MEDIENSPIEGEL 8.5.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo)
- Centralweg Lorraine: Brachland ahoi
- Stadttauben: Leistpräsi verprügelt
- Ausstellung "Kein Kind ist illegal"
- Demos Lausanne: Polizeibilanz
- Buchtipp: Italien und der Faschismus
- Verschwörung: WAC und die Grünen; Paninibilder
- Blanchoismus: MuslimInnen gegen KonvertitInnen
- Anti-Atom: SP Zurzach gegen Beznau-Ersatz

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REITSCHULE
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Sa 08.05.10
19.30 Uhr - Grosse Halle - Frühlings Erwachen, von Ensemble U18 I, Junge Bühne Bern
20.30 Uhr - Tojo - "Kosmose" Butoh-Tanztheater von Cie Elektra.
21.00 Uhr - Kino - Schwarz auf Weiss, Günter Wallraff, Pagonis Pagonakis, Susanne Jäger, Gerhard Schmidt, D 2009
22.00 Uhr - SousLePont - Tobin Taxi (Mundart Ska) & Support: DJ Le Président. LETZTES KONZERT!
23.00 Uhr - Dachstock - Liquid Session: Bungle (Soul:R/BRA), B-Complex (Hospital/SK), Support: TS Zodiac (Liquid Sessions), Rollin John (Liquicity), MC Matt (Vocalbreath), MC Stone (Neurocide)

So 09.05.10
14.00 Uhr - Frauenraum - "Sie kam und blieb" Stube, Vol. 2. Lieder von Krikela (D)
18.00 Uhr - Rössli - DJ Stunti.
18.30 Uhr - Grosse Halle - Frühlings Erwachen, von Ensemble U18 I, Junge Bühne Bern

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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Bund 8.5.10

Tagestipp

"Kosmose"

Odyssee in die Tiefen der Zukunft

Ein Butoh-Tanztheater mit Livemusik präsentiert Cie Elektra aus Lausanne mit "Kosmose". Mit einer "philosophischen Odyssee" erkundet die Truppe die schillernden Tiefen der Zukunft in all ihren Facetten. Dabei setzt die Gruppe rund um Leili Yahr auf hypnotisierende Rhythmen und explosionsartige Entladungen: auf dass die "Kraft des Lebens, durchwoben vom Schatten des Todes", munter weiterfeiern kann.

Tojo Theater in der Reitschule, heute Samstag um 20.30 Uhr.

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CENTRALWEG
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BZ 8.5.10

Lorraine

 Brache am Centralweg

 Das im März von den "Stadttauben" besetzte Gelände in der Lorraine ist bereit für die Bevölkerung. Die Gräben sind zugeschüttet, am Rand wurden Weiden gepflanzt. Ein Grill und ein Sandkasten laden zum Verweilen ein. Bis die Stadt baut, wird das Gelände als Brache genutzt. Eine sogenannte Brachen-Ordnung legt fest, wann und für welchen Zweck sie betretet werden darf. Ein Teil der Parzelle Centralweg 9/9A wird der Velokurier belegen. Sowohl der Verein Läbigi Lorraine wie der Leist stehen hinter dieser Zwischennutzung, wie Martin Beutler ausführt. Er hat das Konzept ausgearbeitet. Die Koordination übernimmt die Quartierarbeit Bern Nord.
 cab

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kulturstattbern.derbund.ch 8.5.10

Von Christian Pauli am Samstag, den 8. Mai 2010, um 07:07 Uhr

Lorraine hat jetzt eine "Brachen-Ordnung"

Aus dem Nordquartier ist eine städtebauliche und quartierpolitische Errungenschaft zu vermelden: Gestern wurde am Centralweg mitten in der Lorraine das "brachland Centralweg" eröffnet. Wir hatten an dieser Stelle verschiedentlich um die Auseinandersetzungen um das leere Areal der ehemaligen Garage Alcadis berichtet. Viele Akteure hatten sich eingeschaltet: Unwillkommene Stadttauben, ein aufgebrachter Leist und ein sich in Szene setzender Stadtpolitiker und ein überhastet reagierender Gemeinderat.

http://newsnetz-blog.ch/kulturstattbern/files/2010/05/IMG_1157-225x300.jpg

Gestern wurde die Brache offiziell eingeweiht. Mit Prix Garantie-Würsten und einer symbolischen Begrünung. Ein berührender Moment: Hansueli Binggeli (rechts im Bild), 85 Jahre alt, seit 1955 in der Lorraine ansässig, setzte ein Pflänzchen. Der Clou: Binggeli ist Mitglied des alt eingesessenen Lorraine-Breitenrain-Leistes, der sich stets grosse Sorgen um Ordnung und Nichtordnung macht und mit alternativen Modellen seine liebe Mühe hat. Gestern aber sind sie alle zusammen gekommen: Junge und Alte, Aktivistinnen und Anwohner, Linke und Rechte, Kind und Kegel. Sie gemeinsam stiessen auf das gute Ende einer zwischenzeitlichen Groteske an. Fürwahr, die Lorraine lebt!

Martin Beutler heisst der Fachmann, der die Spielregeln für den neuen Quartierraum mit den verschiedenen Kontrahenten ausgehandelt hat. Ganz ohne Hilfe von aussen hat die Lorraine das also nicht zu Stande gebracht. Der Kernsatz der Brachen-Ordnung lautet übrigens: "Im Prinzip darf auf brachland Centralweg alles getan werden, was Freude macht und niemanden gefährdet oder massiv stört." Wir können gespannt sein, wie die Bevölkerung auf dieses Experiment einsteigt.

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STADTTAUBEN
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Thuner Tagblatt/BZ 8.5.10

Bümpliz: Besetzer schlug zu

"Stadttaube" verprügelt grundlos einen Nachbarn

 Ein Mitglied der alternativen Wohngruppe "Stadttauben" hat den Bümplizer Leistpräsidenten Martin Reist zusammengeschlagen. Er wurde auch von drei Hunden der Besetzer angegriffen und gebissen.

 Der Bümplizer Nordquartierleist-Präsident Martin Reist wohnt an der Winterholzstrasse in Bümpliz. Seit dem 13.März sind die "Stadttauben", die von der Lorraine hierhergezogen sind, Reists Nachbarn. "Mir geht es nicht darum, die Leute zu kriminalisieren", sagte er, nachdem sich die alternative Wohngruppe "Stadttauben" mit ihren Wohnwagen unerlaubt auf der städtischen Parzelle niedergelassen hatte. "Doch nun musste ich am eigenen Leib erfahren, dass die von Gemeinderätin Barbara Hayoz und Stadtpräsident Alexander Tschäppät als harmlos dargestellten ‹Stadttauben› nicht unproblematisch sind", sagt Reist auf Anfrage.

 Auch Hunde bissen zu

 Am Donnerstag wurde er von einem Mitglied der "Stadttauben" verprügelt, wie dieser Zeitung zugetragen worden ist. "Ich war daran, zu beobachten und bildlich zu dokumentieren, wie ein neuer Wagen auf das besetzte Gelände gezogen wurde", erzählt er. Ohne dass er sich in den Weg gestellt oder etwas gesagt habe, sei der Mann auf ihn zugegangen und habe, ohne das Gespräch zu suchen, sofort zugepackt, geschlagen, und ihn gegen ein Gitter gedrückt. Dann versetzte der Mann ihm noch drei Fusstritte, wie Martin Reist weiter schilderte.

 Plötzlich sei er von drei Hunden der "Stadttauben" angegriffen worden. "Mindestens ein Hund hat kräftig zugebissen und mir blutige Bissverletzungen am Oberschenkel zugefügt", klagt das Opfer.

 Täter festgenommen

 "Dank der Zivilcourage von Mitarbeitern des nahen Interdiscounts, die auf meine Hilfeschreie reagierten, liessen der Täter und die Hunde von mir ab", erzählt Reist. Darauf konnte er in den Interdiscount fliehen und die Polizei alarmieren. Die Polizei sei sehr schnell gekommen und konnte den flüchtenden Täter festnehmen. Polizeisprecher Franz Märki bestätigt den Vorfall. Das Opfer hat Anzeige erstattet.

 Traumatisiertes Opfer

 "Ich musste die Bissverletzungen ärztlich behandeln und mich impfen lassen", sagt Reist. "Was seelisch übrig bleibt, wird man sehen. Es ist nicht lustig, verprügelt zu werden - ich fühle mich traumatisiert." Auf ein e-mail mit Fragen zum Vorgefallenen reagierten die "Stadttauben" gestern Abend nicht. Die Stadt will die Wohngruppe bis Ende Mai auf der Parzelle dulden.

 Jürg Spori

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SANS-PAPIERS
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BZ 8.5.10

Jugendliche Sans-Papiers

 Keine Papiere, aber doch eine Identität

 "Kein Kind ist illegal" heisst die Ausstellung über minderjährige Sans-Papiers. Sie ist bis Juni in der Heiliggeistkirche zu sehen.

 "Kinder leben in einer Welt, die von den grossen Menschen mit Grenzen durchzogen worden ist. Sie haben nicht entscheiden können, diesseits oder jenseits solcher Grenzen zur Welt zu kommen." Diese Sätze stammen aus dem Manifest "Kein Kind ist illegal" und betreffen in der Schweiz mehrere Tausend Minderjährige, die ohne Papiere hier leben und somit für die Behörden inexistent sind. Dank der von der Schweiz ratifizierten UN-Kinderrechtskonvention können sie die Volksschule zwar besuchen, leben aber immer in der Angst, als Kinder ohne Papiere entdeckt zu werden. Eine Berufsausbildung ist gesetzlich nicht erlaubt. In verschiedenen Kantonen sind derzeit Vorstösse hängig, welche den Jugendlichen ohne Papiere eine Berufsausbildung ermöglichen wollen.

 Keine Ferien ohne Papiere

 Kinder und Jugendliche - mit und ohne Aufenthaltsbewilligung - sowie erwachsene Kunstschaffende haben ihre Gedanken zur Situation von Sans-Papiers zu Papier gebracht. "Ich möchte in die Ferien fliegen", schreibt ein Kind ohne Papiere und zeichnet dazu ein dunkelblaues Flugzeug unter hellblauem Himmel. Ein anderes Bild zeigt eine Person in einem roten Mantel mit Schweizerkreuz. Ein schwarzer Fingerabdruck wird zum Gesicht, dazu der Kommentar: "sans papiers, sans visage, mais une identité!" Rund 50 Bilder sind bis Mitte Juni in der Heiliggeistkirche ausgestellt. Auf der Homepage zur Ausstellung erzählen Jugendliche über ihre Situation als Illegale, so beispielsweise Daniela: "Stressig ist es, immer vor der Polizei auf der Hut zu sein. Wir dürfen nicht so viel in die Stadt, weil dies zu gefährlich ist." Dora leidet darunter, nicht so leben zu können wie ihre Kolleginnen: "Am liebsten würde ich mit ihnen Zeit ausserhalb der Schule verbringen, Kleider anschauen, abmachen und am Abend ausgehen." Doch das geht nicht, sie darf auch niemanden mit nach Hause nehmen.

 Hoffnung auf Lehrstellen

 "Kein Kind ist illegal" ist eine Kampagne des Vereins für die Rechte illegalisierter Kinder, ein Zusammenschluss von Sans-Papiers-Organisationen, Gewerkschaften, Hilfswerken und kirchlicher Institutionen. Die Ausstellung in der Heiliggeistkirche wird getragen von der Offenen Kirche. Zur Kampagne gehört auch die Unterschriftensammlung für ein Manifest, welches das Recht auf Bildung und Berufslehre für illegale Kinder und Jugendliche sowie den Stopp der Ausschaffungshaft für Minderjährige fordert. Im Rahmen der Ausstellung berichten am 18. Mai zwei Jugendliche über ihr Leben als Sans-Papiers. Am 2.Juni wird das Manifest den Bundesrätinnen Eveline Widmer-Schlumpf und Doris Leuthard überreicht.
 
Hannah Einhaus

http://www.keinkindistillegal.ch

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LAUSANNE AUTONOME
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La Liberté 8.5.10

Groupes autonomes

 La police fait le bilan de la manif

 La police lausannoise a tiré hier le bilan de la manifestation non autorisée de jeudi soir, place Saint-François (notre édition d'hier). Elle estime que son intervention en force a permis d'éviter des dommages. Quelque 70 personnes ont été contrôlées sur place.

 Le "rassemblement anticarcéral et antirépression" a débuté vers 18 h. Aucune demande d'autorisation n'avait été faite, a précisé hier la police de Lausanne. Dès 18 h 10, la police municipale, aidée de la police cantonale, a dévié la circulation. "De cette façon, les risques liés à une possible confrontation entre les manifestants et les usagers de la route ont été évités", précise le texte. Le nombre de manifestants a culminé à environ 150 personnes vers 19 h, avant de décroître à moins d'une centaine une demi-heure plus tard sous l'effet d'un vent froid, a constaté l'ATS.

 Tout s'est passé dans le calme jusque vers 19 h 30, quand des bouteilles de bière vides ont été lancées en direction de policiers et une vitrine publicitaire brisée dans une rue latérale. "De plus, un homme porteur d'une arme de poing a été repéré dans l'attroupement", poursuit le communiqué.

 Plusieurs dizaines de policiers en tenue antiémeute, accompagnés d'une douzaine de fourgons et de deux camions lance-eau, se sont alors déployés tout autour de la place pour contenir les manifestants sur Saint-François. L'homme armé a été interpellé et conduit au poste de police, où son arme s'est avérée factice. Une fois les manifestants encerclés au milieu de la place, les policiers ont procédé sur place aux contrôles d'identité: sur les 71 personnes contrôlées, 15 étaient mineures, 20 provenaient d'autres cantons. Une vingtaine ont été emmenées au poste pour des vérifications. Toutes ont pu repartir au terme des opérations.

 Soixante-sept personnes seront dénoncées pour différentes infractions au règlement de police, essentiellement pour rassemblement non autorisé. Certains se sont en outre exhibés ou ont uriné sur la voie publique. "Aucun délit pénal n'a été constaté, personne n'était cagoulé", a précisé le porte-parole Jean-Philippe Pittet. ATS

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24 Heures 8.5.10

La police réussit "sa" manifestation

 LAUSANNE - Déployés en grand nombre jeudi soir, les policiers ont vécu leur deuxième manifestation de la semaine. Et une troisième est déjà prévue aujourd'hui.

 Aucun blessé, une septantaine de personnes contrôlées, une autre interpellée pour port d'arme factice… Donné tôt jeudi matin, au lendemain de la manifestation des autonomes sur la place Saint-François, le bilan policier est venu contrecarrer une polémique naissante. Pointé du doigt, l'imposant dispositif mis en place pour encadrer les manifestants. Trop imposant? "La question est légitime, mais on ne savait pas à quoi il fallait nous attendre. Est-ce que les manifestants allaient se déplacer? Quelles étaient leurs réelles intentions? Il était extrêmement difficile de calibrer notre dispositif au plus juste", explique Jean-Philippe Pittet, porte-parole de la police de Lausanne.

 C'est dès 18 h 10 que la police a décidé de dévier la circulation "afin d'éviter les risques d'une confrontation entre les manifestants et les usagers de la route". Elle n'a été rétablie que peu avant 23 h. Les 150 manifestants sont restés sur place durant plus d'une heure trente. Peu après 19 h 30, des bouteilles ont été lancées contre des agents et une vitrine d'exposition a été brisée. Simultanément, les manifestants se sont dispersés. Dès lors, les policiers se sont engagés et les ont contenus sur la place.

 Force est de constater malgré tout que les autonomes ont réussi leur coup: paralyser Lausanne en pleine heure de pointe. Et déjà, on signale une troisième manifestation en l'espace d'une semaine, aujourd'hui à 14 h à Saint-Laurent. En plein carnaval. Un rassemblement annoncé depuis plusieurs jours sur le site internet du groupe autonome, et plus récemment par la Fédérations syndicale SUD, en solidarité avec le peuple grec.
L. A.

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FASCHISMUS
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NZZ 8.5.10

Der herzensgute Massenmörder Mussolini

 Aram Mattiolis Studie über die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis

Franz Haas (FHs)

 Franz Haas ⋅ Wer sich in den letzten zwanzig Jahren viel mit Italien und auch nur ein wenig mit seiner Geschichte befasst hat, der wird in diesem Buch nichts grundlegend Neues finden. Und doch macht es Eindruck, in einer so kompakten Zusammenschau noch einmal das ganze Ausmass des Desasters der politischen Kultur Italiens vorgeführt zu bekommen. Der Luzerner Historiker Aram Mattioli lehrt auch den vermeintlich Eingeweihten noch das Gruseln mit seiner Studie "<Viva Mussolini!> Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis", denn allzu leicht scheint in Vergessenheit zu geraten, was im Bel Paese zunächst schleichend, dann immer unverschämter salonfähig wurde: die Verharmlosung, Verteidigung und Verherrlichung des Duce.

 Land ohne historisches Gedächtnis

 Aram Mattioli ist nicht der Erste, der Italien "ein Land ohne historisches Gedächtnis" nennt, aber seine brillante Studie ist systematisch, mit vielen Quellen belegt, und ihre Übersichtlichkeit erhöht noch den Schauder vor den Fakten. Sie befasst sich mit der Zeit von den 1980er Jahren bis 2009, vor allem mit den Verheerungen nach dem politischen Erdbeben von 1994, seit dem das Land bis heute keine Ruhe gefunden hat. Damals zauberte der Medienmagnat Berlusconi nach dem Zusammenbruch der Democrazia Cristiana aus deren Ruinen die Partei Forza Italia hervor. Gestützt auf sein TV-Imperium und auf die Rhetorik der Fussballstadien, verbündet mit der xenophoben Lega Nord und mit der damals noch unverblümt rechtsextremen Alleanza Nazionale, gewann er die Wahlen gegen den zerstrittenen Haufen der Linken. Im desorientierten und deprimierten Italien gelingt es ihm bis heute, den Kalten Krieg und den Revisionismus am Köcheln zu halten, seine Gegner durchwegs als Kommunisten zu diffamieren und dem Faschismus rosige Seiten abzugewinnen.

 Es sind allerdings nicht alle Vertreter des rechten Lagers so ganz glücklich mit Berlusconis zündelnden Sprüchen: etwa der derzeitige Parlamentspräsident, der sich vom strammen Faschisten zum Demokraten gewandelt hat - veranschaulicht durch Kniefälle in Auschwitz und Bittgänge nach Jerusalem. Diesem widmet Aram Mattioli das Kapitel "Die Metamorphosen des Gianfranco Fini", an dessen gute Absicht er nicht so recht glauben will. Mattioli übersieht freilich die Rolle, die Fini notgedrungen immer mehr übernimmt, die des Feuerwehrmanns, der die Schäden des plappernden Brandstifters mit rügenden Worten einzudämmen versucht.

 Die meisten italienischen Revisionisten seien beileibe keine Auschwitz-Leugner, schreibt Mattioli, aber doch sehr emsige Mussolini-Weisswäscher. "Die Erosion des antifaschistischen Grundkonsenses" habe allerdings schon lange vor Berlusconi begonnen, und die Linke sei nicht ganz unschuldig daran. Einerseits hat sie jahrzehntelang einen verkitschten Mythos der Resistenza gepflegt, andererseits hat ihr Führer Togliatti als Justizminister bereits 1946 aus taktischen Gründen eine leichtfertige Generalamnestie für allerlei faschistische Verbrecher erlassen. Für die "Apologie des Faschismus" droht zwar seit 1952 auf dem Papier eine Strafe, aber kein juristischer Hahn kräht danach, und kein internationales Tribunal hat jemals über italienische Massenmörder Gericht gehalten.

 Seriöse Historiker haben längst bewiesen, was der italienische Faschismus nicht nur im eigenen Land verbrochen hat. Die Feldzüge in Afrika, in Libyen und vor allem in Abessinien waren nicht nur Eroberungs-, sondern Vernichtungskriege, samt Gaseinsatz und Massenhinrichtungen - Mattioli selbst hat fundierte Studien dazu geschrieben. Auch beim Balkanfeldzug waren die Italiener nicht nur Mandolinenspieler. Insgesamt ist die Diktatur für den Tod von etwa einer Million Menschen verantwortlich, was nie ins kollektive Bewusstsein der Italiener gelangt ist. Die Mär vom guten Onkel Mussolini, der erst unter Hitlers Einfluss Fehler gemacht habe, hielt sich über Jahrzehnte und wird nun, so Mattioli, durch "Berlusconis kalkulierte Tabubrüche" wieder aufgewärmt. Der Regierungschef sei zwar "historisch nicht sonderlich bewandert", aber er hat die grosse Gabe, seine ex-faschistischen Koalitionspartner bei Laune zu halten und Mussolinis "Rosenwasserdiktatur" schönzureden.

 Rechtfertigung, Beschönigung

 Flankiert wird Berlusconi bei dieser Verniedlichung von Heerscharen in seinen Medien, in Talkshows, TV-Serien und Büchern, die einen Faschismus und auch einen italienischen "Kolonialismus mit menschlichem Antlitz" evozieren. Auch diese Tendenz hat eine lange Tradition: Schon 1947 verfasste der Starjournalist Indro Montanelli die Rechtfertigungsschrift "Buonuomo Mussolini". Ernsthafter und umso einflussreicher waren die Bücher des Historikers Renzo De Felice, der sich 1956 von der Linken losgesagt und unermüdlich an einem milden Mussolini-Bild gearbeitet hatte. Später kam der Politologe Ernesto Galli della Loggia dazu, den bis heute ein seltsamer Revisionismus im "Corriere della Sera" umtreibt, ähnlich wie den Journalisten Giampaolo Pansa, der in seinen reisserischen Bestsellern von blutrünstigen Partisanen und herzensguten Faschisten berichtet.

 In der italienischen Gesellschaft haben diese Umtriebe Spuren hinterlassen. Die auftrumpfende Rechte fordert immer schamloser eine Rehabilitierung der "Kämpfer von Salò" in Mussolinis Marionettenregierung ab 1943 sowie eine Gleichstellung der Opfer der Shoah mit jenen der "Partisanengreuel". Politiker wie der ehemalige Staatspräsident Francesco Cossiga können ungestraft von Mussolini als "grossem Staatsmann" schwadronieren, und bekennende Faschisten sind gerngesehene Gäste in Talkshows, nicht nur in Berlusconis Propagandasendern. Etwas zu viel Gewicht gibt Aram Mattioli jedoch der Allgegenwart von faschistischen Symbolen im Alltag, von Mussolini-Weinetiketten bis zu den Spruchbändern der Fussballfans. Diese Art von volkseigener Dummheit gibt es nicht nur in Italien - hier blüht sie allerdings unter dem wohlwollenden Auge der Herrschenden.

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 Das Politische Buch
 

 Aram Mattioli: "Viva Mussolini!" Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis. Schöningh-Verlag / NZZ Libro, Paderborn/Zürich 2010. 201 S., Fr. 38.-.

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VERSCHWÖRUNG
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Bund 8.5.10

Die Nationalräte Vischer und Müller bei den Verschwörern

 Die Politiker gaben dubiosen Reportern ein Interview. Daniel Vischer nannte Israel einen Schurkenstaat.

 Hugo Stamm

 Die Amateurreporter der Verschwörungsbewegung We are change Switzerland (WAC) zogen gleichzeitig zwei grosse Fische an Land: Sie bekamen die beiden grünen Nationalräte Daniel Vischer (Zürich) und Geri Müller (Aargau) vor die Kamera und konnten lange Interviews mit ihnen führen. Gesprächsthema war die Unterdrückung der Palästinenser in Gaza durch Israel. Die beiden Politiker und die Weltverschwörer fanden eine Gemeinsamkeit: ihren Zorn auf Israel. Für die Verschwörungstheoretiker sind die Juden Drahtzieher einer geheimen Weltregierung.

 Vischers markige Sätze

 Die Interviews fanden an einer Demonstration gegen Israel im Januar in Zürich statt. Geri Müller argumentierte sachlich, sein Parteikollege Vischer hingegen garnierte seine Ausführungen mit markigen Sätzen. "Die deutsche Politik ist pervers", sagte er. "Deutschland ist mitschuldig an den Opfern in Palästina, denn ohne den Holocaust hätte es die Massenvertreibung im Gaza nicht gegeben." Wegen der Schuldgefühle dulde die deutsche Regierung die Politik Israels. Weiter griff Vischer die Medien an: "Die Berichterstattung über Israel ist absolut skandalös." Israel nannte er einen illegalen Atomstaat. Zum Schluss nahm der Nationalrat das Megafon und sagte zu den Demonstranten: "Israel ist ein Schurkenstaat." Die Jungreporter stellten die fette Interviewbeute kürzlich auf ihre Homepage www.wearechange.ch.

 Mit wem haben sich die beiden Nationalräte eingelassen? WAC Switzerland ist der Schweizer Ableger einer international aktiven Bewegung von Weltverschwörern. Diese glauben, die Mächtigen dieser Welt - Banker, Topshots aus Wirtschaft und Politik und der Hochadel - bildeten eine Geheimloge, um eine Weltregierung zu bilden und die Menschheit zu unterjochen. Für WAC gehört selbst Christoph Blocher zum geheimen Kreis. Gehilfen dieses Elitezirkels seien Medien und Journalisten, die das Volk mit gefälschten Informationen manipulierten.

 Im Interview mit Geri Müller erklärt der WAC-Reporter auch, die Medien seien durch die beiden Agenturen AP und Reuters zentralisiert, beide Unternehmen befänden sich in den Händen der jüdischen Banker Rothschild. Spätestens bei dieser haltlosen Aussage und dem antijüdischen Reflex hätte Müller hellhörig werden müssen, doch er beantwortete weiterhin brav die Fragen.

 9/11 als Lieblingsthema

 WAC will über das Internet Gegeninformationen liefern. Lieblingsthema der Verschwörer ist der Terroranschlag 9/11 auf das World Trade Center. Die offizielle Version bezeichnen sie als Lüge. Viele glauben, regierungsnahe Kreise oder jüdische Organisationen hätten den Terrorakt verübt, um den Irak-Krieg und andere internationale Konflikte zu legitimieren.

 Auch Geri Müller ist nicht restlos überzeugt von der offiziellen Leseart von 9/11, wie er im Interview erklärt. "Ich bin auch schon einmal angegriffen worden, ich sei ein Verschwörungstheoretiker." Der Interviewer darauf reflexartig: "Willkommen im Klub."

 Die Geisteshaltung von WAC Switzerland kommt in der Verlinkung auf der Webseite mit anderen umstrittenen Organisationen zum Ausdruck. Aufgeführt werden die Zeitungen "Schweizerzeit" von SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer und "Zeit-Fragen", die von Exponenten der Psychosekte VPM redigiert wird. Vertreten sind auch die Anti-Zensur-Koalition, die vom Sektenführer Ivo Sasek (Organische Christus-Generation) organisiert wird, und die Verschwörer von Infokrieg.tv, die das Naturrecht auf Selbstverteidigung fordern. Die Griechenland-Hilfe bezeichnen diese Leute als Ermächtigungsgesetz und illustrieren den entsprechenden Artikel mit einem Bild von Hitler.

 Daniel Vischer erklärt, er habe WAC nicht gekannt. "Ich will mit dieser Organisation nichts zu tun haben. Die Verwendung auf der Website geschah ohne mein Wissen." Vischer sagte weiter, er werde WAC auffordern, das Interview zu entfernen. Auch Geri Müller geht auf Distanz: "Ich möchte von niemandem missbraucht werden." Er wolle aber auch nicht einer Randgruppe eine Plattform bieten. Bei Redaktionsschluss war das Interview mit den beiden Grünen immer noch auf der Homepage von WAC.

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Thuner Tagblatt 8.5.10

Nichts ist, wie es scheint

 Roger Probst

 Verschwörungen gibt es seit Menschengedenken. Geheime Abmachungen sind ein taugliches Mittel, für machtbesessene Zeitgenossen oder Institutionen, ihre nicht ganz hehren Ziele zu verwirklichen. Sie sind aber meist schwer nachweisbar. So soll beispielsweise Kaiser Nero Rom in Brand gesteckt haben, um die Stadt neu aufzubauen und insbesondere Platz für einen riesigen Palast zu schaffen. Die Schuld für den verheerenden Brand schob der skrupellose Kaiser den verhassten Christen zu und liess sie verfolgen. Doch weder Nero noch den Christen wurde jemals eine Brandstiftung nachgewiesen. Ungeliebte Volksgruppen waren in der Vergangenheit immer wieder beliebte Ziele von Verschwörern. Im Mittelalter gerieten beispielsweise die Juden in Verdacht, das Wasser in Brunnen vergiftet und damit die Pest verursacht zu haben.

 Nicht über mangelnde Beschäftigung konnten sich die Verschwörungstheoretiker im 20. Jahrhundert beklagen. So soll US-Präsident Franklin Roosevelt Informationen über den bevorstehenden Angriff der Japaner auf Pearl Harbor absichtlich zurückgehalten haben, um so den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg in der Öffentlichkeit durchsetzen zu können. Dass Roosevelt ein Mitglied der Freimaurer war, nährte den Verdacht auf eine Verschwörung. Seit 1963 bietet das Attentat auf John F. Kennedy Anlass zu verschiedenen Verschwörungstheorien. Hat Lee Harvey Oswald alleine gehandelt? Oder war er nur das Bauernopfer und die Mafia, Fidel Castro oder Vizepräsident Lyndon B. Johnson waren die Drahtzieher? Und wie sieht es eigentlich mit der Mondlandung aus? War sie nur inszeniert oder betrat Neil Armstrong am 21. Juli 1969 tatsächlich als erster Mensch den Mond? Ist es so, dass die Lampenindustrie die technisch längst mögliche Produktion von Ewigkeitsglühbirnen absichtlich nicht betreibt, weil sie an rasch durchbrennenden Glühlampen mehr verdient? Verzichten die Autohersteller auf den Einsatz von rostfreiem Stahl bei Auspuffanlagen nur deshalb, weil das die Umsätze gefährden würde?

 Es gäbe noch viele Theorien der Liste zuzufügen, dafür fehlt mir aber die Zeit. Ich muss der These nachgehen, ob im Rasierschaum Stoffe sind, die süchtig nach Paninibildern machen.

 r.probst@bom.ch

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BLANCHOISMUS
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Bund 8.5.10

Die Angst der Muslime vor Nicolas Blancho

 Der Bieler Konvertit ist derzeit auf allen Kanälen präsent. In seiner Heimatstadt hat er aber nur wenige Anhänger. Im Gegenteil: Die bosnische Moschee erteilte ihm ein Hausverbot.

 Dario Venutti

 Seit ein paar Wochen kennt die halbe Schweiz die Adresse: Am Seelandweg 9, eine unscheinbare Seitenstrasse in Biel, ist das islamische Zentrum Arrissala untergebracht.

 Hier treffen sich Jemeniten, Ägypter und Iraker zum Gebet. Vor allem verkehrt hier Nicolas Blancho, der zum Islam konvertierte Schweizer. Bis vor wenigen Tagen war das Haus für alle offen, doch jetzt steht an der Eingangstüre: "Keine Medien".

 "Wahrscheinlich ist ihnen selber der Rummel zu gross geworden", sagt Ekren Beglerbegovic, ein 56-jähriger, hagerer Muslim aus Bosnien, den einst die Liebe in die Schweiz verschlagen hat. Beglerbegovic arbeitet in einem Durchgangszentrum für Asylbewerber und kommt so regelmässig mit anderen Muslimen in Kontakt. "Bis vor kurzem kannte Nicolas Blancho in Biel niemand." Er sei aus dem Nichts aufgetaucht, und jetzt würden sich alle fragen: "Warum ist er eigentlich jeden Tag in den Medien?" Beglerbegovic zuckt mit den Schultern. Dann erzählt er, dass Orson Welles mit seiner fiktiven Radioreportage "War of the Worlds" 1938 eine Massenpanik in den USA auslöste: Die Menschen glaubten wirklich, von Ausserirdischen angegriffen zu werden.

 Nicht wie von einem anderen Stern, aber als "Vogelscheuche" ("L'Hebdo"), kam Blancho den Gläubigen im bosnischen Kulturzentrum der Stadt vor. Seine wortgetreue Auslegung des Korans stiess auf Unverständnis, sein Äusseres — der rötlich-braune Vollbart und die weisse Gebetskappe — befremdete. Schliesslich gaben sie ihm zu verstehen, er solle nicht mehr in ihr Lokal kommen, das auch als Moschee dient.

 Als Konvertit sei Blancho in keine islamische Kultur eingebettet, sagt Beglerbegovic. Er kenne die Sitten und Gewohnheiten weder der Bosnier noch der Albaner oder der Türken. "Er ist ein Hors-sol-Muslim, mit dem die ‹Originale› nichts anfangen können." Die Bosnier wollen mit Blancho auch deshalb nichts zu tun haben, weil er den Ruf der Muslime beschädige. Seit der Minarettabstimmung seien sie in der Defensive, und durch die Omnipräsenz von Blancho würden sie in die radikale Ecke gestellt. Diese Angst hat auch Bettina Bergner, die Integrationsbeauftragte der Stadt, festgestellt: Muslime, die sich beispielsweise im Elternrat einer Schule oder am Tag der offenen Türe von Moscheen engagieren, bekommen das Gefühl: Unsere Anstrengungen werden nicht geschätzt. "Es besteht die Gefahr, dass Muslime in Parallelgesellschaften abdriften", so Bergner.

 "Es gibt verschiedene Interpretationen des Islam. Blancho sollte sich fragen, welche am besten zu Europa passt", sagt Ali Ben Massoud. Der Imam aus Tunesien predigt in der Salah-Moschee in Biel, wo Albaner und Nordafrikaner beten. Er ist der Meinung, dass kein Muslim traditionelle Kleider aus Arabien tragen muss, um seinen Glauben zu leben. Der Imam trägt sein Gewand lediglich in der Moschee. Massoud lernte Blancho persönlich kennen, nachdem dieser vor 10 Jahren zum Islam übergetreten war. "Er ist ein ruhiger, netter Mann. Aber er gibt vielleicht ein Bild des Islam ab, das vielen Angst macht." Nicht nur Schweizern, sondern auch manchen Muslimen.

 Kalter Putsch

 In Biel leben zwischen 4000 und 5000 Muslime, das entspricht einem Zehntel der Bevölkerung. Laut Schätzungen der Stadtverwaltung ist etwa jeder Achte gläubig, der grosse Rest interessiert sich nicht für Religion. Und die Muslime sind keine homogene Gruppe, sondern identifizieren sich in erster Linie mit ihrer ethnischen Herkunft. Das erklärt auch die relativ hohe Anzahl von Moscheen, die immer in ein Kulturzentrum eingebettet sind: für Albaner, Marokkaner oder Araber. Mit anderen Worten: Die unterschiedliche Herkunft trennt sie mehr, als dass der gemeinsame Glaube sie verbindet. Für die Stadtverwaltung ist das ein Problem: etwa dann, wenn die Muslime ein gemeinsames Interesse wie ein Grabfeld haben, jedoch mit verschiedenen Stimmen sprechen. Nicolas Blancho hat sich das zunutze gemacht: Er liess sich zum Sprecher der muslimischen Dachorganisation von Biel wählen. Das ermöglicht ihm, als Interessenvertreter aller Muslime aufzutreten, obwohl er das nicht ist. "Bei der Wahl war vielen nicht bewusst, worauf sie sich einliessen", sagt eine Tunesierin, die anonym bleiben möchte. Viele Muslime sind ungeübt im Umgang mit der Stadtverwaltung und sprechen schlecht deutsch. Blancho als Schweizer dagegen kennt die Abläufe und kann sich gut ausdrücken. Etwas Ähnliches geschah auch, als die verschiedenen muslimischen Vereinigungen plötzlich dem von Blancho gegründeten Islamischen Zentralrat beitraten: Bei der Abstimmung waren die kritischen Vertreter abwesend. Blancho kann deshalb jetzt behaupten, dass sein Zentralrat mehrere Tausend Mitglieder habe.

 Blancho, das "trojanische Pferd"

 Die Medienpräsenz hat nicht nur bei Schweizern den Eindruck verfestigt, Blancho rede im Namen aller Muslime. Sie hat unter Muslimen auch wilde Gerüchte entstehen lassen: Blancho sei das trojanische Pferd des Schweizer Nachrichtendienstes. Er infiltriere die muslimischen Gemeinschaften, um Informationen über Radikale zu beschaffen. Oder: Er sei das trojanische Pferd einer arabischen Macht, um die Saat des Fundamentalismus in der Schweiz aufgehen zu lassen. Tatsache ist: Der Nachrichtendienst stuft Blancho als ungefährlich ein.

 Ein drittes Gerücht besagt, Blancho sei der Star einer muslimischen Jugendbewegung in Biel. Auf den Pausenplätzen würden Mädchen von kosovarischen Mitschülern als Schlampen bezeichnet, weil sie kein Kopftuch tragen.

 Im Infocafé, einer städtischen Beratungsstelle für Jugendliche, erklären sich drei junge Muslime spontan zum Gespräch bereit. Der 19-jährige Isuf aus Kosovo und der 15-jährige Arsène aus Angola haben noch nie etwas von Nicolas Blancho gehört. Dzenifer, eine gleichaltrige Albanerin, sagt: "Mich interessiert nur der Bajram, das Ende des Ramadan: Denn dann gibt es Geschenke." Dass Mädchen ohne Kopftuch als Schlampen beschimpft werden, hat sie bei einer Freundin selber gesehen. Von wem? "Einer war Albaner. Und der andere Italiener."

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ANTI-ATOM
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Aargauer Zeitung 8.5.10

SP gegen AKW-Ersatz

 Zurzibieter Bezirkspartei lehnt neues Atomkraftwerk kategorisch ab

Angelo Zambelli

 Der Energiekonzern Axpo hat in den letzten Monaten verschiedentlich über den Ersatz der Atomkraftwerke Beznau I und II informiert. Fundamentale Opposition blieb dabei aus. Nun ändert sich die Situation radikal: Die Sozialdemokratische Partei des Bezirks Zurzach schiesst in ihrer Vernehmlassung zur Anpassung des Richtplans betreffend Ersatzkernkraftwerk Beznau eine Breitseite gegen den Kanton und gegen die Axpo ab. Sie fordert die Aufnahme eines Passus mit brisantem Inhalt: "Im Kanton Aargau werden keine Kernkraftwerke errichtet. Weiter setzt sich der Kanton Aargau dafür ein, dass auch in den Nachbarkantonen keine Kernkraftwerke errichtet werden."

 Die SP begründet ihre Forderung mit der dichten Besiedlung des Aargaus. "Hier ist kein geeigneter Standort zu finden", schreibt die SP-Bezirkspartei in ihrer Vernehmlassung. Kernkraftwerke seien generell abzulehnen. "Das Risiko ist zu gross und von diesem Risiko sind zu viele Menschen ungewollt betroffen." Ausserdem will die Zurzibieter SP im kantonalen Richtplan verankert haben, dass Abgeltungen für Standortvorteile untersagt werden. Die Verteilung der Abgeltungen zur Duldung des Standorts Beznau sei eine "Schmiergeldlösung" und gehöre nicht in den Richtplan, schreibt die Zurzibieter SP.

 "Sprachrohr vieler Menschen"

 Astrid Andermatt ist überzeugt, dass im Bezirk Zurzach ein grosser Bevölkerungsanteil den Ersatz des Atomkraftwerks Beznau ablehnt und die Entwicklung kritisch verfolgt. Andermatt: "Wir möchten das Sprachrohr dieser Menschen sein und setzen auf eine Langzeitstrategie, basierend auf Energieeffizienz und auf erneuerbaren Energien." Seite 37, Kommentar rechts

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Kommentar

 Diskussion ist lanciert

Angelo Zambelli

 Die Entscheidungsfindung in einer derart bedeutenden Angelegenheit wie dem Ersatz der Atomkraftwerke Beznau I und II setzt eine umfassende Information voraus. Der Stromkonzern Axpo und der Kanton Aargau haben diesem Erfordernis mit Informationsveranstaltungen entsprochen. Das ist gut so.

 Nach längerem Stillhalten hat sich nun auch die Opposition zu Wort gemeldet. Vielen dürfte die kernige Wortwahl der Zurzibieter Sozialdemokraten in den falschen Hals geraten, doch eines ist gewiss: Dank der Stellungnahme wird die Diskussion auf breiter Ebene in Gang gesetzt und das Für und Wider der Atomkraft abgewogen. Und auch das ist gut so.

 angelo.zambelli@azag.ch