MEDIENSPIEGEL 25.5.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Rössli, Tojo, Kino)
- Kokain BE: 4000 Linien pro Tag
- Hess-Sozhilfe-Pranger floppt
- RaBe-Info 25.5.10
- Rote Falken BE
- Stadtrats-Sitzung 27.5.10
- Graffiti-Anzeigen BE: starke Zunahme
- Käser will Rausch-Knast
- Police BE: Käser stellt Ressourcenvertrag in Frage
- Big Brother Sport: Verzwangigfachung Repressionskosten; SBB-Sorgen
- Antira-Cup Soletta: Rote Karte den RassistInnen
- Revolte BS: Shopping-Meile-Scherbenhaufen für die Polizei
- Für immer Züri Punk
- 30 Jahre Sedel LU
- Attac GE: Wieder Demo-Beteiligung
- Ausschaffung: Wieder Ausschaffungsflüge; Keine Verkürzung Haft
- Neues von Eva Herman
- Homohass: Neonazis gegen Gay Pride Bratislava
- 3. Intifada: Boykott statt Steine
- Google: Google-Gesetz; Strafanzeige
- Facebook: Datenleck
- Gipfelsoli-News 21.5.10
- Anti-Atom: 5000 an Menschenstrom gegen Atom; GösgenII-Frage; Endlager-Frage; SBB-AKW; Mühleberg-Abstimmung; Atomausstieg SG; Versorgungsfrage

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REITSCHULE
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Do 27.05.10
20.00 Uhr - Kino   - Grand Prix Visions du Réel (Nyon) 2009: L'encerclement - La démocratie dans les rets du néolibéralisme. (Die Einkesselung- die Demokratie in den Fängen des Neoliberalismus), Richard Brouillette, Kanada 2008, BETA SP, 160 Min., Ov/d
20.30 Uhr - Tojo - "Burn Out" Von Les Etoiles. Text: Michael Stauffer. Regie: Ragna Guderian.
21.00 Uhr - Rössli - Punky Reggae Night mit Djane Queen Horror und DJ Lux Vega sowie DJ Caribpunk und B.I.G.G.Y

Fr 28.05.10
20.00 Uhr - Kino - Grand Prix Visions du Réel (Nyon) 2009: L'encerclement - La démocratie dans les rets du néolibéralisme. (Die Einkesselung - die Demokratie in den Fängen  des Neoliberalismus), Richard Brouillette,  Kanada 2008, BETA SP, 160 Min., Ov/d
21.00 Uhr - Frauenraum - Tanzbar: Standard und lateinamerikanische Tänze und Disco für Frau und Frau, Mann und Mann und friends mit DJ Zardas
23.00 Uhr - Dachstock - Super Flu - live & DJ (Monaberry/Herzblut/Traum/D), Ascion (Drumcode/ITA) - Support: Tadeo Doberska (be) - Techno, Minimal, House

Sa 29.05.10
20.00 Uhr - Kino - Grand Prix Visions du Réel (Nyon) 2009: L'encerclement - La démocratie dans les rets du néolibéralisme. (Die Einkesselung - die Demokratie in den Fängen  des Neoliberalismus), Richard Brouillette,  Kanada 2008, BETA SP, 160 Min., Ov/d
20.30 Uhr - Tojo - "Burn Out" Von Les Etoiles. Text: Michael Stauffer. Regie: Ragna Guderian.
23.00 Uhr - Dachstock - Dachstock Darkside: Tech Itch (TechFreak/UK), Deejaymf (cyro.ch), VCA (Biotic Rec), Lost Sequence (DSCI4/ch)

So 30.05.10
20:00 G. - Rössli - Rag y los Hermanos Patchekos (gutfeeling) - lo-fi beat orchestra

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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kulturstattbern.derbund.ch 24.5.10

Von Manuel Gnos am Montag, den 24. Mai 2010, um 06:21 Uhr

Kulturbeutel 21/10

Herr Gnos empfiehlt:
Sollten Sie tatsächlich zu jenem Teil der Menschheit gehören, der nicht an die Bad Bonn Kilbi geht, sind Sie zwar ein hoffnungsloser Fall (siehe auch hier), Sie können sich aber anderweitig etwas Gutes tun: zum Beispiel am Mittwoch mit dem Liederzüchter Sarbach in der letztmals geöffneten Cinébar; oder am Donnerstag mit dem Power-Folk von C. Gibbs im Restaurant Kreuz in Solothurn; dann am Samstag bei der Burlesque-Show in der Progr-Turnhalle; und schliesslich am Sonntag mit dem Openair-Konzert von G.Rag Y Los Hermanos Patchekos im Innenhof der Reitschule.

(...)

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kulturagenda.be 27.5.10

"Burn out" im Tojo Theater

Der hohe Leistungsdruck, der Dauerstress und das damit verbundene Ausbrennen gehören zur gegenwärtigen Arbeitskultur. Im Stück "Burn out" thematisiert der Autor Michael Stauffer diese "strukturellen Defizite unserer Zeit". Vier Schauspielerinnen und Schauspieler stellen sie unter der Regie von Ragna Guderian dar.
Tojo in der Reitschule, Bern. Mi., 26.5., bis Sa., 29.5., 20.30 Uhr


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kulturstattbern.derbund.ch 23.5.10

Von Grazia Pergoletti am Sonntag, den 23. Mai 2010, um 11:04 Uhr

Fertig Feuer und Flamme

Foto 84 Das AUA-Festival ist schon bald vorbei, das Theater an sich aber geht trotzdem weiter, wie seit jeher. Theater ist saumässig alt, so alt ist höchstens noch die Musik (ja, und ein paar andere Dinge, einverstanden). So gesehen ist es eigentlich lustig, dass man seit Jahrzehnten gerne davon spricht, dass das Theater ausgerechnet jetzt sterben soll.

Nächste Woche wird in Bern eine Neuauflage der Produktion "Burn out" der Truppe Les Etoiles um Regisseurin Ragna Guderian gezeigt. Die köstlichen Plakate von cosmic.ch - hier ganz schlecht von mir selbst fotografiert, sorry - wurden unter die 100 besten Plakate 09 Deutschland/Österreich/Schweiz gewählt. Die Idee ist simpel und genial: Den Schauspielerinnen und Schauspielern kippte man einen Eimer Wasser über den Kopf und dann wurde abgedrückt: Ausgebrannt!

Interessant am Text von Michael Stauffer ist, dass er dem gestressten Manager (Michael Rath), der zusehends selbst überforderten Psychologin (Catriona Guggenbühl), der ratlosen Ehefrau (Hildur Ottarsdottir) und der positivistischen Ernährungsberaterin (Marie Omlin) ein Wunderkind (Michael Glatthard) gegenüber stellt, das vor lauter Unterforderung und Freiheit eine Art umgekehrtes Burn-Out erlebt, ein Vakuum der Nutzlosigkeit.

Die Aufführungen vor einem Jahr hatten ganz schöne Momente, wirkten aber nicht wirklich schlüssig. Nun hat die Truppe daran weitergearbeitet. Was dabei heraus gekommen ist, kann man ab Mittwoch im Tojo sehen.

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Kino in der Reitschule 27.-29.5.10

Neue Dokumentarfilme

Donnerstag, 27. Mai, 20.00 Uhr
Freitag, 28. Mai, 20.00 Uhr
Samstag, 29. Mai, 20.00 Uhr

L'encerclement - La démo-cratie dans les rets du néolibéralisme.
(Die Einkesselung - die Demokratie in den Fängen des Neoliberalismus), Richard Brouillette, Kanada 2008, BETA SP, 160 Min., Ov/d
GRAND PRIS, Visions du Réel 2009

l'encerclement

"Ein hageldichtes, gescheites, kritisches Thesenstück zu Wurzeln und Strategien des Neoliberalismus mit seinem globalen neokolonialistischen Effekt."  
Martin Walder, Neue Zürcher Zeitung.

Richard Brouillette brauchte zwölf Jahre für die Fertigstellung seines Films. Dabei amtierte er zugleich als Produzent, Drehbuchschreiber, Cutter und sogar Übersetzer. Er befragte dreizehn Fachleute über den Kapitalismus, den Neoliberalismus und dessen Auswirkungen und möchte diese Kenntnisse zugänglich machen. Wir sehen eine Art Theater der Sprache, das trotz der vielen Erklärungen und der Wissensvermittlung spannend ist, begleitet von der prägnanten Musik Eric Morins.  Ein Film in zwei Teilen und zehn Kapiteln: Der Schnitt ist so ausgeführt, dass sich die verschiedenen Teile überlappen. Jede Intervention ist zugleich Kommentar und Kritik der vorausgehenden Aussagen und eine Weiterführung der dargelegten Konzepte und Überlegungen. Der Filmemacher fügt Gedanken und Wissensfragmente zu einem grossen Mosaik zusammen. Es geht nicht nur um die momentane globale Wirtschaftskrise. Richard Brouillette konnte sie nicht voraussehen, aber sie wirkt wie eine unverhoffte Bestätigung.  Gibt L'Encerclement eine voreingenommene Sicht der Dinge? Es geht dem Film um mehr. Er gibt den brillantesten Vertretern und Gegnern des Neoliberalismus das Wort und nimmt den Zuschauer auf eine interessante Reise mit, damit er durch ein besseres Verständnis den möglicherweise revolutionären Weg zu selbständigem Denken und Handeln beschreiten kann.  (Quelle: Katalog Visions du Réel 2009)

weitere Infos bei http://cinelible.ch

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KOKAIN
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Sonntagszeitung 23.5.10

4000 Berner ziehen sich täglich eine Linie Kokain rein

 Eine neue Abwasser-Analyse liefert die bisher verlässlichsten Daten

Von Petra Wessalowski

 Bern Die Universität Bern hat erstmals in einem Pilotprojekt im Sommer 2009 systematisch den Kokaingehalt im Abwasser von fünf Schweizer Städten untersucht. Erste Hochrechnungen zeigen, dass knapp drei Prozent der 140 000 Berner im Alter zwischen 16 und 64 Jahren täglich eine Linie Kokain konsumieren. Bisher wurde die Durchschnittszahl der Konsumenten aufgrund von Umfragen auf rund ein Prozent geschätzt.

 Studienautor Christoph Mathieu arbeitete mit dem Gewässer- und Bodenschutzlabor des Kantons Bern zusammen, das über ein hochempfindliches Analysegerät verfügt, welches selbst Suchtstoffe von einem Milliardstelgramm pro Liter erkennt. Das konsumierte Kokain wurde mit Modellrechnungen ermittelt, welche Faktoren wie Einzugsgebiet, Volumen der Abwässer und den Stoffwechsel der Konsumenten berücksichtigen.

 Das grösste Problem der Forscher: eine Abwasser-Vergleichsprobe ohne Kokainspuren zu beschaffen. In der Kläranlage Därligen am Thunersee wurden sie schliesslich fündig. Die Messungen bestätigen auch für Bern, dass an Wochenenden mehr gekokst wird. Bei nationalen Events, wie etwa Mitte Juli während des dreitägigen Gurten-Festivals, schnellte der Konsum um weitere 50 Prozent hoch.

 2009 wurden in der Schweiz 556 Kilogramm Koks konfisziert

 Das gleiche Ergebnis zeigen die Werte aus anderen Städten wie Basel, Genf, Luzern oder Zürich (siehe Grafik). In der grössten Schweizer Stadt lieferte das Street-Parade-Wochenende Anfang August den absoluten Spitzenwert aller Proben: Ein Liter Abwasser enthielt fast 3 Mikrogramm des Kokain-Hauptabbauprodukts Benzoylecgonin. Das ist doppelt so viel wie an einem normalen Wochenende.

 Bereits Ende 2005 spürte der deutsche Chemiker Fritz Sörgel vom Nürnberger Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung Kokainrückstände im Abwasser von Basel, Bern, St. Moritz und Zürich auf. Die Resultate sorgten für Aufsehen. Sörgel errechnete für St. Moritz den Höchstwert von 14,3 Linien Kokain à 100 Milligramm. Der Wissenschafter räumte damals ein, Eintagesmessungen hätten keine wissenschaftliche Aussagekraft.

 Für den Drogenverbrauch gab es bisher keine verlässlichen Daten. "Mit dieser Analyse können wir den Konsum besser abschätzen", sagt Rudolf Brenneisen, Pharmazeut und Leiter des Pharmakologie- und Analytiklabors an der Universität Bern.

 Die Messungen zu Kokain sind denn auch erst der Anfang. Untersuchungen zu anderen Suchtmitteln und Medikamenten wie Schmerzmitteln oder Aufputschmitteln laufen bereits. Als Nächstes sollen Gewässer sowie Trinkwasser aus Grundwasserfassungen untersucht werden.

 Dass Kokain boomt, bestätigt auch die Statistik der Beschlagnahmungen: Im vergangenen Jahr konfiszierte die Polizei in der Schweiz 556 Kilogramm der Droge. So viel wie noch nie.

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HESS-PRANGER
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Zentralschweiz am Sonntag 23.5.10

Sozialhilfe-Betrüger

 Pranger erweist sich als Flop

Kari Kälin

 Unter medialem Getöse hat Erich Hess, Präsident der Jungen SVP Schweiz und Mitglied des Berner Stadtparlaments, im Juli 2009 eine Denunziantenhotline (031 398 42 00) installiert. Hess ermunterte die Bürger, mutmassliche Sozialhilfebetrüger zu melden. Gut 10 Monate nach Errichtung des Dienstes fällt die Bilanz ernüchternd aus. "Es gab nicht mehr anonyme Meldungen als sonst", sagt Sven Baumann, Generalsekretär der Stadtberner Sozialdirektion. Hess habe keine Fälle gemeldet - was dieser bestätigt.

 Immerhin seien die Behörden dank der Hotline aber doch über zwei potenzielle Schummler orientiert worden. Nach Rücksprache mit Hess deponierten die Hobbysozialdetektive ihren Verdacht bei der Verwaltung. Steuermillionen lassen sich damit keine sparen. Dafür hat Hess unterdessen wieder etwas mehr Ruhe. Zu Beginn der Aktion läutete das Telefon 8 bis 10 Mal pro Tag. Aus der ganzen Schweiz wollten aufmerksame Zeitgenossen mutmassliche Sozialhilfe- und auch IV-Betrüger anprangern. Jetzt ruft noch alle 2 Monate jemand an.

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RABE-INFO
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Di. 25. Mai 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_25._Mai_2010.mp3
- Net-City: Spielerisch den sicheren Umgang im Internet erlernen
   http://www.netcity.org
   http://www.kampagne-netcity.org
- Ohrenblicke: Reportage eines blinden Rucksacktouristen
   http://ohrenblicke.eu

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ROTE FALKEN
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Bund 25.5.10

Die Roten Falken sind zurück in Bern

 Eine Art "rote Pfadi" - das sind die Roten Falken. Die Kinder- und Jugendgruppe hat ihre historischen Wurzeln in der Arbeiterbewegung an der Wende zum 20. Jahrhundert - und ist jetzt wieder in Bern aktiv.

 Felicie Notter

 "Die Falken fliegen wieder!" Nach fast zwanzig Jahren Pause verkündet die Kinder- und Jugendgruppe ihre erneute Aktivität in Bern auf ihrer Webseite. Dabei hatte die Bewegung in der Schweiz ausgerechnet in Bern ihren Anfang genommen: Die Sozialistin Anny Klawa-Morf gründete hier in den Zwanzigerjahren die ersten Gruppen. 1930 erwarb sie das "Kinderfreundeheim Hüsi" in Belp. Dort, an der Aare, fand am Wochenende das diesjährige Pfingstlager der Roten Falken statt.

 Die Arbeiterkinder herausholen

 Die "Kinderfreunde"-Bewegung entstand im "roten Wien" der Jahrhundertwende und schwappte nach dem Ersten Weltkrieg nach Deutschland und in die Schweiz über. "Es war eine Art Kinderhilfswerk", erklärt Fabio Weiler, Ethnologiestudent, der seit Jahren bei den Roten Falken dabei ist und das diesjährige Lager mitorganisiert hat. Die Arbeiterkinder sollten aus dem Milieu der Armut heraus- und in sozialistische Werte eingeführt werden. Der Pionierin Anny Klawa-Morf schien es damals "unmöglich, dass Leute erst mit dreissig oder vierzig Jahren zu Sozialisten werden können". In der Folge wurden schweizweit bis zu vierzig Ortsgruppen gegründet.

 Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs setzte dem Aufschwung aber ein jähes Ende. "Angesichts der faschistischen Machtübernahme war die Angst gross, sich politischen Gruppierungen anzuschliessen", erklärt Weiler. Im Gegensatz etwa zu Deutschland wurden die Gruppen hierzulande nicht verboten. Doch auch nach dem Krieg konnten die Roten Falken den Mitgliederrückgang nicht wieder wettmachen. Der Landesverband wurde schliesslich 1996 aufgelöst. Auch in Bern verschwanden die aktiven Roten Falken Anfang der Neunziger; nur der Trägerverein blieb bestehen.

 Heute ist Zürich, wo die Gruppen nie ganz ausstarben, die Hauptstadt der Roten Falken. Von dort aus kommt nun auch die "Entwicklungshilfe", die Fabio Weiler in Bern leistet, und zusammen mit Nadja Olloz, Studentin der Sozialanthropologie, leitet er eine Gruppe mit regelmässigen Freizeitaktivitäten. Diese werden finanziert durch den Trägerverein, dem oft die Eltern der Kinder angehören, die einen Jahresbeitrag von zwanzig Franken bezahlen. "Während in Deutschland noch heute Gelder der SPD fliessen, stehen wir den Sozialdemokraten nur noch ideell nahe", sagt Weiler. Die Grundwerte seien dieselben geblieben: "Es sind linke Grundwerte - aber nicht auf eine Partei fixiert."

 Kinder, die für ihre Welt kämpfen

 Von den Erziehungsgrundsätzen haben nach Weiler einige gar eine gesellschaftliche Vorreiterrolle eingenommen: "Etwa die Koedukation von Mädchen und Jungen, die hat sich später nahezu flächendeckend durchgesetzt." Das Wichtigste sei aber die Partizipation: "Die Kinder sollen lernen, dass ihre Meinung gefragt ist und ernst genommen wird." Im Lager geschieht das jeden Morgen im Lagerrat. Da könne es schon mal vorkommen, dass das Programm völlig umgestellt werde. Autorität durch Vertrauen statt durch Stärke, so der Grundsatz. "Heute würde man dem wohl Kuschelpädagogik sagen."

 Die sozialistische Erziehung der Kinder ist mit der Zeit in den Hintergrund getreten, die Verankerung in der Arbeiterschaft hat sich gelockert. Die Veränderungen sind etwa ablesbar an dem "Falkenversprechen", einer Art Werte-Charta. Der erste Punkt "Ich bin ein Kind des arbeitenden Volkes" lautet nun: "Wir sind Kinder und Jugendliche, die sich für das Geschehen auf der Welt interessieren." Ihre konkreten Themen sind etwa Kinderrechte oder das Leben in der Konsumgesellschaft. "Aber der Renner sind derzeit Umweltprobleme", sagt Weiler. Im Lager können die Kinder selber Diskussionen anreissen - und wer will, macht mit. Oder sie spielen das "Sans-Papiers-Spiel". Daneben finden jedoch auch apolitische Beschäftigungen statt wie zum Beispiel der Siebdruck des Falkenlogos auf rote T-Shirts.

 "Manche Leute fragen, ob wir die Kinder indoktrinieren", erzählt Weiler. "Natürlich nicht - aber in der Erziehung werden immer irgendwelche Werte vermittelt." Wie diese bei den Roten Falken liegen, ist jedenfalls klar.

http://www.bern.rotefalken.ch

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STADTRAT
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bern.ch/stadtrat
http://www.bern.ch/stadtrat/sitzungen/termine/2010/2010-05-17.5435515083/gdb_sitzung_view

Stadtratssitzung (Traktanden)
Donnerstag, 27. Mai 2010 17.00 Uhr und 20.30 Uhr
Sitzungssaal im Rathaus
Die Stadtratssitzungen sind öffentlich zugänglich (Besuchertribüne)
Traktanden

(...)
 
8. Motion Fraktion SVPplus (Peter Wasserfallen, SVP): Innenstadt - Mehr Sicherheit durch zivile und uniformierte Fusspatrouillen der Kantonspolizei als Grundauftrag (SUE: Nause) 09.000244
 
(...)
 
13. Motion Rolf Zbinden (PdA) vom 24. Januar 2008: Kein Einsatz von Soldaten der Schweizer Armee mit durchgeladener Dienstwaffe auf dem Gebiet der Gemeinde Bern; Begründungsbericht (SUE: Nause) 08.000023
 
14. Motion Fraktion SP/JUSO (Beni Hirt, JUSO) vom 24. Januar 2008: Keine durchgeladenen Armeewaffen in unserer Hauptstadt; Begründungsbericht (SUE: Nause) 08.000024
 
15. Postulat Robert Meyer (SD): Wann endlich wieder Armee-Defilees in Bern? (SUE: Nause) 09.000302
 
(...)
 
17. Interpellation Fraktion GB/JA! (Hasim Sancar, GB): Wie viel Aufwand betreibt die Polizei für Graffiti-Ermittlungen? (SUE: Nause) 09.000361
 
(...)
 
19. Interpellation Fraktion GB/JA! (Hasim Sancar, GB): Illegale Videoüberwachung des öffentlichen Raums in der Stadt Bern! (SUE: Nause) 09.000374
 
(...)

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GRAFFITI BE
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Bund 22.5.10

12 Mal mehr Anzeigen wegen Sprayereien

 In der Stadt und der Agglomeration Bern gab es im letzten Jahr nicht weniger als 3349 Anzeigen wegen Sprayereien, was einer Verzwölffachung in den letzten fünf Jahren entspricht. Seit der Gründung des Vereins Casa Blanca im Jahr 2004 werden Schmierereien konsequenter angezeigt. Aber laut dem Jugenddienst der Kantonspolizei steigt wahrscheinlich auch die effektive Deliktzahl weiter an. Das grösste Problem seien die sogenannten Tags - kurze Schriftzüge, die in Windeseile angebracht werden. Die Aufklärungsquote ist gering. (bro) - Seite 25

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Neun Anzeigen pro Tag wegen Sprayereien in Bern und Umgebung

 In den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl der Anzeigen damit verzwölffacht.

 Christian Brönnimann

 Zuerst die nackten Zahlen: Über 2500 Anzeigen wegen Sprayereien auf Berner Stadtgebiet gingen im vergangenen Jahr bis Mitte Dezember bei der Kantonspolizei ein. Dies ist einer Antwort des Gemeinderates auf einen GB-Vorstoss zu entnehmen. Die bisher bekannten Schätzungen betrugen rund die Hälfte (siehe "Bund" vom 27. 10. 2009). In den letzten Jahren sei die Zahl der Anzeigen "stark angestiegen", schreibt der Gemeinderat. 2008 gingen gut 2200 Anzeigen ein. Auch der eingeklagte Sachschaden ist gestiegen, von 1,8 Millionen Franken 2008 auf über 2,4 Millionen Franken 2009. Das heisst, im Durchschnitt liegen pro Anzeige Schäden von knapp 1000 Franken vor.

 "Der langfristige Vergleich der Zahlen macht einen Zusammenhang mit der Aktion Casa Blanca deutlich", schreibt die Kantonspolizei auf Anfrage. Im Rahmen dieser 2004 gestarteten Aktion werden Sprayereien konsequent angezeigt. Im Jahr 2005 lag die Zahl der Anzeigen laut Polizei für Stadt und Agglomeration noch bei 278. 2006 stieg sie auf 350 und 2007 auf rund 1200. Da die Anzeigen auch rückwirkend erfasst werden, ist die Zahl für Stadt und Agglomeration für das Jahr 2009 inzwischen auf 3349 angestiegen. Damit gingen im Durchschnitt jeden Tag über neun Anzeigen ein.

 Die Aufklärungsquote bei Sprayereien lässt sich laut Kantonspolizei nicht exakt beziffern. Einen Anhaltspunkt gibt der Blick auf den Bereich der Deliktart "Sachbeschädigungen", worunter auch die Sprayereien fallen. Da lag die Aufklärungsquote im vergangenen Jahr bei zehn Prozent.

 Grösstes Problem sind Tags

 Es sei schwierig, zu beurteilen, ob nur die Zahl der Anzeigen oder auch die Zahl der tatsächlich verübten Delikte gestiegen sei, sagt Pascal Schöpfer vom Jugenddienst der Kantonspolizei. Der Jugenddienst ist für die Ermittlungen bei serienmässig begangenen Sprayereien zuständig. Wahrscheinlich sei beides der Fall, so Schöpfer. Klar sei auch, dass nach wie vor mehr "getagt" werde als noch vor einigen Jahren. Tags sind keine kunstvollen Graffiti, sondern kurze Schriftzüge, die in Windeseile angebracht werden können. "Tags sind das grösste Problem", sagt Schöpfer.

 Zu den beliebtesten Orten für Tags gehören laut Schöpfer "alle Wege zu Ausgehlokalen". Häufig machten sich Jugendliche auf dem Nachhauseweg mitten in der Nacht mit Spraydosen und Stiften an den Hausfassaden zu schaffen. Es gebe zwei Hauptmotive dazu: "Einerseits wollen die Täter ihr Revier markieren, andererseits verschaffen sie sich mit grösseren Graffiti den Respekt in der Szene." Der durchschnittliche Sprayer sei männlich, zwischen 14 und 24 Jahre jung, Mitglied einer Crew oder Bande, nachtaktiv und auf der Suche nach einem Nervenkitzel, erklärt Schöpfer.

 Wie gross der Aufwand ist, den die Anzeigeflut auslöst, kann die Polizei nicht beziffern. Für die Ermittlungen des Jugenddienstes sind in dieser Sache 150 Stellenprozente vorgesehen. Hinzu kommt die Arbeit im Rahmen der normalen polizeilichen Tätigkeit.

 Aufwand ist den einen zu gross . . .

 Für GB-Stadtrat Hasim Sancar unternimmt die Polizei zu viel bei der Bekämpfung der Sprayer. "Anstatt übermässig Zeit und Ressourcen in die Ermittlungen rund um Sprayereien zu investieren, muss die Polizei ihre Mittel gegen die Leib und Leben gefährdende Kriminalität einsetzen", schreibt er in seinem Vorstoss. In dieser Sache werde ein "kaum zu rechtfertigender Aufwand getrieben" und es komme der Verdacht auf, "dass hier Ressourcen übermässig eingesetzt werden".

 Dieser Auffassung widerspricht nun der Gemeinderat in seiner Antwort. Die Sprayereien seien "kein Kavaliersdelikt", sondern verursachten "nicht zu unterschätzende Sachschäden". Ein sehr grosser Teil der Bevölkerung empfinde Sprayereien als störend. Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) ergänzt auf Anfrage: "Ist ein Ort schmutzig und verschmiert, setzt dies die Schwelle für weitere Delikte nach unten." So sei an "Unorten" eine Negativspirale zu befürchten. Das rechtfertige den Aufwand bei Graffiti-Ermittlungen bei weitem.

 . . . den anderen zu klein

 Schützenhilfe erhält der Gemeinderat zum Beispiel von FDP-Stadtrat Philippe Müller. Gegen die Schmierereien werde zu wenig unternommen, sagt er. Schon nur die steigende Zahl der Anzeigen zeige dies deutlich. "Die Stadt müsste zudem die Sprayereien konsequenter beseitigen", sagt Müller. Die Aktion Casa Blanca sei zwar ein guter Ansatz, jedoch würden die Ideen nicht ausreichend umgesetzt. "Es gibt in Bern Sprayereien, die über Jahre hinweg nicht weggeputzt werden. Das dürfte einfach nicht sein." Laut dem Gemeinderat erbringt der Verein Casa Blanca alleine in der Innenstadt jährliche Reinigungsleistungen zwischen 270 000 und 545 000 Franken.

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RAUSCH-KNAST
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BUND 25.5.10

Bern möchte Ausnüchterungszellen nach Zürcher Modell

 Der Polizeidirektor begrüsst eine Zentrale Ausnüchterungsstelle und der politische Vorstoss dazu ist unterwegs.

 Anita Bachmann

 Mitte März hat die Zürcher Stadtpolizei 12 Ausnüchterungszellen in Betrieb genommen. Für eine Beurteilung sei es noch zu früh, aber die sogenannte Zentrale Ausnüchterungsstelle (ZAS) in der Polizeiwache Urania habe sich an den ersten Betriebswochenenden bewährt, sagt Reto Casanova, Mediensprecher des Polizeidepartements der Stadt Zürich. Besonders ist an der ZAS, die von einer privaten Medizinalfirma und einer privaten Sicherheitsfirma betrieben wird, dass die von der Polizei aufgegriffenen Betrunkenen für ihren Ausnüchterungsaufenthalt bezahlen müssen. Eine Zelle kostet je nach Aufenthaltsdauer 600 bis 950 Franken.

 Von diesem Pilotprojekt liess sich der Berner EVP-Grossrat Ruedi Löffel inspirieren. In der Fragestunde der letzten Grossratssession wollte er deshalb wissen, ob eine ZAS auch für Bern infrage käme. Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP) steht der Idee positiv gegenüber. "Ich bin jetzt daran, einen politischen Vorstoss auszuarbeiten", sagt Löffel.

 Eltern sollen Kinder abholen

 Ob Bern so viele Ausnüchterungszellen wie Zürich benötige, wisse er nicht, sagt Löffel. Untergebracht werden könnte eine ZAS aber beispielsweise im City-Notfall. Ein wichtiger Punkt seiner Motion werde die Kostenfrage sein. Im Kanton Bern fehlen die gesetzlichen Grundlagen für eine Weiterverrechnung. Käser erklärte aber vor dem Parlament, dass er die Möglichkeit dazu bereits prüfen lasse. "Minderjährige sollen von den Eltern in der ZAS abgeholt werden", sagt Löffel. Das erlaube eine Erstintervention, welche auf eine Beratung oder eine Therapie hinauslaufen könnte, sagt Löffel. Heute würden die Eltern wegen der Schweigepflicht nicht informiert. Schliesslich will er mit den Ausnüchterungszellen die Notfallstationen der Spitäler entlasten. Gemäss einer Statistik des Inselspitals wurden 2007 373 Notfallpatienten mit einer Alkoholvergiftung eingeliefert. Dies entspreche 3,3 Prozent aller Notfälle.

 Nicht alle können in die ZAS

 Obwohl Käser in der Fragestunde sagte, das Inselspital stehe der Idee einer ZAS grundsätzlich positiv gegenüber, scheint es Bedenken zu geben. Das Notfallzentrum sei für die Betrunkenen die sicherere Lösung. Viele der Patienten hätten eine starke Alkohol- oder Mischvergiftung mit Medikamenten oder Drogen und müssten deshalb medizinisch sehr intensiv überwacht werden, heisst es beim Inselspital. Dafür würden die Fachärzte der Intensivstation zur Verfügung stehen. Ähnlich tönt es aus dem Ziegler- und dem Tiefenauspital der Spitalnetz Bern AG, bei denen die Betrunkenen ebenfalls etwa 3 Prozent der Notfallpatienten ausmachen würden. Leute mit einer Alkohol- oder Mischvergiftung brauchten eine Überwachung der Herzfunktionen oder der Atmung. Eine ärztliche Triage sei zudem immer nur eine Momentaufnahme, der Zustand der Leute könne sich schnell ändern, sagt Felix Noll, ärztlicher Leiter der Notfallstationen des Ziegler- und des Tiefenauspitals. Auch wenn private Medizinalfirmen die Betreuung in einer ZAS übernehmen würden, könnten trotzdem nicht alle Betrunkenen dorthin gebracht werden, weil es ihnen zu schlecht gehen würde oder sie zusätzlich verletzt seien.

 Da liegt der Schwachpunkt am Pilotprojekt in Zürich: Wer in die ZAS kommt, erhält anschliessend eine Rechnung. Für die Kosten der Betrunkenen, die in einem noch schlechteren Zustand sind und deshalb in die Notfallstation eingeliefert werden, kommt die Krankenkasse auf. "Darüber müssen die Krankenkassen nachdenken", sagt Casanova.

 Nichts dagegen hätte Noll, wenn die Betrunkenen für ihren Aufenthalt auf der Notfallstation selber aufkommen müssten. Aber grundsätzlich gehörten sie dorthin, und obwohl sich die Alkoholnotfälle auf die Wochenenden konzentrierten, legten sie den Notfall nicht lahm. Der Unterstützung der Spitäler würde aber ein Sicherheitsdienst dienen, sagt Noll. Betrunkene seien oft aggressiv. Die Entlastung insbesondere des universitären Notfallzentrums würde einem Neuaufbau und dem Betrieb einer Ausnüchterungsstation gegenüberstehen, gab auch Käser zu Bedenken.

 Keine grosse Entlastung würde eine Zentrale Ausnüchterungsstelle für die Polizei bringen, wie Manuel Willi, Chef Region Bern der Kantonspolizei, sagt. Wenn die Polizei Betrunkene in die Ausnüchterungszellen am Waisenhausplatz bringt, stehe dies im Zusammenhang mit einer begangenen Straftat oder einer Selbst- oder Fremdgefährdung. Wenn es ganz schlimm sei, müssten die Personen in die Überwachungsstation der Insel eingeliefert werden. Auch bei der Polizei würden Betrunkene nicht unbeaufsichtigt gelassen, aber eine permanente medizinische Beobachtung existiere nicht.

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POLICE BE
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bernerzeitung.ch 22.5.10

Bernischer Polizeidirektor Käser erhöht Druck auf Stadt Bern und YB

sda / jek

 Die jüngsten Ausschreitungen von Fussballfans in Bern rufen den kantonalen Polizeidirektor Hans-Jürg Käser auf den Plan: Die Fussballklubs sollten sich endlich stärker an den Sicherheitskosten beteiligen, fordert er.

 Falls sich die Fussballklubs nicht stärker an den Sicherheitskosten beteiligen, behalte er sich als letzten Schritt vor, den Ressourcenvertrag des Kantons mit der Stadt Bern zu kündigen, bestätigte Käser am Samstag einen Bericht der Tageszeitung "Der Bund".

 Der Ressourcenvertrag regelt Preis und Leistungen der Kantonspolizei für die Stadt. Im Preis inbegriffen seien auch die Leistungen vor dem Stadion bei Fussballspielen, räumte Käser ein, allerdings "nicht in diesem Ausmass".

 Um die Grundversorgung während eines Fussballspiels sicherzustellen, reichten 25 Polizisten, sagte Käser. Doch das meisterschaftsentscheidende Spiel zwischen den Young Boys und Basel vom letzten Sonntag galt als Hochrisikospiel, deshalb standen 600 Polizisten im Einsatz.

 Damit entstanden Kosten von schätzungsweise 250'000 Franken. Davon tragen die Young Boys nur einen sehr geringen Teil: Sie berufen sich auf einen laufenden Vertrag mit der Stadt, wonach sie nur gerade 60'000 Franken pro Jahr an die Sicherheitskosten rund um die Fussballspiele zu zahlen haben.

 Das dürfe so nicht weitergehen, bekräftigte Käser gegenüber der Nachrichtenagentur SDA. Entweder würden die Kosten durch anderweitige Massnahmen nachhaltig gesenkt oder die Stadt gebe die hohen Kosten an YB weiter. Geschehe beides nicht, behalte er sich vor, den Ressourcenvertrag Kanton-Stadt zu kündigen.

 Umstrittene Mustervereinbarung

 Die kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren bedrängen die Schweizer Spitzenklubs seit längerem, mehr gegen die Gewalt im Sport zu unternehmen. Mitte April präsentierten die Kantone eine Mustervereinbarung, die sämtliche Profiklubs bis Ende Juni unterzeichnen sollen.

 Mit der Vereinbarung sollen sich die Vereine verpflichten, mehr gegen randalierende Fans zu unternehmen und enger mit den Behörden zusammenarbeiten. Je mehr der Klub für die Sicherheit unternimmt, desto weniger soll er bezahlen müssen.

 Doch die Begeisterung der Klubs über die Mustervereinbarung hält sich in Grenzen. So haben die Berner Young Boys Widerstand gegen das Abkommen signalisiert, weil sie ihrer Meinung nach bereits genügend Anstrengungen für die Sicherheit unternehmen.

 Auch andere Vereine konnten sich bislang nicht dazu durchringen, die Vereinbarung zu unterzeichnen. Sie fürchten vor allem die hohen Rechnungen, die ihnen dann von Seiten der Polizei drohen könnten.

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Bund 22.5.10

Käser droht mit der Kündigung des Ressourcenvertrags

 Polizeidirektor will die Sicherheitskosten für Sportanlässe nicht länger tragen.

 Anita Bachmann

 Der Ressourcenvertrag zwischen der Stadt Bern und dem Kanton regelt Preis und Leistungen der Kantonspolizei für die Stadt. Im Preis inbegriffen seien auch die Leistungen vor dem Stadion bei Fussballspielen - "aber nicht in dem Ausmass", sagt der kantonale Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP). Während der Finalissima zwischen dem BSC Young Boys und dem FC Basel standen 600 Polizisten im Einsatz. Gekostet haben dürfte dies mindestens so viel wie andere Hochrisikospiele, bei denen mit 250 000 Franken gerechnet wird. Im Gegenzug zahlt YB gemäss einem Vertrag mit der Stadt jährlich 60 000 Franken an die Sicherheitskosten rund um Sportveranstaltungen. Wenn die Kosten nicht nachhaltig gesenkt werden könnten oder die Stadt Bern diese nicht an die Sportklubs weiterverrechne, behalte er sich vor, den Ressourcenvertrag zu künden, sagt Käser. Denn was er früher bereits gemacht hat, kann er seit der Umsetzung der Einheitspolizei nicht mehr: selber Rechnung stellen.

 Grundversorgung: 25 Polizisten

 Käsers Ungeduld basiert möglicherweise auch auf dem Umstand, dass die Stadt Bern und die Sportvereine die Mustervereinbarung nicht unterzeichnen wollen, die die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren mit den Fussballverbänden ausgearbeitet hat. Alle Forderungen seien bereits in das eigene Vertragswerk zwischen der Stadt und den Sportklubs eingeflossen, sagt der städtische Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP). Bis auf eine Ausnahme, die Weiterverrechnung der Sicherheitskosten, die über die Grundversorgung hinausgehen. Die Grundversorgung während eines Fussballspiels würden 25 Polizisten sicherstellen, sagt Käser. Für die restlichen 575 Polizisten müsste demnach YB aufkommen. - Seite 25

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"Den Ressourcenvertrag kann man künden"

 Weil der kantonale Polizeidirektor Hans-Jürg Käser für Sicherheitsleistungen rund um Sportveranstaltungen keine Rechnungen verschicken kann, stellt er die grundsätzliche Leistungsvereinbarung zwischen Stadt Bern und Kanton infrage.

 Anita Bachmann

 Als wäre die Niederlage des BSC Young Boys im alles entscheidenden letzten Meisterschaftsspiel gegen den FC Basel nicht genug. Gezündete Pyros, Scharmützel und Sachschäden rund um die sogenannte Finalissima hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack. Einmal mehr enden die negativen Begleiterscheinungen in Rechnungen über die Kosten für Sicherheit rund um Sportanlässe. 600 Polizisten seien am Sonntag im Einsatz gestanden, liess nun der kantonale Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP) verlauten, obwohl sonst über solche Zahlen hartnäckig geschwiegen wird. Was dieser Einsatz in Frankenbeträgen ausmacht, ist nicht klar, er dürfte aber mindestens mit den seit längerem bekannten Kosten von einer Viertelmillion Franken für ein Hochrisikospiel zu Buche schlagen. "Für die Grundversorgung stehen während eines Fussballspiels 25 Polizisten im Einsatz", sagt Käser. Würde man diese Zahl in die von der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) und den Fussballverbänden ausgearbeitete Mustervereinbarung eintragen, wären die restlichen 575 Polizisten oder knapp 240 000 Franken von YB zu bezahlen. "Für jede weitere Einsatzkraft stellt die Behörde dem Sportklub () Rechnung", steht in der Mustervereinbarung. Man kann es drehen und wenden, wie man will, die 60 000 Franken, die YB seit der vergangenen Saison jährlich an die Sicherheitskosten beisteuert, reichen nirgends hin.

 Langenthal bezahlte Rechnung

 Dass die KKJPD-Mustervereinbarung nicht in Kraft ist, müsste Käser nicht daran hindern, Rechnung zu stellen. Der Stadt Langenthal hat er beispielsweise bereits 2008 für die Unterstützung der Stadtpolizei durch die Kantonspolizei an einem einzigen Eishockeyspiel eine Rechnung über 60 000 Franken gestellt. "Die Rechnung wurde bezahlt", sagt Käser. Seit es nur noch die Kantonspolizei gibt und die Städte polizeiliche Leistungen mit einem Ressourcenvertrag einkaufen, kann der Polizeidirektor aber für Leistungen der Kantonspolizei weder bei den Städten noch direkt bei den Klubs Rechnungen verschicken. Zuständige Behörde ist im Fall von YB die Stadt Bern, sie müsste die Rechnung stellen.

 Doch die Stadt stellt weder Rechnungen, noch ist sie mit den Sportklubs die KKJPD-Mustervereinbarung eingegangen. Wenn die Mustervereinbarung nicht zumindest "im Sinn und Geist" umgesetzt werde und die Stadt keine Kosten weiterverrechnen werde, sind für Käser die vertraglich festgelegten Polizeileistungen aber nun infrage gestellt. "Den Ressourcenvertrag kann man künden", sagt er. Als letzten Hebel behalte er sich diesen Schritt vor.

 Ausnahme: Kostenbeteiligung

 "Das ist für mich neu", sagt Reto Nause, städtischer Sicherheitsdirektor (CVP). Für ihn sei der Ressourcenvertrag, der noch zwei Jahre gültig ist, nicht antastbar. "Auch die Leistungen der Polizei vor dem Stadion sind im Vertrag inbegriffen", sagt er. Ebenso wenig gedenkt er, den Vertrag mit den Sportklubs nicht einzuhalten, den er seinem Vorgänger Stephan Hügli (Mitte) zu verdanken hat und der insgesamt fünf Jahre dauert. Mit der Zusatzvereinbarung, die im letzten November unterzeichnet worden ist, seien materiell alle Punkte der KKJPD-Vereinbarung erfüllt. "Mit Ausnahme der Kostenbeteiligung", sagt Nause. In der Zusatzvereinbarung sei aber eine Klausel enthalten, die erlaube, auf die Kostenbeteiligung zurückzukommen. Wenn die Sicherheitskosten nicht nachhaltig kleiner würden, müsse man über die 60 000 Franken reden, sagt Nause. Eine nachhaltige Reduktion entspreche mehr als einer Halbierung. Heute leiste die Polizei jährlich gegen 26 000 Stunden Arbeit rund um Sportveranstaltungen. 10 000 bis 12 000 Stunden wären anzustreben, sagt Nause. 2008 kostete die Sicherheit rund um Sportveranstaltungen im ganzen Kanton 2,8 Millionen Franken - selbst von der Hälfte dieses Betrags wären die 120 000 Franken, die YB und SCB heute gemeinsam leisten, ein bescheidener Beitrag.

 Selbstverständlich halte YB am Vertrag mit der Kostenbeteiligung von 60 000 Franken fest, sagt YB-Mediensprecher Albert Staudenmann. "Es hat in dieser Saison im Stade de Suisse keine Ausschreitungen gegeben", sagt er. Zudem seien bereits viele Anstrengungen unternommen worden und weitere Investitionen geplant. Die Kosten für einen zusätzlichen Fanarbeiter und eine Verlängerung des Fantrennungszauns würden von YB getragen. Auf die Fantrennung setzt der städtische Sicherheitsdirektor grosse Hoffnungen. Erste Erfahrungen wurden damit bereits in der vergangenen Saison gemacht. "Damit kann man den Aufwand erheblich reduzieren. Es braucht bis zu 100 Polizisten pro Spiel weniger", sagt Nause. Grundsätzlich ist er der Ansicht, dass der im letzten November unterzeichneten Vereinbarung noch mehr Zeit eingeräumt werden müsse. "Gewisse Massnahmen kann man rasch umsetzen, andere brauchen länger." Kernpunkte der Vereinbarung waren etwa die verschärften Eintrittskontrollen, bei denen vor allem pyrotechnisches Material abgefangen werden soll, und der Alkoholausschank - zwei Massnahmen, die auch die KKJPD-Mustervereinbarung vorsieht.

 FC Thun könnte Kosten steigern

 Käser hingegen befürchtet, dass die Kosten in der kommenden Saison eher noch ansteigen könnten. Der FC Thun ist am letzten Wochenende in die höchste Liga aufgestiegen. Sicherheitstechnisch sei das Lachen-Stadion nicht vergleichbar mit dem modernen Stade de Suisse, spielen würden aber dort die gleichen Mannschaften wie in Bern, sagt er.

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BIG BROTHER SPORT
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NZZ 25.5.10

Klubs in die Pflicht nehmen

 Immer mehr Polizei für Sicherheit in Schweizer Stadien nötig

 (sda) ⋅ Immer mehr Polizisten müssen für die Sicherheit in den Schweizer Stadien sorgen - doch die Rechnung dafür will niemand zahlen. Bund und Kantone möchten die Klubs stärker in die Pflicht nehmen und stossen dabei auf Widerstand. Im Schweizer Fussball werden beträchtliche Summen umgesetzt, die Topklubs verfügen über Budgets im zweistelligen Millionenbereich. Angesichts solcher Summen könnten die Vereine durchaus mehr für die Sicherheit rund um die Stadien tun, finden manche Politiker. Schliesslich sei ein Fussballklub ein privater Veranstalter und könne nicht erwarten, dass der Steuerzahler die hohen Sicherheitskosten einfach übernehme, sagte der bernische Polizeidirektor Hans-Jürg Käser am Samstag in der "Tagesschau" des Schweizer Fernsehens. Im Kanton Bern sind die Sicherheitskosten für Sportanlässe exorbitant gestiegen. Im Jahr 2002 wurden nur 200 000 Franken dafür aufgewendet, letztes Jahr waren es mehr als 4 Millionen Franken. Anderswo ist die Tendenz ähnlich. - Schweizweit standen letzte Saison fast 30 000 Polizisten im Einsatz, um die Sicherheit an Fussball- und Eishockeyspielen der obersten Ligen zu gewährleisten. Diese Zahl hat das Bundesamt für Polizei (Fedpol) ermittelt, wie es einen Bericht der "Sonntags-Zeitung" bestätigte.

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sf.tv 24.5.10

Jedes Hochrisikospiel kostet Steuerzahler 250'000 Fr.

sda/fasc

 Immer mehr Polizisten müssen für die Sicherheit in den Schweizer Stadien sorgen - doch die Rechnung dafür will niemand bezahlen. Bund und Kantone möchten die Klubs stärker in die Pflicht nehmen und stossen dabei auf Widerstand. Jedes Hochrisikospiel beispielsweise kostet rund 250'000 Franken. Die Kosten sind im Kanton Bern in den vergangenen acht Jahren um das 20-fache gestiegen. Diese berappt der Steuerzahler.

 Im Schweizer Fussball werden beträchtliche Summen umgesetzt, die Top-Klubs verfügen über Budgets im zweistelligen Millionenbereich. Angesichts solcher Summen könnten die Vereine durchaus mehr für die Sicherheit rund um die Stadien tun, finden manche Politiker.

 Schliesslich sei ein Fussballklub ein privater Veranstalter und könne nicht erwarten, dass der Steuerzahler die hohen Sicherheitskosten einfach übernehme, sagte der bernische Polizeidirektor Hans-Jürg Käser am Samstag in der "Tagesschau" des Schweizer Fernsehens.

 600 Polizisten bei der "Finalissima"

 Im Kanton Bern sind die Sicherheitskosten für Sportanlässe exorbitant gestiegen. Im Jahr 2002 wurden 200'000 Franken dafür aufgewendet, letztes Jahr waren es mehr als vier Millionen Franken. In anderen Kantonen ist die Tendenz ähnlich.

 Schweizweit standen letzte Saison fast 30'000 Polizisten im Einsatz, um die Sicherheit an Fussball- und Eishockey-Spielen der obersten Ligen zu gewährleisten. Diese Zahl hat das Bundesamt für Polizei (fedpol) ermittelt, wie es einen Bericht der "SonntagsZeitung" bestätigte.

 Für einen Fussballmatch der Super League brauchte es demnach im Schnitt 101 Polizeikräfte. In Hochrisikospielen sind es weit mehr; so standen bei der "Finalissima" YB-Basel rund 600 Polizisten im Einsatz. Ein Hochrisikospiel verursacht Kosten von etwa einer Viertelmillion Franken.

 YB und SCB zahlen pauschal 60'000 Franken

 Angesichts solcher Zahlen drängen die kantonalen Polizeidirektoren die zehn Super-League-Klubs dazu, bis Ende Juni eine Vereinbarung mit den Behörden zu unterzeichnen. Darin sollen sich die Vereine verpflichten, mehr für die Sicherheit zu tun - oder aber deutlich mehr an die Kosten für die Polizeieinsätze zu zahlen.

 Die Begeisterung der Klubs hält sich allerdings in Grenzen - die Verhandlungen mit den Behörden verlaufen vielerorts harzig. YB zum Beispiel will die Vereinbarung nicht unterzeichnen. Schliesslich habe man einen laufenden Sicherheitsvertrag mit der Stadt Bern, sagt Sprecher Albert Staudenmann. YB muss - wie der SC Bern - jährlich nur eine Pauschale von 60'000 Franken zahlen, der Rest geht zu Lasten der öffentlichen Hand.

 Keiner will "schwarzer Peter" sein

 Die Stadt Bern steht nach wie vor hinter dem Vertrag, wie Stadtpräsident Alexander Tschäppät und Sicherheitsdirektor Reto Nause am Wochenende signalisierten. Das könnte ihnen aber Ärger mit dem Kanton bescheren. Denn der bernische Polizeidirektor Käser mahnte die Stadt Bern und YB, die Kostenfrage neu aufzurollen.

 Andererseits behalte er sich vor, den Ressourcenvertrag Kanton-Stadt zu künden, wie Käser einen Bericht im "Bund" bestätigte. Der Ressourcenvertrag regelt, welche Leistungen die Kantonspolizei auf Stadtgebiet erbringt. Die Stadt zahlt dafür pauschal 28 Millionen Franken.

 YB wehrte sich derweil gegen die "Schwarzpeter-Rolle". "Wir investieren schon heute viel in die Sicherheit", sagte YB-Sprecher Staudenmann. Zusätzlich werde man jetzt den Fan-Trennungs-Zaun ausserhalb des Stadions verlängern; alleine dies koste über 100'000 Franken - ein Beitrag, den YB freiwillig zahle.

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Newsnetz 23.5.10

30'000 Polizisten im Einsatz gegen Schweizer Hooligans

sda / raa

 Grossaufgebot gegen Randale an Sportanlässen: In der abgelaufenen Saison mussten fast 30'000 Polizisten bei Fussball- und Eishockey-Spielen der obersten Ligen Gewalt verhindern.

 Für einen Fussballmatch der Super League brauchte es im Durchschnitt 101 Polizeikräfte. Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) bestätigte einen einen entsprechenden Bericht der "SonntagsZeitung". Diese Polizisten waren jeweils etwas mehr als sechs Stunden im Einsatz. Weniger Polizeipersonal war an Eishockeyspielen der National League A erforderlich: Pro Match sorgten durchschnittlich 29 Polizisten während 4,6 Stunden für Sicherheit.

 Zähle sie alle Einsätze zusammen, ergebe das insgesamt 160'111 Einsatzstunden, sagte Fedpol-Sprecherin Eva Zwahlen am Sonntag auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA. Mehr als zwei Drittel der Polizeiarbeit gehen auf das Konto des Fussballs: An 180 Spielen wandte die Polizei insgesamt 111'803 Stunden auf. Für die 368 Eishockeyspiele betrug der Aufwand 48'380 Stunden.

 Die Angaben des Fedpol basieren auf Zahlen des elektroischen Informationssystems Hoogan. Darin speichern die lokalen Polizeien ihre Berichte über die Einsätze bei den jeweiligen Sportveranstaltungen. Noch nicht erfasst sind bislang die Fussballspiele der letzten Runde und die Auf- und Abstiegsspiele, die noch stattfinden werden.

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Sonntagszeitung 23.5.10

Hooligans kosten 30 Millionen

 Die Ausgaben für Polizeieinsätze und Schäden an den SBB auf Rekordhoch

 Von Matthias Halbeis und David Bauer

 Zürich Erstmals lässt sich genau beziffern, wie teuer die Polizeieinsätze bei Meisterschaftsspielen im Fussball und Eishockey sind: In der abgelaufenen Saison waren es 27,5 Millionen Franken. Dazu kommen Schäden an SBB-Sonderzügen in der Höhe von drei Millionen Franken. Die Steuerzahler in den Städten, Kantonen und beim Bund begleichen somit eine Rechnung von mehr als 30 Millionen Franken, um Ausschreitungen an Sportveranstaltungen zu verhindern - mehr denn je. Der Basler Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass erklärt: "Unsere Kosten sind in der letzten Saison nochmals angestiegen, von drei auf jetzt dreieinhalb Millionen Franken." Gleichzeitig hat sich der Kostenteiler zwischen dem FC Basel und dem Kanton verschoben - erneut zuungunsten des Steuerzahlers. 87 Prozent der Sicherheitskosten bezahlte er in der letzten Saison.

 Laut Gass kostet ein Aufgebot der Basler Polizei für ein Hochrisiko-Spiel des FCB inzwischen 260 000 Franken. Für Spiele mit mittlerem und tiefem Risiko schlagen Kosten von 180 000 respektive 100 000 Franken zu Buche. In Basel hat sich der Aufwand in den letzten sieben Jahren verdoppelt. Gemäss Gass sind diese Beträge auch für Aufgebote in anderen Städten repräsentativ.

 Die Vollkosten für einen Polizisten veranschlagen mehrere Korps mit 1000 Franken pro Tag. Dies auch deswegen, weil der Dienst bei Meisterschaftsspielen derart lange dauert, dass die Polizisten am entsprechenden Tag keine anderen Aufgaben mehr erfüllen können. Die Einsätze bei Sportveranstaltungen gehen zulasten normaler Polizeiaufgaben.

 Widerspenstige Klubs werden stärker zur Kasse gebeten

 Die Berechnung der gesamtschweizerischen Zahlen stützt sich auf Informationen des Bundesamtes für Polizei (Fedpol). Dieses sammelt alle Matchverlaufsberichte, welche die Polizeikorps nach den Spielen nach Bern leiten.

 Gemäss Fedpol boten die Kommandanten während der Saison 2009/2010 für Fussballspiele insgesamt 17 230 Polizisten auf, bei Eishockeyspielen waren 10 218 Mann im Einsatz. Insgesamt wandte die Polizei 160 183 Stunden auf, um die Sicherheit für 180 Fussball- und 368 Hockeymatches zu garantieren. Weil im Fussball noch Auf- und Abstiegsspiele im Gange sind, werden sich die Einsatzstunden nochmals leicht erhöhen.

 Die Zahlen des Fedpols überraschen den Präsidenten der kantonalen Polizeikommandanten, Pierre Nydegger, nicht. Der Freiburger Kapo-Chef sagt: "Aufgrund unserer eigenen Erfahrung mit Spielen des Hockeyklubs Fribourg-Gottéron habe ich diesen Umfang erwartet." Die Höhe der Gesamtkosten findet der Berner Polizeidirektor Hans-Jürg Käser "erschreckend". So könne und dürfe es nicht weitergehen. Dafür habe die Konferenz der Polizeidirektoren (KKJPD) das Massnahmenpaket gegen Gewalt im Sport verabschiedet. Durch verstärkte Zusammenarbeit mit den Klubs will Käser erreichen, dass die Zahl der Einsatzkräfte "auf ein tragbares Mass heruntergefahren werden kann". Klubs, die nicht kooperieren, sollen stärker zur Kasse gebeten werden. KKJPD-Vizepräsidentin Karin Keller-Sutter sieht erste positive Effekte der härteren Haltung: "Die Verantwortlichen in den Klubs begreifen immer besser, dass die Geduld der Steuerzahler am Ende ist."

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Zentralschweiz am Sonntag 23.5.10

Max Friedli, Direktor Bundesamt für Verkehr

 Fan-Züge: Klubs sollen zahlen

 Randalierende Fans verursachen den SBB Schäden in Millionenhöhe. Jetzt hat der Bund genug.

 bu. Max Friedli, der Direktor des Bundesamtes für Verkehr, spricht sich für eine härtere Gangart gegen randalierende Fans aus. Im Interview mit der "Zentralschweiz am Sonntag" fordert er, dass Schäden an Sonderzügen den Vereinen in Rechnung gestellt werden. "Die Verbände und Clubs können sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen und sagen, es handle sich um ein gesellschaftliches Problem", sagt Max Friedli.

 Gleichzeitig wirft er den Vereinen vor, zu wenig konsequent gegen Krawallmacher vorzugehen. "Wenn ich ins Ausland schaue, habe ich den Eindruck, dass dort vom Staat und von den Sportvereinen rigoroser vorgegangen wird." Die Transportpflicht der SBB habe ihre Grenzen, so Friedli. Ausnahmen seien bereits heute möglich, etwa bei Betrunkenen.

 Laut den SBB beliefen sich die Schäden bei Fan-Zügen im vergangenen Jahr auf 3 Millionen Franken.

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Fanzüge

 "Schäden den Vereinen in Rechnung stellen"

 adm/eno

 Die SBB stellen in Frage, ob sie künftig randalierende Fans noch transportieren sollen. Sie wollen auf jeden Fall eine Lockerung von der Beförderungspflicht. Macht dies Sinn?

 Max Friedli: Dass man nicht einfach hinnimmt, dass nach gewissen Sportereignissen das Rollmaterial mutwillig kaputtgemacht und der öffentliche Verkehr gestört wird, ist verständlich. Man muss sich in der Tat überlegen, was für Massnahmen zu ergreifen sind. Denn nebst den eigentlichen Schäden, die ins Geld gehen, sind gewöhnliche Zugsbenützer einfach nicht mehr bereit, Störungen und Verspätungen einfach so hinzunehmen.

 Das heisst?

 Friedli: Ich bin überzeugt, dass die Bereitschaft der grossen Masse der Besucher je länger, je kleiner wird, über den Billettpreis von Sportveranstaltungen auch für die zum Teil massiven Sicherheitsaufwendungen oder eben auch für Schäden an Transportfahrzeugen aufzukommen. Da muss etwas geschehen. Ideen gibt es viele.

 Macht man in der Schweiz zu wenig gegen randalierende Fans?

 Friedli: Sicher ist, dass man dieses Problem nicht einfach so hinnehmen darf, auch wenn es sich letztlich um ein gesamtgesellschaftliches Problem handelt. Aber wenn ich ins Ausland schaue, habe ich den Eindruck, dass dort vom Staat und von den Sportvereinen aus rigoroser vorgegangen wird. In der Schweiz werden nach wie vor nicht alle Möglichkeiten ausgenützt. Ich bin regelmässig im Berner Stade de Suisse. Immer in den gleichen Ecken werden Fackeln von den gleichen Leuten abgebrannt. Ich finde, die Schweizer Sportvereine machen viel zu wenig gegen diese angeblichen Fans, die sich nicht an die Regeln halten.

 Sie sagen also auch, dass Sportvereine für die Schäden ihrer Fans in den Transportfahrzeugen aufkommen sollen.

 Friedli: Ja, die Verbände und Clubs können sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen und sagen, es handle sich um ein gesellschaftliches Problem. Das ist es zwar auch, aber für meinen Geschmack - und ich gehe oft an Fussball- oder Eishockeymatches - unternehmen die Vereine zu wenig. Es ist mir auch klar, weshalb. Es ist unangenehm, gegen solche Personen vorzugehen. In anderen Ländern haben die Behörden und Vereine bei weit grösseren Besucherzahlen Nulltoleranz durchsetzen können. Ich sehe nicht ein, weshalb das nicht auch bei uns machbar sein soll.

 Was schlagen Sie vor?

 Friedli: Man soll Spezialzüge für Fans machen und den Vereinen die Kosten für die Schäden anschliessend in Rechnung stellen. Die Transportpflicht der SBB hat Grenzen. Das gilt schon heute, für Betrunkene, Leute unter Drogeneinfluss oder sonstwie renitente Personen. Hier sieht das Gesetz auch jetzt bereits Ausnahmen vor.

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ANTIRA-CUP SOLETTA
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Langenthaler Tagblatt 25.5.10

Den Rassisten die rote Karte gezeigt

 Solothurn Der "Antira-Cup Soletta" macht vor, dass Fussball ohne Gewalt und Rassismus auskommt

 Unter dem Motto "Love Football - Hate Racism" fand bereits das vierte antirassistische Fussballturnier in Solothurn statt. Obwohl der Spass im Vordergrund stand, wurde an den Infoständen auch über ernste Themen diskutiert. Im Fokus stand dabei die kommende WM in Südafrika.

 Christoph Neuenschwander

 Reggae-Musik schallt über das Gelände des Vorstadtschulhauses in Solothurn. An Verkaufsständen werden Bratwürste und T-Shirts feilgeboten. Hunderte von Jugendlichen haben es sich auf dem Rasen oder an den Festbänken gemütlich gemacht. Die Atmosphäre erinnert an ein Open air. Zugejubelt wird jedoch nicht Musikern, sondern den Fussballern, die sich jenseits der Bänke tummeln. Auf vier Plätzen kämpfen derzeit gleich acht Mannschaften um den Eintritt ins Achtelfinale. 16 weitere Teams sitzen am Spielfeldrand, schauen zu und warten auf ihren nächstes Match. Das alljährliche Grümpelturnier mit dem Namen "Antira-Cup Soletta" ist in vollem Gange.

 Problematische WM

 Seit das Solothurner Fussballturnier 2007 im Rahmen der Antifaschisten-Kampagne "Die Dinge in Bewegung bringen" erstmals durchgeführt wurde, hat es sich als fester Bestandteil des linken Veranstaltungskalenders etabliert. Und dies landesweit, wie es scheint. Etwa die Hälfte der 24 Teams stammt aus der Region Solothurn; der Rest ist teilweise von weit her angereist. Unter den Teilnehmenden finden sich Oberwalliser, Luzerner, Berner und Zürcher Mannschaften.

 Mehrere Pokale

 Wer gewinnt, ist freilich nebensächlich; Pokale erhalten nicht nur die Sieger, sondern auch die Mannschaften mit den besten Trikots und den treusten Fans. Es geht, wie bei jedem Grümpelturnier, um den Spass. Aber auch darum, ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen gegen Gewalt und Rassismus, die leider beide bei grösseren Fussballanlässen oft mit dabei sind.

 In diesem Sinne ist es den Mitgliedern der Antirassistischen Aktionsgruppe ein Anliegen, auch auf die Missstände und Probleme der kommenden Weltmeisterschaft in Südafrika aufmerksam zu machen. Vielen Fussballfans hierzulande sei "mangels Wissen oder mangels Interesse" nicht bewusst, dass mehr als 15 Jahre nach der Apartheid Weisse in vielen Unternehmen immer noch bevorzugt werden, dass zwecks Stadionbauten Tausende Menschen aus den Armenvierteln zwangsumgesiedelt wurden oder dass Polizeigewalt und repressive Massnahmen auf die WM hin zunehmen, um die Kriminalität kurzfristig, aber ineffizient zu bekämpfen.

 Fairness ohne Schiri

 An Infoständen wird deshalb am "Antira-Cup Soletta" auf die Gefahren des Rassismus im Sport hingewiesen. Ausserdem soll ein Shakehands vor jedem Spielbeginn sowie die Abwesenheit eines eigentlichen Schiedsrichters (lediglich "Spielbeobachter" stehen zur Verfügung) die Teams für ein faires Miteinander auf dem Rasen sensibilisieren.

 Die Idee eines antirassistischen Fussballturniers stammt ursprünglich aus Bologna (Italien), wo seit Jahren der Anlass "Mondiali Antirazzisti" mit über 200 Mannschaften aus der ganzen Welt stattfindet. Der Cup in Solothurn wiederum hat andere Regionen der Schweiz zur Nachahmung inspiriert. So wird heuer, wie schon im vergangenen Jahr, auch in Luzern ein Turnier ausgetragen. Mit grosser Wahrscheinlichkeit finden dieses Jahr ebenfalls in Bern und im Oberwallis Ableger des "Antira-Cups" unter deren Motto "Love Football - Hate Racism" statt.

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REVOLTE BS
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Basler Zeitung 25.5.10

Ladenbesitzer fordern mehr Schutz

 Polizeidirektor Gass prüft, ob die Polizeipräsenz an Hotspots verstärkt werden soll

 Markus Prazeller

 Am Wochenende richteten Chaoten in der Innenstadt erhebliche Schäden an. Das Gewerbe ist alarmiert, Polizeidirektor Hanspeter Gass will reagieren.

 Nach dem verheerenden Saubannerzug durch die Freie Strasse ist die Empörung unter Ladenbesitzern und Politikern gross. Gewerbedirektor Peter Malama (FDP) zeigte sich bestürzt über die massiven Sachbeschädigungen am Wochenende. "Das Gewerbe leidet nicht zum ersten Mal unter bewilligten und nicht bewilligten Demonstrationen", so Malama. Den Ladenbesitzern empfiehlt er, Anzeige gegen unbekannt einzureichen.

 Am späten Freitagabend waren Unbekannte durch die Freie Strasse gezogen und hatten rund achtzig Schaufenster zertrümmert und zehn parkierte Autos beschädigt. Nach ersten Schätzungen beläuft sich der Schaden auf rund 350 000 Franken. Aufgrund der Parolen, die auf mehrere Gebäude gesprayt wurden, vermutet die Staatsanwaltschaft die Täter im linksautonomen Lager. Auch im Internet tauchten entsprechende Hinweise auf. Bereits am 1. Mai hatten mehrere Vermummte grossen Schaden in der Innenstadt angerichtet. Damals nahm die Polizei fünf Beteiligte fest, von den Tätern der jüngsten Sachbeschädigungen fehlt bisher jede Spur.

 Mehr Polizisten

Derweil wird unter den Ladenbesitzern die Forderung nach mehr Polizeipräsenz laut. Gewerbedirektor Malama könnte sich den Einsatz von zusätzlichen Überwachungskameras in den Ladengeschäften vorstellen.

 Im Interview mit der BaZ zeigt Justiz- und Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass (FDP) Verständnis für den Ärger der Gewerbetreibenden. Er wolle sich in den nächsten Tagen mit der Polizeileitung über mögliche Massnahmen austauschen. Gass schliesst nicht aus, dass die Polizeipräsenz an Hotspots wie dem Barfüsserplatz erhöht wird. "Ich persönlich könnte mir eine Art mobilen Polizeiposten vorstellen, wie wir ihn auch an der Herbstmesse im Einsatz haben", so Gass.

 Der FDP-Politiker warnt jedoch vor unrealistischen Erwartungen. Aktionen wie am Freitag könnten auch mit mehr Polizisten nicht verhindert werden. "Feige Anschläge aus dem Hinterhalt sind immer möglich." > Seite 23

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Die Täter kamen wie aus dem Nichts

Basel. Chaoten richten in der Freien Strasse Schäden von 350 000 Franken an

 Markus Prazeller

 In der Nacht auf Samstag schlagen Unbekannte in der Innenstadt innerhalb weniger Minuten die Schaufenster von vierzig Geschäften ein. Ihr Vorgehen erinnert an den Saubannerzug am 1. Mai.

 Die Freie Strasse gleicht einem Schlachtfeld. Es ist Freitagabend, kurz vor 23 Uhr. Überall liegt zerstörtes Glas, an den Gebäuden prangen einschlägige Parolen wie "Reclaim the streets" - holt euch die Strassen zurück. Die Polizei riegelt die Freie Strase grossräumig ab. Zeugen werden befragt. Ein herbeieilender Ladenbesitzer verwirft die Hände. "Was ist hier nur passiert?" - Fassungslosigkeit ist zu spüren.

 Es war gegen 22.30 Uhr. Eine Horde von Vermummten zieht von der Streitgasse her in die Freie Strasse, bewaffnet mit Bauhämmern und Spraydosen. Sie zerstören rund 80 Schaufenster von beinahe allen Geschäften in der Strasse. Auch zehn abgestellte Autos werden beschädigt. Nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei. Auf Höhe der Rüdengasse zerstreut sich die Gruppe. Die Tatwerkzeuge bleiben auf der Strasse liegen.

 Durch die Anrufe mehrerer Passanten und den Einbruchalarm in der Bijouterie Mezger erfährt die Polizei vom Saubannerzug - und kommt zu spät. Eine sofort eingeleitete Fahndung bleibt erfolglos. Markus Melzl von der Staatsanwaltschaft: "Es ging alles unglaublich schnell." Laut einer ersten Berechnung einer Glaserei könnte sich der Schaden auf 350 000 Franken belaufen. Vielleicht mehr.

 Linksautonome

Es ist nicht der erste derartige Vorfall in Basel. Am 1. Mai zogen Vermummte am späten Abend durch die Innenstadt und richteten vor allem in der Clarastrasse zum Teil massive Schäden an. Von den rund 120 Beteiligten konnte die Polizei 15 festnehmen. Wie damals rechnen die Ermittlungsbehörden die Täter dem linksautonomen Lager zu. Die Parolen und entsprechenden Flyer auf der Strassen legen diesen Schluss nahe.

 Und auch das Vorgehen gleicht sich. Am 1. Mai schlossen sich die Chaoten zunächst einer spontanen Demonstration von Harassenlauf-Befürwortern an. Im jüngsten Fall sind die Täter wahrscheinlich mit einem Demonstrationszug mitmarschiert, der laut Transparenten mehr Freiräume für Jugendliche forderte und sich gegen das Pyro-Verbot richtete. Laut mehreren Jugendlichen, die der Demo gefolgt waren, hätten sich auf der Höhe Streitgasse mehrere Teilnehmer vermummt und seien in Richtung Freie Strasse gelaufen.

 Heute Dienstag beginnt die Staatsanwaltschaft mit der Auswertung des Beweismaterials. Hinweise erhofft sie sich von den Überwachungskameras der betroffenen Läden und den liegengelassenen Tatwerkzeugen.

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"Völlig neue Dimension von Gewaltausübung"

 Basel. Hanspeter Gass erklärt, wieso die Polizei bei den Vandalenattacken auf mehrere Läden zu spät kam

Interview: Markus Prazeller

 Nach den jüngsten Sachbeschädigungen in der Freien Strasse will Polizeidirektor Hanspeter Gass (54) die Polizeipräsenz an sogenannten Hotspots ausbauen.

 In der Nacht auf Samstag richteten Unbekannte in der Freien Strasse einen Schaden von mindestens 350 000 Franken an (siehe Text unten). In Interview zeigt sich Polizeidirektor Hanspeter Gass (FDP) empört über die "feigen Anschläge".

 BaZ: Herr Gass, Sie waren nach dem Saubannerzug selbst in der Freien Strasse. Was ging Ihnen beim Anblick der Zerstörung durch den Kopf?

 Hanspeter Gass: Es ging mir wie wahrscheinlich den meisten, die seither in der Freien Strasse waren. Es kamen Gefühle hoch wie Ärger, Empörung, Unverständnis und Wut. Und es bleibt die Frage: Was treibt diese Leute an, dass sie mit einer solchen Zerstörungswut durch eine Strasse ziehen und alles kaputt schlagen?

 Haben Sie eine Antwort auf diese Frage?

 Das sind gesellschaftliche Entwicklungen: Für eine zunehmende Zahl von Jugendlichen gehört es offenbar zu einer Art Freizeitbeschäftigung, in der Stadt oder auch an Sportveranstaltungen in blinder Wut Gewalt auszuüben. Diese Jugendlichen fallen nicht einfach vom Himmel. Das sind Söhne und Töchter von Menschen, die hier in der Region leben und verwurzelt sind. Das stimmt mich nachdenklich. Ich orte eine gewisse Vernachlässigung von Werten wie Anstand und Respekt.

 Bereits am 1. Mai kam es in der Innenstadt zu einem Saubannerzug. In beiden Fällen wurde die Polizei auf dem falschen Fuss erwischt.

 Wir sprechen hier von einer völlig neuen Dimension von Gewaltausübung. Es gab keine Hinweise auf die Tat, keine Ankündigung. Alles passierte in wenigen Minuten.

 Die Polizei scheint solchen Aktionen machtlos ausgeliefert.

 Mit den neuen Kommunikationsformen haben die Täter auch neue Instrumente in der Hand, um ihre Taten minutiös zu planen und schnell zu mobilisieren. Hier steht die Polizei - nicht nur in Basel - vor einer neuen Herausforderung.

 Kurz vor der Tat demonstrierten Jugendliche in der Stadt gegen das Pyro-Verbot. Die Polizei könnte mit dem Strafverfahren gegen FCB-Spieler Xherdan Shaqiri gewaltbereite Chaoten auf den Plan gerufen haben.

 Das habe ich jetzt auch mehrmals im Internet gelesen. Oftmals richteten sich die Vorwürfe auch gegen meine Person. Diese Leute verkennen jedoch die Realität. Erstens kann ich als Regierungsrat meinen Polizisten nicht vorschreiben, wen sie zu büssen haben und wen nicht. Wir leben ja nicht in einer Bananenrepublik. Zweitens kann es nicht sein, dass die Polizei zwischen Prominenten und Nichtprominenten unterscheidet. Wenn ein Vergehen festgestellt wird, hat der Polizist seine Arbeit zu tun.

 Nach den Zerstörungen am Wochenende verlangen Ladenbesitzer nach mehr Polizeipräsenz. Kommen Sie dieser Forderung nach?

 Ohne mich konkret zur Polizeitaktik zu äussern: Die Polizeileitung hat für die nächsten Tage Sofortmassnahmen ergriffen. Über längerfristige Massnahmen werden wir noch in dieser Woche diskutieren.

 Wie könnten diese aussehen?

 Es ist denkbar, dass wir die Präsenz an weiteren Hotspots wie beispielsweise dem Barfüsserplatz verstärken. Ich persönlich könnte mir eine Art mobilen Polizeiposten vorstellen, wie wir ihn auch an der Herbstmesse im Einsatz haben. Man muss jedoch sehen: Wir haben begrenzte Ressourcen. Wenn mehr Polizisten auf dem Barfi sind, fehlen sie an anderen Orten, beispielsweise in den Quartieren.

 Konkret heisst das: Sie fordern mehr Personal.

 Feige Anschläge aus dem Hinterhalt können - unabhängig vom Personalbestand - überall und jederzeit stattfinden. Die Polizeileitung wird sich deshalb über die zu treffenden Gegenmassnahmen Gedanken machen und mir berichten. Für Schlussfolgerungen ist es zu früh.

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sf.tv 22.5.10

Saubannerzug verwüstet Basler Einkaufsmeile

sz/blur

 15 bis 20 Vermummte haben in der Nacht auf Samstag in der Freien Strasse in Basel eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Bei über zwei Dutzend Einkaufsgeschäften wurden die Schaufensterscheiben eingeschlagen Die Staatsanwaltschaft Basel beziffert den Schaden auf mehrere hunderttausend Franken. Trotz ausgelöstem Alarm konnten die Täter unerkannt flüchten.

 Über 100 Personen zogen gestern gegen 22:30 Uhr mit Fackeln und "Pyros" durch die Steinenvorstadt Richtung Barfüsserplatz. Plötzlich hätten sich 15 bis 20 Vermummte aus dem Zug gelöst und stürmten in die nahegelegene Freie Strasse, die Basler Shoppingmeile. Innert kürzester Zeit wurden bei gegen 30 Geschäften Schaufenster und Vitrinen zerstört, sagt Markus Melzl Mediensprecher der Basler Staatsanwaltschaft auf Anfrage von "tagesschau.sf.tv".

 Alarmiert wurde die Polizei durch den Einbruchsalarm bei einer Bijouterie und von mehreren Augenzeugen. Als die Polizei mit einem Grossaufgebot eintraf, waren die Täter bereits in unterschiedliche Richtungen geflüchtet.

 Aufgeschreckt durch den Alarm wurde auch der Besitzer der Bijouterie Urs Mezger: "Als ich am Tatort eintraf, war die Freie Strasse weiträumig abgesperrt. Drei Scheiben waren zerstört, gestohlen wurde dank dem Spezialglas aber nichts. Der Schaden beträgt rund 10‘000 Franken. In den vergangenen Jahren war unser Geschäft mehrmals Opfer von Einbruchversuchen, einen Vandalenakt dieser Art habe ich bisher erst einmal bei einer WEF-Demo erlebt", sagt Urs Mezger.

 Bereits vor drei Wochen wüteten Chaoten

 Trotz dem Grossaufgebot von Polizei, Grenzwacht und Verstärkung aus dem Kanton Baselland konnten die Täter unerkannt flüchten. "Wir haben mehrere Kleidungsstücke und Bauhämmer sichergestellt. Kriminaltechniker werden sich jetzt um diese Material kümmern. Auf Grund der antikapitalistischen Sprayparolen vermuten wir, dass die Täter aus dem linksautonomen Lager kommen sagt Markus Melzl gegenüber "tagesschau.sf.tv".

 Der erneute Saubannerzug weist Parallelen auf mit jenem vom vergangenen 1. Mai. Damals zogen rund 120 Personen durch die Basler Innenstadt . Auf der Strecke wurden Häuser und Trams mit Farbe versprayt. Vor dem Clara-Polizeiposten schleuderten Chaoten Farbbeutel, Stühle, Velos und Steine gegen das Gebäude. Zudem wurde ein Molotow-Cocktail in den Eingangsbereich geworfen, der sogleich in Vollbrand stand. Nach dem Angriff flüchteten die Demonstranten. Die Polizei konnte damals 15 Tatverdächtige - dreizehn Männer und zwei Frauen im Alter zwischen 17 und 41 Jahren - festnehmen.

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bazonline.ch 22.5.10

Wieder ein Saubannerzug in Basels Innenstadt

Joël Gernet

 Am späten Freitagabend verursachte ein vermummter Mob in der Freien Strasse nach einem Fackelumzug Sachbeschädigungen von vermutlich über 350'000 Franken. Die Täter werden im linksautonomen Lager vermutet.

 "Fast alle Läden in der Freien Strasse waren von den Sachbeschädigungen betroffen, bei H & M war die ganze Scheibe weg, da hätte man reinspazieren können", erklärt Kriminalkommissär Markus Melzl. Was war passiert? Gemäss Staats-anwaltschaft (Stawa) meldeten Passanten am Freitag um 22:30 Uhr der Polizei, dass eine Horde von Vermummten in der Freien Strasse massive Sachbeschädigungen verüben würde. Gleichzeitig wurde bei einer Bijouterie an der Streitgasse der Einbruchalarm ausgelöst, worauf mehrere Polizeieinsatzkräfte anrückten. Gemäss den bisherigen Erkenntnissen muss kurz zuvor ein Fackelzug mit mehreren Teilnehmenden und einem Begleitfahrzeug im Bereich Steinenvorstadt/Barfüsserplatz stattgefunden haben.

 Dieser Zug soll sich dann durch die Streitgasse bis zur Freien Strasse bewegt haben, als sich plötzlich Exponenten des Fackelzuges vermummten und durch die Freie Strasse bis zur Rüdengasse rannten. Auf der rund 300 Meter langen Strecke zwischen Streit- und Rüdengasse schlugen diese Vermummten bei nahezu sämtlichen der etwa 30 Geschäften die Schaufensterscheiben und die Vitrinenverglasungen ein.

 Vermutlich Linksautonome - Luxuskarosse wurde verschont

 Zudem wurden etliche Gebäude versprayt mit dem Anarchie-Symbol, Hammer und Sichel sowie antikapitalistischen Parolen. "Die Täter kommen wohl aus dem linksautonomen Lager", so Markus Melzl gegenüber baz.ch. Nicht auszuschliessen sei auch, dass sich die Gruppe dem Fackelzug "angehängt" habe, welcher möglicherweise im Zusammenhang mit der Polemik um verbotenes Fackelabbrennen durch FCB-Spieler Xherdan Shaqiri gestanden sei. Es gebe Hinweise auf Linksautonome wie auf Hooligans, sagte Melzl gegenüber der Nachrichtenagentur sda.

 Zusätzlich wurden etwa zehn parkierte Autos vorwiegend an den Scheiben beschädigt. Von den Vandalen verschont wurde erstaunlicherweise ein nagelneuer Maserati gegen Ende der Freien Strasse. "An dieser Stelle ist den Tätern wohl die Zeit zu knapp geworden", so Melzl. Ob ein Zusammenhang zum Saubannerzug vom 1. Mai bestehe, könne derzeit nicht gesagt werden. Allerdings habe sich die Menschenmenge auch in diesem Fall sehr spontan zusammengerottet. Auch, dass sich die Täter mit einem Pulk von Mitläufern schützten, sei ähnlich wie beim Vorfall vor drei Wochen.

 Verstärkung von der Baselbieter Polizei nötig

 Der Spuk in der Freien Strasse war nach kürzester Zeit vorbei, wobei sich die Täter bei der Verzweigung Freie Strasse/Rüdengasse trennten und in verschiedene Richtungen flüchteten. Die Tatwerkzeuge - überwiegend Bauhämmer - und Kleidungsstücke zur Vermummung wurden teilweise auf der Strasse zurückgelassen. Die Polizei zog augenblicklich ein grösseres Mannschaftsaufgebot zusammen, wobei dieses durch ein Kontingent der Baselbieter Polizei und durch die Grenzwache unterstützt wurde.

 Gemäss Angaben der Glaserei Cimei & Söhne wurden 98 Schaufenster und Türen zerschlagen. Der geschätzte Glasschaden betrage etwa 350'000 Franken. Die Scheiben sind noch in der selben Nacht bis morgens um 4.30 Uhr gesichert worden. Zuvor mussten die zerbrochenen Scheiben durch die Feuerwehr überwacht und die Scherben durch die Stadtreinigung entfernt werden. Die Untersuchungen des Kriminalkommissariates sind im Gange. Während den Ermittlungen und Abklärungen blieb der betroffene Abschnitt der Freien Strasse für jeglichen Durchgangsverkehr gesperrt. Die Polizei sucht Zeugen.

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nzz.ch 22.5.10

Vermummte auf Saubannerzug in Basler Einkaufsstrasse

 Mit Bauhämmern wahllos Scheiben an Läden und Fahrzeugen zertrümmert

 Eine Gruppe von etwa 20 Vermummten hat am Freitagabend in Basel auf einem Saubannerzug durch eine Einkaufsstrasse grossen Schaden hinterlassen. Die Randalierer schlugen Schaufenster und Autoscheiben ein besprayten Hauswände mit Parolen.

 (sda) Passanten, die die Vandalen beobachteten, alarmierten die Polizei. Gleichzeitig ging bei einer Bijouterie der Einbruchalarm los. Die Polizei war mit einem Grossaufgebot vor Ort. Sie erhielt Verstärkung von der Baselbieter Polizei und der Grenzwache, wie die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt mitteilte.

 Die Schadensumme ist noch nicht bekannt. Zunächst müssten sämtliche Verantwortlichen der Geschäfte kontaktiert werden, sagte Markus Melzl, Sprecher der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt.

 Wahllos Scheiben eingeschlagen

 Die Vermummten hätten auf einem 200 bis 300 Meter langen Abschnitt der Freien Strasse wahllos praktisch sämtliche Schaufenster zertrümmert, berichtete Melzl. 25 bis 30 Ladengeschäfte waren betroffen.

 Ein Motiv sei nicht auszumachen, sagte der Polizeisprecher weiter. Die Vandalen hätten Losungen und Symbole gegen den Kapitalismus an Gebäude gesprayt.

 Mit Bauhämmern gewütet

 Bei der Kreuzung der Freien Strasse mit der Rüdengasse trennte sich der Vandalen-Trupp. Die unbekannten Täter liefen in unterschiedliche Richtungen davon. Ihre Tatwerkzeuge - meist Bauhämmer - liessen sie ebenso zurück wie Kleidungsstücke, mit denen sie ihre Gesichter bedeckt hatten.

 Aus Fackelzug ausgeschert

 Die Staatsanwaltschaft ging davon aus, dass am Abend zunächst ein unbewilligter Fackelzug mit rund 100 Personen im Raum Steinenvorstadt und Barfüsserplatz stattgefunden hatte. Laut Staatsanwaltschaft vermummten sich einige Teilnehmer unversehens, rannten durch die Freie Strasse und richteten dabei die Schäden an.

 Der Fackelzug hatte laut Melzl möglicherweise einen Zusammenhang mit der Polemik um eine Anzeige gegen einen FCB-Spieler wegen unerlaubten Abbrennens einer Fackel an der Cup-Feier.

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ZÜRI-PUNK
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Limmattaler Zeitung 22.5.10

Züri brännt

 Mit dem Opernhauskrawall brach am 30.Mai 1980 in Zürich die Zeit der "Bewegung" an. Demonstrationen und Ausschreitungen, die sich an der Forderung nach Raum für alternative Kultur und ein autonomes Jugendzentrum (AJZ) kristallisierten, hielten die Stadt bis zum Abbruch des AJZ am 28.März 1982 in Atem. Zu den Kulturbetrieben, die aus dieser Zeit hervorgingen, gehören die Rote Fabrik und das Jugendhaus Dynamo. In loser Folge stellen wir Ihnen Menschen vor, die in der Jugendbewegung eine Rolle spielten. Heute: Achmed von Wartburg. (liz)

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Vom Protest zur Freiheit

 Achmed von Wartburg, Rebell im "bewegten" Sommer 1980, lebt auch heute fern der Norm

 Vor dreissig Jahren, im "Sommer der Bewegung", protestierte Achmed von Wartburg handfest gegen den Bürgermief. Heute findet der ehemalige Punk seine Freiheit in Tango und Konsumverzicht.

 Martin Reichlin

 Als wir die Wohnung im Kreis4 betreten, ist Achmed von Wartburg dabei, Setzlinge in die Blumentöpfe vor dem Küchenfenster zu pflanzen. "Krautstiel", erklärt der 51-jährige, einstige Rebell, während er mit beiden Händen die frische Erde um einen Keimling festdrückt. "Damit kann ich mich den ganzen Sommer hindurch selbst mit ein wenig frischem Gemüse versorgen." Selbstversorgung, sprich die Unabhängigkeit vom gängigen Konsum, spielt eine zentrale Rolle im Leben des in Aarau aufgewachsenen Lebenskünstlers. Seit 1986 lebt von Wartburg beispielsweise in derselben Altbauwohnung ohne Zentralheizung und sammelt das Brennholz für den Ofen, mit dem er die einfache Bude heizt, in den Wäldern rund um Zürich. Auch auf Kinobesuche oder die Fahrt mit dem Tram verzichtet er, Fleisch ist aus Kostengründen vom Speiseplan verschwunden und Kleidung "findet man oder man erhält sie geschenkt".

 Er lebe von rund 1000 Franken im Monat, ohne dass ihm etwas fehle, erklärt von Wartburg. Im Austausch dafür erhalte er den Luxus, der ihm immer schon am wichtigsten gewesen sei: die Freiheit, seinen Wünschen und Neigungen nachzuleben. Etwa, jeden Tag drei Stunden Tai Chi zu trainieren oder sein Leben dem Tango zu widmen.

 Anders zu sein und die herrschende Ordnung herauszufordern - das waren schon die Motive, die Achmed von Wartburg zur "Bewegung" und ins Alternative Jugendzentrum AJZ führten. "Ich wuchs in einem anthroposophischen Elternhaus in Aarau auf", erzählt "El Tigre Tanguero", "schon das war eine Form von Subkultur. In der Schule war ich deshalb so etwas von anders - es war die Hölle." Er habe darum mit 15 beschlossen, Maler zu werden, die Schule geschmissen und sei mit 18 nach Paris emigriert. "Ich dachte, an der Seine könne sich die Malerei gut entfalten. Ein Irrtum, wie sich herausstellte." Nach zwei Jahren zog von Wartburg weiter nach Kairo, um Arabisch zu lernen.

 Im Juli 1980 kehrte der Weltenbummler in die Schweiz zurück, "um etwas Geld für mein Studium zu verdienen". Doch dann kam er mit der eben begonnen "Bewegung" in Kontakt und "plötzlich gefiel es mir in Zürich."

 Was war denn so faszinierend?

 Achmed von Wartburg: Die Bewegung war für Schweizer Verhältnisse so unerhört, das sich bei mir die Lust regte, mitzumachen. Zudem hatte ich endlich das Gefühl von Zugehörigkeit. Seit meiner Kindheit sah ich mich als Aussenseiter, der schief in der Welt hing. Und plötzlich waren da Tausende, die ebenso schräg waren. Da begann ich, aufzublühen.

 Wann gingen Sie erstmals an eine Demo?

 Von Wartburg: Am 4.September 1980. Zuvor hatte ich mich nicht aufraffen können, ins AJZ oder auf die Strasse zu gehen. Doch dann wurde das AJZ erstmals geschlossen und ich dachte: Jetzt musst du dich für ein neues AJZ einsetzen, schliesslich hast du das erste verpasst.

 Woran ist die Bewegung gescheitert?

 Von Wartburg: An sich selbst und an der Politik der Stadt. Zu Anfang sollte die Bewegung repressiv zerschlagen werden. Doch dann kam die Stadt auf die Idee, das AJZ wieder zu öffnen und eine Million Franken für die Renovation zu sprechen. Ab diesem Moment waren die Leute entweder damit beschäftigt, alles zu ordnen, zu organisieren und zu sanieren - gut schweizerisch - oder das Geld zu verkiffen und zu klauen. Ich war damals so naiv, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass einige von uns ihre eigenen Ziele verfolgten. Noch 1981 kandidierte ich unter dem Slogan "Das nackte Chaos" fürs Stadtpräsidium. Den Todesstoss, erzählt von Wartburg weiter, hätten schliesslich die Drogen dem AJZ und damit dem Jugendaufstand versetzt: "Wir waren offen und tolerant gegen- über den Heroinabhängigen, schliesslich waren sie wie wir eine Randgruppe. Die Polizei nützte das aber blitzschnell aus und drängte die ganze Drogenszene von den bekannten Orten wie dem Hirschenplatz ins AJZ. Mit den Junkies kamen aber auch der Heroinhandel und in der Folge mehr Junkies. Je höher aber der Heroinpegel stieg, desto stärker setzten sich die kreativen und politischen Köpfe in Richtung Rote Fabrik ab. Irgendwann blieben im AJZ nur noch die Süchtigen übrig."

 Was ist von der "Bewegung" geblieben?

 Von Wartburg: Einerseits die Rote Fabrik, um die es schliesslich von Anfang an gegangen war. Andererseits wäre Zürich heute nicht so offen, lebendig und kulturell reichhaltig, hätte es die Bewegung nicht gegeben. Vorher wurden hier um Mitternacht die Trottoirs hochgeklappt.

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SEDEL LU
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Zentralschweiz am Sonntag 23.5.10

"Es ist geil hier - der echte Burner"

Von Pirmin Bossart

 Hinter dicken Mauern proben über 100 Bands. Was ist das Erfolgsrezept des bald 30 Jahre alten Musikzentrums Sedel?

 Eine junge Frau haut auf die Trommeln. Die Schlagzeugerin ist ganz alleine in der Zelle. Überrascht hält sie inne. Foto? Vielleicht später. Als die Türe ins Schloss fällt, kübelt sie wieder los. Die Frau bleibt dran. Im Sedel kann sie das ungestört. Niemand, der verärgert an die Türe klopft. Niemand, der "Ruuuhe" schreit. Aber viele, die sonstwie Lärm machen. Oder zu Action aufrufen. "Fassade zu sauber. Der Vorstand" ist beim Eingang an die Wand gesprayt.

 Eröffnung im Jahr 1981

 Das massive Gebäude über dem Rotsee ist von weither sichtbar. Wer weiss genau, was hinter den Mauern abgeht? Mit Probenräumen, Punk und Happenings hatte es 1981 begonnen. Der Anfangselan hat sich ausgetobt, aber die Lust am eigenen Ding hat das Musikzentrum wach gehalten. Der Sedel ist ein Phänomen. Rundherum wird über Kulturräume debattiert und um die Geldverteilung gestritten, werden Kulturzentren eröffnet und wieder geschlossen. Der Sedel hockt auf dem Hügel und zuckt belustigt mit den Achseln. Was die für Probleme haben. Er macht einfach. Es tut in ihm. Und die Buchhaltung schreibt - bei einem Umsatz von 300 000 bis 400 000 Franken - schwarze Zahlen.

 Wie zum Teufel geht das? "Wenig Bürokratie, unkomplizierte Abläufe", sagt Bar-Chef Boris Rossi, langjähriger Aktivist in der Boa. Er ist inzwischen Vater einer kleinen Tochter, die munter durch die langen Gänge trippelt. Boris sorgt seit sieben Jahren dafür, dass der Beizenbetrieb läuft und die Einnahmen stimmen. Da ist auch Nicole Odermatt, "Mutter" von 300 Musikern, die im Sedel proben. Sie koordiniert die Vermietungen. Die Probenräume sind das Kerngeschäft des Sedels. Adi Albisser kümmert sich als Präsident der Interessengemeinschaft Luzerner Musikerinnen und Musiker (ILM) mit drei weiteren Vorstandsmitgliedern um die Organisation des Zentrums. "Wir haben Regeln, aber wir lassen die Leute weitestgehend machen. Die Freiheit in diesem Haus ist ein tragendes Element, dass es funktioniert."

 Bis zu acht Untermieter pro Zelle

 Nicole Odermatt öffnet die Gittertüre, die das Treppenhaus vom ersten Stock trennt. Wände und Decken sind bunt bemalt. Wir streifen durch die ehemaligen Knastkorridore, klopfen an Zellentüren, gucken in der Piano-Bar und im Club vorbei, steigen in den Keller, wo manchmal Elektro-Partys abgehen, treten in den wilden Garten hinter dem Gebäude. Es rauscht in den Baumkronen, der Rotsee zu Füssen, bald wird hier wieder gegrillt. Ab und zu trifft man Musiker in den Gängen, begrüsst sich, tauscht kurz ein paar Worte aus. Nicole kennt längst nicht alle, die hier proben. Wie sollte sie. Die 54 Räume sind alle mehrfach belegt und oft bis zu sieben- und achtmal untervermietet. "Hier proben weit über 100 Bands. Die Warteliste ist lang. Wir könnten sofort 20 weitere Räume mehrfach vergeben."

 50 Franken kostet eine Einzelzelle pro Monat. Vielfach sind zwei oder drei Zellen zusammengelegt, das verdoppelt oder verdreifacht die immer noch bescheidene Miete. "Es ist einfach geil hier, der echte Burner", grinst DJ Flat Diaz, der im zweiten Stock bei seinem Kumpel Onomaac auf Besuch ist. Onomaac ist ein Rapper, er schreibt Texte, sein Bruder Probiber sorgt für die Beats. Zurzeit tüftelt er an der CD, die sie aufnehmen wollen. "Wo kann man sonst einen Raum bieten, in dem man noch laut Sound machen kann? Du bist willkommen hier, triffst andere Musiker, es entstehen neue Projekte. So etwas ist unbezahlbar."

 Im Dachstock knallen die Farben von Decken und Wänden. Sämi Hofmann, Maler und Schlagzeuger, steht mit der Bierbüchse in der Hand vor seinen Bildern und entschuldigt sich mit einem allwissenden Lächeln für die Unordnung. Überall Farben, Utensilien, Krims und Krams. Hier oben arbeitet seit gut 20 Jahren auch Gössi, Sänger der Punk-Band Moped Läds und Gestalter von legendären Plakaten. Gössi ist ein Urgestein des Sedels und Symbolfigur für die unbekümmerte Do-it-yourself-Haltung, die den Sedel in der Frühzeit geprägt hat. Do it. Mach einfach.

 Der Geist lebt weiter

 Was hat sich geändert? Nicht viel, sagt Gössi. "Das ist ja das Wunderbare." Null Konkurrenzdenken, man helfe sich aus, unterstütze sich. "Es gibt im Sedel einfach immer wieder Leute, die etwas anpacken und sich den Arsch aufreissen, egal, welchen Support sie haben. Solange das geschieht, wird es auch diesen Sedel-Geist geben."

 Später steigen die Kerle von The Bonkers die Treppen hoch, verschwinden in der Zelle, stecken die Gitarren ein. Es ist 21 Uhr. Jetzt wird gerockt.

 Bilder: Mehr Impressionen vom Sedel auf www.zisch.ch/bilder

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 Sedel

 Vom Knast zum Musikzentrum

 1838 übernahm der Kanton Luzern den Sedelhof vom Zisterzienserinnenkloster Rathausen, sozusagen als Entschädigung für Steuerschulden. Ab 1887 diente die Liegenschaft als Zwangsarbeitsanstalt. 1887 wurde ein Neubau für männliche Zwangsarbeiter - darunter sind in erster Linie Personen mit Alkoholproblem und "liederlichem Lebenswandel" - erstellt. Das heutige Sedel-Gebäude wurde 1932 als Strafanstalt gebaut und 1971 geschlossen. Unter dem Druck der Jugendunruhen in Zürich und Basel einigten sich die Behörden, den Sedel für Probenräume von jungen Bands zu öffnen. Ab dem 15. April 1981 übernahm die Interessengemeinschaft Luzerner Musikerinnen und Musiker (ILM) die Verwaltung des Sedels.

 Ein Vorzeigemodell

 Der Betrieb des Musikzentrums Sedel kommt ohne Subventionen aus, wird aber indirekt unterstützt: Die ILM zahlt der Stadt Luzern lediglich eine symbolische Miete. Die Stadt übernimmt auch die Nebenkosten. Alles andere wird selber finanziert (Einnahmen Vermietung und Clubbetrieb).

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ATTAC GE
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Tribune de Genève 22.5.10

Attac lève son moratoire sur les manifs

Xavier Lafargue

 L'association tenait son assemblée générale jeudi.

 La section genevoise d'Attacadécidé jeudi soir, à l'unanimité de la poignée de membres présents, de lever son moratoire sur les manifestations. L'Association pour une taxation des transactions financières et pour l'action citoyenne s'était retirée de toute organisation de manifs, suite à celle contre l'OMC qui avait dégénéré, le 29   novembre dernier.

 "Les actes de violence perpétrés par un groupe de 200 casseurs environ nous avaient fait perdre toute crédibilité, rappelle Gérard Scheller, membre du comité d'Attac. J'ai aussi trouvé cela très frustrant, après les nombreuses séances de préparation. Ce moratoire traduisait notre volonté de nous éloigner de ce genre de manifs. "

 Jeudi soir, l'assemblée l'a levé. "Organiser des débats, c'est bien, mais il est important que nous puissions défiler et nous exprimer dans la rue", ont souligné plusieurs membres.

 "Désormais, nous serons plus fermes par rapport aux divers groupements avec lesquels nous organisons les manifs, précise Gérard Scheller. Nous estimons avoir été trompés par certains groupes autonomes, qui n'ont pas respecté les accords auxquels nous étions parvenus afin de manifester de façon non violente. "

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AUSSCHAFFUNG
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NZZ 22.5.10

Wiederaufnahme von Sonderflügen

 Abgewiesene Asylbewerber aus Nigeria werden vorläufig bloss in Drittstaaten zurückgeführt

 Der Stopp für Sonderflüge, mit denen abgewiesene Asylbewerber mit Zwangsmassnahmen in ihre Heimat zurückgeführt werden, wird aufgehoben.

 Marcel Gyr

 Was sich im Laufe der Woche abzeichnete, hat das Bundesamt für Migration (BfM) am Freitag bestätigt. Sonderflüge, mit denen besonders renitente Ausschaffungshäftlinge in ihr Heimatland zurückgeführt werden, sollen wieder aufgenommen werden. Amtsdirektor Alard du Bois-Reymond verfügte Mitte März einen vorübergehenden Stopp derartiger Sonderflüge, nachdem ein 29-jähriger Nigerianer auf dem Flughafen Zürich gestorben war.

 Zahl der Gesuche vervielfacht

 Ursprünglich war vorgesehen gewesen, das gerichtsmedizinische Gutachten über die Todesursache abzuwarten. Weil der Schlussbericht nach wie vor aussteht, ist das BfM aber nun auf die Forderung der Kantone eingegangen. Diese mussten zuletzt zunehmend Ausschaffungshäftlinge entlassen. Die Wiederaufnahme der Sonderflüge gilt nicht für Nigeria. Auch nach einem Besuch von Urs von Arb, dem Chef Rückkehr im BfM, im bevölkerungsreichsten Land Afrikas konnte keine Einwilligung erreicht werden (NZZ 20. 5. 10). Nigeria nimmt vorläufig nur Landsleute auf, die freiwillig zurückkehren.

 Hingegen sollen nigerianische Asylbewerber, auf deren Gesuch nicht eingetreten oder deren Gesuch abgelehnt wurde, in einen Drittstaat zurückgeführt werden. Dank dem Informationssystem des elektronischen Fingerabdrucks, das im Dublin-Abkommen geregelt ist, kann ausfindig gemacht werden, ob ein Asylbewerber bereits in einem Drittstaat ein Gesuch gestellt hat. Dieser Drittstaat ist verpflichtet, den Asylsuchenden zurückzunehmen. Gemäss Angaben des BfM sind von dieser neuen Regelung rund zwei Drittel aller zurückzuführenden Nigerianer betroffen; beim Drittstaat handelt es sich zumeist um Italien.

 In der Schweiz stellten im letzten Jahr Personen aus Nigeria die grösste Gruppe von Asylbewerbern. Ihre Zahl nahm innerhalb von drei Jahren um ein Vielfaches auf 1786 zu. Das ist umso bemerkenswerter, als 2009 in einem einzigen Fall Asyl gewährt wurde. Auf die grosse Mehrheit der Gesuche, nämlich 95 Prozent, wurde gar nicht eingetreten. Derzeit eruiert eine Task-Force die Gründe für dieses Missverhältnis. Bei den nigerianischen Asylbewerbern handelt es sich vorwiegend um junge Männer; Frauen oder Familien hingegen sind kaum darunter. Als Sofortmassnahme will das BfM bei den Sonderflügen die medizinische Versorgung verbessern. So sollen bei jedem Sonderflug ein Arzt und ein Rettungssanitäter zugegen sein. Der verstorbene Nigerianer war zum Todeszeitpunkt an Händen und Füssen gefesselt, zudem trug er eine Haube, ähnlich jener von Bienenzüchtern.

 Hilfe aus Nigeria?

 Anfang nächsten Jahres sollen bei Sonderflügen unabhängige Beobachter eingesetzt werden. Das BfM hat zudem angeregt, Beamte aus Nigeria beizuziehen. Dadurch erhofft man sich nicht zuletzt weniger Gegenwehr der Zurückzuführenden. Im vergangenen Jahr wurden 43 Sonderflüge durchgeführt, 5 davon nach Nigeria. Weitere Destinationen sind unter anderen Gambia, Kongo-Kinshasa, Georgien oder Kosovo.

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Gegen EU-konforme Ausschaffungshaft

Kommission hält an 2 Jahren fest

 C. W. ⋅ Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats hat die Anpassung des Ausländer- und des Asylgesetzes an die Rückführungs-Richtlinie der EU als Ganzes mit 17 zu 8 Stimmen gutgeheissen. Mit 17 zu 9 Stimmen hat sie es dabei aber abgelehnt, die gesamte Dauer der Vorbereitungs-, Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft von maximal 24 auf 18 Monate zu verkürzen.

 Die Mehrheit sieht laut Mitteilung keinen Grund, eine Bestimmung zu ändern, die vom Volk angenommen wurde und erst seit 2007 in Kraft ist. Für alle anderen Anpassungen und Revisionen des Ausländerrechts gilt dieses Argument offenbar nicht. Die Kommissionsmehrheit scheint beim Stichwort "Ausschaffung" Härte und Souveränität demonstrieren zu wollen. Die konkrete Bedeutung des Streitpunkts ist gering, da nach offiziellen Angaben die Haft 2007 und 2008 in weniger als einem Prozent der Fälle länger als 18 Monate dauerte.

 Die Schweiz hat sich gegenüber der EU vertraglich verpflichtet, einschlägige Änderungen des Schengen-Rechts zu übernehmen. Lehnt sie dies ab und wird im Gemischten Ausschuss nicht innert 90 Tagen eine einvernehmliche Lösung gefunden, so fällt das Schengen-Abkommen automatisch dahin. An der gleichen Sitzung lehnte die Kommission übrigens einen SVP-Vorstoss ab, wonach neuere Bundesgesetze Vorrang vor einem Staatsvertrag haben sollten.

 Der gleiche Erlass enthält Regelungen zum Dublin-Verfahren (Rückweisung Asylsuchender in einen anderen europäischen Staat). Einerseits wird das effektive Beschwerderecht gewährleistet, anderseits werden neue Gründe für die Ausschaffungshaft eingeführt.

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NLZ 22.5.10

Ausschaffungshäftlinge

 Sonderflugzeuge fliegen wieder

 sda. Die Sonderflugzeuge für Zwangsausschaffungen aus der Schweiz heben bald wieder ab. Das Bundesamt für Migration will die Flüge wieder aufnehmen, nachdem sie nach dem Tod eines nigerianischen Ausschaffungshäftlings während zweier Monaten gestoppt waren. Gemeinsam mit den Kantonen habe der Bund Sofortmassnahmen beschlossen, damit sich der Ablauf der Flüge verbessere, teilte das Bundesamt gestern mit. Dazu gehört, dass künftig für jeden Sonderflug ein Arzt und ein Rettungssanitäter aufgeboten werden.

 Auch die staatspolitische Kommission des Nationalrats befasste sich gestern mit der Ausschaffungshaft: Sie widersetzt sich dem Ständerat und lehnt es ab, die Höchstdauer der Ausschaffungshaft von 24 auf 18 Monate zu senken. Es gebe keinen Grund, eine Bestimmung zu ändern, die in einer Volksabstimmung angenommen worden sei.

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EVA HERMAN
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Bund 25.5.10

Der tiefe Fall der Eva Herman

 Sie war Deutschlands beliebteste Moderatorin. Dann schrieb sie gegen die Emanzipation an - und wurde beschuldigt, mit Ideen der Nazis zu sympathisieren. Ihr neues Buch beschreibt ihren Weg zur Unperson.

 Bettina Weber

 Als Eva Herman am 6. September 2007 in Berlin ihr Buch "Das Arche-Noah-Prinzip" vorstellte, ging es darum, dass Kinder ihre Mutter brauchten und es unverantwortlich, ja, katastrophal für ihre Entwicklung sei, sie in Krippen zu geben. Hermann beklagte die mangelnde Wertschätzung von Müttern und gleichzeitig den Selbstverwirklichungswahn der berufstätigen Frauen mit Kindern, die diesen mit der Fremdbetreuung Schlimmes antäten. Dann machte sie in diesem Zusammenhang einen etwas komplizierten Relativsatz zum Nationalsozialismus sowie zu den Achtundsechzigern. Und weil dieser Satz vom "Hamburger Abendblatt" verkürzt zitiert wurde, hiess es danach, Eva Herman verherrliche die Familienpolitik des Dritten Reiches.

 Das hätte zwar gut ins Bild gepasst, da Herman bereits mit dem 2006 erschienenen Buch "Das Eva-Prinzip" heftige Entrüstungsstürme ausgelöst hatte. Sie galt als reaktionär mit ihrer Forderung, Frauen sollten ihrer natürlichen Bestimmung gemäss zu Hause bei ihren Kindern bleiben - gleichzeitig aber auch als nicht ganz glaubwürdig, zumal sie selbst bis zur Geburt ihres Sohnes mit 35 Jahren Karriere gemacht hatte.

 Der Fall ins Bodenlose

 Schon damals hatte sie allerdings geschrieben, dass es eben gerade die Nazis gewesen seien, die den Grundstein für den heutigen Zerfall der Familien gelegt hätten. Das interessierte im medialen Geschrei aber niemanden. Es begann eine Hexenjagd. Herman verlor ihren Job beim NDR, wo sie 20 Jahre lang tätig gewesen war, man nannte sie öffentlich "Eva Braun", Freunde gingen auf Distanz, und selbst ihre Bank kündigte ihr das Konto, mit der Begründung, sie hätte es um 250 Euro überzogen.

 In ihrem neuen Buch "Die Wahrheit und ihr Preis" beschreibt sie nun ihren Fall ins Bodenlose. Kein angesehener Verlag mochte es veröffentlichen; erschienen ist es jetzt beim Kopp-Verlag, gemäss Eigenreklame einem "Verlag und Fachbuchversand für Enthüllungsliteratur, Verschwörungen, unterdrückte Informationen und Erfindungen und Geheimgesellschaften".

 Das Buch liest sich in der ersten Hälfte über weite Strecken als ziemlich schwülstige Abhandlung ihrer anti-emanzipatorischen Theorien. Feministinnen bezeichnet Herman als "Bräute des Teufels" und Gender Mainstreaming ist für sie "das grösste und gefährlichste Umerziehungsprogramm der Menschheit". Sie unterstellt Alice Schwarzer, ein vernachlässigtes Kind gewesen zu sein, das nun als Erwachsene allen anderen Kindern auch keine Geborgenheit gönnen möge und deshalb die Krippen befürworte. Das ist dumm. Auch befremden Sätze wie "Der Erwerbswahn, der kleine Kinder von ihren Müttern trennt, der Familien zerstört, der die Liebe tötet, er macht aus Menschen Monster!" doch sehr. Oder: "Die Gleichstellung der Frau, die zum Grundgerüst des Sozialismus und Kommunismus gehört, hat in den zurückliegenden Jahrzehnten zahlreiche Gesellschaften an den Rand des Zusammenbruchs geführt."

 Mit Ironie geschrieben

 Im zweiten Teil beschreibt sie auf beinahe 100 Seiten minutiös den Ablauf jener Sendung, die in die Fernsehgeschichte Deutschlands eingegangen ist: Einen Monat nach der verhängnisvollen Buchpräsentation wirft Moderator Johannes B. Kerner vor laufender Kamera Eva Herman aus der Sendung. Dieser Teil liest sich, trotz einiger verbaler Entgleisungen, gut: Er ist amüsant und mit überraschend viel Ironie geschrieben.

 So wenig man mit der Weltanschauung der Eva Herman einig sein mag: Was sie in ihrem Buch berichtet und teilweise auch mit Beweisen untermauern kann - sie hat gegen mehrere deutsche Titel geklagt und jedes Mal recht bekommen -, stellt der deutschen Presse ein miserables Zeugnis aus. Um sich verteidigen zu können, brauchte sie beispielsweise die Aufnahmen der Buchpräsentation; die Herausgabe sei ihr, so schreibt sie, von allen Fernsehsendern, die vor Ort gewesen waren, verweigert worden. Als sie nach zwei Wochen im Internet endlich fündig wurde und alle Anschuldigungen widerlegen konnte, druckte die "Bild am Sonntag" die Richtigstellung zwar ab, aber da war der Schaden längst angerichtet.

 Dass der Vorwurf, sie vertrete braunes Gedankengut, falsch war, wusste auch Johannes B. Kerner. Die Originalversion des verhängnisvollen Satzes habe ihm vorgelegen, schreibt Herman, genauso die Analyse eines Sprachwissenschaftlers, der bestätigte, dass sie damals mitnichten im positiven Sinn Bezug auf die Nazis genommen hatte. Kerner interessierte sich nicht dafür. Seine Sendung war als Tribunal geplant, als eigentliche Inquisition. Er wollte eine Entschuldigung von Herman, eine reuige Sünderin, die öffentlich um Vergebung fleht. Herman weigerte sich, versuchte richtigzustellen, was es richtigzustellen gab, Kerner hörte gar nicht zu. Zum Schluss warf er ihr noch vor, den Begriff "Gleichschaltung der Presse" benutzt zu haben, was eindeutig Nazivokabular sei. Herman erwiderte, dass sich der Begriff doch längst im allgemeinen Sprachgebrauch eingebürgert habe und man ja auch auf Autobahnen fahre, die damals gebaut worden seien. Darauf fordert Kerner Eva Herman auf, das Studio zu verlassen.

 Und wieder wird sie falsch zitiert. Deutschlands grösste Nachrichtenagentur, die DPA, formuliert den Satz so: "Wenn man nicht über die Familienwerte der Nazis sprechen darf, kann man auch nicht über die Autobahnen sprechen, die damals gebaut worden waren." Alle übernehmen den nachweislich falschen Satz, von "Bild" bis zu "Spiegel", und alle sind sich einig: Eva Herman sympathisiert definitiv mit dem Nazitum. Sie ist endgültig erledigt.

 Der eigentliche Skandal

 Weil dieser Vorwurf, besonders in Deutschland, noch immer und sehr verlässlich tödlich ist, arbeitet die 51-Jährige, in vierter Ehe verheiratete Mutter eines Sohnes heute als freischaffende Publizistin. Im Vorwort ihres Buches schreibt sie, es gehe ihr nicht um "kalte Rache". Rachsüchtig wirkt es auch nicht, selbst wenn sie gegen zahlreiche bekannte Journalisten Spitzen lanciert und sich mitunter im Ton vergreift.

 Es ist vielmehr der nachvollziehbare Versuch einer tief gefallenen Frau, die Öffentlichkeit dazu zu bringen, sich ihre, die richtige Version der Geschichte anzuhören. Und ja, ihre anti-emanzipatorische Mission nimmt bisweilen sektenhafte Züge an, und ja, sie hat einen Hang zu Verschwörungstheorien und sieht sich in der Rolle der Märtyrerin, die man mit der Nazikeule mundtot gemacht hat, weil sie nicht dem Zeitgeist entsprechende Ansichten vertritt. Dennoch bleibt das unangenehme Gefühl, dass sie nicht ganz unrecht hat damit. Das ist der eigentliche Skandal, nicht ihre gestrig anmutenden Theorien. Entschuldigt habe sich bis heute niemand bei ihr. Die deutsche Presse schweigt "Die Wahrheit und ihr Preis" mehrheitlich tot. Nur die FAZ schrieb: "All jene, die sich für Medien interessieren oder selbst in ihnen arbeiten, sollten dieses Buch lesen."

 Eva Herman: Die Wahrheit und ihr Preis. Meinung, Macht und Medien. Kopp-Verlag, Rottenburg 2010. 281 S., ca. 35 Fr.

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HOMOHASS
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Tagesanzeiger 25.5.10

Neonazis verhindern Gay Pride Parade in der Slowakei

 Es sollte ein deutliches Lebenszeichen der Homosexuellen im Osten Europas werden - die erste Regenbogenparade in der Slowakei. Doch was in den meisten europäischen Ländern schon fester Bestandteil des kulturellen Lebens ist, endete am Samstag in Bratislava mit blutigen Köpfen und Verhaftungen.

 Obwohl die Gay Pride Parade der Schwulen- und Lesbenbewegung mehrere Wochen lang angekündigt und vorbereitet worden war, konnte die slowakische Polizei die rund 500 Teilnehmer nicht vor den verbalen und tätlichen Angriffen von 80 Neonazis schützen. Der Umzug durch die Innenstadt musste abgesagt werden, die Kundgebung fand schliesslich auf einem Areal ausserhalb der Innenstadt jenseits der Donau statt.

 Gleich zu Beginn der Parade auf dem Hviezdoslav-Platz im Zentrum der slowakischen Hauptstadt versuchten Anhänger der rechtsextremen Slowakischen Gemeinschaft die Veranstaltung zu sprengen. Sie warfen Steine und Eier auf die Bühne, auf der unter anderem die EU-Abgeordneten Ulrike Lunacek (Österreich) und Marije Cornelissen (Niederlande) kurze Reden hielten.

 Die Extremisten trugen ein Transparent mit der Forderung: "Für die traditionelle Familie! Gegen Perverse!" und dem Logo einer neuen Partei, die bei den Parlamentswahlen am 12. Juni kandidieren wird. Zwei junge Männer mit Regenbogenfahnen wurden attackiert und blutig geschlagen. Als eine Tränengasgranate in der Menge explodierte, musste die Regenbogenparade durch die Innenstadt kurzfristig abgesagt werden.

 Weitere Übergriffe der Rechtsextremen wurden durch Spezialeinheiten der Polizei verhindert, die mehrere Rechtsextremisten verhaftete. Homosexuellen-Aktivistin Lunacek kritisierte dennoch in einer österreichischen Zeitung, dass die slowakische Polizei die Sicherheit der Paradeteilnehmer nicht garantieren konnte. Scharfe Kritik an der geplanten Regenbogenparade war in den vergangenen Wochen von der katholischen Kirche und von der nationalistischen Regierungspartei SNS (Slowakische Nationalpartei) gekommen. SNS-Chef Jan Slota hatte ein Verbot der Parade gefordert und angekündigt, er werde persönlich auf die Strasse gehen, um "auf die Teilnehmer zu spucken".

 Keine Partei im Parlament wollte die Parade gegenüber den Angriffen verteidigen. Der Chefkommentator der liberalen Tageszeitung "Sme" schrieb deshalb von einem "Tag der Schande" für die Slowakei: Beim Schutz von Minderheiten habe der Staat jämmerlich versagt.

 Bernhard Odehnal, Wien

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queer.de 22.5.10

Bratislava: Erster CSD von Gegenprotesten erschüttert

Die CSD-Demo muss abgesagt werden, nachdem Rechtsextreme Steine und Tränengas einsetzen. Am Nachmittag transportiert die Polizei die CSD-Teilnehmer von einer Kundgebung zu einem Partyboot.

Von Norbert Blech

Die erste CSD-Demo in der Geschichte der Slowakei, die "Regenbogenparade" durch die Innenstadt der Hauptstadt Bratislava musste am Samstag in letzter Sekunde abgesagt werden, nachdem Gegendemonstranten die Versammlung mit Gewalt störten und Neonazis, größtenteils von der "slowakischen Volkspartei", in der ganzen Innenstadt gesichtet worden waren.

Eigentlich wollten sich die 500 bis 1000 Teilnehmer des "Dúhový Pride" auf einen mindestens einstündigen Marsch durch die Innenstadt begeben. Nachdem die Polizei die Veranstalter gewarnt hatten, dass sie nicht für die Sicherheit der Teilnehmer garantieren könne, sagten die Veranstalter die Demonstration ab. Stattdessen kam es direkt zu der Abschlusskundgebung am Hviedzoslavovo-Platz.

Unter Zwischenrufen von rund 80 Gegendemonstranten gab es Musik und Redebeiträge, die grüne Europaabgeordnete Ulrike Lunacek aus Österreich wurde bei ihrer Ansprache mit kleinen Steinen und Eiern beworfen. Ein Gegendemonstrant hatte sich offenbar unter die CSD-Teilnehmer mischen können. "Er hat mich aber nicht getroffen", sagte Lunacek dem Standard. Sie war zusammen mit ihrer niederländischen Kollegin Marije Cornelissen nach Bratislava gereist.

Die Polizei tat sich Medienberichten zufolge schwer damit, die Lage unter Kontrolle zu halten. Der deutsche Grünenpolitiker Volker Beck kritisierte das Vorgehen der Behörden bereits kurz nach Eintreffen der ersten Meldungen: "Die Polizei in Bratislava ist offenkundig völlig überfordert. Es war ein Fehler, die Gegendemonstranten so nah an die Regenbogenparade zu lassen. Dabei war von vornherein absehbar, dass die Neo-Nazis die Strategie verfolgen, die Parade durch Gewalt zu sprengen." Die Verantwortlichen nähmen die Eskalation offenbar bewusst in Kauf.

Einer der CSD-Organisatoren, Peter Weisenbacher, kritisierte, die Polizei habe im Vorfeld nicht genügend abgesperrt. Aufgrund der großen Präsenz von Neonazis sei damit keine Möglichkeit mehr vorhanden, durch die Innenstadt zu ziehen. Allein auf dem Platz hatten die Polizisten alle Hände damit zu tun, die Veranstaltung zu schützen, Gegendemonstranten setzten sogar Tränengas ein. Mindestens vier Personen wurden am Rande der CSD-Veranstaltung festgenommen.

Auch in der Nähe kam es zu einem Übergriff: Rechtsradikale hatten des Haupt-Geschehens Personen in der Innenstadt angegriffen, die sie anhand einer Regenbogenflagge auf einer Tasche als schwul identifizierten. Ein Jugendlicher soll Verletzungen am Kopf davon getragen haben, auch Personen, die eingegriffen hätten, seien verletzt worden, einer davon ebenfalls am Kopf. Dem blutüberstömten Jugendlichen sei auch eine Digitalkamera gestohlen worden.
(Fortsetzung nach Anzeige und Video)

Polizei erkämpft den Weg zum Partyschiff

Um 17 Uhr und damit eine Stunde früher als geplant begann die Polizei damit, die Teilnehmer der Kundgebung vom Hviedzoslavovo-Platz zum Ort der Abschlussparty auf einem Schiff an der Donau zu eskortieren.

Die Demonstranten bekamen damit doch noch eine Art CSD-Parade: nach einem Bericht des Portals Cas.SK grüßten die Teilnehmer die Menschen am Straßenrand, einige grüßten zurück.

Um diesen Marsch zu ermöglichen, musste die Polizei zuvor eine Brücke von Gegendemonstranten räumen. Auch hier warfen Rechtsradikale Steine und Tränengas, einige Polizisten und Demonstranten wurden verletzt, rund 20 Menschen wurden festgenommen. Zum Schluss hatte die Polizei den Weg mit Schlagstöcken freigeräumt.

Nun entspannte sich offenbar die Lage: "Die Demo hat das Partyschiff erreicht. Man versammelt sich vor dem Schiff. Überall Polizei, keine Gegendemonstranten mehr zu sehen", berichtet ein deutscher Besucher von einem Schiff aus gegenüber Queer.de.

Die Zeitung "SME" kommentiert am Abend, der Tag habe ein "doppeltes Versagen" gezeigt: Zum einen brächte die Gesellschaft Menschen hervor, die anderen mit Gewalt ihre Meinung aufdrücken wollten. "Man kann zwar argumentieren: Primitive gibt es überall. Aber in der Slowakei addiert sich das zweite Versagen: das des Staates". Was hätten die Veranstalter denn noch mehr machen sollen, um einen akzeptablen Polizeischutz zu bekommen, fragt der Kommentator Lukáš Fila. Egal was man von Homosexualität halte, jeder Bürger des Landes müsse die Vorkommnisse verdammen. Zumindest Scham scheinen die Bürger tatsächlich zu empfinden: auf die SME-Online-Umfrage, ob Bratislava an dem Tag als tolerante Hauptstadt oder "Provinzloch" gewirkt habe, antworteten 84 Prozent mit letzterem.

Die Grünenpolitikerin Ulrike Lunacek hält den Tag trotz allem für erfolgreich: "Auf jeden Fall: die heutige Kundgebung, das Fest hier am Hauptplatz macht trotz der Bedrohung vielen Leuten, Mut. Und es ist ein erster Sieg, dass es überhaupt stattfindet", schreibt sie in ihrem Blog.

Der Chef der slowakischen Nationalpartei (SNS), Ján Slota, veröffentlichte am Nachmittag hingegen eine Presseerklärung, in der er den CSD kritisierte. "Wir glauben, dass Sexualität nicht in die Öffentlichkeit gehört", so der Politiker. Die Demonstranten hätten nicht nur moralische Werte in Gefahr gebracht, sondern hätten Gewalt provoziert und enorme Kosten für die Polizei verursacht.

Heftig umstrittener CSD

Bereits im Vorfeld hatte es Proteste gegen den ersten CSD der Slowakei gegeben. Gerade Ján Slota hatte vor einer "gesellschaftlich inakzeptablen" Demonstration von Schwulen und Lesben in Bratislava gewarnt und gedroht: "Ich werde persönlich kommen, um sie anzuspucken" (queer.de berichtete). Der Chef der kleinen Partei, die mit den Sozialdemokraten von Premier Robert Ficos reagiert, hatte zuvor Schwule mehrfach als "Schmutz" bezeichnet.

Es gab im Vorfeld aber auch Unterstützung. Die Europäische Kommission und 16 Botschaften, darunter die Deutsche, verschickten am Freitag eine solidarische Presseerklärung, einige EU-Botschaften wurden Sponsor der Veranstaltung. Homo-Aktivisten aus ganz Europa sowie Amnesty International unterstützten den CSD vor Ort.

Gleichgeschlechtlicher Sex ist (in der Tschechoslowakei) seit 1962 erlaubt und seit 1990 gibt es das gleiche Schutzalter wie für Heterosexuelle. Während das liberalere Tschechien inzwischen Eingetragene Lebenspartnerschaften kennt, gibt es im Nachbarland weiterhin keine Pläne zur Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnern. Durch EU-Richtlinien sind allerdings Antidiskriminierungsgesetze in Kraft.

Links zum Thema:
Webseite des CSD Bratislava
http://www.duhovypride.sk/en/

Videos:

http://www.youtube.com/watch?v=A77RykCDjWo
(02:06) Unkommentierte Originalbilder einer slowakischen Nachrichtenagentur, die auf den meisten slowakischen Portalen verbreitet wurde

http://www.sme.sk/c/5387857/duhova-bratislava-tolerantne-mesto-ci-provincna-diera.html
Bilder des Tages vom Portal sme.sk

http://www.youtube.com/watch?v=A8wTcGPpv9I
(01:59) Videobilder der Gegendemonstration am Hviedzoslavovo-Platz

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INTIFADA
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Bund 22.5.10

"Schweizer sollten keine Datteln mehr kaufen"

 Eine junge Generation von Palästinensern setzt auf gewaltlosen Widerstand. Der Boykott israelischer Exportgüter ist eine der Methoden der sogenannten weissen Intifada, sagen die beiden Aktivistinnen Hind Awwad und Basma Fahoum.

 Interview: Claudia Kühner

 Eine neue Widerstandsform macht als "weisse Intifada" von sich reden. Was genau heisst das?

 Hind Awwad: Es ist eine Form von gewaltlosem Widerstand. Den gibt es aber seit Jahrzehnten, auch wenn man immer nur von Gewalttaten gehört hat.

 Was sind die Methoden?

 Hind Awwad: In Israel gedenken die Araber seit Jahren der Zerstörung von 500 ihrer Dörfer in den Jahren 1948/49. Und in der Westbank gibt es regelmässig Demonstrationen und Boykotte.

 Wer boykottiert was?

 Hind Awwad: In Israel selber wie in den besetzten Gebieten werden die Produkte von Firmen boykottiert, die hier aktiv sind, auch internationale Unternehmen. Ein grosser Teil der Zivilgesellschaft macht mit, soweit es irgendwie geht.

 Sie sind doch völlig abhängig von der israelischen Wirtschaft und von internationalen Firmen.

 Basma Fahoum: Das ist richtig. Ich kann kein Konto führen, ohne dass die Bank profitiert. Wir setzen uns aber dafür ein, dass die internationale Zivilgesellschaft entsprechende Firmen boykottiert. Schweizer sollten zum Beispiel aufhören, Datteln aus Israel zu kaufen.

 Wie sollen Konsumenten unterscheiden, welche Produkte aus Israel, aus Siedlungen oder von palästinensischen Produzenten stammen, die man ja nicht boykottieren will?

 Basma Fahoum: Fast alles ist israelischen Ursprungs. Und fast jede israelische Firma hat in der einen oder anderen Weise auch mit den besetzten Gebieten zu tun.

 Hind Awwad: Es geht nicht so sehr um solche Unterscheidungen. Israel als Besetzer ist als Ganzes schuldig. Die Mehrheit der Palästinenser weiss, dass ein Boykott auch für sie einen Preis hat.

 Was halten Sie von Ministerpräsident Fayyads Plan, zivile Strukturen aufzubauen und in Bälde einen Staat auszurufen?

 Hind Awwad: Wir Palästinenser müssen auf drei Grundrechten beharren - dem Ende der Besetzung inklusive Räumung der Siedlungen, der Gleichberechtigung aller Palästinenser in Israel selber und dem Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge gemäss der UNO-Resolution von 1948. Fayyads Plan sieht nichts von alle dem vor. Nicht seine politische Vorstellung ist wichtig, unsere Rechte sind es.

 Wie viel Unterstützung hat er in der palästinensischen Gesellschaft?

 Hind Awwad: Keine. Er ist nicht gewählt, er ist als Ministerpräsident der Autonomiebehörde eingesetzt und finanziert vom Nahostquartett, von den USA. Der Westen sollte ihm keine Legitimität verschaffen, welche auch immer.

 Wer würde bei freien Wahlen denn gewählt? Etwa der im Gefängnis sitzende Fatah-Führer Marwan Barghouti?

 Hind Awwad: Wir würden uns für einen Volksaufstand entscheiden, nicht für eine Figur.

 Basma Fahoum, Sie kämpfen für Gleichberechtigung als Israeli, aber auch für die Menschen in den besetzten Gebieten.

 Basma Fahoum: Ich bin in einer schwierigen Position. Wir israelischen Palästinenser sehen uns als Teil des palästinensischen Volkes. Drohen israelische Politiker zum Beispiel mit "Transfer" der Menschen aus den besetzten Gebieten, berührt das auch uns.

 Können Sie die Wirkung Ihres ökonomischen Kampfes beziffern?

 Natürlich gibt Israel keine Zahlen heraus. Wir wissen aber, dass zum Beispiel in Grossbritannien kaum noch israelische Produkte gekauft werden. Während des Gaza-Kriegs meldeten israelische Farmer einen Verkaufsrückgang um 20 Prozent. Immer mehr Universitäten, Kirchen, Gewerkschaften, NGOs folgen dem Boykottaufruf. Massgebliche israelische Politiker und Militärs bezeichnen die internationale Boykottbewegung inzwischen als strategische Bedrohung. Unsere Kampagne bewegt also etwas.

 Divestment ist ein weiteres Stichwort: Ein wichtiger norwegischer Pensionsfonds hat seine Investitionen in Israel abgestossen. Kennen Sie noch andere Beispiele?

 Hind Awwad: Es gibt eine Reihe ähnlicher Aktionen, vor allem in Skandinavien. Im restlichen Europa herrscht aber noch weitgehend die Furcht, als antisemitisch angeprangert zu werden, weil man nicht unterscheidet zwischen Judenhass und Kritik an der Besetzung.

 Und in Amerika?

 Privatuniversitäten sind sehr aktiv. Das israelische Aussenministerium will keine offiziellen Abgesandten mehr dorthin entsenden, weil sie dauernd von Studenten unterbrochen werden. Die offizielle Politik sieht düster aus. Aber an der Basis tut sich einiges.

 Was wissen Sie über die Schweiz?

 Basmah Fahoum: Es gibt eine enge Zusammenarbeit im militärischen Sektor.

 Hind Awwad: Es scheint sich im öffentlichen Bewusstsein etwas zu tun, obwohl unsere Kampagne hier noch keine starke Unterstützung hat. Der Schweiz käme aber besondere Verantwortung zu als Depositärstaat der 4. Genfer Konvention von 1949, die den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten festhält.

 Die OECD nimmt Israel als Mitglied auf, obwohl es auch hier Diskussionen über die Besetzung gab. Wie sehen Sie das?

 Hind Awwad: Das ist schlimm. Denn Israel erfüllt die Aufnahmekriterien nicht. Zum Beispiel schliessen die Statistiken, die vorgelegt wurden, auch die besetzten Gebiete mit ein. In Israel selber besteht punkto Lebensstandard eine grosse Diskrepanz zwischen jüdischen und arabischen Bürgern. Schon dies alleine würde eine Mitgliedschaft verbieten.

 Basma Fahoum: Fast 40 Prozent der israelischen Araber - und fast 60 Prozent der arabischen Kinder - leben unter der Armutsgrenze.

 Wie ist die wirtschaftliche Entwicklung in den besetzten Gebieten? Die Israeli sprechen von Fortschritten, auch Salam Fayyad tut es. Ramallah ist eine fast florierende Stadt.

 Hind Awwad: Ramallah blüht, weil hier die Palästinensische Autoniomiebehörde sitzt und alles Geld hier investiert, auch die Gelder, die durch internationale Entwicklungshilfeorganisationen, unter anderem aus der Schweiz, hereinströmen. Unter Okkupation kann es aber keine florierende Wirtschaft geben. Israel hat unsere Landwirtschaft, die Industrie, die Umwelt zerstört.

 Wie sehen Sie die Spaltung der Palästinenser in Hamas und Fatah?

 Hind Awwad: Uns stellt sich die Frage so nicht. Das Problem sind die Flüchtlinge, die Besetzung. Hamas oder Fatah sind Teil unseres Volkes.

 Realistischerweise wird es aber nie eine Rückkehr von drei Millionen Palästinensern nach Israel geben.

 Hind Awwad: Es geht nicht um drei Millionen. Wir sind insgesamt zehn Millionen, und 70 Prozent sind Flüchtlinge oder deren Abkömmlinge. Gemäss Völkerrecht gibt es ein Recht auf Rückkehr und auf Reparationszahlung. Es ist also nicht die Frage, ob das praktikabel ist oder nicht.

 Basmah Fahoum: Juden aus aller Welt können sich jederzeit in Israel niederlassen, Palästinenser, die dort lebten, dürfen das nicht. Gewährt man uns nicht dasselbe Recht, nenne ich das rassistisch.

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Neue Formen des Widerstands

 Palästinensische Aktivistinnen

 Hind Awwad, 22, lebt in Ramallah und hat in den USA studiert. Sie koordiniert Kampagnen der Nichtregierungsorganisation BDS (Boykott, Sanktionen, Desinvestition, http://www.bdsmovement.net).

 Basma Fahoum, 22, ist israelische Araberin und lebt in Tel Aviv. Sie ist Aktivistin der NGO Who profits? (http://www.whoprofits.org). Auf deren Liste von 400 Firmen, die in den besetzten Gebieten aktiv sind, stehen die Schweizer Unternehmen Liebherr und Von Roll. Beide Frauen waren dieser Tage auf Einladung des Forums für Menschenrechte in Israel/Palästina in der Schweiz. (aus)

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GOOGLE
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Sonntag 23.5.10

Datenschützer will Gesetz gegen Google

 Hanspeter Thür startet europäische Gegenoffensive

Von Sandro Brotz und Nadja Pastega

 Der Internet-Konzern Google hat private Daten aus Computernetzen gespeichert - jetzt rollt der Widerstand an. Google hat die umstrittenen Kamerafahrten in der Schweiz gestoppt.

 Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür erhöht den Druck auf den US-Konzern Google. Nach der gravierenden Datenpanne fordert er in einem Interview mit dem "Sonntag" ein Google-Gesetz: "Jeder, der mit persönlichkeitsgefährdenden Applikationen auf den Markt geht, muss sich zertifizieren lassen. Er muss nachweisen, dass er die Privatsphäre bestmöglich berücksichtigt." Internet-Angebote und Applikationen, die eine Gefährdung der Persönlichkeitsrechte zur Folge haben könnten, müssten sich einem Genehmigungsverfahren unterziehen, so Thür: "Hier hat der Gesetzgeber mit der Ergänzung des Datenschutzgesetzes noch eine Aufgabe zu erfüllen."

 Im Nachgang zur Daten-Affäre, bei der Google bei Kamerafahrten für Street View auch personenbezogene Daten abgefischt hat, ist eine gemeinsame, europäische Strategie angelaufen. Die Gegenoffensive wurde von Thür lanciert. Er hat diese Woche mit den europäischen Datenschutzbehörden Kontakt aufgenommen: "Wir verlangen von Google, dass man uns die Daten zur Verfügung stellt."

 Google Switzerland - der grösste Standort ausserhalb den USA - hat die Kamerafahrten für Street View vorläufig gestoppt, wie ein Sprecher erstmals bestätigte. In einem ersten Schreiben an Datenschützer Thür hatte Google Switzerland noch erklärt, es handle sich bei den gesammelten Informationen "grundsätzlich nicht um Personen-daten". Für Thür hat Google "ein Glaubwürdigkeitsproblem".

 SEITEn 6/7, Kommentar Seite 15

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Wie sich Google im Netz verstrickte

 Noch am 7. Mai widersprach der Leiter Recht von Google Switzerland, Daniel Schönberger, in einem Brief an den Datenschutzbeauftragten vehement, es seien personenbezogene Daten gesammelt worden. Der "Sonntag" bringt die wichtigsten Auszüge:

 "(...) grundsätzlich nicht um Personen-daten handelt."

 "(...) in aller Regel nicht um Personendaten im Sinne des Datenschutzgesetzes."

 "Die Daten werden nicht für personenbezogene Zwecke verwendet."

 - "(...) und wenn doch, wird bekanntlich die Vermutung gelten, dass die Bearbeitung der Daten nicht persönlichkeitsverletzend ist."

 "(...) dass im Rahmen dieser Kamerafahrten nebst Bildaufnahmen auch andere Daten gesammelt werden."

 "Das System von Google arbeitet überdies passiv."

 Drei Tage später musste Google zugeben, dass doch persönliche Daten gespeichert wurden. (BRO/PAS)

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Google fischt im Graubereich

Von Sandro Brotz

 Die Nachricht: Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür fordert ein Google-Gesetz. Der Suchmaschinen-Gigant hat bei Kamerafahrten für Google Street View auch Daten von nicht gesicherten WLAN-Netzen gespeichert - angeblich aus Versehen.

 Der Kommentar: Stellen wir uns vor: Die Polizei fährt mit 360-Grad-Kameras durch die ganze Schweiz und saugt präventiv alle Daten ab, die aus öffentlichen Funknetzwerken erhältlich sind. Ob E-Mail-Fragmente oder besuchte Websites- alles wird gespeichert. Daneben werden Hausfassaden mittels Laser gescannt und die Kamera blickt in die Vorgärten hinein. Die Empörung wäre riesig. Und sie wäre berechtigt.

 Wenn aber nicht die Polizei, sondern das hype Google-Auto herumkurvt und im Datenteich fischt, bleibt es merkwürdig still. Einzig der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte stellt sich dem Internet-Riesen in den Weg. Es ist ein Kampf David gegen Goliath. Hier Hanspeter Thür mit gerade mal vier Computer-Experten, dort Google mit rund 20000 Mitarbeitern. Dass ausgerechnet ein Technologie-Unternehmen rein zufällig auch noch personenbezogene Daten abspeichert, ist schwer zu glauben. Warum hat Google überhaupt eine solche Software entwickelt? Auch wenn alles nur ein Fehler war: Google hat die Grenzen überschritten.

 Das Vertrauen ist angeschlagen, die Vorwürfe sind längst nicht ausgeräumt und die Krisenkommunikation miserabel. Es wird immer genau so viel zugegeben, wie bewiesen werden kann. Die Selbstregulierung funktioniert jedenfalls nicht mehr, wie auch "Die Zeit" feststellte ("Google an die Leine"). Der Auslauf für die Truppe des kongenialen Google-Gründer-Duos Sergey Brin und Larry Page ist zu grosszügig bemessen.

 Damit es nicht vergessen geht: Google ist keine Wohltätigkeitsorganisation, sondern ein knallharter, hochprofitabler Milliarden-Konzern, der mit einem Selbstbewusstsein agiert, das mitunter an Arroganz grenzt. In ihrem Business-Modell steht die Privatsphäre nicht an oberster Stelle. Transparenz schon gar nicht. Google verführt mit einem zugegebenermassen grossartigen Gratisangebot: Wer sucht, der findet - ohne bezahlen zu müssen. Im Gegenzug bekommt Google den gläsernen Benutzer. Damit der Preis für die Datenfreiheit am Schluss nicht zu hoch wird, braucht es jetzt eine gesetzliche Firewall gegen die Google-Schnüffelei.

 sandro brotz@sonntagonline.ch

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Promi-Gemeinde will Google-Auto ausbremsen

 Für Gemeindepräsident von Wollerau SZ ist Grenze überschritten - Google Switzerland stoppt Kamerafahrten

Von Sandro Brotz und Nadja Pastega

 Mit seinen Kamerafahrten späht Google auch die Wohnsitze von Prominenten aus. Nach der jüngsten Datenpanne tritt der Internet-Gigant jetzt auf die Notbremse.

 Diese Woche waren die Google-Autos wieder unterwegs: in Graubünden, der Ostschweiz und in der Innerschweiz. Auf dem Dachgepäckträger thront die Panorama-Kamera, in zwei Meter Höhe - damit lässt sich bequem über Gartenhecken hinweg in private Grundstücke hineinfilmen. Jetzt wurde bekannt: Bei den Kamerafahrten für das Internetangebot Street View hat Google auch persönliche Daten aus ungesicherten Computernetzen abgefischt - ohne Wissen der Netzbenutzer. Gesammelt wurden nach bisherigem Informationsstand Ausschnitte aus E-Mails und abgerufene Homepages.

 Der Promi-Gemeinde Wollerau SZ reichts. "Die Grenze des Tolerierbaren ist überschritten", sagt Gemeindepräsident Markus Hauenstein (CVP): "Die Kamerafahrten müssen gestoppt werden, bis die rechtlichen Fragen geklärt sind."

 Wollerau ist die Gemeinde mit der höchsten Prominenten-Dichte. Tennis-Star Roger Federer hat mit seiner Frau Mirka und den Zwillingen eine Luxus-Wohnung in Wollerau bezogen. An der "Diamantenküste" wohnen auch Marcel Ospel, UBS-Chef Oswald Grübel und Franco Knie. Zusammen mit der Nachbargemeinde Freienbach zählt Wollerau 170 Einkommensmillionäre. "Wir sind uns bewusst, dass Google Street View bei uns speziell heikel ist", sagt Gemeindepräsident Hauenstein. Nach der Datenfichierung müsse man jetzt ein Verbot prüfen: "Wenn Google die Datenschutzrichtlinien verletzt hat, muss Street View gesperrt werden."

 Druck kommt auch vom eidgenössischen Datenschützer Hanspeter Thür. Diese Woche lancierte er eine europäisch koordinierte Offensive der Datenschutzbehörden gegen den US-Internetgiganten. Für die Schweiz fordert Thür neue gesetzliche Bestimmungen mit einer Bewilligungspflicht für Angebote wie Street View (siehe Interview rechts).

 Google-Sprecher Matthias Meyer bestätigt erstmals, dass die Kamerafahrten in der Schweiz vorerst eingestellt wurden. Er verweist auf einen Blog des Google-Chefprogrammierers Alan Eustace. "Als wir das Problem bemerkt haben, wurden die Street-View-Autos gestoppt und die Daten auf unserem Netzwerk isoliert. Dann haben wir sie abgekoppelt, um den Zugang zu diesen Daten zu sperren", heisst es darin wörtlich. Das gelte auch für die Schweiz, so Meyer. Der Kartendienst Street View wurde im August 2009 für die Schweiz lanciert. Zunächst kurvten die Google-Autos mit der 360-Grad-Kamera in Zürich, Bern, Genf und Basel herum. Inzwischen sei die Panorama-Kamera "praktisch überall in der Schweiz" gewesen, so Meyer.

 In Deutschland, wo ebenfalls Daten aus ungeschützten Netzen abgesaugt worden sind, ist der Widerstand gegen den Internet-Giganten weit vorangeschritten. Jurist Jens Ferner hat Strafanzeige eingereicht - jetzt ermittelt die Hamburger Staatsanwaltschaft: "Wir wissen nicht, was von Google erfasst wurde. Das soll jetzt meine Strafanzeige klären", sagt Ferner. Er ist der Ansicht, dass die Justiz bei Google eine Durchsuchung machen und allfällige Beweismittel sicherstellen müsste. "Wer in Deutschland offene Netzwerke benutzt, macht sich strafbar", erklärt Ferner. Falls es sich nicht um eine zielgerichtete Aktion des US-Konzerns handle, müsse zumindest festgestellt werden, "dass bei Google pures Chaos herrscht".

 Der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar hat Google ein Ultimatum gestellt. In einer Woche muss das Unternehmen Details zu den abgefangenen Daten liefern. In Bayern verlangte Innenminister Joachim Herrmann von Google, die Aufnahmen für Street View so lange zu stoppen, bis der Sachverhalt im Zusammenhang mit der Erfassung und Speicherung von privaten Netzdaten geklärt sei. Der Technologieriese ist dieser Forderung nachgekommen - die Kamerawagen bleiben vorerst in der Garage.

 Die Datenpanne trifft Google ins Mark. In Zürich befindet sich der grösste Firmen-Standort ausserhalb des Hauptsitzes in Kalifornien. Die Rolle von Zürich sei für Google "sehr wichtig", sagt Kommunikationschef Matthias Graf. Was 2004 mit zwei Mitarbeitern begonnen habe, sei mit über 600 Angestellten aus 50 Ländern zum Hauptentwicklungszentrum für Europa, den Mittleren Osten und Afrika angewachsen. Graf spricht von einem "internationalen Entwicklungshub" und einer "Koordinationsdrehscheibe".

 Google Switzerland legt Wert auf die Feststellung, dass die Datenpanne den Standort Zürich nicht infrage stelle. "Das hat keinen Zusammenhang", sagt Kommunikationschef Graf.

 Kommentar Seite 15

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Das sagt der Google-Insider

 Ein Ex-Google-Kadermann gegenüber dem "Sonntag" zur WLAN-Affäre:

 "Ich kann nicht glauben, dass die Daten zielgerichtet abgefischt und ausgewertet wurden. Andererseits: Solche Daten haben ein riesiges Potenzial! In diesem Fall scheint mir aber die Rechte nicht gewusst zu haben, was die Linke macht. Google ist auch in der Schweiz so stark gewachsen, dass strukturelle Probleme entstanden sind. Das Unternehmen leidet am Microsoft-Syndrom: Statt nur noch positiven News, wird das Unternehmen wegen seiner Machtstellung kritisiert. Google hat sich von der Grundphilosophie entfernt. Statt ‹User first› heisst es jetzt: ‹Shareholder first›." (BRO/PAS)

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NZZ am Sonntag 23.5.10

Lauschangriff von Google

Raffael Schuppisser

 Dass Google Daten sammelt, ist lange bekannt und nichts anderes als die Geschäftsgrundlage der Internetfirma aus Kalifornien. Seit vergangener Woche aber hat die Kritik an Google eine neue Qualität erreicht. Denn der Konzern musste zugeben, dass die Fahrzeuge, mit denen er weltweit die Street-View-Aufnahmen macht, nicht nur die öffentlich zugänglichen Identifikationsnummern von drahtlosen Internetroutern gespeichert haben, sondern auch die von den privaten WLAN-Netzen übertragenen Nutzdaten - Inhalte von E-Mails zum Beispiel oder von aufgerufenen Websites.

 Google hat dieses Vergehen nach einer Anfrage des Hamburger Datenschutzbeauftragten eingestanden und als ein Versehen bezeichnet. Man habe nur unverschlüsselte WLAN-Netze abgehört und nicht solche, die durch ein Passwort geschützt waren. Privat waren die Daten natürlich trotzdem, und dass Google offenbar Methoden von Hackern angewendet hat, gibt Datenschützern neue Munition im Kampf gegen den Internetgiganten.

 Dabei ist die Behauptung, dass es sich um ein Versehen gehandelt habe, noch gar nicht einmal abwegig. Personenbezogene Daten dürften die vorbeifahrenden Autos jedenfalls kaum gewonnen haben, dazu wäre der Analyseaufwand vermutlich zu gross. Ohnehin sammelt Google auf ganz legalem Weg viel mehr und höherwertige persönliche Daten, als es ein Street-View-Auto jemals könnte. Plausibel wäre allenfalls, dass Google aus den in einem Quartier abgegriffenen Daten indirekt Rückschlüsse auf die sozio-ökonomische oder auch ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung ziehen kann. Google jedoch bestreitet, die "irrtümlich" gespeicherten Daten genutzt zu haben. Ob das stimmt, wird sich vermutlich nie überprüfen lassen.

 WLAN-Schnüffeln beendet

 Als Reaktion hat der Konzern nun aber immerhin das Sammeln sämtlicher WLAN-Daten - also auch öffentlicher Identifikationsnummern und der Namen der WLAN-Netze - durch die Street-View-Autos gestoppt.

 Die Skepsis gegenüber Google wird trotzdem weiter wachsen. Das Image des sympathischen und unkonventionellen Internetkonzerns dürfte endgültig ramponiert sein. "Google hat sich zur unkontrollierten Macht im Internet entwickelt. Google ist <ein Wolf im Schafspelz>, ein Monopolist, der eifrigste Datensammler der Welt, der Dutzende Patente auf Methoden hat, die aus der Überwachungsindustrie stammen könnten", schreibt der österreichische Autor Gerald Reischl in seinem Buch "Die Google-Falle".

 Google wurde 1998 mit dem Ziel gegründet, die "Informationen der Welt zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen." In Rekordzeit ist Google zur wertvollsten Marke der Welt geworden. 23,6 Milliarden Dollar hat die Firma letztes Jahr umgesetzt, das meiste durch Vermarktung von personalisierter Werbung, die vielen Datenschützern ein Dorn im Auge ist.

 Als im August letzten Jahres Google seinen Dienst Street View für Schweizer Städte aufschaltete, gerieten auch die hiesigen Datenschützer in Rage. Street View unterwandere unsere Privatsphäre, hiess es. Um seinen digitalen Kartendienst Google Maps attraktiver zu gestalten, hat Google kurzerhand ganze Städte und Landstriche abgefahren, fotografiert und das Bildmaterial auf dem Netz öffentlich zugänglich gemacht. Dass Google dabei auch WLAN-Daten aufnahm, ahnte damals noch niemand. Den Kritikern ging es schon zu weit, dass die Google-Autos auch private Grundstücke einfingen. Dabei zeigt Street View eigentlich nichts anderes, als jeder tagtäglich selber auf den Strassen sehen kann, verwischt dabei sogar - so gut es mit automatischen Verfahren geht - Gesichter und Nummernschilder. Trotzdem schürt Street View die Angst, weil hier allfällige Verletzungen der Persönlichkeitsrechte direkt fassbar werden.

 Das Buzz-Debakel

 Weniger offensichtlich, im Grunde aber schwerwiegender ist ein anderer Fall, der ebenfalls zu einem entrüsteten Aufschrei im Web geführt hat. Anfang Jahr lancierte Google - als Antwort auf Facebook und Twitter - sein Social Network Buzz. Der Dienst ist in Googles E-Mail-Service, Gmail, eingebettet. Um Buzz einen Startvorteil zu verschaffen, hat Google bei der Vernetzung der Gmail-Nutzer nachgeholfen und all jene Kontakte, mit denen man häufig E-Mails austauscht, automatisch in die Freundesliste integriert. So fand eine Amerikanerin plötzlich ihren gewalttätigen Ex-Mann in ihrem Buzz-Freundeskreis. "Fuck You Google", lautete ihr Statement in einem öffentlichen Blog. Buzz habe ohne ihr Wissen ihrem Ex-Mann ihre sozialen Kontakte und ihren Wohnort verraten.

 Dass Google so exakt Bescheid weiss, mit wem genau die Gmail-Nutzer E-Mail-Verkehr haben, mag ahnungslose Internetsurfer erstaunt haben. Dass der Konzern das aber so hemmungslos zu seinen Gunsten ausnutzt, ist brisant und hat zu harscher Kritik in der Web-Öffentlichkeit geführt. Nach wenigen Tagen schon gab Google nach: Die automatische Vernetzungs-Strategie wurde fallengelassen, und Google-Manager Todd Jackson hat sich persönlich in einem Blog entschuldigt.

 Warum aber liegt Google so viel an einem Social Network, dass der Konzern bei der Etablierung von Buzz alle Skrupel beiseite schob? Die Antwort ist simpel: weil Google noch mehr persönliche Daten von uns will. Ein soziales Netz ist eine Datenfundgrube. Die Nutzer müssen sich mit Namen registrieren und geben in Statusmeldungen oft detailreiche Angaben über ihr Privatleben preis.

 Doch auch wer keinen Account bei Gmail hat und bloss die Suchmaschine von Google verwendet, verrät dem Unternehmen einiges über seine Identität, seine persönlichen Vorlieben und vielleicht sogar seine Geheimnisse. Letzten Dezember hat Google die "personalisierte Suche" lanciert. Seither protokolliert Google alle Suchanfragen der letzten sechs Monate - also jedes einzelne Wort, das wir in die Suchmaske von Google eingetippt haben. Dafür verwendet Google ein sogenanntes Cookie, eine auf dem eigenen Computer hinterlegte Information. Dieses Cookie bleibt auch nach dem Herunterfahren des Rechners gespeichert, so dass Google nun bei jeder Suchanfrage den Computer identifizieren kann.

 Ein Tauschgeschäft

 Wer zudem eine Gmail-Adresse besitzt oder für andere Online-Anwendungen wie etwa Youtube einen Google-Account eingerichtet hat, der verrät Google zusätzlich zu diesen Suchergebnissen seinen Namen. Die personalisierte Suche lässt sich deaktivieren (vgl. Box), doch die wenigsten User tun das; den meisten dürfte es nicht einmal bewusst sein, dass Google ihre Suchanfragen speichert.

 Google betont, dass diese Funktion dabei helfe, bessere Suchergebnisse zu generieren. Gleichzeitig hilft die personalisierte Suche Google aber auch dabei, uns noch präziser mit Werbung zu versorgen.

 Wenn wir Google-Dienste verwenden, gehen wir ein Tauschgeschäft ein: Wir erhalten gratis Zugang zu Google-Angeboten wie Suchmaschine, digitale Karten oder E-Mail-Account und gewähren dafür Google Einsicht in unser Leben. Je mehr Dienste wir nutzen, desto mehr Daten geben wir preis. Aus den Daten schlägt Google Kapital in Form von passgenauer Werbung.

 Wer die Vorteile von Gmail nutzt, willigt auch ein, dass Google die Mails maschinell liest und diese mit passender Werbung flankiert. Wer etwa eine E-Mail schreibt mit den Worten "Schweden" und "Urlaub", erhält Werbung für eine Website, die Ferienhäuser in Schweden vermietet. Installiert man auch die "Google Toolbar" im Browser, so profitiert man von vereinfachten Surfoptionen, gestattet aber auch, dass Google mitsurft - also weiss, welche Websites man besucht. Und wer den Dienst "Google Desktop" installiert, kann seine Festplatte ebenso einfach durchsuchen wie das Web. Wer die Suche jedoch auf mehrere Computer erstrecken möchte, muss damit leben, dass der Suchindex - das Inhaltsverzeichnis der Festplatten - auf einem Server von Google gespeichert wird.

 Auch wer keine Google-Services nutzt, entgeht dem Konzern nicht ganz. Seit Google DoubleClick, einen führenden Vermarkter von Internet-Bannerwerbung, erworben hat, kann Google seine Fühler über die eigenen Websites hinaus ausfahren. DoubleClick hat sich darauf spezialisiert, Werbung auf Internetseiten zu vermarkten und diese zu analysieren. Dabei erfasst DoubleClick auch, von welchen Computern aus die mit Werbung angereicherten Websites aufgerufen werden.

 Und damit ist Googles Datenhunger noch nicht gestillt. Mit dem Mobiltelefon-Betriebssystem Android hat sich Google auch in unsere Handys eingeklinkt. Denn hier schlummert das Potenzial für einen gigantischen Werbemarkt. Über vier Milliarden Handys sind weltweit in Gebrauch, deutlich mehr als Computer. Immer mehr Menschen nutzen das Mobiltelefon, um im Web zu surfen. Und Handys haben noch einen weiteren Vorteil: Dank den GPS-Empfängern lassen sich Mobiltelefone orten.

 "Na und?", könnte man auf all das erwidern. Solange Google diese Informationen nur dafür verwendet, persönliche Werbung zu placieren, mag das wenig kümmern. Irgendwie muss Google ja Geld verdienen, um seine Dienste zu finanzieren.

 Weisheit der Masse

 Google spioniere niemanden aus, sei auch gar nicht an den Namen der Nutzer interessiert und gebe die Daten keinesfalls an Dritte weiter, sondern verwende diese nur dazu, um die Suche zu optimieren, betont der Konzern. Und Jeff Jarvis, Professor für interaktiven Journalismus und Star-Blogger, schreibt in seinem Google-enthusiastischen Buch "What Would Google Do?": "Google nutzt die Weisheit der Masse und respektiert dabei jeden Einzelnen innerhalb dieser Masse." Doch auch er räumt ein, dass das Vertrauen schlagartig verspielt wäre, wenn die Daten, die man über uns gesammelt hat, missbraucht würden. Oder wenn, wie nun im Falle des WLAN geschehen, private Daten heimlich und ohne rechtliche Grundlage gesammelt werden, möchte man hinzufügen.

 Die Vorstellung, dass unsere Daten in der Hand eines einzigen Konzerns liegen, kann ein mulmiges Gefühl auslösen. Irgendwo auf den Hunderttausenden von Google-Computern, die in Dutzenden von Rechenzentren vor sich hinsummen, sind auch unsere Daten gespeichert. Wer garantiert uns, dass Google sein Wissen nicht doch einmal missbraucht? Oder von einem Geheimdienst dazu gezwungen wird?

 "Wenn es etwas gibt, von dem Sie nicht wollen, dass es irgendjemand erfährt, sollten Sie es vielleicht gar nicht erst tun", sagte Google-CEO Eric Schmidt im Dezember gegenüber dem amerikanischen Fernsehsender CNBC. Ob ihm die Tragweite dieses Satzes wirklich bewusst war oder ob er das nur so dahinsagte, blieb offen. Doch nicht nur verschlossene Spiessbürger, sondern auch die offene Facebook-Generation müsste bei einer solchen Aussage eigentlich aufhorchen.

 Google-Fahrzeuge mit Street-View-Kamera auf der Cebit-Messe in Hannover. (3. März 2010)

 Datenschutz

 Wie man das Datensammeln verhindert

 Drahtlose WLAN-Netze sollte man nie ohne Verschlüsselung betreiben, weil sie sonst für kriminelle Zwecke missbraucht werden könnten. Als sicher gilt derzeit einzig der Standard WPA2. Ob er aktiviert ist, überprüft man, indem man in der Systemsteuerung die "Netzwerkverbindungen" öffnet und dort per Rechtsklick die "Eigenschaften" der WLAN-Verbindung kontrolliert.

 Um Google daran zu hindern, Suchanfragen aufzuzeichnen, muss man die personalisierte Suche deaktivieren. Das geht so: Auf Google.ch eine Suche durchführen und auf der Ergebnisseite oben rechts auf "Webprotokoll" und dann auf "Anpassung auf der Grundlage der Suchaktivitäten deaktivieren" klicken. Wer einen Google-Account besitzt, muss das Webprotokoll im Bereich "Mein Profil" abschalten.

 Auch die Google-Tochter DoubleClick kann am Datensammeln gehindert werden. Dafür wählt man auf der Seite doubleclick.com oben die Registerkarte "Privacy & Opt-Out" an und klickt dann auf "ad cookie opt-out". Wichtig: Bei all diesen Deaktivierungen wird ein neues Cookie auf den Rechner geladen, das Google und DoubleClick am Protokollieren der Web-Tätigkeiten hindert. Wird dieses gelöscht, beginnt das Datensammeln von neuem. (upp.)

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(hir) Ein soziales Netz ist eine Datenfundgrube. Die Nutzer machen oft detaillierte Angaben über ihr Privatleben.

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(hir) Mit dem Mobiltelefon-Betriebssystem Android hat sich Google auch in unsere Handys eingeklinkt.

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Bund 22.5.10

Strafanzeige gegen Google

 Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen unbekannte Mitarbeiter von Google Deutschland eingeleitet. Diese stehen im Verdacht, Daten abgefangen zu haben. Vergangene Woche hatte Google eingeräumt, dass man bei den Fahrten für den Dienst Street-View nicht nur Standorte und Namen privater Internetfunknetze (WLAN) erfasst, sondern auch Nutzerdaten ungeschützter Netze gespeichert hat. Nun hat der in der Nähe von Achen ansässige Rechtsanwalt Dieter Ferner Strafanzeige eingereicht, wie er der "Süddeutschen Zeitung" erklärte.

 In der Schweiz sind ebenfalls Daten aus ungeschützten Netzen abgesaugt worden. Laut Hans Bebié, dem stellvertretenden leitenden Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Zürich, ist man daran, Kontakt mit dem eidgenössischen Datenschützer Hanspeter Thür aufzunehmen und Vorermittlungen durchzuführen. In Juristenkreisen zweifelt man indessen daran, ob das Vorgehen von Google strafrechtlich relevant sei. Der Artikel 143 im schweizerischen Strafgesetzbuch stellt die unbefugte Datenbeschaffung dann unter Strafe, falls die Daten gegen diesen Zugriff "besonders gesichert" sind. (rf)

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FACEBOOK
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Sonntagszeitung 23.5.10

Datenleck bei Facebook & Co

 Anzeigenkunden hatten Zugang zu Nutzerdaten

 Facebook, MySpace und andere soziale Online-Netzwerkdienste haben laut "Wall Street Journal" Daten ihrer Nutzer an Anzeigenkunden weitergegeben - trotz gegenteiliger Versprechungen. Bei jedem Klick auf eine Anzeige schicken Facebook und Co. Informationen über die Nutzerkennung mit; je nach individuellen Profileinstellungen der Nutzer können Anzeigenfirmen wie DoubleClick (Google) und Right Media (Yahoo) daraus auch Informationen über die Nutzer selber gewinnen. Diese verneinen allerdings, die Daten genutzt zu haben. Facebook sieht sich in letzter Zeit heftiger Kritik ausgesetzt, weil die Webseite die Privatsphäre ihrer Nutzer zu wenig schütze. Auf die jüngsten Vorwürfe hat Facebook reagiert und das Datenleck gestopft. (NW)

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GIPFEL-SOLI
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gipfelsoli.org/Newsletter 21.5.10

21.5.2010 Genua -- Ontario -- Heiligendamm -- Strasbourg/ Baden-Baden

- Top Italian policemen get up to five years for violent attack on G8 protesters
- Knast für Prügelpolizisten
- Gewalt auf G8-Gipfel in Genua: Polizisten müssen in den Knast
- Diaz Sentence 18th May 2010
- Italy backs convicted Genoa G8 police
- ANTI-CAPITALIST CONVERGENCE 2010
- Direct Action in Ottawa
- Ottawa police have suspects in firebombing
- G20 will give homeless the heave-ho
- Cops ask truckers to act as 'look outs' during summits
- If CSIS comes knocking
- DLR maps for G8 Summit in Heiligendamm, June 6 to 8, 2007
- NATO summit in Strasbourg/France
Mehr: http://gipfelsoli.org/Newsletter/8400.html

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ANTI-ATOM
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Oltner Tagblatt 25.5.10

Atomgegner auferstanden

 Niederamt-Olten MenschenStrom gegen Atom mit über 4000 Teilnehmern

 An der internationalen Kundgebung "MenschenStrom gegen Atom" marschierten gestern 4000 bis 5000 Personen durchs Niederamt.

 Beat Wyttenbach

 Organisiert von über 80 Vereinigungen aus der Schweiz, Deutschland, Frankreich und Österreich, fand gestern Pfingstmontag ein Marsch von Aarau durchs Niederamt nach Olten statt. Der "MenschenStrom gegen Atom" setzte sich gegen den Bau neuer Kernkraftwerke und für eine möglichst sichere Lösung bei den Endlagern ein. In den Referaten, die bei der Zwischenstation im Niedergösger Mülidorf und an der Schlussveranstaltung in der Oltner Schützenmatte gehalten wurden, vertraten die Rednerinnen und Redner die Auffassung, dass die Stromversorgungslücke von den Kraftwerksbetreibern und den sie unterstützenden Politikern herbeigeredet werde, um neue Kernkraftwerke bauen zu können. Die erneuerbaren Energien würden ausreichen, um den Strom aus den auslaufenden Kernkraftwerken ersetzen zu können, meinten sie.

 Nach Angaben der Veranstalter wie auch der Kantonspolizei Solothurn verlief die Aktion friedlich und wurde durch keine Gewaltakte oder Sachbeschädigungen gestört. Seite 19

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Über 4000 Menschen marschierten mit

 MenschenStrom gegen Atom Friedliche Kundgebung führte von Aarau durchs Niederamt nach Olten

 Es waren über 4000 Personen, die sich am gestrigen Pfingstmontag auf den Weg machten, um gegen den Bau neuer Kernkraftwerke zu demonstrieren. Der "MenschenStrom gegen Atom" marschierte dabei von Aarau über Niedergösgen zur Schlusskundgebung auf der Schützenmatte in Olten.

 Beat Wyttenbach

 Bereits morgens um 10 Uhr hatten sich die ersten rund 700 Personen von Aarau aus auf den Weg gemacht auf ihrem "MenschenStrom gegen Atom"; nochmals gegen 2000, gemäss Schätzungen der Organisatorinnen und Organisatoren, machten sich vom Däniker Bahnhof aus auf den Weg, um ins Niedergösger Mülidorf zu gelangen. Zehn respektive zwei Kilometer hatten sie zurückgelegt, als sie in Niedergösgen ankamen.

 "Gegen Ausbau der Kernenergie"

 Dort wurden den Medienschaffenden an einer Pressekonferenz die Rednerinnen und Redner kurz vorgestellt. "Wir haben die Aktion lanciert, weil uns mit den drei Rahmenbewilligungsgesuchen seitens der Axpo, der BKW und der Alpiq ein massiver Ausbau der Kernenergie droht", erklärte Leo Scherer vom OK. "Leider glauben viele, es gäbe kaum ungefährlichere Alternativen. Dabei erleben die Windkraft und die Sonnenenergie einen massiven Aufschwung. Nur die Schweiz hinkt hinterher", so Scherer, der die Meinung vertritt, dass man die Bevölkerung von der starken Förderung alternativer Energien überzeugen müsse.

 Auf den Eindruck, es seien weniger Leute erschienen als erwartet, meinte Scherer: "In Kaiseraugst waren es auch nicht auf Anhieb 10 000." "Mit gegen 3000 Teilnehmenden ist jedenfalls schon ein guter Anfang gemacht", doppelte Michael Tanner, Mediensprecher der Vorbereitungsgruppe, nach. 83 verschiedene Organisationen von der Alternativen Liste Zürich über das "Sortir du nucléaire" aus Frankreich bis hin zur "Vorarlberger Plattform gegen Atomgefahren" und zur "Werkstatt für gewaltfreie Aktion Baden" hatten zu dem Anlass eingeladen.

 "Energiewende wurde sabotiert"

 Pünktlich um 12.30 Uhr begannen im Mülidorf, wo mit Wimpelmalen, Kinderschminken und der Spielzeugkiste auch für die jüngsten Teilnehmenden etwas geboten wurde, die Referate. Jürg Aerni von "Fokus Anti-Atom" monierte, dass der Stromverbrauch lange Zeit künstlich hochgetrieben und verteuert worden sei. "So wurde eine Energiewende sabotiert", meinte er.

 Die Energiekonzerne würden bereits von den Bauplänen für neue KKWs sprechen, "als ob diese schon eine sichere Sache wären". Hinter diesen Diskussionen würden Anstrengungen laufen, die bisherigen Kraftwerke "bis zu 60 Jahre zu betreiben". Dies gelte es zu verhindern. Mühleberg und Beznau beispielsweise seien mit rund 40 Betriebsjahren "mehr als ausgereizt" und gehörten "zu den gefährlichsten Industrieanlagen der Schweiz, ja sogar Europas". Deshalb gelte es, eine Stilllegungsverfügung durchzusetzen.

 Hannes Lämmler vom Europäischen Bürgerforum zeigte anschliessend das Schicksal des Dorfes Falea in Mali im Grenzgebiet zu Guinea und dem Senegal auf. Dort, so Lämmler, werde unter anderem Uran abgebaut, was auf mehrere Jahrhunderte hinaus zur Verseuchung von Umwelt und Grundwasser führen würde. Ganze Weiler, Dörfer, Felder, Wälder und Gärten würden gemäss der entsprechenden Vertragskarte mit den Abbaukonzernen voneinander getrennt; es handle sich dabei um eine "moderne Form des Kolonialismus".

 "Zukunft ohne atomare Risiken"

 Hannah Fasnacht von "Klar! Schweiz", eine 20-jährige Aktivistin, referierte anschliessend zum Thema der Atommüllproblematik. "Heute und jetzt wollen wir zeigen, dass wir eine Zukunft ohne atomare Risiken wollen", hielt sie einleitend fest. Das Atommüllproblem, so Fasnacht, bleibe ungelöst. "Wir wissen nicht, wie lange die Atommüllbehälter halten und welche Gefahren von ihnen ausgehen, wenn sie verrotten", sagte sie. Man wisse generell vieles in diesem Zusammenhang nicht.

 Sie werde die Atommüllproblematik auch noch als alte Frau umtreiben, glaubte sie. Und viele Generationen würden sich noch damit beschäftigen müssen. "Wir sind dafür verantwortlich, dass für den Atommüll nur die sicherste Lösung ohne ungelöste Fragen und Probleme und ohne zeitlichen Druck realisiert wird", mahnte sie abschliessend.

 "Gefährlich und unnötig"

 Nach musikalischen Einlagen der Songpoeten Aernschd Born und Markus Rüeger äusserte sich noch die Solothurner Nationalrätin Brigit Wyss (Grüne) zum Thema "AKW sind gefährlich und unnötig". Sie fragte provozierend: "Braucht es AKWs, um eine Stromlücke zu verhindern, oder braucht es eine Stromlücke, um den Bau von AKWs zu forcieren?" Kernkraftwerke, so Wyss, seien "alles andere als CO 2-neutral", und die angedrohte Versorgungslücke existiere gar nicht.

 Vielmehr gehe es im "grossen Strompoker" um "ein Geschäft mit ganz viel Geld". Sie zeigte auf, welche Pannen in den vergangenen Jahrzehnten weltweit aufgetreten sind und hielt fest, dass das 1990 eingegangene Atommoratorium deshalb "kein Zufall" gewesen sei. Sie wies auch auf die Risiken hin, die bei militärischer Nutzung der Kernenergie entstünden und forderte: "Genug ist genug! Spätestens 2013 wird die Bevölkerung den Bau von neuen Atomkraftwerken ablehnen. Davon bin ich überzeugt."

 Es folgten Grussworte aus Frankreich (Claude Ledergerber vom Comité pour la Sauvegarde de Fessenheim et de la plaine du Rhin sowie Charlotte Mijjeon von "Sortir du Nucléaire") und aus dem Tessin (SP-Nationalrat Fabio Pedrina und Matteo Buzzi von Greenpeace Ticino), bevor sich die Kolonne in Gang setzte, um die restlichen sieben Kilometer bis zur Schützenmatte in Olten unter die Füsse zu nehmen, wo der Menschenstrom zeitweilig "auf 4000 bis 5000 Personen" anschwoll, wie Tanner und Andreas Mock vom Mediendienst der Kantonspolizei Solothurn übereinstimmend bestätigten. Auffallend dabei war, dass die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich von ausserhalb der Region rekrutierten und viele Familien mit Kindern, aber auch viele Jugendliche mitmarschierten.

 "Profite wichtiger als Sicherheit"

 Dort angekommen, führte Nationalrat Rudolf Rechsteiner (SP, Basel-Stadt) den Anwesenden die Risiken vor Augen, die seines Erachtens von Kernkraftwerken ausgingen, wie den umweltbelastenden Uranabbau, das Unfall- und Krebsrisiko, die Terrorrisiken durch Plutonium und die hohen Kosten. Bei Kernkraftwerken handle es sich um alles andere als um sichere Technologie. Den Betreibern seien "Profite wichtiger als Sicherheit".

 Es gehe dabei um Menschenleben. "Menschenleben sind nicht verhandelbar", so Rechsteiner. Er gab sich überzeugt, dass der "Kampf gegen neue Atomkraftwerke" zu gewinnen sei, wenn man "die Solarenergie auch in unserem Land endlich voranbringt" und zusätzlich auf Holz und Wasserkraft als Energiequellen setze. Die Bevölkerung der Schweiz, so Rechsteiner abschliessend, müsse "vor neuen Atomkraftwerken geschützt werden". Auch Christian van Singer, grüner Nationalrat aus dem Kanton Waadt, unterstrich die Gefährlichkeit der Kernenergie.

 Nach Einlagen des Poetry Slammers Simon Chen überbrachten Iris Wallaschek vom Bündnis 90/Die Grünen (Kreis Waldshut) sowie Hildegard Breiner vom Naturschutzbund Vorarlberg die Grussbotschaften aus Deutschland und Österreich. Danach liess die Schweizer Rap-Beatboxer-Queen Steff la Cheffe den Anlass musikalisch ausklingen.

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 "Die Erwartungen wurden übertroffen"

 Michael Tanner zog am Schluss der Kundgebung eine positive Bilanz des Anlasses. "Es war total genial, dass so viele kamen". Die Erwartungen seien übertroffen worden. Die wichtigste Erkenntnis des Tages: Die Aktion blieb von A bis Z friedlich; es kam zu keinerlei Zwischenfällen, wie Tanner und Mock ebenfalls übereinstimmend bekräftigten. Einzig beim Marsch von Niedergösgen auf Olten sei es zwischenzeitlich zu Verkehrsbehinderungen gekommen, so Mock. Für die Zukunft gesehen, dürfte dies wohl nicht der letzte Anlass seiner Art gewesen sein, liess Tanner durchblicken. "Man wird wieder von uns hören", bemerkte er. (bw)

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NLZ 25.5.10

Neue Atomkraftwerke

 4500 Gegner demonstrierten in Gösgen

 Lange war es still um die Anti-AKW-Bewegung. Jetzt meldet sie sich zurück. Und schon wächst die Hoffnung auf ein grosses Comeback.

 sda/red. Rund 4500 Gegner haben gestern mit einem Marsch gegen den Neubau von Atomkraftwerken (AKW) in der Schweiz protestiert. Politiker und Umweltverbände sehen den Pfingstmontagmarsch als Auftakt zu einer neuen Anti-AKW-Bewegung.

 Atomkraft stehe der Förderung erneuerbarer Energien im Weg, sagte die grüne Solothurner Nationalrätin Brigit Wyss an der Kundgebung in Mülidorf, einem zu Niedergösgen im Kanton Solothurn gehörenden Weiler in unmittelbarer Nähe des Atomkraftwerks Gösgen. Mit dem Protestmarsch werde der Grundstein für den Ausstieg aus der Atomenergie gelegt. An der Schlusskundgebung in Olten sprach sich unter anderen auch der Basler SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner gegen den Bau neuer Atomkraftwerke aus. Rechsteiner sagte, der Protest sei mehr als nur eine politische Demonstration; er sei auch eine Kundgebung für eine neue "industrielle Revolution".

 "Erst der Anfang"

 Der gestrige Protestzug sei erst ein Anfang, betonte Leo Scherrer von Greenpeace Schweiz. Bis zur voraussichtlich im Jahr 2013 stattfindenden Volksabstimmung wolle man wieder "eine neue Anti-AKW-Bewegung" in Gang bringen. Die letzte politische Bewegung gegen den Bau von Kernkraftwerken liegt rund 40 Jahre zurück. Um das Jahr 1970 formierte sich in unserem Land die ersten Anti-AKW-Bewegungen. Sie besetzten unter anderem 1975 das Gelände des projektierten Kernkraftwerks Kaiseraugst AG.

 Zur gestrigen Kundgebung hatten 83 Organisationen und Parteien aus der Schweiz sowie aus den Nachbarländern Frankreich, Österreich und Deutschland aufgerufen. Unter den Teilnehmern waren sowohl Veteranen der alten Anti-AKW-Bewegung wie auch zahlreiche junge Menschen zu finden.

 Der Anlass verlief laut einer Mitteilung der Polizei ohne jeglichen Zwischenfall. Die Sicherheitskräfte schätzten, dass an der Schlusskundgebung in Olten bis zu 5000 Personen teilnahmen.

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Zofinger Tagblatt 25.5.10

Verkehr, Umweltschutz und Sicherheit

 Niederämter Gemeinderäte äussern sich zum Richtplanverfahren für ein zweites Atomkraftwerk

 Der Gemeinderat Dulliken lehnt ein zweites AKW im Niederamt ab. Die übrigen 14 Gemeinden des Niederamts, in denen der Richtplan aufgelegt wird, sagen nicht a priori Nein, sondern haben - teilweise - Richtplanänderungen beantragt.

 Beat Wyttenbach

 Der Gemeinderat Dulliken lehnt ein zweites AKW im Niederamt einstimmig mit 7:0 Stimmen ab. Es stellt sich nun die Frage, wie sich die Stimmung innerhalb der Gemeinderäte der übrigen 14 Gemeinden des Niederamts (ohne Hauenstein-Ifenthal, Trimbach und Wisen) präsentiert. Diese hatten bis am Freitag Zeit, ihre Anträge zum Entwurf der Richtplananpassung an das kantonale Amt für Raumplanung einzureichen.

 Gemeinsam ausgearbeitet

 Niedergösgens Gemeindepräsident Kurt Henzmann hielt als Präsident des Vereins Gemeindepräsidentenkonferenz Niederamt in seiner Reaktion auf das Nein des Dulliker Gemeinderates fest, dass die drei möglichen Standortgemeinden Däniken, Gretzenbach und Niedergösgen ein Konsenspapier ausgearbeitet hätten, das alle aus heutiger Sicht denkbaren Aspekte dieses Bauverfahrens abdeckt. "Die drei Gemeinden haben ihren Standpunkt gemeinsam verfasst und treten auch gemeinsam auf; dies im Bestreben um Objektivität und Fairness sowie mit dem Ziel, das regionale Denken zu fördern und die bisher sehr gute Zusammenarbeit zu stärken. Die Diskussionen haben einige Schwerpunkte ergeben, die der Regierung und dem Amt für Raumplanung in einem Bericht übermittelt wurden."

 In der Zusammenfassung des zehnseitigen Dokuments stellen die drei Gemeinden folgende Hauptforderungen:

- Die Richtplanänderung soll nur für ein neues Atomkraftwerk gelten und weder ein Nachfolgewerk noch den Ersatz des KKG noch ein Tiefenlager für radioaktive Abfälle präjudizieren.

- Ein- und Umzonungen sollten nicht zulasten der bestehenden rechtskräftig ausgeschiedenen Bauzonen gehen.

- Die "reizvolle Auen- und Uferlandschaft" der alten Aare sei während der Bauzeit bestmöglich zu schonen, danach im alten oder ökologisch aufgewerteten Zustand der Natur und der Bevölkerung zurückzugeben und zugänglich zu machen.

- Das Bauvorhaben sei auf andere Grossprojekte in der Region abzustimmen. Insbesondere sei sicherzustellen, dass das KKN mindestens im bestehenden Ausmass auf drei Seiten an das Verkehrsnetz angebunden werde, ohne Wohngebiete zu beeinträchtigen: An die Hauptstrasse H5 im Süden Dänikens und im Raum Gretzenbach und an die Oltnerstrasse Niedergösgen via Industriestrasse.

- Die Belastung von Verkehr und Infrastruktur während des Baus sei zuverlässig zu ermitteln und es seien geeignete Massnahmen zu ergreifen. Die Immissionen seien minimal und der Verkehr flüssig zu halten.

- Die Anbindung der Arbeitszonen aller drei Standortgemeinden an das Schienennetz sei mindestens im heutigen Umfang aufrechtzuerhalten.

- Die betroffene Region sei für die aus dem Bauvorhaben resultierende Mehrbelastung angemessen zu entschädigen.

- Die Betreiber würden aufgefordert, sowohl in der Projektierungs- als auch in der Bauphase und beim späteren Betrieb eng mit den Standortgemeinden zu kooperieren.

 Die Gemeinden reagieren

 Eppenberg-Wöschnau, so Gemeindepräsident Stephan Bolliger, habe eine Stellungnahme eingereicht. Darin stehe der Verkehr im Zentrum. Zum einen sei für den Gemeinderat ein Verkehrsaufkommen von lediglich 5 Prozent "unrealistisch". Zum anderen fehle dem Rat ein ausgeklügeltes Verkehrskonzept.

 Lostorf, so Gemeindepräsidentin Ursula Rudolf, habe diverse Änderungsanträge eingebracht. Im Bereich Umwelt störe sich der Gemeinderat, dass der alte Aarelauf beeinträchtigt werde, falls das KKN auf dem Teilareal Nord realisiert würde. Im Bereich Verkehr fordere der Rat, dass vermehrt das Schwergewicht auf den öV zu legen sei. Allgemein erachte der Rat einen Parallelbetrieb von Gösgen I und II als nicht sinnvoll.

 Man sei bei der Stellungnahme "mehr oder weniger" vom Entwurf der drei möglichen Standortgemeinden ausgegangen, so der Obergösger Gemeindepräsident Christoph Kunz. Der Rat habe ferner festgehalten, dass bautechnisch keine Nachteile für die Region entstehen dürften. Generell seien saubere Lösungen in den Bereichen Verkehr, Umwelt und Raumordnung grosse Anliegen seitens des Rates. Das Wichtigste aber sei, dass ein zweiter Bauplatz nicht auf die Dauer legitimiert würde. Will heissen: Gösgen I und Gösgen II sollten nicht auf Ewigkeiten parallel betrieben werden.

 Mit einem Zweizeiler zu Wort gemeldet hat sich Rohr, wie Gemeindepräsident Max Ernst sagt. "Wir werden Wert darauf legen, dass Rohr einen angemessenen Anteil aus dem Kostenverteiler erhält." Wenn dem so sei, unterstütze der Rat das Projekt Gösgen II, sonst nicht.

 In seiner Stellungnahme habe der Gemeinderat Schönenwerd unter anderem bemängelt, dass der Nuklearteil zu wenig umschrieben sei und dass keine Angaben zur Abfallentsorgung während des Betriebes gemacht worden seien, so Gemeindepräsident Peter Hodel. Beim Thema Verkehr habe der Rat bemerkt, dass noch weitere grössere Baustellen wie der Eppenberg-Tunnel in Planung seien, die ebenfalls zur Steigerung des Verkehrsaufkommens beitragen könnten. Es fehlten Hinweise auf flankierende Massnahmen.

 Auch Winznau habe eine Stellungnahme eingereicht, so Gemeindepräsident Markus Scheiwiller: "Wir wollten damit sicherstellen, möglichst nichts zu vergessen, was man im Nachhinein bereuen könnte."

 Kanton im gleichen Boot

 Kantonsplaner Bernard Staub vom Amt für Raumplanung hat die Änderungsanträge der zehn Gemeinden zur Kenntnis genommen. Er nehme die Anliegen der Gemeinden ernst und diese sowie die Anliegen des Kantons würden sich zu grossen Teilen decken. "Wir sitzen im selben Boot", so Staub. Welche Änderungen im Richtplan aufgenommen werden, entscheide sich in den kommenden Wochen. Am Mittwoch, 9. Juni, ist eine Info-Veranstaltung für die Niederämter Bevölkerung angesetzt. Diese findet um 19 Uhr in der Mehrzweckhalle Inseli in Niedergösgen statt. Der Richtplan liegt vom 7. Juni bis 7. Juli in den Gemeinden auf.

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sf.tv 24.5.10

Anti-AKW-Demo: Generationen gegen Dinosaurier-Technik

 Zwischen 4000 und 5000 AKW-Gegner haben mit einem Marsch gegen den Neubau von Atomkraftwerken (AKW) in der Schweiz protestiert. Politiker und Umweltverbände sehen den Pfingstmarsch als Auftakt zu einer neuen Anti-AKW-Bewegung.

sda/from

 Die gelbe Anti-Akw-Sonne ist wieder da - wie zur Zeit der grossen Anti-AkW-Demos der 70er-Jahre. Farbig, vielfältig - mittlerweilen generationen-übergreifend und friedlich ist der Protest.

 Tessin bietet sich an

 Atomkraft stehe der Förderung erneuerbarer Energien im Weg, sagte die Grüne Solothurner Nationalrätin Brigit Wyss an der Kundgebung in Mülidorf, einem zu Niedergösgen (SO) gehörenden Weiler in unmittelbarer Nähe des Atomkraftwerks Gösgen. Mit dem Protestmarsch werde der Grundstein für den Aussteig aus der Atomenergie gelegt.

 Auch der Tessiner SP-Nationalrat Fabio Pedrina rief zum Kampf gegen den Neubau von Atomkraftwerken in der Schweiz auf. Matteo Buzzi von "Greenpeace Ticino" erinnerte, dass gerade in der Sonnenstube der Schweiz die Rahmenbedingungen für alternative Energien sehr gut seien.

 Die Botschaft der Demonstranten ist klar: Atomkraftwerke sind überholte, eine "Dinosaurier-Technologie", die abgeschafft werden müsse. Die Zukunft gehöre den erneuerbaren Energien.

 Alles ohne Zwischenfall

 Der Protestzug von rund 4500 Personen sei erst der Anfang, sagte Leo Scherrer von Greenpeace Schweiz. Bis zur - voraussichtlich 2013 stattfindenden - Volksabstimmung wolle man "eine neue Anti-AKW-Bewegung" in Gang bringen. In der Schweiz formierten sich um 1970 die ersten Anti-AKW-Bewegungen. Sie besetzten 1975 das Gelände des projektierten AKW Kaiseraugst (AG). Die neue Bewegung müsse sich nun erst entwickeln, sagte Scherrer.

 Im Publikum waren sowohl Veteranen der alten Anti-AKW-Bewegung wie auch zahlreiche junge Menschen zu finden. Der Anlass war mit vielen Angeboten für Kinder familienfreundlich gestaltet und verlief ohne jeglichen Zwischenfall, wie der Mediensprecher der Solothurner Kantonspolizei vor Ort festhielt.

 Zahlreiche Organisationen

 Zur Kundgebung hatten insgesamt 83 Organisationen und Parteien aus der Schweiz sowie aus Frankreich, Österreich und Deutschland aufgerufen. Bis zu 700 Personen marschierten mit Transparenten in Aarau los. Gegen 3000 Menschen hatten sich in Mülidorf versammelt, teilte die Kantonspolizei Solothurn mit. Zahlreiche Menschen kamen vom Bahnhof in Däniken (SO) dazu.

 Die Schlusskundgebung fand in Olten (SO) statt, wo unter anderem die Nationalräte Christian van Singer (Grüne/VD) und Rudolf Rechsteiner (SP/BS) Reden hielten. Dort waren gemäss Polizeiangaben 4000 bis 5000 Menschen anwesend.

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swissinfo.ch 24.5.10

Suche nach geeignetem Standort für Atomabfall

swissinfo

 Die Firma Arius im aargauischen Baden hilft den europäischen Nachbarn bei der Suche nach einem passenden Tiefenlager für radioaktive Abfälle. Zehn Länder, darunter Österreich und Italien, nehmen die Dienstleistungen der Firma bereits in Anspruch. Die Schweiz gehört nicht dazu.

 Im Jahr 2006 hat die Schweizer Regierung ein 10-Jahres-Moratorium für die Ausfuhr von radioaktivem Abfall erlassen. Für dessen Lagerung ist der Verursacher verantwortlich."Ein Lager im Ausland ist nicht ganz auszuschliessen. Dies wäre aber nur unter sehr strikten Auflagen möglich", sagt Matthieu Buchs, Mediensprecher des Bundesamtes für Energie, gegenüber swissinfo.ch. "Ausserdem gibt es zur Zeit keine Zeichen dafür, dass eine internationale Lösung gefunden wird."Vielleicht wird dies Arius ändern können. Die Firma arbeitet mit COVRA zusammen, dem nationalen Amt für Entsorgung in den Niederlanden. Zusammen führen sie eine multinationale Arbeitsgruppe. Deren Aufgabe ist es, die Machbarkeit einer nicht profitorientierten Europäischen Deponieentwicklungs-Organisation (European Repository Development Organisation ERDO) zu untersuchen."Das Konzept, dass sich sehr kleine Länder darum bemühen, zusammenzuarbeiten, um eine Deponie zu errichten, macht wirtschaftlich Sinn", sagt Charles McCombie, Geschäftsführer von Arius, gegenüber swissinfo.ch.Neben gemeinsamen Geldmitteln, teilen die in das ERDO-Projekt involvierten Länder auch ihr Wissen. Dabei soll nicht nur eine gemeinsame Anlage für die Endlagerung von atomaren Abfällen erstellt werden. Ziel ist auch herauszufinden, wie eine künftige europäische Deponie-Organisation funktionieren könnte.

 Wessen Hinterhof?

 Allein die Standortsuche für Atomenergie ist schwierig. Wer sagt schon freiwillig ja zu einem AKW in seinem Hinterhof? Geschweige denn zu einem Lager für gebrauchte Brennstäbe."Tiefenlager sind sehr schwierig zu bauen. Zudem sind sie sehr teuer", sagt McCombie: "Für ein sehr kleines Land mit wenig Abfällen, ist es fast nicht selber finanzierbar."Der erste Schritt ist einen Ort zu finden, der den geologischen Anforderungen entspricht. Ein solcher Ort kann beispielsweise ein Gebiet sein, das nicht durch Erosion der Oberfläche gefährdet ist."Es ist eine technische Herausforderung, aber wenn es hart auf hart kommt, dann ist das noch der leichtere Teil. Der wirklich schwierige Teil wird sein, einen geeigneten Ort zu finden, wo die gesellschaftliche Akzeptanz genügend hoch ist," sagt McCombie.Lokale Widerstände gegen Deponien können zwar heftig sein. Aber es gibt auch Fälle, wo die betroffenen Gemeinden Interesse daran hatten, die Rolle von Abfallverwaltern zu übernehmen.In Skandinavien beispielsweise haben sich einige Städte sogar einen Wettkampf für solche Gelegenheiten geliefert. Sie bringen verschiedenen Nutzen wie direkte finanzielle Anreize oder die langfristige Sicherung von Arbeitsplätzen."Wir hoffen, dass sich die gleichen Prinzipien auf der multinationalen Ebene anwenden lassen", sagt McCombie. Natürlich hange der Erfolg des ERDO-Programms davon ab, ob sich eine bereitwillige Gemeinde und ein bereitwilliges Land finden lässt.

 Schweizer Standorte

 Das Schweizerische Kernenergiegesetz fordert, dass radioaktive Abfälle in einem Tiefenlager aufbewahrt werden müssten. Zurzeit werden die Abfälle allerdings temporär in einer überirdischen Anlage gelagert."Die Schweiz ist der Meinung, dass es die Pflicht jener ist, welche die radioaktiven Abfälle produzieren, eine Lösung innerhalb des Landes zu suchen", sagt Buchs.Die Suche für einen angemessenen und langfristigen Deponiestandort wurde während längerer Zeit verfolgt. Mögliche Orte wurden in den Kantonen Aargau, Nidwalden, Obwalden, Thurgau, Schaffhausen, Solothurn und Zürich gefunden.Nicht jeder ist allerdings darüber erfreut. Erhard Meister, Regierungspräsident von Schaffhausen, sagte gegenüber der Sonntags Zeitung: "Ein Atommüll-Lager ist in der Region von Schaffhausen nicht zu akzeptieren."

 Ein langer Prozess

 In einem Bericht, der Anfang Mai veröffentlicht wurde, schreibt die Eidgenössische Kommission für nukleare Sicherheit, dass die Gebiete um den Südranden in Schaffhausen, im Zürcher Weinland und beim Aargauer Bözberg, "sehr passende" Gebiete seien für schwach- und mittelaktive Abfälle.Gemäss der Kommission und Nagra, der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, ist das Zürcher Weinland am geeignetsten für hochradioaktive Abfälle.2011 will der Bund eine definitive Entscheidung darüber treffen, wo radioaktive Abfälle deponiert werden sollen. Dennoch ist es wahrscheinlich, dass es zehn Jahre dauern wird, bis die nötigen Abklärungen getroffen sind, um ein solches Lager zu bauen.Wo auch immer die Abfälle vergraben werden - McCombie weist darauf hin, dass es Schlimmeres als radioaktive Abfälle gäbe, wie zum Beispiel grosse Steinbrüche oder Anlagen der Chemieindustrie, ganz zu schweigen vom Brennstab-Kreislauf."Das ist für die Umwelt problematischer. Der schlimmste Teil ist der, den wir nicht sehen - der Abbau und das Zerkleinern von Uran", sagt McCombie, der während zwanzig Jahren technischer und wissenschaftlicher Leiter der Nagra war.Nichts in der Welt habe "null Risiko", sagt McCombie. Trotzdem beobachte er eine zunehmende Akzeptanz gegenüber Atomenergie, und zwar in einer Gesellschaft, in welcher der Energiekonsum ebenfalls am Steigen sei. "Heutzutage haben die Menschen realisiert, insbesondere in der Schweiz, dass Atomkraftwerke vernünftig und sicher sind."

Susan Vogel-Misicka, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Sandra Grizelj)

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Sonntagsblick 23.5.10

Die Bahn in der Stromfalle

 Bauen die SBB ein AKW?

Von iso Ambühl


 Die Bahnen brauchen schon bald massiv mehr Strom. Der Atomlobby ist das nur recht: Sie möchte die SBB als Partner beim Bau eines neuen AKWs.

 Über 327 Millionen Passagiere beförderten die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) im letzten Jahr. Diese Zahl könnte sich laut Prognosen bis 2030 verdoppeln. Das heisst: Die SBB brauchen massiv mehr Züge. Das bedeutet gleichzeitig: Die SBB brauchen mehr Strom.

 Viel mehr!

 SBB-Sprecher Reto Kormann spricht von einer drohenden "Energielücke". Sie wird bis 2030 auf 400 Gigawattstunden im Jahr ansteigen. Das SBB-Stromsparprogramm, das bis in fünf Jahren 230 Gigawattstunden einsparen soll, ist in dieser Zahl bereits eingerechnet. Zum Vergleich: 230 Gigawattstunden Strom verbrauchen 60 000 Haushalte im Jahr. Die SBB-Züge benötigten 2009 insgesamt 1700 Gigawattstunden.

 Die Situation verschärft sich bereits 2017. Dann werden die Züge durch den neuen Gotthard-Basistunnel donnern und das Zürcher S-Bahn-Netz wird dichter denn je sein. Bereits dann schwinden die Stromreserven für den Spitzenbedarf, etwa wenn an einem Wintermorgen im Stossverkehr der Energiebedarf in kurzer Zeit in die Höhe schnellt. Kommt hinzu, dass die Züge im einspurigen Gotthard-Basistunnel wegen des höheren Luftwiderstands viel mehr Strom schlucken als in anderen Tunnels.

 Offiziell spielen die SBB das Problem herunter. Ein Notfallplan sei nicht notwendig, sagt Jon Bisaz, Leiter von SBB Energie. Er setze darauf, dass die Bahnen ihren Strombedarf auch langfristig zu drei Vierteln aus klimaschonender Wasserkraft beziehen könnten.

 So einfach ist dies nicht. Die SBB stecken mitten in sehr schwierigen Verhandlungen. Sie möchten die Konzessionen für vier wichtige Wasserkraftwerke im Tessin, Unterwallis und am Sihlsee (Etzelwerk) erneuern. Die Standortkantone wollen aber mehr Mitsprache und die Preise erhöhen.

 Zürich, Zug und Schwyz gingen wegen des Etzelwerks im Januar vors Bundesverwaltungsgericht. Streitpunkt: Sie beanspruchen neu das Eigentum am Kraftwerk, was den SBB nicht passt. Im Fall des Ritom-Kraftwerks sind die Gespräche zwischen SBB und Tessiner Regierung seit Jahren blockiert. Das Bundesamt für Energie gab ihnen für eine Lösung eine letzte Frist bis Ende Juni.

 Lachende Dritte ist jetzt die Atomlobby. Bei den Stromkonzernen Axpo, BKW und Alpiq, die ein neues AKW bauen wollen, können die Bahnen jederzeit anklopfen. "Für uns wären die SBB ein interessanter Partner", sagt Axpo-CEO Heinz Karrer (51).

 Karrers politisches Kalkül liegt auf der Hand: Mit den beliebten SBB im Boot wäre eine Volksabstimmung über den Bau neuer Atomkraftwerke eher zu gewinnen.

 Die SBB geben sich bedeckt. Sprecher Kormann bestätigt einzig, dass die Bahn mit Vertretern der Strombranche immer wieder "informelle Gespräche" führe. Bereits heute fahren die SBB-Züge zu fast einem Viertel mit Atomstrom, vorwiegend aus französischen AKWs. Doch diese kostengünstigen Verträge laufen ab 2016 aus.

 Entscheide sind keine gefallen. Doch die Zeit drängt: Bis 2011 definieren die SBB, wie sie die Stromversorgung künftig sicherstellen.

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BZ 22.5.10

AKW Mühleberg

 Ein Nein hätte Folgen

 Der Bund gibt nicht nach: Der Kanton Bern erhält nicht mehr Zeit für die AKW-Abstimmung. Diese ist überaus wichtig.

 Der Bund gewährt den Kantonen nicht mehr Zeit für ihre Stellungnahmen zu den geplanten neuen Atomkraftwerken. Der Berner Regierungsrat hatte eine Fristerstreckung verlangt, weil er das Volk anhören will. Nun soll die Abstimmung im Februar 2011 stattfinden. Sie ist gemäss dem neuen BKW-Präsidenten Urs Gasche überaus wichtig: Ein Nein wäre wohl das Aus für ein neues AKW in Mühleberg.
 fab

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AKW-Abstimmung

 Leuenberger bleibt hart

 Bundesrat Moritz Leuenberger lässt den Kanton Bern abblitzen: Er findet, die Zeit für eine Abstimmung über ein AKW in Mühleberg reiche aus. Das Hin und Her ist verwirrlich. Bern will nun die Expressvariante wählen.

 Alles Bitten half nichts: Der Kanton Bern bekommt nicht mehr Zeit, um die konsultative Volksabstimmung über den Neubau eines Atomkraftwerks in Mühleberg durchzuführen. Dies gab das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) von Bundesrat Moritz Leuenberger (SP) gestern bekannt. Die kantonale Abstimmung soll nun wie geplant am 13.Februar 2011 stattfinden.

 Die Berner Regierung hatte um eine Fristerstreckung gebeten, da die Zeit für eine seriöse Vorbereitung der Abstimmung zu knapp sei (wir berichteten). Das Hin und Her ist einigermassen verwirrlich. Die Berner Regierung ging davon aus, dass die definitive Stellungnahme - also jene des Volkes - zwingend bis Ende März 2011 abgegeben werden müsse. Das Uvek erklärt nun aber, bis Ende März müsse erst die "regierungsrätliche Stellungnahme" eingereicht werden. Jene des Volkes könne der Kanton später noch nachreichen.

 "Das schaffen wir"

 Das hat Barbara Egger (SP), die bernische Energiedirektorin, verwirrt, wie sie eingesteht. Sie fragt sich, wieso sich das Uvek dagegen sperre, die Frist zu verlängern, dafür aber erlaube, dass auch später noch Stellungnahmen eingereicht werden. Ihr Verdacht: "Ich werde den Eindruck nicht los, dass die spätere Stellungnahme des Volkes gar nicht mehr wirklich berücksichtigt würde, weil das Verfahren in der Zwischenzeit schon weiter fortgeschritten ist." Deshalb will die Berner Regierung alles daran setzen, dass das Volk am 13.Februar abstimmen kann. "Irgendwie werden wir das schaffen", sagt Egger. Das Wichtigste sei, dass Bern eine einzige Stellungnahme abgebe und nicht zuerst eine provisorische und dann eine zweite, die der ersten womöglich noch widerspricht. "Das würde kein Mensch begreifen."

 Amt gegen Verzögerung

 Beim Bundesamt für Energie wehrt man sich gegen Eggers Verdacht: Spätere Stellungnahmen aus Volksabstimmungen würden genauso berücksichtigt und in die Beurteilung einfliessen wie die anderen. Dies sei möglich, auch wenn das Verfahren parallel dazu fortgesetzt werde. Wenn aber die Frist für die Stellungnahmen generell erstreckt worden wäre, hätte dies zu einer Verzögerung des ganzen Verfahrens geführt.

 "Nichtstellungnahme"?

 Es ist kein Zufall, dass die Diskussion um die Fristen gerade in Bern so intensiv geführt wird. Bern ist der einzige AKW-Standortkanton mit einer mehrheitlich rot-grünen Regierung, die neue AKW grundsätzlich ablehnt. Allerdings steht ihr ein Grosser Rat mit einer atomfreundlichen bürgerlichen Mehrheit gegenüber, die bei den Wahlen massiv gestärkt wurde.

 Der Fahrplan sieht nun so aus: Der Grosse Rat dürfte die Regierung in der Junisession verpflichten, eine positive Stellungnahme zum AKW-Neubau in Mühleberg zu verfassen. Diese dürfte im November im Grossen Rat mit klarem Mehr verabschiedet werden. Allerdings wird der Regierungsrat beantragen, das Geschäft dem obligatorischen Referendum zu unterstellen und damit eine Volksabstimmung zu ermöglichen. Das Volk könnte so entscheiden, ob es der positiven Stellungnahme zustimmt oder diese ablehnt.

 Wenn die AKW-Gegner obsiegen, gibt Bern eine Art "Nicht-stellungnahme" ab: Der Kanton würde dem Bund mitteilen, die Mehrheit des Volkes lehne es ab, eine positive Stellungnahme zu einem neuen AKW in Mühleberg abzugeben. Das Signal wäre so oder so klar.

 Die Abstimmung ist zwar nur konsultativ, aber überaus wichtig: Der neue BKW-Präsident Urs Gasche sagt, bei einem Nein, sei der Standort Mühleberg im Rennen mit Gösgen und Beznau "wohl ziemlich chancenlos" (siehe Interview auf Seite 38).
 fab

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Bund 22.5.10

Meinungen zu AKW Gösgen II gespalten

 Im Solothurner Niederamt regt sich Widerstand gegen den Bau eines neuen Atomkraftwerks (AKW) Gösgen II. Der Gemeinderat von Dulliken SO lehnt das neue AKW grundsätzlich ab. Die anderen Gemeinden fordern vor allem eine gerechte Abgeltung. Ein neues AKW würde die Lebensqualität im Niederamt zusätzlich verschlechtern und das diffuse Sicherheitsgefühl beeinträchtigen, sagte Theophil Frey, Gemeindepräsident von Dulliken SO, gestern auf Anfrage. Deshalb lehnte der Dulliker Gemeinderat in einer Vorkonsultation die Anpassungen im Richtplan für Gösgen II ab. Damit wolle man "ein Zeichen setzen", hielt Frey fest. Sollte das AKW dennoch kommen, wolle sich Dulliken vor allem für eine gerechte Abgeltung einsetzen. Die Abgeltung sei auch anderen Gemeinden im Niederamt ein Anliegen, sagte Kurt Henzmann, Gemeindepräsident von Niedergösgen.

 Beim Bundesamt für Energie liegen neben dem Rahmenbewilligungsgesuch für das AKW Niederamt auch Gesuche für ein neues AKW in Mühleberg BE und Beznau AG vor. Der Bundesrat entscheidet über die drei Gesuche voraussichtlich Mitte Mai 2012. (sda)

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Aargauer Zeitung 22.5.10

"Kein Atommüll im Bözberg"

 Rund 60 Personen fanden sich auf dem Stalden ein zur Gründung des Vereins KAIB

 Grossrätin Elisabeth Burgener sagte: "Überall regt sich Widerstand, ausser am Bözberg." Der Verein KAIB will das nun radikal ändern.

Peter Belart

 Der Grossraum Bözberg ist einer von sechs möglichen Standorten, die von der Nagra zur Tiefenlagerung radioaktiver Abfälle ausgeschieden wurden. Knapp 50 Gemeinden liegen innerhalb eines Perimeters, der von einem allfälligen Bau betroffen sein könnte. Dazu kommen grenznahe Gebiete Deutschlands. Der neu gegründete Verein KAIB ("Kein Atommüll im Bözberg") will sich dafür einsetzen, dass hier keine atomaren Abfälle eingelagert werden. Er stellt jedoch auch die Tiefenlagerung ganz allgemein infrage und plädiert für ein Moratorium in dieser Sache.

 Vier Gründe dagegen

 Das Argumentarium des Vereins umfasst im Wesentlichen vier Punkte: Erstens sei die Region schon jetzt mit diversen Anlagen aus dem Atom- und Energiebereich weit überdurchschnittlich belastet; eine weitere Zuweisung sei nicht zumutbar. Zweitens müsse eine wissenschaftlich fundierte Lösung gefunden werden; beim Bözberg dagegen stünden politische Überlegungen im Vordergrund. Drittens fehlten Erfahrungen mit einer sicheren Lagerung und diverse technische Aspekte seien ungelöst: "Wir wollen nicht Versuchskaninchen sein." Viertens sei nicht nachvollziehbar, wie sich ein Atommülllager mit der Idee eines Juraparks vertrage.

 Folgende Personen wollen nun im Vorstand des Vereins KAIB dafür kämpfen, dass diesen Argumenten Rechnung getragen wird: Elisabeth Burgener, Gipf-Oberfrick, Grossrätin, Werklehrerin und Erwachsenenbildnerin; Jörg Wyder, Remigen, Agronom im Ruhestand; Elisabeth Tauss, Gipf-Oberfrick, medizinische Praxisassistentin, Bio-Fachfrau; Wendel Hilti, Gipf-Oberfrick, Biologe; Erwin Hermes, Gipf-Oberfrick, Pharma-Forscher; Matthias Gautschi, Brugg, Biologe, Biochemiker. Burgener und Wyder fungieren als Co-Präsidenten.

 "Atommüll XY ungelöst"

 Bei der Behandlung der Statuten gab einzig die Formulierung des Vereinszwecks einiges zu reden: "Der Verein bezweckt, ein Atommülllager im Bözberg zu verhindern." Einzelne Votanten empfanden die Formulierung als allzu schroff und negativ gefärbt; sie drangen aber in der Abstimmung nicht durch.

 Das Tätigkeitsprogramm sieht als ersten Punkt die Teilnahme an einer Veranstaltung vor, die am 9. Juni um 20 Uhr im Brugger Salzhaus stattfindet. Die Schweizerische Energie-Stiftung (SES) wird dort unter dem Titel "Atommüll XY ungelöst" auf offene Fragen und mögliche Risiken eingehen.

 Die den Abend abschliessende Umfrage verlief animiert. Ein Votant hielt fest, auf dem Bözberg selber rege sich kaum Widerstand. Man müsse unbedingt die Bözberger besser aufklären und zum Widerstand ermuntern. Es sei doch klar, was die Nagra bezwecke, sagte ein anderer: Möglichst tief hinunter, Deckel drauf und zu - aus den Augen, aus dem Sinn. Eine solche Politik sei unredlich.

 "Es eilt nicht"

 Weiter wurde angeregt, vermehrt alternative Energien zu fördern, um nicht weitere Problem-Abfälle zu generieren. Neue AKW seien zu verhindern. Jemand mahnte an, die einzelnen vorgesehenen Standorte nicht gegeneinander auszuspielen. "Es eilt nicht!", sagte ein Mann; die Technik mache rasante Fortschritte und so seien zukünftige neue Lösungsansätze in dieser Frage gut vorstellbar. Eine Frau wies auf den Sinneswandel hin, den die verantwortlichen Instanzen in letzter Zeit vollzogen hätten: "Zuerst hiess es, Salzschichten seien am sichersten, dann hiess es, kristallines Gestein sei zu bevorzugen, und nun steht der Opalinuston im Vordergrund. Mein Glaube an solche Aussagen ist erschüttert."

 Auch nach Versammlungsschluss wurden die Diskussionen noch längere Zeit animiert fortgesetzt.

 Weitere Informationen: KAIB, Postfach 30, 5073 Gipf-Oberfrick http://www.kaib.ch

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St. Galler Tagblatt 22.5.10

Atom-Ausstieg bis 2050

 Die Stadt unterbreitet einen Gegenvorschlag zur SP-Initiative "Stadt ohne Atomstrom". Laut diesem sollen die Stadtwerke künftig einen Strommix "ohne Atomstromanteil" als Standardprodukt anbieten.

 Peter Brühwiler

 Die SP der Stadt St. Gallen war vor einem Jahr skeptisch: Mit dem Auftrag für den Stadtrat, einen Gegenvorschlag zu ihrer Initiative "Stadt ohne Atomstrom" auszuarbeiten, sei "noch in keiner Weise gesichert, dass der Ausstieg aus der Atomenergie auch tatsächlich erfolgen wird". Dies schrieb sie in einem Communiqué, nachdem die Volksinitiative im Stadtparlament klar durchgefallen war.

 Ebenso klar wurde der Stadtrat im Gegenzug zur Ausarbeitung des Gegenvorschlages beauftragt. Die SP teilte in besagtem Communiqué weiter mit, man ziehe die Initiative nicht zurück, "solange kein Gegenvorschlag vorliegt, der den Atomausstieg mindestens so konkret und realistisch vorzeichnet".

 Ziel: Ausstieg bis 2050

 Die SP-Initiative verlangt, bestehende Verträge zum Bezug von Atomenergie nicht zu verlängern und keine neuen einzugehen. Dies würde einen schrittweisen Atomausstieg ab 2017 bedeuten, denn dann laufen die ersten wichtigen Atomstrom-Lieferverträge der Stadt St. Gallen aus.

 "Die Stadt verfolgt das Ziel, unter Wahrung der Versorgungssicherheit den Bezug von Atomenergie schrittweise zu reduzieren und spätestens im Jahr 2050 keine Atomenergie mehr zu beziehen", heisst es nun im Gegenvorschlag. Ob diese Formulierung der städtischen SP konkret genug ist, wird sich zeigen. Stadtrat Fredy Brunner jedenfalls bezeichnet das Papier als "Steilvorlage" an die Sozialdemokraten. Ein Atomausstiegsziel in der Gemeindeordnung festzuschreiben, sei höchst ungewöhnlich. Während der Erarbeitung der Vorlage seien denn auch "epische Diskussionen" geführt worden.

 Wie die Lücke stopfen?

 Ursprünglich wollte der Stadtrat gar keinen Gegenvorschlag zur "Stadt ohne Atomstrom"-Initiative präsentieren. Denn "implizit" sei das Ziel des Atom-Ausstiegs bereits im Energiekonzept 2050 enthalten, sagt Fredy Brunner. Allerdings nicht ab 2017. Die Stadt bezweifelt, den Atomstrom in dieser Frist sinnvoll ersetzen zu können. Eine Möglichkeit wäre, die Lücke mit Energie aus Kohlekraftwerken zu stopfen. Dies widerspricht aber dem "Geist" des Energiekonzepts, das eine Reduktion des CO2-Ausstosses anstrebt.

 Konkret handelt es sich um 320 der jährlich verbrauchten 520 Gigawattstunden (GWh) Strom, die laut Stadtrat nun bis 2050 schrittweise durch neue Energiequellen zu ersetzen sind. "Theoretisch könnte diese Menge relativ rasch vollständig durch Wasserkraft ersetzt werden, indem die erforderliche Menge Wasserstrom am Markt zulasten anderer Bezüger aufgekauft würde", heisst es im Gegenvorschlag. Diese "Sankt-Florians-Politik" sei aber wenig sinnvoll, denn "sie treibt den Preis für Wasserstrom in die Höhe und verschiebt das Problem auf andere Städte oder Gemeinden". Als Kompromiss will die Stadt den Wasserstrom-Anteil am Strommix von heute 30 Prozent um 150 GWh auf 60 Prozent erhöhen.

 Zwei Energievorlagen

 Bleiben von den 320 also noch 170 GWh, für die unter anderem das geplante Geothermie-Kraftwerk mit maximal 40 GWh in die Bresche springen soll. Die Vorlage für das Geothermie-Kraftwerk soll übrigens zeitgleich mit dem Gegenvorschlag zur Initiative "Stadt ohne Atomstrom" an die Urne gelangen. So "können die St. Gallerinnen und St. Galler eine energiepolitisch bedeutsame Weichenstellung vornehmen", schreibt der Stadtrat.

 Die Weichen auf "atomfrei" können Stromkonsumenten bereits heute stellen; indem sie anstelle des Standardangebotes beispielsweise das leicht teurere Produkt "Aquapower - Strom aus Wasserkraft" beziehen. Die städtische CVP machte im vergangenen Herbst den Vorschlag, dieses anstelle des Produktes "Basispower - unser Mixstrom" zum Standard zu erheben. Die Idee wird im Papier des Stadtrates nun aufgenommen. Statt "Strom aus Wasserkraft" soll das Anhängsel des geplanten neuen Standardproduktes allerdings "ohne Atomstromanteil" lauten.

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 Berner und Zürcher Weg

 Die Stadt Zürich hat den Atomausstieg 2008 an der Urne beschlossen. Konsequenzen hat dieser Entscheid ab 2038, wenn die ersten wichtigen Lieferverträge auslaufen. Bereits ein Jahr später, also ab 2039, will die Stadt Bern komplett auf Atomstrom verzichten. Um dies zu erreichen, sollen in den kommenden 30 Jahren 470 Millionen Franken in neue Anlagen investiert werden. Die Initiative "Energiewende Bern" fordert derweil den Atomausstieg bis ins Jahr 2020. Entschieden wird an der Urne. (per)

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Finanz und Wirtschaft 22.5.10

Axpo warnt vor Blackout und drängt auf neue Kernkraftwerke

 Versorgungsengpass droht sich zu verschärfen - Argumentative Lücken

Christoph Gisiger

 Wie die Welt in zehn Jahren aussehen wird, lässt sich kaum sagen. Dennoch muss die Stromwirtschaft bereits heute in die Versorgung von morgen investieren und dafür Annahmen zur Zukunft treffen. 2005 hat sich der Elektrizitätskonzern Axpo deshalb erstmals grundlegend mit solchen Schlüsselfragen befasst und dabei vor einer "drohenden Stromlücke" gewarnt. Wohlwissentlich legte der grösste Schweizer Stromproduzent damit eine argumentative Basis, um die Diskussion über neue Kernkraftwerke neu zu lancieren.

 Inzwischen hat Axpo die unter dem Namen "Stromperspektiven 2020" veröffentlichte Studie aktualisiert. Mit überraschendem Resultat: Das Problem eines Versorgungsengpasses habe sich deutlich verschärft, erklärte CEO Heinz Karrer an einer Medienkonferenz. Das erstaunt vor allem deshalb, weil die Wirtschaftskrise den Stromverbrauch in Europa um Jahre zurückgeworfen hat und Elektrizität derzeit alles andere als knapp ist. Was also verleitet Axpo zu dieser These?

 Weil der Druck der EU auf die Schweiz zunehme, sieht der Stromkonzern vor allem die privilegierten Importverträge für Kernenergie aus Frankreich gefährdet. Sie passen nicht mehr in den Rechtsrahmen eines einheitlichen und liberalisierten Strommarktes für Europa, was vor fünf Jahren noch nicht absehbar gewesen sei. Auch verzögere sich der Ausbau der neuen Energien, weil er bei Umweltverbänden und der lokalen Bevölkerung auf mehr Widerstand als erwartet stosse. Schliesslich hätten die Abhängigkeit vom Ausland und hohe Kosten zur Kompensation des CO2-Ausstosses Axpo dazu bewogen, Pläne zum Bau von Gas-Dampfkraftwerken in der Schweiz zu sistieren, führte Karrer weiter aus.

 Dass die Axpo-Tochter EGL just während seines Referats mit dem Energieriesen Eon einen Vertrag zum Bau einer Gaspipeline durch das Adriatische Meer unterzeichnete, wurde in diesem Zusammenhang mit keinem Wort erwähnt (vgl. Seite 19). Problematisch ist jedoch vor allem, dass die Studie eher statisch wirkt und auch ökonomischen Aspekten nicht Rechnung trägt. So wurde seit 2005 beispielsweise der Bau mehrerer grosser Speicherkraftwerke in Angriff genommen. Mit ihrer flexiblen Produktion erzielen sie hohe Einnahmen, die sich auf dem internationalen Markt etwa zum Kauf von günstigerem Bandstrom verwenden liessen. Auch ist die EU wegen der stark schwankenden Produktion aus Windkraft auf rasch einsetzbare Kraftwerke angewiesen, was der Schweiz in den bilateralen Strom- und Energieverhandlungen keine schlechten Karten gibt. Zudem hat sich gezeigt, dass Kernkraftwerke durch kontinuierliches Nachrüsten länger als ursprünglich erwartet am Netz bleiben können.

 An der Tatsache, dass die dienstältesten Schweizer Kernanlagen in Beznau und Mühleberg irgendwann vom Netz müssen, ändert das freilich nichts. An ihrem Ersatz durch neue Kernkraftwerke führt deshalb kein Weg vorbei.CG

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Indymedia 23.5.10

Menschenstrom gegen Atom ::

AutorIn : schubiduwuawua     : -     

Demo am 24.05.2010 / AKW Gösgen     
    
Die Stromkonzerne wollen drei neue AKW bauen. Dagegen wehren wir uns! Zur Aktion "MenschenStrom gegen Atom" sind alle eingeladen, die sich eine Zukunft ohne Atomkraft wünschen. Interessierte jeden Alters wandern am 24. Mai 2010 gemeinsam von Aarau oder von Däniken via Mülidorf (beim AKW Gösgen) nach Olten.

10:00 Uhr Start "Sportliche" am "Graben”, Aarau
11:13 & 11:49 Uhr Start "Gemächlichere" Bhf. Däniken
12:30 Uhr "Nein zu neuen AKW, ja zum Atomausstieg!"
Mülidorf bei Däniken/Gösgen - Kundgebung und Picknick
13:30 Uhr Gemeinsamer Marsch nach Olten
16:00 Uhr "Die Zukunft ist erneuerbar"
Schlusskundgebung auf der Schützenmatte Olten
mit Konzert
ab 17:30 Uhr Rückreise

Wichtig: Entgegen anderslautender Vorankündigung findet die Schlusskundgebung in Olten auf der Schützenmatte statt.

Jede Person zählt - lassen auch Sie den MenschenStrom anschwellen

Quelle:  http://www.menschenstrom.ch/