulturellen Anlässe verfügt das Bad Bonn über ein Patent H, das den Verkauf von Getränken und Speisen erlaubt. Für die anderen Abende existiert kein Patent. Folglich darf nichts verkauft werden", erklärt Alain Maeder, Chef der Gewerbepolizei. Das Lokal sei dennoch wie eine Beiz geführt, da sei auch das Rauchen nicht erlaubt.

 Staatsrat Erwin Jutzet doppelt nach: "Die Betreiber haben freiwillig auf das Wirtepatent verzichtet. Den Betrieb gleich weiterführen und behaupten, man sei jetzt ein privater Verein, das ist doch reine Schlaumeierei." Jutzet bedauert, dass es zum Prozess vor dem Verwaltungsgericht kommen wird: "Ich habe nichts gegen das Bad Bonn. Aber wir können für keine Beiz eine Ausnahme machen. Sonst könnte ja jeder kommen."

 Eine offizielle Fürsprache für mehr kulturelle Fördergelder wird es vom Staatsrat nicht geben, doch Erwin Jutzet sagt, dass er persönlich die kulturelle Arbeit der letzten Jahre im Bad Bonn sehr geschätzt hat.

 Pascal Jäggi

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BZ 3.5.10

Düdingen

 Steht Bad Bonn vor dem Aus?

 Seit Samstag, 1. Mai, ist das Bad Bonn geschlossen. Geöffnet wird es nur noch für Konzerte. Die Betreiber kommen damit der angedrohten Schliessung durch die Behörden zuvor. Sie fordern Lösungsvorschläge vom Staatsrat.

 Die Betreiber haben das Bad Bonn geschlossen und sind damit nach eigenen Angaben den Behörden zuvorgekommen. Anstehende Konzerte und die international geschätzte Bad-Bonn-Kilbi vom letzten Maiwochenende seien gefährdet gewesen, so die Verantwortlichen, deshalb hätten sie sich zu diesem Schritt entschlossen. In einem Brief, der an alle zuständigen Behörden sowie die Kulturverantwortlichen geschickt wurde, wenden sich die Betreiber an den Freiburger Staatsrat und fordern eine Stellungnahme.

 Rauchverbot umschifft

 Dabei hinterfragen die Verantwortlichen zwei Punkte: das Rauchverbot in ihrem Lokal sowie die Kulturpolitik in Freiburg und den umliegenden Orten. Die Unterzeichner des Briefs, Daniel Fontana und Patrick Boschung, erklären, dass sie seit dem 1. Januar keine öffentliche Gaststätte mehr führen. "Wir betreiben ein Vereinslokal, und dieses ist nur unseren Vereinsmitgliedern offen", schreiben sie. Damit falle das Lokal unter ein anderes Gesetz als eine Gaststätte, so der Standpunkt der Betreiber. Um diesen Punkt werden sich die Parteien vor dem Verwaltungsgericht streiten. Angesichts der Entwicklung in Basel, wo sich über hundert Beizen im Verein Fümoar zusammengeschlossen haben, geben sich Boschung und Fontana zuversichtlich.

 Neben dem Rechtsstreit bemängeln die Verantwortlichen aber noch einen zweiten Punkt. Als Kulturveranstalter - über 1500 Konzerte in 20 Jahren Tätigkeit - fühlen sich Boschung und Fontana benachteiligt. "Unser Schaffen wird nicht mit den gleichen Ellen gemessen, wie dies bei unseren Kollegen in der Stadt Freiburg der Fall ist." Die Kulturförderbeiträge würden ungleich verteilt, was sich vor allem an die Adresse der Agglo Freiburg (früher Coriolis) richtet. Bisher hätten sie die Konzerte durch die Einnahmen an den anderen Abenden quersubventionieren können. Dass dies nicht mehr möglich sei, liege auch an der Herabsetzung der Promillegrenze im Strassenverkehr, dem Verbot von Glücksspielautomaten und am Rauchverbot, so die Betreiber.

 Geld wird sofort gebraucht

 Als Lokal an der Peripherie - nicht umsonst prangt der Spruch "Where the hell is Bad Bonn?" am Lokal - sei das Bad Bonn durch all diese Massnahmen hart getroffen worden, halten Daniel Fontana und Patrick Boschung fest. Um weiterhin ein qualitativ und quantitativ hochstehendes Programm zu bieten, müssten daher die Beiträge der Kulturförderung erhöht werden, fordern sie.

 In der Vergangenheit hat das Bad Bonn von Coriolis jeweils 15000 Franken erhalten. Zum Vergleich: Das Fri-Son erhält jährlich 145000 Franken. Die Agglo habe eine schrittweise Anpassung der Fördergelder versprochen. "Wir veranstalten aber hier und heute", entgegnen die Betreiber. "Bisher haben wir 90 Prozent unserer Finanzierung selber gedeckt." Das sei nun nicht mehr möglich. Die Loterie Romande unterstütze das Lokal immerhin mit 80000 Franken jährlich, schreiben die Träger des Prix Atec. Das Jahresbudget des Bad Bonn betrage 1,95 Millionen Franken, so die Betreiber.

 Nun müsste sich der Staatsrat für das Schaffen des Bad Bonn einsetzen, fordern die Betreiber, um der Ungleichbehandlung ein Ende zu setzen.
 pj/bol

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DROGEN
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20 Minuten 4.5.10

Koksende Teenager: Entzug im Wohnheim

 BERN. Berner Teenager fallen wegen Drogen immer öfter durchs soziale Netz. Eine neue Therapie soll Süchtigen jetzt helfen, schnell clean zu werden.

 "Wir wollen Personen mit Drogenproblemen helfen, bevor sie Job und soziales Umfeld verlieren", sagt Anita Marxer von der Stiftung Terra Vecchia in Kehrsatz. Deshalb startete die Stiftung ein Pilotprojekt: Personen ab 16 Jahren, die ein Suchtproblem haben, können sich während drei Monaten stationär therapieren lassen. "Die Klienten wohnen während dieser Zeit bei uns in Kehrsatz", so Marxer. So wolle man in kurzer Zeit den Ausstieg aus der Abhängigkeit erreichen. Nur an den Wochenenden dürfen die Klienten nach Hause. Wer dann Drogen nimmt, muss mit Konsequenzen rechnen: "Am Montag müssen die Klienten jeweils eine Urin-Probe abgeben", erklärt Marxer. Das Pilotprojekt läuft seit Januar. Die meisten Süchtigen haben sich selbst für eine Therapie angemeldet, diese kann aber auch richterlich verordnet werden.

 "Noch mehr als Cannabis und Pillen wurde in letzter Zeit Kokain konsumiert", so Marxer. Dies bestätigt auch Fritz Brönnimann von der Stiftung Contact Netz: "Wir merken, dass Kokain bei immer jüngeren Leuten hoch im Kurs ist." Dies liege vor allem am günstigen Preis und daran, dass es leicht zu bekommen sei. "Die Jugendlichen konsumieren oft Drogen, um Grenzen zu erfahren und zu überschreiten und um zu provozieren", so Brönnimann.

Fabienne Wittwer

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BFM VS NIGERIA
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Bund 4.5.10

"Nigerianer sind keine Dämonen"

 Martin Uhomoibhi, der Botschafter von Nigeria, wehrt sich gegen pauschale Kritik an seinen Landsleuten, denen Drogendelikte vorgeworfen werden.

Interview: Thomas Knellwolf, Genf

 Herr Botschafter, wie viele Ihrer Landsleute in der Schweiz sind kriminell?

 Ich kann solch eine Frage nicht beantworten. Ich kenne keinen einzigen kriminellen Landsmann hier. Nigerianer sind gute Menschen. Nigeria hat 150 Millionen Einwohner. Die nigerianische Gemeinde in der Schweiz ist mit etwas mehr als 2000 Personen äusserst klein. Die meisten von ihnen tragen viel Gutes zum Wohlergehen der Schweiz bei.

 Sie beziehen sich auf Nigerianer, die sich in der Schweiz niedergelassen haben. Sie sprechen aber nicht von den Asylbewerbern, von denen der Chef des Bundesamts für Migration sagte, dass viele kriminell würden.

 Alard du Bois-Reymond hat diese Worte nach einem Gespräch mit mir vergangene Woche zurückgenommen und in den korrekten Zusammenhang gestellt. Im Übrigen gibt es keinen Grund für Nigerianer, in der Schweiz Asyl zu suchen. Nigeria ist ein stabiles Land.

 Aber weshalb tun es viele Ihrer Landsleute trotzdem?

 Wir haben seit 1999 ununterbrochen demokratische Regierungen. Es stehen die vierten demokratischen Wahlen in Folge an. Diese Wahlgänge haben - bei allen Unzulänglichkeiten - allseits respektierte Führungen hervorgebracht. Sogar Demokratien mit jahrhundertelanger Tradition kämpfen mit Herausforderungen. Und wir arbeiten hart an unseren.

 Weshalb suchen denn viele Nigerianer in Europa Asyl?

 Migration ist ein Teil der Menschheitsgeschichte. Menschen sind immer ausgewandert. Und sie werden es immer tun - aus politischen Gründen sowie aus ökonomischen, weil es sich andernorts besser leben lässt.

 Doch weswegen kommen Nigerianer hierher?

 Aus all diesen Gründen. Aber die Nigerianer bezahlen es teuer, wenn sie nach Europa kommen wollen. Einige kommen, um Ferien zu machen, andere für Business, ich bin als Diplomat hier.

 Schieben Ihre Landsleute Asylgründe nur vor, um die Monate zu nutzen bis zur Abschiebung?

 Sie müssen das Ganze ganzheitlich betrachten und nicht eine einzelne Gruppe Menschen ins Visier nehmen. Sonst finden Sie nur Symptome, nicht die Ursachen. Es gibt viele Gründe, die jemanden dazu bewegen können, Asyl zu suchen. Ein Asylgesuch kann unter anderem eine Ausrede sein, um die Einreise zu ermöglichen. Viele Menschen aus Afrika wollen einen anderen Ort zum Leben.

 Es ist eine Tatsache, dass ein Teil in der Kleinkriminalität landet.

 Ich habe nie eine Statistik gesehen, die das besagt. Generalisierende Aussagen ohne harte Fakten darüber stigmatisieren die Nigerianer in der Schweiz.

 Polizisten erzählen von ihren Problemen mit nigerianischen Asylsuchenden.

 Das möchte ich schwarz auf weiss sehen.

 Schwarz auf weiss lässt sich in der Schweizer Presse immer wieder von Prozessen wegen Drogenhandels gegen Westafrikaner lesen.

 Ich brauche harte Fakten und Statistiken. Davor beteilige ich mich nicht an dieser Debatte. Ich sage nur: Nigerianer sind keine Dämonen. Wir müssen vorsichtig sein, wenn wir generalisieren. Das zeigt die Geschichte des Rassismus.

 Ist es nicht ebenso gefährlich, die Probleme zu ignorieren?

 Ich bin vor allem vorsichtig mit vorschnellen Schlüssen. Im Moment läuft ein politisches Spiel. Die Wahrheit wird sich aber durchsetzen.

 Ein nigerianischer Asylsuchender starb im vergangenen Monat in Zürich, als er gewaltsam ausgeschafft werden sollte. Was dachten Sie, als Sie davon hörten?

 Es machte mich traurig. Er ist ja nicht einmal der Erste, der so starb. Ein Landsmann war früher im Wallis bei einer Zwangsausschaffung umgekommen. Jeder Tote ist einer zu viel.

 Sie stellen zurzeit keine Papiere aus für abgewiesene Nigerianer, welche die Schweiz nicht freiwillig verlassen wollen. Werden Sie das je wieder tun?

 Ich rede jetzt nicht als Botschafter, sondern als Mensch: Es ist nicht weise, Leute entgegen ihrem Willen irgendwo hinzubringen. Ich hoffe, dass all jene, die für die Grundfreiheiten der Menschen einstehen, dies ähnlich sehen. Es bringt nichts, Migration zu kriminalisieren. Menschen sollten frei reisen dürfen, sofern sie sich ans Gesetz halten.

 Was machen Sie denn mit illegal Eingereisten?

 Auch die muss jeder Staat so behandeln, dass keine Menschenrechte verletzt werden. Unter keinen Umständen darf die Menschenwürde verletzt werden.

 Soll Zwangsausschaffung erlaubt bleiben?

 Wichtig ist, dass solche Flüge ausgesetzt bleiben, bis wir Klarheit haben über diesen tragischen Vorgang in Zürich. Dies habe ich mit Herrn du Bois-Reymond vereinbart.

 FDP-Nationalrat Otto Ineichen schlägt vor, gegen Einwanderer die Armee einzusetzen.

 Dazu sage ich nur: Die Schweiz war nie Kolonialmacht, sie war kaum in den Sklavenhandel involviert. Die Schweiz muss aufpassen, dass sie ihren guten Ruf als Ort der Humanität nicht verliert.

 Martin I. Uhomoibhi

 Martin I. Uhomoibhi ist Botschafter Nigerias in der Schweiz. Er präsidierte während eines Jahres den UNO-Menschenrechtsrat.

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 Zwei tote Nigerianer

 In Polizeigewahrsam gestorben

 Innert sechs Wochen sind in der Schweiz zwei Nigerianer in Polizeigewahrsam umgekommen. Der eine starb Mitte März auf dem Weg zur Zwangsausschaffung vom Flughafen Zürich. Die Umstände des Todes sind Gegenstand von Ermittlungen. Am vergangenen Donnerstag starb ein 42-jähriger Nigerianer in einer Schaffhauser Gefängniszelle. Laut Ermittlern war er beim Drogenschmuggel erwischt worden. Er soll in der Haft an geschluckten Drogenpackungen erstickt sein. Ebenfalls am Donnerstag hatte BFM-Chef Alard du Bois-Reymond seine Äusserung zurückgenommen, wonach viele Nigerianer in der Schweiz kriminell würden. (tok)

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SEXWORK BE
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20 Minuten 3.5.10

Wohnwagen als Sexlauben: Gegenwehr von Anwohnern

 BERN. Die Stadt Bern prüft, eine Rotlichtzone für Wohnwagen-Bordelle einzurichten. Doch die Quartierbewohner wehren sich gegen den Tummelplatz für Freier, Prostituierte und Spanner.

 "Unhaltbar und menschenunwürdig", seien die Zustände auf dem Berner Strassenstrich, klagt CVP-Stadtrat Henri-Charles Beuchat. Statt auf der Strasse sollen die Prostituierten ihre Kunden künftig in Wohnwagen auf besonderen Puff-Parkplätzen empfangen (20 Minuten berichtete). Beuchats Idee fiel im Stadtparlament auf fruchtbaren Boden: Es hat den Gemeinderat nun beauftragt, die Umsetzung der Idee zu prüfen.

 Beim Lorraine-Breitenrain-Leist schrillen deshalb die Alarmglocken. Denn als Standplatz für die Wohnwagen kommt fast nur die Lorraine-Brückenkanzel in Frage. Dies haben bereits Abklärungen vor der Euro 08 ergeben. "Wir haben schon mehrere Bordelle im Quartier und sind mit dieser Art Dienstleistung ausreichend versorgt", sagt Leistpräsident Patrick von Burg. Der Brückenkopf liege zudem in unmittelbarer Nachbarschaft mehrerer Schulen: Darauf hat der Leist in einem Schreiben an Beuchat hingewiesen. Mit einem Brief an die Stadt wehren sich aber auch die Anwohner der Dreifaltigkeitskirche, die den Strich nicht länger vor der eigenen Türe haben wollen.

Patrick Marbach

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1. MAI BERN
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Bund 3.5.10

Die Krise bringt Berner auf die Strasse

 Der erste Mai war geprägt von der Solidarität mit den "Deisswilern", der Forderung nach Arbeit und Lohn für alle - und vom Regen. Es kam nicht zu Ausschreitungen, aber zu unangemeldeten Konzerten.

 Felicie Notter

 Die Wirtschaftsprognosen werden allmählich optimistischer, doch in der Realität ist die Krise auch in Bern noch präsent - dies machen etwa die Entlassungen bei der Wifag klar. Der Berner Tag der Arbeit steht denn auch ganz im Zeichen der Solidarität, etwa mit den "Deisswilern". Die Gruppe, die von Deisswil nach Bern marschiert ist (siehe Text unten), führt den Umzug an, der sich nachmittags in der Kramgasse Richtung Bundesplatz in Bewegung setzt.

 Deisswil führt die Krise vor Augen

 Am traditionellen 1.-Mai-Umzug nehmen nebst verschiedenen Gewerkschaften auch Gruppierungen von Kurden, marxistisch-leninistischen Türken und Nepalesen teil. Auch die geschichtsträchtige sozialdemokratische Kinder- und Jugendgruppe Rote Falken, die seit kurzem wieder in Bern aktiv ist, ist dabei - die "Roten" scheinen Aufwind zu haben. Den Abschluss bildet eine Gruppe Autonomer, die altbekannte Solidaritätsparolen skandieren. Dagegen versucht sich die Spitze des Umzugs mit Trillerpfeifen durchzusetzen und ruft ihrerseits "Hopp Deisswil". Zum Auftakt der Kundgebung auf dem Bundesplatz bekräftigt ein "Deisswiler" nochmals den Willen der Arbeiter, mit "diversen Aktionen" weiterzukämpfen. Immerhin habe man durch den Besuch beim österreichischen Besitzer Mayr-Melnhof erreicht, den Direktor Hörmannseder "nach Bern zu zitieren".

 Ruedi Keller, SP-Stadtrat und Präsident des Gewerkschaftsbundes Bern und Umgebung sowie Paul Rechsteiner, SP-Nationalrat ,und Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, verknüpfen in ihren Reden die Solidarität mit den "Deisswilern" mit der Werbung für anstehende sozialdemokratische Initiativen. Rechsteiner warnt zudem vor der Hetze gegen Minderheiten, die von den krisenbedingten Unsicherheiten geschürt werde. Unia-Geschäftsleitungsmitglied Vania Aleva hebt die Bedeutung der Losung "Arbeit, Lohn und Rente" für gesellschaftliche Gruppen hervor. Während ältere Menschen ihre Arbeit verlören, werde den jugendlichen Stellensuchenden der Eintritt in die Arbeitswelt verwehrt. Trotz des schlechten Wetters nehmen gemäss polizeilicher Schätzung rund 1500 Personen an den Feierlichkeiten teil.

 Das "revolutionäre 1.-Mai-Bündnis" hat in kämpferischen Tönen zur Demonstration aufgerufen und sich dezidiert von den "System-Linken" distanziert. Diese wollten den Kapitalismus lediglich reformieren, anstatt ihn gänzlich zu überwinden. Trotzdem bleibt es im Sektor der Autonomen ruhig, abgesehen von ein paar Rauchpetarden und etwas Feuerwerk. Eine Handvoll Personen ist vermummt.

 In Bern bleibt es friedlich

 Wie bereits letztes Jahr verabschieden sich die Autonomen am Bärenplatz von der offiziellen Kundgebung und ziehen weiter zur Reitschule. Ausschreitungen gibt es keine.

 Auch in den Augen der Kantonspolizei ist der Umzug ruhig verlaufen. Während der Konzerte auf dem Reitschul-Vorplatz sei es jedoch zu Lärmklagen gekommen. "Wir sind nicht über die Konzerte informiert worden, wie dies abgemacht gewesen wäre", sagt Sicherheitsdirektor Reto Nause. Ob sich die Veranstaltung insgesamt im Rahmen der Vereinbarungen zwischen Stadt und Reitschule bewegt hat, werde noch abgeklärt. "Für uns war wichtig, dass der 1. Mai friedlich über die Bühne geht."

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 1.-Mai-Reden in der Schweiz Kämpferische Töne am Tag der Arbeit

 Wieder sind Schweizer Politiker ausgeschwärmt, um am Tag der Arbeit im ganzen Land Reden zu halten. Bundesrätin Micheline Calmy-Rey (SP) hat am Samstag in Thun zur Solidarität mit den Benachteiligten aufgerufen. Diese tue mehr not denn je, sagte sie vor mehreren Hundert Anwesenden auf dem Rathausplatz. Die Stärke des Volkes messe sich am Wohl der Schwachen. Die SP und die Gewerkschaften hätten sich immer für soziale Gerechtigkeit eingesetzt. Die Ursachen und Auswirkungen der Wirtschaftskrisen, die Lohnexzesse und die Arroganz der Top-Manager "zeigen, dass wir die richtigen Fragen zum richtigen Zeitpunkt stellen". Nur eine soziale Wirtschaft ist nach den Worten von Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizer Gewerkschaftsbundes (SGB), eine stabile Wirtschaft. Die Boni gehörten daher nicht den Abzockern, sondern der Allgemeinheit: Sie habe Banken vor dem Untergang gerettet, sagte Lampart in Aarau. Nationalratspräsidentin Pascale Bruderer Wyss (SP) sprach sich in Baden für eine Regulierung von überrissenen Boni aus. Solche Vergütungsmodelle führten zu problematischen Fehlanreizen. Sie würden der Volkswirtschaft und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt schaden. Es sei eine Aufgabe der Politik, über die Parteigrenzen hinweg auf diese Boni eine Antwort zu finden. Für die Bürgerlichen seien Arbeitslose "Faulpelze", die an ihrem Schicksal selbst schuld seien, sagte SP-Präsident Christian Levrat in Bremgarten AG. Es sei Zeit für eine politische Wende zu mehr Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit, erklärte Paul Rechsteiner in Uster. Der Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) prangerte das herrschende korrupte System an. Seit Wochen prügle die internationale Finanzwelt auf Griechenland ein. Den Takt gäben jene Ratingfirmen an, welche "das Weltfinanzsystem fast in Grund und Boden gefahren" hätten. Allen solle damit klargemacht werden: Nicht die Banker müssen die Suppe auslöffeln, sondern die Bevölkerung. "Der Zynismus ist grenzenlos." (sda)

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BZ 3.5.10

1.-Mai-Demonstration in Bern

 Solidarität für Deisswiler

 Die Schliessung der Kartonfabrik Deisswil ist im Zentrum der 1.-Mai-Feierlichkeiten auf dem Bundesplatz gestanden.

 An der Spitze des 1.-Mai-Umzugs, der von der Kramgasse zum Bundesplatz führt, skandieren entlassene Deisswil-Arbeiter: "Eins, zwei, drei, Deisswil bleibt" und "Hopp Deisswil". Mit diesen Parolen protestieren sie gegen die Schliessung der Papierfabrik.

 Zum Teil vermummte, schwarz gekleidete Aktivisten rufen "What Solution? Revolution!" Immer wieder feuern sie krachende Raketen ab und werfen Stinkbomben auf das Pflaster in den Gassen. Der Demozug durch die Kram- und Marktgasse verläuft friedlich. Am Bärenplatz trennen sich die rund 100 Autonomen und ziehen durch die Spitalgasse übers Bollwerk zur Reitschule zum "Blockfest".

 Regen beeinträchtigte Feier

 Die Abzockerei und die Schliessung der Kartonfabrik Deisswil standen auf dem Bundesplatz im Zentrum der 1.-Mai-Feier. Etwa 600 Personen nahmen an der Feier teil, die durch den Regen beeinträchtigt wurde. Prominentester Redner war der Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds, SP-Nationalrat Paul Rechsteiner.

 Für mehr Gerechtigkeit

 Rechsteiner rief zu mehr Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit auf. Seine Rede schloss er mit einem Appell zur Solidarität mit den über 200 Arbeitern der kürzlich geschlossenen Kartonfabrik Deisswil. 60 der Betroffenen waren an die Feier nach Bern gekommen. Auch eine Delegation der vom Stellenabbau betroffenen Berner Maschinenfabrik Wifag war anwesend.

 "Deisswil ist eine skandalöse Schliessung", sagte Vania Alleva, Mitglied der Geschäftsleitung der Gewerkschaft Unia. "Der weltweit führende Kartonhersteller Mayr-Melnhof hat 2009 ein hervorragendes Ergebnis erzielt und macht enorme Renditen", rief Vania Alleva vor dem Bundeshaus.

Jürg Spori

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1. MAI THUN /PNOS
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Thuner Tagblatt 4.5.10

Thun

 Festnahmen am 1. Mai: Pnos jammert

 Ihre Leute seien "in Haft genommen und mehrere Stunden festgehalten worden", jammert die Pnos nach der 1. Mai-Demo in Thun.

 Mitglieder der rechtsextremen Partei national orientierter Schweizer (Pnos) wollten an der 1. Mai-Feier am Samstag Nachmittag auf dem Thuner Rathausplatz Flugblätter verteilen. Doch die Polizei hinderte sie daran und nahm sieben Aktivisten vorübergehend fest (vgl. Ausgabe von gestern), "um ihre Personalien eingehend zu kontrollieren", wie Polizeisprecher Stefan von Below gestern sagte. Die Pnos jammerte nämlich am Wochenende in einer Mitteilung: "Die Thuner Polizei hat schonungslos vor Augen geführt, dass sie in der Verfassung verbriefte Grundrechte wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit mit den Füssen tritt." Die Polizei habe die Personen gestützt auf Artikel 27 des kantonalen Polizeigesetzes abgeführt, so von Below weiter. "Eine Kontrolle vor Ort hätte als Provokation aufgefasst werden und die Situation verschärfen können. Deshalb haben wir die Leute auf der Wache kontrolliert." Die Kontrollen seien nach zwei Stunden abgeschlossen gewesen und die Leute freigelassen worden. Einzig der Zutritt zum Festplatz wurde ihnen für die Dauer der 1. Mai-Feier untersagt.
 Maz

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Thuner Tagblatt 3.5.10

Polizeibilanz

Feier verlief friedlich

 Die 1.-Mai-Feier in der Thuner Innenstadt stand heuer unter dem Motto "Arbeit, Lohn und Rente - statt Profit und Gier". Die Feierlichkeiten gingen friedlich und ohne grosse Zwischenfälle über die Bühne", erläuterte Thuns Sicherheitsvorsteher Peter Siegenthaler gestern auf Anfrage. Weil der Umzug abgesagt wurde, kam es auch zu keinen nennenswerten Verkehrsbehinderungen. Kurz vor Beginn der Feierlichkeiten auf dem Rathausplatz machten am Samstag indessen rund ein Dutzend Anhänger der Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) auf sich aufmerksam. Sie wurden von der Polizei in der Thuner Innenstadt angehalten und am Verteilen von Flugblättern gehindert.
 sku

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1. MAI ZUREICH
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Tagesanzeiger 4.5.10

1.-Mai-Komitee soll Polizei zahlen

 Geht es nach dem Willen der Partei für Zürich (PFZ), muss das 1.-Mai-Komitee in Zukunft den Einsatz der Polizei bei Nachdemos selber berappen. Rund 500 000 Franken kostete der Einsatz am Samstag gemäss einer Schätzung des "Tages-Anzeigers". Die PFZ hat gestern eine entsprechende Einzelinitiative im Kantonsrat eingereicht. Nötig für die Umwälzung der Kosten wäre eine Ergänzung im kantonalen Polizeigesetz.

 Die Änderung hätte einschneidende Folgen für das 1.-Mai-Komitee: "Das wäre für uns nicht tragbar", sagt deren Sprecherin Anna Klieber. Faktisch würde dieser Vorschlag das Aus für den 1.-Mai-Umzug und das Fest danach bedeuten, so Klieber.

 Die Einzelinitiative hat im Kantonsrat beste Chancen auf eine vorläufige Unterstützung, wofür 60 Stimmen nötig sind. Vertreter von SVP, FDP wie auch CVP äusserten gestern Sympathien für den Vorstoss. (TA) - Seite 17

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1.-Mai-Komitee müsste eine halbe Million bezahlen

 Das 1.-Mai-Komitee soll die Kosten für den Einsatz der Polizei selber tragen. So wollen es die Bürgerlichen. Für das Fest und den Umzug bedeutete dies das Aus.

 Von Stefan Häne

 Zürich - Markus Schwyn und Susi Gut von der Partei für Zürich (PfZ) haben gestern im Kantonsrat eine Einzelinitiative eingereicht. Darin fordern die beiden abgewählten Gemeinderäte, das 1.-Mai-Komitee müsse den Polizeieinsatz vom Samstag aus dem eigenen Sack bezahlen. Nötig ist dazu eine Ergänzung des kantonalen Polizeigesetzes: Bei bewilligten Veranstaltungen haben die Organisatoren gemäss PfZ-Vorschlag nur dann keine Kosten zu tragen, wenn es "bei Nachdemonstrationen nicht zu Sachschäden oder zu einem massiven Polizeieinsatz kommt". Heute gilt diese Regel nur, sofern die Veranstalter "nicht grobfahrlässig gegen Auflagen der Bewilligung verstossen". In Luzern ist man einen Schritt weiter. Der Kantonsrat hat im Winter ein Postulat andie Regierung überwiesen. Organisatoren sollen demnach die Vollkosten für die öffentliche Sicherheit mittragen, und zwar bei allen Veranstaltungen.

 Die Bürgerlichen in Zürich orten eine Ungleichbehandlung: Dank dem neuen Polizeigesetz ist es seit diesem Jahr möglich, nach Ausschreitungen die Sportklubs zur Kasse zu bitten - nicht aber die Veranstalter politischer Manifestationen. Der FC Zürich hat im April eine erste Rechnung für einen Polizeieinsatz beim Spiel gegen Basel erhalten. 200 Mannstunden der Polizei gelten als Grundversorgung. Was darüber hinausgeht, wird verrechnet. Die Hooligans kosten die Stadt Zürich jährlich rund drei Millionen Franken. Auch der Polizeieinsatz am 1. Mai hat viel gekostet: Eine Schätzung des TA beläuft sich auf rund 500 000 Franken (siehe Tabelle).

 "Das wäre für uns nicht tragbar"

 Die Überwälzung der Polizeikosten zöge einschneidende Folgen nach sich. "Das wäre für uns schlicht nicht tragbar", sagt Sprecherin Anna Klieber.Das Komitee habe keine Sponsoren. Faktisch, so Klieber, würde der PfZ-Vorschlag das Aus für den 1.-Mai-Umzug und das Fest danach bedeuten. Remo Schädler, Vizepräsident beim Gewerkschaftsbund des Kantons Zürich, mahnt: "Das verfassungsmässig garantierte Demonstrationsrecht darf in keiner Art und Weise ausgehöhlt werden." Gemeinderat Walter Angst (AL) ist der Ansicht, eine Kostenüberwälzung würde gegen die Verfassung verstossen. Den PfZ-Vorschlag bezeichnet er als "blöde Stimmungsmache". Es gebe ein Grundrecht auf Demonstrationen, aber keines auf Fussballspiele.

 Trotz der Einwände hat die Einzelinitiative im Kantonsrat beste Chancen auf eine vorläufige Unterstützung; nötig sind hierfür 60 Stimmen. Das Anliegen geniesst nicht nur in der SVP Sympathien, sondern auch in der FDP und der CVP, die sich von ihrer Zustimmung eine vertiefte Debatte erhoffen. CVP-Fraktionschef Philipp Kutter ist mit dem 1.-Mai-Komitee "nicht zufrieden". Es müsse sich künftig von jeglicher Gewalt distanzieren. Dies fordert auch FDP-Fraktionschef Thomas Vogel. Im Zentrum steht die Frage, wie sich bei Krawallen die Verantwortlichkeiten sauber klären lassen. Kutter spricht von der Gefahr einer Sippenhaftung. Auch Vogel hält es für schwierig, einen "adäquaten Kausalzusammenhang zwischen Veranstaltern und Krawallen" herzuleiten. Am diesjährigen 1. Mai sieht er diese Wirkungskette aber als gegeben. Das 1.-Mai-Komitee habe den Festbeginn eigenmächtig auf den Nachmittag vorverlegt und so den Krawallanten ermöglicht, sich aus der Festgesellschaft heraus zu formieren.

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NZZ 4.5.10

Eine Person weiter in Haft

 Krawallmacher vom 1. Mai

Lorenz Frischknecht (fri)

 fri. ⋅ Auch wenn die Scharmützel und Sachbeschädigungen am 1. Mai in Zürich 4 geringer ausfielen als in früheren Jahren, kann der Tag der Arbeit für einzelne Krawallmacher einschneidende Folgen haben. Gegen 84 Personen wurde zunächst ein Strafverfahren eröffnet; die Untersuchungen laufen unter Landfriedensbruch, Gewalt und Drohung gegen Beamte, Sachbeschädigung, Widerhandlung gegen das Sprengstoffgesetz oder Hinderung einer Amtshandlung. Von diesen 84 Personen waren am Sonntag noch 14 in Polizeihaft, unter ihnen 6 Jugendliche unter 16 Jahren. Am Montag durften alle Inhaftierte wieder nach Hause gehen - bis auf eine Person, für die wegen Körperverletzung ein Antrag auf Untersuchungshaft noch pendent war. In einem zweiten Fall wies ein Haftrichter diesen Antrag ab.

 Wie der Medienchef der Stadtpolizei Zürich, Marco Cortesi, sagte, wurde auch jener 20-Jährige freigelassen, der einen Stein geworfen und mit diesem einen 17-Jährigen am Kopf getroffen haben soll. Gegen ihn läuft ein Strafverfahren wegen einfacher Körperverletzung. Nur durch ein Wunder erlitt der Jüngere bloss einen Kopfschwartenriss. Noch offen ist die Frage, inwiefern die beiden an den Konfrontationen mit der Polizei beteiligt waren und welcher Zusammenhang zwischen Steinwurf und Scharmützeln besteht. Der Vorfall ereignete sich kurz vor 20 Uhr am Rand der Krawalle, auf der Kreuzung von Müller- und St.-Jakob-Strasse. Zu diesem Zeitpunkt waren die heftigsten Kämpfe schon vorbei.

 Mit keinem Strafverfahren rechnen müssen die 269 Personen, die vorübergehend festgenommen wurden und mit einer sogenannten Wegweisung belegt wurden. Sie durften das Seebecken sowie die Stadtkreise 1, 4 und 5 während 24 Stunden nicht mehr betreten. Sofern sie sich an diese Auflage gehalten haben, ergeben sich für sie keine weiteren Konsequenzen. Es war das erste Mal, dass in Zürich diese Bestimmung des im letzten Juli in Kraft getretenen kantonalen Polizeigesetzes in diesem Ausmass angewendet wurde.

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Tagesanzeiger 3.5.10

Polizei verfügte Verbotszone für freigelassene 1.-Mai-Chaoten

 Nach einem friedlichen Umzug mit rund 8000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist es am 1. Mai in Zürich wieder zu Krawallen gekommen. Die Polizei griff hart durch und erstickte die Ausschreitungen im Keim. Sie kesselte gewaltbereite Demonstranten ein und verhaftete 353 Personen - so viele wie noch nie an einem 1. Mai. 14 Personen befanden sich am Sonntagabend noch in Haft. Die übrigen bekamen ein Rayonverbot mit auf den Weg: Sie durften sich während der nächsten 24 Stunden nicht mehr in einem weiträumig abgesteckten Sperrbezirk in der Zürcher Innenstadt aufhalten. FDP-Stadtrat Andres Türler verfolgte als einziger diensttuender Stadtrat den Polizeieinsatz aus der Hauptwache. Er habe nicht anders reagiert als die ehemalige Polizeivorsteherin Esther Maurer (SP), sagt Türler im Interview. Berichte und Kommentar Seite 15

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Die Teilnehmer waren jung, die Parolen pragmatisch

 8000 Menschen verloren am 1.-Mai-Umzug nicht die Beherrschung. Und demonstrierten friedlich. Das Fest auf dem Zeughausareal litt unter dem Wetter.

 Von Doris Fanconi (Bilder) und Denise Marquard (Text)

 Mit dem Slogan "Verlieren wir die Beherrschung" hatte das 1.-Mai-Komitee schon Wochen vor dem Tag der Arbeit provoziert. Der Satz sei eine Aufforderung zur Gewalt, kritisierten Bürgerliche und sogar Gewerkschafter. Die Befürchtungen waren unbegründet: Die 8000 Teilnehmer des samstäglichen Umzugs wurden zwar verregnet. Aber Umzug und Fest blieben friedlich.

 "Der 1. Mai verläuft jedes Jahr gleich", mäkeln die Kritiker. Das stimmt nicht ganz. Am Samstag waren auffallend viele junge Menschen dabei, und die klassenkämpferischen Parolen aus des Steinzeit fehlten weitgehend. Natürlich wurde die Gier der Manager und der Banker angeprangert, doch viele Parolen waren sehr pragmatisch. "Gesundheit ist keine Ware", stand auf den Transparenten einer Gruppe weiss gekleideter Demonstranten. Die Vereinigung unabhängiger Ärzte wollte damit auf fehlende Hausärzte, Qualitätsabbau, steigende Krankenkassenprämien und ökonomisierte Bildung aufmerksam machen. "Wir konsumieren die Welt", warnte eine Gruppe Jugendlicher auf ihren T-Shirts.

 Trämler fühlen sich ausgenutzt

 Obwohl die Trams am 1. Mai nicht mehr im Depot bleiben, waren auch die Trämler stark vertreten. Auf dem Banner der VBZ-Gewerkschafter war zu lesen: "Hört auf mit dem Minutenklau - kein weiterer Gesundheitsraubbau." Bei den Trämlern ist die Stimmung mies. Sie leiden unter Spardruck und dem Zwang, die Produktivität zu steigern. "Der Stress hat in den letzten 15 Jahren ganz beträchtlich zugenommen", schimpft einer. "Die Neuen erhalten weniger Lohn, die Älteren werden unter Druck gesetzt, um schlechtere Verträge abzuschliessen."

 Der Umzug setzte sich zu spät in Bewegung und wuchs dann lawinenartig an. Frauen, Männer, Ausländer, ganze Familien gesellten sich dazu. Für einen ersten Stopp sorgte am Stauffacher ein kurzes Agitproptheater. Auf dem Dach des ehemaligen Tramhäuschens und derzeitigen Restaurants Bubu inszenierte eine Gruppe Vermummter die permanente Effizienzsteigerung und die damit einhergehende Ausbeutung bis zur Entlassung. Dann ging es weiter Richtung Bahnhofplatz und via Limmatquai bis zum Bürkliplatz. Die Stimmung war heiter: Wie Kinder liessen einzelne Teilnehmer Seifenblasen steigen und zerplatzen. Andere nutzten die Gelegenheit, quer durch alle Berufsgattungen hindurch über die allgemeine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu schimpfen.

 4000 Franken Mindestlohn

 Der Klassenkampf kam diesmal erst am Schluss: Die neue Präsidentin des VPOD, die grüne Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber, hielt auf dem Bürkliplatz eine flammende Rede gegen den weltweiten Bankenkollaps und seine Folgen, gegen die weltweite Staatsverschuldung und die Zunahme der Armut. "Sie wollen unsere Renten kürzen und die Pflegleistungen abbauen", sagte sie. "Bei der Invalidenversicherung wird gestrichen, und gleichzeitig werden die Superreichen mit einem Steuergeschenk belohnt. Schluss damit! Wir fordern Arbeit für alle und einen Mindestlohn von 4000 Franken."

 Die Hauptrednerin, die venezolanische Frauenministerin Maria León, rief dazu auf, den Kampf für Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit zu globalisieren. Den Abschluss bildete Vania Alleva, Geschäftsleitungsmitglied der Gewerkschaft Unia. Sie stellte die wachsende soziale Ungleichheit an den Pranger, die bald zu Spannungen führen werde.

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Kaum Schäden, viele Verhaftungen

 Erstmals haben verhaftete Gaffer und Mitläufer am 1. Mai von der Polizei eine Wegweisung erhalten und mussten sich anschliessend während 24 Stunden von der Innenstadt und den Kreisen 4 und 5 fernhalten.

Von Stefan Hohler

 Zürich - Die befürchteten Krawalle im Nachzug der 1.-Mai-Feier sind ausgeblieben. Zwar lieferten sich die Chaoten mit der Polizei das übliche Katz-und-Maus-Spiel, zu Sachbeschädigungen kam es aber kaum. Offensichtlich kommt bei den mehrheitlich jugendlichen Demonstranten immer mehr "in Mode", mit Flaschen und Steinen auf die Polizei zu werfen. Dabei wurde am Samstag kurz vor 20 Uhr aber nicht ein Polizist, sondern ein 17-jähriger Mann im Bereich Müller-/St.-Jakob-Strasse von einem Pflasterstein am Kopf getroffen. Der Verletzte musste ins Spital eingeliefert werden. Er konnte es in der Zwischenzeit wieder verlassen. Ob es sich bei ihm um einen Passanten, Gaffer oder Randalierer handelte, wird abgeklärt. Die Polizei konnte den 20-jährigen Steinewerfer verhaften. Daneben wurde auch ein Polizist am Fuss verletzt und musste für kurze Zeit hospitalisiert werden.

 Helvetiaplatz abgesperrt

 Stadt- und Kantonspolizei unterdrückten die geplante Nachdemonstration schon von allem Anfang an. Im Kanzleiareal, wo zum "revolutionären Treff" aufgerufen wurde, versammelten sich gegen 14 Uhr rund 250 Personen. Als eine Stunde später 30 Linksautonome das Areal verlassen und die Nachdemo organisieren wollten, kesselten die Polizisten das Kanzleiareal ein und sperrten auch den Helvetiaplatz grossräumig ab. Darauf kam es in der Umgebung der Langstrasse zu Auseinandersetzungen zwischen gewaltbereiten Chaoten und der Polizei. Diese setzte Gummischrot, Tränengas und Wasserwerfer ein. Das Fest des 1.-Mai-Komitees auf dem Zeughausareal konnte aber problemlos durchgeführt werden, und die Besucher blieben von Scharmützeln und Tränengas verschont.

 Die Polizei nahm so viele Verhaftungen vor wie noch nie; hauptsächlich im Kanzleiareal. Von den 353 Personen waren 45 Frauen. 14 Personen befinden sich noch in Haft. Bereits am Vormittag hatte die Polizei im Hauptbahnhof und in der Innenstadt mögliche Chaoten kontrolliert und gefilzt. Was auffällt: Nur jeder siebte Verhaftete kommt aus der Stadt. Der Grossteil der Randalierer sind Krawalltouristen aus dem übrigen Kantonsgebiet und aus vorwiegend deutschsprachigen Kantonen. Zehn Festgenommene wohnen in Deutschland, einer in Italien. Die meisten Verhafteten sind Schweizer und zwischen 18 und 25 Jahre alt.

 269 Wegweisungen

 Von den 353 Verhafteten wurden 269 nach der Personenkontrolle in der Haftstrasse der Polizeikaserne wieder freigelassen. Diese Gaffer oder Mitläufer, denen die Polizei keine Straftat nachweisen konnte, erhielten eine Wegweisung; dies aufgrund des neuen Polizeigesetzes. Das heisst, sie durften sich nach der Festnahme während 24 Stunden in einem bestimmten Gebiet nicht mehr blicken lassen. Sonst hätten sie bei einer erneuten Personenkontrolle mit Konsequenzen rechnen müssen. Das Wegweisungsgebiet umfasste das Seebecken sowie die Kreise 1, 4 und 5. Den Personen wurde ein entsprechender Kartenausschnitt abgegeben (siehe Bild). Die restlichen der Verhafteten müssen mit einem Strafverfahren wegen verschiedener Delikte wie Landfriedensbruch, Gewalt und Drohung gegen Beamte, Sachbeschädigung oder Hinderung einer Amtshandlung rechnen.

 Erstmals war an einem 1. Mai auch ein Super Puma der Armee im Einsatz. Der Helikopter überflog während Stunden die Innenstadt. Ziel des Einsatzes war, Ansammlungen von Demonstranten frühzeitig zu erkennen und sofort darauf zu reagieren.

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Der stellvertretende Polizeivorstand äussert sich

"Die Wegweisung ist eine gute Sache"

 Mit Andres Türler (FDP) sprach Stefan Hohler

 Zürich - Die FDP gratuliert ihrem Stadtrat Andres Türler zum erfolgreichen Polizeieinsatz. Unter dem Titel "Konsequentes Durchgreifen: Offenbar geht es doch", schreibt die Partei, dass es zum ersten Mal seit Jahren der Polizei und einem freisinnigen Polizeivorstand gelingt, die Ausschreitungen am 1. Mai im Griff zu haben und das Gewerbe zu schützen.

 Herr Türler, was haben Sie anders gemacht als Ihre ehemalige SP-Stadtratskollegin Esther Maurer?

 Nichts, Esther Maurer hat sicherlich jeweils mit der gleichen Klarheit der Stadtpolizei den Auftrag gegeben, bei einer unbewilligten Nachdemo sofort und konsequent einzugreifen. Diese Strategie ist der Schlüssel zum Erfolg. Zudem hat die Zusammenarbeit zwischen Stadt- und Kantonspolizei hervorragend geklappt.

 Sie haben also am 1. Mai der Polizei nicht gesagt, wie sie bei einer Nachdemo und den Krawallen handeln muss?

 Operativ habe ich mich da rausgehalten. Es wäre völlig verfehlt, wenn ein Stadtrat der Polizei dreinredet. Aber in den Vorbereitungsgesprächen, die noch unter Esther Maurer geführt wurden, hatte der Stadtrat der Polizei den klaren Auftrag gegeben, jegliche Nachdemonstrationen zu unterbinden. Zudem war ich am 1. Mai auf der Hauptwache. Dort habe ich den Polizeieinsatz mitverfolgt und wäre, falls es die Situation erfordert hätte, jederzeit zur Verfügung gestanden.

 Von der FDP und von der Einsatzleitung ist der frühe Festbeginn im Zeughausareal kritisiert worden.

 Dieses Thema wird die 1.-Mai-Delegation des Stadtrates nochmals ausführlich diskutieren müssen. Die örtliche und zeitliche Trennung von Umzug und Fest ist für die Polizeiarbeit absolut notwendig. Sicherheit geht vor Umsatz. Die Einsätze der Polizei sind auch dieses Jahr durch den Festbeginn im Zeughausareal um 14 Uhr behindert worden. Das muss sich ändern.

 Erstmals wurden von der Polizei am 1. Mai Wegweisungen ausgesprochen. Wie haben sie sich bewährt?

 Mit der Wegweisung hat die Polizei eine gute Handhabe gegen Gaffer und Mitdemonstranten. Sie kann Personen, denen strafrechtlich nichts nachgewiesen werden kann, für 24 Stunden aus der Innenstadt und den Kreisen 4 und 5 fernhalten. Ein gutes Mittel, wenn man sieht, dass nur ein Siebtel der Verhafteten in der Stadt Zürich wohnt.

 Andres Türler

 Der FDP-Stadtrat war am 1. Mai als stellvertretender Polizeivorstand im Einsatz. Der Posten ist im Moment verwaist, weil Daniel Leupi (Grüne) das Amt noch nicht angetreten hat.

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Fest auf dem Zeughausareal

 Das 1.-Mai-Komitee rechnet mit einer saftigen Busse

 Nass und kalt war es. Wer mag da schon feiern? Anna Klieber, Sprecherin des1.-Mai-Komitees, staunte deshalb über die Besucherzahlen. Sie schätzt, dass sich allein am Samstag zwischen 4000 und 5000 Menschen auf dem Zeughausareal aufhielten. Das ist zwar ein Klacks im Vergleich zum letzten Jahr, als bei hochsommerlichen Temperaturen 12 000 Menschen zusammengeströmt waren. Es hätten aber aufgrund der Umstände auch massiv weniger sein können, sagt Klieber. Trotzdem rechnet sie mit einem Defizit.

 Zudem erwartet das Komitee eine Verzeigung und eine saftige Busse. Denn es hat sich nicht an die vom Stadtrat gemachte Auflage gehalten, den Festbetrieb erst ab 20 Uhr zuzulassen. Schon letztes Jahr kam es zu dieser Befehlsverweigerung. Allerdings sagt Klieber, sei man damals von den Besuchern buchstäblich überrannt worden. Das Komitee kassierte eine Verzeigung,300 Franken Busse und 200 Franken Schreibgebühren. Dieses Jahr verhielt es sich anders. Das Komitee hat die Befehlsverweigerung, die auch von SP, Grünen und AL unterstützt wurde, via Medien angekündigt. Und rechnet deshalb mit einer höheren Busse.

 Babylonische Teller

 Drei Tage lang hätte das Fest auf dem Zeughausareal dauern sollen, doch nur am Samstag kam so etwas wie Stimmung auf. Aber auch an diesem Tag zogen die Besucher geschlossene Räume vor. In den Zeughäusern fand ein vielseitiges politisches und kulturelles Programm statt, das laut Komitee auf so grosses Interesse gestossen sei wie schon lange nicht mehr. Auf dem Areal selbst reihten sich Essstände wie an einem fernöstlichen Basar. Die meisten davon befanden sich in türkischer Hand. Das zeigte sich auch im Angebot: Falafel, Kebab und Baklavi so weit das Auge reichte. Nur Kenner bemerkten die kleinen Unterschiede. Zum Beispiel bei Hülya Gabriel. Dort gab es einen babylonischen Teller mit Couscous und Gemüseeintopf. Wer fragte, was das sei, wurde gleich in ein Gespräch über die Geschichte der Assyrer verwickelt, die 1915 zusammen mit den Armeniern und Griechen massakriert worden waren.

 Aufgefallen sind auch Mitglieder der Erklärung von Bern, einer Organisation, die sich für die Anliegen der Dritten Welt einsetzt. Sie verkleideten sich als George Clooney und klärten über fairen Kaffeehandel auf. Daneben wurden an einem Stand Unterschriften für die Kampagne "Kein Kind ist illegal" gesammelt. Sie hat zum Ziel, die Lebenssituation von Sans-Papiers-Kindern und -Jugendlichen zu verbessern.

 Denise Marquard

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Kommentar von Stefan Hohler

 Noch einmal Schwein gehabt

Stefan Hohler

 Dass es am 1. Mai kaum Schäden gegeben hat, ist nur zum Teil dem klugen Polizeieinsatz und dem schlechten Wetter zu verdanken. Sicher haben die 353 Festnahmen und die Wegweisungen zahlreiche Chaoten ins Leere laufen lassen. Aber vor allem war viel Glück im Spiel: Selbst kleinste versprengte Grüppchen hätten viel Schaden anrichten können.

 Die FDP schreibt den Polizeierfolg ihrem Stadtrat Andres Türler zu. Das ist der Partei, die kaum noch mit Erfolgen glänzen kann, nicht zu verübeln. Aber es entspricht nicht der Realität: Den Auftrag an die Polizei hatte der ganze Stadtrat erteilt. In die Einsatzleitung hat sich Türler ebenso wenig eingemischt wie seine Vorgängerin Esther Maurer in den Jahren zuvor.

 Dass der rot-grün dominierte Stadtrat das Fest beim Zeughaus erst um 20 Uhr beginnen lassen wollte, war richtig. Doch das 1.-Mai-Komitee hat die Auflage bewusst ignoriert - und wurde von SP und Grünen unterstützt. Das ist unverständlich. Sicherheit geht vor Kommerz, auch wenn es sich um ein linkes Volksfest handelt. Da ist jetzt der neue grüne Polizeivorstand Daniel Leupi gefordert. Es kann nicht sein, dass die Polizei im Umkreis des Zeughauses aus Rücksicht auf die Besucher mit angezogener Handbremse agieren muss. So viel Glück wie dieses Jahr ist nicht selbstverständlich.

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NZZ 3.5.10

Event-Chaoten am 1. Mai in Zürich

 Die Polizei greift hart durch

 mbm. ⋅ Auch dieses Jahr hat es in der Stadt Zürich am Tag der Arbeit nach dem offiziellen Umzug wieder Ausschreitungen gegeben. Doch dieses Mal ging die Polizei im Kreis 4 hart und konsequent gegen die Chaoten vor und liess ihnen kaum Raum zur Entfaltung. Mit der Taktik der Einkesselung und mit etwas Wetter-Glück liessen sich - anders als sonst üblich - grössere Sachbeschädigungen verhindern. Insgesamt nahm die Polizei 353 Personen fest, viele von ihnen waren aus anderen Kantonen oder aus dem nahen Ausland angereist. Stadtrat Andres Türler sprach von Event-Chaoten. Sämtliche politischen Parteien bewerteten die Arbeit der Stadt- und der Kantonspolizei durchwegs als positiv.

 Zürich und Region, Seite 10

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Harte Gangart zahlt sich aus

Weniger Schäden am 1. Mai als sonst

 mbm. ⋅ Mehr als in anderen Jahren hat es heuer Gründe gegeben, am Tag der Arbeit auf wirtschaftliche und soziale Probleme sowie auf die damit verbundenen Anliegen der Arbeitnehmer aufmerksam zu machen. Der Volkszorn im Nachgang der Bankenkrise ist nach wie vor gross, was sich auf den Transparenten am friedlichen offiziellen 1.-Mai-Umzug in Zürich ablesen liess. Aber auch 2010 missbrauchte eine Horde von Hitzköpfen und Krawallmachern den traditionellen Tag der Gewerkschaften und linken Parteien, um den 1. Mai auf ihre Art zu begehen. Damit lenkten sie die Aufmerksamkeit auf den inoffiziellen Teil - auf die Ausschreitungen.

 In diesem Jahr gelang es der Polizei aber wieder einmal, das Ausmass der Krawalle einigermassen in Grenzen zu halten. Mit einer harten Gangart traten die Stadt- und Kantonspolizisten dem Ansinnen der Chaoten entgegen und erstickten ihre Aktionen, so gut es ging, im Keim. Das konsequente Unterbinden einer Nachdemonstration sowie das Kontrollieren und Verhaften von zahlreichen Personen zeigten Wirkung und brachten zusammen mit etwas (Wetter-)Glück am Schluss aus Sicht der Polizei - im Vergleich mit anderen Jahren - ein gutes Resultat. Insbesondere Anschläge auf Banken konnten bis am Sonntagabend verhindert werden.

 Allerdings betrieb die Polizei einen grossen Aufwand. Es wäre interessant, die Kosten des Einsatzes zu kennen. Zudem schützten sich viele Gewerbetreibende im Kreis 4 selber, indem sie ihre Läden verbarrikadierten - eine verständliche, aber traurige Entwicklung. Dies zeigt, dass das Problem am 1. Mai alles andere als im Griff ist und allein mit hartem Vorgehen der Polizei nicht gelöst werden kann. Daniel Leupi, der designierte Polizeivorsteher, und der ganze links-grüne Stadtrat sind weiter gefordert. Ganz sicher ist das 1.-Mai-Komitee mehr in die Pflicht zu nehmen.

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Gute Polizeitaktik verhindert "Nachdemo"

 Praktisch keine Sachbeschädigungen, aber mehr Festnahmen - Stadträtlicher Auftrag für den 1. Mai erfüllt

 Trotz strömendem Regen haben mehrere hundert Krawallmacher die Auseinandersetzung mit der Polizei gesucht. Diese ist konsequenter als in den Vorjahren eingeschritten und hat eine "Nachdemo" mit allfälligen grossen Beschädigungen verhindert.

 fri./tri. ⋅ Um 15 Uhr traten etwa 30 Anhänger des schwarzen Blocks aus dem Kanzleiareal in Zürich 4. Kaum hatten sie sich unter Leuchtfackeln und hinter einem Transparent für eine "Nachdemo" versammelt, eilten Hunderte Polizisten herbei. Mehrere Mannschaftswagen mit Blaulicht und Sirene brausten auf den Helvetiaplatz, und innert Sekunden gruppierten sich die Ordnungspolizisten mit ihren Schutzanzügen zu langen Kordons. Gleichzeitig verliessen weit mehr Autonome als in der Vorhut das Kanzleiareal; vermutlich wollten sie mit einer zweiphasigen Strategie die Polizei täuschen. Doch diese hatte das ganze Gebiet im Nu umstellt. Zahlreiche der rund 250 Demonstranten wurden eingekesselt.

 Vandalenzug verhindern

 Damit hat die Polizei eine "Nachdemo" verhindert, und dies nicht zum ersten Mal. Seit 2008 haben es die Autonomen nicht mehr geschafft, durchs Quartier zu ziehen und zu randalieren. Im Gegensatz zum letzten Jahr blieben auch in der Nacht die Sachbeschädigungen bei Banken und Gebäuden anderer Firmen weitgehend aus. Bis am Sonntagabend fielen die gemeldeten Schäden derart gering aus, dass die Polizei sie nicht einmal beziffern konnte.

 Es sei ein Auftrag des Stadtrates gewesen, einen illegalen Umzug zu unterbinden, sagten die Einsatzleiter der Stadt- und der Kantonspolizei, Beat Oppliger und Hansjakob Baumann, am Abend des 1. Mai. Zur Erfüllung des Auftrages gehörte, dass die Polizisten sichtbarer und rascher präsent waren als in den Vorjahren. Der Helvetiaplatz wurde weiträumig abgesperrt. Dadurch wurde zunächst auch das Festareal auf dem Kasernenareal von den Krawallen getrennt.

 Die eingekesselten Personen - unter ihnen zahlreiche Zuschauer - mussten bis zu zwei Stunden ausharren. Vor dem Volkshaus dauerte die Kontrolle bis um 17 Uhr, und die Leute im Kasernenareal mussten noch länger warten. Wer nicht zur Verhaftung ausgeschrieben war und keine illegalen Gegenstände dabei hatte, wurde aus dem abgesperrten Gebiet begleitet. Die einen Freigelassenen machten einen aufgelösten Eindruck, andere waren wutentbrannt und gestikulierten wild. Einige wenige grinsten und schüttelten den Polizisten zum Abschied die Hand.

 Zur Taktik gehörten ferner strenge Personenkontrollen. Nach dem offiziellen Umzug wurden auf der Sihlbrücke beim Stauffacher verdächtige Personen, die vom Bürkliplatz in Richtung Festareal zogen, kontrolliert. An weiteren Orten im Kreis 4 war dasselbe zu beobachten. Bei den Kontrollen sowie bei den Einkesselungen wurden mehr als 350 Personen festgenommen. In den beiden Vorjahren bewegte sich die Zahl jeweils bei knapp 300.

 Steine, grösser als zwei Fäuste

 Mit der Verhinderung einer "Nachdemo" und den Festnahmen wurden die Autonomen vertrieben oder verbrachten ihren Feiertag in der Haftstrasse der Polizei. Jedenfalls waren nur vereinzelte Autonome unter den rund 250 Krawallmachern erkennbar, die an der Langstrasse und den Seitengassen stundenlang die Konfrontation mit der Polizei suchten und gegen Gummischrot, Wasserwerfer und Tränengas kämpften. Stadtrat Andres Türler verwendete für die Krawallmacher den Begriff "Event-Chaoten". Die meisten waren Jugendliche mit Migrationshintergrund.

 Ohne Rücksicht auf Verluste warfen sie Flaschen, aber auch Steine, die grösser sind als zwei Fäuste. Um 20 Uhr traf ein Stein eines 20-jährigen Schweizers, ebenfalls mit Migrationshintergrund, einen 17-Jährigen. Dieser erlitt dabei einen Kopfschwartenriss und blieb eine Nacht im Spital. Was für ein Strafverfahren gegen den mutmasslichen Steinwerfer eröffnet wird, ist noch offen.

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 Friedliche Demonstration gegen Abzocker in Chefetagen

 els. ⋅ Rund 8000 Personen haben am Samstag laut den Organisatoren an der offiziellen Kundgebung zum 1. Mai in der Zürcher Innenstadt teilgenommen. Hauptthemen waren die Wirtschaftskrise, unter deren Folgen die Arbeitnehmer leiden, und die Banken, die trotz Staatshilfe hohe Boni verteilen. "Missbrauch betreiben nicht Arbeitnehmende und Menschen mit Sozialhilfe, sondern Abzocker in Chefetagen", rief die grüne Zürcher Nationalrätin und VPOD-Präsidentin Katharina Prelicz-Huber am Schluss des friedlichen Umzugs in die Menschenmenge auf dem Bürkliplatz. Mit dem Referendum gegen den "Rentenklau" hätten die Gewerkschaften im März aber einen wichtigen Erfolg verbucht, "und nun bringen wir die Arbeitslosenkasse aufs Tapet", versprach Prelicz-Huber. Für dieses Anliegen wurden während der Kundgebung fleissig Unterschriften gesammelt - kaum ein Teilnehmer, der das Referendum "gegen den Abbau der Arbeitslosenversicherung" nicht unterzeichnet hätte.

 Auch die Frauen waren am Umzug ein Thema - nicht zuletzt wegen der 1.-Mai-Hauptrednerin María León. Die venezolanische Ministerin für Frauen und Gleichstellung unterstrich die Wichtigkeit von weiblichen Kräften in Führungspositionen. Sie verwies auf ihre Heimat, in der viele politische Posten durch Frauen ausgeübt würden, unterstützt von "líder" und "comandante" Hugo Chávez. Die lokalen 1.-Mai-Teilnehmer nahmen das Thema mit Blick auf die längeren Ladenöffnungszeiten auf. Diese würden auf dem Buckel von Frauen ausgetragen, die schlecht bezahlt und auf Abruf arbeiten müssten.

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Rundum Lob für das harte Durchgreifen der Polizei

 Stadtzürcher Parteien mit Polizeieinsatz am 1. Mai zufrieden - Bürgerliche üben Kritik am vorzeitigen Festbeginn

 Den Einsatz der Polizei beurteilen Parteien von links bis rechts durchwegs positiv. Weniger Einigkeit herrscht darüber, wem dies zu verdanken ist.

 els. ⋅ "Offenbar geht es doch" - unter diesem Titel hat die Stadtzürcher FDP am Sonntag eine Mitteilung verschickt und das harte Vorgehen der Polizei am 1. Mai gelobt. Im Gegensatz zu früheren Jahren sei "sofort und konsequent" durchgegriffen worden. Und zum ersten Mal seit langem sei es der Polizei und einem freisinnigen Polizeivorstand gelungen, die Ausschreitungen in den Griff zu bekommen. "Andres Türler hat das super gemacht", gibt sich auch Ernst Danner von der EVP der Stadt Zürich euphorisch. "Es hat einen Freisinnigen gebraucht, damit die Polizei energisch gegen die Krawallmacher vorgeht." Anders sieht das die SP. Türler habe nur das umgesetzt, was unter der früheren Polizeivorsteherin Esther Maurer ausgearbeitet worden sei, sagt SP-Co-Präsidentin Beatrice Reimann.

 Türler nur im Hintergrund

 Der Zürcher Stadtrat Andres Türler bestätigt denn auch: "Die Vorbereitungen für den 1. Mai wurden unter Esther Maurer in enger Zusammenarbeit mit der Polizei getroffen." Er habe sich nicht in die Arbeit der Sicherheitskräfte gemischt und sich im Hintergrund gehalten. Bei Bedarf sei er aber jederzeit zur Verfügung gestanden.

 Lob für die Polizei kommt auch von der SVP: "Erstmals wurde energisch durchgegriffen, das fordern wir schon seit Jahren", sagt Fraktionschef Mauro Tuena. Die grosse Polizeipräsenz habe aber hohe Kosten verursacht. Diese stünden in keinem Verhältnis zu Aufwand und Ertrag der 1.-Mai-Festivitäten. Deshalb sei für die SVP klar, dass in Zukunft in Zürich keine 1.-Mai-Aktivitäten mehr bewilligt werden dürften. "Für die diesjährigen Kosten muss das 1.-Mai-Komitee aufkommen", verlangt Tuena. Auch an Sportanlässen würden schliesslich Klubs für ihre randalierenden Fans zur Kasse gebeten. Diesen Vergleich lässt Christoph Hug, Co-Präsident der Grünen, nicht gelten. "Die Chaoten hat niemand bestellt, weder das 1.-Mai-Komitee noch die SP, noch die Grünen oder sonst irgendwer", so Hug. Es sei traurig, dass der Tag der Arbeit für derartige Ausschreitungen missbraucht werde. "Die Krawalle werden von Leuten verursacht, die nicht wissen, welche politische Bedeutung der 1. Mai hat", pflichtet Beatrice Reimann von der SP bei. Dennoch, der Slogan des 1.-Mai-Komitees, "Moneypulation - verlieren wir die Beherrschung", hatte im Vorfeld für Irritationen gesorgt.

 Festbeginn sorgt für Probleme

 Dass sich das 1.-Mai-Komitee zudem über die stadträtliche Auflage, das Fest erst um 20 Uhr zu beginnen, hinwegsetzte, sorgt auch im Nachhinein für Kritik bei FDP und SVP. Die Polizei beklagte, dass durch den frühen Festbeginn kurz nach Mittag ihre Arbeit erschwert worden sei. Das 1.-Mai-Komitee weist die Kritik zurück - das Fest sei friedlich verlaufen, und den Besuchern den Weg zum Festareal zu versperren, wäre einer Deeskalation kaum zuträglich gewesen. Umzug und Fest seien traditionell miteinander verbunden, sagt Reimann. "Die Leute haben auf dem Kasernenareal friedlich gefeiert - das Sicherheitsdispositiv hat funktioniert."

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353 Festnahmen an 1.-Mai-Krawallen

 Wegweisungsartikel angewendet

 fri./tri. ⋅ Die Polizei hat während der Ausschreitungen im Langstrassenquartier insgesamt 353 Personen festgenommen. Laut einer Medienmitteilung handelt es sich bei ihnen um 308 Männer und 45 Frauen. Die meisten haben einen Schweizer Pass und sind zwischen 18 und 25 Jahre alt. 16 Personen sind jünger als 15 Jahre, 55 haben das 18. Altersjahr noch nicht erreicht, über 25 Jahre alt ist knapp ein Viertel der Personen. Rund die Hälfte der Festgenommenen wohnt in der Stadt oder dem Kanton Zürich. Die Übrigen haben in einem anderen Kanton Wohnsitz oder reisten aus Deutschland (11) und Italien (1) an.

 269 der Festgenommenen wurden nach einer Personenkontrolle in der Polizeikaserne wieder entlassen, weil keine Haftgründe vorlagen oder die Voraussetzungen für einen Polizeigewahrsam nicht erfüllt waren. Gegen sie wurde eine Wegweisung ausgesprochen. Gemäss dem im Juli 2009 in Kraft getretenen neuen Zürcher Polizeigesetz ist es den Entlassenen während 24 Stunden untersagt, sich im Gebiet aufzuhalten, von dem sie weggewiesen wurden. Es ist das erste Mal, dass in Zürich der Wegweisungsartikel in diesem Ausmass angewendet wurde. Gegen 84 Personen wurde ein Strafverfahren eingeleitet. Sie müssen sich unter anderem wegen Delikten wie Landfriedensbruch, Gewalt und Drohung gegen Polizisten oder Sachbeschädigung verantworten.

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Landbote 3.5.10

1. Mai: Ruhiger als in den Vorjahren

 winterthur/Zürich - Die Redner an der Winterthurer 1.-Mai-Feier gaben sich kämpferisch, es sei Zeit, den Text der Internationale ernst zu nehmen und für ein besseres Wirtschaftssystem und die Verteidigung der Sozialwerke einzustehen, sagte beispielsweise die SP-Kantonsrätin und Gewerkschafterin Hedi Strahm. Auch ein Redner des "Revolutionären Bündnisses" trat in Winterthur ans Rednerpult, der Linksradikale rief der Menge zu, dass sie sich die "Waffen nicht aus der Hand nehmen lassen" solle. Trotz dieser Kampfrhetorik blieb es während der Kundgebung aber friedlich. Laut der Stadtpolizei ist es zu "keinem einzigen Zwischenfall" gekommen. Allerdings wurde am letzten Freitag ein Farbanschlag auf das Winterthurer Stadthaus verübt.

 Auch in Zürich verlief der 1. Mai trotz des provokativen Mottos "Moneypulation - verlieren wir die Beherrschung" im Vergleich zu anderen Jahren recht friedlich. Am offiziellen Umzug nahmen rund 8000 Personen teil. Dank konsequentem Durchgreifen konnte die Polizei eine Eskalation weitgehend vermeiden, und eine unbewil- ligte Nachdemo des Schwarzen Blocks kam nicht zustande. Die Polizei verhaftete 353 Personen. Zu schaffen machten der Polizei offenbar auch Krawalltouristen. (red) lSeiten 13 + 27

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"Bullen und Banken - alle sollen wanken"

 Oliver Graf

 Die Verärgerung über Banker-Boni war grösser als der Ärger über den Regen: Am diesjährigen 1.-Mai-Umzug haben rund 8000 Personen teilgenommen. Trotz gewaltbereiten Personen ist der Tag der Arbeit weitgehend friedlich verlaufen.

 ZÜRICH - Die Forderungen sind vielfältig. Die Stimmung ist teilweise gereizt. "Bullen, Faschos, Banken - alle sollen wanken", ruft der Schwarze Block. "Klassenkampf, Klassenkampf - machen wir den Bossen Dampf", tönt es aus Lautsprechern. Und auch das offizielle Motto des diesjährigen 1.-Mai-Umzugs klingt martialisch: "Moneypulation - verlieren wir die Beherrschung".

 Der Unmut ist gross. Trotz anfänglichen heftigen Regenfällen laufen rund 8000 Personen vom Helvetiaplatz über Teile der Bahnhofstrasse zum Bürkliplatz mit. Wirtschaftskrise, Staatsunterstützung und Banker-Boni - das seien die heissen Themen, derentwegen er am Tag der Arbeit auf die Strasse gehe, sagt Giovanni Critelli, der eine rote Gewerkschaftsfahne trägt und sich tagtäglich "auf dem Bau für wenig Geld den Rücken kaputt macht". Für den SP-Gemeinderat Salvatore Di Concilio zeigt der grosse Aufmarsch, dass der 1. Mai "noch immer sehr, sehr wichtig" sei. Und ein Banker aus dem Zürcher Oberland, der zum ersten Mal am Umzug teilnimmt, zeigt sich ob der "gelebten, friedlichen Solidarität" erfreut. Den eigenen Namen will er nicht nennen. Er dürfte ja eigentlich gar nicht hier sein, er passe hier nicht hin. "Aber das Geschäftsgebahren des obersten Kaders ist auch mir suspekt", sagt er. Entlassungen hätten ihn aufgeschreckt, die neuerlichen Boni für die Manager verärgert. "So gewinnt man doch kein Vertrauen." Neben ihm laufen Kurden, hinter ihm folgen Tamilen, und vor ihm gehen die Gewerkschafter. "Eine bunte Truppe", sagt der Banker. "Vielleicht werden sie ja alle gehört."

 "Die Zeichen sind gesetzt"

 Der Umzug und der anschliessende Festakt verlaufen weitgehend friedlich. Nur bei der Alten Kaserne lassen Mitglieder des Schwarzen Blocks einige laute Heuler in die Luft steigen ("Freiheit für alle politischen Gefangenen"). Und an Fenster und Fassade der zweiten UBS-Filiale, an der die Teilnehmer vorbeikommen, fliegen zwölf Eier ("Abzockerbude"). Erst nach Abschluss des offiziellen Teils kommt es zum inzwischen üblichen Katz-und-Maus-Spiel zwischen Randalierern und Polizisten (Kasten).

 Auf dem Bürkliplatz folgen derweil die offiziellen Ansprachen, in denen die schon auf Transparenten gestellten Forderungen aufgenommen werden. So prangert etwa Katharina Prelicz-Huber, Nationalrätin der Grünen und Präsidentin des Verbandes des Personals öffentlicher Dienste, die Bonuskultur der Banken an. Die "deftigste Wirtschaftskrise" seit den 30er-Jahren habe das Gefälle zwischen Arm und Reich in der Schweiz in krasser Weise wachsen lassen. Und die gleichen Personen, die diese Krise verursacht hätten, zahlten sich nun saftige Belohnungen aus, so Prelicz.

 Die Zeichen seien gesetzt, es gelte sich aktiv zu wehren, sagt ein 21-Jähriger nach dem offiziellen Akt. "Wir können uns nicht einfach alles gefallen lassen." Damit meine er keine Gewalttaten, sondern politisches Handeln. Auf dem Weg zum Fest auf dem Kasernen-Areal drückt ihm einer eine "Amtliche Bekanntmachung" in die Hände. Er schaut auf den Flyer, schüttelt den Kopf. "Das zeigt doch, dass wir mitreden müssen, dass wir uns aktiv einbringen müssen."

 Der 21-jährige Zürcher zeigt auf den Zettel und liest verärgert vor: "Der Stadtrat von Zürich weist darauf hin, dass am 1. Mai alle Outdoor-Veranstaltungen auf dem Festareal bis 20 Uhr untersagt sind. Sie betreten das Areal auf eigene Gefahr." Und dann lacht er, denn weiter heisst es: "Der Stadtrat - soweit er nicht ferienabwesend ist - bedauert, dass nicht nur Leichtbier ausgeschenkt wird."

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Polizei greift konsequent durch - 353 Verhaftungen

 Am Rande der offiziellen Feier kam es in diesem Jahr zu keiner unbewillig- ten Nachdemo. Ein Ausbrechen des Schwarzen Blocks, der noch während der ersten Ansprache eine rote Fahne vor den Banken auf dem Paradeplatz hissen wollte, konnte die Polizei rasch verhindern. Später lieferten sich Autonome und Polizei aber insbesondere im Bereich der Langstrasse kleinere Strassenschlachten. Die Polizei setzte Gummischrot, Reizstoff und Wasserwerfer ein. Die Randalierer, die die Kantonspolizei in einer Mitteilung "Krawalltouristen" nennt, warfen Steine.

 Wie die Zürcher Stadtpolizei gestern informierte, wurden 353 Personen verhaftet. 14 befanden sich gestern noch in Haft. Die übrigen wurden, nachdem ihre Personalien aufgenommen worden waren, mit einer Wegweisungsverfügung wieder entlassen. Das heisst, sie durften das auf einem Stadtplan eingezeichnete Gebiet während der nächsten 24 Stunden nicht mehr betreten.

 Von den Festgenommenen war der Grossteil zwischen 18 und 25 Jahre alt (203). 79 Personen waren älter, 71 minderjährig. Gemäss Stadtpolizei stammten 173 Personen aus dem Kanton Zürich, die übrigen reisten unter anderem aus Genf, Fribourg, Graubünden und Nidwalden an.

 Der Sachschaden blieb vergleichsweise gering. Auch Verletzte gab es nur einige wenige. Ein 17-Jähriger wurde von einem Pflasterstein am Kopf getroffen, ein Polizist verletzte sich am Fuss. Beide konnten das Spital gestern wieder verlassen.

 Stadtrat Andres Türler lobte das "unmissverständliche und disziplinierte Durchgreifen der Polizei". Eine Nachdemo sei verhindert worden, der Auftrag des Stadtrates sei damit erfüllt worden.

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20 Minuten 3.5.10

1.-Mai-Chaoten: Mehrheit waren Krawall-Touristen

 ZÜRICH. 353 Personen hat die Polizei am 1. Mai in Zürich verhaftet. Die grosse Mehrheit der Chaoten reiste von auswärts an - und jeder Fünfte war minderjährig.

 Nach dem Einsatz am 1. Mai haben Stadt- und Kantonspolizei Zürich gestern Bilanz gezogen: Insgesamt wurden 308 Männer und 45 Frauen festgenommen. 269 von ihnen wurden nach der Personenkontrolle wieder freigelassen - mit der Auflage, sich während 24 Stunden nicht mehr in der Gegend blicken zu lassen. Die Beamten drückten ihnen eine Karte in die Hand, in denen der entsprechende Rayon in den Stadtkreisen 1 bis 6 eingezeichnet war. Diese Wegweisungen, die dank des neuen Polizeigesetzes erstmals möglich waren, wirkten offenbar: "Wir haben nur zwei Personen angetroffen, die den verbotenen Rayon erneut betreten hatten", sagt Marco Cortesi, Medienchef der Stadtpolizei Zürich.

 Auffällig war laut Cortesi auch in diesem Jahr die grosse Zahl von "gewaltbereiten jungen Menschen, die offenbar nur wegen der Krawalle nach Zürich reisten". 16 Verhaftete waren jünger als 15, 55 noch nicht 18-jährig, 203 zwischen 18 und 25 Jahren. Aus der Stadt Zürich stammte nur jeder siebte, nur jeder dritte aus dem Kanton Zürich. Die Wohnorte der übrigen Chaoten liegen in 13 anderen Kantonen von Aargau über Genf bis Zug sowie in Deutschland oder Italien.

 83 der Festgenommenen steht nun ein Strafverfahren wegen Landfriedensbruch oder anderen Delikten bevor. 14 sassen auch gestern noch in Haft. Glück hatten die Gewerbetreibenden: Der Sachschaden sei "gering", so Cortesi. Als "sehr hoch" bezeichnet er dagegen die Kosten für den Polizeieinsatz.  

Marco Lüssi

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 Von Stein an Kopf getroffen

 ZÜRICH. Bei den 1.-Mai-Scharmützeln rund um die Langstrasse gab es zwei Verletzte: Ein 17-Jähriger wurde gegen 20 Uhr von einem Pflasterstein am Kopf getroffen, kam aber erstaunlich glimpflich davon: Wie die Stadtpolizei gestern mitteilte, konnte der junge Mann das Spital mittlerweile bereits wieder verlassen. Der 20-Jährige, der den Stein geworfen hatte, wurde festgenommen. Auch in den Reihen der Polizei gab es einen Verletzten: Ein Beamter musste mit einer Fussverletzung ins Spital gebracht werden. Er konnte es wieder verlassen, muss aber weiter behandelt werden.

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Mauch voll Lob für die Arbeit der Polizei

 ZÜRICH. Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) hat den Tag der Arbeit in Zürich verbracht und liess sich über die Geschehnisse in den Strassen auf dem Laufenden halten. "Es ist bedauerlich, dass einige Dutzend Krawallanten und Krawall-Touristen den 1. Mai missbraucht und gewaltsame Auseinandersetzungen gesucht haben", sagte sie gestern auf Anfrage. Dass als Folge dieses "destruktiven Treibens" ein Jugendlicher von einem Stein am Kopf verletzt worden ist, sei bedenklich. Lob findet Mauch für die Polizei: "Positiv ist, dass dank der guten Arbeit der Polizei die Sachschäden begrenzt werden konnten." Erfreulich sei, dass 8000 Personen bei der offiziellen Kundgebung ihre Anliegen friedlich zum Ausdruck gebracht hätten.  lüs

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Limmattaler Tagblatt 3.5.10

Anna Kliebers Tag der Arbeit

 Unterwegs mit der Sicherheitsverantwortlichen des Zürcher 1.-Mai-Komitees

 Der 1. Mai war mehr als Pflastersteine, Gummischrot und Tränengas. Einblicke in die gesunde Seite des Fests der Arbeit.

Michele Coviello

 Sie wartet auf trockene Socken und Schuhe. Anna Klieber ist Vorstandsmitglied des 1.-Mai-Komitees und seit 8Uhr morgens an diesem nassen 1.Mai in Zürich unterwegs. Der Abend bricht an. Ihre letzten Aufgaben stehen ihr auf dem Zürcher Kasernenareal bevor. Bald wird auch sie sich unter die rund 7000Festbesucherinnen und -besucher mischen, vielleicht ein Konzert besuchen.

 Seit sieben Jahren arbeitet die Sozialpädagogin für das 1.-Mai-Komitee. Heute trägt sie für die Sicherheit Verantwortung. Um 11Uhr startet der Umzug vom Helvetiaplatz. Anna Klieber steht konstant mit ihrem Team über Funk in Kontakt. "Wir markieren mit unseren Westen Präsenz und überwachen die Situation." Wenn Probleme auftreten, kontaktieren sie die Polizei.

 Über Löwenplatz, Bahnhofstrasse, Rudolf-Brun-Brücke und Utoquai gelangt die 1.-Mai-Demonstration zur Mittagszeit zum Bürkliplatz. Reggae-Musik tönt aus den Lautsprechern, dann Balkan-Folk. Alles ist friedlich. Anna Klieber ist über die Besucherzahl erstaunt. "Rund 8000Personen sind hier", sagt sie in schon halb durchnässten Schuhen, "wegen des schlechten Wetters erwarteten wir höchstens 5000."

 Der 1.Mai nimmt im Jahr 2010 eine besondere Bedeutung ein. "Täglich wird über Boni berichtet", sagt Klieber, "während die Bürger für Banker bürgen müssen und das Prekariat steigt." Unterdessen ist der Hauptgast auf dem Bürkliplatz auf die Bühne gestiegen: Die venezolanische Frauenministerin María León hält eine feurige Rede über den Kampf um die Frauenrechte und soziale Gerechtigkeit.

 Zu den Noten der Internationale beginnt die Rückkehr der Demonstranten auf das Kasernenareal. Die Polizei empfiehlt die sichere Route über die Sihlporte. In Vollmontur stehen die Sicherheitskräfte mit grossen Wagen auf dem Paradeplatz oder auf der Gessnerbrücke. Immer wieder klingelt Anna Kliebers Telefon. Ein Radio will ein Interview, oder dann sind zu wenige Zelte auf dem Festgelände aufzufinden. Dort mischen sich schon die Rauchschwaden der Grills mit dem herunterprasselnden Regen. "Kurden, Tamilen, Italiener, Armenier", zeigt Klieber die Vielfalt der Stände. Bratwurst und Koriander liegen in der Luft. Das 1.-Mai-Komitee isst gemeinsam im eigenen Büro. Anschliessend leitet Anna Klieber die Sicherheitssitzung. Die Aufgaben werden für die Überwachung des Areals neu besprochen.

 Innen herrscht Friede. Trotz heftigen Regens sind viele Besucher an den Ständen oder den Veranstaltungen. Wie jetzt, da Ruhe den Saal einnimmt und María León wieder die Aufmerksamkeit des Zürcher Publikums auf sich zieht, über die Übermacht der USA über Südamerika spricht und sich den Fragen aus dem Publikum stellt.

 Ausserhalb des Areals hat die jährliche Schlacht begonnen. An der Langstrasse kracht es. Das hatte die Stadt befürchtet. Deshalb wollte sie das Fest auf dem Kasernenareal erst ab 20Uhr bewilligen. Das 1.-Mai-Komitee widersetzte sich. Die Polizei kann grösstenteils die Chaoten vom Fest fernhalten. Nur kurz kommt Hektik auf. Gummischrot treibt einige Krawallanten in Richtung Kaserne. Das Sicherheitsteam des Komitees kann die Situation entschärfen.

 Alles ist im Trockenen, auch Anna Kliebers Füsse wieder.

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 Krawall-Tourismus am 1.Mai

 Ein grosser Teil der Randalierer, die in Zürich festgenommen wurden, sind offenbar aus der ganzen Schweiz und dem angrenzenden Ausland eigens zum Krawall angereist. Am Sonntagvormittag waren noch 14Personen in Haft.

 Insgesamt hat die Polizei 353Menschen festgenommen, wie sie am Sonntag mitteilte. Die meisten wurden wieder freigelassen, nachdem ihre Personalien festgestellt worden waren. Sie erhielten zudem eine Wegweisungsverfügung in die Hand gedrückt: Darauf ist ein Plan, auf dem eingezeichnet ist, in welchem Gebiet sie sich in den folgenden 24Stunden nicht aufhalten dürfen. Insgesamt 83 Krawallmacher müssen mit einer Strafe rechnen. Ihnen werden Delikte wie Landfriedensbruch, Gewalt und Drohung gegen Beamte, Sachbeschädigung oder Widerhandlung gegen das Sprengstoffgesetz vorgeworfen werden, wie die Polizei weiter mitteilte. Von den 353Festgenommenen sind laut Mitteilung 308Männer und 45 Frauen. Die allermeisten sind zwischen 18 und 25Jahre alt. 16 sind jünger als 15Jahre, 55 sind unter 18, 79 über 26Jahre alt. Die meisten sind Schweizer. Nur etwa jeder siebte Festgenommene wohnt in der Stadt Zürich; 121 haben Wohnsitz in einer anderen Zürcher Gemeinde. Zehn Festgenommene wohnen in Deutschland, einer in Italien. Zudem waren Randalierer aus den verschiedensten Kantonen angereist.

 Einem 17-Jährigen, der von einem Stein getroffen und am Kopf verletzt wurde, geht es gemäss Polizeimitteilung wieder besser. Er habe das Spital verlassen können.

 Die von Randalierern verursachten Sachschäden fielen laut Polizeisprecherin Judith Hödl gering aus. Mit hartem und konsequentem Durchgreifen konnte die Polizei grössere Ausschreitungen und eine eigentliche Nachdemo verhindern. Es blieb bei stundenlangen Scharmützeln.

 "Konsequentes Durchgreifen: Offenbar geht es doch", überschrieb die Stadtzürcher FDP ihre Bilanz zum 1.Mai. FDP-Stadtrat Andres Türler hatte als stellvertretender Polizeidepartements-Chef die Verantwortung übernommen, da der neugewählte Polizeivorsteher Daniel Leupi (Grüne) sein Amt erst am 17.Mai antritt. (sda/mts)

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sf.tv 2.5.10

Krawall-Tourismus in Zürich - über 350 Verhaftete

sf/gern

 Am 1. Mai wurden in der Limmatstadt zahlreiche Personen verhaftet, welche ihren Wohnsitz ausserhalb der Stadt oder des Kantons Zürich haben. Selbst aus dem Ausland reisten die Krawallmacher extra an. Erstmals kam zur Überwachung der Demonstration und der Ausschreitungen auch ein Super Puma zum Einsatz.

 Insgesamt wurden im Zusammenhang mit den Ausschreitungen nach dem offiziellen 1.-Mai-Anlass 353 Personen verhaftet - 14 davon befinden sich nach wie vor in Haft. Bei den Festgenommenen handelt es sich laut einer Medienmitteilung der Stadtpolizei Zürich um 308 Männer und 45 Frauen. 71 der Verhafteten waren noch nicht Volljährig, 16 Jugendliche waren sogar unter 15 Jahre alt. Nur jeder siebte Verhaftete lebt tatsächlich in der Stadt Zürich.

 Super Puma als Überwachungshelikopter

 Einige Personen waren selbst aus dem Ausland nach Zürich gereist. Die meisten der Verhafteten sind Schweizer Bürger. Bei 269 Festgenommenen wurden die Personalien festgestellt, anschliessend wurden sie wieder entlassen. Gegen 83 Personen wurde jedoch ein Strafverfahren eröffnet. Hier geht es um Delikte die Landfriedensbruch, Gewalt und Drohung gegen Beamte, Sachbeschädigung, Widerhandlung gegen das Sprengstoffgesetz sowie Hinderung einer Amtshandlung.

 Erstmals hat die Stadtpolizei Zürich am 1. Mai ein Super Puma eingesetzt, wie sie gegenüber "tagesschau.sf.tv" bestätigte. Der Helikopter kreiste über der Stadt und übermittelte die Strömungen der Demonstranten in die Zentrale. Wie Mediensprecher Marco Cortesi erklärte, habe der Super Puma dazu beigetragen, die Ausschreitungen einzugrenzen. Bereits an der Euro 08 kam ein Super Puma als Übersichtshelikopter zum Einsatz.

 Verletzte nicht mehr im Spital

 Über die Kosten dazu konnte sich Cortesi nicht äussern, ebenfalls wollte er aus taktischen Gründen nicht bekannt geben, wie viele Polizeikräfte sich im Einsatz befanden. Es sei aber ein "sehr grosses Aufgebot" von Stadt- und Kantonspolizei vor Ort gewesen. Die Kosten der Sachbeschädigungen liessen sich auf weniger als 10‘000 Franken beziffern, so Cortesi.

 Der junge Mann, welcher gestern von einem Stein am Kopf getroffen wurde, befindet sich auf dem Weg der Besserung. Er konnte das Spital in der Zwischenzeit wieder verlassen. Auch der am Fuss verletzte Polizist konnte das Spital wieder verlassen. Bei ihm sind jedoch noch weitere Abklärungen nötig.

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Sonntagszeitung 2.5.10

250 Verhaftete in Zürich

 Die Polizei greift am 1. Mai hart durch - der Sachschaden ist relativ gering

Von David Bauer (Text) und Michele limina (Foto)

Zürich Der angekündigte Sturm auf den Zürcher Paradeplatz ist ausgeblieben. Die Polizei hat am 1. Mai hart durchgegriffen und so die gewaltbereiten Demonstranten weitgehend unter Kontrolle halten können. 250 Personen wurden im Verlauf des Tages festgenommen. Nach der bewilligten Demonstration war es zwar zu vereinzelten Scharmützeln zwischen Autonomen und der Polizei gekommen. Im Vergleich zu früheren Jahren fielen die Schäden aber deutlich geringer aus.

 Am Helvetiaplatz bewarfen einzelne Demonstranten kurz nach drei Uhr die Beamten mit Bierflaschen und Steinen. Die Polizei räumte daraufhin den Platz mit einem Grossaufgebot. Zahlreiche Demonstranten, aber auch Schaulustige, wurden eingekesselt und kontrolliert. "Es war erklärtes Ziel des Einsatzes, viele Personen zu kontrollieren", sagte Einsatzleiter Beat Oppliger.

 Am späteren Nachmittag verlagerten sich die Auseinandersetzungen in die Langstrasse und dauerten bis in die späten Abendstunden an. Immer wieder warfen kleine Gruppen von Vermummten Steine und Bierflaschen, die Polizei setzte Wasserwerfer, Tränengas und Gummigeschosse ein. Ein 17-Jähriger musste mit mittelschweren Kopfverletzungen ins Spital eingeliefert werden, nachdem er von einem Pflasterstein getroffen worden war.

 Der zuständige Stadtrat Andres Türler beurteilte den Polizeieinsatz am Abend als gelungen: "Dank dem unmissverständlichen und disziplinierten Durchgreifen der Polizeikräfte konnte Schlimmeres verhindert werden."

 Keine rote Fahne am Paradeplatz in Zürich

 An der offiziellen Kundgebung am Vormittag haben trotz nasskaltem Wetter rund 8000 Menschen teilgenommen. Danach versuchte eine kleine Gruppe des Revolutionären Aufbaus um die Alt-Aktivistin Andrea Stauffacher, zum Paradeplatz vorzustossen, um dort eine rote Fahne zu hissen - sie wurde jedoch von der Polizei daran gehindert.

 Viele 1.-Mai-Ansprachen in der ganzen Schweiz standen im Zeichen der Wirtschaftskrise. In Stäfa ZH griff SP-Präsident Christian Levrat in seiner Rede Bürgerliche und den Bundesrat an. Sie würden die Banken schonen und die Arbeitnehmenden den Preis für die Krise zahlen lassen.

 Der Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Paul Rechsteiner (SP St. Gallen), sprach in Uster ZH von einer neuen Art der Asozialen: der "Kaste von Bankern, die mit dem Volksvermögen zocken". Nationalratspräsidentin Pascale Bruderer (SP Aargau) sprach sich in Baden für eine Regulierung von überrissenen Boni aus. Diese würden der Volkswirtschaft und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt schaden.

 In Basel gingen rund 1500 Menschen auf die Strasse, am traditionellen 1.-Mai-Umzug in Bern nahmen rund 600 Personen teil. An beiden Demonstrationen beteiligten sich auch Autonome, zu Ausschreitungen kam es jedoch nicht.

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 Anzeigenanstieg nach Fussballspielen und am 1. Mai

 Der 1. Mai lässt die Anzeigen wegen Landfriedensbruch und Gewalt gegen Beamte schweizweit in die Höhe schnellen. Das zeigt eine Auswertung nach Datum der Kriminalitätsstatistik des Bundesamts für Statistik erstmals. Während an einem normalen Tag im letzten Jahr die Anzeigen wegen dieser zwei Delikte im einstelligen Bereich lagen, kam es am 1. Mai 2009 bei beiden Straftaten zu 39 Anzeigen. Ähnlich hohe Werte gibt es nur nach Ausschreitungen bei Fussballspielen.

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Sonntag 2.5.10

Tausende gegen Boni-Millionen

 Der Tag der Arbeit stand im Zeichen der Abzocker. In Zürich kam es nach der Feier wieder zu Gewalt

von Michele Coviello und Pirmin Kramer

 Ein Schwerverletzter und 250 Verhaftungen: Gestern Nachmittag und Abend lieferten sich in Zürich Linksautonome Scharmützel mit der Polizei. Überall sonst wurde friedlich gefeiert.

 Der Regen verzog sich just dann, alsMicheline Calmy-Rey das Podium in Thun BE betrat. Wie Dutzende Redner am gesrigen 1. Mai nahm auch die SP-Bundesrätin die Banker und ihre Boni ins Visier. "Die Lohndifferenz ist derzeit viel zu gross und entspricht nicht der Tradition unseres Landes", sagte sie nach ihrem Auftritt zum "Sonntag".

 In ihrer Rede vor etwa 200 Menschen sagte sie, die Topmanager in der Schweiz seien besser bezahlt als irgendwo sonst. Da sei die Frage berechtigt, wie viel Geld Arbeit wert sein könne, und die Diskussion darüber werde noch lange andauern. Besonders wichtig sei derzeit die Solidarität mit den Benachteiligten. "Denn die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen."

 Scharf gegen die Abzocker schoss SP-Präsident Christian Levrat in seinen Ansprachen in Chur und Stäfa ZH. "Mit ihren riesigen Salären verhöhnen die Ospels, Dougans und Vasellas die Arbeit und Mühen der Arbeitnehmer im Land." Auch die höchste Schweizerin, Pascale Bruderer Wyss, wandte sich gegen überrissene Boni. Sie forderte in Baden AG eine Regulierung. Die Politik müsse über die Parteigrenzen hinweg eine Antwort darauf finden.

 Am meisten Teilnehmer versammelten sich an der Feier in Zürich. Als Hauptrednerin trat die venezolanische Frauenministerin Maria León auf. Das Motto der Feier lautete dieses Jahr: "Moneypulation - verlieren wir die Beherrschung."

 Das nahmen einige Randalierer wörtlich. Ab 16 Uhr kam es an der Zürcher Langstrasse zu den gewohnten Scharmützeln zwischen Linksautonomen und der Polizei. Die Chaoten warfen Flaschen und Pflastersteine gegen die Ordnungshüter. Diese reagierten mit Gummischrot und vertrieben die meist Jugendlichen mit Tränengas. Wie die Stadtpolizei am Abend mitteilte, wurde ein 17-Jähriger kurz vor 20 Uhr von einem Pflasterstein am Kopf getroffen und schwer verletzt, eine weitere Person musste mit leichten Blessuren ins Spital eingeliefert werden. Grössere Sachschäden seien nicht festgestellt oder gemeldet worden - ganz im Gegensatz zu den vergangenen Jahren. Die Polizeipräsenz hat verhindert, dass sich Linksautonome wie angekündigt am Paradeplatz versammeln konnten. Sie wichen auf das Kanzleiareal aus, wo die ersten Auseinandersetzungen losgingen. Das Katz-und-Maus-Spiel dauerte bis in den Abend hinein. Die Polizei nahm über 250 Personen fest.

 Krawalle gab es in der Schweiz sonst nicht, jedoch bei den 1.-Mai-Feiern in mehreren europäischen Städten, so in Berlin und Hamburg. Zu schweren Ausschreitungen kam es bei der Demonstration in Athen, wo die Menschen gegen die Sparmassnahmen protestierten.

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NZZ am Sonntag 2.5.10

250 Festnahmen bei 1.-Mai-Demo in Zürich

(brk)

 Bei Ausschreitungen an der 1.-Mai-Nachdemo in Zürich ist am Samstag ein 17-Jähriger von einem Stein am Kopf getroffen und verletzt worden. Er erlitt einen Kopfschwartenriss. 250 Personen wurden von der Polizei festgenommen. In der Schweiz haben am Tag der Arbeit Tausende gegen Boni und Sozialabbau demonstriert. In Thun warnte SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey, der soziale Frieden im Land sei deswegen in Gefahr. (brk.)

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Protest mit Worten und Steinen

 Scharmützel zwischen Polizei und Chaoten überschatten den friedlichen 1.-Mai-Umzug in Zürich

 Am Tag der Arbeit haben Tausende gegen Sozialabbau und Millionen-Boni demonstriert. In Zürich kam es zu Ausschreitungen, bei denen ein 17-Jähriger verletzt wurde.

 Katharina Bracher

 Mit einiger Nervosität hatte man in Zürich dem Tag der Arbeit entgegengesehen. Das diesjährige Motto des 1.-Mai-Komitees - "Verlieren wir die Beherrschung" - verstanden Kritiker als Aufruf zur Gewalt. Zwar flogen auch dieses Jahr Steine und Gummigeschosse, doch die grosse Schlacht blieb bis Redaktionsschluss aus. Gesamthaft bewegten sich die Ausschreitungen laut offiziellen Angaben etwa im Rahmen des Vorjahres. Polizei und Chaoten lieferten sich bis zum späten Abend Scharmützel im Langstrassenquartier und um den Helvetiaplatz. Gesamthaft wurden 250 Personen festgenommen. Bei den Auseinandersetzungen wurde ein 17-Jähriger von einem faustgrossen Stein am Kopf getroffen und schwer verletzt. Er wurde ins Spital gebracht.

 Kämpferisches aus Venezuela

 Zuvor hatten bei garstigem Wetter mehrere tausend Personen an der offiziellen 1.-Mai-Kundgebung teilgenommen. Zahlreiche Familien mit Kindern waren unterwegs, die den Tag der Arbeit mit kämpferischen Parolen gegen Sozialabbau und "Abzocker" auf friedliche Weise begingen. Am Bürkliplatz stand die venezolanische Frauen-Ministerin Maria León für die Schlusskundgebung auf der Bühne. Während León in einer kämpferischen Rede die Schweizerinnen dazu aufrief, ihre politischen Partizipationsrechte vermehrt wahrzunehmen, scherte der erste Tross von "Autonomen" aus der Versammlung aus und machte sich auf den Weg zum Paradeplatz. Wie in den einschlägigen Online-Medien angekündigt, wollten sie den symbolisch für die Hochfinanz stehenden Platz "für den 1. Mai zurückerobern". Doch die Polizei riegelte den Platz ab und konnte so den ersten Pulk Demonstranten zerstreuen.

 Doch die Ruhe war von kurzer Dauer, denn kurz nach 15 Uhr brachen am Helvetiaplatz die ersten Scharmützel zwischen Polizei und gewaltbereiten Jugendlichen los. Auffällig war, dass Schaulustige und Medienschaffende die tatsächlichen Teilnehmer an den Ausschreitungen zahlenmässig in den Schatten stellten. So waren es lediglich ein paar Dutzend Chaoten, welche die Polizei durch das Langstrassenquartier trieb - beobachtet von Hunderten von Gaffern. Nach ersten Provokationen griff die Polizei hart durch. Die jugendlichen Chaoten warfen Flaschen und Steine nach den Sicherheitskräften, die mit Wasserwerfern und Gummischrot reagierten. Vereinzelt traten auch zivile Polizisten, die sich unter die randalierenden Gruppen gemischt hatten, mit Tränengas in Erscheinung.

 Warnung von Calmy-Rey

 In der restlichen Schweiz wurde der Tag der Arbeit mehrheitlich friedlich begangen. Die Kritik an Millionen-Boni und Abzockern dominierte die Reden zum 1. Mai. SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey rief in Thun zur Solidarität mit den Benachteiligten auf. Der soziale Frieden in der Schweiz sei in Gefahr. Topmanager seien hier deutlich besser bezahlt als anderswo. Da stelle sich schon die Frage, wie viel Geld Arbeit wert sein könne.

 Die höchste Schweizerin, Nationalratspräsidentin Pascale Bruderer Wyss, forderte im aargauischen Baden Regeln, um Lohnexzesse zu verhindern. SP-Präsident Christian Levrat sagte in Chur und Stäfa (ZH), mit ihren riesigen Salären und Boni verhöhnten die Ospels, Dougans und Vasellas die Arbeit und die Mühen der Arbeitnehmenden. Paul Rechsteiner, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, prangerte den "grenzenlosen Zynismus" der Banker an. Das herrschende System sei korrupt, sagte er in seinen Reden in Bern und Uster ZH.

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 Spaziergang statt Massenbesäufnis

 Ein am 1. Mai im Kanton Baselland zur Tradition gewordenes Massenbesäufnis von jungen Leuten hat am Samstag nicht stattgefunden. Dauerregen und die Einschränkungen der Baselbieter Behörden zeigten Wirkung. Nur 200 bis 300 junge Leute nahmen am Anlass in Reinach und Münchenstein teil, der unter dem Namen "Harassenlauf" in früheren Jahren bis zu 3000 Personen angelockt hatte.

 Die Behörden verfügten ein Alkoholverbot und drohten bei Widerhandlung mit hohen Bussen und Verzeigungen. Die meist jungen Männer liefen deshalb Bier trinkend durch die Quartiere, wobei sie von der Polizei begleitet wurden. (jt.)

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Sonntagsblick 2.5.10

Ein 1. Mai der Polizei

 Störung statt Zerstörung: Die Proteste gegen Abzocker und Arbeitslosigkeit waren weniger gewalttätig als sonst.

 Aus Wut über Millionen-Abzocker und aus Angst um Arbeitsplätze versammelten sich an vielen Orten der Schweiz Tausende bei den Feiern zum 1. Mai. SP-Präsident Christian Levrat warf den "Ospels, Dougans und Vasellas" bei mehreren Auftritten vor, mit riesigen Salären und Boni die Arbeitnehmer zu verhöhnen.

 In Basel und Zürich kam es zu Störaktionen durch vermummte Chaoten. Die befürchteten Zerstörungsaktionen des Schwarzen Blocks blieben jedoch aus.

 Die Zürcher Stadtpolizei riegelte mit einem massiven Aufgebot den Besammlungsort der Autonomen ab und reagierte bereits bei ersten Anzeichen für Ausschreitungen mit Tränengas und Gummischrot; sie nahm über 250 Personen fest.

 Zivilfahnder kontrollierten gezielt potenzielle Steinewerfer, darunter viele Teenager. Im Verlauf des Abends lieferten sich Polizei und Demonstranten das übliche Katz-und-Maus-Spiel rund um die Langstrasse.

 Die Sachbeschädigungen blieben laut Polizei bis am Abend geringer als früher. Ein 17-Jähriger erlitt durch einen Steinwurf eine Kopfwunde.  

Anna Vonhoff

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1. MAI BS / HARASSENANLAUF BL
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Baselandschaftliche Zeitung 4.5.10

Chaoten haben Basler Polizei überrascht

 Saubannerzug durch Basel am 1.Mai hat grossen Schaden verursacht

 Einen Schaden von bis zu 100000 Franken haben die Vandalen am Samstagabend in der Basler Innenstadt angerichtet. Die Basler Polizei haben sie ausgetrickst.

 Der Sachschaden des Saubannerzugs durch die Stadt Basel vom Samstagabend beträgt 50000 bis 100000 Franken. Dies sei eine vorläufige Schätzung, sagte Klaus Mannhart, Mediensprecher der Basler Polizei, gestern der Nachrichtenagentur SDA. Die Schäden würden noch aufgenommen.

 Für die Bewältigung des Saubannerzugs mussten weitere Polizeibeamte aufgeboten werden. Von den 15 Festgenommenen waren gestern zehn noch in Untersuchungshaft. Fünf Jugendliche seien freigelassen worden, sagte Markus Melzl von der Basler Staatsanwaltschaft. Im Vorfeld des 1.Mai habe es keine Anzeichen für eine derartige Aktion gegeben, sagte Mannhart weiter. Als sich die rund 120 vermummten Personen vom Barfüsserplatz in Richtung Kleinbasel in Bewegung gesetzt hatten, war die Basler Polizei laut Mannhart mit Fällen von häuslicher Gewalt, Schlägereien und Belästigungen durch Betrunkene beschäftigt.

 Aufruf mittels SMS

 Gemäss Angaben des Polizeisprechers muss eine Tätergruppe den Saubannerzug vorbereitet haben. Es seien viele mit Farbe gefüllte Ballone und Glasflaschen geworfen worden - diese müsse man erst basteln. Die Chaoten kontaktierten weitere Personen per SMS und riefen sie auf, sich beim Barfüsserplatz zu versammeln. Auch der Basler Polizeikommandant Gerhard Lips bestätigt im Interview, dass die gewalttätige Aktion durch die Innenstadt völlig überraschend gewesen sei.

 Hätte man davon Wind bekommen, so hätte man die Beamten, die am 1.Mai im Einsatz gestanden seien, nicht schon am Nachmittag nach Hause gehen lassen, sagt Lips. Er bestätigt, dass sich unter den Festgenommenen keine sogenannten Gewalttouristen befinden. Zudem stellt der Polizeikommandant klar, dass der Einsatz am Bierlauf in Münchenstein nichts mit der verspäteten Reaktion auf den Saubannerzug zu tun habe. (lv/sda)

 Seite 17, Kommentar rechts

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"Wir sind überrascht worden"

 Basler Polizei hatte keinen Hinweis auf Saubannerzug, räumt Kommandant Gerhard Lips ein

 Die Chaoten, die am 1.Mai in der Basler Innenstadt grossen Schaden angerichtet haben, haben die Polizei auf dem falschen Fuss erwischt. Schuld daran sei aber nicht der Polizeieinsatz am Bierlauf gewesen, versichert Polizeikommandant Gerhard Lips.

 Loris Vernarelli

 Herr Lips, die 1.Mai-Demonstration in der Basler Innenstadt verlief wie in den letzten Jahren friedlich. Umso mehr überrascht, dass es am Abend zu gewalttätigen Zwischenfällen gekommen ist. Wie erklären Sie sich diese Eskalation?

 Gerhard Lips: Es ist für Basel ein neues Phänomen. Am Abend des 1.Mai ist es noch nie zu einer unvermittelten Zusammenrottung gekommen. Auch deswegen wurden wir auf dem falschen Fuss erwischt. Die Polizei hatte keinerlei Hinweise oder Informationen, dass ein Saubannerzug durch die Innenstadt geplant war.

 Warum reagierte die Polizei so spät? Immerhin verwüsteten die Chaoten den Eingangsbereich des Clarapostens. Waren zu viele Basler Beamte am Bierlauf in Münchenstein stationiert?

 Lips: Nein, das kann ich mit Sicherheit ausschliessen. Natürlich haben auch wir Polizisten für den Bierlauf zur Verfügung gestellt, aber verknüpft mit der Bedingung, dass wir diese nicht in Basel brauchen. Wie schon gesagt, wir hatten keine Hinweise auf einen Saubannerzug. Sonst hätten wir die Leute kaum schon am frühen Samstagnachmittag gehen lassen.

 Das Aufgebot zur Aktion ist per SMS erfolgt. Kann die Polizei dagegen überhaupt etwas unternehmen?

 Lips: Es ist sehr schwierig, da wir bei der Nachrichtenbeschaffung auf die öffentlich zugänglichen Mittel angewiesen sind. Wir hätten am Samstagabend also nur dann im Voraus einschreiten können, wenn uns diese SMS zugeschanzt worden wäre.

 Hätten die Vandalen auf Facebook abgemacht, wäre ihnen die Polizei womöglich auf die Schliche gekommen?

 Lips: Das ist möglich. Aber es ist letztlich eine Frage der verfügbaren Mittel. Einerseits braucht es das nötige Personal, andererseits muss dieses Personal genau zum richtigen Zeitpunkt das fragliche Medium konsultieren. Doch ohne Hinweise sucht man eine Nadel im Heuhaufen."

 Was erschreckt, ist die Heftigkeit des Angriffs auf den Claraposten. Molotow-Cocktails werden in Basel eher selten eingesetzt...

 Lips: Es war ein massiver, aussergewöhnlicher Angriff. Zudem kam er aus heiterem Himmel, niemand hat der Basler Polizei in letzter Zeit mit Vergeltungsaktionen gedroht. Diverse Schmierereien auf den Wänden lassen aber darauf schliessen, dass mit dem Angriff auf den Claraposten ein gewisser Zorn auf die Polizei zum Ausdruck gekommen ist.

 Die Polizei hat 15 Personen festgenommen. Aus welchem Milieu stammen sie? Sind FCB-Hooligans dabei, wie gemunkelt wird?

 Lips: Dieses Gerücht kann ich nicht bestätigen. Auch nicht, dass sie zuerst am Bierlauf waren. Hingegen ist sicher, dass alle aus dem Raum Basel stammen. Es sind also keine "Gewalttouristen" dabei.

 Die Basler Polizei befolgt seit mehreren Jahren das 3-D-Prinzip (Dialog - Deeskalation - Durchgreifen). Von aussen hat man den Eindruck, dass sehr viel passieren muss, bis eingegriffen wird. Stimmt das?

 Lips: Die Kunst ist, zum richtigen Zeitpunkt das Richtige zu tun. Mit randalierenden Chaoten den Dialog zu suchen, hat selbstverständlich keinen Sinn. Hier muss die Polizei sofort durchgreifen, was auch gemacht wird, falls die nötigen Mittel zur Verfügung stehen. Genau das ist am Samstagabend geschehen: Für die Bewältigung des "Saubannerzugs" mussten zwar weitere Polizeibeamte aufgeboten werden, aber dann haben wir konsequent durchgegriffen. Mit der Folge, dass im Bereich des Messeplatzes Einsatzfahrzeuge beschädigt und Polizisten massiv angegriffen worden sind.

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Basler Zeitung 4.5.10

Politik kritisiert Polizeieinsätze

 Vorstösse in beiden Basel

 Krawalle. Die Polizeieinsätze vom 1. Mai führen in beiden Basler Halbkantonen zu politischen Vorstössen: In Basel-Stadt will LDP-Grossrat Heiner Vischer von der Regierung wissen, weshalb es am Samstagabend zu den Verwüstungen mit angezündeten Autos, Sprayereien und dem Brandanschlag auf einen Polizeiposten kommen konnte. Er fragt, ob die Polizei über genügend Einsatzkräfte verfügte. Im Baselbiet ärgert sich FDP-Landrat Patrick Schäfli über das Vorgehen der Sicherheitskräfte rund um den Harassenlauf. Er nennt den Einsatz eine "Verschwendung von Steuergeldern". Schäfli fordert von der Regierung, sie solle aufzuzeigen, wie sie künftig die Prioritäten bei Polizeieinsätzen zu setzen gedenke.  hws  > Seiten 21, 25

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Der Anschlag war geplant

 Basel. Behörden ermitteln gegen die Urheber des Angriffs auf den Claraposten

 MIscha Hauswirth

 Die Drahtzieher des Anschlages auf den Polizeiposten riefen mit SMS zum Saubannerzug durch die Stadt auf.

 "Der Anschlag auf den Claraposten wurde mit grosser Wahrscheinlichkeit geplant", sagt Markus Melzl, Sprecher der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt. Der Vermummtenumzug vom 1. Mai war also keine spontane Organisation von ein paar Frustrierten, die ihren Ärger über den abgesagten Harassenlauf Luft machen wollten, sondern eine gezielte Aktion.

 Am Samstagabend um 21.30 Uhr starteten gegen 120 meist jugendliche Demonstranten vom Tinguely-Brunnen Richtung Marktplatz. Dann ging es über die Mittlere Brücke ins Kleinbasel, wo es vor dem Claraposten zu dem Anschlag kam. Auf der unbewilligten Route wurden Trams und Gebäude versprayt, Autos in Brand gesteckt. Sachschaden: über 100 000 Franken (siehe BaZ von gestern).

 Genügend Polizei

Der Saubannerzug beschäftigt mittlerweile auch die Politik. Die LDP Basel-Stadt reichte gestern eine Interpellation zum Polizeieinsatz ein. "Insbesondere interessiert, ob die Einsatzkräfte voreilig entlassen wurden oder an anderen Orten (Harassenlauf) gebunden waren", heisst es im Schreiben von LDP-Grossrat Heiner Vischer.

 Klaus Mannhart, Sprecher des Sicherheitsdepartementes Basel-Stadt, bestätigt, dass die Polizei um diese Zeit ihr Aufgebot bereits "abgerüstet" habe. Mannhart: "Da die Baselbieter Polizei aber wegen des Harassenlaufes noch über ein Grossaufgebot verfügte, konnten wir aus dem Nachbarkanton Einsatzkräfte beiziehen."

 Einige der Chaoten führten mit Farbe gefüllte Ballone sowie einen Molotowcocktail mit sich. Deshalb spricht die Staatsanwaltschaft davon, dass der Anschlag organisiert gewesen sein müsse (vgl. Interview unten). Die Ermittler vermuten einen harten Kern, der beim Farb- und Brandanschlag die Federführung übernahm.

 Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass einige wenige Chaoten die Attacken geplant und Mitläufer gesucht hätten, um weniger aufzufallen. "Wir kennen das von den Fussballspielen her. Eine kleine Gruppe zettelt etwas an, um in der Menge untertauchen zu können", sagt Mannhart.

 Die Drahtzieher hätten per SMS zu der unbewilligten Demonstration aufgerufen. Melzl: "Wir prüfen nun bei den beschlagnahmten Handys, ob wir den oder die Urheber hinter der Aktion ermitteln können."

 Die SMS mit dem Aufruf zu einem Saubannerzug wurde am Samstagnachmittag verschickt.

 Häuserkampf-Szenen

Vor dem Claraposten kam es zum finalen Gewaltakt. Die Szenen erinnerten an einen Häuserkampf. Nachdem das Glas des Eingangbereichs zerstört worden war und der Mob immer aggressiver wurde, verteidigten sich die Polizisten mit Gummischrot gegen die Angreifer. Der Molotowcocktail explodierte mit einer Stichflamme und verletzte einen Polizisten leicht. Die Chaoten flohen in alle Richtungen.

 Die Einsatzkräfte nahmen 15 Personen fest. Die meisten sind Schüler, arbeitslose Jugendliche und Studenten aus der Region. Fünf Minderjährige waren am Montag wieder auf freiem Fuss. Zehn Erwachsene dürften bis heute Abend aus dem Polizeigewahrsam entlassen werden.

 Die Polizei hat eine Untersuchung des Falles angeordnet, um für den kommenden 1. Mai besser gewappnet zu sein. Die Person, welche den Molotowcocktail geworfen hat, ist noch flüchtig.

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FDP-Landrat kritisiert Polizeieinsatz scharf

 Patrick Schäfli fordert per Motion eine klare Prioritätenordnung bei der Baselbieter Polizei

 Thomas Gubler

 Während sich Sicherheitsdirektorin Sabine Pegoraro (FDP) erleichtert über den Ausgang des Harassenlaufes zeigt, stösst sie mit dem Grossaufgebot an Polizeikräften bei Parteikollegen auf wenig Verständnis.

 FDP-Landrat Siro Imber bezeichnete den Einsatz von 420 Polizisten sowie eines Super-Puma-Helikopters der Armee am Harassenlauf mit 300 Teilnehmern als "krank". Sein Landratskollege Patrick Schäfli hat gestern nachgelegt. In einer Motion, die der Prattler am Donnerstag einreichen wird, verlangt er von der Regierung, dem Landrat eine Vorlage zu unterbreiten, in welcher sie "eine eindeutige Prioritätenordnung der Polizei für eine erhöhte Sicherheit der Bevölkerung vor Einbrüchen und schweren Straftaten vorlegt". Dabei seien die Gewichte insbesondere auf häufigere und auch nächtliche Patrouillen zu legen, wogegen "auf unverhältnismässige Präventivaufgebote zur Abwehr von potentiell friedlichen Veranstaltungen" zu verzichten sei.

 Schäfli verweist dabei auf die Zunahme bei den Einbruchdiebstählen um 53 Prozent im Jahre 2009 gegenüber dem Vorjahr. Da liege die Vermutung nahe, dass sich die Polizei anderen, eventuell einfacheren Aufgaben widme. "Ich war schockiert über dieses Polizeiaufgebot am Bierlauf. Es entstand der Eindruck, als ob es gegen eine Gruppe ginge, die den Staatsstreich plant." Da werde mit Kanonen auf Spatzen geschossen, und das nicht erst seit letztem Wochenende, meint Patrick Schäfli.

 Falsch eingeschätzt

Der Prattler FDP-Landrat betont, dass er die Vorkommnisse in der Vergangenheit, die zum Verbot des Harassenlaufes geführt haben, weder rechtfertigen noch verharmlosen wolle. "Die Lage wurde diesmal aber komplett falsch eingeschätzt." Dies, so Schäfli weiter, sei möglicherweise darauf zurückzuführen, dass bei der künstlich angeheizten Situation "die Sicherheitsdirektion gar nicht mehr anders konnte, als so zu reagieren". Angesichts der tatsächlichen Gefahrenlage komme das "gigantische Polizeiaufgebot" mit Kosten von 450 000 Franken aber einer Verschleuderung von Steuergeldern gleich.

 Ob Schäfli in seiner eigenen Fraktion mit grosser Unterstützung rechnen kann, ist jedoch wenig wahrscheinlich. FDP-Fraktionschef Daniele Ceccarelli hegt gewisse Zweifel an der "Flughöhe" des Begehrens. "Man kann sich fragen, ob man mit einem solchen Begehren nicht zu stark in den operativen Bereich der Polizei eingreift", erklärt Ceccarelli, der Schäfli aber nicht von der Einreichung seines Vorstosses abhalten will.

 Kein Kommentar

Von Sabine Pegoraros Sicherheitsdirektion (SiD) war gestern kein Kommentar zur Motion zu erhalten. "Wir nehmen wie immer nicht Stellung zu parlamentarischen Vorstössen, bevor diese im Landrat diskutiert werden", erklärte SiD-Sprecher Dieter Leutwyler.

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20 Minuten 4.5.10

Wegen Grosseinsatz: Breite Kritik an Pegoraro

 LIESTAL. Politiker aus den eigenen Reihen kritisieren das Vorgehen von Sabine Pegoraro und fordern eine Änderung der Harassenlauf-Strategie.

 "Eine Verschwendung von Steuergeldern" - dieser Vorwurf an die Adresse der Baselbieter Sicherheitsdirektorin Sabine Pegoraro stammt nicht von einem politischen Gegner, sondern von Parteikollege Patrick Schäfli. Der FDP-Landrat forderte gestern in einer Motion die politische Aufarbeitung des Grosseinsatzes mit 420 Polizisten beim Harassenlauf. "In einem halben Tag wurde eine halbe Million verlocht", so Schäfli. Und auch andere Parteikollegen sind mit dem Vorgehen ihrer Regierungsrätin nicht sonderlich glücklich.

 FDP-Landrat Siro Imber nervt sich vor allem über den Armeeeinsatz: "Das geht laut Militärgesetz nur bei schwerwiegenden Bedrohungen der inneren Sicherheit des Landes - und das hatten wir sicher nicht." Auch der Baselbieter FDP-Präsident Michael Herrmann hält fest: "Um ein Exempel zu statuieren, war der Einsatz gut, aber das kann nicht jedes Jahr die Lösung sein." Weitere Landräte kündigten gestern an, den Einsatz im Parlament besprechen zu wollen.

 Sie habe die Kritik erwartet, so Pegoraro, "aber bisher konnte mir keiner eine plausible Alternative liefern." Sie steht nach wie vor hinter dem Grosseinsatz: "Wir wussten nicht, ob ein paar hundert oder ein paar tausend kommen", so die Regierungsrätin. Entsprechend habe man mit der Obergrenze rechnen müssen. Für nächstes Jahr hofft sie, dass sich ein Organisator meldet und das Ganze so anders aufgezogen werden kann.  

Jonas Hoskyn

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 Harassenläufer als Vandalen

 BASEL. Beim Saubannerzug, der am Samstagabend durch Basel zog, wüteten auch verhinderte Harassenläufer. "Einige der Verhafteten haben ausgesagt, dass sie am Nachmittag an den Harassenlauf gehen wollten und dort abgewiesen wurden", sagt Kriminalkommissär Markus Melzl. Andere seien im Umfeld des 1. Mai anzusiedeln. Am Abend machte dann ein SMS die Runde: "Man trifft sich auf dem Barfi." Wer die Urheber der Nachricht sind, wird noch ermittelt. Klar ist: "Jemand muss den Saubannerzug vorbereitet haben." Es seien viele mit Farbe gefüllte Ballone, Flaschen und beim Clarapolizeiposten sogar ein Molotowcocktail geworfen worden - "sowas muss man erst basteln", so Melzl. Der Schaden des Umzuges wird auf 50 000 bis 100 000 Franken geschätzt. Gestern hat LDP-Grossrat Heiner Vischer eine Interpellation zum Saubannerzug eingereicht. hys/SDA

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Bund 4.5.10

Trotz Verboten wurde zum Harassenlauf gestartet

 Reinach/Münchenstein BL - Trotz Verboten begaben sich junge Leute am Samstag auf den sogenannten Harassenlauf. Die Polizei stand mit einem Grossaufgebot im Einsatz und begleitete den Zug. 200 bis 300 junge Leute hatten sich in Reinach auf den Weg gemacht. Sie hielten am traditionellen Lauf fest, an dem am 1. Mai seit Jahren 2000 bis 3000 junge Leute mit Bierharassen von Reinach nach Münchenstein spazierten. Dieses Jahr wollte die Baselbieter Sicherheitsdirektion aber den jeweils in einem Trinkgelage endenden Anlass stoppen. Die Route entlang der Birs wurde mit Alkoholverbot belegt, den "Grün-80"-Park in Münchenstein, Zielort des Laufs, riegelte ein Grossaufgebot der Baselbieter Polizei für jedermann ab. Die trotz Regen erschienenen Harassenläufer wichen aus und spazierten auf Strassen und durch Quartiere.

 Im Vorfeld war das grosse Polizei-Aufgebot kritisiert worden; es werde mit Kanonen auf Spatzen geschossen, hiess es. (sda)

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Beim Bierkastenlauf in Worb geht es "gesitteter" zu

(wal)

 Worb - Im Baselbiet hat ein nicht bewilligter Harassenlauf am 1. Mai zu einem massiven Polizeiaufgebot mit 400 Sicherheitsbeamten und Kosten von fast einer halben Million Franken geführt. "Ein Kanton im Ausnahmezustand" titelte die "Basler Zeitung". Ein ähnliches Szenario ist beim 6. Bierkastenlauf in Worb am 31. Juli, mit Start und Ziel auf dem Gelände der Egger-Brauerei, nicht zu erwarten. "Bei uns geht es gesitteter zu", sagt Michael Egger vom Organisationskomitee. "Bisher gab es keine Zwischenfälle, Schlägereien oder Alkoholleichen." Es werde viel Wert auf den Jugendschutz gelegt. Ohne Ausweis werde niemand zum Start zugelassen. Beim Harassenlauf von Reinach nach Münchenstein BL kam es im letzten Jahr zu schweren Körperverletzungen. Es nahmen jeweils zwischen 2000 und 3000 Jugendliche daran teil. In Worb sind es etwa 150 Zweierteams. Egger fände es schade, wenn die Repression aus dem Baselbiet nach Worb schwappen würde. In diesem Jahr gibt es nur noch eine Kategorie: Eine Bierharasse von Egger mit 10 Flaschen à 33 cl muss auf der knapp 6 Kilometer langen Strecke nach Vechigen und zurück getrunken werden. Noch letztes Jahr gab es zwei Kategorien, eine mit 20 und eine mit 10 Flaschen à 29 cl.

 Die Bewilligung für den diesjährigen Lauf ist noch nicht erteilt. Das Gesuch wird in der Sicherheitskommission behandelt und geht dann an den Regierungsstatthalter. Solange der Jugendschutz konsequent eingehalten wird, sieht Gemeindepräsident Niklaus Gfeller kaum eine Möglichkeit, den Anlass zu verbieten. Allerdings stellt der EVP-Politiker die Sinnfrage und sagt zudem: "Ich weiss nicht, was an warmem und geschütteltem Bier gut sein soll."

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Basler Zeitung 3.5.10

Polizei gegen Bierlauf

 Sabine Pegoraro verteidigt massives Aufgebot

 teurer einsatz. Die Baselbieter Polizei reagierte am vergangenen Samstag mit einem Grossaufgebot auf den Harassenlauf zwischen Reinach und Münchenstein. 420 Personen standen im Einsatz, darunter auch 60 Polizisten aus Basel-Stadt und Bern. Angefordert hatten die Behörden auch einen Super-Puma-Hubschrauber der Armee. Dieser überwachte die rund 200 bis 300 jugendlichen Teilnehmer, die trotz schlechten Wetters am Bierlauf erschienen. Der Anlass verlief ohne Zwischenfälle. Die Baselbieter Sicherheitsdirektorin Sabine Pegoraro (FDP) zog am Sonntag eine positive Bilanz des Einsatzes. Ziel sei es gewesen, Gewalttaten mit Verletzten und Krawalle zu verhindern, wie es sie im vergangenen Jahr gab. Dies habe man erreicht. Im Vorfeld des Anlasses hatten die Behörden ein Alkoholverbot verhängt und mit Bussen von bis zu 500 Franken gedroht. Gebüsst wurde am Samstag jedoch niemand. Die Polizei nahm drei Personen fest, davon zwei wegen Sachbeschädigungen.

 Die Kosten für den Einsatz belaufen sich auf 450 000 Franken. Je 50 000 Franken übernehmen davon die Gemeinden Reinach und Münchenstein. Kommandant Daniel Blumer sprach am Sonntag vom "schwierigsten Einsatz" in der Geschichte der Baselbieter Polizei. Im Interview mit der BaZ verteidigt Regierungsrätin Pegoraro den massiven Aufmarsch an Sicherheitskräften. Dieser habe "präventiv" gewirkt.  
ac/pra  > Seiten 2, 31

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Tageskommentar

Viel Aufwand fürs Prestige

Urs Buess

 Den Baselbieter Polizisten gilt es ein Kränzlein zu winden. Ebenso ihren Kollegen aus anderen Polizeicorps, die an diesem verregneten 1. Mai zur Unterstützung nach Reinach und Münchenstein aufgeboten waren, um den Harassenlauf zu verhindern. Sie haben alles unterlassen, um die paar Jugendlichen, die biertrinkend durch den Regen spazierten, zu provozieren. Sie hielten sich im Hintergrund und liessen sich nicht aus dem Häuschen bringen durch zwei, drei umgeworfene Abschrankungen. Dass ein Superpuma der Armee die Gegend mit seinem Geratter zudröhnte, als ob ein Grossanlass wie die Euro-2008 zu überwachen sei, war nicht ihr Entscheid, sondern der der politisch Verantwortlichen.

 Diese, allen voran Regierungsrätin Sabine Pegoraro, finden, der Einsatz sei gerechtfertigt. Es sei - die Kosten für den Superpuma nicht eingerechnet - verhältnismässig, eine halbe Million Franken auszugeben, um das Verbot des Harassenlaufs durchzusetzen. Es sei angemessen, drei Jahre Gefängnis anzudrohen, falls sich jemand trotz Verbot erdreistet, das Grün-80-Areal zu betreten. Und dies alles, um einen zugegebenermassen etwas stupiden Anlass zu verhindern. Letztes Jahr gab es eine Messerstecherei, gewiss. Wo so viel Alkohol und Blödheit im Spiel ist, verwundert das nicht. Das gibt es auch an anderen einschlägigen Orten und Anlässen zu beobachten, wo die Staatsgewalt dann eher zur Zurückhaltung neigt. Doch der Harassenlauf ist für Regierungsrätin Pegoraro zur Prestigesache geworden. Um ihn zu bekämpfen, scheut sie keine Kosten. Erstaunlich, kann man da nur sagen, wie viel Geld im Baselbiet ein bisschen Prestige kosten darf. urs.buess@baz.ch

 > Seite 31

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Ein Kanton im Ausnahmezustand

 Am Harassenlauf bewältigte die Baselbieter Polizei ihren bis dato schwierigsten Einsatz

Markus Prazeller, Alan Cassidy

 Mit einem Grossaufgebot von über 400 Personen versuchten die Behörden, den Harassenlauf zu verhindern. Trotzdem marschierten über 200 Jugendliche von Reinach nach Münchenstein. Zwischenfälle blieben aus.

 Grün 80, der Morgen danach. Keine leeren Flaschen, keine Spuren der Verwüstung. Die Spitze der kantonalen Sicherheitsbehörden sitzt im Restaurant Seegarten. Die Stimmung ist aufgeräumt, die Erleichterung spürbar. Daniel Blumer, Kommandant der Baselbieter Polizei, spricht vom "schwierigsten Einsatz in der Geschichte des Polizeikorps". Und von einem Erfolg. Das Chaos wurde abgewendet, die befürchtete Eskalation zwischen betrunkenen Harassenläufern und der Polizei blieb aus. Doch für den Frieden haben die Behörden einen hohen Preis bezahlt.

 Reinach, Samstag kurz nach 13 Uhr. Es regnet. Auf der Kreuzung oberhalb des Schwimmbads stehen sich eine Handvoll Jugendliche und viele Polizisten gegenüber. Aus einem Geländewagen steigen Sicherheitsdirektorin Sabine Pegoraro, ihr Generalsekretär und ihr Kommunikationschef. Der Anlass ist Chefsache. 420 Personen hat Pegoraro aufgeboten. Die Kantone Basel-Stadt und Bern haben 60 Polizisten ins Baselbiet entsandt. Über den Köpfen dreht ein Hubschrauber der Armee seine Runden. In den vergangenen Wochen haben die Behörden klargemacht: Wer am Harassenlauf teilnimmt, macht sich strafbar. Die Route entlang der Birs wurde zum Sperrgebiet erklärt und ein Alkoholverbot verhängt.

Gefängnisstrafe

Der Aufruf der Behörden scheint gewirkt zu haben. Es sind viel weniger Jugendliche hier als in den vergangenen Jahren. Um 14 Uhr ziehen rund 200 Bierläufer los. Sie bewegen sich entlang der Sperrzone in Richtung Münchenstein. Begleitet werden sie von 17 vom Kanton aufgebotenen Sozialarbeitern. Am Boden liegen die Flyer, welche die Polizei an die Jugendlichen verteilt hat. "Wir fordern Sie auf, auf eine Teilnahme am Harassenlauf zu verzichten", steht darauf. Und: Wer sich trotz des Verbots in die Grün 80 wage, riskiere eine "Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren".

 Auch auf ihrer Alternativroute sind die Jugendlichen nie alleine. An jeder Ecke stehen Polizisten. Sie halten sich zurück, geben sich unaufgeregt, sprechen freundlich mit den Bierläufern. Die Polizei setzt auf Deeskalation. Trotzdem: Im Hauptquartier der Einsatzleitung im Gewerbeareal Schoren, wohin sich Pegoraro und ihr Führungsstab inzwischen zurückgezogen haben, sind Dutzende von Patrouillenfahrzeugen und Kastenwägen parkiert. Falls es brenzlig wird, steht auch die Spezialeinheit Barrakuda bereit. 450 000 Franken lässt sich der Kanton den Einsatz am Harassenlauf kosten. Je 50 000 Franken übernehmen davon die Gemeinden Reinach und Münchenstein.

 Die Bierläufer sind mittlerweile beim MFP-Kreisel in Münchenstein eingetroffen. Dort werden sie von einer grossen Gruppe Polizisten erwartet. "Hier stehen unsere Steuergelder", sagt ein Teilnehmer: Der Aufwand, den die Polizei ihretwegen betreibt, sorgt bei vielen Jugendlichen für Gelächter. Und sogar ein Sozialarbeiter schüttelt den Kopf. Der Bierlauf sei eine gute Sache, sagt er. Der Einsatz sei völlig übertrieben.

Aufklärung aus der luft

Die Kritik an der Verhältnismässigkeit des Einsatzes weist Polizeikommandant Blumer zurück. "Wir mussten mit allem rechnen, vom Nullereignis bis zum Chaos", sagt er tags darauf. Er verteidigt auch den Einsatz des Super-Pumas. Dieser sei für die Aufklärung "sehr wichtig" gewesen und habe den Kanton "nichts gekostet". Finanziert wurde der Flug von der Armee.

 Nach 16 Uhr treffen die Bierläufer in mehreren Gruppen im Park des Gymnasiums Münchenstein ein. Es regnet noch immer. Obwohl auch das Schulgelände in der Sperrzone der Gemeinde liegt, halten sich die Polizisten zurück. Sie belassen es bei ermahnenden Worten. In die abgeriegelte Grün 80 traut sich heute niemand. Am frühen Abend löst sich die Versammlung auf. Das wars. Vorerst. Einige Jugendliche kündigen bereits für den kommenden Samstag den nächsten Bierlauf an. Diesmal auf der ursprünglichen Route. Die Polizei nimmt den Aufruf ernst. "Wir klären jetzt ab, wie wir dem begegnen könnten", sagt Blumer. Es sei gut möglich, dass seine Leute auch nächstes Mal massiv aufmarschieren.

 > Tageskommentar Seite 2

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"Solche Einsätze müssen wir uns leisten können"

 Sicherheitsdirektorin Sabine Pegoraro (FDP) verteidigt das massive Polizeiaufgebot am Bierlauf

 Interview: Alan Cassidy, Markus Prazeller

 Die Baselbieter Regierungsrätin Sabine Pegoraro will nicht ausschliessen, dass die Polizei beim nächsten Bierlauf erneut massiv einfahren wird.

 BaZ: Frau Pegoraro, eine knappe halbe Million Franken für ein paar Bierläufer: War dieser Aufwand gerechtfertigt?

 Sabine Pegoraro: Schauen Sie, es ging darum, Ausschreitungen mit Schwerverletzten zu verhindern, wie es sie im vergangenen Jahr gab. Wenn wir die öffentliche Sicherheit nicht mehr gewährleisten können, ist der Staat nicht mehr glaubwürdig. In diesem Sinn war der Aufwand völlig gerechtfertigt.

 Nochmals: Den 200 Bierläufern standen über 400 Sicherheitskräfte gegenüber. Zudem wurden die Jugendlichen von einem Armeehubschrauber begleitet.

 Die Grösse des Einsatzes wirkte präventiv. Das beweisen die Teilnehmerzahlen: Vergangenes Jahr hatten wir es noch mit zwei- bis dreitausend Bierläufern zu tun, am Samstag kam gerade mal ein Zehntel davon.

 Auf den Flyern, die am Samstag verteilt wurden, drohten Sie den Jugendlichen mit bis zu drei Jahren Gefängnis, falls sie die Grün 80 betreten - ein Sinnbild für die Einschüchterungstaktik der Polizei.

 Ich finde überhaupt nicht, dass das übertrieben war. Wir haben die Leute darauf aufmerksam gemacht, welche strafrechtlichen Folgen sie erwarten.

 Einerseits unternahm der Kanton alles, um den Bierlauf zu verhindern, andererseits schickte man Sozialarbeiter auf die Route, die den Abfall einzusammeln hatten. Wie geht das zusammen?

 Wir sind nicht so naiv, dass wir gar keine Teilnehmer erwarteten. Die Sozialarbeiter hatten den Auftrag, das Gespräch mit den Jugendlichen zu suchen und ihnen klarzumachen, dass ihr Verhalten illegal ist. Das können die Sozialarbeiter noch besser als die Polizisten, weil sie die Jugendlichen zum Teil kennen.

 Tatsache ist doch, dass Sie den Bierlauf verhindern wollten. Das ist trotz massivem Polizeiaufgebot nicht gelungen.

 Wir sagten nie, dass wir den Anlass komplett verhindern wollten. Wir waren auch nicht darauf aus, alle Teilnehmer zu verhaften, die trotz fehlender Bewilligung am Bierlauf erschienen. Es ging darum, Gewalttaten und Krawalle zu verhindern. Und das hat geklappt. Wir konnten verhindern, dass die Jugendlichen in die Grün 80 gelangten.

 War es nicht eher der Regen, der die Bierläufer abhielt?

 Das schlechte Wetter kam uns zugute. Entscheidend waren aber unsere Appelle an die Jugendlichen, gar nicht erst teilzunehmen, und die Massnahmen, die wir ergriffen haben.

 Politisch ist Ihre Strategie umstritten. FDP-Landrat Siro Imber bezeichnete den Einsatz vom Samstag als "krank".

 Noch einmal: Uns ging es darum, Ausschreitungen mit Verletzten zu verhindern. Das müssen wir uns doch leisten können.

 Ihnen wurde vorgeworfen, mit dem Einsatz vorgezogenen Wahlkampf zu betreiben.

 Ich fühle mich nicht im Wahlkampf. Ich bin verantwortlich für die Sicherheit im Kanton. Die Bevölkerung erwartet, dass es bei uns keine Verletzten und Toten gibt.

 Der nächste Lauf ist bereits angekündigt. Fährt die Polizei dann erneut so ein?

 Die Voraussetzungen wer- den nächstes Mal die gleichen sein - ob das nun nächste Woche ist oder in einem Jahr: Der Bierlauf ist ein bewilligungspflichtiger Anlass. Das heisst, dass auch das Sicherheitsregime wieder in diesem Umfang ausfallen könnte.

 Sie haben mit dem Grosseinsatz ein heikles Präjudiz geschaffen.

 Ist es ein heikles Präjudiz, wenn dank unseres Einsatzes nur ein Bruchteil der Bierläufer überhaupt erst in Reinach erschienen ist? Vergangenes Jahr war allen klar, dass der Bierlauf in dieser Form nicht mehr stattfinden darf. Deshalb mussten wir handeln. Was wollen Sie noch mehr? Es ist alles verhältnismässig abgelaufen.

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Die Banken waren das Ziel der Kritik

 Am 1. Mai wurde nicht nur friedlich für die Rechte der Arbeitnehmerinnen und -nehmer demonstriert

Michel Ecklin

 Vermummte Jugendliche enteigneten an der 1.-Mai-Kundgebung am Samstag symbolisch die UBS-Filiale am Marktplatz. Auch in den Reden kamen die Banken nicht gut weg.

 Das Wort "Banken" fiel auffallend häufig in den 1.-Mai-Reden am Samstag auf dem Marktplatz. Doch zu Beginn der Kundgebung galt die Aufmerksamkeit der Demonstrierenden kaum den Rednern. Vielmehr blickten alle zur UBS-Filiale am Marktplatz. Dort stellten einige schwarz gekleidete Jugendliche eine ausziehbare Leiter an die Fassade. Sofort rief die Polizei in Kampfmontur die Menge auf, sich vom Gebäude fernzuhalten.

 Mit "Hoch die internationale Solidarität"-Sprechgesang marschierten die - grösstenteils vermummten - Jugendlichen Richtung Fischmarkt. Ein Aktionist konnte ungestört die Leiter emporklettern. Unter dem Applaus, aber auch einzelnen Pfiffen der Menge befestigte er am Balkon des zweiten Stocks ein Transparent mit folgenden Worten: "UBS enteignen: heute noch symbolisch, morgen…?"

 Trotz einiger aggressiver Wortwechsel kam es nicht zu Handgreiflichkeiten mit der Polizei. Am UBS-Gebäude entstand wie auf dem ganzen Marktplatz kein Sachschaden. Auf einem Flyer bezeichnete das "Revolutionäre 1.-Mai-Bündnis Basel" die Aktion als "mehr als das zurzeit opportune UBS-Bashing und das reformistische Gebell gegen den Haifischkapitalismus". Die UBS bezeichneten sie als "Schmiermittel der Profitaneignung".

 Während ein Grossteil der Demonstranten zur UBS-Filiale blickte, sprach sich auf der anderen Seite des Marktplatzes Unia-Co-Präsident Andreas Rieger gegen die "Riesenkraken Grossbanken" aus. Kaum freundlichere Worte hatte die grüne Nationalrätin Anita Lachenmeier für die Banken übrig. Diese hätten die Schweiz wie Mäuse ausgehöhlt, bis der Berg einstürzte. "Und kaum sind sie gerettet, wird wieder abgezockt." Manche Politiker würden dieses Vorgehen auch noch rechtfertigen und gleichzeitig den Arbeitern soziale Rechte verweigern. Stattdessen fordere sie anständige Sozialleistungen für alle, denn nur das ermögliche ein gutes Leben. "Wir erwarten von den Banken, dass sie uns das zurückgeben, was sie nehmen", sagte Lachenmeier unter dem Applaus der Demonstranten. Laut Kantonspolizei waren es rund 1000 Personen, die trotz Regen von der Mustermesse zum Marktplatz marschiert waren.

 Gastredner. Der Gewerkschafter Carlos H. Reyes aus Honduras zeigte einen militanten Willen, nach dem Putsch in seinem Land eine neue Verfassung einzuführen. "Die Kapitalisten lassen uns glauben, dass es keine bessere Welt geben kann als die jetzige", sagte er. "Dabei sind wir es, die ihre Gewinne finanzieren." Er hoffte, die europäischen Medien würden mehr über den Kampf berichten, den die Gewerkschaften in Honduras trotz Repression friedlich führten.

 Demonstriert wurde nicht nur in der Stadt. In Binningen sprach unter anderen Corrado Pardini, bei der Gewerkschaft Unia für Pharma und Chemie zuständig, über den Stellenabbau bei Clariant. Angeprangert wurden zudem die Spitzenboni der Ban- ker und der Abbau der Arbeitslosenversicherung.

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 Chaoten verwüsten Innenstadt

 Gewalt. Der Tag der Arbeit wurde in Basel begleitet von Randalen und Sachbeschädigungen. Am Samstagabend gegen halb zehn Uhr versammelte sich auf dem Barfüsserplatz eine Gruppe von rund hundert Vermummten und zog via Streitgasse, Marktplatz in die Clarastrasse. Auf ihrem Marsch durch die Innenstadt verschmierten sie mehrere Liegenschaften und Tramzüge mit Farbe und zündeten Fackeln an. Vor dem Claraposten eskalierte die Situation, wie Kriminalkommissär Markus Melzl gegenüber der BaZ sagt. Die Randalierer schleuderten Farbbeutel, Fahrräder und Stühle gegen den Polizeiposten. Nachdem sie den Eingangsbereich des Gebäudes mit einem Molotow-Cocktail in Brand gesteckt hatten, flüchteten die Vermummten. Das Feuer musste durch die Basler Berufsfeuerwehr gelöscht werden. Die Polizei nahm wenig später im Bereich Riehenring 15 Tatverdächtige - 13 Männer und zwei Frauen zwischen 17 und 41 Jahre alt - fest. Gegen sie wurden Verfahren wegen Landesfriedensbruch und Sachbeschädigung eingeleitet. Bereits in der Nacht auf Samstag kam es in Basel zu massiven Sachbeschädigungen. Unbekannte zündeten in der Rotbergerstrasse und in der St.-Louis-Strasse zwei Autos der Marken BMW und Mercedes an. Vor einer Autogarage an der St. Alban-Anlage wurde zudem ein Porsche in Brand gesteckt (Foto). Es entstand laut Melzl erheblicher Sachschaden. Die Polizei bittet die Bevölkerung um Hinweise.  pra

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Basellandschaftliche Zeitung 3.5.10

Grossaufgebot auf dem Land, Krawalle in Basel

 Der Harassenlauf blieb friedlich. In Basel wütete ein Saubannerzug

 Der 1. Mai forderte die Polizei in der Region Basel heraus. 420 Polizisten sorgten für einen ruhigen Harassenlauf. Einen Saubannerzug in Basel hatte die Polizei hingegen erst spät unter Kontrolle.

 Andreas Maurer

 Der Baselbieter Polizeikommandant Daniel Blumer spricht vom "wahrscheinlich schwierigsten Einsatz der Baselbieter Polizei". Der Grund: Das Einsatzgebiet seiner Leute am Harassenlauf war nicht klar bestimmt. Daher sei die Aufklärung aus der Luft nötig gewesen: ein Helikopter kreiste über den Köpfen der Biertrinker. Dieser Einsatz stellt die Armee dem Kanton nicht extra in Rechnung. Er gehört zum Kontingent an Flügen des Kantons. Dennoch ist das Grossaufgebot teuer: Der Einsatz kostet die Baselbieter Steuerzahler 450000 Franken. 420 Polizisten sorgten dafür, dass sich der Harassenlauf in geordneten Bahnen abspielte. 200 bis 300 Harassenläufer nahmen eine leicht abgeänderte Route.

 Vermummte wüten in der Innenstadt

 Ausser Kontrolle geriet die Situation nach den 1.-Mai-Feiern und nach dem Harassenlauf in Basel. 100 bis 120 Vermummte zogen durch die Innenstadt. Die Basler Staatsanwaltschaft spricht von einem Saubannerzug. Häuser und Trams wurden verschmiert, Fackeln und Knallkörper gezündet. Farbbeutel, Stühle, Fahrräder und Steine flogen durch die Luft. Ein Molotow-Cocktail setzte den Eingangsbereich des Clarapostens in Vollbrand.

 Nach diesem Angriff flüchteten die Krawallmacher. Die inzwischen aufgebotenen Polizisten verhafteten 13 Männer und 2 Frauen. Es handelt sich um Schweizer, die in der Region Basel wohnen. Blumer sieht keinen Zusammenhang zum Harassenlauf. Nachdem sich dieser aufgelöst hatte, hätten sich die Teilnehmer zerstreut. Einen Teil der wegen des Harassenlaufs aufgebotenen Polizisten schickte der Baselbieter Kommandant am Abend zur Unterstützung nach Basel.

 Seiten 19, 21, Kommentar rechts

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Deeskalation war die richtige Taktik

 Die offizielle 1. Mai-Kundgebung in Basel verlief friedlich. Vor allem der Kapitalismus war auf der Anklagebank

 Redner aus dem In- und Ausland prangerten an der 1. Mai-Kundgebung die Auswüchse des Kapitalismus an. Aus der Wirtschaftskrise seien keine Lehren gezogen worden.

Toprak Yerguz

 Die Demonstranten sangen die Internationale und lagen damit völlig richtig: Die Basler 1. Mai-Kundgebung war das gemeinsame Auftreten verschiedener Gewerkschaften, linken und alternativen Gruppierungen aus der ganzen Welt. Rund 2000 Menschen versammelten sich, um vom Messeplatz zum Marktplatz zu marschieren. Sie liessen sich dabei auch vom schlechten Wetter nicht beirren. Die vorgängig geäusserte Vermutung, die apolitischen Harassenläufer könnten ihren verbotenen Marsch im 1. Mai-Zug verstecken, bewahrheitete sich nicht.

 Die Gewerkschaften konnten sich für den Marsch den prestigeträchtigen Platz in der Frontreihe des Demonstrationszuges vor den autonomen Aktivisten um den revolutionären Aufbau sichern. Diese machten zu Beginn mit Fackeln auf sich aufmerksam, hielten sich gesamthaft gesehen aber zurück.

 Deeskalation war die richtige Taktik

 Es kam nur noch einmal zu einer brenzligen Situation, als der Zug den Marktplatz erreicht hatte. Aktivisten erklommen die dort gelegene Filiale der UBS mit einer Leiter. Die ansonsten sehr zurückhaltend aufgetretene Polizei rückte mit einem Dutzend Uniformierten vor, wurde aber von der geschlossenen Front der Demonstranten mit "Internationale Solidarität"-Rufen zurückgedrängt.

 "Wir haben uns für Deeskalation entschieden", erklärte später Klaus Mannhart vom Justiz- und Sicherheitsdepartement die Vorgehensweise. Diese erprobte Taktik der Polizei habe sich in den letzten Jahren bewährt. Das erwies sich auch in diesem Fall als die richtige Entscheidung: Die Aktivisten entrollten zwar aus dem zweiten Stock der UBS-Filiale ein grosses Transparent, das die Enteignung der Bank forderte. Schäden am Gebäude gab es jedoch nicht: Es wurde nichts zerstört und es flogen keine Farbbeutel.

 Wie knapp man allerdings einer grösseren Konfrontation entging, zeigte sich in der Stadthausgasse. Dort standen zur Verstärkung der Polizei schwarz gekleidete Spezialeinsatzkräfte bereit.

 Während die Aktivisten mit der Verzierung der UBS-Filiale beschäftigt waren, kritisierte Andreas Rieger, Co-Präsident der Gewerkschaft Unia, das Verhalten der Grossbanken und forderte Konsequenzen: "Die Casino-Abteilungen müssen geschlossen werden." Er und seine Mitredner prangerten die Rückkehr der Kapitalisten zu alten Verhaltensmustern an. "Im letzten Jahr, als die Wirtschaftskrise ihren Höhepunkt hatte, gelobte die Wirtschaft Besserung", erinnerte sich Rita Schiavi, Regionalsekretärin der Unia Nordwestschweiz. Jetzt, nur ein Jahr später, sei alles wie früher, und es zeige sich: "Die Bürgerlichen haben nichts gelernt." Die "Profitgier des Kapitalismus" sei nicht nur für wirtschaftliche Probleme, sondern auch für die Verschmutzung der Umwelt verantwortlich.

 "Arbeit und Natur schaffen Reichtum"

 Elif Dogan, Sprecherin der kurdischen Organisationen in der Schweiz, pflichtete bei: "Das Gleichgewicht der Natur wird für das Wohl der Monopolisten zerstört." Der honduranische Gewerkschafter Carlos Reyes seinerseits mahnte: "Es ist nicht das Kapital, das Reichtum schafft, sondern Arbeit und die Natur." Anita Lachenmeier, Nationalrätin der Grünen, sah durch die Gebaren der Hochfinanz den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet. Nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit: "Die Gier Einzelner bringt die Völkergemeinschaft auseinander." Sie forderte die Abschaffung des Unterschieds von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug: "Wir wehren uns dagegen, dass die Schweiz von ausländischen Steuergeldern profitiert, die der Bevölkerung anderswo entzogen wurde."

 Krawall kam am späteren Abend

 Verlief die offizielle 1. Mai-Kundgebung am Samstagnachmittag friedlich, kam es am späten Abend zu einigen gewalttätigen Zwischenfällen. Zwischen 100 und 120 Personen machten sich als "Saubannerzug" in Richtung Polizeiposten Clara auf den Weg. Dort angekommen schleuderte eine Person einen Molotowcocktail in den Eingangsbereich des Clarapostens. Der Brand wurde von der Feuerwehr gelöscht.

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"Der Staat wäre unglaubwürdig"

 Sicherheitsdirektorin Sabine Pegoraro wertet den Einsatz gegen den Harassenlauf als Erfolg

 Sabine Pegoraro glaubt den grossen Teil der Bevölkerung hinter sich. Die Kritik einiger Parteikollegen verwundert die FDP-Regierungsrätin.

 Andreas Maurer

 Frau Pegoraro, Ihnen wird vorgeworfen, mit Kanonen auf Spatzen zu schiessen. Wie rechtfertigen Sie den 450000 Franken teuren Polizeieinsatz?

 Sabine Pegoraro: Es geht um den Schutz von Leib und Leben. Wir hatten in den letzten Jahren Schwerverletzte, Messerstechereien, bei denen einer knapp dem Tod entgangen ist, ein anderer ein Auge verloren hat. Es ist darum gegangen, Schlimmeres zu verhindern. Wir sind verpflichtet, die Leute zu schützen, damit es nicht mehr zu so schlimmen Vorfällen kommt. Daher ist der Einsatz verhältnismässig. Sonst wäre der Staat unglaubwürdig.

 Aber auch bei Massenveranstaltungen wie der Fasnacht kommt es am Rande zu Ausschreitungen, Abfall ist ebenfalls ein Problem und Bier wird in ähnlichen Mengen wie am Harassenlauf getrunken.

 Pegoraro: Kommt es an der Fasnacht zu Messerstechereien, greift die Polizei auch ein. Wenn das in einer Gemeinde an der Fasnacht mehrmals passiert, müsste sich diese Gemeinde überlegen, ob sie die Fasnacht weiterhin durchführt. Wenn ja, müsste die Polizei ebenfalls mit einem grossen Aufgebot herbei gezogen werden. Es ist die gleiche Ausgangslage mit dem Unterschied, dass die Fasnacht einen Organisator hat, mit dem man die Sicherheitsmassnahmen verhandeln kann.

 Unter den rigorosen Massnahmen hat auch die normale Bevölkerung gelitten. Die Grün 80 war gesperrt. Dabei hätten die paar friedlichen Biertrinker doch Platz gehabt neben den übrigen Leuten.

 Pegoraro: Die auf der Wiese spielenden Kinder verletzten sich jeweils noch eine Woche nach dem Harassenlauf an Scherben. Die Parkeigentümerin wollte, dass der Anlass nicht mehr stattfindet. Die Einschränkung der Bevölkerung war gerechtfertigt, um Schlimmeres zu verhindern.

 Vor dem Gym Münchenstein haben einige Leute gelärmt und ans Gebäude uriniert. Wieso haben Sie das Harassenlauf-Verbot dort nicht konsequent durchgesetzt?

 Pegoraro: Das hat man durchgesetzt. Als die Polizei gekommen ist, sind sie friedlich abgezogen und haben sogar noch ihren Abfall mitgenommen.

 Trotz Grosseinsatz konnten Sie den Harassenlauf nicht verhindern. Wird nun jedes Jahr ein teures Polizeiaufgebot eingesetzt?

 Pegoraro: Der Harassenlauf hat nicht stattgefunden. Es kam ein Zehntel der Teilnehmer des letzten Jahres. Auf der Route lief niemand, in der Grün 80 war ebenfalls niemand. Die paar Unentwegten, die trotzdem gekommen sind, hat man von der Route ferngehalten. Hat der Harassenlauf stattgefunden?

 Ja, in kleinerem Umfang.

 Pegoraro: Nein. Sind die Leute die Strecke abgelaufen und haben sie in der Grün 80 ihre Harassen aufgestellt? Nein. Der Harassenlauf hat nicht stattgefunden.

 Mit ihrem Einsatz haben Sie sich stark exponiert. Auch Parteikollegen kritisieren Sie. Schadet das Ihrer Popularität?

 Pegoraro: Schauen Sie, wir hatten nach dem letzten Harassenlauf dermassen viele Reaktionen aus der Bevölkerung, dass etwas gehen muss. Wir hatten Schwerverletzte. Das durfte nicht mehr passieren. Wir sind zum Handeln verpflichtet. Die Leute haben dafür grosses Verständnis.

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 420 Polizisten, 3 Festnahmen

 Am 17. Harassenlauf waren mehr Polizisten als Biertrinker im Einsatz. Die Polizei riegelte mit 420 Leuten, davon 60 aus anderen Kantonen, die Reinacher Heide und die Grün 80 hermetisch ab. Der Grosseinsatz kostet den Kanton 450000 Franken. Die Gemeinden Reinach und Münchenstein beteiligen sich mit je 50000 Franken. Trotz Regen und angedrohter Bussen spazierten 200 bis 300 Harassenläufer auf einer leicht abgeänderten Route (siehe "Sonntag bz"). Drei Personen wurden festgenommen, zwei wegen Schmierereien und Beschädigungen. Die dritte Person wurde wieder freigelassen. Die Verwüstungen, die sich abends in Basel ereigneten, führt die Polizei auf 1.-Mai-Aktivisten zurück - ohne Zusammenhang zum Harassenlauf. (öpf)

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Kommentar

 Über das Ziel hinaus

Andreas Maurer

 Die 420 Polizisten machten am Harassenlauf alles richtig. Freundlich stellten sich die Beamten den Diskussionen vieler Jugendlicher. Gegenüber Provokationen zeigten sie sich humorvoll. Keine Spur vom Bild des grimmigen Polizisten. Auch die 17 Sozialarbeiter beherrschten die Kunst des Dialogs. In erster Linie blieb der Harassenlauf aber aus einem anderen Grund friedlich: weil die meisten Harassenläufer friedliche Gesellen sind.

 Die Ausschreitungen des letzten Jahres in der Grün 80 wurden von Leuten verübt, die sich nicht am feucht-fröhlichen Umzug beteiligt hatten. Stattdessen sind sie später direkt am Zielort aufgetaucht, auf der Suche nach einem Ventil für ihren Frust. Ob Fasnacht, FCB-Match oder Streetparade - jede Massenveranstaltung lockt Trottel an. Ein Totalverbot ist übertrieben. Und auch wenn sich verantwortliche Organisatoren finden liessen: Eine Prügelei wird damit nicht verhindert.

 Im nächsten Jahr werden wieder hunderte Biertrinker trotz des Verbots in Reinach abmarschieren. Bei schönem Wetter wäre wohl mit über tausend zu rechnen. Sabine Pegoraro müsste folglich jedes Jahr eine halbe Million Franken für den 1. Mai auf die Seite legen. Punktuelle Massnahmen wären stattdessen sinnvoller. Für die Verhaftung von ein paar Schlägern genügt ein Zehntel des Grossaufgebots vom Samstag. Und dank des seit Jahren bewährten Einsatzes von Sozialarbeitern kann der Abfall auf ein erträgliches Mass reduziert werden. Hundertprozentige Sicherheit gibt es aber nicht. Das zeigt zum Beispiel der unerwartete Saubannerzug durch die Stadt Basel.

 andreas.maurer@bz-ag.ch

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20 Minuten 3.5.10

Grossaufgebot und Heli gegen Harassenlauf

 REINACH. Regen, Verboten und 420 Polizisten zum Trotz marschierten gegen 300 Teilnehmer den Harassenlauf friedlich auf einer alternativen Route.

 Die Behörden hielten Wort. 420 Polizisten und ein Armeehubschrauber wurden aufgeboten und 450 000 Franken ausgegeben, um den Harassenlauf im Zaum zu halten. Laut Polizeikommandant Daniel Blumer der schwierigste Einsatz, den seine Leute je erfüllen mussten.

 Gegen 300 wetterfeste Bierfreunde kamen zum Anlass. "Wir werden einfach eine Alternativroute laufen", sagt die 24-jährige Betty. Viele kamen, um ein Zeichen zu setzen. "Jetzt ist es ein Protestmarsch", meint einer. Der zivile Ungehorsam blieb friedlich und sehr geordnet. Die 17 vom Kanton aufgebotenen Sozialarbeiter mussten kaum eingreifen. Von Reinach aus zog der Tross durch Quartierstrasen zum Gymnasium Münchenstein, wo sich das Trinkgelage kurz nach 17 Uhr auf Geheiss der Polizei auflöste. Unterwegs kam es zu drei Festnahmen wegen kleinerer Vergehen.

 Justizdirektorin Sabine Pegoraro zeigte sich am Sonntag erleichtert. Das Problem Harassenlauf ist aber keineswegs abschliessend gelöst: Auch nächstes Jahr sei ein solches Polizeiaufgebot denkbar, sagt Pegoraro. "Wenn damit Schwerverletzte vermieden werden können, ist das nicht unverhältnismässig", argumentiert sie. Diese Lösung ist aber kaum befriedigend. Reinachs Gemeindepräsident Urs Hintermann sieht alle Beteiligten in einer blöden Situation. "Heute sind wir alle Verlierer", sagte er am Samstag.  

Lukas Hausendorf

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Sonntag 2.5.10

Regen und Polizei schrecken Bierläufer ab

 Trotz Verboten, polizeilichem Grossaufgebot und dem Einsatz eines Armee-Helikopters haben 200 bis 300 Unentwegte den traditionellen Harassenlauf am 1.Mai begangen. Da diese aber mehrheitlich eine Ausweichroute zum Gymnasium Münchenstein benutzten, blieben grössere Konfrontationen aus. Zwischendurch kursierten Gerüchte über Verhaftungen, die die Baselbieter Behörden bis gestern Abend jedoch nicht bestätigen wollten. Justizdirektorin Sabine Pegoraro zog ein positives Fazit der getroffenen Massnahmen. Gegner kritisierten die Unverhältnismässigkeit und die hohen Kosten des Polizeieinsatzes. (bz) Seite 51

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Polizei und Regen reduzieren Harassenlauf

 Aus Protest nehmen ein paar Hundert Biertrinker trotz Verbot am Harassenlauf teil. Friedlich spazieren sie auf einer anderen Route

 Ein Armeehelikopter kreist über Reinach und Münchenstein. Über hundert Polizisten bewachen in kleine Gruppen aufgeteilt die Eingänge zur Reinacher Heide. Sie tragen die gewöhnliche Baselbieter Uniform, keine Kampfmontur. Wie viel Verstärkung im Hintergrund wartet, hält die Polizei geheim.

 Im Vorfeld wurde die Befürchtung laut, das Grossaufgebot könnte Krawalle provozieren. Doch Sabine Pegoraro hat dies nicht den Schlaf geraubt. "Ich habe gut geschlafen", erklärt die Baselbieter Sicherheitsdirektorin gegenüber der "Sonntag bz". Sie fühlt sich sogar besser, je näher der Start des Harassenlaufs rückt. Denn das Wetter ist auf ihrer Seite. Immer wieder giesst es in Strömen.

 Der traditionelle Besammlungsplatz des Harassenlaufs ist praktisch leer. Mitten auf dem Parkplatz beim Reinacher Schwimmbad stehen demonstrativ drei Jugendliche mit Bierflaschen. Als Pegoraro persönlich auf sie zu geht, wird es ihnen zu heiss. Sie zotteln ab. Dafür suchen kurz darauf drei weitere Jugendliche ihre Nähe. Sie stossen mit alkoholfreiem Bier neben ihr an - begleitet von Fernsehkameras und im Blitzlicht der Fotografen. "Jetzt sind wir endlich prominent!", lacht eine junge Frau. Pegoraro lacht ebenfalls herzhaft. Die Stimmung ist locker. Gegen ein paar Biertrinker habe sie nichts, sagt Pegoraro. Nur die Dimensionen der letzten Jahre soll der Harassenlauf nicht mehr erreichen.

 Trotz Regen, viel Polizei und angedrohter Bussen nehmen ein paar Hundert Jugendliche den 17.Harassenlauf in Angriff. Der Trupp ist aber nicht vergleichbar mit den über tausend Teilnehmer der letzten Jahre. Er startet nicht auf dem Parkplatz, auf dem Pegoraro steht, sondern auf der nahegelegenen Strasse. Anstatt durch die Reinacher Heide spazieren die Harassenläufer dieses Jahr auf Quartierstrassen Richtung Münchenstein. Bis Redaktionsschluss dieser Seite bleibt der Harassenlauf friedlich und hinterlässt kaum Abfall. Nach 17 Uhr beginnt sich der Anlass allmählich aufzulösen.

 Das Grossaufgebot der Polizei erntet viel Spott. Die Messerstecherei des letzten Jahres wird von den angesprochenen Jugendlichen einhellig verurteilt. Doch auch an der Fasnacht oder an der Streetparade komme es am Rande zu Ausschreitungen. "Werden diese Anlässe deswegen verboten?", wundert sich ein junger Mann. Auch Pegoraros Parteikollege Siro Imber zeigt sich verständnislos. "Armeeheli gegen Harassenlauf! Wirklich krank", teilt der FDP-Landrat der Facebook-Gemeinschaft via iPhone mit.

 Andreas Maurer

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1. MAI LAUSANNE
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La Liberté 3.5.10

Des autonomes squattent le PS vaudois

 1er mai - A Lausanne, quelques manifestants ont occupé le siège du PS, faute d'avoir pris celui du POP. Ils ont eu une vive confrontation avec le municipal Marc Vuilleumier et une brochette de personnalités socialistes.

 Jérôme Cachin

 La fête du 1er Mai battait son plein au Casino de Montbenon samedi soir. Mais à la Maison du peuple, à 300 mètres de là, c'est une scène bien moins joyeuse qui se déroulait. Une quinzaine de manifestants autonomes ont envahi les locaux du Parti socialiste. Cette occupation qui a duré près de deux heures leur a permis d'obtenir un face-à-face avec le municipal de la police Marc Vuillleumier au sujet de leur manif. Une brochette de responsables socialistes participaient aussi à la rencontre. Alertés, les policiers lausannois n'ont pas eu à intervenir. Selon nos observations et les témoignages, aucune violence physique ne s'est produite lors de cette soirée pourtant tendue.

 Il est 20 heures, samedi soir, quand le secrétaire général du Parti socialiste vaudois (PSV) Arnaud Bouverat se trouve seul à son bureau, au premier étage de la Maison du peuple, place Chauderon. "J'étais de passage", précise-t-il. "Je rangeais du matériel du 1er Mai, j'imprimais des affiches pour le PS d'Orbe, auquel j'appartiens." Il ignore encore que quelques participants à la manifestation d'Action autonome sont venus à la Maison du peuple pour occuper les locaux du POP, au troisième étage. Ils veulent rencontrer son seul élu à l'Exécutif lausannois, Marc Vuilleumier. Bredouilles devant la porte verrouillée, les autonomes vont vite constater qu'au premier étage, le siège du PS est ouvert. Ils s'y installent.

 Le frigo est pillé

 Le secrétaire général du PSV parvient à canaliser dans la salle de réunion la quinzaine de personnes, vraisemblablement âgées de 18 à 25 ans. Les drapeaux PSV accrochés à la façade sont enlevés et un fumigène est allumé à la fenêtre. Certains menacent de sprayer de peinture quelques drapeaux stockés à l'intérieur, mais il les met à l'abri. Une cornière d'angle est arrachée d'un mur. Tandis que le frigo est pillé, le secrétaire téléphone à la présidente du PSV, Cesla Amarelle, qui relaie le message. Quelques minutes plus tard, les élus popiste David Payot et Alain Hubler, puis Cesla Amarelle, la conseillère aux Etats Géraldine Savary, le chef du groupe parlementaire Grégoire Junod, la présidente du PS lausannois Rebecca Ruiz et son secrétaire Benoît Gaillard accourent au siège du parti à la rose.

 Tout ce petit monde attend Marc Vuilleumier. Les occupants, dont certains étaient déjà alcoolisés en arrivant, vident des bouteilles de vin et de bières et se font des cafés. Un autonome fait mine de vouloir uriner sur la moquette, mais il en est dissuadé.

 Les socialistes et les popistes sont dénigrés par les autonomes. Malgré des négociations, ces derniers refusent de rencontrer Marc Vuilleumier ailleurs. Vers 21 h 15, l'arrivée du municipal popiste de la police calme les esprits. Il est tout de suite question de la manifestation d'Action autonome partie de la place de Milan. La discussion devient vite répétitive et des éclats de voix résonnent dans le couloir.

 Cortège "toléré"

 Face à Marc Vuilleumier, les autonomes se plaignent d'avoir vu les rues barrées par les policiers anti-émeute aux abords inférieurs de la Gare. Le municipal rappelle que le cortège - ni autorisé, ni interdit, mais "toléré" par la municipalité - ne devait pas franchir les lignes CFF. Les manifestants se sentent trahis, affirmant qu'ils n'en savaient rien et que l'attitude de la police est "une déclaration de guerre".

 Lors des préparatifs, un membre du comité officiel du 1er Mai, œuvrant comme messager entre les autonomes et Marc Vuilleumier, aurait-il mal transmis les informations? Le plus sérieusement du monde, les autonomes se plaignent aussi d'avoir été repoussés par la police, après des jets de projectiles. Pas moins fâchés qu'à leur arrivée, ils quittent le siège du PSV vers 22 h 15. I

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 Manif pour Skander Vogt

 Une nouvelle manifestation devrait se dérouler à Lausanne jeudi soir. Dans un tract non signé, un rassemblement est fixé à 19h30 à la place Saint-François. Le texte rappelle les dernières heures de Skander Vogt, mort dans sa cellule de Bochuz, le 11 mars. Il décrit sa mort comme le résultat d'un "assassinat" et se conclut par cette phrase: "Vérité pour Skander Vogt, les anarchistes n'oublient pas!" JC

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Un petit défilé officiel et tranquille à Lausanne

 Antonino Galofaro

 "S'ils veulent démonter les assurances sociales, ils auront la grève générale!" Plus de 300 manifestants ont scandé ce slogan et d'autres dans les rues de Lausanne samedi en fin d'après-midi. Réunis à 16 h 30 devant le Tribunal fédéral, ils sont partis en direction de Montbenon. Tranquillement, ils enfilent les places Saint-François, Bel-Air et Chauderon. Pour terminer leur course sur l'esplanade de Montbenon. Sous un ciel gris et lourd, le défilé est passé de justesse entre les gouttes.

 Larry Sarrasin, étudiant en gestion de 22 ans et popiste, était en bonne ligne dans le cortège: "Cette journée sert à sensibiliser la population aux questions sociales, à leur rappeler nos acquis sociaux. Mais je regrette que les jeunes ne s'intéressent pas plus à ces problématiques."

 Individuellement, très peu de socialistes ont défilé. La présence la plus remarquée a été celle du municipal Oscar Tosato. Les bannières du Parti socialiste lausannois (PSL) et d'UNIA étaient absentes. Suite à un conflit au sein du comité d'organisation, les roses et le principal syndicat ont décidé de se retirer de l'organisation. Une première à Lausanne, de mémoire de militant. Le 1er Mai 2009 n'avait déjà pas été rose pour les socialistes. Quelques manifestants avaient tenté d'empêcher le conseiller d'Etat vaudois Pierre-Yves Maillard de tenir son discours. Cette année, sur son stand place Saint-Laurent, jusqu'en milieu d'après-midi, le PSL vendait des raclettes à 5 francs et récoltait des signatures pour diverses initiatives.

 Retour au 1er Mai officiel. Dans la salle des fêtes du Casino de Montbenon, se succèdent au micro Asunta Salvatierra, du Mouvement des paysans sans terre, un représentant de la communauté du Kurdistan, un ancien employé de Bobst licencié récemment, et Valentina, une Colombienne sans papiers. Elle a défendu l'initiative de la ville de Lausanne en faveur des apprentis sans papiers: "Si la proposition est sérieuse, il faut maintenant parler de la régularisation de ces apprentis", lance-t-elle en faisant l'unanimité.

 Avant de passer à la fête multiculturelle, les organisateurs ont aussi eu une petite pensée pour "les camarades autonomes, qui doivent être libérés sur-le-champ." Le groupe Action autonome s'était donné rendez-vous à 15 h sur la place de Milan pour son propre cortège. Capuches et fouloirs noir et rouge étaient de la partie. Vers 16 h et armés de banderoles comme "Le capitalisme est une erreur" ou "Nous sommes la rage vivante d'une planète mourante", la centaine d'autonomes avaient démarré. Une soixantaine de policiers anti-émeutes avaient bloqué les passages sous-gare. Forcés de descendre l'avenue d'Ouchy, les autonomes avaient été maintenus sur la place de la Navigation, avant de se disséminer. Le métro avait été fermé jusqu'à la gare. Plus d'une cinquantaine de personnes ont été interpellées, contrôlées, puis relâchées.

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24 Heures 3.5.10

Un 1er   Mai contre les banquiers

 Malgré la pluie, des milliers de manifestants se sont réunis samedi en Suisse à l'occasion de la Fête du travail. Dans l'œil de mire des participants: les bonus et les grandes banques. Des heurts entre la police et des anarchistes ont éclaté à Zurich et à Bâle.

 Tout avait pourtant bien commencé sur les bords de la Limmat. Quelque 8000 personnes ont participé dans le calme au défilé. C'est une fois la partie officielle terminée que les heurts ont débuté. Quelque 300 individus encagoulés ont commencé à provoquer la police. Cette dernière a fait usage de canons à eau et de balles en caoutchouc. Elle a interpellé 353 personnes, dont quatorze se trouvaient toujours en détention hier matin. La manifestation a également dégénéré à Bâle, où quelque 120 manifestants ont causé de gros dégâts. La police a procédé à quinze arrestations.

 Ailleurs en Suisse, les défilés se sont déroulés dans le calme. Lausanne a quelque peu tremblé lorsqu'une centaine de jeunes autonomes ont voulu rejoindre le cortège officiel. Les policiers antiémeute se sont déployés pour les confiner au sud de la ville. Le cortège officiel a réuni entre 350 et 500 personnes.

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La manif - alternative matée par la police

Pascale Burnier

 1ER   MAI - Samedi, une centaine de jeunes autonomes ont défié les forces de police dans le sud de la ville et causé quelques dégâts. Pendant ce temps, la manifestation officielle a sillonné les rues de Lausanne sans heurt.

 PASCALE BURNIER TEXTE CHRIS BLASER PHOTOS

 Une frayeur de courte durée. Samedi, 16 h. La manifestation non officielle du groupe Action autonome se met en marche au parc de Milan. Une banderole donne le ton: "Nous sommes la rage vivante d'une planète mourante. " Une camionnette diffuse de la musique pendant qu'une centaine de jeunes commencent à scander leurs slogans. "Hors de la logique des partis et des syndicats!" Suivi d'un"Revolution"à l'anglaise. Le Grand Conseil a eu beau interdire le port de cagoules lors de manifestation, plusieurs dizaines de jeunes avancent masqués.

 Les autonomes ont refusé de participer au défilé officiel qui doit débuter vers 16 h 30 au centre-ville. A leur arrivée sous le pont de la gare, un cordon de policiers antiémeute bloque le cortège. La police a pour mission de ne pas les laisser rejoindre la manifestation officielle, comme le confirmera un communiqué.

 Insultes et jets de pierres

 Face aux forces de l'ordre, les esprits s'échauffent. Des"puta polizia"sont lancés. Quelques cailloux volent en direction du barrage de police. Le défilé dévie son parcours mais, à chaque ruelle, les forces de l'ordre sont là. Un petit jeu du chat et de la souris contraint les manifestants à descendre l'avenue d'Ouchy.

 La tension monte d'un cran. Des containers sont projetés contre des voitures. Des cannettes de bière volent. La vitrine d'un commerce est brisée. Arrivés devant le Château d'Ouchy, les autonomes sont encerclés. Dernier sursaut de résistance, une grande partie des manifestants prend la fuite entre deux ruelles du bord du lac. Avant de tomber aux mains de la police. Entre deux, le métro a été interrompu pour des raisons de sécurité.

 Plus de cinquante personnes sont interpellées pour un contrôle d'identité. La police embarque quatre manifestants au poste, qu'elle relâchera en fin d'après-midi.

 Défilé officiel bon enfant

 Toute autre ambiance du côté de la manifestation officielle. Entre 350 et 500 personnes défilent dans le calme du Tribunal fédéral jusqu'au parc de Montbenon. Une trentaine de militants assurent un service d'ordre interne. Seule une petite action contre le restaurant Manora est menée. Quelques affiches pour dénoncer le licenciement d'une déléguée syndicale à Manor.

 Entre revendications et fête populaires, le cortège rassemble des associations de communautés étrangères, le syndicat SUD(ndlr: fédération syndicale des services publics du canton de Vaud)ou encore celui des Transports lausannois. Un défilé bon enfant, pourtant sous le signe de la scission. Le Parti socialiste et certains grands syndicats ont boudé le cortège. Du jamais-vu jusqu'à ce samedi. En désaccord sur les questions de sécurité de la manifestation, les roses, Unia, et d'autres syndicats ont préféré tenir des stands en ville.

 En 2009, le 1er   Mai avait eu son lot de remous. Des membres de milieux alternatifs avaient empêché Pierre-Yves Maillard de faire son discours. •

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 Oscar Tosato, un "rebelle" socialiste dans le cortège officiel
 
Medhi-Stéphane Prin

 Boycotté par les socialistes pour mésentente avec les organisateurs, le cortège officiel du 1er   Mai s'est pourtant offert uneguest starrose. Directeur lausannois de l'Enfance et de la Jeunesse, Oscar Tosato a bravé la pluie et son parti. Pourtant, les socialistes avaient notamment claqué la porte de leur manifestation parce que leurs municipaux s'étaient vu interdire de discours(24 heuresde vendredi). "Je suis là pour écouter et soutenir les travailleurs. Je participe au 1er   Mai par conviction personnelle, par fidélité à mes idées. Un municipal doit aussi savoir être à l'écoute des revendications de manifestants, même si je peux être durement pris à partie. " Le magistrat a réussi à séduire largement l'extrême gauche et les milieux alternatifs, à moins d'une année des élections communales de mars 2011.

 Oscar Tosato devient du même coup l'événement politique de ce premier cortège historique du 1er   Mai, sans la présence officielle des socialistes et des principaux syndicats. L'homme aux scores électoraux canon marque surtout des points dans sa campagne pour devenir un jour le successeur de Daniel Brélaz à la tête de Lausanne. La gauche de la gauche ne fait peut-êtrepas un syndic, mais le municipaldes Ecoles vient certainement de s'offrir sa bienveillance. Ce n'était cependant pas le seul ténor socialiste à avoir bravé la position de son parti. Le député Jean Christophe Schwaab s'était également glissé parmi les 500 manifestants. "J'attends vraiment des explications pour comprendre cette situation surréaliste. " Une perplexité partagée par plusieurs Verts goguenards. Pour la première fois, les écologistes étaient plus nombreux que les roses.

 Le défilé officiel du 1er   Mai 2010 a beau s'être déroulé sans dégâts, il n'a pas fini de faire des remous au sein des socialistes. D'autant plus que le nombre de manifestants n'a pas vraiment souffert de la défection du premier parti de la gauche vaudoise. M. -S. P.

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1. MAI BERLIN
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NZZ 3.5.10

Berlins Linke blockieren erfolgreich die Neonazis

 Grosseinsatz der Polizei gegen randalierende Autonome in Kreuzberg

 In Berlin haben linke Aktivisten eine bewilligte Kundgebung von Neonazis blockiert. Das Bürgertum zeigte sich praktisch nicht. In Kreuzberg kam es wieder zu gewalttätigen Ausschreitungen.

 Ulrich Schmid, Berlin

 Warten auf die Nazis. Bei der S-Bahn-Station Bornholmer Strasse haben sich schon um elf Uhr morgens etwa 3000 überwiegend linke Gegendemonstranten versammelt, und jedes Mal, wenn sich ein Zug nähert, recken sich Hälse: Kommen sie? Sie kommen nicht, nicht bis halb zwei, und schon macht sich etwas Enttäuschung breit. Natürlich wäre es schön, wenn die braunen Horden aufgeben und ihren Marsch abblasen müssten - aber ehrlich: Wäre es nicht auch schön, ihnen den Marsch zu blasen? Wozu ist man gekommen?

 Friedliche Stimmung

 Man sitzt herum, plaudert, raucht ein Pfeifchen. Frauen sind gut vertreten, bei den Demonstranten wie bei den Polizisten. Eine rothaarige junge Demonstrantin klebt mit buchhalterischer Sorgfalt Zettel, der eine - "Folgt eurem Führer, gebt euch die Kugel" - leuchtet ein, über den zweiten - "Lieber antifaschistische Schutzwälle als Faschisten-Aufmärsche" - liesse sich streiten. Viele tragen Kopfhörer, Genuss ist Pflicht. Wolfgang Thierse taucht auf und schaut besorgt, und dann radelt, in duftigem Blauweiss fast wie ein Matrose, der unvermeidliche Hans-Christian Ströbele heran und gibt ein paar Interviews.

 Dann, endlich, kommen sie. Mit markigem Schlachtruf erklimmen die Neonazis die S-Bahn-Treppe, fast alle in Schwarz, die meisten mit Kapuze, Mütze und Sonnenbrille. Brav wie Lämmer lassen sie sich von der Polizei in Kolonnen zur Bornholmer Strasse eskortieren, wo ihr bewilligter Zug beginnen soll. Ein paar zeigen den Umstehenden den Mittelfinger. Frauen sind rar, Nazitum ist Männersache. Kommunikationsversuche schlagen fehl, man glotzt und schweigt und schielt missmutig zu den Mietshäusern herüber, aus denen heraus die Nazis verhöhnt und mit Musik traktiert werden, die sie hassen.

 Marschziel nicht erreicht

 Action gibt es an diesem Tag wenig am Prenzlauer Berg. Die linke Strategie geht auf, die Rechtsextremen werden von etwa 10 000 Gegendemonstranten blockiert. Da die Nazi-Demo bewilligt ist, muss die Polizei einige Demonstranten wegtragen; Thierse, der Bundestags-Vize, kommt den Beamten entgegen und lässt sich hochziehen. Die etwa 500 Neonazis bleiben fast durchweg still, ab und zu nur brechen sie in kleine Sprechchöre aus. Doch wie erbärmlich klingt "Die Strasse frei der deutschen Jugend!", wenn drei, vier Polizisten genügen, um eine Hundertschaft zu stoppen. Immer wieder werden die Nazis blockiert. Schliesslich geben sie auf und ziehen sich zur S-Bahn zurück. Eine klare Niederlage.

 Das wirklich Bemerkenswerte an diesem Anlass war allerdings nicht das Ausbleiben der Gewalt, sondern das Ausbleiben der Bürgerlichen. Sicher, es gab Aufrufe von Ortsverbänden. Der Landesvorsitzende der FDP in Berlin Löning sagte, man müsse klarmachen, "dass wir mit Neonazis nichts zu tun haben wollen", und viele Unionsmitglieder äusserten sich ähnlich.

 Tatsache aber bleibt, dass Bürgerliche bei der Gegendemonstration kaum zu sehen waren. Natürlich irrte da der eine oder andere ältere Professor herum, unsicher und linkisch in der fremden Umgebung, und manifestierte tapfer seine Abscheu. Aber wo waren die Fahnen der Jungen Union, der Jungliberalen? Anders als in Dresden im Februar, als eine breite Front der Bürgergesellschaft die Nazis beschämte, blieb diese Arbeit in Berlin Linken, Grünen, Sozialdemokraten, den Gewerkschaften und munteren Heeren der Alternativen überlassen. Berlins Bürgerliche, im Senat schon lange nicht mehr vertreten, waren sich zu fein, um ihre Villen in Dahlem, Zehlendorf und Steglitz zu verlassen.

 Auch wenn man die Spezifika der "alternativen" Stadt Berlin in Rechnung stellt, ist das bedenklich, nicht nur in staatsbürgerlicher Hinsicht, sondern auch, weil es den absurden, aber in der linken Szene gerne geäusserten Verdacht einer bürgerlich-rechtsextremen Konspiration nährt. Auch wirkte bürgerlicher Protest gegen die linksautonomen Gewalttäter um einiges glaubwürdiger, wenn man sich auch Nazis in den Weg stellte. Am Samstagabend kam es in Kreuzberg wieder zu den obligaten Strassenschlachten, und wieder war zu beobachten, wie unbehelligt und mit welch fast religiösem Entzücken linksautonome Gewaltbereite die "Bullen" bei solchen Anlässen jeweils angreifen. Dass linke Gewalt stark zugenommen hat, ist bekannt; Familienministerin Schröder ist das Regierungsmitglied, das am eindringlichsten vor dieser Entwicklung warnt.

 Öde Rituale der Gewalt

 Die öden Rituale "spielerischer" Provokation waren an dieser Maifeier nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Städten zu beobachten. Vor allem im erzbürgerlichen Hamburg gab es wieder linke Randale; die Appelle der schwarz-grünen Regierung der Hansestadt fruchteten ebenso wenig wie die des rot-roten Senats in Berlin. Die Exzesse dumpfer Toren sind eine durch die Tagespolitik kaum mehr beeinflussbare "Normalität" geworden. Fassbare Inhalte werden dabei nicht vermittelt, es geht nur um Fun und Action. Dass die Polizei dieses Jahr - widerwillig, denn an sich sollte ja dies die Normalität sein - von einem vergleichsweise friedlichen 1. Mai sprechen konnte, ist deshalb schierer Zufall: Nächstes Jahr kann es schon wieder ganz anders kommen.

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 Krawalle in Hamburg
 (ddp)

 (ddp) ⋅ Bei schweren Ausschreitungen im Hamburger Schanzenviertel sind nach Angaben der Behörden am Wochenende insgesamt 28 Polizisten und ein Feuerwehrmann verletzt worden. 13 Geschäfte seien bei den Krawallen zwischen dem 30. April und dem 2. Mai zum Teil schwer beschädigt und Fahrzeuge in Brand gesteckt worden, erklärte der Innensenator Christoph Ahlhaus am Sonntag in Hamburg. Überwiegend hätten gewaltorientierte Jugendliche randaliert. Vorwürfe, es seien in der Hansestadt zu wenige Polizisten im Einsatz gewesen, wies Ahlhaus zurück.

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linksunten.indymedia.org 2.5.10

Neonazistisches Kesseltreiben am 1. Mai

Verfasst von: Recherche Nord. Verfasst am: 02.05.2010 - 18:14. Geschehen am: Samstag, 01. Mai 2010.

Die im Vorfeld angekündigten Großaufmärsche von Neonazis blieben aus. Zu Tausenden wollten sie anlässlich des 1. Mais 2010 in mehreren Großstädten auf die Straße gehen. Am Ende kamen nur einige hundert, die sich wiederum mehreren tausend Gegendemonstrant_innen gegenüber sahen. So wurden in Berlin, Zwickau, Erfurt, Rostock, Schweinfurt, Hoyerswerda, Solingen sowie Pirmasens die Aufmarschrouten der Neonazis zeitweise erfolgreich blockiert, sodass die Aufmärsche teilweise nicht wie geplant durchgeführt werden konnten. Die Demonstrationen in Erfurt und Berlin mussten aufgrund der Proteste gar vorzeitig beendet werden.

Die Ankündigungen blieben bis zuletzt optimistisch. Mit bis zu 3000 TeilnehmerInnen sollte es einer der größten Neonaziaufmärsche in der jüngeren Geschichte Berlins werden. Doch am Ende fanden lediglich knapp 900 Neonazis den Weg in die Bundeshauptstadt. Während sich an der Demonstration im Bezirk Prenzlauer Berg letztlich etwa 600 der angereisten Neonazis beteiligten, versammelten sich zeitgleich rund 300 AnhängerInnen im Westteil der Stadt um eine Spontandemonstration auf dem Kurfürstendamm durchzuführen. Polizeikräfte verhinderten dies, indem sie etwa 280 TeilnehmerInnen vorläufig in Gewahrsam nahmen. Allen Beteiligten werde schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen, so der Kommentar eines Polizeisprechers. Zuvor hatten die Neonazis Flaschen auf Polizeikräfte und Gegendemonstrant_innen geworfen. Unter den festgenommenen Neonazis befanden sich ehemalige AktivistInnen des verbotenen "Frontbann 24" und führende NPD-Politiker. So wie beispielsweise Jörg Hähnel, NPD-Bundesvorstandsmitglied sowie ehemaliger Vorsitzender des NPD-Landesverbandes Berlin.

Auch der zentrale Neonazi-Aufmarsch im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg verlief nicht ohne Zwischenfälle. Bereits nach wenigen hundert Metern erklärten die Organisatoren den Aufmarsch für beendet, da mehrere tausend Gegendemonstrant_innen die geplante Route erfolgreich blockierten und ein Weiterkommen der Neonazis somit verhinderten. Am Rande des Demonstrationszuges kam es in der Folge zu gewaltsamen Zwischenfällen. So attackierte der niedersächsische NPD-Aktivist Dieter Riefling einen Pressevertreter mit gezielten Faustschlägen. Das von der Polizeigewerkschaft angekündigte Gewaltszenario brach indes nicht aus. An dem gescheiterten Großaufmarsch beteiligten sich neben Neonazis aus Berlin und Brandenburg vor allem UnterstützerInnen aus Bremen, Hamburg, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Kleinere Delegationen aus den Niederlanden, Spanien, Tschechien, Großbritannien und Italien nahmen ebenfalls an der Zusammenkunft teil.

Ähnlich wie in Berlin scheiterte eine geplante Demonstration der NPD und parteiunabhängiger Neonazis im thüringischen Erfurt letztlich am Widerstand mehrerer hundert Gegendemonstrant_innen. Die Demonstration mit einer ursprünglich auf über acht Kilometer ausgelegten Route wurde nach nur wenigen hundert Metern von der Polizei für beendet erklärt. Auch hier verhinderten Sitzblockaden ein Weiterkommen der rund 400 angereisten Neonazis. Unter ihnen befand sich der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt, welcher gemeinsam mit einer Delegation spanischer Neofaschisten in die thüringische Landeshauptstadt gereist war. Nach dem vorzeitigen Ende des Aufmarsches wurde die angereiste AnhängerInnenschaft der Neonaziszene geschlossen zum Erfurter Hauptbahnhof geleitet. Dort kam es zu gewaltsamen Zwischenfällen nachdem Neonazis  eine Polizeikette durchbrachen und versuchten sich einen Weg durch die Gegendemonstrant_innen zu bahnen. Die Polizei setzte daraufhin Pfefferspray und Schlagstöcke ein.

Im Freistaat Bayern fand während dessen der zentrale Aufmarsch der "Jungen Nationaldemokraten" und des sogenannten "Freien Netzes Süd" statt. Unter dem Motto: "Kapitalismus bedeutet Krieg" versammelten sich etwa 700 Neonazis im bayrischen Schweinfurt. Wie in anderen Städten sahen sich deren AnhängerInnen mit lautstarkem Protest mehrerer tausend Gegendemonstrant_innen konfrontiert. Als Redner auf der Veranstaltung traten Dennis Giemsch (Dortmund), Daniel Knebel (Rodenbach), Jürgen Schwab (Nürnberg), der in Österreich wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung verurteilte Neonazifunktionär Gottfried Küssel (Wien) sowie ein Vertreter der "Partei National Orientierter Schweizer" (PNOS) in Erscheinung. Der  außerdem geplante Aufmarsch in Würzburg fiel indes aus. Zeitgleich marschierten knapp 90 Neonazis durch das rheinland-pfälzische Pirmasens. Polizeikräfte schirmten die angereisten Neonazis von einigen hundert Gegendemonstrant_innen ab. Ursprünglich waren etwa 200 Neonazis in der Stadt erwartet worden. Im nordrhein-westfälischen Solingen spielten sich ähnliche Szenen ab. Etwa 700 Menschen protestierten hier gegen eine Demonstration von rund 30 Neonazis.

Weitere Demonstrationen von Neonazis fanden in den sächsischen Städten Zwickau und Hoyerswerda statt. Doch auch hier regte sich Widerstand. So blockierten in Hoyerswerda Gegner_innen eine Bahnstrecke und verzögerten dadurch die Anreise der rund 400 Neonazis. Im sächsischen Zwickau hatten zunächst etwa 1500 Menschen gegen einen Aufmarsch der NPD demonstriert. Später sorgten Sitzblockaden für eine erhebliche Verspätung des neonazistischen Demonstrationszuges, welcher letztlich ebenfalls etwa 400 TeilnehmerInnen umfasste. Aufgrund der ebenso massiven wie vielfältigen Proteste musste die Demonstrationsroute der Neonazis schließlich geändert werden. Am Rande des Aufzuges attackierten Neonazis Gegendemonstrant_innen mit Flaschenwürfen. Eine weitere Demonstration mit rund 450 TeilnehmerInnen, darunter nahezu die gesamte NPD-Landtagsfraktion, konnte derweil im mecklenburgischen Rostock durchgeführt werden. Weit über 1000 Gegendemonstrant_innen begleiteten auch hier den neonazistischen Aufmarsch.

Insgesamt verbucht die Neonaziszene die diesjährigen Aktivitäten rund um den 1. Mai als Erfolg. Angesichts des zunehmend dezentralen Charakters und des massiven Widerstandes scheint diese Einschätzung jedoch einer zunehmenden Realitätsverzerrung der Neonaziszene zu entspringen.

Bilder aus Berlin
http://recherche-nord.com/cms/index.php?option=com_content&task=view&id=452&Itemid=149

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http://www.1-mai-nazifrei.tk/

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/foto/_bin/index.php/Berliner+Zeitung/triumph_der_linken/1

http://www.youtube.com/results?search_query=youtube+1.+mai+nazifrei+berlin&aq=f

Nazis raus (Nosliw)
http://www.youtube.com/watch?v=7E8kwZInH4U

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GEWALT-DEBATTE SG
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Südostschweiz 4.5.10

"Super, die Polizei rennt mir nach!"

 Gewalttätige Jugendliche sind und haben ein Problem. Dass in Sachen Jugendgewalt Hopfen und Malz nicht verloren sind, führte der anerkannte Fachmann Allan Guggenbühl an der Versammlung der Kantonspolizisten in Jona aus.

 Von Daniel Wagner

 Rapperswil-Jona. - Der von Raphael Kühne geleitete Verband Kantonspolizei St. Gallen (VkapoSG) hielt am Freitag im Stadtsaal des Gasthofes "Kreuz" in Jona die 103. Hauptversammlung ab. Vor den 62 Stimmberechtigten und Gästen aus Politik und Staatsanwaltschaft thematisierten gleich drei hochrangige Persönlichkeiten die Themen Sicherheit und Jugendgewalt.

 Doppelspurigkeiten ausmerzen

 Regierungsrätin Karin Keller-Sutter kam auf die thematisierte Zusammenlegung der Stadt- und Kantonspolizei zu sprechen. Im Hinblick auf Sparbemühungen des Staates sagte die Vorsteherin des Sicherheits- und Justizdepartements: "Ich verstehe nicht, dass sich die Schweiz nach wie vor den Luxus von nebeneinander bestehenden, teils schlecht aufeinander abgestimmten Sicherheitsorganisationen leistet." Doppelspurigkeiten gebe es beispielsweise bei der Zusammenarbeit mit dem Grenzwachtkorps und der Bahnpolizei. Der Steuerfranken werde in diesem Land noch nicht optimal zu Gunsten der Bürgersicherheit eingesetzt.

 Oberst Alfred Schelling, Kommandant der Kantonspolizei St. Gallen, beleuchtete die öffentlich gemachte Aktion "Stopp der Gewalt gegen die Polizei". Gewalt und Drohung gegen Polizei, Strafverfolger und Beamte würden laufend zunehmen. "Das muss Konsequenzen für die Täter haben", betonte er vehement. Toleranz sei hier fehl am Platz

 Sehnsucht nach Gegenspieler

 Über Repression gegenüber gewalttätigen Jugendlichen referierte der gefragte Fachmann Allan Guggenbühl, Leiter und Gründer des Instituts für Konfliktmanagement und Mythodrama. Er beleuchtete in seinen packenden, lebensnahen und von einer Prise Humor geprägten Ausführungen die Denkweise der Jugendlichen. Er gab wertvolle Inputs zuhanden der Polizeikräfte weiter, welche mit randalierenden Jugendlichen konfrontiert werden.

 "Jugendgewalt ist nicht etwa ein neues Phänomen", betonte der Referent. "Diese gab es bereits im Mittelalter." Dass die allgegenwärtige Jugendgewalt ernst zu nehmen ist, weiss Guggenbühl nur zu gut. Er beleuchtete die Vielfalt der Erscheinungsbilder (Bandengewalt, Streiche, einzelne Vorfälle). Da sei beispielsweise die Sehnsucht der Jugend nach einem Gegenspieler. "Super, die Polizei rennt mir nach!" Diese Schilderung liess so manchen im Saal schmunzeln. "Der öffentliche Raum wird zur Wildbahn, die Gewalt zum Initiationsakt, die Nacht auf der Hauptwache zur Heldentat."

 "Jugendliche haben durchaus das Verlangen nach Auseinandersetzung. Dabei sind Respekt, Ehre und Gesprächskultur wichtig." Als erstes werde der fehlbare junge Delinquent in der Therapie als Täter angeschaut, all seinen Ausflüchten und Verteidigungsversuchen zum Trotz. Interessanterweise stehe die Polizei auch als Projektionsträger da. "Fehlbare junge Menschen sind von der Polizei fasziniert und äussern nicht selten diesen Berufswunsch", so Guggenbühl. Seinen Zahlen zufolge stirbt die Hoffnung zuletzt: "In sieben bis acht Fällen gelingt es, strafbare Jugendliche wieder auf die richtige Bahn zu bringen."

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NEONAZIS
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NLZ 4.5.10

Triengen

 Hakenkreuz-Schmierereien an orthodoxer Kirche

Jan Flückiger

 Die mazedonisch-orthodoxe Kirche in Triengen wurde mit Nazi-Symbolen versprayt. Steckt eine nationalistische Gruppe dahinter?

 Hakenkreuze und Zahlensymbole, die von rechtsextremen Gruppierungen verwendet werden: Solche Schmierereien entdeckte ein Mitglied der neuen mazedonisch-orthodoxen Kirche in Triengen am Sonntagmorgen - und schaltete die Polizei ein. Die Sprayereien an der Fassade in roter und blauer Farbe deuten auf rassistischen Hintergrund hin. Die Zahlenkombinationen "88" ("Heil Hitler") und "848" ("Heil Dir Helvetia") verwenden rechtsextreme Kreise, zum Beispiel die "Bruderschaft 848". Auf deren Homepage wirbt sie mit dem Slogan "Wir sind der nationale Widerstand, wir sind das Volk."

 Die Täterschaft, die auch eine elektronische Vorrichtung zur Fensteröffnung demolierte, ist gemäss gestriger Polizeimitteilung noch unbekannt. "Wir ermitteln in alle Richtungen", sagt der Sprecher der Strafuntersuchungsbehörden, Simon Kopp. Die Polizei sucht Zeugen (siehe Hinweis).

 "Erschüttert und enttäuscht"

 Der Gemeindepräsident von Triengen, Georg Dubach, ist "erschüttert und enttäuscht". Es habe noch nie Probleme gegeben mit den Mazedonisch-Orthodoxen. Deren Mitglieder seien sehr zuvorkommend. Auch aus der Bevölkerung habe er bisher keine negativen Reaktionen gespürt. Dubach vermutet hinter den Schmierereien eher einen Zusammenhang mit anderen Vandalenakten an den Dorfeingängen vom 1. Mai. "Sollte der Hintergrund tatsächlich rassistisch sein, wäre das völlig neu für die Region."

 Die neue Trienger Kirche ist die einzige mazedonisch-orthodoxe in der Deutschschweiz und noch gar nicht offiziell eingeweiht. Die Gottesdienste finden bis zur Fertigstellung im Zelt nebenan statt.

 Anzeige erstattet

 Vorläufig steht laut Simon Kopp lediglich Sachbeschädigung als Tatbestand fest. Die Kirchgemeinde hat Anzeige erstattet. Falls die Tat tatsächlich rassistische Motive hat, könnte auch ein Verstoss gegen die Rassismus-Strafnorm vorliegen.

 Wie die Gemeinde Triengen weiter vorgehen wird, ist noch unklar. "Ob es besondere Massnahmen braucht, wird sich zeigen. Die Kirchgemeinde kann aber auf unsere Unterstützung zählen", verspricht Gemeindepräsident Georg Dubach. Bei der mazedonisch-orthodoxen Gemeinde war gestern niemand erreichbar.

 Hinweis: Telefon Luzerner Polizei: 041 248 81 17.

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Basler Zeitung 3.5.10

Hakenkreuze auf Moschee geschmiert

 Rheinfelden (D). In der Nacht auf Sonntag, zwischen 22.30 und 05.00 Uhr, haben Unbekannte Hakenkreuze auf mehrere Wände der Moschee in Rheinfelden, Schafmatt, gesprüht. Ausserdem haben die Täter drei Fenster mit Steinen eingeschlagen. Die Polizei berichtet zudem vom Schriftzug "Sieg", der an einer Hauswand angebracht worden sei. Die Kriminalpolizei Lörrach hat den Fall übernommen. Der entstandene Sachschaden ist noch nicht bekannt.

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UELI MAURER
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Indymedia 4.5.10

6. Mai: Protest gegen Ueli Maurer an Uni ZH! ::

AutorIn : Uni von Unten         

Protestkundgebung von Uni von Unten anlässlich Ueli Maurers Besuch an der Uni

UELI MAURER AN DER UNI - GAHT'S EIGENTLICH NO?

Donnerstag, 6. Mai
17:30 Uhr
Haupteingang Uni-Zentrum Zürich     

UELI MAURER AN DER UNI - GAHT'S EIGENTLICH NO?

Dass die Uni ein Ort ist der freien Debatte, wo sich das bessere Argument durchsetzt, ist nach wie vor eitel Wunschdenken. Hier wird auch immer Wissenspolitik betrieben und ideologischer Konsens hergestellt. Im Zweifelsfall zählen an der Uni die Argumente der Macht, nicht die Macht der Argumente. Ein krasses Beispiel dafür ist das Schweizerische Institut für Auslandforschung (SIAF), welches direkt von der Privatwirtschaft bezahlt wird und unter Vorgaukelung von Wissenschaftlichkeit allerlei Grossunternehmern und rechtsbürgerlichen Politikern die Möglichkeit bietet, im akademischen Dekor Selbstbeweihräucherung und grossspurige Propaganda zu betreiben. Der aktuelle Stargast des SIAF ist kein Geringerer als Verteidigungsminister Ueli Maurer. Ueli Maurer sieht zwar drollig aus und gibt auch gerne den gmögigen Onkel, seine Politik indessen ist alles andere als gemütlich: Ob er nun die Kriegsmobilmachung von 1939 abfeiert (statt z.B. das Ende des Krieges), staatliche Zuschüsse für die Rüstungslobby absegnet oder über die "beste Armee der Welt" fabuliert, Maurer lässt keinen Zweifel an seinen Absichten aufkommen. Am 6. Mai darf er sich an der Uni über Sicherheitspolitik ausbreiten. Worum es dabei gehen wird, dürfte klar sein: Die Verschärfung der globalen Krise, Ressourcenknappheit und andere drängende soziale Probleme werden zu einer sicherheitspolitischen Frage umdefniert, welche militärische Antworten verlangt. Oberbuhmann und Hauptbedrohung ist da natürlich der Islamismus, der die Begründung hergeben soll für eine verstärkte Bewaffnung gegen innen und aussen.
Wir wollen nicht einfach zuschauen, wenn an der Uni Werbung gemacht wird für militärisches Krisenmanagement. Keine SVP-Politiker an der Uni.

Keine Plattform für Ueli Maurer. Kommt alle zur Protestkundgebung

Datum: 06. Mai
Uhrzeit: 17:30
Ort: Haupteingang Unizentrum

http://www.unsereunizh.ch/Veranstaltungen/view/Date/20100506/viewtype/details/eid/85

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ANTI-ATOM
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Langenthaler Tagblatt 3.5.10

Bund blickt weiter auf den Jurasüdfuss

Atom-Endlager Gemeinden liessen sich in Aarau orientieren - ein Gegengutachten wurde vorgestellt

 Gut 70 Behördenvertreter aus dem Niederamt und dem Raum Aarau waren in Aarau erschienen, um sich über ein mögliches Endlager am Jurasüdfuss informieren zu lassen. Fazit: Obwohl nicht die "Nummer eins", ist die Region nach wie vor im Rennen.

Beat Wyttenbach

 Die "Plattform Jurasüdfuss", Brückenbauerin zwischen Gemeinde- und Bundesbehörden, hatte die Vertreter der 50 sich im Planungsperimeter befindlichen Gemeinden nach Aarau eingeladen, um über den neusten Stand der Dinge bezüglich eines möglichen Endlager-Standorts Jurasüdfuss zu informieren; anwesend waren zudem diverse Spezialisten der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) und des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (ENSI). ENSI-Chemieexperte Hans Wanner erläuterte die Beurteilungskriterien, die Nagra und ENSI bezüglich des Standorts Jurasüdfuss vorgenommen hatten. Das ENSI, das insgesamt die Kriterien etwas schärfer begutachtete als die Nagra, hatte festgehalten, dass die Eigenschaften des Opalinustons und der Effinger Schichten als Wirtegesteine günstig seien und dass "eine optimale Anordnung der Lagerkavernen möglich" sei. Ebenfalls günstig sei die Langzeitstabilität des Untergrundes. Weniger günstig sei das Verhalten der Wirtegesteine in Bezug "auf den Aufbau von erhöhten Gasdrücken durch Metallkorrosion" der gelagerten Behälter sowie in Bezug "auf die Auflockerungszone im Nahbereich der Untertagebauten". Ferner weise die Umgebung "ein gewisses Potenzial zur Nutzung von Geothermie" auf, wodurch es "zu Nutzungskonflikten kommen könnte".

 "Tektonisch komplexe Zone"

 Als ebenfalls nur bedingt günstig werten Nagra wie ENSI die bautechnische Eignung aufgrund erschwerter Bedingungen für die untertägige Erschliessung und die Wasserhaltung. Es sei anspruchsvoll, einen solchen Tunnel zu bauen, hielt Wanner fest, und er gab zu, dass der Wellenberg und die Region Jurasüdfuss in mehreren Bereichen ungünstigere Bewertungen erfahren hätten als die übrigen vier zur Diskussion stehenden Standorte. Detailliertere Aussagen könne er aber nicht machen; die Vor- und Nachteile würden erst in Phase 2 abgewogen, die im kommenden Jahr beginnt. Dass sich die Region Jurasüdfuss für ein Endlager nur bedingt eignet, war auch den Ausführungen von Martin Herfort zu entnehmen. Der Fachexperte Sektion Geologie beim ENSI zeigte auf, dass es sich beim Gebiet um eine "tektonisch komplexe Zone" handle, deren Grenzen weitgehend durch Bruchstrukturen vorgezeichnet seien. Zudem sei die Lagerung der Schichten weniger gleichmässig - sprich: schräger - als in anderen Gebieten. Er zeigte dabei klar die Unterschiede der beiden möglichen Standorte auf: des opalinustonhaltigen Bereichs im Raum Winznau-Obergösgen-Däniken und der Effinger Schichten im Raum Gretzenbach-Entfelden-Kölliken.

 "Jurasüdfuss zu wenig erforscht"

 Mark Eberhard, Geologe und Fachexperte der Plattform Jurasüdfuss, stellte quasi ein "Gegengutachten" zu jenem des ENSI vor. In diesem hielt er fest, dass die tektonischen Verhältnisse im Bereich Jurasüdfuss noch weitgehend unbekannt seien. Antiklinale Öl- und Gasaustritte in den Molasseschichten entlang der Störzonen wiesen auf eine "starke tektonische Beanspruchung" der Region hin. Insgesamt sei die geologische Untersuchungsbasis des Gebiets als "zu dürftig" zu bezeichnen, und ein Vergleich mit den anderen Standorten sei "aufgrund der unterschiedlichen Untersuchungsbasis nicht möglich". Wanner bemerkte dazu lediglich, dass die Region Jura-südfuss aufgrund des ENSI-Gutachtens die Kriterien für ein Endlager weiterhin erfülle. Daraufhin wurde er von Eberhard hart angegangen. Er könne doch zugeben, dass mit diesem Gutachten das Gebiet Jurasüdfuss als Endlager-Standort vom Tisch sei. Doch Wanner weigerte sich, entsprechende Bemerkungen zu machen.

 Auch beim Apéro wurde klar: Zwar scheint die Region Jurasüdfuss aus geologischen und bautechnischen Gründen nicht erste Wahl zu sein. Doch man traut dem Frieden nicht und glaubt sich noch nicht aus der Schusslinie. "In Phase 2 gelten andere Kriterien", meinte etwa Markus von Arx, Gemeindepräsident von Erlinsbach SO, vielsagend. Eines dieser Kriterien könnte beispielsweise die politische Akzeptanz sein. Wie hoch diese im Niederamt und im Raum Aarau ist, dürfte das nun einsetzende Mitwirkungsverfahren an den Tag legen. Doch besteht die Möglichkeit, dass ein Endlager einst dort zu stehen kommt, wo der Widerstand am geringsten ist.