MEDIENSPIEGEL 12.5.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (DS, Kino)
- Neues Rössli im Kulturkarussel
- Demorecht BE: Gegen den Entfernungsartikel
- Stadttauben: Bürgerliche Kampagne gegen Parzelle 313
- Lärmklagen: FDP will runden Tisch für "National"
- RaBe-Info 12.5.10
- Libertäre Buchmesse Biel 14.-16.5.10
- Kulturoffensive LU: Volksmotionen eingereicht
- 1. Mai Zug: Tamilischen Jugendverein ausgeschossen
- Zureich: 22 Häuser besetzt
- Autonome Schule ZH: Demo gegen Verhaftung Kursleiter
- Gefangene ZH: 1 frei, 2 noch drin
- Knast VD: Skander Vogts Tod beschäftigt Behörden
- Bäckeranlage ZH: Pingpong für alle, sonst...
- YB-Ultras: Der "Bund" in der D-Kurve; Keine Auffahrt-Freinacht
- Big Brother Sport: 860 Einträge in Hoogan
- Vor der WM: Repression in Südafrika
- Zwischengeschlecht: Portrait eines/-r Intersexuellen
- Nationalsozialismus: Biographie Sophie Scholl; Adolf Eichmann
----------------------
REITSCHULE
----------------------
Mi 12.05.10
19.00 Uhr - SousLePont - Was der Bauer nicht kennt...
Spezialitäten
21.00 Uhr - Rössli - Bill Ayers feat. Daniel Ryser
und Goran:
"Flüchtige Tage".
22.00 Uhr - Dachstock - DAAU - Die Anarchistische Abend
Unterhaltung
(Radical Duke/B)
Do 13.05.10
20.00 Uhr - Frauenraum - BarOmeter mit DJ Xylophee, DJ
Dunch, DJ FRATZ,
Isabelle, Mike, Nadja & DJ ELfERich
20.30 Uhr - Kino - A Road not Taken, Christina Hemauer,
Roman Keller,
CH 2010
21.00 Uhr - Rössli - Navel & Lombego surfers
Fr 14.05.10
19.30 Uhr - Frauenraum - "FLEURT" - Die Buchvernissage
21.00 Uhr - Kino - A Road not Taken, Christina Hemauer,
Roman Keller,
CH 2010
22.00 Uhr - Frauenraum - "FLEURT" - Die Party mit The
Agentur.
(Querbeet-Disko)
23.00 Uhr - Dachstock - Cool & Deadly: Moya (More
Fire/BE) ls. Boss
Hi-Fi(ZH) ls. Nick Widmer (Our Sound/ZH)
Sa 15.05.10
13.00 Uhr - Frauenraum - "FLEURT" - Die Ausstellung (bis
18.00 )
21.00 Uhr - Kino - Empire St. Pauli - von Perlenketten
und
Platzverweisen, Irene Bude und Olaf Sobczak, Mini-DV, 2009
22.00 Uhr - Dachstock - Wild Wild East: Besh O Drom
(HUN) & Mad
Manoush - The Gypsy R-Evolution (A/CH), DJ Rane
So 16.05.10
13.00 Uhr - Frauenraum - "FLEURT" - Die Ausstellung (bis
18.00 )
20.00 Uhr - Rössli - Unbunny (USA). - Konkret
Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch
---
Bund 12.5.10
DAAU
Kammermusik mit Format
Die anarchistische Abendunterhaltung, kurz DAAU, heisst ein
Quartett aus Belgien; eine Band, die sich nach einer zentralen Stelle
in Hermann Hesses "Steppenwolf" benennt, muss Ungewöhnliches im
Sinn haben: DAAU machen Kunstmusik irgendwo zwischen
osteuropäischer Folklore, Dub, träumerischen Filmsoundtracks
und poetischen Kammermusik-Etüden im 15-Minuten-Format. (reg)
Reitschule Dachstock Mi, 12. Mai, 21 Uhr.
---
WoZ 13.5.10
Neue Dokumentarfilme
Wie vielfältig das aktuelle Dokumentarfilmschaffen ist,
zeigt das Kino in der Reitschule Bern mit seiner Filmreihe "Neue
Dokumentarfilme", die Werken mit sozialen und politischen Themen
gewidmet ist - etwa "A Road Not Taken" von Christina Hemauer und Roman
Keller über die Geschichte der Sonnenkollektoren oder "Empire St.
Pauli - Von Perlenketten und Platzverweisen" von Irene Bude und Olaf
Sobczak. Im Programm ist auch "L'encerclement" von Richard Brouillette,
der letztes Jahr am Dokumentarfilmfestival in Nyon den Grossen Preis
erhalten hat. süs
"A Road Not Taken" in: Bern Kino in der Reitschule, Do, 13. Mai,
20.30 Uhr, Fr, 14. Mai, 21 Uhr. "Empire St. Pauli - Von
Perlenketten und Platzverweisen", Sa, 15. Mai, 21 Uhr, Do, 20. Mai,
20.30 Uhr. www.reitschule.ch
----------------
RÖSSLI
-----------------
Bund 12.5.10
Sounds Rössli in der Reitschule
Neues Rössli im Kulturkarussell
Das Rössli in der Reitschule hat sich zu einer wichtigen
Spielstätte des Berner Nachtlebens entwickelt. Ein Augenschein.
Es klingt nach Stumpenrauch und Lotto im Säli, doch das
Rössli unter dem Dach der Berner Reitschule hat in dem einen Jahr
seiner Existenz eine ganz andere Art der Zerstreuung etabliert.
Langsam, aber unaufhaltsam hat sich das Rössli zu einer
geschmackssicher programmierten neuen Berner Spielstätte
gemausert, der Konzerteintritt kostet faire 10 Franken, und die
Qualität der auftretenden Bands nimmt stetig zu. Stilistisch
festzurren mag Christian Trunz aus dem Veranstalterkollektiv das
Programm des Rössli nicht: "Wir sind daran interessiert,
wesentliche Musik ins Rössli zu bringen", sagt er, "tendenziell
konzentrieren wir uns auf Musik, die in Bern bisher noch keine Heimat
gefunden hat - am ehesten ist unser Programm wohl mit jenem vom Bad
Bonn in Düdingen zu vergleichen."
Neben aufstrebenden Garagen-Bands gehört der
ungeläufige Hip-Hop zu einem der Schwerpunkte des Rössli,
für dessen Programmierung das Team der Hip-Hop-Aficionados
undergroundhiphop.ch beratend zur Seite steht. Es komme, gerade bei
kleineren Konzerten, durchaus auch vor, dass das Rössli auch
zusammen mit den Veranstaltern des Dachstocks bespielt werde,
erklärt Sabine Ruch, die Haupt-Bookerin des Dachstocks. Bei einer
Kapazität von 150 Personen sei das Rössli eine perfekte
räumliche Alternative zum 800 Zuschauer fassenden Dachstock.
Welche stilistische Vielfalt im Rössli herrscht, davon zeugt
ein Blick auf das Programm der nächsten sieben Tage. Das beginnt
mit der Lesung des Underground-Literaten Bill Ayers (Mi, 12. Mai). Zu
den Bewunderern des einstigen Bombenlegers gehört ein gewisser
Barack Obama, was diesem im Wahlkampf den Vorwurf der
Terrorismus-Nähe einbrockte. Am Tag darauf gastiert die Schweizer
Indie-Institution Navel zusammen mit den Lombego Surfers im
Rössli. Am Sonntag, 16. Mai, verquicken Unbunny aus Seattle die
Schlauheit des Folks mit der Schwerblütigkeit des Grunge, Baby
Monster aus Portland lassen am Montag (17. Mai) neckischen Elektropop
durch die Baulichkeit schallen, und am Mittwoch, 19. Mai, stellt das
kanadische Hip-Hop-Label Takaba vier seiner Acts vor. (ane)
-------------------------
DEMO-RECHT
-------------------------
Bund 12.5.10
"Unpraktikabel, unnötig, nicht verhältnismässig"
Das Komitee "Nein zum Entfernungsartikel" bringt sich in Stellung
vor der städtischen Abstimmung vom 13. Juni.
Christian Brönnimann
Drei Mal in den letzten fünf Jahren hat sich der Berner
Stadtrat gegen einen Entfernungsartikel im Kundgebungsreglement
ausgesprochen. In einem Monat kann nun das Stimmvolk entscheiden, ob
der Polizei ein neues Mittel zur Auflösung von Demonstrationen in
die Hand gegeben werden soll. Eine bürgerliche Volksinitiative
sieht eine Ergänzung des Reglements vor, wonach sich
Demonstrierende "unverzüglich von einer Kundgebung zu entfernen"
haben, wenn die Polizei die Demo auflösen will. Wer der
Aufforderung nicht nachkommt, könnte mit bis zu 5000 Franken
gebüsst werden.
Gestern hat das Gegnerkomitee vor den Medien seine Position
präsentiert. Dem Komitee gehören Grünes Bündnis,
SP, Juso, Junge Alternative, Grüne Partei Bern, Partei der Arbeit,
Gewerkschaftsbund der Stadt Bern und Umgebung (GSB) und Demokratische
Juristinnen und Juristen Schweiz (DJS) an. Der Entfernungsartikel sei
unnötig, unpraktikabel und unverhältnismässig, sagte
GB-Stadträtin Christine Michel einleitend.
Willkür befürchtet
Die Initiative sei unter den Eindrücken der Krawalle bei der
Anti-SVP-Demo vom 6. Oktober 2007 entstanden, führte
Stadträtin Corinne Mathieu (SP) aus. Damals sei aber alles
schiefgelaufen, was schieflaufen könne. Auch ein
Entfernungsartikel hätte daran nichts geändert. Die
Deeskalationsstrategie sei bei Kundgebungen nach wie vor der einzig
gangbare Weg, so Mathieu. Und: "Die Polizei verfügt bereits jetzt
über genügend Instrumente, um eine Demonstration
aufzulösen." Nach geltendem kantonalem Recht kann sie dies
tatsächlich tun, jedoch braucht es dazu eine Verfügung.
JA-Stadträtin Rahel Ruch stellte die Umsetzbarkeit des
Entfernungsartikels infrage. Weder könne vorausgesetzt werden,
dass alle Demonstrierenden eine allfällige Aufforderung, sich zu
entfernen, verstünden, noch könne die Polizei eine klare
Unterscheidung zwischen Demonstranten und Passanten machen. Deshalb
laufe die Anwendung des Artikels auf Willkür hinaus. Zudem
verunmögliche der Entfernungsartikel demointerne
Deeskalationsbemühungen, so Ruch.
Gewalt und Prügelpolizisten
Johannes Wartenweiler, GSB-Sekretär, kritisierte, dass mit
der Gesetzesänderung die Polizei zum Handeln gezwungen würde,
auch wenn dies eigentlich nicht angezeigt wäre. Ein "defensiver
Ermessensspielraum" sei besser, sagte Wartenweiler. Denn werde das
geltende Gesetz nicht angewandt, verliere es an Glaubwürdigkeit,
analog dem Vermummungsverbot.
In das gleiche Horn stiess DJS-Geschäftsführerin
Catherine Weber. Der Artikel setze die Polizei unnötig unter
Druck, hart durchzugreifen. Dies führe zu einer "Gewaltspirale"
und zu "Prügelpolizisten". Insgesamt beurteilte Weber den
Entfernungsartikel als "einschneidenden Eingriff in die Versammlungs-
und Meinungsfreiheit". Dass festgenommene Demonstrierende mit bis zu
5000 Franken gebüsst werden könnten, sei eine neue,
unverhältnismässige Qualität am Ganzen. Zudem müsse
man bedenken, dass eine Verschärfung des Berner
Kundgebungsreglements schweizweite Folgen habe, so Weber.
---
BZ 12.5.10
Demo-Reglement
"Pure Willkür"
Die Initiative "Keine gewalttätigen Demonstranten" setze die
Polizei unter Druck und löse das Problem nicht, sagen die Gegner.
Artet eine Kundgebung aus, kann die Polizei alle Anwesenden
auffordern, sich zu entfernen. Wer nicht geht, macht sich strafbar. Ihm
droht eine Busse bis zu 5000 Franken. Dies würde der
Entfernungsartikel, den die Initiative "Keine gewalttätigen
Demonstranten" ins Kundgebungsreglement einbauen möchte,
ermöglichen.
Das öffne "purer Willkür" Tür und Tor,
befürchtet ein links-grünes Komitee. Es bekämpft deshalb
das bürgerliche Volksbegehren, über das am 13.Juni das
Stimmvolk abstimmen wird. "Bei einer grossen Demonstration ist es
schlicht nicht möglich, Passanten von Demonstranten zu
unterscheiden", sagte gestern Rahel Ruch, Stadträtin der Jungen
Alternative. Entweder verzichte die Polizei auf die Anwendung des
Artikels, oder zumindest auf Bussen. Dann verlöre das Instrument
aber schnell seine abschreckende Wirkung, welche die Befürworter
"beschwörten". Büsse die Polizei aber tatsächlich alle,
so wäre dies nicht verhältnismässig.
Polizei gerät unter Druck
"Demos bleiben dann friedlich, wenn die Zusammenarbeit mit den
Behörden und der Polizei klappt", betonte Johannes Wartenweiler
vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Er schlug den Bogen zum
Vermummungsverbot. Würde die Polizei dieses umsetzen, käme es
"regelmässig zu einem Puff". In der Schweiz handle die Polizei
aber nach dem Gebot der Verhältnismässigkeit, ergänzte
Catherine Weber von den demokratischen Juristen der Schweiz. Genau dies
müsse auch in Zukunft der Weg sein. Ein Entfernungsartikel
würde den Druck auf die Polizei erhöhen: "Polizisten
würden zu Prügelpolizisten", befürchtet sie. In der
vorberatenden Kommission habe der anwesende Vertreter der Polizei
seinerseits nicht allzu viele Hoffnungen in dieses Instrument gesetzt,
führte SP-Stadträtin Corinne Mathieu aus: "Das Polizeigesetz
ermöglicht schon heute eine Auflösung von Demos."
Schatten des 6.Oktobers
Der rot-grüne Gemeinderat setzt sich aber im Gegensatz zum
Parlament für den Entfernungsartikel ein. Für das
Gegnerkomitee ist klar, dass die Regierung nach den eskalierten SVP-
und Schwarzes-Schaf-Demonstrationen vom 6.Oktober 2007 unter Zugzwang
steht. "Offenbar will der Gemeinderat noch mehr Verantwortung an die
Polizei delegieren", vermutete Weber. Dabei sei das Gegenteil
nötig: Die Regierung müsse wieder mehr politische
Verantwortung übernehmen. Für das Grüne Bündnis ist
der Entfernungsartikel nicht nur "unnötig"; er würde die
Meinungs- und Versammlungsfreiheit unzulässig einschränken.
cab
---
Bund 12.5.10
EDU sagt Ja zum Entfernungsartikel
Die Eidgenössisch-Demokratische Union der Stadt Bern hat
für die Initiative "Keine gewalttätigen Demonstrationen" die
Ja-Parole gefasst. Bei gewalttätigen Demonstrationen erhalte die
Polizei mit dem Entfernungsartikel ein wichtiges Mittel, um die
Situation in den Griff zu kriegen, teilt die Partei mit. Es sei auch
richtig, dass Kundgebungsteilnehmer, welche den Anweisungen der Polizei
keine Folge leisten, gebüsst werden könnten. Die EDU
empfiehlt den Stimmberechtigten am 13. Juni auch die Teilrevision der
Gemeindeordnung und die damit verbundene Übertragung von
zusätzlichen Aufgaben an die Regionalkonferenz sowie den Zonenplan
Mingerstrasse anzunehmen. (pd)
---
grundrechte.ch 6.5.10
Demo-Recht unter Druck
6. Mai 2010
In vielen Städten kommt das verfassungsmässige Recht auf
Versammlungsfreiheit unter Druck
Bern
Kaum sind die Bürgerlichen mit ihren Plänen in der Stadt
Bern, grundsätzlich nur noch Platzkundgebungen zuzulassen, vor dem
Verwaltungsgericht abgeblitzt, soll das Berner Kundgebungsreglement
erneut verschärft werden. Teilnehmende einer Kundgebung -
bewilligt oder unbewilligt - müssten sich nach diesem neuen
Artikel "unverzüglich... entfernen, wenn sie von der Polizei
darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Kundgebung zur
Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
aufgelöst werden muss". Wer diesem staatlichen Befehl nicht
umgehend Folge leistet riskiert eine Busse von bis zu Fr. 5000. Im
Herbst erfolgt die Abstimmung über den "Entfernungsartikel".
Luzern
In Luzern hat der Stadtrat eine Motion der SVP, Demonstrationen an
Samstagen erst nach 17 Uhr zu erlauben, abgelehnt. Begründung:
"Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist höher zu gewichten als
die Wirtschaftsfreiheit, wenn bei einer Kundgebung nicht ernsthaft mit
Ausschreitungen zu rechnen ist". Trotzdem ist damit zu rechnen, dass
weiterhin Druck auf Demoveranstalter gemacht wird.
Zürich
Nach dem 1. Mai wurde im Kantonsrat eine Einzelinitiative eingereicht,
welche das Polizeigesetz abändern will. Bei bewilligten
Veranstaltungen haben die Organisatoren gemäss diesem Vorschlag
nur dann keine Kosten zu tragen, wenn es "bei Nachdemonstrationen nicht
zu Sachschäden oder zu einem massiven Polizeieinsatz kommt". Das
wäre das Ende des 1.-Mai-Fests.
Basel
Nach den Sommerferien werden in der ganzen City hochauflösende
Kameras aufgestellt. Jede Demo in der Innenstadt kann vollständig
live verfolgt werden.
-----------------------------
STADTTAUBEN
-----------------------------
BZ 12.5.10
"Stadttauben" in Bümpliz
Das Spiel geht weiter
Der Gemeinderat will, dass ab 1. Juni alle Wohnwagengruppen auf
ein gemeinsames Gelände ziehen. Ein frommer Wunsch.
Seit drei Jahren sucht die Stadt eine Lösung für
illegale Wohnwagensiedlungen. Nachdem 2008 Wohnwagengruppen mit
Behörden und Grundbesitzern monatelang Katz und Maus gespielt
hatten, berief Stadtpräsident Alexander Tschäppät einen
runden Tisch ein. Tschäppät konnte eine vermeintliche
Lösung präsentieren: Den Gruppen werde jeweils für drei
Monate im Rotationsprinzip ein Terrain zur Verfügung gestellt.
Untaugliche Lösung
Drei Jahre später funktioniert die "Lösung" immer noch
nicht. Während die "Stadtnomaden" bereits im Februar 2009 das
Rotationsprinzip akzeptierten und seither praktizieren, sorgen die
"Stadttauben" regelmässig mit Besetzungen für Ärger:
aktuell in Bümpliz, davor in der Lorraine. Da nützten bislang
alle Vermittlungsversuche von Regula Mader nichts: 2008 wurde die
damalige Regierungsstatthalterin als "neutrale Vermittlerin"
beigezogen, letzten März bekräftigte der Gemeinderat das
"Verhandlungsmandat".
Ende Monat läuft dieses Mandat aus. Das Hauptziel sei, so
erklärte die zuständige Gemeinderätin Barbara Hayoz
(FDP) gestern in dieser Zeitung, "dass sich die verschiedenen
Gruppierungen, die in Wagen leben, zu den Beschlüssen des runden
Tischs bekennen und ab 1. Juni auf ein gemeinsames Gelände ziehen".
Hüttendorfzone ist Ziel
Daran glauben nur beinharte Optimisten: Zwar wollten weder Hayoz
noch Mader zu den Verhandlungen Stellung nehmen. Die "Stadttauben"
haben indes stets klargemacht, dass sie das Rotationsprinzip ablehnen.
Demonstrativ foutierten sie sich im März um das Angebot der Stadt,
sich auf dem Gelände von Wankdorf City niederzulassen. Die
"Tauben" wollen keine temporäre Bleibe, sondern einen dauerhaften
Standplatz.
Auch hier ist ihnen der Gemeinderat weit, sehr weit
entgegengekommen: Während die Regierung noch 2007 mehrfach
verkündete, es sei nicht Aufgabe der Stadt, Raum für
alternative Wohnformen zur Verfügung zu stellen, formuliert heute
der Gemeinderat die Schaffung einer Hüttendorfzone als Endziel.
Doch dafür braucht es eine Volksabstimmung. 1996 sagten die
Stimmbürger bereits einmal Nein dazu. Momentan treffen die
Behörden für verschiedene mögliche Standorte "vertiefte
Abklärungen".
So wird das Katz-und-Maus-Spiel wohl noch eine Weile weitergehen.
Wie gewohnt werden die "Stadttauben" ihren Platz vor Ablauf der
Räumungsfrist Ende Mai verlassen und eine andere Brache
widerrechtlich in Beschlag nehmen - aus Prinzip.
Adrian Zurbriggen
--
Hunde jagen Kindern Angst ein
Seitdem der Leistpräsident von "Stadttauben"-Hunden in
Bümpliz gebissen wurde, fürchten sich die Kids auf dem
Schulweg.
"Es ist höchste Zeit, dass die ‹Stadttauben› mit ihren
Hunden von der Winterholzstrasse wegziehen", sagt Nachbarin Katja
Jakob. Denn: "Die herumstreunenden Hunde der Stadttauben sind für
unsere drei Kinder auf dem Schulweg bedrohlich, weil sie halt im Rudel
ihr Revier verteidigen und dabei die Kinder auf dem Schulweg anbellen."
Es dürfe doch nicht sein, dass die schlecht erzogenen Hunde der
"Stadttauben" frei herumstreunen und unseren Kindern Angst einjagen,
klagt die Mutter von Fabienne (10), Levin (8) und Laurin (5)
gegenüber dieser Zeitung.
Für die Mutter sind nicht die Hunde das Problem, sondern die
Besitzer, welche ihre Tiere überhaupt nicht im Griff haben, meint
sie.
"Seitdem Martin Reist von den ‹Stadttauben›-Hunden gebissen
wurde, haben unsere Kinder noch mehr Angst vor den Hunden", sagt Katja
Jakob. Die drei Kinder von Katja und Thomas Jakob sind in ihrer
Bewegungsfreiheit nicht nur auf dem Schulweg, sondern auch in der
Freizeit eingeschränkt: "Unsere Kinder können nicht mehr auf
der nahen Hofstatt Fussball spielen, weil sie sonst von den Hunden im
Rudel angegriffen würden", sagt Katja Jakob.
"Dieses Problem besteht bereits seit bald drei Jahren, weil seit
dieser Zeit ein anderer illegaler Bewohner mit vier Hunden auf dieser
Parzelle lebt", sagt Katja Jakob. "Unsere drei Kinder mussten schon
mehrmals vor seinen Hunden flüchten."
Auch Brigitta Geiser, die mit ihren zwei Kindern im nahen
Westside wohnt, ist froh, wenn die "Stadttauben" endlich wegziehen. "Es
ist einfach nicht richtig, wenn das herrenlose ‹Stadttauben›-Hunderudel
unseren Kindern auf dem Schulweg Angst einjagt", sagt Brigitta Geiser.
Und sie betont: "Mein Mann, ich und unsere Kinder sind keine
Hundehasser, wir haben selber einen 13 Jahre alten Mischling."
Jürg Spori
---
Bund 12.5.10
QBB will Stadttauben weg haben
Die Quartierkommission Bümpliz-Bethlehem QBB diskutierte
anlässlich ihrer Forumssitzung am Montag über das weitere
Vorgehen im Zusammenhang mit der mobilen Wohngruppe "Stadttauben". Wie
einer Mitteilung zu entnehmen ist, nimmt die QBB den Vorfall vom
letzten Donnerstag mit Bedauern zur Kenntnis. An jenem Tag ist es zu
einem tätlichen Übergriff eines Mitglieds der Stadttauben auf
den Präsidenten des Nordquartierleists gekommen (der "Bund"
berichtete). Die illegale Besetzung der Parzelle 6/313 werde in keiner
Weise gebilligt, so die QBB weiter. Die Quartierkommission verlangt
nach dem Vorfall nun ein möglichst rasches Handeln vom
Gemeinderat. (pd)
----------------------------
LÄRMKLAGEN
----------------------------
Bund 12.5.10
FDP will dringliche Debatte zum National
"Wie gedenkt der Gemeinderat das Hotel-Restaurant National
künftig zu unterstützen?" Diese Frage will die FDP-Fraktion
im Berner Stadtrat nächstens diskutieren. Da Nachbarn des
National-Theatersaals seit Jahren Lärmimmissionen beklagen und den
Rechtsweg eingeschlagen haben, ist laut der Besitzerfamilie
Grünenwald der Fortbestand des ganzen Betriebs gefährdet
("Bund" von gestern). Stadtrat Bernhard Eicher will wissen, ob der
Gemeinderat eine Vermittlerperson einsetzen wolle, um den
Nachbarschaftskonflikt zu entschärfen. Er mache dies jeweils "bei
Querschlägergruppierungen wie den Stadttauben", nun könnte er
es anstatt bei Besetzergruppen auch bei einem guten Steuerzahler und
Arbeitgeber tun, so Eicher.
Der Anwalt des Nachbarn an der Effingerstrasse sagte gestern auf
Anfrage, er wolle sich zum Konflikt mit dem Hotel National nicht
äussern. Der Handel kommt vors Verwaltungsgericht. (mdü)
---
BZ 12.5.10
Hotel National
FDP fordert Vermittlung
Im Lärmkonflikt zwischen dem Hotel-Restaurant National und
dem Eigentümer einer angrenzenden Liegenschaft an der
Effingerstrasse soll der Gemeinderat vermitteln. Dies fordert die
FDP-Fraktion des Stadtrates. In einer Interpellation will die Partei
vom Gemeinderat wissen, wie er das traditionsreiche Hotel im Kampf um
seinen Theatersaal unterstützten will. Der Streit entbrannte, weil
sich die Mieter der angrenzenden Liegenschaft über den Lärm
aus dem Theatersaal beschwerten (Ausgabe von gestern). Sie bedaure den
Konflikt und wolle verhindern, dass das National Bern verloren gehe,
schreibt die FDP weiter.
pd/as
----------------------
RABE-INFO
----------------------
Mi. 12. Mai 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_12._Mai_2010.mp3
- Compasito: Handbuch zur Menschenrechtsbildung für Kinder
http://www.compasito-zmrb.ch/
- Visa- Freiheit: Beschränkter EU Zutritt für Menschen aus
Bosnien
- Arbeitsrechte: Wunderwerke der Technik und der Alltag der
Billiglohnarbeitenden
------------------------------------
@-BUCHMESSE BIEL
-------------------------------------
WoZ 13.5.10
Libertäre Buchmesse
In den frühen achtziger Jahren entstand unter AnarchistInnen
in London - unter dem Eindruck einer sozialistisch genannten, teuren
und von grossen Verlagshäusern frequentierten Buchmesse - der
Wunsch, einen eigenen Anlass zu organisieren.
Inzwischen haben anarchistische Buchmessen in vielen Städten
Tradition - etwa in São Paulo, Zagreb, Barcelona oder Dublin. In
der Schweiz fand ein solcher Anlass erstmals im Februar 2009 in
Winterthur statt. Zur Fortsetzung kommt es nun in Biel. Als
grösste zweisprachige Stadt der Schweiz ist Biel/Bienne bestens
geeignet, nicht nur Deutsch, sondern auch lateinische Sprachen
sprechende Menschen einzuladen, die sich für Themen rund um
Anarchie interessieren. Biel hat auch eine libertäre Tradition:
Das AJZ im ehemaligen Gaskessel ist das älteste in der Schweiz,
das Chat Noir einer der wenigen anarchistischen Infoläden
hierzulande. Dar über hinaus gibt es in der Stadt noch immer ein
erstaunliches Netz mit autonomen Betrieben.
An der Libertären Buchmesse stellen rund dreissig
AusstellerInnen anarchis tische Medien aus. Die Messe wird erweitert
durch Lesungen, Ausstellun gen, Workshops, Diskussionsrunden,
Filmvorführungen, Kleinkunstdarbietun gen, Referate,
Volksküche, ein "Literattentat" und Konzerte im Gaskessel. adr
Libertäre Buchmesse in: Biel/Bienne Gaskessel und weitere
Orte in der Stadt, Fr, 14., bis So, 16. Mai.
http://www.buechermesse.ch
---
buechermesse.ch
Anarchistische Buchmesse 2010
Warum eine libertäre Buchmesse in Biel/Bienne?
Während anarchistische Buchmessen in der ganzen Welt stark am
Kommen sind, blieb es in den Deutschsprachigen Ländern bislang
auffällig ruhig. Im Februar 2009 fand zum ersten mal ein solcher
Anlass in Winterthur in der Schweiz statt. Der Erfolg der Buchmesse
machte eine Fortsetzung fast zwingend, doch konnte in Winterthur ein
Ziel schlecht realisiert werden: Der Anlass sollte nicht nur für
Deutsch sprechende BesucherInnen und AnbieterInnen interessant sein,
sondern auch für solche aus Französisch- und
Italienischsprachigen Regionen. Als grösste zweisprachige Stadt
der Schweiz ist Biel/Bienne daher bestens dafür geeignet. Und
damit noch nicht genug: Beinahe in den Stammlanden der legendären
Fédération Jurassienne gelegen, lebt auch heute noch in
Biel die libertäre Tradition fort: Trotz der lediglich 50'000
EinwohnerInnen gibt es hier besetzte Häuser, ein autonomes
Jugendzentrum mit mehr als vierzigjähriger Geschichte, den "Chat
Noir" als einer der ganz wenigen anarchistischen Infoläden in der
Schweiz, eine selbstverwaltete Gassenküche mit täglichen
warmen Mahlzeiten, eine autonome Druckerei... Darüber hinaus ist
die Stadt dank ihrer günstigen geographischen Lage schon seit
langem beliebter Treffpunkt für Anarch@s aus dem ganzen Land. Kurz
und bündig: Ein idealer Ort für eine libertäre Buchmesse!
Was geboten wird
Die Buchmesse findet am Samstag, 15., und Sonntag, 16. Mai 2010 im
"Chessu" statt. In Winterthur waren gut 30 AnbieterInnen
anarchistischer Medien anwesend, dieses Mal hoffen wir noch auf einige
mehr. Eine laufend erweiterte Liste der Teilnehmenden findest du hier.
Zudem besteht an verschiedenen Orten in Biel/Bienne Platz für
weitere Veranstaltungen: Austellungen, Diskussionsrunden,
Filmvorführungen, Kleinkunst, Lesungen, Podiumsgespräche,
Referate, Workshops,... Ein Teil davon wird von uns organisiert, wir
sind aber auch auf die Eigeninitiative von BesucherInnen angewiesen.
Wenn du eine Idee hast, melde dich doch bitte hier. Das
vollständige Programm wird Anfang April veröffentlicht
werden. Schliesslich wird es am Samstagabend im "Chessu" ein Konzert
geben. Das Line-Up wird Anfang Jahr bekannt gegeben.
Was ist eine libertäre Buchmesse?
Anfang der 1980er-Jahre entstand bei ein paar Londoner AnarchistInnen
unter dem Eindruck einer sozialistisch genannten, doch
stinklangweiligen, teuren und von vielen grossen Verlagshäusern
frequentierten Buchmesse der Wunsch, einen eigenen solchen Anlass
durchzuführen. Das Attribut "anarchistisch" oder "libertär"
in der rasch auf die Beine gestellten "Anarchist Bookfair" bezog sich
einerseits auf die angebotenen Verlagsprogramme und anderseits auf eine
bestimmte Auffassung, wie der Anlass auszusehen habe. Es ging nicht nur
darum, möglichst viele Bücher zu verkaufen und viele Menschen
für den Anarchismus zu interessieren, sondern auch darum, eine
Plattform für AktivistInnen und eine Vielfalt an weiteren
kulturellen Veranstaltungen zu bieten. Spezifisch anarchistische
Auffassungen, die viel Wert auf die individuelle Freiheit legen,
sollten zudem an der Buchmesse gelebt werden: Rassismus, Sexismus,
Homophobie usw. hatten am Anlass nichts verloren, dagegen wurde viel
Wert auf die "do-it-yourself"-Haltung von BesucherInnen und
AnbieterInnen, Solidarität und Strukturen zur basisdemokratischen
Entscheidungsfindung gelegt.
Der "Anarchist Bookfair" war das erste Mal kein Glück beschieden:
Gerade einmal ein halbes Dutzend AnbieterInnen nahmen an dem Anlass
teil, und nachdem sich kaum eine BesucherIn blicken liess, entschieden
sich die Anwesenden kurzum, aus der Buchmesse ein Pool-Turnier zu
machen. Doch der Enthusiasmus blieb, und der Anlass wurde Jahr für
Jahr prominenter, konnte mehr libertäre Verlage und Interessierte
anziehen und grössere Veranstaltungen durchführen. Die
Buchmesse wurde im Laufe der Jahre so beliebt, dass sie dieses Jahr
bereits zum 28. Mal durchgeführt wird. Ganz unbescheiden meinen
die Veranstalterinnen und Veranstalter denn auch, dass sie der
grösste und wichtigste regelmässig stattfindende
anarchistische Anlass der Welt sei. Die Zahlen sind tatsächlich
auch ziemlich eindrücklich: 100 Bücherstände, 40
Veranstaltungen und rund 3000 BesucherInnen - und das jeweils an nur
einem Messetag. Doch längstens ist die "Anarchist Bookfair" nicht
mehr die einzige ihrer Art, so dass ihre Organisatorinnen und
Organisatoren dazu übergegangen sind, die Betonung auf "von
London" zu legen. Alleine in Grossbritannien sind im Laufe der letzten
Jahre zahlreiche anarchistische Buchmessen begründet worden. In
Kanada und in den USA hat mensch als literarisch interessierteR
AnarchistIn schon fast die Qual der Wahl - zwischen Frühling und
Herbst gibt es kaum ein Wochenende, an dem nicht irgendwo eine
libertäre Buchmesse stattfindet. Auch in Lateinamerika, wo
anarchistische Buchläden und Bibliotheken eine lange Tradition
haben, gab es in den vergangenen Jahren einige Versuche, so zum
Beispiel in Monterrey (Mexiko) und São Paulo (Brasilien).
Schliesslich tut sich auch auf dem Europäischen Festland in den
letzten Jahren einiges in dieser Sache: Seit 2003 findet alle paar
Jahre die "Balkan Anarchist Bookfair" statt (2003 in Ljubljana
(Slowenien), 2005 in Zagreb (Kroatien), 2008 in Sofia (Bulgarien));
ebenfalls in Osteuropa gibt es seit 2006 die jährlich
stattfindende "Anarhistički sajam knjiga" in Zagreb und eine
anarchistische Buchmesse in Poznan (Polen). In Westeuropa fallen vor
allem die Spanischen Genossinnen und Genossen auf, die in verschiedenen
Städten (Barcelona, Bilbao, Madrid, Valencia) regelmässig
stattfindende "ferias del libro anarquista" durchführen. Aber auch
in Paris, Gent, Florenz, Lisabon und Dublin, gab es in den letzten
Jahren entsprechende Anlässe. Die Konzepte haben sich über
die Jahre kaum geändert, wenn sich auch die Programme massiv
ausgeweitet haben: Viele der Anlässe sind heute Buchmessen,
Kulturtage, Kleinkunstbühnen, Vortragsreihen, Filmzyklen und
Begegnungsräume in einem.
Spenden sind immer willkommen:
Verein für libertäre Kultur - VlK
8400 Winterthur
Postkonto 85-592036-2
Vermerk: Buchmesse 2010
IBAN CH66 0900 0000 8559 2036 2
BIC POFICHBEXXX
-------------------------------------------
KULTUROFFENSIVE LU
---------------------------------------------
20 Minuten 12.5.10
Kulturoffensive fordert Räume
LUZERN. Mitglieder der Gruppe Kulturoffensive haben gestern beim
Stadtrat drei Volksmotionen eingereicht. Ihr Anliegen: Die Stadt soll
mehr Räume für kulturelle und soziale Zwecke schaffen. So
soll zum Beispiel die Zbinden-Druckerei im Friedental von der Stadt
gekauft und kulturell genutzt werden können. "Wir hoffen, dass die
Stadt die Motionen jetzt nicht auf die lange Bank schiebt", so ein
Sprecher.
---
kulturoffensive.ch 30.4.10
Volksmotionen der Kulturoffensive
Die Kulturoffensive hat am kulturpolitischen Umzug drei Volksmotionen
zur Stadtentwicklungs-Politik Luzerns lanciert. Dabei geht es konkret
um eine aktivere Immobilienpolitik, um die Sicherung der Areale
Hallenbad/Industriestrasse, Schüür/Rösslimatt und
Tribschen für soziale und kulturelle Zwecke, und schliesslich
darum, dass der Stadtrat beauftragt werden soll, die Zbinden-Druckerei
an der Friedentalstrasse zu kaufen und für eine kulturelle Nutzung
zu vermieten.
Die benötigten 100 Unterschriften sind bereits Zustande gekommen.
Da sich die Übergabe aber noch etwas verzögern wird, bitten
wir alle, in dieser und der nächsten Woche noch fleissig
Unterschriften zu sammeln! Die drei Volksmotionen können hier als
pdf runtergeladen und ausgedruckt werden:
Volksmotion Zbinden Druckerei für kulturelle Zwecke nutzen!
http://www.kulturoffensive.ch/wp-content/uploads/2010/04/VoMo_Drucki.pdf
Volksmotion Städtische Liegenschaften für soziale Zwecke
nutzen!
http://www.kulturoffensive.ch/wp-content/uploads/2010/04/VoMo_Liegenschaften.pdf
Volksmotion Schlüsselareale für gemeinnützige Zwecke
nutzen!
http://www.kulturoffensive.ch/wp-content/uploads/2010/04/VoMo_Schl%C3%BCsselareale.pdf
Das auf der Rückseite der Volksmotionen stehende Argumentarium:
Wie der Stadtrat bereits in seinem Raumentwicklungskonzept 2008, einem
Zwischenschritt der laufenden Bau- und Zonen-Reglements-Revision
aufzeigt, werden die Kapazitäten für die städtebauliche
Entwicklung in der Innenstadt immer knapper. Die Stadt selbst ist nur
noch im Besitz von wenigen freien Bauflächen wie der
Industriestrasse oder Teilen des Tribschenquartiers. Dort hat sich in
den letzten Jahren ein für das städtische Leben wichtiges
"kreatives Milieu" von kulturellem und gewerblichem Schaffen etabliert.
Die Zukunft dieser Räume ist akut bedroht, wenn die
Stadtentwicklung weiter der Wertschöpfungsintensivierung und den
Kriterien des Standortwettbewerbs überlassen wird.
Lebensqualität kann nicht mit marktwirtschaftlichen Kriterien
gemessen werden. Es ist für eine Stadt von zentraler Bedeutung,
dass die Innenstadt als sozialer öffentlicher Raum Platz für
die gesamte Bevölkerung bietet und das kulturelle Milieu ihre
Räume hat. Nur eine gute Durchmischung verschiedenster
Institutionen, BewohnerInnen und Räumen gibt einer Stadt ein
urbanes Zentrum. Das Vorhandensein von öffentlichen
Freiräumen, von günstigen Wohnungen sowie von kulturellen und
sozialen Einrichtungen ist von zentraler Bedeutung. Diese Aspekte
müssen von der Stadtentwicklungspolitik viel stärker
berücksichtigt werden. Es darf nicht vergessen werden, dass die
Entwicklung einer Stadt zu grossen Teilen davon abhängt, dass sich
alle Bevölkerungsteile darin wohl fühlen und ihre
Bedürfnisse befriedigen können.
Aktuell werden nicht-gewinnorientierte Einrichtungen, günstige
Wohnungen und kulturelle Freiräume immer stärker aus der
Stadt vertrieben. Der stetig grösser werdende Nutzungsdruck
führt zu einer Verdrängung wirtschaftlich schwächerer
Nutzungen und die räumliche Segregation verstärkt sich.
Wir wehren uns gegen den Trend, welcher die kulturellen und sozialen
Einrichtungen für die Bevölkerung systematisch aus dem
Zentrum in die Peripherie verlegt und dem "kreativen Milieu"
höchstens Zwischennutzungen zugesteht. Diese Einrichtungen
müssen als zentrale urbane Einrichtungen betrachtet werden und
müssen durch die Raumplanung und die städtische
Immobilienpolitik erhalten und gefördert werden. Die
städtische Politik muss gegen die Gentrifizierung angehen und
konsequent für eine gute Durchmischung der Innenstadt und weiterer
städtischer Zentren sorgen.
Die Stadt muss sich mit ihrer eigenen Immobilienpolitik aktiver
für den Erhalt und den Ausbau von kulturellen, sozialen und
kleingewerblichen Einrichtungen einsetzen. Die noch frei stehenden
Schwerpunktorte Hallenbad/Industriestrasse,
Schüür/Rösslimatt sowie Tribschen stellen die letzten
Chancen dar, die jetzt angegangen werden müssen.
Das Beispiel des Frigorex-Areals hat gezeigt, dass die Stadt
gegenüber privaten Investoren wehrlos ist - und auch in Zukunft
sein wird, wenn es darum geht, bestehende kulturelle und
kleingewerbliche Nutzungen zu sichern. Deshalb muss sich die Stadt mit
ihrer eigenen Immobilienpolitik aktiver für den Erhalt und den
Ausbau von kulturellen, sozialen und kleingewerblichen Einrichtungen
einsetzen.
Die Stadt hat ihren sozialen Auftrag wahrzunehmen und ihre Immobilien
für die Bedürfnisse der gesamten Bevölkerung zu
reservieren. Der Kauf der ehemaligen Zbinden-Druckerei an der
Friedentalstrasse kann als erster Schritt einer solchen
Immobilienpolitik verstanden werden. Das seit längerer Zeit leer
stehende Gebäude wird zurzeit vom Fumetto-Festival als
Ausstellungsort zwischengenutzt - was neben dem Bedürfnis nach
neuen Räumlichkeiten auch zeigt, dass eine kulturelle Nutzung
dieses Gebäudes sehr gut möglich ist. Die Zbinden-Druckerei
könnte verschiedenen sozialen, kulturellen und kleingewerblichen
Institutionen eine neue Heimat bieten.
Nicht zuletzt könnten damit einige durch die Frigorex-Schliessung
heimatlos werdende KünstlerInnen, KleingewerblerInnen und
Institutionen - wie etwa die Kunsthalle - vor der Vertreibung aus der
Stadt bewahrt werden.
---------------------
1. MAI ZUG
---------------------
WoZ 13.5.10
Zug - Das 1.-Mai-Komitee Zug schloss den Tamilischen Jugendverein vom
Fest der Arbeit aus, der Vereinspräsident wurde weggewiesen.
Linke Terrorängste
Von Andreas Fagetti
Das 1.-Mai-Komitee von Zug machte sich landesweit zum
Gespött, als es die Feier zum Tag der Arbeit offiziell wegen
schlechten Wetters absagte - schliesslich fand dennoch eine
improvisierte Feier statt. Inoffiziell dürfte der Ausschluss des
Tamilischen Jugendvereins Zug (TJVZ) für die offizielle Absage
ausschlaggebend gewesen sein. Über den von Mitgliedern des
1.-Mai-Komitees als "gefährlich" eingeschätzten Verein
kursieren wilde Spekulationen. Der Verein unterstütze
Waffenlieferungen an die Tamil Tigers und sammle dafür Geld,
lautet eine dieser Spekulationen. Vereinspräsident und Juso-Mann
Kurusamy Kuruparan weist die Vorwürfe von sich: "Wir wollen mit
demokratischen Mitteln auf die Menschenrechtsverletzungen in Sri Lanka
aufmerksam machen."
Wie kam es zum Ausschluss des Vereins? Im Februar ersuchte der
TJVZ das 1.-Mai-Komitee um eine Standbewilligung und erhielt prompt
eine schriftliche Zusage. Doch kurz vor dem 1. Mai erfuhr
TJVZ-Präsident Kurusamy Kuruparan auf Umwegen, dass sein Verein an
der Feier nicht erwünscht sei. Offiziell erhielt der TJVZ vom
Komitee nie eine Ausladung, womit die Bewilligung auch nie widerrufen
wurde. Stattdessen kam die Zuger Kantonspolizei ins Spiel. Am Morgen
des 1. Mai orientierte Josef Huwyler, zuständig für den
Bereich Waffen und Sprengstoff, den jungen Tamilen telefonisch, er
dürfe den Landsgemeindeplatz bis Mitternacht nicht betreten. Der
Polizei lägen Informationen über Demonstrationsabsichten des
TJVZ und eine "Störung" der 1.-Mai-Feier vor. Daher bestünden
Sicherheitsbedenken.
Wer genau die Polizei ins Spiel gebracht und die Wegweisung
erwirkt hat, ist unklar. Vonseiten der Polizei heisst es "Mitglieder
des 1.-Mai-Komitees". Offiziell wurde das Komitee bei der Polizei
allerdings nie vorstellig. Josy von Wyl, Vizepräsidentin des Zuger
Gewerkschaftsbundes und Komiteemitglied, weist das jedenfalls von sich.
Klar ist laut Protokoll des Komitees, wer schwere Bedenken gegen den
Auftritt des TJVZ geäussert hat: Barbara Gysel,
SP-Kantonalparteipräsidentin, und Rupan Sivaganesan, Kantonsrat
der Alternativen. Josy von Wyl sagt, sie habe die beiden dazu
aufgefordert, den TJVZ über den Ausschluss zu informieren. Sie
haben es offenbar nie getan.
Hintergrund der Bedenken von SP-Politikerin Barbara Gysel, die
für Steuersenkungen in ihrem Kanton eintritt (siehe WOZ Nr.
21/09), war ein Boykott aufruf des TJVZ im vergangenen Jahr. Damals
wollte der TJVZ an einem folk loristischen tamilischen Fest im
Einkaufszentrum Herti mit einem Stand auf die
Menschenrechtsverletzungen in Sri Lanka aufmerksam machen. Josef
Sacchi, zuständig für die Organisation des Festes und das
Marketing im Hertizentrum, war dagegen. Daraufhin rief der TJVZ
für den Tag des Festes dazu auf, das Hertizentrum zu boykottieren.
Josef Sacchi fühlte sich vom Vorgehen des TJVZ bedroht.
Gegenüber der "Zuger Zeitung" sprach er von "Terrordrohungen in
Worten". Schliesslich zeigte er Kurusamy Kuruparan wegen Nötigung
an. Dieser reagierte mit einer Ehrverletzungsklage. Noch ist in beiden
Fällen nichts entschieden. Die WOZ hätte gerne auch Barbara
Gysels Sicht der Dinge erfahren. Doch während der ganzen
Recherchen war von ihrem Handy nur eine Nachricht zu hören: "Der
gewünschte Mobilteilnehmer ist zurzeit nicht erreichbar. Versuchen
Sie es später nochmals."
--------------------
SQUAT ZH
---------------------
Tagesanzeiger 12.5.10
22 Liegenschaften sind in Zürich besetzt
Zürich - Zurzeit sind in in der Stadt Zürich 22
Liegenschaften besetzt. Dabei handelt es sich um 19 private und 2
städtische Objekte, wie aus der Antwort des Stadtrats auf eine
Dringliche Anfrage der SVP-Gemeinderäte Daniel Regli und Bruno
Sidler hervorgeht. Weiter heisst es in dem Schreiben, dass die Besetzer
aus dem Umfeld der Autonomen Schule Zürich (ASZ) zwar
dilettantisch, jedoch nicht skrupellos vorgegangen waren, als sie im
Dezember 2009 eine illegale Stromleitung in einem Pavillon der
Schulanlage Allenmoos verlegten. Der Hauswart der Schule erlitt damals
einen Stromschlag, als er die Leitung kontrollieren wollte. Da der Mann
nicht klagte, wurde das Strafverfahren gegen unbekannt zwischenzeitlich
eingestellt. Die Stadt werde an der Praxis festhalten, eine
Liegenschaft nur dann räumen zu lassen, wenn etwa eine
rechtskräftige Abbruchbewilligung vorliegt. (pa)
---------------------------
BLEIBERECHT
---------------------------
bleiberecht.ch 12.5.10
Protestaktion gegen die Verhaftung von Berhanu
Um gegen die Verhaftung von Berhanu Tesfaye und die Repression gegen
alle illegalisierten MigrantInnen zu protestieren, rufen wir für
heute Mittwoch, 12. Mai 2010, 17 Uhr, zu einer Protestkundgebung vor
dem Kantosgefängnis Kaserne Zürich auf.
Berhanu Tesfaye, Aktivist beim Bleiberecht-Kollektiv und Kursleiter an
der Autonomen Schule Zürich (ASZ) wurde gestern an der
Bushaltestelle Kanonengasse verhaftet. Berhanu und zwei seiner
Kollegen, ebenfalls abgewiesene Flüchtlinge, warteten auf den Bus,
als ein Streifenwagen mit zwei Polizisten anhielt, um sie zu
kontrollieren. Während die zwei Kollegen nach der Kontrolle nach
Hause gehen durften, wurde Berhanu in Polizeigewahrsam genommen.
Angeblich, weil seine Identität nicht festgestellt werden konnte.
Mittlerweile wurde Berhanu ins Kantonsgefängnis Kaserne
überführt. Diese Massnahme ist unverständlich. Die
Polizei hätte seine Identität ohne Weiters innert kurzer Zeit
beim Migrationsamt feststellen können. Wir müssen also
befürchten, dass ihm eine längere Haft oder sogar die
Ausschaffung bevorsteht.
Solche Vorfälle gehören zum Alltag aller illegalisierten
Flüchtlinge in der Schweiz und somit zum Alltag im Schulbetrieb
der Autonomen Schule Zürich. Illegalisierte Flüchtlinge
können jederzeit und überall verhaftet werden. Berhanu ist
der vierte Beteiligte unseres Projekts der ASZ, der in den letzten zwei
Monaten festgenommen wurde. Die Konsequenzen der Polizeikontrollen, die
vorwiegend Menschen dunkler Hautfarbe betreffen, sind unvorhersehbar
und willkürlich. Einmal passiert nichts, wie bei den Kollegen von
Berhanu. Ein anderes Mal werden die Illegalisierten festgenommen,
manchmal für ein bis zwei Tage, manchmal für mehrere Monate.
Sogar eine schnelle Ausschaffung ist möglich, wie im Falle der
Kolumbianerin Denis Montana, die im September 2009 wenige Tage nach
ihrer Festnahme widerrechtlich ausgeschafft wurde. Für Khaled
Abuzarifa, Samson Chukwu und Joseph Ndukaku Chiakwa war die Konsequenz
der Schweizer Asyl- und Ausländerpraxis sogar der Tod. Sie sind
bei gewaltsamen Zwangsausschaffungen ums Leben gekommen.
Es ist höchste Zeit, dass die Schweiz mit einer kollektiven
Regularisierung illegalisierter MigrantInnen einen mutigen Schritt weg
von dieser heuchlerischen und unmenschlichen Politik macht.
--
Medienmitteilung
Kursleiter der Autonomen Schule Zürich droht Ausschaffung
Berhanu Tesfaye, Aktivist beim Bleiberecht-Kollektiv und Kursleiter an
der Autonomen Schule Zürich (ASZ) wurde am Dienstagnachmittag, 11.
Mai 2010, an der Bushaltestelle Kanonengasse verhaftet. Obwohl er in
der Exil-Opposition Äthiopiens tätig ist und im Falle einer
Rückkehr mit schweren Repressalien zu rechnen hat, hat der Staat
sein Asylgesuch abgelehnt und ihn somit illegalisiert. Ihm droht die
Ausschaffung. Seit mehr als einem halben Jahr wartet er auf eine
Antwort auf sein Härtefallgesuch. Angesichts der bekannt
gewordenen Arbeitsweise des Migrationsamts Zürich erstaunt dies
nicht. Tesfaye lebt seit zehn Jahren in der Schweiz.
Tesfaye und zwei seiner Kollegen, ebenfalls abgewiesene
Flüchtlinge, befanden sich auf dem Nachhauseweg, nachdem sie das
Flüchtlingscafe ¬- einen Treffpunkt für Migrantinnen und
Migranten - besucht hatten. Ein Streifenwagen mit zwei Polizisten hielt
vor der Haltestelle an und kontrollierte die Gruppe. Während die
zwei Kollegen nach der Kontrolle nach Hause gehen durften, wurde
Tesfaye in Polizeigewahrsam genommen. Angeblich, weil seine
Identität nicht festgestellt werden konnte. Seine sofortige
Identifikation ist nur deswegen ein Problem, weil das Migrationsamt
abgewiesenen Asylsuchenden seit zwei Jahren keine amtlich anerkannten
Papiere mehr ausstellt. Mittlerweile wurde Tesfaye ins
Kantonsgefängnis Kaserne überführt. Diese Massnahme ist
unverständlich. Die Polizei hätte seine Identität ohne
weiters innert kurzer Zeit beim Migrationsamt feststellen können.
Wir müssen also befürchten, dass ihm eine längere Haft
oder sogar die Ausschaffung bevorsteht.
Solche Vorfälle gehören zum Alltag aller illegalisierten
Flüchtlinge in der Schweiz und somit zum Alltag im Schulbetrieb
der Autonomen Schule Zürich. Illegalisierte Flüchtlinge
können jederzeit und überall verhaftet werden. Tesfaye ist
der vierte Beteiligte unseres Projekts der ASZ, der in den letzten zwei
Monaten festgenommen wurde. Die Konsequenzen der Polizeikontrollen, die
vorwiegend Menschen dunkler Hautfarbe betreffen, sind unvorhersehbar
und willkürlich. Einmal passiert nichts, wie bei den Kolllegen von
Tesfaye. Ein anderes Mal werden die Illegalisierten festgenommen,
manchmal für ein bis zwei Tage, manchmal für mehrere Monate.
Sogar eine schnelle Ausschaffung ist möglich, wie im Falle der
Kolumbianerin Denis Montana, die im September 2009 wenige Tage nach
ihrer Festnahme widerrechtlich ausgeschafft wurde. Für Khaled
Abuzarifa, Samson Chukwu und Joseph Ndukaku Chiakwa war die Konsequenz
der Schweizer Asyl- und Ausländerpraxis sogar der Tod. Sie sind
bei gewaltsamen Zwangsausschaffungen ums Leben gekommen.
Der Grund für diese Willkür ist klar: Die
Gefängnisplätze sind beschränkt, es gibt nicht
genügend Zellen, um alle 150′000-300′000 illegalisierten
Migrantinnen und Migranten einzusperren. Die Vorstellung, dass die
Schweiz hunderttausende von Menschen nur wegen ihres Aufenthalts in der
Schweiz einsperrt und dafür in jedem Dorf ein Gefängnis baut,
macht die Absurdität der aktuellen Migrationspraxis deutlich.
Die Schweiz und mit ihr alle Länder der Europäischen Union
weigern sich, die Realität anzuerkennen: Menschen kommen aus
ärmeren und oder kriegsversehrten Ländern hierher. Sie werden
immer kommen. Und sie dienen der Schweiz als Billigstarbeitskräfte
ohne jeglichen Rechtsschutz. Es ist höchste Zeit, dass die Schweiz
mit einer kollektiven Regularisierung illegalisierter MigrantInnen
einen mutigen Schritt weg von dieser heuchlerischen Politik macht.
Um gegen die Verhaftung von Berhanu Tesfaye und die Repression gegen
alle illegalisierten MigrantInnen zu protestieren, rufen wir für
Mittwoch, 12.Mai 2010, 17 Uhr, zu einer Protestkundgebung vor dem
Kantosgefängnis Kaserne Zürich auf.
------------------------------
GEFANGENE ZH
------------------------------
Indymedia 12.5.10
Infos zu den verhafteten Genossen in Zürich ::
AutorIn : Solidarität ist unsere Waffe!
Wer die Genossen finanziell unterstützen will, kann dies auf
folgendes Konto machen:
Soli-Kasse
8036 Zürich
87-500165-2
Vermerk: Gefangene 1. Mai 2010
-----------------------------------
Weitere Infos zu den Genossen finden sich auf http://www.aufbau.org, gibt's
bei rotehilfe@aufbau.org oder im Aufbau-Vertrieb Zürich
(offen jeden Samstag von 11-16 Uhr, Kanonengasse 35 im Hinterhof die
Treppe hoch).
Erklärung zur Freilassung eines Genossen vom Revolutionären
Aufbau Schweiz am 11. Mai 2010:
Zürich: Ein Genosse aus der Haft entlassen
Gestern Nachmittag wurde der letzte der am 1. Mai verhafteten Leute
endlich wieder freigelassen. Dem Genossen wird Gewalt und Drohung gegen
Beamte vorgeworfen. Angeblich habe er sich der brutalen Verhaftung
durch die zivilen Schlägertrupps der Polizei gewehrt und dabei
hätte sich einer der Rambos den Fuss verstaucht. Ein absurder
Vorwurf, der aber immerhin für eine Woche Untersuchungshaft und
ein Strafverfahren ausreicht.
Nach wie vor im Knast sitzen die zwei Genossen, denen ein Farbanschlag
auf die CS vor einem Jahr, also am 1. Mai 2009, angelastet wird. Auch
12 Tage nach ihrer Verhaftung faselt die Klassenjustiz von einer
angeblichen "Verdunkelungsgefahr", notabene ein Jahr nach dem
Farbanschlag.
Wir fordern die sofortige Freilassung der beiden Genossen!
Freiheit für alle politischen Gefangenen!
Für den Kommunismus
Revolutionärer Aufbau Schweiz, 11. Mai 2010
-----------------------------------
Solidaritätserklärung mit den drei verhafteten Genossen
Unterschriftenliste per 12.5.2010
Vergangenen Donnerstag (29. April) wurden bei zwei Genossen eine
Hausdurchsuchung wegen angeblichen DNA-Spuren bei einem Farbanschlag
gegen die Credit Suisse in Zürich am Ersten Mai 2009
durchgeführt.
Danach wurden sie in Untersuchungshaft gesetzt. Grund dafür ist
die "Kollusions-" beziehungsweise "Verdunkelungsgefahr" - bei einer
verdächtigten Tat, die fast auf den Tag genau ein Jahr
zurückliegt, kommt die Gefahr möglicher Vertuschungen denkbar
spät... Viel wahrscheinlicher ist, dass der Zeitpunkt der
Durchsuchungen und Verhaftungen im Zusammenhang mit dem Ersten Mai 2010
stand: Ein gescheiterter Versuch die Leute noch vor dem Ersten Mai
abzuschrecken und davon abzuhalten, sich an den verschiedensten Sachen
am Ersten Mai zu beteiligen.
Am Ersten Mai selber wurde ein Genosse festgenommen. Bei ihm wurde
Untersuchungshaft wegen einer "Körperverletzung" eines zivilen
Bullen eines rabiaten LUCA-Greifertrupps verhängt. Dass diese
"Verletzung" wohl eher durch ein ungeschicktes Stolpern des Bullen
verursacht wurde, findet keine Beachtung. Auch hier wird der Grund
für die Untersuchungshaft anderswo liegen: Mit dem juristischen
Angriff soll uns allen Angst gemacht werden, ganz nach dem Motto "In
Haft sind einige, gemeint sind wir alle!"
Insgesamt zieht sich durch die Bullentaktik um den Ersten Mai in
Zürich ein Faden der versuchten Abschreckung. Sei es mit den oben
genannten Beispielen, durch Rayonverbote, die zu Hunderten verteilt
werden, oder einem riesigen Bullenaufgebot inklusive eines grossen
Teils des Fuhrparks der Stadt- und Kantonspolizei, verstärkt durch
einen Super-Puma der Schweizer Armee.
Wir wissen, dass es den drei verhafteten Genossen gut geht, dass sie
weiterhin kämpferisch sind und, dass sie alle weiterhin konsequent
die Aussage verweigern. Wir werden sie weiterhin unterstützen und
die Solidarität auf verschiedene Arten praktisch werden lassen.
Wir solidarisieren uns mit den drei Genossen!
Drinnen und Draussen - Ein Kampf!
Freiheit für alle politischen Gefangenen!
Bisherige Unterschriften:
Rote Hilfe International - Secours Rouge International
Rote Hilfe Schweiz
Revolutionäre Jugend Zürich
Revolutionärer Aufbau Schweiz
AKZO
Systembruch, Zug
Redaktionskollektiv Respektive
Netzwerk Freiheit für alle politische Gefangenen, Hamburg
Redaktion Vorwärts
Revolutionäre Gruppe Ostschweiz
Revolutionäre Perspektive Berlin
BFS Zürich
Secours Rouge/APAPC (Rote Hilfe Belgien)
VUA¨ (Vereinigung unabhängiger Ärztinnen und Ärzte
für ein gerechtes und soziales Gesundheitswesen)
Projekt Revolutionäre Perspektive (PRP), Hamburg
JUMP UP Schallplattenversand, Bremen
CCCPSRI, Italien
Anarchist Black Cross, Wellington
Tayad Internationales Solidaritäts-Komitee
Antirep-Kollektiv ALARM
Komplott, Zürich
Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen, Stuttgart
Föderation der Migrantenarbeiter/inen aus der Türkei in der
Schweiz (IGIF)
IGIF Jugend Kommission
orsa.betta
assemblea contro il carcere e la repressione
Uni von Unten
Marco Camenisch
Wolfgang Lettow, Presserechtlich Verantwortlicher des Gefangenen Info,
Berlin
Peter O. Chotjewitz, Stuttgart
Anadolu Federasyonu
Michelle Disler, Luzern
quelques anarchistes lausannois
Fabian, Berlin
Paolo Neri
Stand: 11. Mai 2010
-----------------------------------
Wer sich als Gruppe, Einzelperson oder sonst was dieser
Solidaritätserklärung anschliessen will, soll ein Email
an rotehilfe@aufbau.org schicken. Die Unterschriften werden dort
gesammelt und die Unterschriftenliste laufend aktualisiert. Bitte
sagt's weiter!
-------------------
KNAST VD
-------------------
WoZ 13.5.10
Verwahrung - Wie Waadtländer Beamte über einen sterbenden
Insassen lachten und wieso dieser jahrelang in Isolationshaft sass,
ohne je ein schweres Delikt begangen zu haben.
Gelächter im Todesknast
Von Dinu Gautier
Der Skandal trägt den Namen des Opfers: Skander Vogt. Seit
Wochen beschäftigt er die Westschweizer Medien und sorgte sogar in
Frankreich für Aufsehen. Diesseits des Röstigrabens wurde er
hingegen nur vereinzelt aufgegriffen.
Skander Vogt starb am frühen Morgen des 11. März in
seiner Zelle im Hochsicherheitstrakt eines Waadtländer
Gefängnisses an einer Rauchvergiftung. Wärter hatten ihn dort
im Rauch liegen lassen, nachdem er seine Matratze aus Wut
angezündet hatte. Doch die tragische Geschichte des Toten beginnt
viel früher: Vogt litt unter einer
Persönlichkeitsstörung. Statt Hilfe zu bekommen, sass er
während insgesamt zwölf Jahren im Gefängnis.
Isolation in Bochuz
Skander Vogt ist der Sohn einer Tunesierin und eines Schweizers.
Seine Mutter stirbt, als er dreijährig ist, der Vater macht sich
aus dem Staub. Als 14-Jähriger kommt er mit seiner Schwester nach
Lausanne, lebt bei Pflegefamilien und in Heimen.
2001 wird Vogt zu zwanzig Monaten Gefängnis verurteilt. Er
hat keine schweren Verbrechen begangen, dafür mehrere Delikte:
Diebstähle, Sachbeschädigungen, Drohungen und einfache
Körperverletzungen. Die Strafe wird ausgesetzt, stattdessen wird
er verwahrt. Das Strafgesetz erlaubt es den Gerichten, Menschen, die
als gefährlich eingestuft werden, für eine unbestimmte Dauer
einzusperren. Die eigentliche Idee dahinter: ihnen helfen, statt sie zu
bestrafen; und die Bevölkerung vor ihnen zu schützen. In der
Praxis kann das heissen: Ein Mensch wird für Verbrechen bestraft,
die er noch gar nicht begangen hat.
Statt zwanzig Monate bleibt Skander zehn Jahre im Gefängnis
- also bis zu seinem Tod. 21 Gefängnisse lernt er von innen
kennen. Sein Verhalten gegenüber dem Aufsichtspersonal wird als
zunehmend aggressiv beschrieben. Mitunter soll er massive Drohungen
ausgestossen haben. Dafür bestraft wird er, indem man ihn vermehrt
in den Hochsicherheitstrakt verlegt. Nach 2005 wird er die
Hochsicherheitstrakte nie mehr verlassen. Im Gefängnis von Bochuz
im Kanton Waadt - sozusagen seinem Stammknast - bedeutet das für
Skander Vogt praktisch die Isolation.
Briefe aus dem Gefängnis
23 Stunden am Tag sitzt er in seiner knapp zehn Quadratmeter
grossen Zelle. In der verbleibenden Stunde duscht er und darf auf einer
Art Dachterrasse spazieren - an Armen und Beinen gefesselt und ohne
Kontakt zu Mithäftlingen. BesucherInnen empfängt er hinter
einer Schutzscheibe. An eine Besserung seiner psychischen Lage ist
unter diesen Umständen nicht zu denken (siehe Kasten).
Im Sommer 2008 gelingt es Skander Vogt, auf das Dach des
Hochsicherheitstraktes von Bochuz zu klettern. Er droht, sich in die
Tiefe zu stürzen. Mitgefangene solidarisieren sich. Dreissig
Stunden dauert die Nervenprobe, dann greift eine Spezialeinheit der
Polizei ein, holt ihn vom Dach. Skander wird in den
Hochsicherheitstrakt von Lenzburg verlegt, wo er immerhin zwei Tage pro
Woche arbeiten könne und wo auch die Wärter anständig
seien, wie er die Presse wissen lässt. Doch er wird zurück
nach Bochuz verlegt.
Vogt schreibt dem "Matin Dimanche" mehrere lange Briefe,
berichtet aus dem Gefängnisalltag. Ab und zu telefoniert er mit
der Redaktion. Am Telefon rede er mit "netter Stimme" und wirke "weder
verrückt noch gefährlich", ist einem Artikel vom
Frühling 2009 zu entnehmen. Seine Schwester sagt nach Vogts Tod:
"Mir gegenüber war er sanft, aufmerksam und liebevoll."
"Das geschieht ihm recht"
In der Nacht auf den 11. März dieses Jahres zündet Vogt
nach einem Streit mit Wärtern die Matratze in seiner Zelle an. Der
Brand wird um 1 Uhr morgens bemerkt. Durchs Gitter löschen
Wärter die Flammen. Vogt bleibt im Rauch zurück. Erst neunzig
Minuten später holt man ihn tot aus der Zelle.
Noch am selben Tag gibt der zuständige Regierungsrat
Philippe Leuba (FDP) der Presse Auskunft: "Ich habe keinerlei Hinweise
darauf, dass die Gefängniswärter versagt hätten oder
dass irgendwelche Fehler begangen wurden." Die Justizbehörden
sprechen von einem "extrem gefährlichen, fast hundert Kilo
schweren Mann", den man aus Sicherheitsgründen nicht aus seiner
Zelle habe holen können. Stattdessen habe man auf das Eintreffen
einer Spezialeinheit der Polizei warten müssen. Die Einheit habe
sich mitten in der Nacht zuerst formieren und anreisen müssen.
An der Darstellung der Behörden bestehen von Anfang an
Zweifel. Dann gelangt "Le Matin" in den Besitz von Telefonmitschnitten
aus jener Nacht und ist in der Lage, den genauen Ablauf der Ereignisse
nachzuzeichnen:
Bis die Wärter überhaupt die Alarm zen trale der
Polizei alarmierten, dau erte es demnach vierzig Minuten. Kurz nach
zwei Uhr stellten die Wärter fest, dass Vogt bewusstlos war. Erst
eine halbe Stunde später betraten sie den Raum. Da war Vogt
bereits tot und die Spezialeinheit noch nicht einmal eingetroffen.
Der Wortlaut der später in Auszügen von einem
französischen Radiosender ausgestrahlten Gespräche zeigt die
Verachtung, die die beteiligten Beamten für Skander Vogt
übrig hatten: "Seit fünfzig Minuten atmet er Rauch ein, er
könnte sterben", sagt etwa ein Wärter zu einem Polizisten.
Dieser antwortet: "Das geschieht ihm recht."
Später, als Vogt bewusstlos am Boden liegt, informiert die
Zentrale einen Polizisten über die Lage. "Wir dürfen nicht
lachen", sagt der eine Mann. Dann beginnen beide zu lachen.
Nach der Enthüllung musste sich der Polizeikommandant
für die Wortwahl seiner Untergebenen entschuldigen
("unglücklich", "bedauerlich", "unangemessen"). Derzeit untersucht
ein ehemaliger Bundesrichter die Vorfälle, die zum Tod von Skander
Vogt geführt haben.
Freilich kommt diese Untersuchung zu spät. Bereits 1991
besuchte das Eu ro päische Komitee zur Verhütung von Folter
(CPT) das Gefängnis von Bochuz und machte ein "grosses Risiko
für unmenschliche und erniedrigende Behandlung" aus, wie "Le
Temps" berichtet. 2008 hat sich das CPT nach einem Besuch verschiedener
Schweizer Gefängnisse "zutiefst beunruhigt" darüber gezeigt,
dass einige Häftlinge sich seit Jahren in Isolationshaft
befänden.
--
Isolationshaft
Zum Thema Isolationshaft trafen sich 2007 in Istanbul Expertinnen
aus psychiatrischer Praxis und Forschung sowie Folter- und
Menschenrechtsexperten und verfassten die "Istanbuler Erklärung".
Diese definiert Isolationshaft als "physische Isolierung von Personen,
die in ihren Zellen während 22 bis 24 Stunden eingesperrt sind".
Isolationshaft könne zu schweren psychischen und manchmal
auch physischen Krankheiten führen. So hätten Untersuchungen
ergeben, dass bis zu neunzig Prozent der derart Gefangenen
gesundheitliche Probleme beklagten: "Eine lange Symptomliste von
Schlaflosigkeit und Verwirrung bis hin zu Halluzinationen und
Psychosen." Die "Istanbuler Erklärung" fordert unter anderem, dass
Isolationshaft für psychisch Kranke "absolut" zu verbieten sei.
--
"So verschlimmert sich der Zustand der Verwahrten"
WOZ: Jean-Pierre Restellini, Sie sind Gefängnisexperte und
Arzt. Was sind das für Menschen, die wie Skander Vogt auf
unbestimmte Zeit im Gefängnis sitzen? Sind das Leute mit
Psychosen? Schizophrene?
Jean-Pierre Restellini: Nein. Es handelt sich meist nicht um
Personen im Delirium, nicht um Menschen, die glauben, Napoleon oder
Ausserirdische zu sein. Vielmehr sind es häufig Leute mit
schwierigem Charakter, man spricht von dissozialer
Persönlichkeitsstörung. Sie haben enorme Schwierigkeiten im
Umgang mit anderen Menschen.
Wie wird man dissozial?
Durch Umwelteinflüsse, meistens eine sehr schädliche
familiäre Umgebung, Verwahrlosung.
Dann steckt man sie ins Gefängnis, damit sie dort weiter
verwahrlosen?
Ja, das könnte man so sagen. Ich halte es für
vollkommen ungerecht, diese Menschen für etwas zu bestrafen,
wofür sie nichts können.
Besteht denn eine reelle Chance, dass sich der Zustand solcher
Menschen während eines Gefängnisaufenthalts verbessert?
In einem normalen Gefängnis, das sich auf den
Freiheitsentzug beschränkt, muss ich kategorisch sagen: Nein. Man
verschlimmert ihren Zustand sogar noch.
Das heisst, sie haben eigentlich keine Chance, je wieder
entlassen zu werden.
Dieses Risiko besteht. Wenn man die Massnahme an Orten
durchführt, die dafür gar nicht geeignet sind, wird man das
Gegenteil dessen erreichen, was der Gesetzgeber beabsichtigt hat.
Ursprünglich wollte man nämlich erreichen, dass solche Leute
nicht bestraft werden, sondern dass ihnen geholfen wird.
Was ist schiefgelaufen?
Man hat kein Geld investiert, keine genügende Infrastruktur
geschaffen. Die Gefängnisse bleiben überbelegt. Dem Personal
ist es nicht möglich, sich um solche Personen zu kümmern.
Welche Betreuung wäre wünschenswert?
Man muss mit den Patienten an ihrer Resozialisierung hart
arbeiten können. Dies sind keine Menschen, denen man mit
Psychoanalyse oder mit Medikamenten helfen kann. Sie müssen
langsam lernen, wie man normale soziale Beziehungen herstellt.
Dafür braucht es keine Psychiater, die in weissen Kitteln
herumrennen, und auch keine Gefängniswärter. Es braucht gut
geschulte, gut beratene und gut beaufsichtigte soziotherapeutische
Lehrer.
Aber es gibt doch Täter, die so gefährlich sind, dass
sie eingesperrt sein müssen.
Leider gibt es einige solcher Fälle. Das heisst aber nicht,
dass man sie bestrafen muss. Man muss ihnen helfen.
Im Waadtländer Gefängnis Bochuz wurde Skander Vogt zur
Bestrafung in den Hochsicherheitstrakt gesperrt und isoliert.
Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter CPT
hat Bochuz schon vor Jahren besucht und unter anderem genau diesen
Punkt gerügt. Man darf Menschen wie Skander Vogt sicher nicht in
Isolationshaft stecken.
Die Behörden haben die Empfehlungen des Komitees nicht ernst
genommen?
Das weiss ich nicht. Klar ist: Unternommen wurde nichts.
Die Behörden vertrösten auf später und sagen, neue
Bauten seien geplant und würden in den nächsten Jahren
erstellt. Was kann man bis dahin tun?
Tatsächlich ist geeignete Infrastruktur die einzige
Lösung, um dem Problem längerfristig zu begegnen. Für
den Moment bleiben Feuerwehrübungen. Das heisst: Keine
Isolationshaft, keine Zellen in Hochsicherheitstrakts und ein Maximum
dessen, was man ihnen unter den gegebenen Umständen an
soziotherapeutischer Aufmerksamkeit schenken kann. Interview: Dinu
Gautier
Jean-Pierre Restellini ist Präsident der Schweizerischen
Kommission zur V erhütung von Folter. Die unabhängige
Organisation hat Anfang Jahr ihre Arbeit aufgenommen, dem Bund ist sie
nur administrativ zugeordnet. Der Jurist und Arzt Restellini ist zudem
Mitglied des europäischen Anti-Folter-Komitees CPT.
---------------------------
PINGPONG ZH
----------------------------
WoZ 13.5.10
Ghettocup - In der Zürcher Bäckeranlage treffen sich
Randständige, Lebenskünstlerinnen und andere
Quartierbewohner täglich zum Tischtennis. Für ihre
Pingpongecke legen sie sich auch mal mit der Polizei an.
Junge, Alte, Rapper, Rocker
Von Alice Kohli (Text) und Florian Bachmann (Fotos)
Es ist Frühling in Zürich. Die Kugelgrills werden auf
die Wiesen gekarrt, in den Restaurants bestellt man wieder Eistee. Und
neben dem Vogelgezwitscher mischt sich ein weiterer Frühlingston
in die Geräuschkulisse: das leise Trommeln von
Zelluloidbällchen auf Betontischen. Denn mit dem Frühling ist
auch die Pingpongsaison eingeläutet.
An diesem Samstag trommelt es in der Bäckeranlage von acht
Tischen gleichzeitig, denn hier findet heute das Ping Open statt. Das
Tischtennisturnier feiert Premiere - es ist der erstmalige
Zusammenschluss mehrerer Hobbyvereine. Gastgeber ist der
ortsansässige TT Ghettoclub. Seit zehn Uhr vormittags bauen die
Ghettoclub-Zeremonienmeis ter Genaro, Marcel und Lobi Tische auf,
schaffen Bierkästen her und versuchen, Kabelrollen für die
Musikanlage aufzutreiben. Alles ohne Eile. Die drei machen den
Anschein, als sei die Nacht zuvor lang gewesen.
Ein lustiger Haufen
Genaro, der Schriftsteller und Poet, der erzählt, wie er vor
einigen Jahren von Calvados zu Bier wechselte; Marcel, dem zum
Piratenlook einzig noch ein grüner Papagei auf der Schulter fehlt;
Lobi, der komplett mit Baseballmütze und Sonnenbrille einem New
Yorker Vorort entsprungen zu sein scheint - kein Filmdrehbuch
würde die drei in einer gemeinsamen Szene auftreten lassen.
Aber der Ghettoclub ist auch nicht Hollywood - sondern "einfach
ein lus tiger Haufen", wie Genaro sagt, ein Verbund von Pingpongfans,
der sich um keinen Szenendünkel schert. Und ein Klub, der
gewissenhaft die Infrastruktur auf die Beine stellt. Die
Teilnehmerlisten übernimmt heute ein anderer Verein, das Züri
Open. Erika, Dominik und Andy haben sich zu diesem Zweck
büromässig auf einer Festbank eingerichtet. Sie sind fast
ausschliesslich damit beschäftigt, Pingpongschläger auf die
Listen zu legen, damit diese nicht vom Wind weggeblasen werden.
Richtig - Wind. Wind ist nicht bekannt als der beste Freund eines
Tischtennisspielers. Aus diesem Grund finden Profiturniere auch in
Hallen statt. "Profis würden nie draussen spielen", muss Genaro
eingestehen. Aber es stört ihn nicht weiter. Denn auch unter den
Amateuren haben sich schon Talente gefunden. Und Genaro hat es sich zum
Hobby gemacht, immer gegen die Bes ten zu spielen. "Wenn dich etwas
gepackt hat, musst du einfach immer weitermachen." Fast jeden Abend
trainiert der Ghettoclub an den Betontischen; seine Spieler mischen in
den oberen Rängen der inoffiziellen Hobbyliga mit.
Schwere Jungs in Aussersihl
Am frühen Nachmittag trudeln die anderen Teilnehmer auf dem
Gelände ein. Jeder kann mitmachen, der sich zuvor online
angemeldet hat - ein gewisses Niveau haben sich die meisten aber schon
angeeignet, besonders wenn sie nicht in der ersten Runde vom Platz
gefegt werden wollen. Sie haben via Newsletter vom Turnier gehört,
von Freunden, am Quartierpingpongtisch. Oder von einem der rund zwanzig
Organisatoren. Aus allen Stadtteilen sind sie heute in den "Chreis
Cheib" gekommen. Für manche ein ungewohntes Terrain, denn die
klassischen Züri-Open-Turniere fanden bislang an einer
etablierteren Örtlichkeit statt: im Festsaal des Kaufleuten, wo an
anderen Tagen nach Bürozeiten über Börsenkurse und
Steuersätze diskutiert wird.
Der Ghettoclub hingegen organisiert seine Turniere jeweils hier -
im Ghetto. Sicher, Ghetto ist ein etwas plakativer Begriff für den
beschaulichen Park im Herzen von Aussersihl. Denn auch das
Langstrassenquartier vermag seit einigen Jahren Bessergestellte
anzuziehen. In den meisten Strassen hat sich der ehemalige soziale
Brennpunkt in ein trendiges Quartier verwandelt, wo es sich angenehm
wohnen und allenthalben auch anständig feiern lässt.
Das zeigt sich besonders in der Bäckeranlage. Dem ehemaligen
kleinen Seitenstück zum Needlepark am Letten ist seine harte
Vergangenheit kaum anzusehen. Rund um das Quartierzentrum tollen Kinder
im Kies, auf der Wiese liegen junge Menschen. Je weiter sie von
Sandkasten und Schaukelpferdchen entfernt sind, desto verkaterter
fläzen sie im Gras. Ganz auf der gegenüberliegenden Seite,
hinter einem kleinen Hügelchen, stehen schliesslich auch die zwei
Pingpongtische des Ghettoclubs. Und um sie herum sitzen ein paar Leute
mit schiefen Zähnen und speckigem Haar: die Randständigen.
Neben alteingesessenen Quartierbewohnerinnen und ehemaligen
Quartierbewohnern, die immer wieder in ihre angestammten Gefilde
zurückkehren, um die schwarz-roten Schläger zu schwingen:
Junge, Alte, Rapper, Rocker.
Pingpong ist ein niederschwelliger Sport. Und einer, der Menschen
offenbar vereinen kann. Einzig Frauen gibt es nicht so viele. "Am
Anfang waren noch mehr da, aber vermutlich hat sie der rüde
Umgangston der Spieler abgeschreckt", schätzt Klubpräsidentin
Nadia. Obwohl - wenn sie jemand als Präsidentin betitelt, muss
Nadia lachen. "Wir sind ja auch kein richtiger Verein", stellt sie
klar. Entstanden ist der TT Ghettoclub vor rund sechs Jahren unter dem
Namen Pingpongverein Bäckeranlage. Unfreiwillig sogar, aus der Not
heraus.
Damals entfernte die Stadt die zwei Betontische, um für das
einjährige Provisorium des Restaurants "B" Platz zu schaffen,
während gegenüber ein modernes Gemeinschaftszentrum erstellt
wurde. Ein herber Verlust. Mobile Tische mussten her. Doch um einen
solchen Anspruch erheben zu können, müsse man sich als Verein
ausweisen können, hiess es vonseiten des Gemeinschaftszentrums. So
entstand der Pingpongverein Bäckeranlage.
Die Lokalmatadoren
Lobi nannte sein erstes Turnier den "Tischtennis Ghetto-Cup" -
oder TT Ghetto-Cup. Inspiriert haben ihn zum Namen die Alkis, die
Kiffer, die Ex-Knackis von der Bäckeranlage. "Es ist ja schon ein
bisschen Ghetto hier." Der Name etablierte sich und so wurde er zum
Vereinsnamen umfunktioniert.
Die Quartierturniere brachten die ersten Lokalmatadoren des
Pingpongs hervor. Michi, der für seinen Anschlag gefürchtet
ist. Pascal, der stärkste Defensivspieler des Vereins. Dejan, der
seine Gegner immer wieder mit seiner starken Rückhand
überrascht. Und nicht zu vergessen: Thomas, der in Hongkong
Schläger für rund zwanzig Franken das Stück bestellt.
"Er ist der Schlägerausrüster der Bäckeranlage", sagt
Lobi.
Heute messen sich die Mitglieder des TT Ghettoclubs mit ganz
Zürich: 96 SpielerInnen haben sich zum Ping Open angemeldet, die
Listen sind voll. Schade für die Spaziergänger, die sich
gerne noch eingeklinkt hätten, um den Plastikball um die Wette
hüpfen zu lassen. Leute abwimmeln, vom Wind weggewehte
Teilnehmerlisten aufsammeln - das OK-Team kämpft an vielen Fronten.
Irgendwann wirft Dominik - als einziger der Organisatoren im
roten Organisator-T-Shirt erschienen - den Bettel hin und ergreift
stattdessen das Mikrofon: "Wir sind so sehr im Verzug, den Zeitplan
können wir ohnehin nicht mehr einhalten. Spielt einfach die
Gruppenspiele durch." Das Stakkato der kleinen Bällchen schwillt
wieder an. "Wo ist Nummer 91?" - "Wer heisst hier Ernst?" - "Ist das
der Spielplan?" - Irgendwie organisiert sich das Turnier von allein,
die Spieler finden ihre Gegner und spielen über zwei
Gewinnsätze jeweils den Sieger aus. Währenddessen haben sich
auch Schaulustige angesammelt. AusflüglerInnen parkieren ihre
Kinderwagen nebenan. Drei Polizisten im Frühlingstenü
schlendern in einem weiten Bogen um die Tische.
Kastenwagen vor dem Klohäuschen
Die fehlende Bewilligung für das Turnier ist den Polizisten
heute aber egal. Dass die Teilnahme eine Zehnernote kostet, dass Bier
und Würste verkauft werden, dass eine Musikanlage den Quartierpark
beschallt - macht nichts. Die Stadtpolizei verfolgt auf der
Bäckeranlage gerade eine andere Mission: eine Alkoholikerszene zu
verhindern.
Seit vor wenigen Wochen ein Alkoholikertreff beim nahe gelegenen
Kasernenareal aufgelöst wurde, vermutet die Polizei, dass sich die
Szene hierher verlagern könnte. Und markiert deshalb Präsenz.
"Die Bäckeranlage wird zwar zweimal am Tag von zivilen
Drogenfahndern kontrolliert", sagt Marco Cortesi von der Stadtpolizei
Zürich. "Aber es braucht mindestens einen mobilen Polizeiposten,
um die Leute abzuschrecken, die auf dem Kasernenareal nicht mehr
toleriert werden."
Deshalb stehen täglich zwei weisse Kastenwagen mit leuchtend
orangen Streifen neben den Pingpongtischen. "Die wissen überhaupt
nicht, wie das Spiel funktioniert", regt sich Genaro auf. "Sie
parkieren so nah, dass man nicht mal richtig zu einem Smash ausholen
kann."
Heute stehen die zwei Kastenwagen aber brav hinter dem
Gebüsch und verstellen höchstens den Eingang zum
Klohäuschen. Lobi und Genaro hatten die Beamten am Vortag darum
gebeten. Und deshalb haben sie auch so früh angefangen, die Tische
aufzustellen: Sie wollten sicher sein, dass ihnen die Kas tenwagen
nicht zuvorkommen.
Die Bällchen trommeln weiter auf Beton und Kunststoff, bis
die Sonne in tiefem Abendrot hinter den Hausdächern versinkt. Die
Verkaterten ziehen sich in wärmere Gemächer zurück, die
Eltern sammeln ihre Kinder vom Spielplatz ein und transportieren sie
zum Znacht nach Hause.
Und wer hat das Turnier gewonnen? Niemand. Als es zu dunkel zum
Spielen wird, finden gerade die letzten Viertelfinals statt. Werden die
übrigen Spiele noch nachgeholt, der Sieger erkoren? Lobi winkt ab.
Es gibt heute sieben Sieger. Dominik wird also gleich sieben neue
Schläger bestellen müssen: die Siegertrophäen.
In der Dämmerung werden die Tische aufgeräumt, die
Fussmatten zusammengerollt, die Getränkedosen aufgehoben. Die
Bäckeranlage ist blitzblank. Irgendwann im Juni soll das
nächste Turnier auf der Bäckeranlage stattfinden.
--
Ein Sport - viele Namen
Gerade weil Pingpong von vielen Menschen gespielt werden kann und
keine grosse Ausrüstung benötigt, gibt es eine Vielfalt an
Hobbyvereinen. Der Verein Züri Open hat sich in Zürich durch
seine Kaufleuten-Turniere bereits einen Namen gemacht und trägt am
Sonntag, 30. Mai, im Rahmen des Thai-Festivals in der Halle des
Zürcher Hauptbahnhofs ein Pingpongturnier aus - sozusagen das
erste Tischtennisturnier mit eigenem Bahnhof.
http://www.zueriopen.ch
http://www.thai-grand-festival.ch
Wer es lieber etwas privater hat, kann seine GegnerInnen auch
online herausfordern und am Quartiertisch seiner Wahl zum Duell
antreten. Das ist jedenfalls die Idee von Ping Open.
http://www.pingthing.ch
Die Schulhofvariante des Amateurturniers ist seit je der
Rundlauf. Auch diesen gibts ausserhalb der Ober stufenschulhäuser:
Superpingpong heisst die Veranstaltung, die bisher jeweils in der
Toni-Molkerei stattfand. Newsletter abonnieren unter:
http://www.superpingpong.ch
Der TT Ghettoclub hat keine Website. Wer ihn kennenlernen will,
begibt sich am besten an einem sonnigen Tag auf ein Feierabendbier zum
Affenfelsen.
------------------
YB YB YB
------------------
Bund 12.5.10
Emergenz in der Fankurve
Sie sorgen für die Stimmung im Stadion - die YB-Fans im
Sektor D. Erfolgsbedingt hat ihre Zahl in dieser Saison weiter
zugenommen. Wie funktioniert die Szene, die in den letzten Jahren in
Verruf geraten ist?
Christian Brönnimann
Fussballfans stehen unter Generalverdacht. Wird über sie
gesprochen, dann geht es häufig um Pyros, Schlägereien und
Randale. Dabei wird vergessen, wie wichtig die Unterstützung von
den Rängen für eine Sportmannschaft ist. Und der grösste
Teil dieser Unterstützung kommt von ebendiesen Leuten mit dem
schlechten Image. Sie singen, klatschen und schreien, was das Zeug
hält. Und sie treiben ihre Mannschaft an, auch wenn es einmal
nicht gut läuft.
Die Heimat der eingefleischten YB-Fans ist der Sektor D hinter
dem östlichen Tor im Stade de Suisse. In der Mitte des unteren
Teils von Sektor D wurden in der Winterpause auf Wunsch der Fans die
Klappstühle abmontiert, sie waren ohnehin nicht benutzt worden.
Seit April gibt es keine Tickets mehr für die 3170
Stehplätze, der Bereich ist dank der Jahreskarten immer
ausverkauft. Die Fans organisieren sich in rund 40 Fanclubs und
Fangemeinschaften, Tendenz steigend. Dem Fanclub-Dachverband
"gäubschwarzsüchtig" sind laut Vorstandsmitglied Adrian
Werren alleine in dieser Saison vier neue Clubs beigetreten.
Die Masse machts aus
Dass die YB-Fanszene so aktiv ist wie kaum je zuvor, zeigt sich
zum Beispiel an den aufwendigen Choreografien, die jeweils vor
Spielbeginn dargeboten werden. Bei den Choreos hilft die ganze Fankurve
mit. Zum Beispiel werden Hunderte Plastikstücke in den YB-Farben
Gelb und Schwarz an die Zuschauer verteilt, die, im richtigen Moment in
die Höhe gehalten, ein riesiges Muster ergeben. Oder es werden
prächtige Transparente präsentiert und über die
Köpfe der Fans hinweggerollt. Bei solchen Aktionen wird sichtbar,
was der griechische Philosoph Aristoteles mit seinem berühmten
Emergenz-Gesetz "das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile" gemeint
haben könnte. Die Masse der Fans schafft etwas ganz Eigenes.
Doch wer organisiert, koordiniert und steuert das Ganze? Der Kern
dieser Gruppe sei relativ klein, sagt Adrian Werren, der auch
Co-Präsident der Berner Fanarbeit ist. In die Öffentlichkeit
treten wollen diese Leute nicht. Mehrere Versuche, mit ihnen in Kontakt
zu treten, scheiterten. Wie die Abläufe vonstattengingen, sei ein
"interner Prozess, zu vergleichen mit dem in einer normalen Firma.
"Diese Prozesse werden auch dort nicht öffentlich gemacht",
antwortete ein Exponent per Mail auf die Anfrage des "Bund" um ein
Interview.
Diese Zurückhaltung habe verschiedene Gründe,
erklärt Werren. "Man will beispielsweise verhindern, dass
Fangruppen anderer Teams frühzeitig Choreografien ausspionieren
oder sabotieren können", sagt Werren. Die grösste Schmach ist
es, wenn verfeindete Fans Fahnen oder anderes Material stehlen und im
gegnerischen Stadion wie eine Trophäe zur Schau stellen und
verbrennen. Daneben wolle man sich vor Überwachung und Repression
durch die Polizei schützen, so Werren. "Je weniger Mitwisser desto
besser." Die öffentliche Fan-Diskussion der letzten Jahre habe
viele sehr vorsichtig gemacht.
Der Kopf der Szene
Während der Spiele werden die Fans vom sogenannten Capo
geleitet. Capo (italienisch: Kopf) bezeichnete ursprünglich den
Chef einer Mafiagruppe und wurde von der Ultra-Bewegung (siehe unten)
übernommen. Der Capo steht mit dem Rücken zum Spielfeld vor
der Kurve, spornt die Fans an und gibt per Mikrofon und Lautsprecher
vor, was gesungen wird. "Der Capo hat einen gewissen Status in der
Szene", sagt Werren. Seine Stellung habe sich zusammen mit der
Ultra-Bewegung noch zu Neufeld-Zeiten vor knapp zehn Jahren entwickelt.
"Die Koordination der Fangesänge gehört zur Ultra-Bewegung
und hat zum Ziel, dass die Stimmung 90 Minuten lang gut ist, und nicht
nur dann, wenn das eigene Team vorne liegt", sagt Werren. Durch die
straffe Organisation habe zwar die Spontanität der Fans etwas
gelitten, unter dem Strich komme es der Atmosphäre aber zugute, so
Werren. Und das übertrage sich auf die Mannschaft.
Die Fankurve ist voller Rituale, die sich zum Teil über
Jahre hinweg entwickelt und gefestigt haben. So wird beispielsweise
immer in der 75. Spielminute die YB-Viertelstunde zelebriert oder ein
bestimmtes Lied wird bei jedem Match mit einem neuen, der
Aktualität angepassten Text gesungen. Besonders wichtig ist ein
Ritual nach Abpfiff, bei welchem sich die YB-Spieler vor der Fankurve
versammeln. Beide Seiten setzen sich hin, die Fans singen "we love you,
we love you, we love you, and where you play we follow, we follow, we
follow ...". Dann springen alle gleichzeitig in die Höhe und
feiern. Welchen Stellenwert solche Rituale auch für die Mannschaft
haben, zeigt nicht zuletzt das Video, das seit kurzem auf der
YB-Homepage aufgeschaltet wurde. Darin singen die Fussballer selber die
Hymne und bedanken sich so bei ihren Anhängern.
--
"Public Viewing" am TV
Wenn am Auffahrtsabend um 20 Uhr der Anpfiff für YB - FCL in
Emmenbrücke ertönt, ist die Jansen-Gastrogruppe laut Ralf
Jansen bestens gerüstet: Die Lokale Beach Club, Art Café,
Eclipse und Gut gelaunt werden als inoffizielle Fanzone von den Farben
schwarz-gelb dominiert sein, und die Fernseher laufen. Auch im
Aarbergerhof wird televisionär gekickt, vielleicht sogar mit
Grossleinwand. Im Mr. Pickwick läuft der Match, sofern nicht ein
wichtiges englisches Spiel in die Quere kommt. Im Café Kairo
gibt es diesmal statt Fussball ein Jassturnier. Nicht gezeigt wird das
Spiel im Luna llena, doch sind spontane Feiern mit Gesangseinlagen
nicht ausgeschlossen. (mdü)
--
Fangruppen
Ultras und Hooligans
Bei Ultras steht im Gegensatz zu Hooligans die Gewalt nicht im
Vordergrund.
Die besonders treuen und fanatischen Fans von Sportvereinen
werden als Ultras bezeichnet. Sie haben ein eigenes Verständnis
der Fankultur, organisieren sich und stellen die bedingungslose
Unterstützung ihres Teams an erste Stelle. Häufig sprechen
sie sich klar gegen die Kommerzialisierung des Sports aus. So heisst
zum Beispiel das Stade de Suisse bei ihnen nach wie vor Wankdorf.
Entstanden ist die Ultra-Bewegung vor gut 50 Jahren in Italien. Seither
entwickelten sich in den meisten europäischen Ländern
ähnliche Szenen. Neben Fangesängen und Choreografien sind
auch bengalische Feuer und Pyros ein wichtiger Bestandteil dieser
Fankultur. Unter anderem deshalb geriet die Ultra-Szene in den letzten
Jahren stark in die Kritik.
Im Gegensatz zu den Hooligans steht die Gewalt gegen andere Fans
oder gegen die Polizei bei den Ultras nicht im Vordergrund. Beide
Szenen werden in der öffentlichen Diskussion aber häufig
vermischt. Deshalb fühlen sich viele Ultras in eine falsche Ecke
gedrängt. In einschlägigen Internet-Foren der Ultras wird
berichtet, dass in der Schweiz die Szene derjenigen, die Fussballspiele
ausschliesslich wegen Schlägereien besuchen - Hooligans oder
sogenannte C-Fans - in den letzten Jahren stetig kleiner geworden ist.
Dem gegenüber habe die Zahl der B-Fans, die der Gewalt je nach
Situation nicht abgeneigt sind, eher zugenommen. (bro)
---
BZ 12.5.10
Religion wichtiger als Fussball
Nause verbietet YB an Auffahrt die Freinacht
An Auffahrt könnte YB Meister werden. Doch Gemeinderat Reto
Nause will am hohen Feiertag keine Freinacht bewilligen.
Kurz vor dem Ziel macht Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause
(CVP) einen Rückzieher. Zwar hat er vor Wochen in dieser Zeitung
angekündigt, in der Nacht eines YB-Meistertitels gebe es in Bern
keine Polizeistunde. Doch nun präzisiert das Gemeinderatsmitglied:
"Eine allfällige Freinacht findet in jedem Fall erst am Sonntag
nach dem letzten Spiel gegen Basel statt." An Auffahrt werde eine
solche nicht bewilligt - selbst wenn die YB-Spieler an diesem Abend
frühzeitig als Schweizer Meister vom Auswärtsspiel in Luzern
zurückkehrten.
Damit dies der Fall ist, müsste YB im Auswärtsspiel
beim FCL einen Punkt mehr einspielen als Rivale Basel, der zeitgleich
sein Heimspiel gegen Xamax austrägt. Ob sich die YB-Fans im
Meisterfall ans behördliche Partyverbot halten, darf bezweifelt
werden. Zumal die YB-Verantwortlichen andere Töne anschlagen als
der Sicherheitsdirektor: "Wir wären nach Spielschluss flexibel
genug und würden alle Hebel in Bewegung setzen, um der
aussergewöhnlichen Situation gerecht zu werden", sagt YB-Sprecher
Albert Staudenmann.
An eine mögliche Finalissima gegen den FC Basel am Sonntag
im Stade de Suisse denkt bei den Young Boys derzeit niemand. "Unsere
Konzentration gilt nur der Partie in Luzern", sagt Trainer Vladimir
Petkovic. Die Berner treffen morgen auf einen alten Bekannten - Hakan
Yakin, der frühere YB-Regisseur, ist beim FCL Captain. Er sagt:
"Die Young Boys hätten den Titel verdient."
tob/fdr
Seite 13+14, 24
--
Finale in der Fussball-Meisterschaft
Keine YB-Freinacht an Auffahrt
Ausgerechnet an Auffahrt spielt YB den ersten Matchball zum
Meistertitel. Eine allfällige Freinacht hat Berns
Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) verschoben - obschon
Kirchenvertreter nichts einzuwenden hätten.
Erstmals in der Geschichte des Schweizer Profi-Fussballs findet
an einem religiösen Feiertag eine Meisterschaftsrunde statt. "Die
Fans haben frei, sie haben Zeit für Fussball, viele machen auch
gleich die Brücke mit einem arbeitsfreien Freitag - das sind
ideale Voraussetzungen", sagte Edmond Isoz, Senior-Manager der Swiss
Football League gegenüber der SDA.
Nun, es ist weit mehr als eine Vollrunde, die am
diesjährigen Auffahrtsdonnerstag über die Fussballbühne
geht - zumindest aus Berner Sicht. Die Young Boys spielen auswärts
gegen Luzern ihren ersten Matchball zum Meistertitel. Die Rechnung ist
einfach: Zum Titelgewinn muss Gelb-Schwarz einen winzigen Punkt mehr
einspielen als Rivale Basel in seinem Heimspiel gegen Xamax.
Nauses Rückzieher
In der Hauptstadt dürften im Siegesfalle alle Dämme
brechen. Zumal Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) bereits vor Wochen
eine YB-Freinacht "am Tag des Titelgewinns" versprochen hat. Dass
dieser Tag mit Auffahrt zusammenfallen könnte, hatte er damals
offenbar nicht bedacht.
Jedenfalls macht Reto Nause nun einen Rückzieher. Eine
allfällige YB-Freinacht werde in jedem Fall erst für Sonntag
bewilligt, sagt Nause auf Anfrage dieser Zeitung. "Ja, auch wenn YB
bereits an Auffahrt die Meisterschaft gewinnt", betont er.
Weshalb die Wende? "Der Pokal würde auch erst am Sonntag
nach dem letzten Spiel gegen Basel übergeben", sagt Nause.
Dabei hätten nicht einmal Kirchenvertreter etwas gegen eine
YB-Party am religiösen Feiertag einzuwenden: "Wir stehen nicht in
Konkurrenz zum Fussball", sagt Thomas Gehrig, Leiter
Kommunikationsdienst reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Auch in
der Kirche gebe es Fussballfans. "Das Meisterrennen ist auch in unserer
Kaffeepause ein Thema."
"Hupende Autos"
Viel mehr Bier als Kaffee dürfte in der Nacht auf Freitag in
Berns Gassen trotz allem getrunken werden, falls die YB-Spieler als
Schweizer Meister aus Luzern zurückkehren. Denn mit Nauses
Argumenten liesse sich kaum ein YB-Fan von einer Spontanfeier abhalten.
Ihm sei durchaus klar, sagt der Sicherheitsdirektor, dass es rund ums
Stade de Suisse zu Feierlichkeiten kommen könnte. "Und auch das
eine oder andere Auto wird hupend durch die Stadt fahren."
Tobias Habegger
--
Beizen übertragen Spiel
Trotz Feiertag geöffnet
Auch wenn viele Bars und Beizen in Bern am Tag von Christi
Himmelfahrt geschlossen bleiben - es gibt diverse Möglichkeiten,
sich während des Spiels Luzern - YB in einer gelb-schwarzen Masse
zu tummeln.
Die Halbzeit-Bar im Breitenrain lässt zwar nur Mitglieder
rein. Eine Mitgliedschaft kann jedoch gleich an der Tür
gelöst werden. Im Wankdorf selbst bleibt das Restaurant Eleven
geschlossen. Feiertage bleiben Feiertage. Geöffnet hingegen ist
das Bar-Café Walter, die das Spiel live überträgt.
Wem nur eine Grossleinwand gut genug ist, der ist im Subway in
der Marktgasse bestens aufgehoben. Ob das Spiel gegen Basel am Sonntag
auch über die Leinwand flimmert, wird je nach Wetter und Lust der
Kunden entschieden. Der Aarbergerhof in der Mitte Berns
überträgt das Spiel auf Flatscreenns. Im
Länggassquartier bietet das Mappamondo die Möglichkeit, auf
TV-Bildschirmen das Spiel mitzuverfolgen.
Falls YB an Auffahrt Meister wird, dürfte es beim Stade de
Suisse trotz behördlichem Freinachtverbot zur Freinacht kommen.
"Wir wären nach Spielschluss flexibel genug und würden alle
Hebel in Bewegung setzen, um der aussergewöhnlichen Situation
gerecht zu werden", sagt YB-Sprecher Albert Staudenmann. Die YB-Spieler
dürften gegen Mitternacht eintreffen. Dem Vernehmen nach wurden
Betreiber von Verpflegungsständen vorsorglich aufgeboten.
jek/tob
--------------------------------------
BIG BROTHER SPORT
--------------------------------------
20 Minuten 12.5.10
ZAHL DES TAGES
860 Hooligans
sind derzeit in der Hooligan-Datenbank Hoogan eingetragen, so die
"Mittelland-Zeitung". Vor einem Jahr waren es erst 576 gewesen. 610
Hooligans wurden rund um Fussballspiele und 248 bei Eishockeymatches
registriert.
---
Aargauer Zeitung 12.5.10
Hooligan-Datenbank explodiert
In einem Jahr haben die Einträge im Informationssystem
Hoogan um 50 Prozent zugenommen
836 Personen sind in der Schweiz offiziell als Sport-Chaoten
registriert. Die Datenbank soll Kosten senken. Noch tut sie das aber
nicht.
Benno Tuchschmid
Die Hooligan-Datenbank wird fleissig gefüttert. 836
Schläger sind heute bei Hoogan registriert, wie Recherchen dieser
Zeitung ergeben. Damit hat die Zahl der registrierten
Sportkarwallmacher innerhalb eines Jahres um 50 Prozent zugenommen. Am
10. Mai vor einem Jahr waren noch 576 Personen registriert. Die
Hoogan-Datenbank füllt sich aber nicht etwa, weil die Zahl der
Chaoten in den Fussball- und Eishockeystadien massiv steigt. Sie
füllt sich, weil einzelne Kantone die Repressionsschrauben
zünftig angezogen haben.
Erste Ausreisesperren
Die Massnahmen der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren gegen
Gewalt im Sport beginnen zu greifen, wie Stefan Kunfermann, Sprecher
der Bundespolizei Fedpol, sagt. Die Massnahmen sehen unter anderem vor,
dass Krawallmacher konsequent bestraft werden. Letztes Jahr hat das
Fedpol, welches Hoogan betreibt, denn auch zum ersten Mal
Ausreisesperren gegen Wiederholungstäter ausgesprochen. Ebenso
wurden renitente Chaoten in den Kantonen dazu verpflichtet, sich
während Spielen auf dem Polizeiposten zu melden. Dies, um
sicherzugehen, dass sie nicht wieder während Spielen in den
Stadien auftauchen. Am härtesten geht der Kanton St.Gallen gegen
Chaoten vor. Dort wurden im letzten Jahr Schnellrichter eingeführt
- wer randaliert, riskiert, noch am selben Tage verurteilt zu werden.
Damit ist auch zu erklären, wieso derart viele registrierte
Krawallmacher aus dem Ostschweizer Kanton kommen.
Kosten bleiben hoch
Für ihr hartes Vorgehen erntet die St. Galler
Sicherheitsdirektorin Karin Keller-Sutter viel Lob. Ihr gehe es darum,
die hohen Sicherheitskosten für Fussball- und Eishockeyspiele in
ihrem Kanton zu senken, betont die St.Galler Regierungsrätin immer
wieder. Doch trotz Datenbank und Schnellverfahren - die Kosten sind im
letzten Jahr im Kanton St.Gallen nicht gesunken. Im Gegenteil: Die
St.Galler Kantonspolizei hat 2009 15200 Stunden Ordnungsdienst
geleistet, 3200 Stunden mehr als 2008. Dies bedeutet auch höhere
Kosten. Trotzdem hofft Keller-Sutter, dass "durch das konsequente
Durchgreifen und die Schnellverfahren die Aufgebote allmählich
verkleinert werden können".
--
Täter
Hoogan-Einträge nach Tatbeständen
393 Landfriedensbruch
219 Gewalt/Drohung gegen Beamte
130 Sachbeschädigung
119 Widerhandlung Sprengstoffgesetz
107 Tätlichkeiten
88 Gefährdung von Leben und Gesundheit
86 Einfache Körperverletzung
70 Raufhandel
51 Hinderung einer Amtshandlung
31 Hausfriedensbruch
18 Ungehorsam gegen amtliche Verfügung
12 Schwere Körperverletzung
8 Öffentliche Aufforderung zu Verbrechen
7 Widerhandlung gegen Waffengesetz
3 Fahrlässige Körperverletzung
--
Hooligan-Datenbank
Erfasste Personen nach Wohnkanton
ZH 158
SG 90
BE 90
LU 74
AG 56
VS 53
BS 31
------------------------------
WM SÜDAFRIKA
-----------------------------
WoZ 13.5.10
Südafrika-Mit Blick auf die Fussballweltmeisterschaft im Juni
verschärft das Gastland seit Jahren die Massnahmen zur
Verbrechensbekämpfung. Wird Südafrika zum
Überwachungsstaat?
Erst schiessen, dann fragen?
Von Klaus Raab, Kapstadt
Wenn man Dan Plato, den wortgewandten Bürgermeister von
Kapstadt, fragt, ob er ein Freund von Big-Brother-Methoden sei, sagt
er: "Big Brother, ich mag diesen Ausdruck" - vielleicht, weil er die
durchaus kritisch gemeinte Frage nicht als solche aufgefasst hat.
Und es gab viel Kritik im Vorfeld der Fussballweltmeisterschaft
in Südafrika, die im Juni beginnt: Die Stadien würden nicht
fertig, hiess es, die Zufahrtsstrassen auch nicht und die Tickets nicht
verkauft. Weite Teile der Kritik sind bereits widerlegt. Und Plato, zu
dessen Job es gehört, vor einem Gross ereignis "extrem sehr
optimistisch" zu sein, wie er es nennt, steht nun auf der Rundbahn des
neuen Stadions von Kapstadt und sagt: "Wir werden die ganze Welt
überraschen."
Nicht während der WM
Ebenfalls optimistisch zeigt sich Kapstadts Bürgermeister im
Gespräch mit der WOZ, wenn es um die Sicherheit geht. "Wir haben
zusätzlich 223 Überwachungskameras in der Innenstadt
aufgestellt", sagt Plato. Zusätzlich zu den vielen anderen, die
seit Ende der neunziger Jahre nach und nach installiert wurden. "Wir
werden die Sicherheitsstufe erhöhen und das Polizeiaufgebot
vergrössern." Seine Botschaft: Es gibt kein
Kriminalitätsproblem in Südafrika, jedenfalls nicht
während der WM, nicht in seiner Stadt.
Plato ist Mitglied der liberalen Oppositionspartei Democratic
Alliance (DA), der zweitstärksten Partei im Parlament. In der
südwestlichen Kapregion ist sie sogar stärker als die
Regierungspartei des African National Congress (ANC). Kapstadt weist
eine deutlich niedrigere Kriminalitätsrate auf als etwa
Johannesburg. Doch Platos harte Linie wird auch hier von der
Bevölkerung akzeptiert.
Je näher die WM rückt, desto sensibler reagieren die
Medien im In- und Ausland auf jeden neuen Einzelfall. So im April, als
Eugène Terre'Blanche, der Gründer und Anführer der
rechtsextremen Burenbewegung Afrikaner Weerstandsbeweging (AWB), von
zwei Schwarzen ermordet wurde, die auf seiner Farm arbeiteten. Im
Nachgang tauchten viele Fragen auf: Ob der Mord ein Vorbote neuer
gewalttätiger ethnischer Unruhen sei, worauf Drohungen der
gewaltbereiten AWB zu deuten schienen. Ob dadurch vielleicht sogar
Südafrikas Zukunft bedroht sei. Auch wenn sich inzwischen
herausgestellt hat, dass der Mord an Terre'Blanche kein politisches
Motiv hatte, liess die Tat das multikulturelle Nebeneinander, das in
Südafrika angestrebt wird, fragil erscheinen.
Tornados im Winter
Die harte Sicherheitspolitik in Südafrika muss vor dem
Hintergrund der extremen sozialen Ungleichheit betrachtet werden.
Regierung wie Oppositionsparteien sind dabei auf der gleichen Linie. So
sagt Helen Zille, Gouverneurin der Kapregion und Vorsitzende der DA:
"Wir sind eine sehr sicherheitsbewusste Gesellschaft." Der ANC sieht
das genauso.
Entsprechend rüstet Südafrika vor der WM weiter auf.
1,3 Milliarden Rand, umgerechnet rund 190 Millionen Franken, steckte
die Regierung in neue Hubschrauber, Ausrüstung und
zusätzliche Einsatzkräfte. Die Zahl der PolizistInnen stieg
in den letzten zehn Jahren von 120 000 auf 193 000.
Vishnu Naidoo, der Sprecher der für die Sicherheit
während der WM zuständigen Polizei, ergänzt: Hooligans
dürften nicht einreisen; "potenzielle Problempersonen" würden
von den Ländern, deren Mannschaften an der WM teilnehmen, bereits
an der Ausreise gehindert. Und mit der Polizei der Nachbarstaaten sei
vereinbart, gemeinsam gegen illegale Grenzübertritte vorzugehen.
"Wir sind für wirklich alles gerüstet", sagt Naidoo.
"Für Flugzeug entführungen, grosse Verkehrsunfälle und
auch für Terroranschläge." Es gebe sogar
Evakuierungspläne für den Fall, dass - mitten im
südafrikanischen Winter - ein Tornado aufzöge. "Tornados sind
ein Sommerphänomen", heisst es beim südafrikanischen
Wetterdienst. Aber sicher ist sicher.
Vorbild Deutschland
Die Bestrebungen der Regierung scheinen gut anzukommen -
jedenfalls bei manchen Fachleuten. So schreibt Johan Burger, Spezialist
für Verbrechen und Strafjustiz am Institut für
Sicherheitsstudien ISS, einem unabhängigen Thinktank in Pretoria:
"Es gibt wenig Zweifel, dass trotz der relativ hohen
Kriminalitätsrate der Staat den Willen und die Möglichkeiten
hat, ein hohes Mass an Sicherheit für die WM zu
gewährleisten."
Das sei doch klar, sagt Danny Jor daan, der dem
Fussballweltverband Fifa unterstellte nationale Organisationschef der
WM: "Wir tun alles dafür, dass kein Tourist zu Schaden kommt."
Tourismus sei wichtig für die Wirtschaft. "Wir würden uns ja
selber schaden, wenn etwas passiert."
Neben der Stärkung des Tourismus soll die WM auch das Image
Südafrikas verbessern - so, wie die WM 2006 das Image Deutschlands
verändert hat, wie Gouverneurin Zille glaubt. "Die Deutschen
galten zuvor als humorlos und unfähig zu lachen. Und sie haben das
Gegenteil bewiesen", sagt Zille. "So etwas wollen wir auch. Wir wollen,
dass die Leute hierherkommen, eine moderne und multikulturelle
Gesellschaft sehen und feststellen: Das ist ein zuverlässiges,
sauberes und sicheres Land."
Doch ganz so einfach ist es nicht. Gilt eine Gesellschaft als
verbissen, so kann sie eine grosse Party veranstalten und auf gutes
Wetter hoffen. Gilt eine Gesellschaft aber als gefährlich, so muss
sie, um diese Wahrnehmung zu verändern, Sicherheit spürbar
machen.
Dieses Verständnis zeigt sich nicht nur an den
Überwachungskameras in Stadtzentren oder der verstärkten
Präsenz von Polizeipatrouillen, sondern auch in Zilles
Unterstützung der Politik der "Null Toleranz gegenüber jeder
Form von Verbrechen". Diese Politik gilt in Südafrika seit 1998,
die Gesetze dafür werden ständig angepasst. So
unterstützten vergangenen September PolitikerInnen den Vorschlag
des kurz zuvor eingesetzten Polizeichefs Bheki Cele, nach dem
PolizistInnen mit dem Recht auf "shoot to kill" (Schiessen, um zu
töten) ausgestattet werden sollten. Bisher durfte die
südafrikanische Polizei nur schiessen, wenn sie selbst oder
Umstehende bedroht waren. Obwohl ein entsprechendes Gesetz noch nicht
verabschiedet ist, sei es gemäss Präsident Jacob Zuma bereits
eine Handlungsanweisung für die Polizei.
Auch ein Werbefilm der Fifa für die WM kommt nicht ohne
Bekenntnis zur harten Linie aus. Er zeigt feiernde Menschen, tolle
Stadien und grossartige Landschaften. Und plötzlich, Schnitt, ein
Sondereinsatzkommando, wie es schwer bewaffnet ein augenscheinlich
entführtes Flugzeug umkreist.
Die Gunst der Stunde
Was nach aussen hin als Zeichen guter Organisation und einer
professionell ausgerichteten WM verkauft werden kann, ist allerdings
mehr als das.
Die Forderung nach mehr Sicherheit gibt es in Südafrika seit
Jahren, und sie hatte bereits starke Auswirkungen auf die Innenpolitik.
Dass nun wegen der WM die ganze Welt auf Südafrika schaut, hat
diese Entwicklung noch verschärft. Die Regierung will die
Gelegenheit nutzen und das Image Südafrikas als Land der
Kriminalität und der Gewalt versuchen zu ändern - mit allen
Mitteln.
"Es gibt Anzeichen dafür, dass Südafrika auf dem Weg
ist, ein Sicherheitsstaat zu werden", sagt Johan Burger vom ISS in
Pretoria. Die "Null-Toleranz-Politik" sei dafür bezeichnend.
Dennoch findet eine öffentliche Diskussion darüber, wie weit
Massnahmen für mehr Sicherheit gehen dürfen, im Land kaum
statt.
Stattdessen wird breit diskutiert, ob die Regierung auch
tatsächlich in der Lage sei, die Kriminalität
einzudämmen. In südafrikanischen Medien dominieren Berichte
über Gewaltverbrechen und Gerichtsverhandlungen;
Vergewaltigungsopfer werden interviewt, Entfühurngsgeschichten
über Wochen prominent verfolgt. Immer wieder werfen die Medien und
die Oppositionsparteien der Regierung vor, die
Kriminalitätsstatistiken zu manipulieren. "In der Kap-Provinz
haben zwei Polizeichefs versucht, die Zahlen zu schönen", sagt
Tony Weaver von der Tageszeitung "Cape Times". "Statt Verbrechen
aufzuklären, haben sie sie versteckt."
Nationale Paranoia
Der Fokus der Medien auf spektakuläre Einzelfälle
begünstige eine "Inflation der Angst", schrieb das Forscherehe
paar Jean und John Comaroff bereits 2006 in einer
kriminalethnologischen Studie. Als Folge werde in der
Öffentlichkeit der Eindruck gefestigt, überall dominiere die
Kriminalität - und dies führe wiederum zum Ruf nach
noch mehr Polizei und immer schärferen Sicherheitsmassnahmen. Eine
Entwicklung, die auch von internationalen BeobachterInnen und
Organisationen wie Amnesty International mit Besorgnis verfolgt wird.
Dies sei umso schlimmer, als in Südafrika die
Verbrechensrate seit Jahren fällt; darin sind sich Jean und John
Comaroff und Johan Burger einig. "Natürlich hat Südafrika ein
Kriminalitätsproblem", sagt Burger, doch im internationalen
Vergleich sei es wesentlich weniger schlimm als von ausländischen
Medien dargestellt. Man müsse differenzieren, sagt er und
präsentiert Zahlen und Statistiken für das ganze Land.
Die Kriminalität sei regional sehr unterschiedlich,
erläutert Burger. Ausserdem veränderten sich die Formen und
Ziele. So nähmen seit einigen Jahren Plünderungen von
Bankautomaten sowie Raubüberfälle zu. Diese wiederum
konzentrierten sich stark auf die Geschäftszentren um Johannesburg
und Pretoria, liefen aber deutlich seltener als früher
gewalttätig ab. Auch die Zahl der Morde fiel seit 1995 um beinahe
die Hälfte - auf die allerdings noch immer hohe Zahl von
jährlich 37 pro 100 000 EinwohnerInnen. Hinzu komme, dass etwa
achtzig Prozent der Gewaltverbrechen im Familien- und Bekanntenkreis
geschehen, und dies wiederum hauptsächlich in den Townships, wo
Armut und Arbeitslosigkeit am höchsten sind.
Dort jedoch, sagt eine Politikwissenschaftlerin vom Institut
für Demokratie in Afrika in Kapstadt, die nicht namentlich zitiert
werden will, sei die Überwachung eher gering. "Warum müssen
eigentlich nur die Geschäftsleute beschützt werden?
Warum gibt es solche Kameras nicht auch in den Townships?"
--
Erfolgreich gegen Fifa und Bauunternehmen
"Zeigen Sie Sepp Blatter die Gelbe Karte - keine
Ausbeutung bei der Fussball-WM." Mit diesem Slogan wirbt das
Schweizerische Arbeiterhilfswerk SAH für eine Kampagne, die 2007
lanciert wurde. Ziel der Kampagne ist es, dass der Weltfussballverband
Fifa und dessen Präsident Sepp Blatter ihre soziale Verantwortung
als Organisatoren der Fussballweltmeisterschaft wahrnehmen, die im Juni
in Südafrika stattfindet.
Es seien hohe Ziele gewesen, die sie sich zusammen mit der
Schweizer Gewerkschaft Unia gesetzt haben, sagt Joachim Merz,
Kampagnenleiter des SAH im Gespräch mit der WOZ. So wollte die
Kampagne auf den WM-Baustellen die Arbeitsbedingungen und die
Arbeitssicherheit verbessern, die Gewerkschaften durch
Mitgliederrekrutierung nachhaltig stärken und
Weiterbildungsmöglichkeiten für die Beschäftigten
schaffen.
Keine leichte Aufgabe: Die südafrikanische Regierung zeigte
wenig Interesse an den sozialen Missständen auf den Baustellen -
auch weil sie von Anfang an unter grossem Zeitdruck stand, den Neubau
und die Renovation von zehn Stadien fertigzustellen. Ähnliches
galt für die Bau- und Subunternehmen, bei denen es um
millionenschwere Aufträge ging, und die wenig kooperative Fifa.
"Es hat einige Zeit gedauert, bis die Kampagne in Südafrika
in Gang gekommen ist", sagt Merz. Dennoch zieht das SAH nach
dreieinhalb Jahren eine positive Bilanz. Das auslösende Element
waren aber nicht konzertierte Streiks von Gewerkschaften, sondern
spontane Arbeitsniederlegungen der Kapstadter ArbeiterInnen im Sommer
2007, weil sie keine Transportentschädigung erhielten. "Der Lohn
lag damals für einen ungelernten Arbeiter bei knapp 2000 Rand im
Monat, das entsprach etwa 320 Franken", erklärt Merz. Die
Transportkosten hätten bis zu einem Drittel des Lohns
weggefressen. Nach dem zweiten Streik hatten die Beschäftigten
ihre Forderung durchgesetzt.
Die Gewerkschaften initiierten diesen Streik zwar nicht, aber
ihre Vertrauensleute auf den Baustellen waren in den Streikkomitees
dabei. "Sie haben es verstanden, die Forderungen zu kanalisieren", sagt
Merz. Inzwischen sind die Gewerkschaften erstarkt und haben über
25 000 Neumitglieder gewonnen. In den letzten drei Jahren gab es 26
Streiks auf den WM-Baustellen, einen davon auf nationaler Ebene.
Den Erfolg führt Merz auf drei Faktoren zurück: So sei
durch die Streiks, hartnäckiges Lobbyieren und eine aggressive
Medienarbeit konstant der Druck auf die Fifa, die südafrikanische
Regierung und die Bauunternehmen aufrechterhalten worden. Inzwischen
müssen sich auch die Subunternehmen auf den Baustellen an die
gesetzlichen Bestimmungen halten; der Mindestlohn beträgt heute
3000 Rand (rund 440 Franken), auch wenn dies noch immer unter einem
existenzsichernden Lohn liegt; und die Fifa hat schriftlich
zugestanden, dass sie sich für faire Arbeitsbedingungen einsetzt.
Doch auch so profitiert vor allem die Fifa von der WM. "Bereits jetzt
hat sie einen deklarierten Gewinn von über zwei Milliarden
US-Dollar", meint Merz. "Mehr als je zuvor. Dennoch zieht die Fifa
immer wieder gemachte Zusagen zurück."
Auch deshalb wird die Kampagne fortgesetzt. Nächste Woche
übergeben die südafrikanischen Gewerkschaften den Stab an
eine brasilianische Delegation für die WM 2014.
Sonja Wenger
-------------------------------------------
ZWISCHENGESCHLECHT
-------------------------------------------
WoZ 13.5.10
Intersexualität - Vincent Guillot wurde mit einem uneindeutigen
Körper geboren. Die Ärzte machten ihn zum Mann. Heute zieht
er es vor, ausserhalb der Geschlechter zu leben.
"Ich bin kein ewiges Kind"
Von Bettina Dyttrich (Text) und Florian Bachmann (Foto)
Er ist gross und schlank, hat das halblange, graumelierte Haar
zusammengebunden. Die Ruhe, die er ausstrahlt, könnte man im
ersten Moment mit Schüchternheit verwechseln. Aber wenn ihn etwas
stört, wehrt er sich laut und deutlich. Seine Gesichtszüge
sind fein, und doch: Niemand würde ihn für etwas anderes
halten als für einen Mann. Obwohl er keiner ist. Vincent Guillot
ist intersexuell. Er ist mit einem uneindeutigen Körper auf die
Welt gekommen.
"Ich bin nicht zwischen den Geschlechtern, ich bin ausserhalb", sagt
Vincent Guillot im Dokumentarfilm "L'ordre des mots" von Cynthia Arra
und Melissa Arra. "Ich bin absolut neutral. Mein Körper hat nie
ein Sexualhormon produziert. Ich habe immer gesagt, ich sei nichts. Und
alle fanden das sehr negativ. Aber ‹nichts› ist nichts Negatives
für mich. Nichts ist das Absolute, das Unendliche."
Eine Bombe im Körper
Vincent wächst in einer katholischen Familie in der Nähe von
Paris auf. Als er sieben Jahre alt ist, bekommt er einen kleinen
Bruder. Er sieht, dass der Penis des Neugeborenen grösser ist als
sein eigener, und kann es nicht fassen. Am gleichen Tag läuft
seine Schildkröte davon. Vincent schreit. Alle denken, es sei
wegen der Schildkröte.
Zu jener Zeit beginnen die Behandlungen. Sie schlagen ein - "wie eine
Atombombe". Alles verändert sich. Die Welt wird fremd. Immer hat
er gern Kartoffelstock gegessen, jetzt findet er ihn abstossend. Was
angenehm war, wird unerträglich. Er kann seine Wutausbrüche
nicht kontrollieren und wird ungeschickt, beherrscht seinen Körper
nicht mehr. Steht neben sich und versteht nicht, was mit ihm geschieht.
Heute weiss Vincent Guillot, dass er damals hohe Dosen Testosteron
bekam, damit sein Körper sich vermännlichte. Dazu kamen die
Operationen. Seine Eltern wussten nichts Genaues über seinen
Zustand: "Man sagte ihnen, ich sei ein misslungener Junge, den man
reparieren müsse." Sie folgten dem Rat der Mediziner. Aber auch
sie wurden schliesslich misstrauisch, als die Eingriffe nicht mehr
aufhörten.
Die letzte Operation hätten die Eltern beinahe verhindert. Sie
verstanden nicht, was dem Jungen noch fehlen sollte. Doch die
Ärzte insistierten, ohne Details zu erklären. Bei dieser
letzten Operation entfernten sie Vincents Gebärmutter.
Störendes abschneiden
Ein uneindeutiges Geschlechtsteil, grösser als eine Klitoris, aber
kleiner als ein Penis, ist in den meisten Fällen kein
gesundheitliches Problem. Nur wenn zum Beispiel der Harnabfluss nicht
funktioniert, ist ein schneller Eingriff notwendig. Trotzdem gilt ein
solches Geschlechtsteil vielen ÄrztInnen als "psychosozialer
Notfall". Ein Kind, das mit einem uneindeutigen Körper aufwachse,
könne keine klare Geschlechts identität entwickeln und sei
deshalb in seiner psychischen Gesundheit gefährdet, so die
Theorie. Daraus folgt, dass Operationen in den ersten beiden
Lebensjahren stattfinden sollten.
Diese Praxis geht auf die Forschungen des Teams um den
US-amerikanischen Psychologen John Money (1921-2006) zurück. Seit
Money ist es üblich, uneindeutige Kinder jenem Geschlecht
zuzuweisen, das sich operativ leichter herstellen lässt: "Ist das
Glied so klein, dass vorhersehbar ein gebrauchsfähiger Penis auch
mit umfangreichen operativ-rekonstruktiven Massnahmen nicht hergestellt
werden kann, dann muss entschieden werden, dass es sich um ein
Mädchen handelt", steht in einem deutschen Pädiatriebuch aus
den neunziger Jahren. Dieses kleine Glied gilt aber umgekehrt als
störend gross für die Geschlechtsidentität eines
Mädchens - und wird verkleinert. Auch wenn es heute nicht mehr
üblich ist, die Penis-Klitoris ganz zu amputieren, bleibt die
Empfindsamkeit des wichtigsten Lustorgans nach den Operationen oft
eingeschränkt. Und eine "Neovagina" muss meist über lange
Zeit durch das regelmässige Einführen eines Gegenstandes
gedehnt werden.
Dazu kommt, dass in den letzten Jahrzehnten unzählige
Intersex-Kinder nackt ganzen Gruppen von ÄrztInnen vorgeführt
und für Fachpublikationen fotografiert wurden. "Diese Körper
sind nichts wert, aber aufregend", ist Vincent Guillots sarkastischer
Kommentar. "Mit solchen Körpern darf man alles tun." Erfahrungen
dieser Art seien unendlich viel traumatisierender als uneindeutige
Körper, sagen Intersex-AktivistInnen, die sich seit den neunziger
Jahren immer lauter wehren. "Um das psychische Leiden der Eltern zu
lindern, verstümmelt man die Kinder", sagt Guillot. Ist
Uneindeutigkeit vor allem ein Problem der Erwachsenen? Die Erfahrungen
von Karin Plattner aus Basel, Präsidentin des Vereins Selbsthilfe
Intersexualität und Mutter eines intersexuellen Kindes, deuten es
an: "Heute ist sie zehn, und es ist ihr schlichtweg wurst, ob sie ein
Mädchen oder ein Junge ist", sagte sie letztes Jahr zum
"Tages-Anzeiger".
Auch in der Schweiz kommen jährlich mindestens zwanzig Kinder mit
uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen auf die Welt. Vielleicht sind es
auch doppelt so viele; es gibt keine Statistik. Wie viele von ihnen
noch immer im Kleinkindalter operiert werden, ist ebenfalls unklar.
Dank der breiteren Diskussion über das Thema seien viele
MedizinerInnen kritischer geworden, sagt der Arzt Jürg Streuli vom
Institut für Biomedizinische Ethik der Universität
Zürich. "An den meisten Kliniken werden heute Psychologen,
Sozialpädagogen und Eltern eng in die Entscheidungen einbezogen."
Trotzdem sei der Weg noch weit: "Weiterhin sind auch äusserst
fragwürdige Vorstellungen im Umlauf, die die Aktivisten in ihren
Befürchtungen bestärken. Und es fehlt sowohl an Erfahrung,
wie man Eltern und Kinder am besten begleiten und unterstützen
kann, als auch an Fachleuten, die diese Hilfe professionell und
flächendeckend anbieten können."
Ewige Kinder
"Das Leiden ist kein Argument", sagt Vincent Guillot plötzlich.
Wie bitte? "Wer sagt, die Operationen müssten aufhören, weil
die Kinder leiden - der sagt, sie könnten weitergehen, wenn es
kein Leiden gäbe. Aber selbst wenn die Ärzte einen Zauberstab
hätten, mit dem sie bei der Geburt perfekte Jungen und
Mädchen machen könnten - einfach so, tak -, selbst dann
wäre es nicht legitim, das zu tun." Überhaupt stört es
ihn, dass es in den Diskussionen um Intersexualität immer um
Kinder geht: "Sie machen die Intersexuellen zu ewigen Kindern, wie die
psychisch Kranken auch. Und Kinder können nicht für sich
sprechen. Man muss sie nicht ernst nehmen." Dabei betreffe die
entscheidende Frage in erster Linie das Erwachsenenleben: die Frage
nach dem Zugang zur Lust am eigenen Körper.
Vincent Guillot durfte zumindest sein Glied behalten. Mit der
Hormontherapie wuchs es zu einer "normalen" Grösse heran - zur
Freude der Ärzte und zu seinem heutigen Bedauern. "Ich habe nie
verstanden, was das heisst, ‹Mann› oder ‹Frau›. Ich kann mich in diesem
System nicht orientieren." Was er aber wahrnimmt, sind unterschiedliche
Verhaltensweisen, wenn es um ihn und seinen Körper geht. Guillot
hat sexuelle Beziehungen mit Männern und mit Frauen. Seine
Erfahrung dabei: Die Frauen können mit seiner Situation umgehen,
die Männer nicht. "Sie haben eine Herrschaftsposition zu
verteidigen. Und was bei den Schwulen noch dazukommt: Aus Angst, keine
‹richtigen Männer› zu sein, betonen sie ihre Männlichkeit
umso stärker. Wenn es nur um Sex geht, ist das kein Problem; ich
habe einen grossen Schwanz. Aber eine Liebesbeziehung ist nicht
möglich, weil ich sie dauernd an ihre Angst erinnere. Ich weise
sie auf ihre eigenen femininen Seiten hin, die sie ablehnen. Sie wollen
einen Mann - was ich nicht bin."
Die Frauen hätten dieses Problem nicht: "Im Sex mit Frauen ist
unendlich viel mehr Spielraum." Fünfzehn Jahre lang lebte Guillot
mit einer Freundin zusammen. Von aussen gesehen waren sie ein normales
Heteropaar. Füreinander waren sie etwas anderes. Sie mussten es
nicht definieren.
Die Scham ist zu gross
Erst seit zehn Jahren, seit seinem 35. Lebensjahr, weiss Vincent
Guillot von seiner Intersexualität. Vorher wusste er nur, dass
sein Körper nicht den Erwartungen entsprach. Dieses Vorenthalten
von Information ist zum Teil bis heute gängige Praxis: "Die
Begriffe Zwitter, Intersex, Hermaphroditismus" dürften Eltern und
Kindern gegenüber nicht verwendet werden, heisst es im
erwähnten pädiatrischen Fachbuch.
Guillot begann sich zu engagieren, wurde Europa-Sprecher der
Organisation Intersex International (OII), trat an Veranstaltungen auf,
gab Interviews. Doch es war schwierig, an die Öffentlichkeit zu
treten. Bis heute basiere die Intersexuellenbewegung in Frankreich
stärker auf virtuellen Kontakten als auf persönlichen
Begegnungen, erzählt er. Die Scham ist zu gross.
Lieber krank als komisch
"Viele Intersexuelle definieren sich selbst als krank. Ich verstehe
das. Krank oder behindert, das sind Identitäten, die es in unserer
Gesellschaft gibt. Eine intersexuelle Identität - ich bin weder
Mann noch Frau oder beides zugleich, und mir ist wohl dabei - gibt es
nicht. Es ist viel, viel härter, sich als intersexuell
anzunehmen." Er weise immer wieder darauf hin, dass die Mehrheit der
Intersexuellen nicht sei wie er. Dass sie ganz normale Männer und
Frauen sein wollten und ein Recht darauf hätten wie alle anderen
Menschen auch.
Und doch - er glaubt ihnen nicht ganz. "Fast immer kommt der Moment, wo
sie mir sagen: ‹Manchmal träume ich, ich hätte ein anderes
Geschlecht.› Oder: ‹Im nächsten Leben möchte ich anders
sein.› Zwischen den Zeilen ist es immer da …" Er zögert. Und
fährt dann fort, laut und energisch: "Sie wissen es, sie wissen
ganz genau, dass sie keine misslungenen Männer und Frauen sind!
Aber das ist derart brutal, dass sie es nicht aussprechen können.
Sie sagen lieber: ‹Ich bin ein Mann wie alle anderen, heterosexuell,
verheiratet, ich liebe Fussball und Bier …› Sie übertreiben die
Männer- oder Frauenrolle, sie spielen sie zu gut. Wie viele
Transsexuelle auch."
Vincent Guillot fröstelt. Auch der Wollschal, den er sich um die
Schultern gewickelt hat, nützt nicht viel. Der Frühlingstag
ist kühl, doch Guillot friert aus einem anderen Grund: Sein
Testosteronspiegel ist tief. Direkt nach der monatlichen Spritze hat er
zu viel, später zu wenig vom Sexualhormon im Körper. Das
führt zu ähnlichen Problemen, wie sie Frauen in den
Wechseljahren erleben: Er friert und schwitzt, schläft schlecht,
der Kopf tut ihm weh. Am liebsten würde er ganz auf die Spritzen
verzichten. Aber das geht nicht, denn Sexualhormone haben
vielfältige Funktionen; der Körper benötigt Testosteron
auch für den Muskelaufbau und die Knorpelbildung.
Heute lebt Guillot als Biogemüsegärt ner in der Bretagne. Er
hat sich aus allen Organisationen zurückgezogen - "mein Leben
besteht nicht nur aus Intersexualität". Doch er äussert sich
immer noch, wenn ihn jemand fragt, lebt weiterhin "mit entblösstem
Gesicht". "Ich sehe, wie es den Intersexuellen geht, die sich
verstecken. Sie haben ein schreckliches Leben. Sie leiden ähnlich,
wie Homosexuelle jahrhundertelang gelitten haben." Der Kampf, sagt er,
müsse ein umfassender sein: "Einst galten alle als homosexuell,
die keine Heteros waren. Dann haben sich Lesben und Schwule organisiert
und dabei die Transen ausgeschlossen. Später haben sich die
Transen organisiert und die Intersexuel len ausgeschlossen. Wer kommt
nach uns?" Sich gegen eine einzelne Diskriminierung zu wehren, sei
nicht genug, sagt Guillot und illustriert es mit einem Beispiel: "Die
Menschen, die heute in Frankreich wahrscheinlich am meisten
diskriminiert werden, sind papierlose transsexuelle Prostituierte."
In der Bretagne geht es ihm gut. Die Bauern und Bäuerinnen in der
Nachbarschaft wissen, wovon er spricht. Denn Zwillingskälber
verschiedenen Geschlechts sind oft intersexuell, weil sich ihre
Geschlechtshormone anders als bei menschlichen Föten im
Mutterbauch vermischen. Es gibt intersexuelle Ziegen, Hühner und
Schweine. "Leute, die mit Nutztieren leben, wissen, dass das
regelmässig vorkommt: ‹Mein Hahn hat auch einmal ein Ei gelegt.›"
Keine dritte Möglichkeit
Es gibt noch einen Grund, warum er in der Provinz bleiben will. "Wenn
du ruhig und gelassen bist, gibst du den anderen keinen Anlass zur
Aggression. Das funktioniert aber nur auf dem Land. In der Stadt ist es
fast unmöglich, gelassen zu sein, und weil man dich nicht kennt,
kann man dich attackieren." Vor vier Jahren, noch in Paris, wurde
Guillot in seinem Wohnquartier überfallen und spitalreif
geschlagen. Trotzdem ging er nicht zur Polizei. "Einem Beamten mein
Leben erzählen? Nein. Nein. Der Polizeiposten ist der einzige Ort,
wo ich bisher wirklich in Lebensgefahr war." Genaueres will er dazu
nicht sagen.
Noch dieses Jahr möchte Vincent Guillot auf weibliche Hormone
umstellen und dabei bleiben, falls er sich besser fühlt. Wegen der
Pille ist der Markt für weibliche Hormone riesig, darum wird mehr
geforscht, und die Auswahl an verschiedenen Produkten ist viel breiter
als im Bereich des Testosterons. Rechtlich wird er ein Mann bleiben,
auch wenn er wahrscheinlich nicht mehr so aussehen wird. Um auch auf
dem Papier eine Frau zu werden, müsste er sich dem gleichen
Prozedere unterwerfen wie eine Transsexuelle, den umfangreichen
Abklärungen und psychiatrischen Vorgesprächen. Da bleibt er
lieber ein Mann. Eine dritte Möglichkeit gibt es noch nicht.
--
Intersexualität
Was genau als Intersexualität zu definieren ist, ist medizinisch
umstritten. Denn wo sie "anfängt", ist unklar. Auf der Ebene der
Chromosomen gibt es neben XX (Frau) und XY (Mann) auch XXY- und
X-Varianten. Menschen, die mit uneindeutigen Geschlechtsteilen zur Welt
kommen, haben jedoch meistens einen "normalen" XX- oder
XY-Chromosomensatz. Grund für die Intersexualität ist bei
ihnen zum Beispiel das Adrenogenitale Syndrom (AGS), das bei Menschen
mit XX-Chromosomensatz, Eierstöcken und Gebärmutter zu einer
äusserlichen Vermännlichung führt. Alex, die Hauptperson
des Films "XXY" von Lucia Puenzo, hat AGS (vgl. Kasten "Literatur und
Film"). AGS gibt es aber auch in schwächeren Formen, die oft
unbemerkt bleiben. Bei Androgenresistenz kommen dagegen XY-Menschen mit
uneindeutigem oder weiblichem Äusseren auf die Welt, und bei
5-alpha-Reduktase-Mangel beginnt die Vermännlichung in der
Pubertät (wie im Roman "Middlesex" von Jeffrey Eugenides).
Im Gegensatz zu Intersexuellen werden Transsexuelle mit eindeutigen
Körpern geboren, fühlen sich jedoch einem anderen Geschlecht
zugehörig, als ihr Äusseres vermuten liesse. Dar um lassen
viele von ihnen ihren Körper hormonell, zum Teil auch operativ
angleichen.
Intersex-Aktivismus
Lautstark gegen Genitaloperationen an intersexuellen Kleinkindern setzt
sich in der Schweiz die Gruppe Zwischengeschlecht um die Aktivistin
Daniela Truffer ein. Der Verein Selbsthilfe Intersexualität
engagiert sich vor allem in der Öffentlichkeitsarbeit. Vermehrt
zum Thema aktiv werden möchte auch die Schweizer Sektion von
Amnesty International (AI): An der Generalversammlung im April wurde
eine Motion der Untergruppe Queeramnesty einstimmig gutgeheissen. Sie
fordert, dass sich AI gegen Zwangsoperationen ausspricht:
"Intersexuelle sollen so leben dürfen, wie sie geboren wurden, und
im Erwachsenenalter selber über mögliche Operationen und
Therapien entscheiden können, falls sie diese wünschen."
http://blog.zwischengeschlecht.info,
http://www.si-global.ch,
http://www.queeramnesty.ch
--
Literatur und Film
≥ Informativ und sehr gut lesbar ist Ulla Fröhlings Buch "Leben
zwischen den Geschlechtern. Intersexualität - Erfahrungen in einem
Tabubereich" (2003, Ch. Links Verlag).
≥ Soeben erschienen ist "XX0XY ungelöst", Ulrike Klöppels
umfassende Studie über Intersexualität in der deutschen
Medizin seit dem 18. Jahrhundert (Transcript-Verlag).
≥ Die berühmteste intersexuelle Romanfigur ist Calliope/Cal in
"Middlesex" (2002) von Jeffrey Eugenides (auf Deutsch bei Rowohlt
erschienen).
≥ Im eindrücklichen, zeitweise kaum erträglichen
Dokumentarfilm "Das verordnete Geschlecht" haben Oliver Tolmein und
Bertram Rotermund 2001 zwei der ersten deutschen Intersex-AktivistInnen
porträtiert, Michel Reiter und Elisabeth Müller.
≥ Der bewegende Spielfilm "XXY" (2007) von Lucia Puenzo erzählt
die Geschichte des/der fünfzehnjährigen Intersexuellen Alex.
-------------------------------------------
NATIONALSOZIALISMUS
-------------------------------------------
NZZ 12.5.10
Der Weg in den Widerstand
Sophie Scholl in einer umsichtigen und aufschlussreichen
Biografie von Barbara Beuys
Sabine Fröhlich
Sabine Fröhlich ⋅ Ihre letzte Botschaft schrieb sie auf die
Anklageschrift, die man ihr zum Lesen in die Gefängniszelle
brachte. Erst Jahrzehnte später wurde bemerkt, dass auf der
Rückseite der Akte, in gleichmässigen Grossbuchstaben, das
Wort "Freiheit" stand. Vielleicht wäre Sophie Scholl später
einmal Grafikerin geworden - ihr zeichnerisches Talent ist
überliefert -, hätte Hitlers "Volksgerichtshof" sie nicht
1943, im Alter von einundzwanzig Jahren, zusammen mit ihrem Bruder Hans
Scholl und anderen Beteiligten eines studentischen Widerstandskreises
wegen "Hochverrats" hinrichten lassen. Die Forderung nach Freiheit
hatten sie nachts an die Wände der Münchner Universität
geschrieben und auf Flugblättern verbreitet.
Einst ein "Jungmädel"
Über die Freiheit, für die Sophie Scholl
öffentlich eintrat, hatte sie sich selbst erst Klarheit
verschaffen müssen. Wie der Weg vom dreizehnjährigen
"Jungmädel" zur entschlossenen Widerstandskämpferin verlief,
das lässt sich nun in einer klug recherchierten Biografie von
Barbara Beuys nachlesen. Schon der 2005 veröffentlichte
Briefwechsel mit ihrem Geliebten, dem Berufssoldaten Fritz Hartnagel,
liess erkennen, wie hart die sechzehnjährige Schülerin an
sich arbeitete, um selbstbestimmt und frei von "weiblichen
Gefühlen" ihr Denken zu schulen. Eine unermüdliche Suche nach
Erkenntnis und metaphysischer Erfahrung dokumentiert die Korrespondenz,
zugleich eine wachsende Ablehnung gegenüber jedem Arrangement, sei
es politischer oder privater Natur, das nur dem eigenen Nutzen diene.
All diese Züge kann Barbara Beuys nach der Recherche im
umfangreichen Archiv von Inge Aicher-Scholl, dem ältesten von
fünf Geschwistern, mehr als nur bestätigen. Sie lässt
Sophie Scholl als eine selbstbewusst und eigenständig handelnde
Frau aus dem Schatten ihres Bruders treten; als eine gut informierte,
illusionslose Beobachterin der politischen Situation und des Kriegs,
den sie von Anfang an ablehnt. Es scheint auch, als sei Sophie Scholl -
anders als bisher vermutet - bereits im Frühsommer 1942, also noch
bevor die ersten Flugblätter der "Weissen Rose" auftauchten,
zumindest informiert und zur Beteiligung bereit gewesen, da sie in
dieser Zeit schon versuchte, einen Vervielfältigungsapparat zu
kaufen.
Bekannt, aber bisher wenig beleuchtet war Sophie Scholls
intensive Auseinandersetzung mit Glaubensfragen, die Lektüre der
"Bekenntnisse" des Augustinus, die Begegnung mit den Schriftstellern
und Philosophen des "Renouveau Catholique" (Bernanos, Claudel, Jacques
Maritain). Diese Inspirationen wurden zum geistigen Band in einem
grösseren Kreis von Gleichgesinnten, der als spiritueller
Vorläufer der späteren Widerstandsaktionen nicht zu
unterschätzen sein dürfte. In Gesprächen auf
Skihütten und in der liberalen Atmosphäre des Schollschen
Elternhauses, in Briefen und einem im Freundeskreis zirkulierenden
Rundbrief mit dem Titel "Windlicht", für den Sophie Scholl
redigierte und zeichnete, suchten die Beteiligten nach einer Spur, nach
einem wahrhaftigen Gottesbezug, nach "einem Grund, der mir immer ist,
unabhängig von allen Einflüssen", wie Sophie Scholl im
Oktober 1940 an ihren Freund im besetzten Frankreich schrieb.
Diesen Kreis bezeichnet Barbara Beuys wegen des grossen
Einflusses von Otto ("Otl") Aicher - erklärter Nazigegner,
sendungsbewusster Katholik und späterer Erfinder der olympischen
Piktogramme - als "Aicher-Scholl-Bund". Als Hans Scholl sein Studium in
München begann, stiessen weitere Personen dazu, befreundete
Künstler, katholische Publizisten (Carl Muth, Theodor Haecker) und
schliesslich die ebenfalls später hingerichteten, an den
Flugblattaktionen beteiligten Studenten sowie der Volksliedforscher
Kurt Huber.
Die Hinwendung zu einem spirituellen Christentum, in dem die
Suche nach Freiheit - gewiss nicht "nur" der geistigen, sondern ebenso
der persönlichen und politischen - eingeschlossen war, beantwortet
letztlich die oft gestellte Frage nach dem Punkt der Abkehr Sophie
Scholls von ihren früheren, von Zeitgenossen als "fanatisch"
bezeichneten Aktivitäten im Ulmer "Bund Deutscher Mädel", der
weiblichen "Hitlerjugend". Auch Barbara Beuys kann kein alles
erklärendes Dokument liefern, mit dem der Weg in den Widerstand
seinen Anfang genommen hätte. Gewiss spielt nach wie vor das Jahr
1937 eine wichtige Rolle, in dem die Brüder Sophie Scholls wegen
"bündischer Umtriebe" - dem Festhalten an den Symbolen der
inzwischen verbotenen Jugendbewegung - vorübergehend verhaftet
wurden. An den "Heimabenden" ihrer BDM-Gruppe nahm Sophie Scholl aber
noch bis 1941 sporadisch teil, als ihre ablehnende Haltung
gegenüber dem nationalsozialistischen Staat sich längst
gefestigt hatte.
"Einsam unter den Bekehrten"
Es wäre denkbar, dass das Bild einer "Umkehr" die Sache
nicht trifft, dass vielmehr die Suche nach Klarheit und die Erfahrung
des wachsenden Drucks den Blick auf die Realitäten geschärft
haben, während das zu Anfang noch populistisch, ja vermeintlich
"revolutionär" sich gebende nationalsozialistische Gewaltsystem
die Maske bald fallenliess. Besonders während der
zweijährigen Arbeitseinsätze, zu denen Sophie Scholl
verpflichtet wurde, um überhaupt studieren zu dürfen, wurde
die Suche nach dem Glauben auch zur Gegenwelt. Dennoch blieb sie
letztlich, so Beuys im Blick auf die beiden ausgeprägt
schwärmerischen Geschwister Inge und Hans, "einsam unter den
Bekehrten".
Während sich die ältere Schwester auf ihre Konversion
vorbereitet, überlegt die jüngere, ob es nicht ihre Aufgabe
sei, "nach aussen und mit der Tat zu wirken", wie sie im August 1941
einer Freundin schreibt. Insofern realisiert ihr Schritt in den aktiven
Widerstand eine seit langem sich vorbereitende Entscheidung. Mehrfach
überliefert ist aus den letzten Monaten ihr - mündlich
geäussertes - Bekenntnis, sie habe nicht schuldig werden wollen
dadurch, nichts getan zu haben.
Das historische Buch
Barbara Beuys: Sophie Scholl. Biografie.
Verlag Carl Hanser, München 2010. 493 S., Fr. 42.90.
---
St. Galler Tagblatt 12.5.10
Adolf Eichmann
Der Judenmörder
Im Polizeiverhör hat er gesagt: "Unsere Arbeit bestand ja
nur aus Schreiberei." Und hat versichert, er habe keinen Hass gegen die
Juden empfunden. In der Tat: Mit all dem Elend, mit dem Schrecken und
dem Blut des Holocaust ist Adolf Eichmann selten in Berührung
gekommen. Mitgewirkt daran hat er nach Kräften, aber so
unauffällig, dass man lange nicht nach ihm gesucht hat. Vor
fünfzig Jahren ist ihm der israelische Geheimdienst auf die Spur
gekommen und hat Eichmann entführt, der unter falschem Namen in
Buenos Aires lebte. Der Prozess gegen ihn wurde auch von Hannah Arendt
beobachtet: Die Philosophin war enttäuscht von der "Banalität
des Bösen" - und gewann beunruhigende Einsichten. (R. A.) thema 3
--
Der Schreibtischmörder
Adolf Eichmann gehörte nicht zu denen, die den politischen
Kurs des nationalsozialistischen Regimes festlegten. Als ehrgeiziger
Erfüllungsgehilfe aber wurde er zum Motor des Holocaust. Vor
fünfzig Jahren ist Adolf Eichmann gefasst worden.
Adolf Eichmann Mit einer Entführung durch den israelischen
Geheimdienst beginnt vor fünfzig Jahren eine neue Epoche in der
Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Der Fall und die Person
Adolf Eichmanns zeigen, wie durchaus "normale" Menschen zu
Massenmördern werden können.
Ricardo Klement macht es wie immer. Kommt abends mit dem Bus nach
Hause, geht die dunkle, einsame Strasse entlang bis zu seinem Haus. Es
ist der 11. Mai 1960. Ein Mann schaut unter die Kühlerhaube eines
Autos, ein anderer kommt auf ihn zu. Klement steckt die Hand in die
Tasche, der Mann stürzt auf ihn zu. Er schreit, doch niemand
hört ihn. Die Männer packen ihn ins Auto, fahren ihn weg in
ein Versteck. Sie fesseln ihn und wundern sich über seine
schäbige Unterwäsche. Das soll er sein?
"Klement", "Eichmann"
Sie fragen ihn, wie er heisse. "Klement". Dann lesen sie ihm
seine Mitgliedsnummern bei der "Nationalsozialistischen Deutschen
Arbeiterpartei" (NSDAP) und der berüchtigten "Schutzstaffel" (SS)
vor, und er sagt: "Adolf Eichmann". Der Mann, der die Ermordung der
Juden massgeblich organisiert hat, ist gefasst. In Buenos Aires, von
Mitgliedern des israelischen Geheimdienstes. Ein paar Tage später
setzen sie ihn unter Drogen, bringen ihn zum Flugzeug und machen ihm in
Jerusalem den Prozess. Am 31. Mai 1962, um Mitternacht, findet die
Hinrichtung statt. Er sei unschuldig, sagt er dem Geistlichen noch.
Schliesslich habe er keine Befehle erteilt.
Das ist richtig und falsch zugleich. David Cesarani, der eine
Biographie* Eichmanns verfasst hat, bezeichnet ihn als Bürokraten
und Massenmörder. Und er beschreibt ihn als einen Mann, dessen
auffälligster Charakterzug ein Mangel an Hass ist. Die Philosophin
Hannah Arendt hat gerade in seiner Gewöhnlichkeit das
Beunruhigende gesehen (siehe unten).
Die NSDAP schützen
Gewöhnlich sind Kindheit und Jugend. Adolf Eichmann
wächst in Solingen und Linz auf. Er hat schlechte Noten, der Vater
bringt ihn als Vertreter bei der "Vacuum Oil Company" unter. Dort zeigt
er zum ersten Mal, wie gründlich er arbeiten kann. Einer seiner
Kaffeehausfreunde heisst Hugo Kaltenbrunner, ein Deutschnationaler,
dessen Sohn Ernst sich den Nationalsozialisten anschliesst. Am 1. April
1932 wird auch Adolf Eichmann Mitglied der Partei, sieben Monate
später der SS.
Er zieht nach Deutschland und findet eine Aufgabe beim
"Sicherheitsdienst" (SD), zu dessen Aufgaben es gehört, die NSDAP
vor ihren Feinden zu schützen. Zu diesen Feinden gehören die
Juden. Eichmann entwickelt sich zum Spezialisten für Zionismus und
Judentum, über Jahre organisiert er die Auswanderung der Juden.
Die Wende
Er tut es mit Geschick und Druck, notfalls auch mit Gewalt. Denn
freiwillig gehen die Juden nicht; immerhin müssen sie einen
Grossteil des Vermögens zurücklassen. Zwischen 1938 und 1939
wird Eichmann vom untergeordneten Bürokraten zum Praktiker des
Völkermords. Denn der Krieg verändert alles. Das britisch
regierte Palästina nimmt keine Juden mehr auf, fast alle
Länder schliessen ihre Grenzen. Schritt um Schritt bahnt sich
jetzt der Völkermord an.
Langsam brutalisiert
Die Juden verlieren ihre Rechte, man nimmt ihnen Hab und Gut,
dann die Wohnungen, pfercht sie in Ghettos - und fängt an, sie in
immer grösserer Zahl umzubringen. Mittendrin Adolf Eichmann, der
Ghettos bereitstellt und Züge organisiert - und 1944 in Ungarn
selber die Vernichtung der Juden leitet. Er reist viel herum in
Osteuropa, sieht viel Schreckliches, auch wenn er es im
Polizeiverhör abstreiten wird. Oft verhandelt er mit den Juden,
ist freundlich, zuvorkommend und wiegt sie in Sicherheit. Das blutige
Ende ist seine Aufgabe nicht mehr.
Cesarani zeigt, wie sich sein Verhalten nach und nach
brutalisiert - gerade dies ist das tief Beunruhigende an seiner
Geschichte. Er gewöhnt sich daran, Menschen in den Tod zu
schicken, und zeigt sich gegenüber dem unermesslichen Leid
zutiefst gleichgültig. Als sich am 20. Januar 1942 im Berliner
Vorort Wannsee die Grossen des Reichs treffen, um die "Endlösung"
der Judenfrage zu regeln, da führt Adolf Eichmann Protokoll. Und
empfindet danach "eine Art Pilatus'sche Zufriedenheit in mir, denn ich
fühlte mich bar jeder Schuld. Hier auf der Wannsee-Konferenz
befahlen die <Päpste>, ich hatte zu gehorchen."
Cesarani erklärt, im Prozess sei Eichmanns Rolle stark
übertrieben worden. "Er gehörte nicht zu denen, die den Kurs
festlegten; seine Funktion war ausführender Art." In diese Aufgabe
steigert er sich aber mehr und mehr hinein, denn das Judentum gilt ihm
als der Feind schlechthin - man mag für den einzelnen Juden
empfinden, was man will. "Unsere Arbeit bestand ja nur aus
Schreiberei", sagt er einigermassen zynisch im Polizeiverhör. Am
Ende dieser "Schreiberei" aber stehen Berge von Leichen.
Rolf App
David Cesarani: Eichmann. Bürokrat und Massenmörder,
Propyläen, Berlin 2004
--
"Schrecklich und erschreckend normal"
Die Philosophin Hannah Arendt verfolgt 1961 den Prozess gegen
Adolf Eichmann. Und sie gelangt in ihrem Buch "Eichmann in Jerusalem -
Ein Bericht von der Banalität des Bösen" zu höchst
beunruhigenden Einsichten.
Im Sommer 1961 reist die seit 1941 in den USA lebende Philosophin
im Auftrag der Zeitschrift "New Yorker" nach Jerusalem, um den Prozess
gegen Adolf Eichmann mitzuverfolgen. Sie will den Organisator des
Massenmords an den Juden aus der Nähe betrachten, will
herausfinden, wie dieser Völkermord hat möglich werden
können. Das Ergebnis sind mehrere lange Texte, und, daraus
hervorgehend, ein noch immer gültiges und sehr packendes Buch, das
einen Skandal auslöst. "Eichmann in Jerusalem" ist es
überschrieben. Im Untertitel: "Ein Bericht von der Banalität
des Bösen".
Zwei Steine des Anstosses
Es sind zwei Punkte, die den Aufruhr erzeugen. Zum einen ist es,
wie Hannah Arendt Eichmann beschreibt - und zum andern, was sie
über die Rolle der Judenräte schreibt. Ersteres verschafft
ihr das Unverständnis der Zeitgenossen, letzteres den Protest der
Juden. Wie konnte Hannah Arendt, die selber vor den Nazis hatte fliehen
müssen, ihrem Volk das antun, fragten sich ihre Freunde.
Eichmann: Ein "Hanswurst"
Eichmann, schreibt sie in einem Brief, sehe aus "wie ein
Gespenst, das dazu gerade den Schnupfen hat". Später, nach der
Lektüre von 3600 Seiten Polizeiverhör, nennt sie ihn einen
"Hanswurst". Sofort fällt ihr die Diskrepanz auf zwischen der
Seichtheit dieses Mannes und der Monstrosität der Massenmorde.
Dieses Monströse hat sie schon 1951 im Buch "Elemente und
Ursprünge totaler Herrschaft", in Worte gefasst: Das radikale
Böse der Vernichtung der Juden besteht darin, dass hier Millionen
Menschen das Lebensrecht abgesprochen wird, nur weil sie Juden sind.
Das Beunruhigende aber an der Person Eichmanns aber liegt darin,
"dass er war wie viele und dass diese vielen weder pervers, sondern
schrecklich und erschreckend normal waren". Der Massenmörder muss
nichts Dämonisches an sich haben, er muss auch nicht von Hass
getrieben sein. Er kann auch, wie Eichmann, ein schlichter
Befehlsempfänger und guter Organisator sein von Transporten in den
Tod. Gerade dies aber ist ein Kennzeichen der totalen Herrschaft: dass
sie die Verantwortung verschwinden lässt. Jeder, der mitmacht beim
grossen Morden, kann sich als kleines Rädchen fühlen in einem
grossen Apparat.
Es kann allen passieren
Hannah Arendt widerspricht deshalb klar dem Staatsanwalt, der
Eichmann zu dämonisieren sucht und die Ermordung der Juden mit der
Geschichte des Antisemitismus verknüpft - und sie so zu einer
einzigartigen Tat macht. Nein, meint Hannah Arendt: Was den Juden
geschehen ist, kann allen passieren. Die Geschichte des
Völkermords - zuletzt in Ruanda - gibt ihr Recht. Und nicht nur
dort zeigt sich: Wer gelernt hat, dass der andere kein Mensch ist,
sondern Ungeziefer, zögert auch nicht zu töten. Und zwar mit
äusserster Brutalität und grosser Perfektion.
Die Juden haben mitgeholfen
Die Ermordung der Juden aber wäre nicht möglich gewesen
ohne die Juden selbst - dieser zweite, noch heute selten angesprochene
Punkt macht Hannah Arendt zur Persona non grata in den eigenen Kreisen.
Sie ist erschüttert, "in welch ungeheurem Ausmass die Juden
mitgeholfen haben, ihren eigenen Untergang zu organisieren". Denn es
seien jüdische Organisationen gewesen, die Listen erstellt und den
Abtransport der Menschen vorbereitet hätten - und den Menschen
verheimlicht hätten, was mit ihnen geschehen werde.
Rolf App