MEDIENSPIEGEL 9.5.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Programm
- Ausschaffungs-Sonderflüge fliegen bald wieder
- Telebärn zu Stadttauben-BümplizLeist-Prügelei
- Antirep-Demo Lausanne 6.5.10
- Drogenabgabe Zug
- Homohass: Baltic Pride - 300 Queers vs 3000 GegendemonstrantInnen
- Griechenland: Staatsterror in Exarcheia
- Boykott von Produkten aus israelischen Siedlungen im Westjordanland
- Anti-Atom: Endlager-Nervosität

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REITSCHULE
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So 09.05.10
14.00 Uhr - Frauenraum - "Sie kam und blieb" Stube, Vol. 2. Lieder von Krikela (D)
18.00 Uhr - Rössli - DJ Stunti.
18.30 Uhr - Grosse Halle - Frühlings Erwachen, von Ensemble U18 I, Junge Bühne Bern

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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AUSSCHAFFUNG
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Sonntagszeitung 9.5.10

Grünes Licht für Ausschaffung abgelehnter Asylbewerber per Sonderflug

 Bund und Kantone sind sich einig über die Wiederaufnahme von Zwangsmassnahmen

Pascal Tischhauser

 Bern Die Sondermaschinen zur Zwangsausschaffung abgewiesener Asylbewerber können wieder abheben. Darauf haben sich das Bundesamt für Migration (BfM) und die Kantone geeinigt. Entgegen anderslautenden Aussagen wartet das BfM nicht auf den Zwischenbericht der Oberstaatsanwaltschaft Zürich zum Tod eines 29-jährigen Nigerianers.

 BfM-Direktor Alard du Bois-Reymond nennt in einem Brief an die Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz (KKJPD), welcher der SonntagsZeitung vorliegt, zwei Massnahmen, mit denen seiner Ansicht nach der Schutz der Auszuschaffenden gewährleistet sei: Erstens soll immer ein Arzt bei Sonderflügen dabei sein, zweitens sollen die Haftanstalten Gesundheitsunterlagen über Auszuschaffende an den Arzt weiterleiten.

 Du Bois-Reymond räumt ein: "Wenn die KKJPD sich mit den Vorschlägen des BfM einverstanden erklärt, können die Sonderflüge wieder aufgenommen werden." Erst warte man aber noch auf eine Einschätzung der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft, bemüht er die offizielle Sprachregelung. Die Staatsanwälte untersuchen, woran der Nigerianer bei der versuchten Ausschaffung vom 17. März gestorben ist. Wegen dieses Todesfalls setzte du Bois-Reymond die Sonderflüge aus.

 Obwohl sich niemand in dieser Weise zitieren lässt, versichern unabhängig voneinander mehrere Konferenzmitglieder, die KKJPD und das BfM hätten sich längst telefonisch geeinigt. Schliesslich pochen die Kantone auf die baldige Wiederaufnahme der Flüge. Ein paar Kantone mussten inhaftierte Asylbewerber - diese können, falls die Ausschaffung absehbar ist, für 24 Monate festgehalten werden - freilassen.

 Einzig die Sonderflüge nach Nigeria werden erst nach Vorliegen des Untersuchungsberichts der Oberstaatsanwaltschaft aufgenommen. Nigeria hat klargemacht, erst dann wieder Sonderflüge zu akzeptieren.

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STADTTAUBEN
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Telebärn 8.5.10

Unmut über die "Stadttauben"
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/unmut-uber-die-stadttauben/c=84713&s=890040

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LAUSANNE AUTONOME
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Indymedia 8.5.10

Do. 6.Mai, Lausanne: Anti-Repressions-Kundgebung ::

AutorIn : méchant déguisé en hippie  |  übersetzt von : le vent 
      
Kleiner Bericht von der Anti-Repressions-Kundgebung vom 6.Mai in Lausanne.     

Gestern fand in Lausanne eine Kundgebung statt gegen die Morde und die steigende Repression des "demokratischsten Landes der Welt". Fassen wir den Kontext kurz zusammen: am 11.März 2010 zündete der Gefangene Skander Vogt im Knast von Bochuz (VD) seine Matratze an als Protest gegen die Haftbedingungen, die Bullen liessen ihn in seiner Zelle verrecken (siehe https://ch.indymedia.org/fr/2010/05/75476.shtml); am 17.März 2010 wurde der Nigerianer Alex Uzuwulu in Zürich von den Bullen ermordet wegen seinem Widerstand gegen eine Zwangsausschaffung (siehe  https://ch.indymedia.org/de/2010/04/74759.shtml); am 11.April 2010 wurde der junge Umüt auf grausame Weise von den Waadtländer Bullen ermordet: auf der zwischen Lausanne und Genf abgeriegelten Autobahn schossen die Bullen auf ihn als Antwort auf einen Diebstahl eines Luxusautos, der "Dieb" (denn wir wissen wo sie sind, die wahren Diebe!) wurde schlichtweg exekutiert, niemand im geklauten Auto war bewaffnet (siehe  https://ch.indymedia.org/fr/2010/05/75440.shtml). Zudem wurden unsere anarchistischen Genossen Silvia, Costa und Billy verhaftet (siehe https://ch.indymedia.org/de/2010/04/75358.shtml) und die revolutionären 1.Mai-Umzüge waren mehr oder weniger überall in der Schweiz mit gewaltiger Repression konfrontiert. Gründe um wütend zu sein gibt es also freilich genug!
Um Flexibilität zu zeigen, wurden zwei Zeiten angekündigt, 18 Uhr und 19 Uhr, doch schliesslich waren schon ziemlich viele Leute um 17.45 Uhr da. Der Place St-François war schliesslich gut gefüllt, die genaue Anzahl ist schwierig einzuschätzen, dürfte sich jedoch irgendwo zwischen 100 und 2'000'000 Menschen bewegen. Scheinbar wollten die Bullen auf Nummer sicher gehen: sie begannen schon am Nachmittag, die ganze Innenstadt zu blockieren, womit sie eine furchtbare Blockadeeffizienz bewiesen, eine Effizienz, die wir selbst wohl nie erreicht hätten! Am Anfang war alles ziemlich ruhig, eine nette Menschenmenge, die Punk und Hip-Hop hörte und diverse alkoholische Getränke zu sich nahm. Verschiedene Transparente veranschaulichten die Wut auf die Bullen und die Behörden und etliche Flugblätter, die über die Situation informierten, wurden verteilt. Gegen 20 Uhr entschied eine kleine Gruppe anscheinend eher jüngerer Leute, ihre Wut auf konkrete Art und Weise zu zeigen: sie liefen das kleine Gässchen neben dem Starbucks hinauf und griffen, unter den Rufen "Bullen, Schweine, Mörder", diese mit schrecklichen Waffen - Büchsen und Flaschen - an, wobei sie noch die Scheibe einer Werbeagentur zertrümmerten. Daraufhin begannen die "Beschützer der Demokratie", den Platz zu umzingeln, bis die Demokratie auf einige Quadratmeter reduziert war. Alle Ausgänge waren blockiert und nur Minderjährige, Alte und Geschäftsmänner hatten ein Durchgangsrecht, nicht aber böse aussehende Leute, genausowenig wie AusländerInnen. Nette kleine Demokratielektion: als ob wir nicht wüssten, dass einige gleicher sind als andere! Nach einigen Diskussionen wurden die Leute zum Preis einer Durchsuchung durchgelassen.
Allerdings schien eine Handvoll junger Leute der Falle gar nicht entkommen zu wollen. Schaut man die Medienfotos an, sieht man sie lächelnd auf der Strasse sitzen, umzingelt von einer Masse von Kastenwagen, Robocops und zwei Wasserwerfern. Trotz dieses beindruckenden Dispositivs sahen sie überhaupt nicht beeindruckt aus. Wahrscheinlich waren sie sich der strategischen Sinnlosigkeit einer Konfrontation nicht weniger bewusst als die "Alten", nur war es ihnen scheissegal. Die Medien beschwörten natürlich sofort den "autonomen" Geist (oder gar den "autonomistischen" für einige, die scheinbar die Subtilitäten politischer Theorien nicht ganz verstanden haben), um die Mini-Riot zu erklären. Wie auch immer man es nennen mag, die Feststellung drängt sich auf, dass die junge Generation die Sündenbockrolle nicht mehr spielen mag, die ihr vom Spektakel zugewiesen wird, um seine Verwüstungen vergessen zu machen. Und einzig und allein die Angst vor der Wut des Volkes reichte gestern den Bullen, um die ganze Innenstadt zu blockieren und eine sicher ziemlich beträchtliche Anzahl an Überstunden zu schieben. Ein Journalist des Courriers (siehe  https://ch.indymedia.org/fr/2010/05/75543.shtml) versucht in einem Leitartikel, diese Wut als Teil des Spektakels zu präsentieren. Vielleicht sollte er Debord nochmal lesen: diese Wut hat zum Ziel, der spektakulären Gesellschaft zu schaden, sie ist nicht im geringsten übertrieben.

Es wurden 71 Personen kontrolliert, davon 15 minderjährig, 67 wurden wegen diversen Delikten angezeigt.

Bürgerliche Medien:
http://www.20min.ch/ro/news/vaud/story/La-peur-de-la-manif-paralyse-tout-le-centre-19458589
http://www.24heures.ch/vaud-regions/actu/centaine-manifestants-bloque-centre-ville-2010-05-06
http://www.24heures.ch/vaud-regions/actu/intervention-police-permis-eviter-dommages-affirme-2010-05-07
http://www.lematin.ch/actu/suisse/colere-skander-271998

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DROGENABGABE
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Zentralschweiz am Sonntag 9.5.10

"Viele kommen von der Gasse"

Von Sarah Kohler

 Die Heroin- und Methadonabgabe ist umgezogen. Der neue Ort hat einen entscheidenden Vorteil.

 Die Eingangstür liegt etwas versteckt hinter Gitterwänden: Seit März ist die heroin- und methadongestützte Behandlung der Zuger Opioide-Abgabe (Hegebe Zopa) an der Poststrasse 4a in Baar einquartiert. Hier erhalten Suchtkranke unter medizinischer Aufsicht Heroin oder Methadon. Die Abgabestelle unter der Trägerschaft des Drogenforums Zug war zuvor an der Inneren Güterstrasse in Zug untergebracht. Betriebsleiter Thomas von Däniken ist mit dem neuen Standort zufrieden: "Die Anonymität ist gut für die Patienten", sagt er. "Wer kommt, wird als Passant wahrgenommen, bis er hinter dem Gitter verschwindet. We r geht, ist sofort wieder im öffentlichen Raum." Mit den neuen Nachbarn, die im Vorfeld informiert wurden und "durchaus kritische Fragen stellten", läuft es laut von Däniken problemlos. "Viele bemerken uns gar nicht."

 Keine eigentliche Szene in Zug

 Im Kanton Zug bemerkt man Drogenabhängige generell kaum. "Eine eigentliche Szene gibt es nicht, gedealt wird versteckt und im kleinen Rahmen", sagt Kurt Graf, ärztlicher Leiter der Hegebe Zopa. "Die Süchtigen gehen nach Luzern oder Zürich." Das erleichtere die Arbeit insofern, als "die Patienten im Programm einen geringeren Nebenkonsum aufweisen als anderswo, weil das Angebot nicht vor der Haustür liegt". Dass sich rund um die Abgabestelle eine Drogenszene entwickelt, wie das Anwohner befürchten könnten, ist für von Däniken und Graf ausgeschlossen. "Würde einer hier vor dem Haus dealen, würden die anderen Patienten etwas dagegen unternehmen", so der Betriebsleiter.

 Derzeit betreut sein Team, das aus elf Personen in verschiedenen Arbeitspensen besteht, 28 Heroin- und sechs Methadonbezüger. Die heroingestützte Behandlung mit 30 Plätzen gibt es seit 1995, sie wurde 2004 mit zehn Plätzen im Methadonprogramm für "desintegrierte, sehr szenenahe Abhängige" ergänzt. "Viele kommen direkt von der Gasse", sagt von Däniken. In dieser Phase müssen die Patienten täglich erscheinen, um ihre Dosis zu erhalten - eine Mitgabe fürs Wochenende oder später für bis zu einer Woche ist erst nach einer Stabilisierung möglich. Das erklärt, warum die Hegebe Zopa für viele die erste Anlaufstelle ist: Keiner der 51 Hausärzte im Kanton, die Methadonprogramme führen, arbeitet sieben Tage die Woche. "Tendenziell beobachten wir, dass viele dieser Ärzte keine neuen Patienten aufnehmen und neue Hausärzte weniger Methadonprogramme führen", sagt Graf. Und zeigt Verständnis: "Drogenpatienten sind nicht so beliebt, sie sind ungeduldig und können ein Wartezimmer unter Umständen völlig aufmischen."

 Rundum betreut

 Anders bei der Drogenabgabe in Baar, wo man "mehr Ressourcen" hat und den direkten Kontakt pflegt. Hier gibts auch medizinische Betreuung und psychosoziale Begleitung. "Unsere Patienten haben oft nicht nur ein Drogen-, sondern auch ein massives gesundheitliches Problem, etwa mit HIV oder Hepatitis", sagt Graf. Weiter gehe mit der Sucht oft eine psychische Erkrankung einher. "Wir sind eine Koordinationsstelle und arbeiten mit dem Ambulanten Psychiatrischen Dienst und der Psychiatrischen Klinik Zugersee zusammen." Weiter erhalten die Patienten Strukturen: Für jene, die nicht arbeitstätig sind, ist beispielsweise die Teilnahme am Kreativprogramm oder an Spaziergängen Pflicht. Allerdings sind rund ein Drittel der Heroinpatienten sowie vier der sechs Methadonpatienten der Zuger Anlaufstelle ohnehin im Arbeitsmarkt integriert. Die vollständige Reintegration in die Gesellschaft ist denn auch das Idealziel. Tatsache ist laut Graf aber: Manchen gelingt es, im Programm das Leben in den Griff zu bekommen, bei anderen bleibt es ein Auf und Ab. Kein Wunder, wie Betriebsleiter von Däniken erklärt: Gerade die Heroinpatienten seien im Schnitt zehn Jahre schwerstsüchtig, bevor sie in einem Programm unterkommen. "Ihre Verhaltensmuster zu ändern, braucht mindestens so lange." Drei der Zuger Heroinbezüger sind seit 1995 bei der Hegebe Zopa - seit es diese gibt.

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 Patientenstimme

 "Harter Kampf"

 Seit drei Jahren ist S.* aus dem Kanton Zug im Methadonprogramm. Die 37-Jährige blickt auf eine lange Heroinkarriere zurück: Sie konsumierte 15 Jahre, bezog dann vier Jahre Methadon beim Arzt, wurde rückfällig - und landete zwei Jahre später bei der Hegebe Zopa. Weil sie in der Zwischenzeit umgezogen war, der neue Hausarzt kein Methadonprogramm führt und sich kein anderer fand, der sie als Patientin übernommen hätte, wandte sich S. an die Abgabestelle. "Es ist angenehmer als beim Arzt", sagt sie, "weil die Leute mehr Zeit haben und man eine Bezugsperson hat." Besonders die psychologische Betreuung sei wichtig: "Ohne gehts nicht."

 Schutz vor Vorurteilen

 Vom Baarer Standort ist S. begeistert: "Er ist besser als der alte, nah am Bahnhof und versteckter", sagt sie. "Ich fühle mich geschützter und bin froh um das Gitter." Denn, so erzählt S., noch immer hätten viele Leute wüste Vorurteile - gerade gegenüber Methadonbezügern. "Dabei sind Menschen, die Methadon konsumieren, normal arbeitsfähig. Ich finde Heroin schlimmer." Im Büro, in dem sie angestellt ist, weiss keiner vom Methadonbezug. "Das wissen nur meine Eltern und meine engsten Freunde." S. hat ein klares Ziel vor Augen: sauber werden. Ob sie das schaffen wird? Sie zögert. "Es wird ein harter Kampf."

 Hinweis: * Name der Redaktion bekannt.

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HOMOHASS
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Zentralschweiz am Sonntag 9.5.10

Demo gegen Schwulenparade

 Vilnius - Unter hohem Polizeiaufgebot hat in Litauen gestern die erste Homosexuellen-Parade stattgefunden. Gegner des Umzugs warfen Rauchbomben und versuchten, eine Absperrung zu durchbrechen. Hundertschaften der Polizei trieben die rund 1000 Gegendemonstranten mit Tränengas auseinander. Etwa 400 Menschen nahmen an der Schwulenparade durch die Hauptstadt Vilnius teil. (ddp)

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blu.fm 9.5.10
http://www.blu.fm/subsites/detail.php?kat=Gesellschaft&id=3872 (mit Video)

VIDEO: "TOD DEN SCHWULEN" - BALTIC PRIDE ERFOLGREICH

Es waren etwa 300 Menschen, darunter Schwedens Europaministerin Birgitta Ohlsson und der Bundestagsabgeordnete Volker Beck, die sich am gestrigen Samstag in der litauischen Hauptstadt Vilnius zum ersten CSD des Landes versammelten und ein Zeichen gegen Homophobie setzten.

 300 Teilnehmer sind nicht viel, aber unter den widrigen Umständen der Vorwoche (Verbot durch ein Gericht - dann wieder Genehmigung) und bedroht durch eine zehnfach größere Gegendemonstration aus rechtskonservativen Kräften (auch litauische Parlamentsangehörige) und Neonazis, kann der Baltic Pride 2010 als ein Erfolg gewertet werden.

 Vorbildlich hat sich die Staatsgewalt verhalten und die etwa 3.000 Gegendemonstranten, die Parolen wie "Tod den Schwulen" skandierten, auf Abstand gehalten. Flaschen, Steine und Feuerwerkskörper verfehlten ihr Ziel, weil die Polizei mit Tränengas auf die Angriffe reagierte und bei der Auflösung der Demonstration 19 Gegendemonstranten festnahm.

 Volker Beck resümiert: "Dies ist ein Signal an die Regierung in Litauen, dass Lesben und schwule Männer in Europa gleichberechtigt sind. Hier geht es nicht um irgendwelche Sonderrechte, sondern ganz einfach den Schutz von Menschenrechten." •ck

Internet: http://WWW.BALTICPRIDE.EU

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queer.de 8.5.10
http://www.queer.de/detail.php?article_id=12147 (mit Fotos + Videos)

Baltic Pride trifft auf Gegendemo

Bei dem in letzter Sekunde genehmigten CSD in Vilnius muss die Polizei Schwule und Lesben vor bedeutend mehr Gegendemonstranten schützen.

Von Norbert Blech

 Es war nicht der erste CSD in Litauens Hauptstadt, aber der im Vorfeld umstrittenste. Die "Hochsicherheitsdemo" (Volker Beck über Twitter) wurde erst am Freitag vom obersten Verwaltungsgerichtshof erlaubt, nachdem Vorinstanzen eine Erlaubnis durch die Stadt wegen angeblicher Sicherheitsbedenken kassiert hatten (queer.de berichtete). Auch um den Ort hatte es im Vorfeld Streit gegeben.

 Die rund 300 bis 500 Teilnehmer, darunter viele Unterstützer aus dem europäischen Ausland wie Volker Beck oder Schwedens Europaministerin Birgitta Ohlsson, wurden schließlich am Samstag mit Bussen zu dem abgesperrten Demonstrationsgebiet am Fluss Neris gekarrt, Gegendemonstranten oder auch einfach Interessierte mussten von der anderen Seite des Flusses oder ab einer entfernten Absperrung in einem Neubaugebiet zuschauen.

 Dort hatten bis zu 1.000 Polizisten alle Hände damit zu tun, ein Durchbrechen der Absperrung durch bis zu 1.500 Gegendemonstranten zu verhindern. Überwiegend junge Menschen mit rechtsnationaler Gesinnung schrien Medienberichten zufolge "Tod den Schwulen" oder "Litauen den Litauern", auch soll vereinzelt mit Steinen, Flaschen und Rauchbomben geworfen worden sein.

 Im Laufe des Nachmittages nahm die Polizei, die Tränengas einsetzen musste, um ein Überschreiten der Absperrungen zu verhindern, zwölf Gegendemonstranten fest. Darunter sollen sich laut Agenturberichten auch Mitglieder des litauischen Parlaments befunden haben.

 Unterstützung für den CSD kam aus dem Ausland: laut Volker Beck sprachen zahlreiche Mitglieder des Europäischen Parlaments (darunter der offen schwule Brite Michael Cashman) bei der Abschlusskundgebung, auch die Botschafter aus Großbritannien, der Tschechei, aus den Niederlanden und Frankreich meldeten sich zu Wort. Zudem waren Mitglieder von Amnesty International und ILGA sowie viele Privatpersonen angereist, um die litauischen Schwulen und Lesben zu unterstützen.

 Einer der Organisatoren, Vytautas Valentinavicius, sagte der Nachrichtenagentur AFP nach der Demonstration, man habe einen großen Schritt hin zu mehr Toleranz gemacht. Das ist vielleicht eine gewagte Aussage, dass die Demonstranten aber Zeichen nach innen setzten, machte ein Plakat deutlich: "Wir marschieren für die, die nicht können."

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nzz.ch 8.5.10

Zehnmal grössere Gegendemonstration

Einige hundert homosexuelle Teilnehmer an der "Baltic Pride"

 Die "Baltic Pride" hat am Samstag einige hundert Homosexuelle in die litauische Hauptstadt Vilnius gelockt. Die Gegendemonstration zog fast zehnmal mehr Personen an. Die Polizei war mit einem Grossaufgebot vor Ort. Unter Festgenommenen der Gegendemonstration waren auch Parlamentarier.

(sda/dpa) Einige hundert Homosexuelle sind am Samstag gegen fast zehnmal so viele Gegendemonstranten für ihre Rechte durch Litauens Hauptstadt Vilnius gezogen. Die mit fast tausend Beamten präsente Polizei trennte die Gruppen beiderseits der durch Vilnius fliessenden Neris.

Zwischenzeitlich verboten

Der Umzug "Baltic Pride" war Mitte der Woche zeitweilig verboten, weil ein Verwaltungsgericht "Störungen der öffentlichen Ordnung" befürchtete. Ausserdem könnten die Behörden die Sicherheit der Teilnehmer nicht garantieren, hiess es weiter. Erst heftige internationale Proteste und ein höchstrichterlicher Spruch am Freitag brachte grünes Licht.

Die Veranstalter des Schwulen-Marsches erklärten, sie wollten mehr Aufmerksamkeit auf die Unterdrückung von Homo-, Trans- und Bisexuellen in Litauen lenken. Gleichzeitig riefen Gegendemonstranten Parolen wie "Tod den Schwulen" und "Litauen den Litauern."

Auch Parlamentarier

Neonazis und Rocker hatten vorab tätliche Angriffe gegen den ersten Umzug dieser Art im katholischen Litauen angekündigt. Die Polizei meldete zwölf Festnahmen, darunter auch von Mitgliedern des litauischen Parlaments.

Litauen hatte unter anderem durch ein gesetzliches Verbot zur "positiven Darstellung" von Homosexualität an Schulen heftige internationale Kritik ausgelöst.

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GRIECHENLAND
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Indymedia 9.5.10
http://ch.indymedia.org/de/2010/05/75638.shtml (mit Fotos)

Staatsterror in Exarcheia ::

AutorIn : le vent  |  übersetzt von : der Wind         

Dies ist eine Übersetzung eines Artikels vom 6. Mai 2010 auf der oben verlinkten Homepage.     
    
In einer Orgie kollektiver Bestrafung startete die griechische Polizei eine brutale Attacke auf Exarcheia nach dem gestrigen Protestmarsch, wobei sie Läden und soziale Zentren zerstörte, bewaffnet ein besetztes Haus räumte und den BewohnerInnen voller Brutalität begegnete.
Die gestern beobachtete Polizeibrutalität auf den Strassen Exarcheias nach dem Ende des Protestmarsches des Generalstreikes in Athen ist ein Novum und wirft ernsthafte Zweifel auf bezüglich der Natur des aktuellen Regimes in Griechenland, das nun seine demokratische Maske herrunterreist, um sein wahres Gesicht zu zeigen: die Fortsetzung der Obristen-Junta.
Nach dem Ende des Protestmarsches stürmten Hunderte von Robocops und Motorrad-Bullen Exarcheia, das Athener Quartier, das schon seit Beginn des 20.Jahrhunderts für politischen Radikalismus bekannt ist. Die Polizei griff PassantInnen und kaffetrinkende Leute im Quartier an und zerstörte das traditionnelle Café an der Exarcheia-Kreuzung, obwohl es voller Menschen war. Das Video der mutwilligen Polizeigewalt kann hier angeschaut werden:  http://www.youtube.com/watch?v=hkQ4YsRlFxI&feature=player_embedded
Die BewohnerInnen zögerten nicht, die Polizeischurken mit Zwischenrufen wie "Junta-Junta" und "SS SS" einzudecken. Die Cops reagierten, indem sie alle verprügelten, die ihnen in den Weg kamen und indem sie einen Wohnblock stürmten. Gemäss Ioanna Manoushaka (Foto 1) war sie am Eingang des Blocks und schreite die Cops an, dass sie das Leben im Quartier zur Hölle machen, als diese sie mit Schlagstöcken angriffen und ihr den Arm brachen und mehrere Zähne herausschlugen. Sie rannte daraufhin die Treppe hoch und schloss sich in ihrer Wohnung ein, aber die Riot-Cops folgten ihr und versuchten während fünf Minuten ihre Wohnungstür einzuschlagen, während sie und ihr Mann, ein bekannter Komponist, sich verbarrikadierten.
Unter den Schreien "heute Abend werden wir euch ficken" stürmte und zerstörte die Polizei das soziale Zentrum (Rückzugsort von ImmigrantInnen) von Diktio, dem "Netzwerk für soziale und zivile Rechte", eine linke Gruppe mit einer mehrere Dekaden langen Geschichte von Aktionen gegen den Staatsterror. Gemäss dem Communiqué von Diktio, "versucht die FMI-Regierung und Markt-Junta den kriminellen Akt auf die Bank auszuschlachten, indem sie dem Land ein Terrorregime aufzwingt. Die Orgie der Polizeiherrschaft mit Hilfe von chemischer Kriegsführung und dem Verprügeln der Massen erreichte heute Abend in Exarcheia ihren Höhepunkt".
Gleichzeitig umzingelte ein gewaltiges Polizeidispositiv die anarchistische Besetzung an der Zaimistrasse oberhalb des Polytechneio und stürmte und räumte es bewaffnet. Berichte, wonach die Polizisten in die Luft schossen während der Räumung, konnten nicht verifiziert werden. Alle BewohnerInnnen wurden verhaftet.
Die Methode kollektiver Bestrafung für den gestrigen Volkswiderstand gegen die Massnahmen war charakteristisch für die Nazikollaborationsregierung in den 1940er Jahren, was den nun üblichen Namen, der den Bullen entgegen geschreit wurde, rechtfertigt: "Deutsch-Tsoliades" (die Todesbrigaden der "Tsoliaden" unter dem Befehl der Kollaborateure).

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BOYKOTT
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NZZ am Sonntag 9.5.10

Boykott gegen Melonen und Windeln

Palästinenser verzichten auf Waren aus jüdischen Siedlungen und nennen dies "Weisse Intifada"

 Um gegen die israelische Besatzung zu kämpfen, wollen Palästinenser Produkte aus den Siedlungen boykottieren. Hinter der neuen Taktik steckt Ministerpräsident Fayyad.

Silke Mertins, Ramallah

 Die Wassermelonen sind knapp im Westjordanland. Im Frühling kommt die bei Palästinensern wie Israeli gleichermassen beliebte Frucht meist aus den Gärten jüdischer Siedler in den besetzten Gebieten. Die palästinensische Autonomiebehörde hat den Konsum der grünen Melonen kurzerhand verboten. Über sieben Tonnen Obst hat eine Kommission des Wirtschaftsministeriums in den vergangenen Wochen konfisziert und vernichten lassen. In palästinensischen Familien soll, so will es die Regierung, künftig nur noch auf den Tisch kommen, was politisch korrekt ist.

 Ministerpräsident geht voran

 Nicht nur das Obst der Israeli soll boykottiert werden. Ministerpräsident Salam Fayyad hat eine Website mit dem Namen Karama (arabisch für Anstand) einrichten lassen, die von Brezeln bis zu Babywindeln alles auflistet, was von israelischen Firmen in den besetzten Gebieten hergestellt wird - und boykottiert werden soll. Die Siedler haben bisher für eine halbe Milliarde Franken jährlich Produkte an palästinensische Läden verkauft. Auch israelische Mobiltelefongesellschaften werden geschnitten, wenn sie Funktürme in den Siedlungen nutzen. Selbst für 30 000 Palästinenser, die in den Siedlungen arbeiten, soll Ende 2011 Schluss sein.

 Hinter der Kampagne steht Ministerpräsident Fayyad. Der 58-jährige Politiker, der bisher vor allem für seine Expertisen in Finanz- und Wirtschaftsfragen bekannt und international geschätzt war, hat sich an die Spitze einer gewaltlosen Widerstandsbewegung gegen die israelische Besatzung gestellt. Seit einigen Wochen ist er landauf, landab unterwegs, um mit hochgekrempelten Ärmeln Bäumchen zu pflanzen, an Demonstrationen teilzunehmen oder den Nachkommen von Martin Luther King und Mahatma Gandhi die Hände zu schütteln. Aus dem einstigen Banker des Internationalen Währungsfonds im feinen Zwirn ist ein Mann der Strasse geworden.

 Die neue Welle des Widerstands, die in den Medien "Weisse Intifada" genannt wird, weil bei ihr kein Blut fliesst, ist für die Autonomiebehörde ein geradezu idealer Ausweg aus der politischen Erstarrung. Der bewaffnete Widerstand gegen die Israeli ist gescheitert, ein Friedensprozess ist nicht in Sicht. Israel ist derzeit nicht einmal bereit, den Ausbau der nach internationalem Recht illegalen Siedlungen völlig einzustellen. Fayyad will den Status quo nicht hinnehmen, doch aufkündigen kann er die bestehenden Vereinbarungen mit den Israeli auch nicht.

 Europäische Vertreter in Ramallah sind höchst angetan von Fayyads neuem Kurs. In dem Dorf Bilin, wo der Ministerpräsident jüngst eine Rede vor Demonstranten gegen die israelische Sperranlage gehalten hat, nahmen so viele Diplomaten teil, dass im Dorf die Parkplätze für ihre Luxusautos knapp wurde. "Die ganze Welt steht heute hinter uns!", rief Fayyad seinen Zuhörern zufrieden und gut gelaunt zu. Er genoss das Bad in der Menge, schüttelte Hände und streichelte Kinderköpfe.

 Sogar die Hamas klingt sanft

 "Selbst die Befürworter von Gesprächen realisieren jetzt, dass Verhandlungen allein nicht zu einem palästinensischen Staat führen werden", sagt Hani Masri vom Palestinian Media, Research and Studies Center in Ramallah. Der neue Kurs der Autonomiebehörde bedeute nicht, dass der bewaffnete Widerstand verurteilt werde, für die Autonomiebehörde sei der gewaltlose Widerstand eine Taktik. Für Gewalt gebe es keine internationale Unterstützung, für den Boykott aber schon.

 Trotz aller Skepsis, ob man die Israeli mit einem Embargo zu Konzessionen zwingen kann, hat niemand im Westjordanland Lust auf einen neuen Gewaltausbruch, nicht einmal die radikalislamische Hamas. "Ich glaube zwar nicht, dass dieser Weg zur Befreiung Palästinas führen wird", sagt Mahmud al-Ramahi von der Hamas, der Vizepräsident des Parlaments. "Aber wir wollen dem gewaltlosen Widerstand eine Chance geben."

 Die Israeli sehen die Entwicklung mit Sorge. Die Militärs betonen, dass die Vernichtung von israelischen Produkten nicht gewaltlos sei, sondern Aufwiegelung, und gegen den Friedensplan (Roadmap) verstosse. Politisch sieht die Autonomiebehörde aber derzeit keine Alternative. Fayyad will lieber die Unzufriedenen anführen, als von ihnen überrannt zu werden.

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ANTI-ATOM
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NZZ am Sonntag 9.5.10

Nervosität um Atom-Endlager

 Die Pläne der Nagra werden kritisiert, diese zeigt sich unbeeindruckt

 In die Diskussion um ein atomares Endlager kommt Bewegung. Der Kanton Schaffhausen prescht mit einer zweifelhaften Studie vor.

 Benjamin Tommer

 Für Thomas Ernst, den CEO der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra), lief es schon runder: Einerseits hat der Kanton Schaffhausen Ende April quer zu allen offiziellen Plänen eine kritische Studie zur Endlager-Planung präsentiert. Vergangene Woche hat sich überdies die Kommission für nukleare Sicherheit zu Wort gemeldet. Sie setzt Fragezeichen hinter die vorgesehene Tiefe eines künftigen Endlagers.

 Der Weg zum Endlager ist lang. Voraussichtlich 2018 entscheiden die Stimmberechtigten über zwei Standorte - einen für schwach- und mittelaktive und einen für hochaktive Abfälle. Zurzeit läuft Etappe 1, in der es allein um die Frage geht, ob sich radioaktiver Müll in der Schweiz sicher lagern lässt. Ja, sagt dazu die Nagra. Sie hält sechs Gebiete im Mittelland und am Innerschweizer Wellenberg für geeignet.

 Inhaltliche Ungereimtheiten

 In Abweichung vom vorgesehenen Programm hat Schaffhausen beim Beratungsunternehmen Brugger und Partner eine Studie in Auftrag gegeben, die zeigen soll, welche Wirkung ein atomares Endlager auf den Kanton hätte. Die Umtriebigkeit kommt nicht von ungefähr: Die Nagra hat gleich zwei Gebiete vor den Toren der Stadt (Weinland/Südranden) im Auge. Die Schaffhauser Studie durchkreuzt die Pläne des Bundes, der zwar auch sozioökonomische Erhebungen machen will, aber erst später und für alle Regionen nach der gleichen Methode. Von einem Vorpreschen könne keine Rede sein, sagt dazu Schaffhausens Regierungspräsident Erhard Meister. Man habe immer eine frühe Prüfung der Frage gefordert. Die Lektüre der Ende April veröffentlichten Studie legt allerdings den Schluss nah, dass ihr Ziel nicht wissenschaftliche Grundlagenarbeit war, sondern die Bekräftigung des Schaffhauser Widerstands. So macht die "erste umfassende wissenschaftliche Studie zu sozio-ökonomischer Langzeitwirkung", wie sie die Schaffhauser Regierung nennt, ihre Grundlagen, die Fragenkataloge, entgegen der wissenschaftlichen Praxis nicht zugänglich.

 Früher erstellte Untersuchungen aus der Schweiz und Europa zur Wirkung bestehender Atom-Endlager liessen die Autoren unbeachtet, weil diese, wie Meister sagt, die besondere Situation Schaffhausens in der Nähe eines Lagers nicht beleuchtet hätten. Aber auch inhaltlich bietet die Studie Ungereimtheiten: Sie sagt dem Kanton eine schrumpfende Bevölkerung und damit sinkende Steuererträge von jährlich 15 bis 32 Millionen Franken voraus. Dass zusätzliche Einwohner auch Kosten verursachen, bleibt unerwähnt. Die Studie setzt den entgangenen Brutto-Steuereinnahmen direkt mögliche Netto-Entschädigungen vom Bund von 300 Millionen Franken gegenüber. Diese Beträge reichten nicht weit, heisst es in der Studie. Meister räumt ein, dass Steuern keine Netto-Einnahmen sind. Weil die Bevölkerung Schaffhausens schrumpfe, die Infrastruktur aber bestehe, sei jeder zusätzliche Steuerfranken faktisch ein gewonnener Franken.

 Nagra-CEO Ernst äussert sich auf Anfrage nicht inhaltlich zur Studie. Er verweist aber darauf, dass sich rund um das bestehende atomare Zwischenlager im aargauischen Würenlingen die Wirtschaft und die Bevölkerungszahlen sehr positiv entwickelten.

 Es ging 180 Millionen Jahre gut

 Auch die jüngste Stellungnahme der Kommission für nukleare Sicherheit beunruhige ihn inhaltlich nicht, sagt Ernst. Immerhin habe diese allen sechs von der Nagra vorgeschlagenen Standortgebieten zugestimmt. Und zur Frage der Tiefe eines Lagers sagt er: "Das Wirtgestein, das wir vorschlagen, ist 180 Millionen Jahre alt, und es hat ein Dutzend Eiszeiten heil überstanden."

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Sonntagszeitung 9.5.10

Die Nagra soll nochmals bohren Die Kommission für nukleare Sicherheit fordert eine bessere Datenlage

Catherine Boss

 Bern Rückschlag für die Nagra. Der Fahrplan für die Suche nach einem Endlager könnte sich um Jahre verzögern. Grund: Die Kommission für nukleare Sicherheit (KNS) empfiehlt in ihrem neusten Bericht weitere, umfangreiche Bohrungen an allen potenziellen Standorten für ein Endlager für radioaktive Abfälle - also in den Standortgemeinden der Kantone Aargau, Solothurn, Zürich und Schaffhausen. Bisher hat die Nagra nur in Benken (im Zürcher Weinland) Tiefenbohrungen vorgenommen. Das genüge nicht, meint die den Bundesrat in Nuklearfragen beratende Kommission.

 Die KNS gehe davon aus, dass für vergleichbare Sicherheitsanalysen zusätzliche erdwissenschaftliche Untersuchungen mit Schallwellen und Tiefenbohrungen erforderlich seien, schreiben die Experten. Dies müsse mit höchster Priorität abgeklärt werden.

 "Die Kommission bestätigt, was wir schon lange sagen", meint die Schaffhauser Regierungsrätin Ursula Hafner (SP).Weitere Untersuchungen seien dringend nötig, um die Standorte vergleichen zu können. Diese Zeit müsse die Nagra einsetzen, alles andere sei fahrlässig. Auch der Zürcher Regierungsrat Markus Kägi (SVP) wird sich an der nächsten Sitzung der Standortkantone im Juni dafür einsetzen.

 Laut Michael Aebersold, Leiter der Sektion Entsorgung radioaktiver Abfälle beim Bundesamt für Energie, würden neue Bohrungen die nächste Etappe um rund drei Jahre verlängern. Der Fahrplan wäre nicht einzuhalten. Der Bundesrat wollte bereits 2011 je zwei Topfavoriten für ein Lager für hochaktive und eines für schwach- und mittelaktive Abfälle auswählen.

 Die Nagra sieht keinen Bedarf für neue Bohrungen. Für die jetzt nötigen Sicherheitsanalysen genüge die Datenlage, sagt Nagra-Chef Thomas Ernst. Das werde die Nagra dem Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat in den nächsten Monaten darlegen.