MEDIENSPIEGEL 21.5.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (DS, Kino)
- Rathouse Records im Breitenrain wiedereröffnet
- Demorecht: Die Entfernungsartikel-Utopien des Initiativkomitees
- RaBe-Info 20.+21.5.10
- Deisswil: Eklat bei Sozialplan-Gesprächen
- Stadtentwicklung: Picnic Kritik Biel 19.6.10
- Bilanz Libertäre Büchermesse
- Autonome Schule ZH: Kurzfilm von a-films
- Gefangene ZH: nach 3 Wochen frei
- Police ZH: Datensammelwut in der Kritik
- Homohass: Vergewaltigung von Lesben in Südafrika; Homoeheverbot Malawi; Verbot Moskauer Pride
- Big Brother Sport BS: FCB unter Fackel-Verdacht
- Big Brother Sport SG: Scheissstimmung
- Hooligan und Polizist Seelenverwandte? Ein Buchtipp.
- Ausschaffungs-Intiative: SP für Gegenvorschlag
- Neonazi-Prozess SO: in 41 von 42 Anklagepunkten schuldig
- Anti-Atom: AKW-Standort-Einigung in Sicht; Stromnetzfrage

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REITSCHULE
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Fr 21.05.10
20.30 Uhr - Tojo - "Fische in Griechenland ...und dann mussten wir die kranke Wildsau pflegen" von Sans Cible.
21.00 Uhr - Kino - Cash & Marry, Atanas Georgiev, Österreich /Kroatien / Mazedonien, BETA SP
22.00 Uhr - Grosse Halle - UNREAL - drum&bass festival: CHASE & STATUS DJ SET (UK), & MC RAGE (UK), LTJ BUKEM (UK), & MC CONRAD (UK), DIESELBOY (USA), ED RUSH (UK), MC RYMETYME (UK), Deejaymf (cryo.ch), VCA (biotic rec.), Andre (loccomotion), Oliv (loccomotion), Toni B(silent extent), MC Badboy (family business)

Sa 22.05.10
20.30 Uhr - Tojo - "Fische in Griechenland ...und dann mussten wir die kranke Wildsau pflegen" von Sans Cible.
21.00 Uhr - Kino - Cash & Marry, Atanas Georgiev, Österreich / Kroatien / Mazedonien, BETA SP
22.00 Uhr - Dachstock - Plattentaufe: Steff la Cheffe "Bittersüessi Pille", Support: Lo & Order, DJ Kermit
22.00 Uhr - Grosse Halle - DEKADANCE: SVEN VÄTH World Tour 2010

So 23.05.10
19.00 Uhr - Tojo - "Fische in Griechenland ...und dann mussten wir die kranke Wildsau pflegen" von Sans Cible.
20.30 Uhr - Dachstock - Dachstock & Bee-Flat present: Jimi Tenor & Tony Allen with Band (FIN/NIG/USA/D) & Da Cruz (BRA/CH)!

Mo 24.05.10
20.30 Uhr - Rössli - Lesung: Eugene S. Robinson (from Oxbow) reading from his novel "A Long Slow Screw"

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch


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20 Minuten 21.5.10

Steff la Cheffe fliegen die Fan-Herzen zu

 BERN. Steff la Cheffe sammelt derzeit Fans wie kein anderer Newcomer. Nach einem Auftritt bei "Aeschbacher" und einem grandiosen Charteinstieg folgt bei der Berner Rapperin mit ihrer Plattentaufe die nächste Sammelaktion.

 Steff la Cheffe und ihrem Debüt-Album "Bittersüessi Pille" fliegen die Fanherzen zurzeit nur so zu. Diese hievten das Meitschi usem Breitsch letzten Sonntag auf Platz sieben der Schweizer Album-Hitparade und machten die Rapperin so zur höchstplatzierten Newcomerin in dieser Woche. "Völlig unerwartet", kokettiert die Überfliegerin. "Mein Produzent Dodo und ich sahen uns in den Top 30, aber Platz sieben- das ist schon sehr krass", freut sich die 23-Jährige.

 Fans gewonnen hat sie auch danach. Mit ihrem charmant-schlagfertigen Auftritt in der SF-Sendung "Aeschbacher" am Donnerstag nach der Platzierung trumpfte die selbstbewusste Rapperin sogar bei älteren Frauen. Und bei einer ganz besonders: "Seit der Sendung ist selbst die Grossmutter eines Kollegen ein Fan", erzählt Steff. "Er wollte sogar eine Autogrammkarte für sie", witzelt sie.

 Die nächste Sammelaktion startet die Bernerin schon morgen, wenn sie ihr hochgelobtes Album tauft. Begleitet wird die Chefin von ihrer neuen Band und Featuring-Partnern wie Dodo, James Gruntz oder Brandy Butler. Support-Act ist Lo & Leduc, ein weiterer vielversprechender Berner Rap-Act. Im Vorfeld heizen die DJs Kermit und Thrilling ein, während die Goldfinger Brothers die After-Party schmeissen.  

Pedro Codes

 Sa, 22.5., 22 Uhr, Plattentaufe - Steff la Cheffe, Dachstock.

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work 21.5.10

Filmische Abrechnung mit dem Neoliberalismus

 Die Einkreisung

 Vom Mont Pèlerin über Bretton Woods bis nach Griechenland: Ein spannender Film folgt der neoliberalen Verwüstungsspur.

 Matthias Preisser

 Arbeitslose sollen von individuell angespartem Vermögen statt von der Arbeitslosenversicherung leben, denn diese Sozialversicherung mache Arbeitslosigkeit nur attraktiv. Das sagt nicht irgendein marktgläubiger Spinner, das sagt der kanadische Wirtschaftswissenschaftler Jean-Luc Migué. Er ist einer der führenden Exponenten der Neuen Politischen Ökonomie und leitender Wissenschaftler am Fraser Institute in Montreal, einem neoliberalen Think-Tank. Weiter ist Migué Mitglied der äusserst einflussreichen Mont Pèlerin Society. Dieses Netzwerk stand am Anfang des Siegeszuges der neoliberalen Ideologie. Gegründet wurde es 1947 vom österreichischen Ökonomen Friedrich August von Hayek.

 Und damit ist man mitten im Kernthema des Films "L'Encerclement" (die Einkreisung), aus dem Migués Zitat stammt. Der frankokanadische Regisseur Richard Brouillette versucht nichts anderes, als die Geschichte des Neoliberalismus, seine Thesen und deren Auswirkungen kritisch und umfassend darzustellen. Das Vorhaben ist ambitioniert und gigantisch. Entsprechend ist der Film 160 Minuten lang geraten. 160 Minuten nichts als Interviews mit 13 Köpfen. Rund ein Drittel von ihnen sind Vertreter des Neoliberalismus. Die Mehrheit der Zeit gehört aber den Kritikern und mit der französisch-amerikanischen Politologin Susan George auch einer Kritikerin.

 Handfeste Ideologie

 Die fast dreistündige filmische Vorlesung wird nicht einen Moment langweilig. Dafür sorgt einerseits die formale Strenge des Films: Er arbeitet mit ruhigen, klaren Schwarzweissbildern und langen Einstellungen. Dazu kommt die strenge Gliederung in zwei Teile von je fünf Kapiteln, wobei jedes Kapitel durch einführende Texttafeln vom anderen getrennt ist.

 Andererseits fesselt einen vor allem die Erzählung des Films. Sie entlarvt den Neoliberalismus als wackliges ideologisches Konstrukt. Und zeigt, wie sich die neoliberale Ideologie nicht nur in Politik und Wirtschaft, sondern bis in unsere Köpfe breitgemacht hat. Regiesseur Brouillette geht von einem Aufsatz Ignácio Ramonets aus. Der damalige Chefredaktor der französischen Monatszeitung "Le Monde diplomatique" hatte 1995 in seinem Aufsatz "La pensée unique" festgehalten, wie der Neoliberalismus zu einem "neuen Einheitsdenken" geführt hat. Eindrücklich schildert dies der kanadische Erziehungswissenschaftler Normand Baillargeon. Er beschreibt, wie selbst Betroffene, die wegen dem Profitdenken ihre Stelle verloren haben, ihre Entlassung als notwendig verstehen und einfach hinnehmen.

 Geradezu wie ein Wirtschaftskrimi fühlt sich die Szene an, in der der kanadische Wirtschafts- und Politikwissenschaftler Michel Chossudowsky schnell und plastisch erklärt, wie in der Asienkrise 1997 gegen die südkoreanische Währung Won spekuliert wurde. Und wie sich die Spekulanten so nicht nur die koreanische Wirtschaft einverleibten, sondern gleich auch noch die Rettungsgelder von IWF und Weltbank. Brouillettes Film wurde vor dem Ausbruch der Finanzkrise produziert. Kein Problem: Die gleichen Mechanismen laufen heute im Fall der Griechenland- und Euro-Krise ab.

 L'Encerclement - Die Demokratie in den Fängen des Neoliberalismus:

 Stadtkino Basel: So, 30.5.10, 20.30 Uhr.
Kino in der Reitschule Bern: Do, 27.5.10, 20.30 Uhr; Fr, 28.5.10, 21.00 Uhr; Sa, 29.5.10, 21.00 Uhr.
Kellerkino Bern: ab So, 30.5.10 jeden So um 11.00 Uhr.
Filmpodium Zürich: ab Do, 10.6.10. Diskussionsrunde zum Neoliberalismus: Fr, 11.6.10 um 18.30 Uhr.

 Die DVD kostet Fr. 36.- und ist erhältlich bei www.artfilm.ch.

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RATHOUSE RECORDS
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BZ 21.5.10

Rathouse Records im Breitenrain

 Daniel Sutter verkauft ein Stück Nostalgie

 Nach sechsjähriger Pause hat Daniel Sutter seinen Schallplattenladen Rathouse Records im Breitenrain eröffnet.

 Daniel Sutter ist eine Plattenratte. 6000 Vinylscheiben hat der Sozialarbeiter in seiner Wohnung im Breitenrain untergebracht. Und jetzt teilt der 50-Jährige sein Wohnzimmer mit anderen Nostalgikern. Er hat im angebauten Ladenraum seiner Wohnung nach sechsjähriger Pause seinen Schallplattenladen Rathouse Records wiedereröffnet. Das Geschäft, welches sich zuvor in der Rathausgasse befand, bleibt auch jetzt ein zweites Standbein: Leben kann der langjährige Discjockey von seiner Leidenschaft nicht. Seine Brötchen verdient er im Gesundheitswesen, freitags und samstags steht er hinter der Verkaufstheke des Plattenladens.

 Sammler und Discjockey

 Das Schaufenster fällt auf. An einer Wäscheschnur hängen Scheiben von Led Zeppelin, Janis Joplin und Baby Woodrose. Zwischen Wohnhäusern eingeklemmt, verirrt sich kaum Laufkundschaft in den Laden von Sutter: "Von dieser habe ich sowieso nie gelebt. Hier stöbern Sammler und DJs." Und selten sogar Bands, deren Platten im Laden stehen. Sutter kann manche Anekdote erzählen. Eine besondere Freundschaft verbindet ihn mit der Band Baby Woodrose aus Kopenhagen, welche den ehemaligen Laden in der Altstadt besuchte.

 Trotz iTunes und anderen digitalen Musikanbietern machte Sutter in den letzten Jahren wieder vermehrtes Interesse an den nostalgischen Musikträgern aus. "Zum einen haben die neuen Vinylplatten dank der Technologie bessere Tonqualität", nennt er einen Grund für die Entwicklung. "Zudem wollen die Leute wieder etwas in der Hand haben. Viele Musiklabels geben sich grosse Mühe, schöne Schallplattencovers zu kreieren." Wenn man zudem die Möglichkeit habe, die Songtexte nachzulesen, gewinne man einen anderen Bezug zur Band, ist Sutter überzeugt.

 "Splendid" ist Rarität

 Zwar stehen in Sutters Kisten Scheiben aller Musikrichtungen, aber spezialisiert ist er auf Rock. Sogar ein Buch hat er geschrieben über psychedelische Rockmusik, und jeden zweiten Mittwochabend moderiert er auf Radio RaBe eine Sendung über Indie-Rock.

 Etwa 500 Platten liegen im Laden. Diese bezieht er von Börsen und Flohmärkten, oder er bestellt sie im Internet. Er bietet nicht nur gebrauchte, sondern auch neue Schallplatten an. Rarität hat er zurzeit keine im Laden. Sutter als Sammler ist aber schon lange auf der Suche nach einem erschwinglichen Exemplar der allerersten Züri-West-Single "Splendid". Diese Seltenheit wechselt, laut Sutter, seinen Besitzer selten unter 400 Franken.

 Annina Hasler

 Rathouse Records, Elisabethenstrasse 33, 3014 Bern. Offen: freitags und samstags zwischen 13 und 17 Uhr. 031 9711902.

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DEMO-RECHT
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Bund 21.5.10

Gewaltprävention zum Nulltarif

 Das Initiativkomitee "Keine gewalttätigen Demonstranten!" will mit dem Entfernungsartikel die Polizeiarbeit vereinfachen und setzt auf präventive Wirkung.

 Christian Brönnimann

 "Wir sind nicht gegen Demonstrationen, aber es gibt kein Recht auf Gewalt." So drückte Erwin Bischof, Mitglied des Komitees "Keine gewalttätigen Demonstranten!" gestern vor den Medien seine grundsätzliche Haltung aus. Der Entfernungsartikel, über den die Stadtberner Stimmbevölkerung am 13. Juni befinden wird, gebe der Polizei "ein bisschen mehr Kompetenz", wenn es darum gehe, eine brenzlige Situation an einer Kundgebung zu entschärfen. "Der Artikel bietet mehr Sicherheit zum Nulltarif", sagte Bischof.

 Das Initiativkomitee war unter den Eindrücken der Krawalle bei der Anti-SVP-Demo vom 6. Oktober 2007 gegründet worden. Es setze sich aus "sorgenvollen, verängstigten Bürgern" zusammen, wie es Komiteepräsident Fred Moser umschrieb. Politische Parteien oder Verbände sind nicht an Bord. Der Berner Stadtrat hat sich wider den Willen des Gemeinderates in den letzten Jahren bereits drei Mal gegen den Entfernungsartikel ausgesprochen. Dank der Initiative soll nun das Volk "endlich selber darüber entscheiden können", so Moser.

 Mit dem Entfernungsartikel könnte die Polizei Demonstranten zum "unverzüglichen" Verlassen einer Kundgebung auffordern. Ähnliches ist laut kantonalem Polizeigesetz bereits heute möglich, jedoch sei dessen Anwendung zu "schwerfällig", wie Komiteemitglied Rolf Bodenmüller sagte. Die neue Regelung würde "den Ablauf vereinfachen und gleichzeitig eine Strafbestimmung einführen". Bei Nichtbeachtung drohten Bussen bis 5000 Franken. Der Entfernungsartikel würde das Demonstrationsrecht sogar aufwerten, ergänzte Fred Moser. "Friedliche Demonstranten müssten keine Angst mehr vor Demo-Hooligans haben."

 Polizei in die Pflicht nehmen

 Belle-Epoque-Hotelier Jürg Musfeld, ebenfalls Mitglied im Komitee, schilderte die Ereignisse vom 6. Oktober 2007 aus seiner Sicht: "Die Krawalle hätten verhindert werden können, wenn die Polizei rechtzeitig eingeschritten wäre", sagte er. Dafür habe der Befehl gefehlt, obwohl die Demonstranten auch gegen das Vermummungsverbot verstossen hätten. "Der Polizeieinsatz sollte schneller beginnen können", sagte Musfeld. Dabei sei es gar nicht falsch, die Polizei mit dem Entfernungsartikel stärker in die Pflicht zu nehmen.

 Einen weiteren Aspekt brachte Rolf Bodenmüller zur Sprache: "Der Hauptzweck ist die Prävention. Der Artikel soll verhindern, dass es bei Demonstrationen überhaupt zu Gewalt kommt", sagte er. Die Argumente des gegnerischen Komitees seien "an den Haaren herbeigezogen" und richteten sich "in polemischer Weise gegen die Polizei im Allgemeinen", so Bodenmüller. Der Entfernungsartikel sei nötig und auch durchsetzbar, "wenn man Vertrauen in die Polizei hat".

 Über die Argumente des gegnerischen Komitees berichtete der "Bund" in der Ausgabe vom 12. Mai.

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Ja zum Entfernungsartikel

(sda)

 Die Parteimitglieder der CVP der Stadt Bern haben die Initiative "Keine gewalttätigen Demonstranten" einstimmig angenommen. Mit dem Entfernungsartikel werde der Polizei ein effizientes und schnelles Mittel zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit gegeben, schreibt die Partei in einer Mitteilung. Auch zu den beiden anderen Vorlagen, über die am 13. Juni abgestimmt wird, sagt die CVP einstimmig Ja. (pd)

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BZ 21.5.10

Initiative

 Gegen Hooligans an Demos

 Das Berner Stimmvolk entscheidet am 13. Juni über die Einführung eines Entfernungsartikels im Kundgebungsreglement. Für die Initianten wäre dieser Artikel ein Abschreckungsmittel gegen "Prügeldemonstranten".

 Eine Woche nach den Gegnern des sogenannten Entfernungsartikels hat sich auch das rechtsbürgerliche Komitee der Initiative "Keine gewalttätigen Demonstranten" an die Medien gewandt. Im Säli des Café Fédéral schilderte gestern Jürg Musfeld, Hotelier des Belle Epoque, ein weiteres Mal die Strassenschlachten rund um die Anti-SVP-Demonstration am 6.Oktober 2007. Diese geschahen zu einem grossen Teil unmittelbar vor der Terrasse seines Hotels in der Gerechtigkeitsgasse. "Vermummte Menschen konnten sich minutenlang besammeln, ehe sie die Polizei mit Steinen, Sockeln von Sonnenschirmen und Flaschen mit ätzender Säure bewarfen" , erzählte Musfeld. Diese Szenen hätten die Gesetzeshüter mit einem frühzeitigen Eingreifen verhindern können, ist der Hotelier überzeugt.

 5000 Franken Busse drohen

 Damit die Polizei ein weiteres Werkzeug erhält, um gegen "Hooligans an Demos" (Komiteepräsident Fred Moser) vorzugehen, wurde von den Initianten der sogenannte Entfernungsartikel formuliert. Demnach soll die Polizei Demonstrierende auffordern können, eine Kundgebung unverzüglich zu verlassen. Wer sich der Aufforderung widersetzt, dem drohen bis zu 5000 Franken Busse.

 Nach einer erfolgreichen Unterschriftensammlung entscheidet am 13.Juni nun das Berner Stimmvolk, ob dieser Entfernungsartikel ins städtische Kundgebungsreglement aufgenommen wird. Der Gemeinderat befürwortet den Artikel, der Stadtrat lehnt diesen ab.

 Chaoten abschrecken

 Zwar bestehe im kantonalen Polizeigesetzt bereits ein Wegweisungsartikel. Doch dieser sei für die Umsetzung während einer gewalttätigen Demonstration "viel zu kompliziert", weil es für eine Wegweisung eine schriftliche Verfügung brauche, wie Erwin Bischof sagte. Mit dem neuen Entfernungsartikel wäre laut Bischof eine mündliche Ansage mittels Megafon ausreichend.

 "Die drohende Strafe würde zudem präventiv wirken", fügte Rolf Bodenmüller an. "Zum Nulltarif erhielten Berns Bürgerinnen und Bürger mehr Schutz vor Demo-Chaoten", sagte Bischof. Das Komitee selber hat 20000 Franken in die Initiative investiert.

 Tobias Habegger

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Langenthaler Tagblatt 21.5.10

Kampagne gegen "Demo-Chaoten"

 Stadt Bern Abstimmungskampf über Entfernungsartikel lanciert

 Ein Komitee bürgerlicher und gewerblicher Kreise um den Verein "Bern sicher und sauber" lancierte gestern die Abstimmungskampagne zur so genannten "Demo-Initiative". Am 13. Juni befindet die Stadt über das Begehren des Vereins zur Verschärfung des Demo-Reglements. Konkret fordert dieses einen Entfernungsartikel. Die Polizei soll Demos damit bei drohenden Ausschreitungen auflösen können. Auch sollen Gewalttäter neu mit bis zu 5000 Franken gebüsst werden.

 Die Initiative gegen "Demo-Chaoten", die das rot-grüne Lager geschlossen ablehnt, verursacht laut den Initianten keine Kosten. Sie ist eine Folge linksautonomer Ausschreitungen am SVP-Umzug vom 6. Oktober 2007.

 Diskussionen über einen Entfernungsartikel jedoch sind nicht neu für Bern. Der Stadtrat lehnte einen solchen als unpraktikabel bereits mehrfach ab; der Gemeinderat dagegen sagt Ja zur Verschärfung. (sat)

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RABE-INFO
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Fr. 21. Mai 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_21._Mai_2010.mp3
- Menschenstrom gegen Atom - Die Anti-AKW Bewegung erhält neuen Aufwind
   http://www.menschenstrom.ch/
- Die Velofreundlichste Stadt heisst Burgdorf - Die Schweizer-Velofahrenden sind aber unzufrieden
- ArtBudget - Kunst fürs kleine Portmonnaie

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Do. 20. Mai 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_20._Mai_2010.mp3
- Kulturzentrum Progr- ein Jahr nach dem Berner Volksentscheid
   http://www.progr.ch/
- Situation in Sri Lanka- ein Jahr nach Ende des Bürgerkriegs
- Schoggi in Reinform: Blick in Schokolademanufaktur in Guatemala

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DEISSWIL
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Bund 21.5.10

Deisswil: Eklat bei Gesprächen über Sozialplan

 Die zweite Runde der Sozialplanverhandlungen wurde nach Streit abgebrochen.

Simon Thönen

 Mit ihrer Reise zur Zentrale des Konzerns Meyr-Melnhof in Wien hatten die entlassenen Angestellten der Kartonfabrik Deisswil das Zugeständnis erreicht, dass die Konzernführung Verhandlungen mit der Belegschaft aufnimmt. Doch gestern endete bereits die zweite Runde der Verhandlungen über einen Sozialplan in einem Eklat. Die Gespräche zwischen der Geschäftsführung und der Gewerkschaft Unia wurden ohne Ergebnis abgebrochen. Beide Seiten warfen einander Gesprächsverweigerung vor.

 Die Arbeitnehmerseite habe sich "standhaft geweigert", in die Sozialplanverhandlungen einzutreten, schrieb die Geschäftsführung der Karton Deisswil AG gestern in einer Medienmitteilung: "Statt wie vereinbart konkrete Vorschläge zum Inhalt des Sozialplans einzubringen, verweigerte sie jegliche Diskussion zur Sache." Zudem warf die Geschäftsführung der Gewerkschaft vor, sie habe es versäumt, von der Betriebsversammlung ein Mandat für die Sozialplanverhandlungen einzuholen.

 Gewerkschaft wollte Auskunft

 Diesen Vorwurf wies die Gewerkschaft zurück. "Die Geschäftsführung hat die Gespräche abgebrochen", sagte auf Anfrage Roland Herzog, Leiter der Unia Sektion Bern.

 Die Gewerkschaftsvertreter hätten sich, so Herzog, zuvor lediglich nach der finanziellen Grössenordnung des Sozialplans erkundigt. "Es versteht sich von selbst, dass man diese Frage zuerst klärt", meinte er. Erst wenn man die Summe kenne, die für den Sozialplan zur Verfügung steht, könne man Verhandlungen über die konkreten Modalitäten aufnehmen. Die Betriebsversammlung werde kommende Woche abgehalten. Herzog: "Das Vorgehen des Konzerns spottet jeglicher Beschreibung."

 Trotz dem Eklat gehen beide Seiten davon aus, dass die Gespräche wieder aufgenommen werden. "Die Geschäftsführung wird einsehen, dass es so nicht geht", meinte Herzog. Die Karton Deisswil AG teilte mit, sie halte ihre "grundsätzliche Bereitschaft zur Fortführung der Gespräche aufrecht".

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BZ 21.5.10

Karton Deisswil

 Abbruch: Sozialplan in Gefahr?

 Die gestrige Verhandlungsrunde zum Sozialplan für die Mitarbeitenden der Karton Deisswil AG wurde abgebrochen.

 Die Lage in Deisswil spitzt sich zu. Die Gewerkschaft redet von einem "weiteren Affront gegen die Belegschaft", die Geschäftsleitung wirft der anderen Seite vor, jegliche Diskussion zu verweigern. Zum ersten Mal nach Ablauf der Konsultationspflicht sprachen die Sozialpartner gestern Nachmittag über den Sozialplan. Die Arbeitnehmerseite wurde durch die Gewerkschaft Unia und die Betriebskommission vertreten, vonseiten des Arbeitgebers setzte sich der Geschäftsführer der Kartonfabrik, Stephan Schneider, an den Verhandlungstisch. Weit ist man bei den gestrigen Gesprächen allerdings nicht gekommen.

 Ohne den Mutterkonzern

 Vonseiten der Karton Deisswil war geplant, bei den ersten Verhandlungsrunden nur über den Verteilungsschlüssel, nicht aber über Geld zu verhandeln (siehe BZ vom 14.5.2010). Dadurch erhoffte sich die Geschäftsleitung laut Schneider eine bessere Ausgangslage, um schliesslich mit dem österreichischen Mayr-Melhof-Konzern (MM) - der Entscheid über Geld fällt letztlich in Wien - zu verhandeln. MM-CEO Wilhelm Hörmannseder hat den Deisswilern versichert, dass er bei den Verhandlungen persönlich nach Bern kommen wird. Zu welchem Zeitpunkt er mit dabei sein wird, liess der Konzernchef aber offen. Deisswils Geschäftsführer Stephan Schneider hat keine finanziellen Kompetenzen im Bezug auf den Sozialplan.

 "Scheinverhandlungen"

 Vor diesem Hintergrund spricht die Gewerkschaft nun von "Scheinverhandlungen". Unia-Sektionsleiter Roland Herzog zeigte sich kämpferisch: "Die Belegschaft hat bis heute auf eine Eskalation des Konfliktes verzichtet. Das heutige verantwortungslose Verhalten des Konzernmanagements bedeutet eine weitere Zuspitzung der Auseinandersetzung."

 Stephan Schneider will weiter verhandeln: "Trotz des enttäuschenden Verlaufs der heutigen Sozialplanverhandlungsrunde bin ich weiterhin gesprächsbereit. Unser Ziel ist es, einen Sozialplan auszuarbeiten." Wie die Arbeitgeberin weiter vorgeht - ob allenfalls bei der nächsten Verhandlungsrunde ein Vertreter aus Wien am Tisch sitzen wird -, konnte Schneider gestern nicht sagen. Die Belegschaft wird an der Betriebsversammlung vom 26. Mai ab 13.30 Uhr ihre nächsten Schritte beschliessen.

 Ralph Heiniger

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work 21.5.10

Die Schliessung der Kartonfabrik trifft die Deisswiler mitten ins Herz

Die Kartoni war ihre Familie

Das definitive Aus für die Kartoni ist für die Deisswiler bitter. Denn sie hatten sich für ihre Fabrik gewehrt und trugen ihren Protest bis nach Wien. work war mit dabei.

Sina Bühler

Kartonbüezer Roger D' Incau zuckt mit den Schultern: Jetzt habe man wenigstens Klarheit. Die österreichische Besitzerin der Kartonfabrik in Deisswil BE hat nun definitiv entschieden, den Betrieb zu schliessen. Roger D'Incau muss jetzt auf Jobsuche. Dabei stand er noch am Nachmittag des 28. April voller Hoffnung vor dem Steigenberger Seminarhotel im Wienerwald. Westlich von Wien. Zusammen mit den anderen 150 Kollegen und Kolleginnen aus Deisswil. Alle im gleichen T-Shirt. "Ausgepresst und weggeworfen" steht drauf. Etwas müde schwenken sie blaue "Karton Deisswil"-Fahnen, lassen rote Unia-Flaggen flattern: Die Arbeiterinnen und Arbeiter sind die ganze Nacht durchgefahren. Von Deisswil bis nach Wien. Am 8. April, während der Betriebsferien, war die Nachricht gekommen: die Kartonfabrik Deisswil werde geschlossen. 253 Angestellte würden die Stelle verlieren. Nun sollte ihnen die österreichische Konzernleitung der Mayr-Melnhof Karton AG, zu der die Karton Deisswil AG gehört, Red und Antwort stehen.

27. April, 17 Uhr, Deisswil. Ein Grossteil der Belegschaft hat sich auf dem Fabrikgelände versammelt. Die Arbeiterinnen und Arbeiter wollen die Schliessung nicht einfach hinnehmen. Sie sind hässig und wollen sich wehren. Also auf nach Wien! Denn im Wiener Grand Hotel soll die Aktionärsver-sammlung der österreichischen Deisswil-Besitzerin Mayr-Melnhof Karton AG stattfinden. Die Deisswiler wollen nachfragen, weshalb sie von der Schliessung während der Betriebsferien erfahren mussten. Protestieren, dass niemand in Deisswil in die Entscheidung einbezogen worden war. Um 19 Uhr steigen sie in drei Reisecars und nehmen den Weg nach Österreich unter die Räder. Die Fahrt beginnt wie ein Betriebssausflug. Die meisten sind wohl froh, ihre Zukunftsängste für eine Weile vergessen zu können. Oder zufrieden, dass sie vielleicht etwas dagegen tun können.

Achille Di Carlo: Am 8. April war ich trotz Betriebsferien bei meiner Arbeit in der Logistik. Am Vormittag habe ich den Direktor im Gebäude gesehen, das ist aussergewöhnlich. Später kam ein Mail, und alle, die da waren, wurden zu einer Besprechung gebeten. Da habe ich mir gedacht: Entweder muss der Direktor jetzt gehen, oder wir alle. Es waren tatsächlich alle. Ich war einer der wenigen, die das persönlich erfahren haben. Die meisten waren ja in den Ferien. Was jetzt wird, weiss ich nicht, ich hoffe, ich finde bald etwas. Leid tut es mir vor allem, weil Deisswil meine Familie war. Nicht nur im übertragenen Sinn: Meine halbe Familie arbeitet hier. Mein Cousin, mein Schwager, dessen Schwager. Schon mein Vater war ein Deisswiler.

28. April, St. Pölten. Die Cars kommen kurz nach fünf Uhr morgens an einer Autobahnraststätte in St. Pölten an, 60 Kilometer vor Wien. Man streckt die Glieder, raucht eine erste Zigarette. Dann gibt es Frühstück. Frau und Mann warten auch auf die österreichischen Gewerkschafter. Am Vortag hat die Arbeitnehmervertretung der gesamten Mayr-Melnhof Karton AG mit der Konzernleitung verhandelt. Als die Gewerkschafter und der Präsident der Deisswiler Betriebskommission, Manfred Bachmann, eintreffen, ist deren Stimmung gedrückt. Das besagt nichts Gutes. Und tatsächlich: Während die einen bereits im Car auf die Weiterreise warten, stehen andere im Kreis und diskutieren die Nachrichten aus Wien. Es ist plötzlich die Rede von 300 Rechtsextremen, die eine Störung der Demo angekündigt hätten. Von einem Grossaufgebot der Polizei. Man erzählt, der Hauptaktionär habe aus Angst seine Teilnahme an der Versammlung abgesagt. "Das wollen wir doch nicht!", sagt Manfred Bachmann: "Niemand soll Angst vor uns haben. Wir wollen nur um unsere Arbeitsplätze kämpfen." Unia-Sekretär Roland Herzog schlägt der Belegschaft vor, mit dem CEO von Mayr-Melnhof zu telefonieren. Zusagen einzufordern und dann anzubieten, die Demo abzusagen: "Alleine mit dieser Carfahrt haben wir schon viel bewegt", muntert er die Deisswiler auf.

Roger D'Incau: Bereits vor einem Jahrhundert arbeitete ein D'Incau in Deisswil. Ich bin sein Urenkel, und in jeder Generation gab es mindestens einen von uns, der in der Kartonfabrik war. Auch mein Vater. Sofort nach Bekanntgabe der Schliessung habe ich mit zwei Kollegen eine Facebook-Protestgruppe gestartet. Viele aus der Belegschaft haben extra ein Facebook-Konto eröffnet, damit sie unserer Gruppe "Gegen das endgültige Aus der Karton Deisswil" beitreten konnten. Mittlerweile sind wir über 3000. Wir haben unzählige Mails bekommen, sogar aus Dänemark und Australien. Diese Art von Propaganda spricht sich schnell und weit herum. Bei der Kartonfabrik war ich zuständig für die Hülsenzubereitung. Seit nicht mehr produziert wird, habe ich in die Spedition gewechselt. Ich bin einer von denen, die zurzeit noch arbeiten. Erst vor vier Monaten bin ich in die Kartonfabrik zurückgekehrt, nach fünf Jahren Unterbruch. Diese Zeit soll noch nicht vorbei sein.

Auf der Raststätte St.Pölten ist eine Stunde vergangen. "CEO Wilhelm Hörmanseder ist bereit, uns heute zu empfangen", sagt Unia-Mann Herzog. Er werde nach Bern kommen, um mit ihnen weiterzudiskutieren. Die Deisswiler jubeln, auch wenn die Demo damit abgesagt ist. Das war das Zugeständnis an Hörmanseder. Die Cars fahren dennoch nach Wien, das Treffen mit dem CEO ist erst für den Nachmittag angesagt. Zuerst gibt es eine Stadtrundfahrt, dann ein Mittagessen im Prater. Dort stösst auch ein kleines Wiener Solidaritätskomittee dazu. Sie standen am Morgen vor dem Grand Hotel, zu zwölft, umgeben von 20 Kastenwagen der Polizei. "Kein einziger Rechtsextremer ist aufgetaucht", erzählt die Wienerin Amela Mirkovic, "ebensowenig Linksautonome". Das Gerücht sei wohl von Mayr-Melnhof in die Welt gesetzt worden, um eine Begegnung mit den Aktionärinnen und Aktionären zu verhindern. Mirkovic hängt ein Transparent in der Gartenwirtschaft auf: "Solidarität mit der Belegschaft von Karton Deisswil."

28. April, Wien. Nach Wiener Schnitzel und Bier geht die Fahrt weiter, aus Wien hinaus. Hörmanseder wartet in einem Hotel im Wienerwald auf die Deisswiler. Mit Fahnen und Kuhglocken stellen diese sich im Konferenzraum auf. Alle haben sie Fragen an den CEO. Sie wollen vor allem wissen, warum einfach über ihre Köpfe hinweg entschieden worden ist. Warum die Mayr-Melnhof nicht auf ihren Rettungsplan einsteigen will.

Bernhard Bichsel: Ich bin Personalplaner in Deisswil und seit 25 Jahren in der Firma. Ich stecke voll im Zwiespalt: Wenn die Jungs mich jetzt fragen, ob sie eine neue Stelle suchen sollen, weiss ich gar nicht, was ich ihnen raten soll. Wahrscheinlich ist es zurzeit besser, jeden guten Job anzunehmen. Ich selber schaue noch nicht so rum. Ich finde, solange ich den blauen Brief noch nicht bekommen habe, ist es noch nicht vorbei. Bis dahin bin ich nicht entlassen. Viele sind verzweifelt, und die Einzelschicksale finde ich bedrückend. Manche hatten nicht die Kraft, nach Wien mitzukommen. Sie kommen nicht zurecht mit der Situation.

"Warum hat niemand mit uns geredet?" fragen die Angestellten. Hörmanseder sagt, er habe die Betriebskomission nicht Gewissensbissen aussetzen wollen, indem er sie vorher informiert hätte. Und diese dann Stillschweigen hätten bewahren müssen. Er sei selbst sehr betroffen von den Schicksalen der Arbeiter. Die Deisswiler glauben ihm nicht. Hörmanseder beharrt: die Schliessung sei der einzige Weg. Er will gar nicht richtig ins Gespräch kommen. Nach einer knappen Stunde steht Hörmanseder auf und packt zusammen. Vier Bodyguards begleiten ihn zu seinem Chauffeur. Die Deisswiller packen ihre Fahnen in die Cars. Auch die Kuhglocken. Die Kartonbüezer fragen sich bange, wie es wohl weitergeht. So oder so, die Reise nach Wien sei richtig gewesen. Und gut. Finden viele.

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Der Entscheid ist gefallen:

Nie mehr Karton aus Deisswil

Die Kartonfabrik Deisswil BE wird definitiv geschlossen. Jetzt fordert die Unia einen guten Sozialplan für die Kartonbüezer.

Matthias Preisser

Man hat es von Anfang an befürchtet. Nun ist es Gewissheit: Die österreichische Mayr-Melnhof Karton AG wollte nie ernsthaft über Alternativen zur Schliessung ihrer Tochterfirma Karton Deisswil AG nachdenken. Man hat die Lüge mit der CO2-Abgabe als Schliessungsgrund vorgeschoben (siehe ganz rechts). Dabei geht es schlicht um schnelleren Profit. Und weniger Konkurrenz. Darum ist man auch nicht bereit, die Fabrik dem Management oder irgendeiner Investorengruppe zu übergeben.

Vors Bundeshaus. "In Deisswil wird es keine Kartonproduktion mehr geben", machte CEO Stephan Schneider klar, als er am 12. Mai die Belegschaft in Deisswil über das negative Ergebnis der Konsultation informierte. Schneider glaubt auch heute noch an den Investitionsplan, den er als Firmenchef ausgearbeitet hat. Dieser Investitionsplan war auch Grundlage des Rettungsplans, den Betriebskommission und Unia für die Kartonfabrik vorlegten. Doch in Wien wollte man nicht investieren. Punkt. Stattdessen schickte man den 253 Angestellten in Deisswil die Kündigung. Per Ende Mai.

Die Fahrt nach Wien und weitere Aktionen der Belegschaft haben den medienscheuen Mayr-Melnhof-Clan zwar unter Druck gesetzt. Zuletzt am 10. Mai, als rund 60 "Kartoni"-Büezer spontan vors Bundeshaus zogen. Mit Kuhglocken und Transparenten. "Geiz ist Scheisse", hiess es darauf. Und: "Frau Leuthard, bitte helfen Sie uns". Gleichzeitig übergaben sie einen Brief, der die Volkswirtschaftsministerin zum Handeln auffordert. Doch da waren bei Mayr-Melnhof die Würfel schon längst gefallen.

Brief an Doris Leuthard. Auch Silvia Harnisch von der ehemaligen Schweizer Besitzerfamilie war in Wien. Auch sie hat den Brief an Leuthard unterschrieben. Noch will sie sich nicht mit der endgültigen Schliessung der Fabrik abfinden: "Wenn man ihnen nur die beiden Kartonmaschinen wegnehmen könnte", denkt sie laut. Und Kartonbüezer Roger D'Incau findet, "der Staat kann doch nicht einfach zusehen, wie eine rentable Fabrik geschlossen wird". Doch die Bundesrätin will zu Deisswil nicht Stellung nehmen.

Jetzt suchen Kanton und Gemeinden verzweifelt nach Alternativen zur Kartonfabrikation. Dazu will selbst Mayr-Melnhof Hand bieten. Es gebe Kontakt zu einer Investorengruppe, die das Fabrikgelände übernehmen würde, sagt Gemeindepräsident Lorenz Hess. Genauere Angaben will er nicht machen. So sollen möglichst viele Stellen geschaffen werden. Bei der für die "Kartoni" eingerichteten Jobbörse gibt es schon 134 Stellenangebote. Wie viele davon aber für über 50jährige und auf die Kartonfabrikation spezialisierte Büezer in Frage kommen, weiss niemand.

"Die Auseinandersetzung um die Kartonfabrik Deisswil ist nicht beendet", sagte Unia-Sekretär Roland Herzog am 12. Mai vor der Belegschaft, "sie geht nur in die nächste Phase." Für Herzog heisst das nun, wenigstens einen möglichst guten Sozialplan auszuhandeln. Die erste Verhandlungsrunde fand am 20. Mai, nach Redaktionsschluss, statt.

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"Rücksichtslos"

"Mayr-Melnhof ist in der Konsultation nicht im Geringsten auf unsere substantiellen Vorschläge für Alternativen zur Betriebsschliessung eingegangen. Man wollte keine Alternativen, sondern einfach schliessen. Das ist arrogant und rücksichtslos. Es hätte Perspektiven gegeben, rentabel weiterzufahren. Nun ist für Mayr-Melnhof ein vorbildlicher Sozialplan für alle Entlassenen Pflicht."

Roland Herzog, Sektionsleiter Unia Bern

"Inakzeptabel"

"Ich empfinde das Vorgehen des österreichischen Unternehmens nach wie vor als inakzeptabel. Vor allem die Informationspolitik gegenüber den öffentlichen Stellen. Der Kanton sucht nun zusammen mit den Gemeinden nach Nachfolgelösungen für die Karton Deisswil. Auch dabei wirkt die Art, uns nicht zu informieren, nicht gerade förderlich. Trotzdem sind wir intensiv auf der Suche nach Alternativen."

Andreas Rickenbacher, Volkswirtschaftsdirektor Kanton Bern, SP

"Voraussehbar"

"Die definitive Stilllegung ist tragisch, war aber voraussehbar. Jetzt geht es darum, die bestmögliche Zukunft für den Standort zu bieten. Bei einem Nachfolgeprojekt muss die Schaffung von Arbeitsplätzen im Vordergrund stehen. Und so schnell wie möglich braucht es eine Zwischennutzung. Damit das Gelände nicht verkommt und damit schon möglichst viele Leute wieder am Standort arbeiten können. Dazu engagieren wir uns bei der Suche nach Investoren."

Lorenz Hess, Gemeindepräsident Stettlen, BDP

"Kein Kommentar"

Volkswirtschaftsministerin Doris Leuthard lässt durch ihre Sprecherin Evelyn Kobelt ausrichten, es gebe zu Deisswil "keinen Kommentar. Würden wir jetzt einen Kommentar abgeben, müssten wir das sonst in jedem ähnlichen Fall immer wieder machen. Dafür ist der jeweilige Kanton, im konkreten Fall der Kanton Bern, zuständig. Ich gehe jedoch davon aus, dass es eine Antwort auf den Brief aus Deisswil geben wird."

Doris Leuthard, Bundesrätin, CVP

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Schliessung mit einer Lüge begründet

Adlige Abzocker

Die Karton Deisswil AG gehört der österreichischen Mayr-Melnhof Karton AG, der Nummer eins in Europa. Am 8. April, mitten in den Betriebsferien, gab MM Karton bekannt, man wolle den Standort Deisswil schliessen. Grund sei die hohe Schweizer CO2-Abgabe. Eine Lüge, denn die Karton Deisswil ist seit 2008 von der CO2-Abgabe befreit. Tatsächlich will man sich auf Hochleistungsstandorte und Investitionen mit schneller Rendite konzentrieren. Besitzerin von MM Karton ist die steirische Adelsfamilie Mayr-Melnhof. Die grösste private österreichische Waldbesitzerin wird angeführt vom 88jährigen Patriarchen Carl Anton Goess Saurau und seinem 33jährigen Enkel Franz VI. Mayr-Melnhof Saurau. Franz VI. ist mit 1,5 Milliarden Euro Vermögen der fünftreichste Österreicher.

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STADTENTWICKLUNG
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Indymedia 20.5.10

19.06.2010 PICNIC KRITIK biel/bienne ::

AutorIn : picnic kritik         

DIE STADT GEHÖRT UNS!

14:00-22:00 Barbarie Wiese (hinter dem Gaskessel)

***Konzerte: Calavera, Monoblock, Zimbabwe Bird, Schlakra, Chèvre Chô, Brekfast on a Battle Field

***Animationen: Zirkus, Feuer, Geschichten,

***Infos zur Stadtentwicklung in Biel: Reden, Vorstellung von Projekten, Infowände und Tische

***Verpflegung, Bar

+AFTER SURPRISE

Was wollen wir für eine Stadt? Werden wir die ungebremste Betonierung und deren sozialen Auswirkungen weiterhin zulassen oder haben wir mehr Mut als der eines passiven Zuschauers?

Ein Treffen für ein nachhaltiges Zusammenleben in unsereren Städte um die Dynamik und den Charme unserer Gassen zu verteidigen. Für die nächsten Jahre, für die Freude am Leben und gegen die grauen Warzen.

Es reicht schon, dass die Polit-Unternehmer von denen wir nur den Schatten ihrer Immobilien sehen, das Geld der Steuerzahler verpumpen. Sie dürfen nicht auch noch an unserer Stelle die Zukunft unserer Stadt planen. Wir, die Bewohner_innen, die den Beton jeden Tag ertragen müssen haben bis jetzt gar kein Recht ausser zu kritisieren gegen die Bagger der Profithungrigen Bauherren. In Biel vor allem seit der Expo 02, weht ein neuer Wind der Sterilität und der unpersönlichen Bauten diskret immer stärker. Für dies wird der Druck auf die unproduktiven Klassen erhöht und entfernt sie von den Orten, die sie sich angeeignet haben. Die öffentlichen Plätze werden der Rentabilität geopfert anstatt dass sie dem sozialen Austausch dienen. Wir sind unzufriedene Bewohner_innen. Um die sozialen Beziehungen zu pflegen und die Solidarität zu fördern laden wir euch herzlich zu einem grossen Fest am 19. Juni auf der Barbarie Wiese hinter dem Kessel ein, um miteinander zu diskutieren, festen, sich vermischen, tanzen und ein hoffentlich sonniges Wetter zu geniessen.

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LIBERTÄRE BÜCHERMESSE
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Indymedia 20.5.10

Abschlusscommuniqué der Libertären Buchmesse in Biel ::

AutorIn : anarchist bookfair         

Am Wochenende vom 15. und 16. Mai fand in Biel die zweite libertäre Buchmesse der Schweiz statt. Gut 30 Verlage, Vertriebe und Organisationen aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz beteiligten sich mit antikapitalistischer und herrschaftsfreier Literatur an dem Anlass.     
    
Dass solche Literatur in Zeiten zunehmender Verschärfung der Klassengegensätze auf reges Interesse stossen, zeigte die hohe Zahl von gut 500 Besucherinnen und Besucher aus dem In- und Ausland. Ebenso fanden die parallel durchgeführten Lesungen und Referate grossen Anklang beim Publikum. Schliesslich waren auch die musikalisch-lyrischen Inputs - ein Poetry-Slam mit anschliessendem Hip-Hop-Konzert am Freitag- und ein am Samstagabend über die Massen gut frequentiert.

Wir wollen an dieser Stelle nochmals allen ReferentInnen, AusstellerInnen, SlamerInnen und HelferInnen danken, die zum Gelingen der Buchmesse beigetragen haben!

Die Organisationsgruppe der Libertären Buchmesse Biel/Bienne 2010

PS: Mehr Bilder und Audio-Aufnahmen findet ihr auf unserer Webseite: http://www.buechermesse.ch

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Indmedia 20.5.10
http://ch.indymedia.org/de/2010/05/75901.shtml
(mit ausführlicheren Links)

Anarchist Bookfair Biel/Bienne ::

AutorIn : eine Besucherin         

Am Wochenende vom 15.-16. Mai fand in Biel/Bienne - zum zweiten Mal in der Schweiz - eine anarchistische Buchmesse statt.

http://www.buechermesse.ch | Bilder | Audio | Pressefeedback     

Einige der Besucher_innen machten es sich schon am Donnerstag abend im Bistro im besetzten Haus LaBiu gemütlich.

Am Freitag abend machte ebenfalls im LaBiu ein Poetryslam namens "Literattentat" den Auftakt für die diesjährige Buchmesse. Da mensch sich nicht anmelden musste, um daran teilzunehmen, waren alle gespannt, ob den auch wirklich jemensch auftreten würde.. Melancholisch, kämpferisch, nachdenklich und freudig präsentierten über 20 Aktivist_innen und Künstler_innen gute zwei Stunden lang ihre französischen, deutschen und schweizerdeutschen Texte. Die Stimmung war - nicht zuletzt aufgrund der amüsanten Moderation eines Genfer Genossen - sehr ausgelassen. Nach dem Poetryslam spielten La Dernière Mesure (HipHop, Paris) und La k-trième dimension (HipHop, Genève) und sorgten für die angemessene Partystimmung.

Am Samstag um 10:00h gings dann los. Über 30 Aussteller_innen präsentierten auf ihren Büchertischen im Farelsaal anarchistische Theorie und Literatur. Im Gegensatz zur letzten Buchmesse waren dieses Jahr vorallem die französischsprachigen Verlage sehr gut vertreten - was nicht zuletzt daran lag, dass Biel/Bienne die grösste zweisprachige Stadt der Schweiz ist.

a propos Kritischer Verlag | Abbruch Distro kleiner Vertrieb für anarchistische Hefte, Magazine und Bücher |ALiVe Assoziation Linker Verlage |Anares Libertärer Buchvertrieb und Verlag |Buchhandlung Schwarzmarkt Libertäre Buchhandlung und Bibliothek im LA BIU |CIRA (Lausanne) Centre international de recherches sur l'anarchisme |CIRA Marseille Centre International de Recherches sur l'Anarchisme |Direkte Aktion Anarchosyndikalistische Zeitung |Edition AV Anarchistischer Verlag für Sachbücher und Belletristik |Editions du Monde libertaire "Le Monde libertaire" Journal de la Fédération anarchiste |Edizioni La Baronata Casa editrice anarchica del Ticino |éditions SENONEVERO théorie critique du capitalisme |FAU Bern Herausgeberin von "di schwarzi chatz" |Gesammelte Texte Schriften zum mitnehmen |Graswurzelrevolution Verlag & Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft |Infoladen Schwarz Auf Weiss Antipolitik gegen die Routine |IWW - Industrial Workers of the World Unabhängige Globale Gewerkschaft mit anachosyndikalistischen Inhalten |Karakök Autonome Isyan! Devrim! Anarsi! - Aufruhr! Revolution! Anarchie! |Killroy media Erlesenes Programm für Social Beat und Underground |Konverter Das Kunstkollektiv |Le Courrier Quotidien suisse et indépendant |Les éditions Entremonde Un projet d'Action Autonome |Les éditions Libertalia Sciences humaines, littérature sociale, pamphlets, photos... |Libertäre Aktion Winterthur Ihre Ansprechpartnerin für anarchistische Theorie & Praxis |Libertärer Büchertisch Berlin/Grauenhagen libertäre antiquarische Bücher |Librairie EspaceNoir histoire de la région et du mouvement ouvrier, anarchisme |Little Records Maison de disques et livres engagés |Longo maï selbstverwaltete landwirtschaftliche und handwerkliche Kooperativen |Nachtschatten Verlag Der Fachverlag für Drogenaufklärung |Orange Press Verlag und Buchhandlung |Organisation Socialiste Libertaire Editeur de Rebellion |Paranoia City Buchhandlung & Verlag |SowieSo Bücher Linke/anarchistische Internetbuchhandlung |Zeitpunkt Zeitschrift für intelligente Optimistinnen und konstruktive Skeptiker

Am Samstag und Sonntag fanden diverse Vorträge, Lesungen und Workshops statt. Einige davon wurden auch aufgezeichnet:

* Présentation: Le mouvement anarchiste et l'importance des bibliothèques | Marianne Enckell
o http://refractions.plusloin.org/spip.php?article255
o >> download ogg
* Lesung: "Die wilden Schafe" | Werner Portmann
o http://www.unrast-verlag.de/unrast,2,256,5.html
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* Présentation: Albert Camus et l'anarchisme | Lou Marin
o http://www.graswurzel.net/verlag/camus.shtml
o >> download ogg
* Présentation: Fédération Jurasienne | Michel Némitz
o http://fra.anarchopedia.org/F%C3%A9d%C3%A9ration_jurassienne
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* Referat: Anarchosyndikalismus | Rudi Mühland
o http://www.fau.org/
o >> download ogg
* Lesung: "Mord im Paradies der Nackten" ein Krimi von Jean-Bernard Pouy | Michael Halfbrodt
o http://www.edition-av.de/buecher/pouy_nus.html
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* Referat: "Die Anarchie ist das Leben der Menschen" - Gustav Landauers kommunitärer Anarchismus | Siegbert Wolf
o http://www.dadaweb.de/wiki/Gustav_Landauer
o >> download ogg
* Lesung (+ Musik): "Planet und PRIMATEN" | Damian Bugmann (+ Philippe Delacombaz)
o http://www.damianbugmann.ch/6136.html
o >> download mp3
* Lesung: Konverter - Das Kunstkollektiv
o http://konverter.wordpress.com/
o >> download mp3

Leider tauchten diverse Leute aus Deutschland, welche eine Veranstaltung angekündigt haben, nicht auf. So sass am Samstag ein gespanntes Publikum drei Mal vergebens in der Villa Fantasie und wartete auf die Referenten.. Als beim Vortrag zu Hausbesetzungen der Referent ebenfalls nicht erschien, behalf sich das Publikum kurzerhand selbst: Besetzer_innen aus verschiedenen Schweizer Städten tauschten sich über ihre Erfahrungen aus und standen dem vorallem jungen Publikum Red und Antwort zu diversen Fragen rund um die Praxis des Hausbesetzens.

Am Samstag Nachmittag versammelten sich auf dem Place Central, wo dieses Wochenende auch der alljährlicher Bieler Bauernmarkt stattfand, Aktivist_innen und Punks und veranstalteten zu Musik und Bier ein Punkerpicknick. Um 15:00h kamen noch weitere Menschen dazu und gemeinsam spazierten sie lautstark zum Knast, wo Genossin Silvia seit mehreren Tagen eingesperrt ist. Tutti liberi!

Am Abend - nach einer leckeren veganen VoKü und einer kurzen Schickane durch die Bieler Stapo, welche unsere Genoss_innen aus Freiburg vom Platz verweisen wollte - gings dann im Gaskessel/Coupole weiter mit einem Konzert mit Berlinska Dròha (Folk-Punk, Berlin), Fred Alpi (Rock Libertaire, Paris) und Traktorkestar (Balkan-Folk, Bern).

Das Camp, welches den Gästen auf einer Wiese neben dem Gaskessel/Coupole ermöglichte ihr Zelt aufzuschlagen, wurde wegen schlechtem Wetter nicht wirklich genutzt - es konnten aber alle Besucher_innen in diversen Häusern in Biel untergebracht werden. Squat on, Bienne!

Nach einer durchzechten Nacht gabs am Sonntag dann nochmals diverse Lesungen und drei Vorträge zu Anarchosyndikalismus. Um 14:00 gab der der anarchistische Chor Le Choeur Mixte Libre Intercommunal "L'émeute enchantée" ein Ständchen zum besten und um 15:00 gabs nochmals einen Knastspaziergang für die drei Verhafteten Genoss_innen aus Italien. Gegen 19:00 wurde der Farelsaal aufgeräumt, und die übrig gebliebenen Gäste begaben sich auf ein letztes Bier ins LaBiu, wo um 22:00 zum Abschluss noch der Film "Dalle Alpi Apuane" gezeigt wurde. Danach plumpste ich müde aber glücklich ins Bett.

Mit rund 400 Besucher_innen war die diesjährige Buchmesse ein voller Erfolg. Danke euch allen für das schöne, interessante und kämpferische Wochenende!     

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AUTONOME SCHULE ZH
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Indymedia 20.5.10

Zürich: Kurzfilm zur Autonomen Schule ::

AutorIn : a-films: http://a-films.blogspot.com     

Am 19. April wurde in Zürich eine Baracke auf dem Areal des Güterbahnhofs besetzt und neu belebt. Die Baracke stand mehr als ein Jahr lang leer. Der Kanton Zürich will darauf für 570 Millionen Franken ein neues Polizei- und Justizzentrum errichten.
    
Durch die polizeiliche Räumung der Autonomen Schule Zürich in Örlikon im Januar 2010 wurde auch der "Verein Bildung für alle" zum erneuten Umzug gezwungen. Nach diversen Zwischenstationen ist der Verein nun in der Baracke beim Güterbahnhof untergekommen.

Der Verein Bildung für alle, der Teil des Zürcher Bleiberechtkollektivs ist, ermöglicht seit mehr als einem Jahr hunderten illegalisierter Flüchtlinge und MigrantInnen sowie Asylsuchenden mit laufendem Verfahren Deutschkurse. Er setzt sich für das Recht auf Bildung, Migration und Asyl ein.

Ein 10-minütiger Kurzfilm erlaubt einen Einblick in die Autonome Schule, während Lernende und Moderatoren ihre Sicht der Dinge schildern.

Der Kurzdoku kann hier angeschaut und/oder heruntergeladen werden:
http://a-films.blogspot.com/2010/05/10may20de.html

Das autonome Medienkollektiv 'a-films' dokumentiert seit eineinhalb Jahren den politischen Kampf von MigrantInnen in der Schweiz. Die Gruppe hat zahlreiche Reportagen und Kurzfilme veröffentlicht, welche auf ihrer Website verfügbar sind:
http://a-films.blogspot.com/2009/03/150309de.html

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GEFANGENE ZH
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Indymedia 20.5.10

Die beiden Genossen sind wieder frei! ::

AutorIn : Revolutionärer Aufbau Schweiz: http://www.aufbau.org     

Nach dreiwöchiger Untersuchungshaft wurden heute die beiden am 29. April verhafteten Genossen wieder auf freien Fuss gesetzt.     
    
Drei volle Wochen sassen die beiden mit dem Vorwand der Verdunkelungsgefahr im Knast, ohne dass in dieser Zeit die Konfrontationseinvernahme, welche die angebliche Kollusionsgefahr aufgehoben hätte, durchgeführt wurde. Absurderweise sind sie nun einen Tag vor dieser Einvernahme freigelassen worden. Damit zeigen die Repressionsorgane unfreiwillig den wahren Charakter dieser Verhaftsaktion. Mangels Beweisen für die angebliche Beteiligung an einem Farbanschlag gegen die CS sollten die beiden offensichtlich mit Isolationshaft weich geklopft werden.

Freiheit für alle politischen Gefangenen!
Für den Kommunismus

Revolutionärer Aufbau Schweiz, 19. Mai 2010     

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POLICE ZH
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20 Minuten 21.5.10

Ombudsfrau: Kritik an Polizeiweisung

 ZÜRICH. Die Stadtpolizei Zürich darf bei jeder Person, die auf die Wache mitgenommen wird, die Fingerabdrücke überprüfen. So steht es in einer Dienstanweisung, die seit Dezember 2008 gilt. Die Stadtzürcher Ombudsfrau Claudia Kaufmann ist kritisch eingestellt gegenüber dieser internen Regelung: "Der Eingriff ins Persönlichkeitsrecht ist nicht so harmlos", sagte sie gestern vor den Medien. "Es muss ein konkreter Tatverdacht und der Verdacht bestehen, dass es sich um eine gefährliche Person handelt." Auch der Hinweis der Stadtpolizei, die Fingerabdrücke würden ja wieder gelöscht, lässt sie nicht gelten. So wird im Jahresbericht 2009 ein Fall geschildert, bei dem die Abdrücke erst auf Nachfrage der Ombudsfrau gelöscht wurden. Die Ombudsstelle erreichten letztes Jahr 550 neue Geschäfte und 888 neue Anfragen. 2008 waren es 554 Geschäfte und 760 Anfragen gewesen.

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NZZ 21.5.10

Die Verwaltung darf nicht alles

 Ombudsfrau Claudia Kaufmann übt konstruktive Kritik

 Die Verwaltung darf vieles, aber nicht alles, und wenn sie tätig wird (oder untätig bleibt), muss sie sich an die Gesetze halten. Daran erinnert die Stadtzürcher Ombudsfrau Claudia Kaufmann; auch an die Adresse der Polizei und der Sozialen Dienste.

 Brigitte Hürlimann

 Darf die Polizei einen Elfjährigen ohne Beizug der Eltern einvernehmen? Oder eine Sechzigjährige vor dem Superpunkte-Automaten mitten im belebten Coop verhaften, sie mit auf den Posten nehmen, wo sie sich in der Zelle nackt ausziehen muss? Und warum nimmt die Polizei regelmässig Fingerabdrücke ab und überprüft sie im neuen, bundesweiten Fahndungssystem, obwohl die bundesrechtlich definierten Voraussetzungen dafür nicht vorliegen?

 Veränderungen erwirkt

 Das sind nur wenige Beispiele aus dem Tätigkeitsbereich von Claudia Kaufmann, die seit fünf Jahren als Stadtzürcher Ombudsfrau der Verwaltung streng auf die Finger schaut - sich notfalls einmischt und mahnt. Viel mehr kann sie nicht tun, doch indem sie unkorrektes Handeln oder Nichthandeln (was genauso schlimm sein kann) den Behörden meldet und in ihren Jahresberichten öffentlich thematisiert, hat sie einiges an Veränderungen bewirkt. Beispielsweise bei den Sozialen Diensten, deren Vorgehensweise seit drei Jahren zu überdurchschnittlich vielen Fällen führt, die bei der Ombudsfrau landen.

 An ihrer Jahrespressekonferenz vom Donnerstag in Zürich sagte Claudia Kaufmann, die Fokussierung auf die Missbrauchs-Thematik, welche die Arbeit der Sozialen Dienste immer noch präge, führe zu unkorrekten Vorgehensweisen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten derart Angst, Fehler zu machen oder zu grosszügig zu sein, dass sie dazu tendierten, Leistungen zu kürzen oder einzustellen, ohne die Regeln strikt einzuhalten. Sie habe aber im vergangenen Jahr einiges bewirken können, so die Ombudsfrau: zum Beispiel die Anerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde. Das klingt überaus technisch und abstrakt, bedeutet für die Betroffenen aber, dass sie Leistungen zumindest vorübergehend weiterhin erhalten, wenn sie Kürzungen oder Einstellungen auf dem ordentlichen Rechtsweg anfechten - was von existenzieller Bedeutung sein kann.

 Dauerthema Polizei

 Zu den weiteren Dauerthemen der städtischen Ombudsstelle gehört, neben der Sozialhilfe, die polizeiliche Arbeit, was nicht erstaunlich ist: Genau diese beiden Behörden greifen mit ihrem Handeln oder Nichthandeln in äusserst sensible Alltagsbereiche ein. Während es bei den Sozialdiensten darum geht, zu verhindern, dass Menschen kein Dach über dem Kopf oder kein Brot auf dem Tisch haben, darf die Polizei Verdächtige festnehmen, sie auf den Posten führen, in eine Zelle sperren, untersuchen und befragen. Das alles ist oft notwendig, dient der öffentlichen Sicherheit und der Kriminalitätsbekämpfung, doch die Ombudsfrau betont auch gegenüber der Stadtpolizei beharrlich, man habe sich an die Gesetze zu halten und verhältnismässig vorzugehen.

 In ihrem jüngsten Jahresbericht legt Kaufmann den Finger auf das neue Personen- und Sachfahndungssystem IDS/AFIS, das vom Bundesamt für Polizei zusammen mit den Kantonen betrieben wird. Das Instrument steht erst seit Anfang 2009 zur Verfügung. Und der Ombudsfrau ist nun aufgefallen, dass sich die Stadtpolizei nicht streng an die bundesrechtlichen Vorgaben zur Benützung des Systems hält, sondern sich auf eigene Dienstanweisungen beruft. Diese internen Regeln enthalten nach Auffassung der Polizei eine "Generalerlaubnis" dafür, das neue Fahndungssystem immer dann anzuwenden, wenn eine Person mit auf die Wache genommen wird. Nach Einschätzung der promovierten Juristin geht dieser Umgang viel zu weit, ist rechtsstaatlich bedenklich und wird vom Bundesrecht auch nicht gedeckt. Auf all diese Bedenken und Einwände hat die Ombudsfrau die Stadtpolizei hingewiesen, jedoch noch keine Praxisänderung erwirkt.

 Klagen von Dunkelhäutigen

 Sorge bereitet ihr die Feststellung, dass sich schon seit einigen Jahren überdurchschnittlich viele jüngere Männer mit dunkler Hautfarbe bei der Stelle melden und die Vorgehensweise der Polizei bei Kontrollen beanstanden. Die Ombudsfrau bemängelt hier Unverhältnismässigkeit sowie das Fehlen von konkreten Verdächtigungen im Einzelfall.

 In einem anderen, im Jahresbericht geschilderten Fall geht es zwar ebenfalls um eine unverhältnismässige Polizeikontrolle und Festnahme - bei der Betroffenen handelt es sich aber um eine sechzigjährige, frühpensionierte Frau. Diese wollte sich in einem Coop-City-Warenhaus vor dem Superpunkte-Automaten ein bisschen die Zeit vertreiben und spielte gleich mit neun Superkarten um zusätzliche Punkte. Die Karten waren ihr von Freunden geschenkt worden. Ihr Verhalten fiel einer Angestellten auf, welche die Polizei anvisierte. Die Sechzigjährige wurde verdächtigt, die Karten gestohlen zu haben. Sie musste im Warenhaus ihre Einkäufe am Boden ausbreiten, an Ort und Stelle die Quittungen vorweisen, was ihr gelang, und wurde trotzdem auf die Wache geführt: im Kastenwagen. Auf der Wache sperrte man die Frau in eine Zelle, sie musste sich ausziehen, damit Kleider und Schuhe untersucht werden konnten. Dann durfte sie wieder gehen. Es konnte ihr nichts nachgewiesen werden.

 Sich nicht alles gefallen lassen

 Claudia Kaufmann rügt dieses Vorgehen. Erstens hätte die Frau schon im Warenhaus diskreter behandelt werden müssen, zweitens habe es keine Hinweise auf einen Diebstahl gegeben, drittens gehe es bei den Superkarten nicht um Kreditkarten oder Ähnliches, und viertens seien weder der Transport im Kastenwagen noch die Leibesvisitation nötig gewesen. - Bei der Nennung all dieser Einzelfälle, unabhängig davon, ob sie nun die Polizei, die Sozialdienste oder andere Verwaltungsbehörden betreffen, geht es der Ombudsfrau grundsätzlich immer um das Gleiche: aufzuzeigen, was die Schranken des Verwaltungshandelns sind, und daran zu erinnern, dass man sich als Bürgerin und Bürger nicht alles gefallen lassen muss.

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Limmattaler Tagblatt 21.5.10

Polizei speicherte Daten aus Versehen

 Die Ombudsfrau kritisiert das Vorgehen der Stadtpolizei Zürich

 Manche Shoppingtour endet in Zürich auf der Polizeiwache - mit unliebsamen Folgen. Drei Fälle dokumentiert Claudia Kaufmann, Ombudsfrau der Stadt Zürich, in ihrem gestern veröffentlichten Jahresbericht 2009.

 Matthias Scharrer

 Fall 1: Ein dunkelhäutiger Brasilianer besucht in Zürich seinen Lebensgefährten. Im Migros will er ein Fernseh-Antennenkabel für ihn besorgen, findet aber keines. Er verlässt den Laden durch den Kundeneingang, ohne etwas zu kaufen. Dort kontrollieren Polizisten in Zivil seinen Pass und nehmen den Brasilianer mit auf die Quartierwache - im Rahmen einer Aktion gegen Taschendiebe, wie sich die Stadtpolizei später rechtfertigt. Weiter gehts in die Wohnung seines Lebensgefährten, wo die Polizei nach einer Durchsuchung feststellt, dass das Antennenkabel wirklich fehlt.

 Damit nicht genug: Der Brasilianer muss noch auf die Regionalwache mitkommen. Dort fotografiert ihn die Polizei und erfasst seine Fingerabdrücke, um sie elektronisch mit dem neuen bundesweiten automatisierten Personen- und Sachfahndungssystem (Afis) abzugleichen. Wie sich später herausstellt, wird sein Fingerabdruck "versehentlich eingescannt und zusammen mit dem Verhaftsrapport in der Polis-Datenbank erfasst", heisst es im neusten Jahresbericht der Stadtzürcher Ombudsfrau. Erst aufgrund der Beschwerde der Ombudsstelle löscht die Polizei die Daten.

 Fall 2: Eine 60-jährige Schweizerin hat neun Coop-Supercards. Freunde und Verwandte haben sie der Sammlerin geschenkt. Nachdem sie damit einer Kundendienstmitarbeiterin auffällt, wird sie im Coop von der Polizei kontrolliert und anschliessend im Kastenwagen auf die Regionalwache gebracht. Dort muss sie sich nackt ausziehen. Auch ihr werden die Fingerabdrücke genommen und mittels Afis-Anfrage überprüft.

 Fingerabdrücke wegen einer Parkbusse

 Fall 3: Fahri Ozlem (Name geändert) ist mit fünf Kollegen im Einkaufszentrum Letzipark, als sie von Zivilpolizisten kontrolliert werden. Alle können sich ausweisen. Die Polizei stellt fest, dass gegen Ozlem im Kanton Solothurn eine unbezahlte Verkehrsbusse von 50 Franken vorliegt. Er wird in Handschellen gelegt und auf eine Polizeiwache gebracht. Dort werden auch ihm die Fingerabdrücke genommen - für den elektronischen Datenabgleich Afis.

 Afis steht der Polizei seit 2009 als Instrument zur Identitätsüberprüfung zur Verfügung. Claudia Kaufmann, Ombudsfrau der Stadt Zürich, kritisiert, wie die Stadtpolizei damit umgeht: "Die Ombudsstelle bearbeitete wiederholt Beschwerden, bei denen diese Datenüberprüfung extensiv und weit über den gesetzlichen Zweck hinausschiessend zur Anwendung kam."

 Eingriffe in Persönlichkeitsrechte

 Sie verweist darauf, dass das Bundesrecht abschliessend regelt, wann Afis eingesetzt werden darf. Die drei in ihrem Jahresbericht 2009 dokumentierten Fälle entsprächen nicht diesen Kriterien. "Dass die Polizei jedes Mal, wenn jemand auf die Wache zur Überprüfung mitmuss, elektronisch Fingerabdrücke erfasst und abgleicht, sprengt den rechtlich zulässigen Rahmen", sagt Kaufmann. "Dabei handelt es sich um einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte." Und dass die Daten in einem Fall versehentlich gespeichert und erst auf Intervention der Ombudsstelle hin gelöscht wurden, zeige: "Je mehr Daten gesammelt und gespeichert werden, umso grösser ist die Gefahr, dass Fehler passieren."

 Kaufmann hält die Praxis der Stadtpolizei und das Fehlen klarer Kriterien für die Anwendung des Afis-Systems für "rechtsstaatlich bedenklich". Marco Cortesi, Sprecher der Stadtpolizei Zürich, erklärt dazu: "Afis-Abfragen werden durchgeführt, wenn die Identität nicht feststeht und ein Verdacht vorliegt." Und hält zum Thema Polizeidatenbanken fest: "Ob jemand fälschlicherweise darin erfasst ist, können wir nicht überprüfen - ausser, die betreffende Person meldet sich bei uns oder es geht sonst ein entsprechender Hinweis ein."

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 Spitzenreiter Sozialdepartement

 550Geschäfte bearbeitete die Stadtzürcher Ombudsstelle im Jahr 2009. Die meisten betrafen das Sozialdepartement (218), gefolgt vom Gesundheits- und Umweltdepartement (66) und dem Polizeidepartement (59).

 Die Zahl der Fälle aus dem Polizeidepartement ist dabei wie schon in den vorangehenden vier Jahren rückläufig. "Vor allem einfachere Fälle werden seltener eingereicht", heisst es in der gestern veröffentlichten Bilanz der Ombudsfrau Claudia Kaufmann. Zu den Beschwerdeführern hätten auch 2009 überdurchschnittlich viele jüngere dunkelhäutige Männer gezählt. Zudem habe die Ombudsstelle wiederholt Fälle bearbeitet, bei denen ein für die Stadtpolizei neues Datenüberprüfungsinstrument "weit über den gesetzlichen Zweck hinausschiessend" angewandt worden sei (siehe Haupttext). (mts)

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HOMOHASS
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hirschfeld-eddy-stiftung.de 21.5.10

Hirschfeld-Eddy-Stiftung
Stiftung für die Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender

Kampf gegen Vergewaltigung an Lesben in Südafrika

Spendenaufruf für das Lesbian and Gay Equality Project Johannesburg

Seit Jahren gilt Südafrika in Bezug auf Lesben- und Schwulenrechte als "Vorhut der Toleranz" in Afrika. Die sexuelle Identität ist qua Verfassung geschützt, doch die Wirklichkeit sieht anders aus.

Immer wieder kommt es zu grausamen Hassverbrechen. Insbesondere in den Townships der Großstädte werden offen lesbisch lebende Frauen Opfer schlimmster Gewalttaten. Beleidigungen, Prügel, Vergewaltigung sind ein alltägliches Phänomen. Die Täter vergewaltigen Lesben und behaupten, sie so zu "heilen". Strafanzeigen werden von der Polizei meist ignoriert. Mehr als 30 offen lesbisch lebende Frauen sind in den vergangenen Jahren in Südafrika ermordet worden. Einen Anstieg von Gewalt und Hassverbrechen während der Fußballweltmeisterschaft ist zu befürchten.

Das Lesbian and Gay Equality Project (Projekt zur Gleichstellung von Lesben und Schwulen in Südafrika, kurz LGEP) kämpft gegen Hassverbrechen, gegen dieses Phänomen der "korrigierenden Vergewaltigung" (corrective rape). Das LGEP aus Johannesburg ist eine gemeinnützige Organisation, die für die vollständige rechtliche und soziale Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen in Südafrika kämpft. Das Projekt bietet Rechtsberatung und Betreuung für traumatisierte Opfer.

Phumzile Mtetwa, Geschäftsführerin von LGEP, ist derzeit in Deutschland, um für Solidarität mit den lesbischen Frauen in Südafrika zu werben. Internationale Unterstützung ist ein unverzichtbares Mittel gegen Homophobie und Menschenrechtsverletzungen.

Dieser Kampf verdient unsere Unterstützung. Die Hirschfeld-Eddy-Stiftung leitet Spenden eins zu eins an das Lesbian and Gay Equality Project in Johannesburg weiter. Die Spenden sind steuerlich absetzbar.

Hirschfeld-Eddy-Stiftung
Konto 50 100 00
Bank für Sozialwirtschaft
BLZ: 370 205 00
Stichwort: Südafrika

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Bund 21.5.10

Malawi

 Schwules Ehepaar zu 14 Jahren Haft verurteilt

 Das erste schwule Paar, das im afrikanischen Staat Malawi geheiratet hat, ist zu 14 Jahren Haft und Zwangsarbeit verurteilt worden. Damit verhängte das Gericht die Höchststrafe. Die Strafe solle Nachahmer abhalten, dem "abscheulichen Beispiel" zu folgen, sagte der Richter. In 38 von 53 afrikanischen Staaten wird Homosexualität bestraft. Nur in Südafrika ist die Homo-Ehe erlaubt. (sda)

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queer.de 21.5.10

Schwulen-Verfolgung: Die Kritik an Malawi wächst

Der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP), das Weiße Haus und auch Sängerin Madonna setzen sich für zwei Männer aus Malawi ein, die wegen Homosexualität zu 14 Jahren Haft verurteilt wurden - die malawische Regierung begrüßte dagegen das Urteil.

 Der 26-jährige Steven Monjeza und der 20-jährige Tiwonge Chimbalanga haben bereits angekündigt, gegen das Urteil Berufung einlegen zu wollen. Aus ganz Europa und Nordamerika hagelte es Proteste gegen die Verurteilung des Paares nach einem alten Kolonialgesetz. Für Berlin erklärte Entwicklungsminister Niebel, dass die Verfolgung von Homosexuellen unvereinbar sei mit der Achtung von Menschenrechten. Er wies darauf hin, dass Malawis Verfassung die Einhaltung der Menschenrechte garantiere. Markus Löning, Menschenrechtsbeauftrager der Bundesregierung, erklärte zudem, die Verurteilung verstoße gegen internationales Recht und gegen die Afrikanische Charta für Menschen- und Bürgerrechte.

 Auch die amerikanische Regierung forderte Malawi auf, Homosexuelle nicht länger zu verfolgen: "Die Kriminalisierung von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität ist unverschämt und dieser Fall beschädigt die Menschenrechte in Malawi", so die Obama-Regierung in einer Erklärung. "Wir fordern Malawi und alle anderen Länder auf, nicht mehr sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität als Basis für Verhaftungen, Internierungen oder Exekutionen heranzuziehen."

 Popsängerin Madonna, die in den letzten Jahren zwei Kinder aus Malawi adoptiert hatte, zeigte sich entsetzt über die Verurteilung: "Das ist ein Riesenschritt zurück für Malawi", erklärte die 51-Jährige. "Unsere Welt ist so voller Leid, daher müssen wir das Menschenrecht darauf, zu lieben und geliebt zu werden, verteidigen." Sie rief "fortschrittliche Männer und Frauen von Malawi" auf, sich für eine Freilassung der Männer einzusetzen.

 Menschenrechtsorganisation wie Amnesty International oder Action Against Homophobia haben nun Unterschriftenaktionen gestartet, um Druck auf die Regierung von Malawi auszuüben. Allerdings scheint dies auf taube Ohren zu stoßen: So erklärte der malawische Informationsminister Leckford Mwanza Thotho, seine Regierung sei zufrieden mit der Entscheidung des Gerichts. Das Urteil reflektiere die Mehrheitsmeinung in Malawi und stelle sicher, dass "mit unseren Traditionen kein Schindluder getrieben wird". Homosexualität sei "unmalawisch", so Mwanza Thotho weiter. (dk)

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aktuell.ru 20.5.10

Wie üblich: Moskauer Schwulen-Parade verboten

 Moskau. Die Moskauer Stadtverwaltung hat zum fünften Mal in Folge die jedes Jahr geplante Schwulenparade verboten. Die Homosexuellen wollen nun am 29. Mai illegal demonstrieren - und in Straßburg Klage einreichen.

 Nikolaj Alexejew, der Organisator des bisher nie legal stattfindenden Moskauer Homosexuellen-Umzuges, erklärte, er habe von der Stadtverwaltung eine telefonische Absage für die angemeldete Demonstration erhalten. Eine schriftliche Begründung stehe noch aus.

 "Entgegen der geltenden Gesetzgebung hat die Moskauer Stadtregierung den Organisatoren keine Alternative zur Durchführung der geplanten Veranstaltung gegeben", so Alexejew.

Aktion soll auch ungenehmigt stattfinden

Die Aktion werde aber in jedem Fall stattfinden - wobei Format und Ort noch abgeklärt werden müssen. Die Paraden-Organisatoren hatten beantragt, von der Metrostation Tschistije Prudy über die Uliza Mjasnizkaja zum Ljubjanka-Platz ziehen zu wollen. An dem Zug sollten etwa 5.000 Personen teilnehmen.

 Das Verbot der Schwulen-Parade ist bereits das fünfte in Folge seit 2006. Wie Alexejew erklärte, werde man mit dem Widerspruch dagegen wieder bis vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gehen. Das Gericht werde noch in diesem Jahr über eine Klage gegen die Verbote der Schwulen-Parade in den Jahren 2006 bis 2008 entscheiden.

Miliz-Gewalt gegen "satanistische" Homosexuelle

"Unabhängig davon sind jedes Mal Schwulen-Aktivisten zu nicht genehmigten Aktionen gekommen, wobei sie seitens der Miliz Schlägen und Festnahmen ausgesetzt waren", so Alexejew. Festnahmen gab es oft aber auch in den Reihen der teils gewalttätigen Gegendemonstranten aus nationalistischen und ultraorthodoxen Kreisen.

 Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow hatte im Januar erklärt, er werde Umzüge sexueller Minderheiten als eine Form "satanistischer Handlungen" in Moskau nicht zulassen. "Das ist kein Theorem, sondern ein Axiom", so das Stadtoberhaupt.

"Slawische Schwulenparade" in Petersburg angesetzt

Eine ähnliche Veranstaltung unter dem Titel "Slawische Gay-Parade" wird von Schwulen-Aktivisten für den 26. Juni in St. Petersburg geplant. Beim ersten Versuch dieser - wie üblich nicht genehmigten - Aktion im Mai letzten Jahres waren in Moskau 40 Teilnehmer festgenommen worden.

 Am letzten Wochenende wurde versucht, den Umzug im weißrussischen Minsk abzuhalten. Auch dort wurden acht Teilnehmer von der Polizei abgeführt.

 Ob die Parade in Petersburg genehmigt wird oder nicht, ist noch offen. Der Antrag dafür soll wie vom Demonstrations-Gesetz gefordert, zwei Wochen vor der geplanten Aktion bei der Stadtverwaltung eingereicht werden.

(ld/.rufo/St.Petersburg)

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Basler Zeitung 21.5.10

Mehrere FCB-Spieler unter Fackel-Verdacht

 Basel. Nicht nur Xherdan Shaqiri (18) soll gegen das Sprengstoffgesetz verstossen haben

 Kritik an Polizei. Nach Xherdan Shaqiri droht nun weiteren FCB-Spielern Ungemach, weil sie brennende Fackeln in der Hand gehalten haben sollen. Der "Blick am Abend" meldete in seiner gestrigen Ausgabe, dass sich der Vorfall mit Shaqiri an der Cup-Feier bei der Meisterfeier wiederholt habe. Diesmal hätten drei andere FCB-Spieler auf dem Balkon des Stadtcasinos zum Leuchtfeuer gegriffen. Gemäss "Blick am Abend" handelte es sich dabei um Marcos Gelabert, Jacques Zoua und Adilson Cabral. Klaus Mannhart, Mediensprecher der Kantonspolizei Basel-Stadt, spricht von mindestens einem weiteren Verfahren. Mannhart präzisierte aber nicht, ob es sich gegen einen FCB-Spieler oder einen Fan handelte. Die Basler Polizei will Xherdan Shaqiri wegen eines Verstosses gegen das Sprengstoffgesetz büssen und gerät damit immer mehr in die Kritik. Auf der Internetseite von baz.ch bezeichnen Leser das Vorgehen der Ermittlungsbehörden als "unverhältnismässig". An den Feiern auf dem Barfi hatten Dutzende von Fackeln gebrannt, ohne dass die Polizei eingegegriffen hätte.

 Josef Zindel, Sprecher des FC Basel, will an der Meisterschaftsfeier keine Spieler mit Fackeln gesehen haben. Er wiederum kritisiert die Polizei dafür, dass er erst über die Medien von der geplanten Busse gegen Shaqiri erfuhr. Wie Bilder und Fernsehaufnahmen zeigen, nahmen während der Cup-Feier neben Shaqiri auch weitere Spieler eine Fackel zur Hand.  
js/pra >

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Blick 21.5.10

Shaqiri als Opfer

 Heiss -

 Die Stimmung auf dem Barfüsserplatz ist schon nach dem Cupsieg gegen Lausanne meisterlich. Rund 10 000 FCB-Fans feiern ausgelassen und brennen den ganzen Abend Pyros ab - was eigentlich verboten ist. Die Polizei schaut zu, die roten Fackeln tragen zu einer tollen Atmosphäre bei. Die Party verläuft friedlich - genau wie bei der Meisterfeier am Sonntag.

 Doch als jetzt Bilder von FCB-Star Xherdan Shaqiri mit einer brennenden Fackel auftauchen, wird das Sicherheitsdepartement aktiv (im BLICK). Shaqiri drohen nun rund 800 Franken Busse. Laut "Blick am Abend" sind drei weitere Spieler bekannt, die an der Meisterfeier zündelten. Konsequenterweise müsste die Polizei auch Marcos Gelabert, Jacques Zoua und Adilson Cabral bestrafen. "Bis jetzt ermitteln wir nur gegen einen Spieler", sagt Klaus Mannhart von der Polizei. Die FCBSpieler haben sich trotz klarer Ansage des Klubs verleiten lassen, das war unüberlegt. Dass nun aber am 18-jährigen Shaqiri ein Exempel statuiert werden soll, klingt in Anbetracht Hunderter abgebrannter Pyros wie ein schlechter Witz. Übrigens: Auch Sion-Spieler Didier Crettenand wurde nach dem Cupsieg 2009 mit einer Fackel "erwischt" und kam ungestraft davon. 57 % der Blick.ch-User finden, dass auch Shaqiri keine Strafe verdient hätte.  

Heiko Ostendorp

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Blick am Abend 20.5.10

FCB-Stars in der Pyro-Falle

 FACKEL

 Xherdan Shaqiri und weitere Spieler-Kollegen brachen das Gesetz.

 philipp.schraemmli@ringier.ch

 Xherdan Shaqiriistwohlnicht der einzige Star, der Post von der Polizei bekommt. Auch anderen FCB-Spielern drohen Bussen.

 Bei der Cupfeier zündete der Neo-Natispieler auf dem Balkon des Stadtcasinos eine Fackel. Die Polizei eröffnete ein Verfahren wegen Verstosses gegen das Sprengstoffgesetz. Doch neben Shaqiri versuchten sich noch andere als Pyromanen. Blick am Abend sind drei weitere Spieler bekannt, die an der Meisterfeier zündelten. Konsequenterweise müsste die Polizei auch Marcos Gelabert, Jacques Zoua und Adilson Cabral bestrafen. "Bis jetzt ermitteln wir nur gegen einen Spieler", sagt Klaus Mannhart von der Polizei.

 Die Polizei könnte den Spielern und Gigi Oeri zudem eine Verkehrsbusse ausstellen. Immerhin sind sie ohne Helm auf Harleys durch die Steinen gefahren - dort herrscht Fahrverbot. "Das wäre unverhältnismässig, und für den Corso gab es eine Bewilligung", sagt Mannhart.

 800 Franken müssen Shaqiri und Co. für ihre Freudenfeuer hinblättern. Folgenschwerer wäre es, wenn die Polizei den Spielern ein Stadionverbot aufbrummt. Die halbe Mannschaft müsste nächste Saison 500 Meter vor dem Stadion warten. "Ein Stadionverbot sprechen wir nicht aus", sagt Mannhart. "Das Vergehen fand auf dem Barfi statt, und es kam nicht zu Gewalt."

 (c)Finden Sie die Bussen für FCB-Profisrichtig?

 Schreinreiben Sie uns: basel@blickamabend.ch

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St. Galler Tagblatt 21.5.10

"Vieles ist kaputtgegangen"

 Seit dem Cup-Aus des FC St. Gallen herrscht zwischen Verein und Fans Funkstille. Michael Blatter vom Fan-Dachverband und der Fan-Verantwortliche Urs Baumgartner äussern sich.

 Die Saison ist vorbei. Steht Ihnen nach der FCSG-intensiven nun eine FCSG-freie Zeit bevor?

 Michael Blatter: Nein, bei uns im Dachverband 1879 beginnt diese Woche bereits die Planung für die neue Saison.

 Urs Baumgartner: Für mich als Fan-Verantwortlichen stehen Sitzungen und Weiterbildungen mit den SBB wegen den Extrazügen an. Und wir haben ja noch einige Baustellen zwischen den Fans und dem Verein.

 Seit dem Cup-Halbfinal gegen Lausanne herrscht zwischen dem Verein und den Fans Funkstille.

 Baumgartner: Die Niederlage war brutal. Einerseits aus sportlicher Sicht und andererseits wegen der Konsequenzen, die von der Clubleitung danach gezogen wurden. Durch das Choreo-Verbot ist zwischen dem Verein und den Fans sehr vieles kaputtgegangen. Und in der Aufregung ging vergessen, was wir gemeinsam erreicht haben. Zum Beispiel, dass es mit den St. Galler Fans vor und nach Heimspielen rund um das Stadion nie Probleme gab, wofür wir von der Polizei auch mehrmals gelobt worden sind.

 Blatter: Die momentane Situation ist für alle sehr unangenehm. Wir vom DV 1879 warten, bis der Verein einen Schritt auf uns zu macht. Es ist klar, dass wieder Gespräche geführt werden müssen. Aber so schnell wird man nicht wieder auf dem Stand von vor dem Spiel sein.

 Mit den Choreos seien Pyros ins Stadion geschleust worden, lautet der Vorwurf des Vereins. Könnte sich die Situation entspannen, wenn sich der Dachverband klar gegen Pyros aussprechen würde?

 Blatter: Vorweg: Wir warten bis heute auf den Beweis, dass die Pyros mit der Choreo ins Stadion gelangten. Zu unserer Haltung: Zu den Pyros haben wir keine. Gewisse Leute im Dachverband sind für das Abbrennen von Pyros, andere sind dagegen. Letztlich ist das Sache des Espenblocks.

 Trotzdem, ihr wurdet ja in die Vermittlerrolle gedrängt und habt diese teilweise auch angenommen. So hat der Espenblock auf eure Initiative hin einen Flyer mit Verhaltensregeln erarbeitet.

 Blatter: In diesem Fall war es für uns einfach, eine klare Meinung zu haben. Denn natürlich sind wir vom DV 1879 gegen Gewalt. Bei den Pyros ist die Sache komplizierter. Diese gehören für viele im Espenblock zur Fankultur. Ausserdem ist es meiner Ansicht nach klar falsch, Pyros und Gewalt gleichzusetzen.

 Und wie ist Ihre Rolle, Herr Baumgartner? Sie sind als Fan-Verantwortlicher ja vom Verein angestellt.

 Baumgartner: Ich sehe mich als Bindeglied zwischen Verein und Fans. Wenn im Espenblock der Wunsch nach Pyros da ist, muss ich das zur Kenntnis nehmen. Ich versuche, die Parteien wieder an einen Tisch zu bringen, um einen Kompromiss möglich zu machen.

 Was haltet ihr von den verschiedenen Sicherheitsmassnahmen für Sportveranstaltungen, die derzeit landesweit diskutiert werden? Beispielsweise, dass in Stadien künftig nur noch Light-Bier ausgeschenkt werden soll?

 Blatter: Die Massnahme ist meiner Ansicht nach nicht sinnvoll. Es ist für uns jedoch heikel, gegen repressive Massnahmen Stellung zu nehmen, weil dann jeweils schnell der Vorwurf kommt, der DV legitimiere Gewalt. Deshalb ist für uns auch der Aufbau der geplanten soziokulturellen Fanarbeit so wichtig.

 Inwiefern?

 Blatter: Professionelle Fanarbeiter wären neutral und könnten in der Öffentlichkeit eher sagen: "Das ist kontraproduktiv." Und sie könnten besser vermitteln. Auch wir versuchen neutral zu sein, aber das ist schwierig, wenn man aus der Fanszene kommt und viele Leute im Espenblock kennt.

 Zum Schluss: Was haltet ihr von den Ticketpreis-Erhöhungen, die der Verein bekanntgegeben hat?

 Baumgartner: Der Aufschlag zwischen 30 und 60 Prozent ist happig. Ich würde sagen: Der Entscheid ist das i-Tüpfelchen auf all das, was in den letzten Wochen passiert ist.

 Interview: Peter Brühwiler

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 Die Saison: Sitzstreik, Messerwurf, Choreoverbot

 Die Fans des FC St. Gallen waren auch in der vergangenen Saison regelmässig im Mittelpunkt von Medien und Öffentlichkeit. Um die Geschehnisse in der vergangenen Saison besser einordnen zu können, ist zunächst ein Blick weiter zurück nötig. Vor zwei Jahren hatte das Verhältnis zwischen Fans, Club und öffentlicher Hand einen Tiefpunkt erreicht, dies wegen der Ausschreitungen nach dem Bellinzona-Spiel im Espenmoos, als der FCSG in die Challenge League abstieg.

 Danach schien sich die Situation zu entspannen, als Michael Hüppi im Sommer 2008 beim FCSG das Amt des Präsidenten übernahm und Gesprächsbereitschaft mit den Fans zeigte. Ein Runder Tisch wurde einberufen, an dem Mitglieder des Fan-Dachverbands 1879, Polizei-, Stadion- und Clubvertreter teilnahmen.

 Demo gegen Polizeikontrolle

 Vergangene Saison nun haben sich die Fronten wieder etwas verhärtet. Begonnen hat dies mit den verschärften Massnahmen gegen Hooligans, zum Beispiel der Einführung der Schnellgerichte im Sommer 2009. Im Oktober vor dem Spiel FCSG - FC Zürich machte die Polizei eine Kontrolle in einem Fanrestaurant im Westen der Stadt. Gemäss Polizei war es eine routinemässige Personenkontrolle, gemäss Fans ein unverhältnismässiger Grosseinsatz. Die Folge der Aktion: Fans machten auf der Zürcher Strasse nach dem Spiel einen Sitzstreik, sorgten so für Verkehrschaos. Der DV 1879 schrieb am Folgetag ein Communiqué: "Generell werden momentan von Medien, Politik, Polizei und den Vereinen Fussballfans wie Verbrecher behandelt."

 Im November hinderten St. Galler Fans nach dem Auswärtsspiel in Aarau den Extrazug in Wil an der Weiterfahrt. Rund 100 FCSG-Fans verliessen laut Polizei die Waggons und trafen sich zu Streitereien mit Wiler Fans. Auch im April dieses Jahres gab es beim Auswärtsspiel in Aarau Probleme: Es gab Ausschreitungen in der Innenstadt Aaraus, zudem brach im Extrazug, mit dem 700 FCSG-Anhänger nach Aarau gereist waren, nach der Ankunft im Bahnhof ein Feuer aus.

 Dachverband stellt Regeln auf

 Den schlechten Ruf, den die Fans bei einem grossen Teil der Öffentlichkeit haben, will der DV verbessern. Im Februar verteilte er im Espenblock einen Flyer mit Fanregeln. Damit wendet er sich gegen "aktives Suchen von Gewalt", gegen Rassismus und gegen das Werfen von Gegenständen. Auf geordnet abgebrannte Pyros will der Espenblock und der DV aber weiterhin nicht verzichten - obschon dem Club darob Geldstrafen drohen. "Pyros gehören zur Fankultur", ist der Grundtenor.

 Im Halbfinal gegen Lausanne sorgten in der AFG Arena ein Sackmesserwurf und Pyro-Aktionen für Aufsehen. Hüppi verhängte darauf ein Choreoverbot im Stadion. Fackeln seien mit dem Choreographie-Material ins Stadion gebracht worden. Auf dieses Verbot wiederum reagierte ein Teil des Espenblocks mit einem Stimmungsboykott in der AFG Arena. Dieser Boykott hielt - wenn auch in etwas abgeschwächter Form - bis Ende Saison an. (rst)

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HOOLIGAN
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Tagesanzeiger 21.5.10

Der Polizist, der ein Hooligan war

 Acht Jahre lang führte der Deutsche Stefan Schubert ein Doppelleben, bis er durch einen Zufall enttarnt wurde. In seinem Buch beschreibt er Polizisten und Hooligans als Seelenverwandte.

 Von Dario Venutti

 Manchmal trifft Stefan Schubert auf alte Gegner wie kürzlich auf der Toilette einer Bar. Dann kommen Dialoge wie dieser zustande:

 Unbekannter: "Kennst du mich noch?"

 Schubert: "Nein, sollte ich?"

 Unbekannter: "Du hast mich einmal verprügelt."

 Schubert: "Dann hast du es wohl verdient gehabt."

 Früher schlug Schubert in Konfrontationen zu. Ohne zu reden und ohne zu zögern. Hatte er jemanden als Gegner identifiziert, flogen die Fäuste: Ein Nasenbeinbruch hörte sich dann an wie ein "Geräusch, als würde man ein dickes Stück Holz brechen". Wenn der Schlag ins Gesicht mit voller Wucht den Schädel traf, "zerbrachen einige der 25 Knochen in der Hand wie Hähnchenflügel".

 Ostwestfalen-Terror

 Acht Jahre lang war Stefan Schubert Mitglied der Hooligan-Gruppierung Blue Army des Fussballvereins Arminia Bielefeld, die sich wahlweise auch Ostwestfalen-Terror nannte. Von 1988 bis 1996 fuhr er jedes Wochenende an die Spiele der Arminia, wo es fast immer knallte, wenn die Blue Army auf gegnerische Gruppierungen traf: auf unbewachten Parkplätzen und in dunklen Seitenstrassen. Oder im Stadion selber. Kameraüberwachung und Polizeipräsenz waren damals noch nicht so weit gediehen, dass sich Hooligans auf abgelegenen Feldern und Wiesen treffen mussten wie heute.

 Als Stefan Schubert erstmals an einer Schlägerei teilnahm, war er 18 Jahre alt. Acht Jahre später hörte er auf. Mitder Distanz von 14 Jahren legt er jetzt ein Buch vor, dessen unzählige Episoden sich zur Geschichte eines langen Erwachsenwerdens verdichten. Schuberts Werk ist zwar ein spröder Report und sprachlich an manchen Stellen unbeholfen. Doch das Buch beschränkt sich nicht auf die (sattsam) bekannten Erzählungen von Hooligans, die durch gemeinsame Reisen, Saufgelage und Gewaltrausch zusammengehalten werden. Und die sich einen Spass daraus machen, der Polizei Schnippchen zu schlagen und den Durchschnittsbürgerzu erschrecken.

 Schubert war, und das ist der eigentliche Skandal, in seiner Zeit als Hooligan auch Polizist. Wer ihn anfänglich als Spitzel in Verdacht hatte, dem wurde schnell klar, dass er Hobby und Beruf trennte. Bald einmal hatte er sich den Ruf eines guten Schlägers erarbeitet und genoss deshalb den Respekt des Bosses der Blue Army, intern "Onkel" genannt. Schubert war bei fast jedem Gewaltexzess dabei, ob nach Fussballspielen, in der Stammkneipe oder auf einer Party. Ein Anlass für Schlägereien fand sich immer. "Ein wilder Haufen fleischgewordener Waffen mit durchtrainierten, tätowierten Oberkörpern war dann entsichert."

 Schubert hinterliess bei Gegnern posttraumatische Belastungsstörungen. Er wusste von Einbrüchen seiner Gangmitglieder und von deren Drogenhandel. Als Straftaten nahm er das aber nicht wahr: "In unserem Vokabular kamen Begriffe wie Krawalle oder Schlägerei gar nicht vor. Das wurde unter dem Satz ‹Ich fahre zum Fussball› subsumiert und gleichzeitig ignoriert", sagt er im Gespräch. Wer nicht über Gewalt und Verletzungen redete, musste auch nicht darüber nachdenken. So einfach sei das gewesen.

 Schubert, der heute ein Fitnesscenter in Bielefeld leitet, erschien regelmässig mit Blutergüssen oder Schürfwunden zum Polizeidienst, manchmal auch mit gebrochenen Knochen. Als Hobbyboxer und Handballspieler konnte er die Verletzungen leicht erklären. Dass sein Name allerdings in einem halben Dutzend Straf- oder Ermittlungsverfahren auftauchte, ohne von seinen Vorgesetzten bemerkt zu werden, ist für ihn auch heute noch rätselhaft. War es Unvermögen? Oder Ignoranz? Gar stillschweigende Duldung? Im Lauf der Jahre wussten jedenfalls immer mehr Kollegen Bescheid über sein Doppelleben. Schubert vermutet, dass sie ihn gewähren liessen: Weil alles andere zu viel Aufregung verursacht hätte. Weil er als Polizist einen guten Job gemacht habe.

 Schuberts zwei Welten unterschieden sich in einem wesentlichen Punkt: Als Hooligan war er ein Gesetzesbrecher, als Polizist stand er auf der Seite des Gesetzes. Das allein gibt dem Buch aber noch keine Spannung. Lohnenswert macht die Lektüre die allmählich einsetzende Erkenntnis, dass es sich bei Hooligans und Polizisten um Brüder im Geiste handelt. "Beide waren hierarchisch streng gegliederte Männerwelten. Eigenschaften wie Loyalität, Ehrlichkeit, Kameradschaft, bedingungsloser Einsatz und Angstüberwindung standen auf beiden Seiten im Vordergrund", schreibt Schubert.

 Archaische Instinkte im Mann

 Dass es sich bei ihm nicht um einen Einzelfall handelte, zeigt der jüngst hierzulande aufgedeckte Fall eines Mitarbeiters des privaten Sicherheitsdienstes Delta: Mit der Rückendeckung des Gesetzes schlug er auf Fussballfans ein, in seiner Freizeit randalierte er am 1. Mai in Zürich. Hooligans und Polizisten, so die Botschaft des Buches, haben eine ähnliche mentale Disposition: Die Rolle weckt archaische Instinkte im Mann. In Schuberts Worten: "Die Nähe zur Gewalt lag vielen Kollegen im Blut."

 Bei der Polizei erlernte er die Fähigkeit, Gewaltsituationen zu analysieren, was ihm als Krawallmacher in der Freizeit zugutekam. Und die Feindbilder, die dort aufgebaut wurden, hatte er auch als Hooligan verinnerlicht: Autonome, Rocker, Skinheads - "einfach jede Horde rivalisierender Männer waren die Gegner". Für beide Welten galt: "Meinungsverschiedenheiten werden nicht ausdiskutiert."

 Schubert hatte seine Ausbildung beim Bundesgrenzschutz, damals für viele junge Polizisten ein erstrebenswerter Arbeitsort, als Fünftbester seines Jahrgangs abgeschlossen. Die Ausbildner hätten den Polizeianwärtern gesagt: Am Wochenende und in der Freizeit dürft ihr euch prügeln. Aber verliert ja nicht. Und lasst euch vor allem nicht erwischen!

 "Diese Ansagen sogen wir zu jener Zeit begeistert auf", schreibt Schubert. Sie verfestigten eine Prägung, die er als Schüler hatte und die später seinen Werdegang als Hooligan bestimmen sollte: dass Gewalt eine Lösung ist. Auf dem Schulweg musste sich Schubert von einer Türkengang ein paar Mal verhauen lassen. Dann schloss er sich mit ein paar Jungs zu einer Gruppe zusammen, lernte boxen - und verschaffte sich schliesslich mit den Fäusten Respekt vor den Türken.

 Am 5. November 1996 wurde Stefan Schubert verhaftet - ironischerweise an einem der wenigen Tage, an denen er keine Straftat begangen hatte. Minuten nach einer Schlägerei in der Bielefelder Innenstadt lief er zum "Leichengucken" am Tatort, wie Hooligans das nannten - und wurde von der Polizei aufgegriffen. Weil ein Journalist den Polizeifunk abgehört hatte, stand die Geschichte bald in allen deutschen Zeitungen.

 Stefan Schubert: Gewalt ist eine Lösung. Riva, München 2010. 332 S., ca. 25 Fr.

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AUSSCHAFFUNG
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Bund 21.5.10

Ausschaffen, mit dem Segen aus der SP

 Die Ausschaffungsinitiative der SVP soll mit einem direkten Gegenvorschlag bekämpft werden. Dabei scheint nun auch die SP mitzumachen.

 Daniel Friedli

 Der erste Teil des Plans ist aufgegangen: Die SP-Vertreter haben die Kröte geschluckt und gestern in der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates murrend, aber mehrheitlich für schärfere Regeln zur Ausschaffung von kriminellen Ausländern gestimmt. Damit können nun FDP und CVP auch dem Nationalrat einen direkten Gegenvorschlag zur Ausschaffungsinitiative der SVP vorlegen. Sein Inhalt: Ausländer, die gemordet, geraubt, vergewaltigt oder sich anderer schwerer Delikte schuldig gemacht haben, müssen das Land verlassen. Im Vergleich zum Ständerat hat die Kommission den Deliktkatalog gar noch um einen Punkt ergänzt: Auch schwere Körperverletzung soll eine Ausweisung nach sich ziehen.

 Flüchtlingshilfe macht Druck

 Umgekehrt - und dies hat der SP die Zustimmung ermöglicht - legt die Kommission in ihrer Vorlage grosses Gewicht auf die Integration. Laut SP-Wortführer Andy Tschümperlin ist dabei besonders wichtig, dass der Bund den Kantonen Vorschriften zur Integrationsförderung machen kann. Daneben denken die Befürworter auch an ein stärkeres finanzielles Engagement: "Integration darf etwas kosten", sagt FDP-Nationalrat Philipp Müller. Zudem stehen die Wegweisungen im Gegenvorschlag unter dem expliziten Vorbehalt des Völkerrechts - ein Zusatz, der bei der SVP-Initiative fehlt.

 Ob nun auch der zweite Teil des Plans aufgeht, wird sich zeigen, wenn die SP-Fraktion heute entscheidet, ob sie den Gegenvorschlag auch im Plenum mittragen wird. Nach dem Vorentscheid der Kommission stehen die Chancen dafür gut: "Ich denke, dank dem Zusatz zur Integration können nun wohl einige Fraktionsmitglieder zustimmen", sagt Fraktionschefin Ursula Wyss. Sie selber jedenfalls gehört dazu, genauso wie jene vier SPler, die schon gestern mit Ja gestimmt haben. Abgelehnt wurde der Gegenvorschlag nur von SVP und Grünen, die Sozialdemokraten Ada Marra und Andreas Gross enthielten sich.

 Den noch zögernden Genossen wird heute auch Beat Meiner, der Generalsekretär der Flüchtlingshilfe, als Gast ins Gewissen reden. "Ich verstehe jene Linken nicht, die auf einem ideologischen Nein beharren", sagt er. Denn ohne glaubwürdigen Gegenvorschlag habe die SVP-Initiative an der Urne beste Chancen. Und deren Folgen wären aus seiner Sicht dramatisch: Man geht von bis zu 1500 zusätzlichen Wegweisungen pro Jahr aus, die ebenfalls anvisierten Fälle von Sozialhilfemissbrauch noch nicht eingerechnet. Der Gegenvorschlag könnte diese Zahl auf schätzungsweise 1000 bis 1200 drücken. Andere Menschenrechtsorganisationen wollen indes von einem solch taktischen Ja nichts wissen. Amnesty International lehnt sowohl die SVP-Initiative wie den Gegenvorschlag ab, ebenso die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus. Sie warnte gestern vor rassistisch motivierter Ungleichbehandlung. Denn die neuen Regeln würden nur Ausländer aus Nicht-EU-Staaten treffen, also auch jene, die aufgrund der Hautfarbe schon heute diskriminiert seien (siehe Kasten).

 Dieser Punkt wird noch zu reden geben. Die SVP pocht darauf, dass ihre Initiative für alle Ausländer gilt, auch für jene aus der EU. Ihre Gegner lehnen dies hingegen mit Verweis auf die Personenfreizügigkeit ab. Auch darum lasse sich die SVP-Initiative gar nicht gänzlich völkerrechtskonform umsetzen, sagt Philipp Müller. SVP-Mann Yvan Perrin sieht indes genau darin den Grund, wieso man der Initiative und nicht dem Gegenvorschlag zustimmen müsse: "Es findet sich sonst immer noch irgendwo eine Konvention, die eine Ausschaffung verunmöglicht."

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 Rassismus EKR lehnt Gegenvorschlag und Initiative ab

 Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) ist gegen die Ausschaffungsinitiative. Die EKR warnt davor, dass beim Vollzug dieser Initiative vermehrt Menschen aus rassistischen Motiven ungleich behandelt würden. Gänzlich unannehmbar ist für die EKR die Volksinitiative der SVP. Sie verletze das Non-Refoulement-Prinzip und verstosse damit gegen zwingendes Völkerrecht. Am Grundsatz, dass niemand in einen Staat ausgeschafft werden dürfe, in dem ihm Folter oder eine andere Art unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung drohe, dürfe nicht gerüttelt werden. Zwar sei die Durchsetzung des Rechtsstaates wesentlich. Dies dürfe aber nicht auf Kosten der Grund- und Menschenrechte erfolgen. Die Kommission anerkennt in diesem Zusammenhang, dass der vom Parlament diskutierte Gegenvorschlag das Völkerrecht und das Verfassungsprinzip der Verhältnismässigkeit besser beachtet. Dennoch lehnt die EKR auch den Gegenvorschlag ab. Bereits heute verfüge die Schweiz über die Mittel, in begründeten Einzelfällen kriminelle Ausländer auszuweisen. (sda)

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NZZ 21.5.10

Verschärfungen für kriminelle Ausländer

 Völkerrechtskonformer Gegenvorschlag zur Ausschaffungsinitiative der SVP

 Die Nationalratskommission folgt dem Ständerat und präsentiert einen direkten Gegenentwurf zur völkerrechtswidrigen Ausschaffungsinitiative der SVP. Der Vorschlag enthält auch Bestimmungen für eine aktivere Integrationspolitik.

 Beat Waber, Bern

 Eigentlich genügte das geltende Recht. Wenn Ausländer straffällig werden, riskieren sie den Verlust ihres Aufenthaltsrechtes; die Behörden können zusätzlich zu den Sanktionen gemäss Strafrecht auch die Wegweisung anordnen. Die SVP will aus der Möglichkeit nun aber eine Pflicht machen, und sie kann sich dabei auf eine verbreitete Unzufriedenheit stützen, wie die mit hoher Unterschriftenzahl zustande gekommene Initiative zeigte.

 Doch wie so oft bei Volksinitiativen mangelt es an der nötigen Differenzierung und an der Einbettung ins Rechtssystem inklusive Völkerrechts, wozu namentlich die Europäische Menschenrechtskonvention und das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU gehören. Die Initiative erfasst zudem auch Bagatelldelikte, während schwerere Straftaten zum Teil unerwähnt bleiben.

 Der Ständerat hatte im März daher einen direkten Gegenentwurf beschlossen, der diese Mängel behebt. Auch er wechselt von der fakultativen zur obligatorischen Ausweisung, setzt aber systematisch bei schwereren Straftaten an und enthält einen Vorbehalt, wonach die verfassungsmässigen Grundrechte und das Völkerrecht zu beachten sind.

 Das kleinere Übel

 In der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats war lange unklar, ob dieser Gegenvorschlag Bestand haben würde. Die SVP lehnt ihn ab, weil er die Chancen ihres Begehrens in der Volksabstimmung schmälert, während SP und Grüne einen Gegenvorschlag an und für sich als unnötig erachten. Der Eintretensentscheid fiel im April nur gerade mit einer Stimme Mehrheit. Am Donnerstag hat sich nun aber die Situation etwas geklärt. Die Kommission ergänzte die Bestimmungen über die Integrationspolitik, wonach ein Teil der Linken den Gegenvorschlag im Sinne des "kleineren Übels" unterstützte, wie Kommissionspräsident Yvan Perrin (svp., Neuenburg) mitteilte. Die Kommission empfiehlt nun dem Nationalrat, der das Traktandum am 2. Juni behandelt, mit 13 zu 11 Stimmen den Gegenvorschlag zur Annahme. Die Initiative selbst wird zur Ablehnung empfohlen; sie wird nur von der SVP unterstützt.

 "Nichtintegration ist teurer"

 Inhaltlich beschloss die Kommission zwei Ergänzungen. In den Katalog der Delikte, die zur Ausweisung führen, wurde zusätzlich zu Gewalttaten wie Mord, vorsätzliche Tötung und Vergewaltigung, zu Versicherungs- und Sozialhilfebetrug sowie schweren Wirtschaftsdelikten auch die schwere Körperverletzung aufgenommen. Angereichert wurde zudem der Integrationsartikel. Er verpflichtet alle auf die Respektierung der Grundwerte der Bundesverfassung und der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, verankert den bereits im Ausländergesetz enthaltenen Auftrag an Bund, Kantone und Gemeinden, die Integration zu fördern, und ermächtigt den Bund, notfalls Vorschriften zu erlassen. Philipp Müller (fdp., Aargau) betonte, man sei sich bewusst, dass Integration auch etwas koste: "Nichtintegration ist aber letztlich teurer."

 Folgt das Parlament im Juni diesen Anträgen, führen National- und Ständerat acht Tage vor Sessionsschluss die vorgezogene Schlussabstimmung über den Gegenentwurf durch, damit der definitive Entscheid über die Initiative in Kenntnis des Entscheids gefällt werden kann, ob der Gegenvorschlag zustande kam. In der Volksabstimmung, die bereits am 28. November stattfinden könnte, wird sowohl ein doppeltes Nein wie ein doppeltes Ja möglich sein. Für den Fall eines doppelten Ja wird der Souverän die Stichfrage beantworten müssen, ob der Initiative oder dem Gegenentwurf der Vorzug zu geben sei.

 Müller relativierte diesen Entscheid allerdings, indem er den Willen der Mehrheit bekräftigte, die Ausführungsgesetzgebung auf jeden Fall völkerrechtskonform auszugestalten. Der Gegenentwurf gebe indes dem Souverän die Möglichkeit, eine vollumfänglich umsetzbare Verfassungsänderung zu beschliessen, während sich die Initiative - wie in früheren Fällen (zum Beispiel Verwahrungsinitiative) - wegen der Widersprüche zu anderen Bestimmungen der Verfassung und des Völkerrechts nicht buchstabengetreu umsetzen liesse.

 In ersten Reaktionen äusserte die FDP ihre Befriedigung darüber, dass der ursprünglich von ihr lancierte Gegenvorschlag nun gute Chancen hat, vors Volk zu kommen. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe bedauerte zwar, dass die Nationalratskommission die völkerrechtswidrige Initiative nicht für ungültig erklären will (dieser Entscheid war bereits im April deutlich, mit 16 zu 9 Stimmen, gefallen). Die Organisation bewies aber insofern Pragmatismus, als sie den Gegenentwurf begrüsste.

 Nur für Nicht-EU-Ausländer

 Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus hingegen teilte mit, sie lehne sowohl die Initiative als auch den Gegenvorschlag ab. Das geltende Recht biete bereits "ausreichende Mittel, um in begründeten Einzelfällen kriminelle Personen ausländischer Staatsangehörigkeit auszuweisen". Die Kommission warnt auch vor dem Risiko rassistisch motivierter Ungleichbehandlung, weil das neue Recht aufgrund des Personenfreizügigkeitsabkommens praktisch nur gegenüber Ausländern aus Nicht-EU-Staaten angewendet werden könnte.

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NEONAZI-PROZESS SO
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Solothurner Zeitung 21.5.10

Im Ideologie- und Alkoholrausch

 Amtsgericht Solothurn-Lebern 22-jähriger Neonazi musste sich wegen einer Fülle von Delikten verantworten

 Er trägt Adolf Hitler auf der Brust und neigt mit zu viel Alkohol im Blut zu Gewalt: Das Amtsgericht Solothurn-Lebern urteilt über einen jungen Rechtsextremen, dessen Biografie so viele Brüche aufweist wie sein Sündenregister Straftaten.

 Samuel Misteli

 Es liegt Frederik S.* fern, einen Hehl aus seiner politischen Gesinnung zu machen. Deshalb hat er auf seiner Brust ein Porträt von Adolf Hitler eintätowiert, und deshalb sagt er mit einiger Gelassenheit Sätze wie diesen: "Nationalsozialist zu sein, ist in diesem Rechtsstaat kein Verbrechen." Schwarz gekleidet erschien der blonde, hoch aufgeschossene 22-Jährige vor dem Amtsgericht Solothurn-Lebern. Nicht sein freimütiges Bekenntnis zum Nationalsozialismus wurde dem jungen Mann vorgeworfen - aber Delikte, die zum Teil in engem Zusammenhang mit seinen Ansichten stehen. Und es waren nicht wenige Delikte, die S. zur Last gelegt wurden: 42 Straftaten, verübt mitunter im Wochentakt zwischen Mitte 2005 und Mitte 2009, listet die Anklageschrift des Staatsanwaltes auf. Fast ein Viertel der Anklagepunkte ist mittlerweile verjährt. Und glaubt man S., werden die verjährten Delikte nicht die einzigen sein, für die er nicht zur Rechenschaft gezogen wird: Es sei Tatsache, sagte er nicht prahlerisch, sondern nüchtern, dass die vorgeworfenen Straftaten lediglich einen Bruchteil dessen darstellten, was er sich habe zuschulden kommen lassen. Die Palette ist indes auch so noch überaus breit: Angriff, Körperverletzung, Raufhandel, Rassendiskriminierung, Drohung und Beschimpfung sind nur eine Auswahl der S. vorgeworfenen Tatbestände.

 Hitlergruss und Propagandaparolen

 Die Taten weisen oft ein ähnliches Schema auf: Der häufig stark betrunkene Frederik S. gerät sich mit Ausländern, mit Antifaschisten, mit Unbeteiligten in die Haare. Die Konfrontationen eskalieren regelmässig - meist ist es S., der Schläge austeilt. Intervenierende Polizisten sehen sich Drohungen und Beschimpfungen von S. ausgesetzt. Häufigster Tatort bei den drei Dutzend vorgeworfenen Straftaten war Grenchen. Auch die gravierendsten Vorfälle sollen sich dort abgespielt haben: Die Attacke einer Gruppe Rechtsradikaler auf einen Jugendlichen Ende September 2006 etwa. Das Opfer kam mit Prellungen und Schürfungen und damit relativ glimpflich davon. Frederik S. soll als Teil der Gruppe den Vorfall mindestens gefilmt - und damit den Tatbestand des Angriffs erfüllt - haben. Weiter soll S. im Juli 2006 einem Albaner mit einem Schlagring eine Rissquetschwunde beigefügt haben, im Dezember 2006 einem Barkeeper mit einem Tritt einen Nasenbeinbruch, im Mai 2007 einem Kontrahenten per Kopfstoss ebenfalls eine Nasenbeinfraktur und im Juni 2007 einem Betrunkenen mit einem Tritt ins Gesicht eine Hirnerschütterung.

 Vergleichsweise harmlos nehmen sich dagegen die fünf Anklagen wegen Rassendiskriminierung aus: Wiederholt fiel S. auf, als er in der Öffentlichkeit den Hitlergruss zeigte, Nazi-Lieder sang oder Propagandaparolen schrie.

 "Ein intelligenter junger Mann"

 Vor den Richtern sass gestern freilich kein grölender Wüterich, sondern ein Angeklagter, der sich zumeist sachlich und gelassen äusserte, der den Grossteil seiner Taten zugab und dem Gerichtspräsident Daniel Wormser ein "sehr korrektes" Verhalten attestierte. Als "intelligenten jungen Mann" sieht ihn der Psychiater. Als intelligenten jungen Mann mit zwei grossen Problemen: einer dissozialen Persönlichkeitsstörung und einem Alkoholproblem. Dass im exzessiven Alkoholkonsum ein wesentlicher Schlüssel zu den Gewalteruptionen des Angeklagten liegt, darin sind sich Staatsanwalt und Verteidiger ebenso einig wie Richter, Psychiater und Bewährungshelfer. Staatsanwalt Martin Schneider verlieh denn auch seiner Überzeugung Ausdruck, dass sich der Angeklagte vor allem deshalb seit zwei Jahren nur noch vereinzelte Delikte hat zuschulden kommen lassen, weil er sich einer Antabus-Therapie unterzieht, die ihn am Alkoholkonsum hindert.

 Als "eigentlichen Knackpunkt" bezeichnete Schneider in seinem Plädoyer die Frage, in welcher Form Frederik S. künftig therapiert werden soll. S. will weder dauerhaft Antabus einnehmen noch sich psychiatrisch behandeln lassen. "Ich glaube nicht an psychiatrischen Hokuspokus", sagt er.

 Zuerst die Matura, dann studieren

 Trotz der Weigerung des Angeklagten beantragte Staatsanwalt Schneider neben einer Freiheitsstrafe von zwanzig Monaten, einer Geldstrafe und einer Busse die Anordnung einer stationären psychiatrischen Massnahme. Die Einweisung in eine Anstalt freilich will Frederik S. um jeden Preis verhindern. Die Abneigung gründet nicht zuletzt in seiner Biografie: In seiner Kindheit - laut Staatsanwalt Schneider eine "Kindheit, wie man sie keinem Kind wünscht" - wurde S. von Pflegefamilie zu Pflegefamilie, von Heim zu Heim weitergeschoben.

 Mit neun Jahren kam S. erstmals mit der Neonazi-Szene in Kontakt. Heute nennt er sie seine Familie. Eine Berufsausbildung hat der 22-Jährige nicht absolviert. Derzeit hangelt er sich von Teilzeitjob zu Teilzeitjob und wohnt bei seiner Grossmutter im Aargau. Trotz seiner prekären Situation hat Frederik S. grosse Pläne: Er will die eidgenössische Matur absolvieren - eine ehemalige Lehrerin unterstützt ihn dabei. Danach will S. studieren: Jura - die Gesetze jenes Rechtsstaats also, der ihm zwar erlaubt, Nationalsozialist zu sein, der ihn aber nun verurteilen wird. Zu einer Freiheitsstrafe von zwanzig Monaten, wenn das Amtsgericht dem Antrag des Staatsanwaltes stattgibt, zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, wenn die Richter dem Antrag des Verteidigers folgen. Gibt das Gericht den Anträgen des Verteidigers statt, bleibt S. zudem die unerwünschte Therapie erspart.

 S. wurde mit einer Freiheitsstrafe von 40 Monaten und 20 Tagen, einer Geldstrafe von 150 Franken und einer Busse von 500 Franken bestraft. Aus knapp drei Dutzend Anklagepunkten erging lediglich ein Freispruch.

 * Name von der Redaktion geändert

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ANTI-ATOM
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Tagesanzeiger 21.5.10

Einigung für neue AKW ist in Sicht

 Stromfirmen sind laut Axpo nahe am Kompromiss für zwei neue Atomkraftwerke.

 Von Andreas Flütsch

 Seit Jahren streiten die grossen Schweizer Energiefirmen, wo neue Atomkraftwerke gebaut werden sollen. Axpo und BKW wollen gemeinsam bis 2025 zwei neue Atommeiler in Beznau und Mühleberg aufstellen, damit dort die angejahrten Vorgänger abgestellt werden können. Der Energiekonzern Alpiq, der aus der Fusion von Atel mit der Westschweizer EOS entstanden ist, will in Gösgen ein drittes AKW bauen.

 Allen ist klar, dass in der Volksabstimmung, die Ende 2013 stattfinden soll, nur ein, allenfalls zwei neue AKW eine Chance haben. Lange scheiterte ein Kompromiss daran, dass keine Partei auf einen Standort verzichten wollte. Nun scheint ein Durchbruch nahe. "Wir sind viel weiter als je gekommen", sagte Axpo-Chef Heinz Karrer am Rande einer Präsentation der Stromperspektiven der Schweiz: "Ich sehe eine grosse Chance, dass wir auf der Zielgeraden zu einer Einigung sind." Der mögliche Kompromiss besteht offenbar darin, dass alle grossen Stromfirmen gemeinsam zwei AKW bauen wollen, und zwar dort, wo die Akzeptanz der Bevölkerung am höchsten ist. Der Streit um die Standorte sei in den Hintergrund gerückt, heisst es.

 Die Schweiz braucht laut Axpo zwei neue AKW, und zwar dringender als 2005 gedacht. Der Anteil von Strom im Energiemix nehme stetig zu, desgleichen der prognostizierte Verbrauch. Im Krisenjahr 2009 ist der Verbrauch aber deutlich gesunken, was zeigt, dass der Stromhunger kein Automatismus ist.

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NZZ 21.5.10

Stromnetz als Problem-Faktor

 Axpo-Prognosen zur Versorgung

 Die aktualisierte Axpo-Studie zur Stromversorgung zeigt Schwächen bei den erneuerbaren Energien auf. Das Netz dürfte in den Debatten wichtiger werden.

 Davide Scruzzi

 Die Diskussion um neue AKW ist zu einem grossen Teil ein Streit um die richtigen Prognosen zum Stromverbrauch. Am umfangreichsten sind die Vorhersagen des Bundes, die "Energieperspektiven" mit ihren verschiedenen Szenarien, die noch vor der AKW-Abstimmung überarbeitet werden. Der Stromkonzern Axpo hat am Donnerstag die aktualisierte Version seiner energiepolitisch ebenfalls bedeutenden Studie "Stromperspektiven" vorgestellt. Unter anderem Faktoren wie Konjunktur, Klimawandel und Energieeffizienz haben zu einer leichten Reduktion der Verbrauchsprognosen bis 2050 geführt. Die Annahmen des Stromkonzerns liegen aber weiterhin meist über jenen der Szenarien des Bundes. Andere Optionen, die durch massivere Effizienzmassnahmen einen tieferen Verbrauch enthalten, werden von Axpo als unrealistisch bezeichnet. Die Wirkung steigender Preise auf die Sparsamkeit der Konsumenten wird im Übrigen als gering eingeschätzt.

 Weniger Strom aus Wasser

 Der Stromkonzern, der im Besitz der Nordostschweizer Kantone ist, prägt mit seinen "Stromperspektiven" erfolgreich den Begriff der "Stromlücke". Damit ist die Differenz zwischen dem steigenden Verbrauch und der Inlandproduktion sowie den langfristig gesicherten Stromlieferungen aus französischen AKW gemeint. Die Axpo fürchtet nun mehr als bisher, dass solche privilegierten Importe aufgrund des Drucks der EU schon bald einer teuren Auktionierung der knappen Leitungskapazitäten werden Platz machen müssen. Nach 2020 wird mit der Ausserbetriebnahme der AKW Beznau und Mühleberg ein weiterer markanter Stromanteil ersetzt werden müssen - laut Axpo mit zwei neuen Atomkraftwerken. Aufgrund von Veränderungen durch den Klimawandel (weniger regelmässige Niederschläge) und strengerer Restwasser-Regelungen rechnet Axpo mit einer Reduktion der Wasserkraftproduktion bis 2050 um 11 Prozent. Der Zubau "neuer" erneuerbarer Formen (Photovoltaik, Wind, Kleinwasserkraftwerke usw.) erfolgt unter anderem wegen raumplanerischer Probleme nur langsam. Projekte für Gaskombikraftwerke hat die Axpo wegen der geforderten Kohlendioxid-Kompensationen sistiert.

AKW-Gegner hoffen auf Netze

 Gegen mehr Importe spricht gemäss Axpo das erkennbare Risiko internationaler Stromknappheit. Zudem sei dabei mit Preisanstiegen von klar mehr als vier Rappen pro Kilowattstunde zu rechnen, durch Netzkosten und EU-Marktpreise. Die Schweiz soll also eine gewisse Versorgungsautonomie aufweisen - eine Idee, welche freilich auch den hiesigen Stromfirmen Prosperität sichert. Während Jürg Buri von der AKW-kritischen Schweizerischen Energiestiftung die Axpo-Studie bemängelt und für einen gesamteuropäischen Austausch von Ökostrom plädiert, verweist Axpo-CEO Heinz Karrer auf die knappen Leitungskapazitäten für den Import. Die Realisierung eines neuen europäischen Hochleistungsnetzes (Supergrid) sei erst noch Zukunftsmusik, so Karrer. Buri ist dazu optimistischer. Die AKW-Gegner wollen denn das - technisch anspruchsvolle - Thema Netze künftig vermehrt ins Auge fassen.

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Südostschweiz 21.5.10

Axpo schwenkt von Gas auf Atom um

 Die Optionen, um die angedrohte "Stromlücke" in der Schweiz zu stopfen, haben sich vermindert. Das zeigt der Stromkonzern Axpo in seiner neusten Analyse - und setzt voll auf neue Atomkraftwerke.

 Von Hanspeter Guggenbühl

 Zürich. - Ohne Kraftwerke gibt es keinen Strom. Ohne Netz fliesst der Strom nicht zu den Steckdosen. Umstritten ist nur, welcher Faktor die Schweizer Stromversorgung limitiert: Die Engpässe lägen beim Netz, erklärte am Mittwoch die Swissgrid, die das nationale Übertragungsnetz betreibt (Ausgabe von gestern). Eine wachsende Lücke zwischen abnehmender Kraftwerk-Kapazität und weiter steigendem Strombedarf diagnostiziert hingegen der Stromproduzent Axpo.

 Auf diese Schweizer "Stromlücke", die sich ab 2020 mit der Abschaltung der alten Atomreaktoren in Beznau und Mühleberg öffnen werde, hatte die Axpo schon 2005 in ihren Stromperspektiven hingewiesen. Gestern präsentierte sie ihre aktualisierte Studie. Gegenüber dem alten Ausblick zeigen die neuen Szenarien folgende Abweichungen:

- Die Nachfrage nach Strom steigt in der Schweiz weiter, aber etwas weniger stark, als die Axpo 2005 annahm.

- Das gesicherte Angebot nimmt schneller und stärker ab als erwartet. So könnte die Liberalisierung die privilegierte Versorgung der Schweiz aus ihren AKW-Beteiligungen in Frankreich schon ab 2012 erschweren oder verteuern. Zudem vermindern strengere Restwasservorschriften und der Klimawandel die Produktion in Schweizer Wasserkraftwerken.

- Statt ab 2020 könnte damit die Nachfrage das sichere Angebot im Winterhalbjahr schon ab 2012 überschreiten. Und ab 2030 wird die gesicherte Produktion laut Axpo nur noch 60 Prozent der prognostizierten Schweizer Elektrizitätsnachfrage im Winterhalbjahr decken.

 Im neuen Strommix fehlt Gaskraft

 Im Jahr 2005 plante die Axpo, die sich weitende Strom-Versorgungslücke zuerst mit dem Bau von Gaskraftwerken im Inland zu schliessen. Importe von Strom aus ausländischen Kohle- und Gaskraftwerken, welche die Stromexporte überwiegen, sowie die Verstromung von neuen erneuerbaren Energien sollten einen weiteren Versorgungsbeitrag leisten. Erst langfristig plante die Axpo auch den - etappierten - Bau von neuen Atomkraftwerken (AKWs) im Inland.

 Mittlerweile ist diese Vielfalt geschrumpft: Die strengen Auflagen bezüglich CO2-Kompensation bewogen die Axpo, ihre inländischen Gaskraft-Pläne zu sistieren. Auf Nettoimporte von Strom sei zu wenig Verlass, befand Axpo-Chef Heinz Karrer schon früher. In ihren aktualisierten Stromperspektiven setzt die Axpo nun - neben der Verstromung von erneuerbaren Energien - voll auf den Bau von neuen AKWs: 2023 soll laut Axpo der erste, 2027 der zweite neue Atommeiler im Inland den Betrieb aufnehmen. Doch diese Strategie ist unsicher. Denn neue AKWs gibts nur, wenn das Volk diese an der Urne befürwortet.

 Widerspruch zur Marktlehre

 Der neue Ausblick der Axpo stösst - wie der alte - auf Widerspruch von Umweltverbänden und AKW-Gegnern. Diese glauben, die Stromversorgung lasse sich allein mit der Steigerung der Stromeffizienz und erneuerbaren Energien sichern. Andere Kritiker meinen, dass die Kraftwerkkapazitäten der Schweizer Stromkonzerne im In- und Ausland zusammen schon heute die für 2030 prognostizierte Nachfrage im Inland überschreitet. Und Marktgläubige meinen, im freien Markt verhindere der Preismechanismus jegliche Lücke zwischen Angebot und Nachfrage. Die Erfahrung zeigt aber, dass der Markt beim Strom nur bedingt funktioniert.