MEDIENSPIEGEL 17.6.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Holzwerkstatt, DS, FR, GH)
- Demorecht BE: Woz zum Entfernungsartikel
- Wagenplätze: SVP gegen alternative Wohnzonen
- Sexwork BE: Schwarzarbeit wegen Verschärfungen
- RaBe-Info 16.+17.6.10
- Knast-Demo FR: Todesschuss-Wut
- Squat LU: Geissmättli verbrettert
- Police LU: Quartierverein gegen SIP
- Bahnpolizei: Regelungen
- Sans-Papiers: Perspektivlos
- Flüchtlingstag: Talentreich
- Weltwoche vs Nigerianer
- Autonome Schule ZH: Tag der offenen Türe
- Narrenkraut: ZH diskutiert legale Abgabe
- Autonome Zellen hinter Gittern
- Sempach: Wieder Party ab 2011
- Anti-Atom: SG-Ausstieg bis 2050
----------------------
REITSCHULE
----------------------
Do 17.06.10
20.30 Uhr - Kino - Baskenland - Soliveranstaltung
Fr 18.06.10
21.00 Uhr - Holzwerkstatt - Liz Allbee (t); Päd
Conca (cl); Frank
Heierli - (cello) - Ob Solo & Trio: It's improvised
new/freejazz-experimental-rock
Sa 19.06.10
17.00 Uhr - GrossesTor - Führung durch die
Reitschule
(öffentlich, ohne Anmeldung)
22.00 Uhr - Frauenraum - Anklang (Programm siehe
frauenraum.ch)
23.00 Uhr - Dachstock - Dachstock Darkside: Noisia
(Vision Rec/NL),
Deejaymf (cryo.ch), VCA (Biotic Rec/CH), Kenobi (drumandbass.ch).
Style: Drumnbass
So 20.06.10
21.00 Uhr - Dachstock - The Necks (Fish of Milk,
ReR/AUS). Style:
Eclectic & Ambient Jazz
Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch
---
Freitag den 18. Juni um 21.00 Uhr in der Holzwerkstatt der Reitschule in
Bern
Solo: Liz Allbee(t) http://www.lizallbee.net/
Liz Allbee's work spans many genres including improvisation, new music,
electronic composition, noise, weird pop, minimalist/maximalist brawls,
kind-of-free-jazz and experimental rock. She has played with a wide
array of musicians, including Anthony Braxton, Wadada Leo Smith, Hans
Grusel, Gino Robair, Birgit Uhler, Fabrizio Spera, George Cremaschi,
Yugen Noh Theater, SFSound, and with members of Caroliner, Sun City
Girls, and Rova Saxophone Quartet. She lives in Oakland, CA.
"Allbee is no slouch, a sharp and gifted musician with a highly
developed personality and a warped sense of humour……”
Solo: Paed Conca(cl)
Solo: Frank Heierli(cello)
Trio: Liz Allbee(t) and Paed Conca(cl) Frank Heierli(cello)
---
Bund 17.6.10
Sounds The Necks
Repetition und Atmosphäre
"Die Necks sind die beste Band der Welt." Ein Satz, der schnell
dahergesagt ist. Wenn er aber in einem Printmedium wie der "New York
Times" steht, dann bekommt dieses Radikalurteil doch zusätzliches
Gewicht. Dabei verkörpern The Necks auch im 22. Jahr ihres
Bestehens beileibe nicht das, was man landläufig von der besten
Band der Welt gewärtigen würde. Keine grossen Posen, keine
gigantischen Bühnenaufbauten, keine Lautstärkenrekorde -
nein, zu den Tugenden von The Necks gehören Bescheidenheit, Stille
und musikalische In-sich-Gekehrtheit.
Ambient Jazz nennt man das, was das Trio Chris Abrahams (Tasten),
Tony Buck (Schlagzeug) und Lloyd Swanton (Kontrabass) anbietet. Es sind
entschleunigte, gemächlich aufbauende Tracks, die auch schon mal
gegen eine Stunde dauern. "Die Basis unserer Musik ist die
Improvisation", geben die drei Herren an, "wir streben an, unsere
Konzerte mit möglichst leeren Köpfen und möglichst
wenigen Ideen anzugehen". Auch mit dem Jazz-üblichen
Aufführen instrumentaler Virtuosität haben The Necks nichts
am Hut. Die Stilmittel, die ihnen als Grundstoffe zur Improvisation
dienen, sind Repetition und Atmosphäre. Damit bewegen sie sich
nahe der Minimal Music, bleiben aber stets hochspannend und lassen auch
Ausbrüche in geräuschvollere Sphären zu. Nicht das
schiere Musikmachen ist das Ding von The Necks, diese Band schafft es,
Raum und Zeit zu gestalten. (ane)
Reitschule Dachstock So, 20 Juni, 21 Uhr.
---
WoZ 17.6.10
Chöre
Sprachräume
Nicht nur die Melodien der Lieder sind wichtig, sondern auch die
Texte. Dies wissen auch die Frauen des Frauenchors der Berner
Reitschule und widmen ihr neustes Programm der Sprache. "Abbiam' delle
belle buone lingue" ("Wir haben eine der schönsten Sprache") ist
der Titel des aktuellen Programms.
Die gut zwanzig Frauen haben unter der Leitung der Chorleiterin
Adrienne Rychard ein Programm mit Liedern aus verschiedenen
Sprachräumen zusammengestellt und dieses mit sprachvisuellen
experimentellen Zwischenteilen angereichert. Zu hören sind unter
anderen "When I Take My Sugar to Tea" ("Wenn ich meinen Liebsten zum
Tee ausführe"), "Non ho l'età per amarti" ("Ich habe nicht
das Alter, dich zu lieben"), mit dem die italienische Sängerin
Gigliola Cinquetti den Eurovision Song Contest 1964 gewann, oder "On
n'a pas tous les jours vingt ans" ("Man ist nicht ewig zwanzig Jahre
alt") von Berthe Sylva. süs
"Abbiam' delle belle buone lingue", Frauenchor der Reitschule in:
Bern Kulturhof Schloss Köniz, Fr/Sa, 18./19. Juni, 21 Uhr;
Karate-Dojo, Gassnerareal, Uferweg 42a, Sa, 26. Juni, 21 Uhr; F
rauenraum der Reitschule, So, 27. Juni, 11 Uhr Konzert, 12 Uhr
Frühstück. http://www.kulturhof.ch
/ http://www.frauenraum.ch
---
Bund 17.6.10
Die Grosse Halle als Sportarena:
Das Kompetenzzentrum Arbeit der Stadt Bern hat gestern den
Sporttag für die Jugendlichen des Motivationssemesters in der
Reitschule durchgeführt. Rund 100 Jugendliche massen sich in
verschiedenen Ballsportarten. (bob)
---------------------------
DEMORECHT BE
--------------------------
WoZ 17.6.10
Abstimmung Bern
Kein Entfernungsartikel
Die Stadtberner Stimmbevölkerung hat am Sonntag eine
Verschärfung des Kundgebungsreglements abgelehnt. Die Initiative
"Keine gewalttätigen Demonstranten!" hatte die Einführung
eines Entfernungsartikels verlangt: Die Polizei hätte danach "zur
Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung"
Kundgebungen präventiv auflösen können. TeilnehmerInnen,
die sich nicht sofort entfernen, sollten mit Busse bis zu 5000 Franken
bestraft werden.
Mit 264 Stimmen Differenz war das Ergebnis äusserst knapp.
Die minime Stimmbeteiligung von 22 Prozent zeigt aber, dass die Warnung
vor "Demo-Chaoten" bei den BernerInnen kaum auf Interesse stiess. Der
rechtsbürgerliche Verein "Bern sicher und sauber!" konnte sich
zwar auf die Zustimmung der bürgerlichen Parteien und der
links-grün dominierten Stadtregierung stützen, die sich
offenbar bei den Geschäftsinhabern der City-Vereinigung anbiedern
wollte. Selbst in der Innenstadt, dem üblichen Demoschauplatz,
fiel die Initiative jedoch durch. "Bern sicher und sauber!" will nicht
locker lassen und sich nun für ein Bettelverbot einsetzen. bu
----------------------------
WAGENPLÄTZE
----------------------------
Bund 17.6.10
SVP-Resolution gegen "Alternative Wohnzone"
(pd) (sda)
Die SVP der Stadt Bern hat gegen das Ansinnen der Regierung, eine
Zone für Wohnexperimente zu schaffen, eine Resolution
verabschiedet. Der Gemeinderat wolle mit einer solchen Zone
Steuergelder verschleudern, das geltende Recht brechen und die
Bürgerinnen und Bürger der Stadt "dauerhaft diskriminieren",
schreibt die Partei. Nur schon für die Prüfung des Anliegens
an vier Standorten sehe die Stadt einen Kredit von 60 000 Franken vor.
Die Leidtragenden seien "alle, die bürgerlich leben". Es sei nicht
Aufgabe der Stadt, alternativen Wohnraum zu schaffen.
------------------------
SEXWORK BE
------------------------
Bund 17.6.10
"Viele Prostituierte arbeiten unter den neuen Bedingungen schwarz"
Verschärfungen im Sexgewerbe drängen Frauen von der
Halbwelt in die Unterwelt, sagt Martha Wigger, Leiterin der
Beratungsstelle Xenia.
Interview: Anita Bachmann
Auf dem Zürcher Strassenstrich gibt es Menschenhandel,
Gewalt und viele Neueinsteigerinnen. Ist die Situation in Bern
vergleichbar?
Die Situation in Zürich ist viel happiger, der
Strassenstrich dort ist viel grösser als in Bern, und es gibt
Häufungen von bestimmten Nationalitäten. Aber in Bern ist der
Strassenstrich eine Randerscheinung, er macht weniger als fünf
Prozent des ganzen Gewerbes aus.
Gibt es im Berner Sexgewerbe viele Neueinsteigerinnen?
Nein. Aber es gibt tatsächlich eine Zunahme von
Tschechinnen, Slowakinnen oder Ungarinnen. Diese Frauen haben aber
mehrheitlich bereits als Prostituierte gearbeitet, sehr oft in
Österreich. Sie haben erfahren, dass sie in der Schweiz legal
arbeiten und relativ gut verdienen können.
Darunter dürften viele Roma-Frauen sein, die auch in
Zürich für Aufregung sorgen.
Man muss mit dem Begriff Roma-Frauen aufpassen, damit man nicht
jemanden diskriminiert. Sie haben einen ungarischen, tschechischen oder
rumänischen Pass und sind vielleicht auch noch Roma. Uns geht es
um die Arbeitsbedingungen und die Sicherheit, ob eine Frau Romni ist
oder nicht, spielt keine grosse Rolle.
Man spricht trotzdem oft von Roma-Frauen, weil es in deren Umfeld
Menschenhandel und Gewalt gibt.
Menschenhandel ist in der ganzen Schweiz ein Thema, und in
Zürich sind davon nicht nur Roma-Frauen betroffen. Auch in Bern
gibt es Menschenhandel, das ist unbestritten. Diesen gilt es zu
bekämpfen. Betroffene sollen eine unbefristete
Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz bekommen, egal ob sie eine
Anzeige machen wollen oder nicht. Frauenhandel wird zwar heute mehr
beachtet, gibt es aber bereits seit langem.
Zum Schutz vor Ausbeutung forderte etwa eine städtische
Motion kürzlich einen Wohnwagenpark für Prostituierte.
Es braucht sichere Arbeitsplätze, das kann auch in einem
Wohnwagen sein. Gefahr der Motion war aber, dass man die Prostituierten
aus den bewohnten Gebieten wegnehmen will. Orte, an denen es noch
andere Leute hat, bedeuten Sicherheit.
Ins gleiche Kapitel gehen die Schliessungen von Sexsalons, weil
sie in Wohnzonen sind.
Das ist so. Wir sehen auch, dass es in einer reinen Wohnzone
Schwierigkeiten geben kann. Aber in der Stadt Bern dürfen die
Salons nur in Dienstleistungszonen sein, und die gibt es kaum. Deshalb
sollten Prostituierte aus Gründen der Sicherheit in den gemischten
Zonen arbeiten können.
Wurden die beiden Sexsalons im Lorrainequartier geschlossen?
Der kleinere ist zu. Der grössere, bei dem es um hundert
Frauen geht, ist noch nicht geschlossen, weil Einsprachen hängig
sind. Das Problem ist, dass es kein anderes Angebot gibt für die
Frauen. Wenn ein Salon geschlossen wird, können sie nicht
Arbeitslosengelder beziehen, weil sie als selbstständig gelten.
Sie arbeiten unter schwierigen Bedingungen weiter, zu dritt in
kleinsten Räumen. Es gibt aber auch sehr viele, vor allem
ältere Sexarbeiterinnen, die Sozialhilfe beziehen müssen.
Und es gibt Verlagerungen in die Agglomeration.
Diese Entwicklung ist nicht neu. Das Gewerbe verlagert sich aufs
Land möglichst nahe an die Autobahn. Problematischer ist aber eine
massive Verlagerung in Privatwohnungen. Für uns ist es
schwieriger, diese Frauen zu erreichen. Denn sie arbeiten im
Versteckten, und wir können ihnen auch kein Informationsmaterial
vor die Türe legen.
Haben Frauen je nach Arbeitsort - im Salon, im Hotel, privat,
beim Escortservice, auf dem Strassen- oder Autostrich - andere
Bedürfnisse?
Nein. Finanzen zum Beispiel sind oft ein Thema, wenn eine Frau
Schulden hat oder nicht weiss, wie sie eine Steuererklärung
ausfüllen soll. Solche Bedürfnisse sind unabhängig vom
Arbeitsort, genauso wie etwa psychische Probleme.
Gefordert sind Frauen auch mit der Anmeldung beim Kanton als
Selbstständigerwerbende, bei der sie einen Businessplan einreichen
müssen. Warum bezeichnen Sie die Verschärfung als
kontraproduktiv?
Aus den Erfahrungen, die wir seit den Verschärfungen im
letzten Oktober gemacht haben, haben wir gemerkt, dass mehr Frauen
schwarzarbeiten. Schwarzarbeit bedeutet weniger Schutz für die
Frauen, weil sie Angst haben, Beratungsangebote in Anspruch zu nehmen,
und sie haben weniger Rechte, sich zu wehren. Ein typisches Beispiel:
Eine Frau hat schon zweimal während 90 Tagen hier gearbeitet. Nach
den Verschärfungen wurde ihr drittes Gesuch abgelehnt.
Natürlich hat sie trotzdem weitergearbeitet und wurde Opfer von
Gewalt. Weil sie schwarzarbeitete, getraute sie sich aber nicht,
Anzeige zu erstatten.
Und Sie befürchten eine finanzielle Abhängigkeit der
Frauen. Können Sie dies erklären?
Ja, eine weitere Gefahr ist die Verschuldung. Eine Frau kommt in
die Schweiz und muss hier erst den ganzen Papierkram erledigen, was
einige Zeit in Anspruch nimmt. Wenn der Entscheid negativ ist, fallen
nicht nur die Reisekosten an, sondern auch der Erwerbsausfall
während der Wartezeit. Oft können sie nicht mit leeren
Händen und schon gar nicht mit Schulden nach Hause gehen und
arbeiten trotzdem.
Muss man annehmen, dass im Kanton Bern mittlerweile die
Hälfte der Sexarbeiterinnen schwarzarbeitet? Die Anmeldungen
gingen beinahe um die Hälfte zurück.
Prozente kann ich keine nennen. Aber viele Frauen, die
früher legal gearbeitet haben, arbeiten unter den neuen
Bedingungen schwarz. Nicht zu vergessen sind die Vermieter. Wenn sie
zehn Frauen brauchen, damit der Laden läuft, und sie bekommen nur
drei mit einer Arbeitsbewilligung, stellen sie zusätzlich
Schwarzarbeiterinnen ein. Die Betreiber dürfen den Frauen nicht
beim Erstellen des Businessplans helfen, sonst gelten sie nicht mehr
als selbstständig. Deshalb passiert, was in vielen grossen
Saunaklubs der Fall ist: Die Betreiber ziehen sich aus der
Verantwortung, dort gelten die Frauen als Saunagäste. Die
Betreiber sollten aber in die Pflicht genommen werden, indem sie
für Etablissements eine Betriebsbewilligung benötigen. Man
spricht immer nur von den Frauen, obwohl sich im Rotlichtmilieu viel
mehr Männer bewegen, vom Vermieter über den Webmaster bis zum
Freier. All diese Männer werden aber nie zur Verantwortung gezogen.
Haben Sie Hoffnung, dass man auf die Regelung zurückkommt?
Ja, meine Hoffnung ist, dass man die Diskussion nicht nur auf der
Sanktions- und Auflagenebene führt. Es braucht Angebote und
Infrastruktur für das Gewerbe und die Gleichbehandlung mit anderen
legalen Gewerben. Das heisst auch, dass man sich Gedanken über
eine Kontingentierung machen kann, wie es bei anderen
Selbstständigerwerbenden auch gemacht wird. Denn es gibt ein
Überangebot an Sexarbeiterinnen.
Was ist die Alternative zum Selbstständigenstatus?
Das Gegenteil vom selbstständigen Arbeiten sind
Arbeitsverträge. Doch da sind wir in der Geschichte stecken
geblieben. Bereits zu Zeiten von Regierungsrätin Elisabeth
Zölch hiess es, Prostitution ist nicht sittenwidrig und ein
Arbeitsvertrag ist machbar. Bis heute ist dies im Gegensatz zu einigen
anderen Kantonen in Bern nicht möglich.
--
Anmeldeverfahren
EU-Bürgerinnen und -Bürger haben das Recht, in der
Schweiz zu arbeiten. Selbstständigerwerbende dürfen pro Jahr
maximal 90 Tage einem Gewerbe nachgehen. Bis letzten Herbst erfolgte
die Anmeldung dafür beim Amt für Berner Wirtschaft online.
Weil im Sexgewerbe Missbräuche festgestellt wurden,
verschärfte der Kanton Bern die 90-Tage-Regelung. Deshalb
müssen sich Prostituierte seither persönlich anmelden und
unter anderem einen Businessplan vorweisen. Die Verschärfungen der
Anmeldepraxis bewirkten, dass sich seit letztem September nur noch 224
Frauen als Prostituierte anmeldeten. Vorher machten im gleichen
Zeitraum knapp 400 Frauen von der 90-Tage-Regelung Gebrauch. (ba)
--
Martha Wigger
Leiterin Beratungsstelle Xenia
Martha Wigger ist Leiterin der Beratungsstelle Xenia in Bern, die
Frauen im Sexgewerbe berät. Kernthemen sind Gesundheit, die
Vermittlung von Fachpersonen wie Juristen, Finanzen oder psychosoziale
Beratung. Xenia betreibt auch aufsuchende Sozialarbeit. Der Verein
Xenia, den es seit 1984 gibt, hat einen Leistungsvertrag mit dem
Kanton. Wigger hilft bei der Ausarbeitung des kantonalen
Prostitutionsgesetzes mit. (ba)
--------------------
RABE-INFO
--------------------
Do. 17. Juni 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_17._Juni_2010.mp3
- Was haben Solar- Anlagen mit der Fussball-Weltmeisterschaft zu tun?
- Warum regt man sich in Frankreich über schwule Trickfilm-Fische
auf?
- Warum fahren die Jugendlichen in Kabul plötzlich Skateboard?
---
Mi. 16. Juni 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_16._Juni_2010.mp3
- 43 Millionen Menschen auf der Flucht- traurige Bilanz der UNO
Flüchtlingskommission
- 20'000 Stimmberechtigte unterschreiben- Schweiz soll homosexuelle
Eltern gleichstellen
- 2010 zum letzten Mal? Heute wird über die Zukunft der
Velovignette entschieden
-----------------------------
KNAST-DEMO FR
----------------------------
WoZ 17.6.10
Freiburg - Wut über polizeiliche Todesschüsse entlädt
sich an Demo.
Rache mit Feuerwerk
Es ist eine Demonstration des Zorns gegenüber der Polizei,
am Samstag in Freiburg. "Rache für Umut" skandiert ein Teil der
gut hundert Demonstrant Innen auf ihrem zunächst noch karnevalesk
anmutenden Umzug durch die Altstadt.
Der 18-jährige Umut Kiran ist Mitte April von einem
Waadtländer Polizisten in einem Freiburger Autobahntunnel
erschossen worden. Sieben Schüsse hat der Polizist auf den
Beifahrer eines gestohlenen Autos abgefeuert, bevor das Auto ein
Nagelbrett überfuhr. Als die trauernden Angehörigen aus einem
Vorort von Lyon anreisten, wurde ein Bruder des Verstorbenen verhaftet.
Seither sitzen er und ein weiterer mutmasslicher Autodieb in
Untersuchungshaft. Der der vorsätzlichen Tötung bezichtigte
Polizist durfte den Dienst bereits nach wenigen Tagen wieder aufnehmen.
Die bewilligte Demo hat das an der Saane liegende Freiburger
Zentralgefängnis zum Ziel, wo die beiden Häftlinge vermutlich
einsitzen. Am Umzug nehmen eigens aus Lyon angereiste Personen teil. In
Sichtweite des Gefängnisses werden Leuchtfackeln gezündet und
Parolen für die Freilassung der Gefangenen skandiert. So weit geht
alles gut ...
"Kommender Aufstand"
Ein an der Demo verteiltes Flugblatt verknüpft die
"Exekution von Umut" mit dem Tod des Nigerianers Joseph Ndukaku Chiakwa
im Ausschaffungsgefängnis von Kloten und dem Erstickungstod von
Skander Vogt im Gefängnis von Bochuz VD. Die Folgerung: "Die
Schweiz tötet." Doch der Text geht noch weiter: Die Rede ist vom
"allgegenwärtigen Bürgerkrieg", der sich auch "hier und
jetzt" abspiele. Es ist eine Rhetorik, die sich an ein Buch mit dem
Titel "L'insurrection qui vient" ("Der kommende Aufstand") anlehnt, das
in Frankreich für grosses Aufsehen gesorgt hat und auch Teile
autonomer Kreise in der Schweiz beeinflusst. In
poetisch-philosophischer Sprache erklärt es den politischen
Aktivismus für gescheitert. Propagiert wird die "lokale
Machtergreifung", die "physische Blockade der Wirtschaft" und die
"Vernichtung der Polizei", um die gesellschaftliche "Katastrophe", die
sich abspiele, zu überwinden. Die Ausschreitungen in den
französischen Banlieues von 2005 werden als Zeichen für
diesen "kommenden Aufstand" gewertet.
Feuerwerk und Gummischrot
Als die DemonstrantInnen am Samstag den Platz vor dem
Gefängnis betreten, kommt es praktisch sofort zur Konfrontation
mit der Polizei. Die Polizei setzt massiv Gummischrot ein und wird
ihrerseits mit Feuerwerk und Steinen beschossen. Die Polizei spricht
später von "gegen hundert Raketen", die auf sie abgefeuert worden
seien. Dann verschieben sich die DemonstrantInnen in die Altstadt, von
den überrascht und überfordert wirkenden Ordnungskräften
zunächst nicht weiter behelligt.
Nach einer weiteren Konfrontation vor einem Polizeiposten, dessen
Fenster eingeschlagen worden sind, zerstreuen sich die
DemonstrantInnen. Die Polizei verhaftet in den folgenden Stunden in der
Innenstadt und am Bahnhof 47 Personen und will Anzeige wegen
Landfriedensbruch, Körperverletzung und Gefährdung des Lebens
erstatten. Zwei Polizisten seien durch Feuerwerkskörper verletzt
worden, einer davon "schwer". Konkret soll dieser "schwere Prellungen"
an einem Bein davongetragen haben und zehn Tage arbeitsunfähig
sein.
Mehrere Verhaftete beklagten ihrerseits, ihnen seien gegen ihren
Widerspruch und gewaltsam DNA-Proben entnommen worden, ohne dass die
Bewilligung eines Untersuchungsrichters vorgelegen habe.
Dinu Gautier
-------------------
SQUAT LU
-------------------
Blick am Abend 16.6.10
Bretter gegen Besetzer
Niet- und nagelfest
Das ehemalige Restaurant Geissmättli gleicht derzeit einer
Festung. Um eine erneute Besetzung des Lokals zu verhindern, wurden
alle Fenster mit Brettern verriegelt. In diesem Frühling hatten es
Aktivisten besetzt, schlussendlich aber friedlich geräumt. Jetzt
wird das "Geissmättli" umgebaut. Nach der einstigen Nutzung als
Fixerraum soll schon ab kommenden Herbst wieder ein neues Restaurant
eröffnen. mg
------------------
POLICE LU
------------------
20 Minuten 17.6.10
Quartiervereine fordern die Abschaffung der SIP
LUZERN. Quartiervereine klagen: Wegen der Polizeifusion seien die
Quartierpolizisten seit Anfang Jahr weniger vor Ort unterwegs. Sie
fordern die Auflösung der SIP zugunsten der Quartierpolizei.
"Seit der Fusion von Kantons- und Stadtpolizei Anfang Jahr sind
die Quartierpolizisten weniger präsent", sagt Hugo Stadelmann,
Präsident der Stadtluzerner Quartiervereine. Er sieht den Grund
darin, dass die Polizisten vermehrt für andere Aufgaben eingesetzt
werden. Dem widerspricht Ernst Röthlisberger von der Luzerner
Polizei. "Die Quartierpolizisten sind jetzt gezielter und ausserdem neu
auch nachts und am Wochenende unterwegs." Dies könne aber dazu
führen, dass die Bewohner sie weniger zu Gesicht bekämen.
Die Quartiervereine nehmen jetzt die umstrittene Einsatztruppe
SIP (Sicherheit, Intervention, Prävention) ins Visier, die in der
Stadt ebenfalls für Ordnung sorgen soll und rund 900 000 Franken
pro Jahr kostet. "Man sollte die SIP abschaffen und das Geld in die
Quartierpolizei stecken", so Stadelmann. "Wir würden der SIP keine
Träne nachweinen."
Die städtische Sicherheitsdirektorin Ursula Stämmer ist
gegen eine Abschaffung der SIP: "Sie erfüllt eine Gemeindeaufgabe
und hat einen anderen Auftrag als die Quartierpolizei. Sie wirkt darauf
hin, dass die Polizei gar nicht erst zum Einsatz kommen muss."
Die kantonale Polizeidirektorin Yvonne Schärli hat die
Anliegen der Quartiere entgegengenommen. Bis Ende Jahr soll mit ihnen
zusammen eine Evaluation vorgenommen werden.
Markus Fehlmann
------------------------
BAHNPOLIZEI
------------------------
NZZ 17.6.10
Bahnpolizei
Nach dem Nationalrat hat auch der Ständerat eine neue
Gesetzesgrundlage für die Sicherheitsdienste im öffentlichen
Verkehr einstimmig gutgeheissen. Eine Privatisierung der Bahnpolizei
ist nicht mehr vorgesehen; daran war zuvor ein erster Entwurf
gescheitert. Das Gesetz unterscheidet nun klar zwischen einer
Transportpolizei mit entsprechenden Funktionen und einem
Sicherheitsdienst mit geringeren Kompetenzen. Die Bewaffnung der
Transportpolizei wird dem Bundesrat überlassen. Der Ständerat
will, dass die SBB die Transportpolizei gegen Entgelt auch anderen
Unternehmen zur Verfügung stellen. Mit dieser Differenz geht die
Vorlage zurück an die grosse Kammer.
(wab)
---
20 Minuten 17.6.10
Bewaffnung der Bahnpolizei?
BERN. Der Ständerat hat das neue Bahnpolizeigesetz gestern
einstimmig gutgeheissen. In der Vorlage nicht mehr vorgesehen ist die
Privatisierung der Bahnpolizei. Das neue Gesetz unterscheidet klar
zwischen einer Transportpolizei mit polizeilichen Funktionen und einem
Sicherheitsdienst mit weniger Kompetenzen. Über die Bewaffnung der
Bahnpolizei entscheidet der Bundesrat.
---
grundrechte.ch 5.11.09
Transportpolizeigesetz
5. November 2009
Transportpolizeigesetz: Die neuen Vorlage der KVF-N
Nach dem Scheitern des so genannten Bahnpolizeigesetzes in der
Frühjahrssession hat die nationalrätliche Verkehrskommission
eine neue Lösung vorgelegt, die auf eine Privatisierung der
Transportpolizei verzichtet, diese aber umgekehrt mit hoheitlichen
Kompetenzen ausstattet.
Ein gleichnamiges Gesetz ist im Rahmen der Bahnreform 2 in der
Frühjahrssession 2009 in der Schlussabstimmung im Nationalrat an
den Widerständen von links und rechts gescheitert. Die KVF, welche
bereits dieses erste "Bahnpolizeigesetz" vorberaten hatte, hat sich
anschliessend rasch um einen neuen Anlauf bemüht und die Arbeiten
für einen konsensfähigen neuen Gesetzesentwurf selbst an die
Hand genommen. Eine Subkommission hat, unter anderem dank der
Unterstützung durch das Bundesamt für Verkehr, einen neuen
Entwurf vorgelegt, den die Kommission mit 21 zu 2 Stimmen zuhanden
ihres Rates verabschiedet hat.
Das Grundkonzept der Sicherheitsorgane im öffentlichen
Verkehr bleibt dabei gleich wie im damaligen Vorschlag des Bundesrates:
Es soll einen einfachen Sicherheitsdienst mit klar definierten Aufgaben
und eine eigentliche Transportpolizei mit zusätzlichen Kompetenzen
geben. Der Sicherheitsdienst kann einer privaten Organisation
übertragen werden, nicht dagegen die Transportpolizei. Zudem wird
die Frage der Ausrüstung und der Bewaffnung der Transportpolizei
nicht auf Stufe des Gesetzes geregelt, sondern diese Kompetenz dem
Bundesrat übertragen. Ein Antrag, ein Verbot von Schusswaffen im
Gesetz festzuschreiben wurde mit 12 zu 3 Stimmen bei 8 Enthaltungen
abgelehnt.
Die Kommission hat die Vorlage trotz Bedenken von Seiten der
Kantone, die eine sicherheits- wie staatspolitisch unerwünschte
Einmischung in ihren Hoheitsbereich befürchten, mit grossem Mehr
verabschiedet. Sie tat dies unter anderem auf Wunsch der
Transportunternehmen, die auf eine möglichst rasch Klärung
der gesetzlichen Grundlagen für ihre Sicherheitsorgane
drängen - stammt doch das heute geltende Bahnpolizeigesetz aus dem
Jahr 1878.
Die positive Stellungnahme des Bundesrates vorausgesetzt, wird
der Erlassentwurf voraussichtlich in der Frühjahrssession 2010 vom
Nationalratsplenum behandelt werden können. Falls die weitere
parlamentarische Beratung ebenfalls reibungslos vorangeht, ist es
möglich, dass das neue Bahnpolizeigesetz auf den 1. Januar 2011 in
Kraft treten kann, also gleichzeitig wie ursprünglich im Rahmen
der Bahnreform 2 vorgesehen war.
grundrechte.ch ist dezidiert der Ansicht, dass die Aufgabe einer
Transportpolizei einzig sein kann, für die Beachtung der
Transport- und Benützungsvorschriften zu sorgen.
Personenkontrollen, Personen anzuhalten und Personen festzunehmen muss
der Kantonspolizei vorbehalten bleiben. Art. 3 (Aufgaben) und Art. 4
(Befugnisse) müssen daher zurückgestutzt werden.
• Medienmitteilung KVF-N vom 4. November 2009
http://www.grundrechte.ch/2009/KVF_N_04112009.pdf
• Bericht zum Transportpolizeigesetz
http://www.grundrechte.ch/2009/ed-pa-berichte-parlament-kvf-09-473.pdf
• Entwurf Transportpolizeigesetz
http://www.grundrechte.ch/2009/ed-pa-berichte-parlament-kvf-09-473-erlass.pdf
siehe auch
• Bahnreform 2: Rambos, Drogentests und hohe Bussen
http://www.grundrechte.ch/2007/aktuell17042007.shtml
-------------------------
SANS-PAPIERS
-------------------------
NZZ 17.6.10
Perspektivenlos bei Papierlosen
Der Umgang mit Ausländern ohne Aufenthaltsrecht ist
inkonsequent und unehrlich. Gesucht ist eine Verbindung von Repression
und Legalisierung. Von Christoph Wehrli
Christoph Wehrli
Es war ein sprachpolitischer Geniestreich, aus Personen, die sich
widerrechtlich in einem Land aufhalten, "Sans-Papiers" zu machen und
damit das rechtliche Manko auf eine Formalität, ein fehlendes
Papier, zu reduzieren. Der Begriff ist aus Frankreich in die Schweiz
gelangt und hat sich, elegant und praktisch, wie er ist, verbreitet. Er
hat allerdings (nicht nur wegen Verwechslungen mit Asylsuchenden ohne
Identitätsausweis) die Unklarheit um das Problem wohl nur
vergrössert und trägt schon gar nichts zu dessen Lösung
bei.
Gerechtigkeit in der Illegalität
Die politische Diskussion drehte sich lange vor allem um
Vorstösse für eine kollektive Legalisierung des bisher
illegalen Aufenthalts - oder sie fuhr sich an solchen Vorschlägen
fest. Gegenwärtig scheint die Forderung nach einer
"Regularisierung" keine Erfolgschance zu haben. Man führt dagegen
gewichtige rechtsstaatliche Argumente an und verweist auf die
Möglichkeit, in einzelnen Härtefällen Ausnahmen zu
bewilligen. Das zuständige Bundesamt liess im Übrigen eine
Schätzung vornehmen, wonach die Zahl der Papierlosen entgegen
anderen, unbequemeren Annahmen unter der magischen Grenze von 100 000
Personen liegen dürfte.
Die politische Bewegung zugunsten der Sans-Papiers wurde in der
Folge flexibler. Im Vordergrund steht seit einiger Zeit die Forderung,
Jugendlichen eine Berufslehre zu ermöglichen. Weil die
Schulpflicht (oder das Recht auf Bildung) generell gilt, besuchen auch
Kinder von Eltern ohne Aufenthaltsrecht die Schule, einige über
die obligatorische Zeit hinaus. Die duale Lehre aber, die auch eine
Anstellung einschliesst, gilt als unerlaubt. Der Nationalrat wollte nun
aufgrund parlamentarischer Vorstösse diese Asymmetrie beseitigen.
Der Ständerat hat am Montag gezögert und lässt zuerst
die Sachlage, insbesondere die Zahlen, prüfen.
Bei diesem Vorgehen fragt sich allerdings nicht nur, wie man
"clandestins" zählen will (die Schulbehörden sehen sich nicht
als Fremdenpolizei) und ob Rechtsungleichheit von der Häufigkeit
der Erscheinung abhänge. Vielmehr müsste der Gesetzgeber auch
eine Aussage darüber wagen, wie die weitere Zukunft der
"integrierten Illegalen" oder illegal Integrierten aussehen soll. Wenn
eine erfolgreiche Ausbildung zu einem Aufenthaltsrecht führen
soll, wäre dies in geeigneter Form zu deklarieren und zu
garantieren. Wenn man das Schicksal der heranwachsenden Sans-Papiers
hingegen nur weiter in der Schwebe lassen will, gibt man den
Betroffenen wie auch der Öffentlichkeit noch mehr zweideutige
Signale und schiebt das Problem hinaus.
Ist das heutige Vorgehen "von Fall zu Fall" so schlecht? Ein paar
frische Beispiele aus der Praxis des Bundesverwaltungsgerichts: Ein
Ecuadorianer findet 2001 rasch eine (Schwarz-)Arbeit, wird 2002
weggewiesen, bleibt in der Schweiz, ersucht 2005 erfolglos um eine
Aufenthaltsbewilligung, bittet 2007 um Wiedererwägung und setzt
sich jetzt durch, dies unter anderem dank dem Schulerfolg des
inzwischen 15-jährigen Sohns. - Eine 11-jährige
Ecuadorianerin folgt 2000 ihren Eltern in die illegale Emigration,
erhält 2005 als junge Mutter eine befristete Bewilligung und kann
nun in der Schweiz bleiben, wo der Vater sein Besuchsrecht wahrnehmen
kann. - Ein Algerier, 1993 eingereist, absolviert hier eine
Schreinerlehre, wird 2003 polizeilich angehalten, heiratet darauf seine
schweizerische Freundin, lebt seit 2006 von ihr getrennt, kann aber
dank guter Integration bleiben.
Stossend sind nicht solche Urteile an sich, sondern die
Vorgeschichten, die Unaufmerksamkeit oder Untätigkeit einzelner
kantonaler Behörden und die Bearbeitungszeit beim Gericht, die es
hartnäckigen Gesuchstellern erlauben, die Zeit für sich
arbeiten zu lassen.
Mehr-Säulen-Politik statt Polarisierung
Mit dem Härtefall-Tropfenzähler lässt sich das
Problem ohnehin nicht entscheidend vermindern. Nötig wäre
eine politische Klärung, ausgehend von der Einsicht, dass
einseitige Rezepte nicht funktionieren. Repression und pragmatische
Grosszügigkeit sollten zusammenspielen.
Die möglichst frühe Entdeckung von Sans-Papiers und die
Durchsetzung ihrer Wegweisung sollte auch vorbeugend wirken. Mit dem
Gesetz gegen Schwarzarbeit ist das Instrumentarium ergänzt worden,
und im Zusammenhang mit der Personenfreizügigkeit haben
Arbeitgeber mit vermehrten Kontrollen zu rechnen. Auf der anderen Seite
muss der Staat über seinen Schatten springen, wenn Recht und
Realität offenkundig nicht in Einklang zu bringen sind. Dazu
wären politisch abgestützte Kriterien für eine
Legalisierung erwünscht.
Zwischen diesen Polen ist Sans-Papiers unter anderem die
nötige Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Solche
Existenzhilfe darf jene nicht bestärken, die entweder die
Illegalität oder das soziale Problem bagatellisieren - doch die
Augen vor Fakten und ihren Konsequenzen zu verschliessen, ist besonders
in der Migrationspolitik geläufig.
--------------------------------
FLÜCHTLINGSTAG
--------------------------------
WoZ 17.6.10
Flüchtlingstag
Wertloses Talent
Es mutet schon fast zynisch an: Ausgerechnet Alard du
Bois-Reymond macht sich an der Pressekonferenz zum Tag des
Flüchtlings 2010 stark für deren Arbeitsintegration und
schreibt im Communiqué, dass Erwerbstätigkeit sowohl eine
zentrale Rolle spiele für Integration und Gesundheit von
Flüchtlingen als auch das Risiko der Straffälligkeit und der
Sozialhilfeabhängigkeit verringere. Zur Erinnerung: Du
Bois-Reymond ist Direktor des Bundesamtes für Migra tion (BFM),
das seit Jahren die Verschärfungen des Asylgesetzes vorantreibt
und den Flüchtlingsbegriff immer enger auslegt.
"Flüchtlinge mussten alles zurücklassen - ausser ihrem
Talent" lautet der Slogan der diesjährigen Kampagne der
Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) in Zusammenarbeit mit dem
BFM und dem UNHCR, mit der auf das "brachliegende Potenzial von
Flüchtlingen" aufmerksam gemacht werden soll. Die Kampagne ist
wohl gut gemeint, aber arg kurzsichtig. Zum einen macht sie sich einmal
mehr nur für die "echten", sprich anerkannten, Flüchtlinge
stark. Das Arbeitsverbot für abgewiesene Asylsuchende und solche
mit Nichteintretensentscheid, das diese Menschen in die
Abhängigkeit von der staatlichen Nothilfe und in noch
grössere Isolation treibt, wird mit keinem Wort erwähnt. Zum
andern wird auch die Lebensrealität der vorläufig
aufgenommenen Personen (mit Ausweis F) verkannt. Ein zukünftiger
Arbeitgeber muss zuerst ein Gesuch beim Kanton einreichen, damit die
betreffende Person überhaupt eine Arbeitsbewilligung erhält.
Hinzu kommt, dass ein F-Ausweis jeweils nur für ein Jahr
ausgestellt wird. Welche Lehrmeisterin, welcher Arbeitgeber stellt
schon jemanden ein, der jedes Jahr seine Arbeitsbewilligung verlieren
kann?
Diesen Punkt greift Susin Park vom UNHCR-Büro zwar in ihrem
Communiqué auf, vermeidet aber direkte Kritik an der Schweizer
Flüchtlingspolitik. Doch weist sie darauf hin, dass viele
ausländische Diplome und Studienabschlüsse in der Schweiz
nicht anerkannt werden. Und ohne Diplom ist in der Schweiz Talent nicht
mehr viel wert.
Noëmi Landolt
Veranstaltungen zum Flüchtlingstag am Samstag, 19. Juni:
http://www.fluechtlingstag.ch
-------------------------------------------------
WELTWOCHE VS NIGERIANER
-------------------------------------------------
Weltwoche 17.6.10
Die Geschäfte der Nigerianer
Sein Tod sorgte für Schlagzeilen: Der Nigerianer Alex Khamma
starb bei der Ausschaffung in sein Heimatland. Bis auf sein tragisches
Ende verlief sein Leben so wie das vieler Landsleute: Sie leben illegal
in der Schweiz und beherrschen den Kokainhandel. Schweizer Frauen
helfen ihnen.
Von Daniel Glaus
Mit dem Sonderflug vom 17. März 2010 wollte das Bundesamt
für Migration (BFM) den Nigerianer Alex Khamma ausschaffen. Im
Dezember 2005 hatte der damals 24-Jährige einen Asylantrag
gestellt. Das BFM lehnte ab. Weil er trotzdem in der Schweiz blieb,
wollte ihn der Bund mit Gewalt in seine Heimat zurückbringen.
Die Zwangsausschaffung nahm er nicht einfach hin. Im
Flughafengefängnis wehrte er sich heftig. Er griff die Polizisten
an, die ihn in die Maschine bringen wollten, die das BFM gechartert
hatte. Die Beamten fesselten ihn und setzten ihn auf einen Rollstuhl.
Er tobte weiter - bis zur Ohnmacht. Eine halbe Stunde später war
er tot.
Wahrscheinlich hatte Khamma gesundheitliche Probleme, die die
Polizisten nicht kannten. Noch untersucht die Zürcher
Staatsanwaltschaft die Todesursache. BFM-Chef Alard du Bois-Reymond und
ein nigerianischer Botschaftsvertreter waren Zeugen. Du Bois-Reymond
stoppte zwischenzeitlich die Sonderflüge in sämtliche
Länder. Nach Nigeria werden noch immer keine Ausschaffungen
durchgeführt, weil das Land nur freiwillige Rückkehrer
akzeptiert - und solche gibt es praktisch nicht. Im Juli will du
Bois-Reymond die nigerianischen Behörden mit neuen
Sicherheitsmassnahmen zum Einlenken bringen.
Ein einziger anerkannter Flüchtling
Das Schweizer Asylsystem ist am Anschlag. Im vergangenen Jahr
haben 1786 Nigerianer einen Asylantrag gestellt. Aus keinem anderen
Land haben in den letzten Jahren so viele Menschen in der Schweiz um
Asyl ersucht. Derzeit kommen jeden Monat rund 150 hinzu.
Allerdings hätten "99,5 Prozent" nicht "die geringste
Chance", hierbleiben zu können, sagte du Bois-Reymond im April.
Eine Mehrheit komme, um zu arbeiten, was kein Fluchtgrund sei. Viele
würden kriminell. Die Statistik bestätigt das: Über die
Hälfte von knapp 600 Anzeigen wegen Kokaindelikten richteten sich
2009 gegen Nigerianer. Nur einen Einzigen der meist zwischen 18 und 35
Jahre alten Männer akzeptierte das BFM 2009 als Flüchtling.
Alex Khamma ist damit, bis auf seinen tragischen Tod, ein
"08/15-Nigerianer", wie ein Beamter sagt, der den Fall kennt. Er gab
an, aus dem Sudan zu sein, was widerlegt wurde. Im September 2006 wurde
sein Gesuch definitiv abgelehnt.
"Swiss girls are very nice!"
Sobald abgewiesene Asylbewerber das Land verlassen müssten,
erhalten sie nur noch Nothilfe. Zuletzt wohnte Khamma in der
Notunterkunft Uster. Ein Zivilschutzbunker neben der Autobahn durchs
Zürcher Oberland. 98 Plätze hat es. Bis auf zwei sind alle
belegt. Zwei Drittel von Nigerianern. Sie hausen in Zimmern mit acht
bis achtzehn Matratzen auf Kajütenbetten. Für ihren
Lebensunterhalt erhalten sie pro Woche sechzig Franken in Form von
Migros-Gutscheinen. Wenn nötig Kleider, Schuhe; im Notfall
medizinische Hilfe.
Über eine Art Tiefgarageneinfahrt gelangt man in den Bunker.
Die Luft ist stickig. Es ist warm und feucht. Einige der Männer
beenden gerade ihr Ämtli. Mit anderthalb Stunden Toilettenputzen
oder Gängeschrubben können sie sich einen 5-Franken-Gutschein
dazuverdienen. Arbeiten ist ihnen verboten.
Damit Polizei und Betreuer jederzeit in die Zimmer können,
hängen in den Türrahmen nur Tücher anstatt Türen.
Wenige Stunden vor dem Besuch der Weltwoche hat die Polizei einen
illegalen Nigerianer aus dem Bett geholt, um ihn in Ausschaffungshaft
zu setzen. Zirka alle drei Monate gibt es eine Razzia. Wenn
überhaupt, findet die Polizei nur kleine Mengen Cannabis, selten
etwas Kokain.
Wer mit Drogen handelt, wickelt die Geschäfte ausserhalb ab.
Auch Alex Khamma fuhr regelmässig nach Zürich zum Dealen.
Aber nicht nur dafür. Er suchte auch eine Frau. Eine Schweizerin
zum Heiraten. Es ist der einzige Weg, zu einer Aufenthaltsbewilligung
zu kommen. Illegale aus Nigeria seien darin durchaus erfolgreich,
erzählen Beamte. Khammas ehemalige Zimmergenossen stehen dazu:
"Swiss girls are very nice!" Sie sprächen die Frauen überall
an: Unter der grossen Uhr im Zürcher Hauptbahnhof, in Parks, am
See.
Wiederholt haben die Illegalen am Bahnhof Uster auch allzu junge
Frauen angesprochen - was nicht toleriert wird. Es setzt einen scharfen
Verweis der Unterkunftsleitung ab. Verstossen die Illegalen gegen die
Hausordnung, erhalten sie Hausverbot. Das wirke meistens, sagt die
Leiterin.
Schweizerinnen mit einem Flair für die gutgebauten und
fröhlichen jungen Männer finden sich vor allem an
"Afrika-Partys". Dort sei es am einfachsten, bestätigen die beiden
Nigerianer. Ihre Masche ist simpel: "Hello, how are you?", lächeln
und Geduld haben: 100, vielleicht 200 Körbe habe Alex kassiert. Im
Sommer habe es dann geklappt, er fand eine Freundin. Eine Studentin aus
Zürich. Er zog zu ihr.
Alex war seinem Ziel einen Schritt näher: ein sicheres Nest
in der Schweiz für seine Geschäfte als Drogendealer. Bei
ihren Freundinnen und Frauen seien die meisten Nigerianer
hochanständig - fast unterwürfig, erzählt ein Polizist.
In Statistiken über häusliche Gewalt existieren illegale
Nigerianer praktisch nicht. Auch andere Delikte wie Autos klauen oder
Schlägereien begehen sie kaum. Nur nicht auffallen. Doch wehe, sie
werden gefasst: Ein Polizist sagt, Nigerianer würden oft sehr
aggressiv. "Sie schreien, spucken und schlagen wie keine andere
Bevölkerungsgruppe."
Plötzlich tauchen die Papiere auf
Bei der Partnerwahl sind die Nigerianer pragmatisch - es geht
ihnen in erster Linie darum, heiratswillige Schweizerinnen zu finden.
Oder noch besser: solche, die heiraten und ein Kind haben wollen. So
ist der Aufenthalt doppelt abgesichert. Steht die Hochzeit bevor, sind
auch Pass und Geburtsurkunde rasch zur Hand. Papiere, die beim
Asylgesuch zwecks Verschleierung der Herkunft noch als verschollen
galten.
Es sind Frauen in allen Lebenslagen, die sich auf eine Ehe mit
einem illegalen Nigerianer einlassen. Ältere Singles, die
geschmeichelt sind, dass ein Mann sie aufs Standesamt führen will.
Oder junge, die Mitleid haben und sich verlieben. Eine Frage von
Intelligenz oder Einkommen sei es auf keinen Fall, weiss ein Schweizer
Beamter.
In den vergangenen fünf bis sechs Jahren sind die Nigerianer
zu Marktführern im Kokainhandel aufgestiegen. Wie ist ihnen das
gelungen? Ihr Netzwerk sei "nahezu perfekt abgeschottet", weil sie
Dialekt sprächen und ihre eigene Kultur pflegten, schreibt das
Bundesamt für Polizei (Fedpol). Ein weiterer Teil des
Erfolgsrezepts ist die Organisationsstruktur. Bei den Nigerianern ist
alles flexibel. Es gibt keinen Capo wie in der Mafia und kaum blutige
Kämpfe unter Konkurrenten wie zwischen Albaner-Gruppen, die den
Heroinhandel beherrschen.
Den Einstieg ins Drogengeschäft erleichtern erfahrene
Landsmänner. Ein Teil der knapp 1800 legal anwesenden Nigerianer
in der Schweiz bildet das Rückgrat des Drogen-Netzwerks. Die
Verbindungen sind weltweit, denn in fast allen westlichen Ländern
gibt es eine nigerianische Diaspora. Nigerianer sind eine Art
Kokain-Qaida: Einzelpersonen oder kleine Gruppen, die einen Deal
zusammen durchziehen und sich wieder trennen. Jeder arbeitet auf eigene
Rechnung. Wer eine Aufenthaltsbewilligung hat, ver-kauft Handys mit
SIM-Karten, macht Geld-überweisungen, versteckt Schmuggler in
seiner Wohnung. Dank der Personenfreizügigkeit können
Nigerianer mit einer Aufenthaltsbewilligung in ganz Europa als
Touristen reisen und Geschäfte abwickeln.
Milch trinken hilft
Die Illegalen verkaufen auf der Strasse Ko-kainkügelchen.
Arbeit gibt es für alle: Coci ist längst keine Luxusdroge
mehr, sondern so günstig wie noch nie. Eine Linie gibt es schon ab
zwanzig Franken. Die Nachfrage ist riesig.
In die Schweiz gelangt das Kokain von Südamerika via Spanien
und die Niederlande. Dort werden Unmengen Fracht umgeschlagen.
Kontrolliert wird nur ein Bruchteil. Der reine Stoff erreicht Europa
tonnenweise in Schiffscontainern oder in kleinen Mengen per Flugzeug.
Ortsansässige Nigerianer nehmen die Ware in Empfang und
wickeln die Bestellungen ihrer Landsleute ab. Diese holen den Stoff
selber teilweise ab. Oder sogenannte Bodypacker transportieren ihn,
verpackt in Kondomen in ihren Mägen. In sicheren Wohnungen in
Bern, Basel oder Zürich scheiden sie diese Fingerlinge aus.
Literweise Milch trinken hilft.
Schweizer Frauen unterstützen die Drogenhändler
zumindest passiv. Die Wohnungen gehören oft den Schweizer Frauen -
sie halten die Schmuggler für Flüchtlinge und kochen auch
noch für sie. Haufenweise Bargeld, mehrere Handys ihres Mannes,
stundenlang zugesperrte Toiletten und Streckmittel fürs Kokain
scheinen sie nicht misstrauisch zu machen. Oder sie schauen bewusst
weg, weil sie Angst um die Beziehung haben. Einige helfen auch ihren
dealenden Ehemännern. In Kinderwagen oder Einkaufstaschen
verschieben sie das Kokain innerhalb der Schweiz. Oder sie bringen es,
versteckt in Körperöffnungen, über die Grenze.
Auch im Drogengeschäft spielt der Heiratsmarkt. Einige
Dealer versuchen, ihre Kundinnen mit vorteilhaften Konditionen an sich
zu binden. Bei Beschattungen von als Dealer Verdächtigten
fällt der Polizei auf, dass verheiratete illegale Nigerianer oft
noch mindestens eine Freundin haben. Eine Nigerianerin in der Schweiz,
dazu eine Studentin - und in der Heimat Frau und Familie, die mit Geld
versorgt werden. Geld aus Drogengeschäften, aber auch Sackgeld von
der Schweizer Partnerin.
50 000 Franken Entschädigung
Alex Khammas Freundin hat schliesslich wohl Verdacht
geschöpft und ihn deshalb aus der Wohnung geworfen. Im Herbst sei
er zurück gewesen in der Notunterkunft, sagen seine
Zimmergenossen. Khammas Suche nach einer heiratsfreudigen Schweizerin
begann wieder von vorne. Doch Uster ist ein hartes Pflaster, Alex
musste nach Zürich. Im Tausch gegen einen
10-Franken-Migros-Gutschein erhalten die Illegalen in der Notunterkunft
fünf Marken für je eine Tageskarte des Zürcher
Verkehrsverbundes. Sie ist jeweils ab neun Uhr gültig. Wer kein
Geld aus Drogengeschäften hat, tauscht in Zürich weitere
Gutscheine gegen Bares ein. Sans-Papiers-Anlaufstellen kaufen die
Gutscheine ab.
Am Sonntag, 13. Dezember 2009, verabschiedete Khamma sich in
Uster von seinen Kollegen. Er wollte nach Zürich an eine Party und
geriet in eine Polizeikontrolle. Die Polizisten nahmen ihn auf den
Posten. Rasch war ihnen klar: Khamma ist nicht nur ein Illegaler,
sondern auch ein Dealer - und zwar kein kleiner Fisch: Zu drei Jahren
Gefängnis war er verurteilt. Die Hälfte bedingt.
Dann ging alles rasch: Zwei Tage nach der Verhaftung wurde
Ausschaffungshaft angeordnet. Die Polizei brachte ihn ins
Flughafengefängnis in Zürich. Der nächste Sonderflug
sollte am 17. März starten. Gegen Abend jenes Mittwochs starb der
29-Jährige. Alex Khammas Familie hat soeben eine letzte
Überweisung aus der Schweiz erhalten: 50 000 Franken
Entschädigung vom Bund.
------------------------------------------
AUTONOME SCHULE ZH
------------------------------------------
bleiberecht.ch 9.6.10
Tag der offenen Tür und Party am 18.6.
Tag der offenen Tür & Soli-Konzerte in der ASZ
Freitag, 18. Juni, Baracke Panama, 16 Uhr bis spät
Hohlstr. 170, Tramhaltestelle Güterbahnhof
Mit Konzerten von:
SON OF CORAZON
KOBAYASHI
J&L DEFER (DISCO DOOM)
DJing by
SUZANNE ZAHND
SISTA ESTA
MICROCAT
Der Verein Bildung für Alle! hat seit Januar fünf Umzüge
bewältigt und feiert nun den Sommer mit einem Tag der offenen
Tür in der Baracke Panama. Von 16 bis 17 Uhr erläutern die
ModeratorInnen die kostenlosen Deutschkurse und die Strukturen der
Autonomen Schule. Seid herzlich eingeladen! Anschliessend wird
grilliert und fulminante Musik gehört: Son of Corazon legen neue
Massstäbe in Sachen kulturübergreifendem Musizieren,
Kobayashi verwischen Genre-Grenzen zwischen Minimal Music und Noise und
J&L Defer, die beiden Köpfe von Disco Doom, tragen uns auf
Bass- und Gitarrenflächen in die Nacht. Über alldem leuchtet
die Aufgabe: Geld sammeln für die Aktionen des Kollektivs
Bleiberecht!
* Offene Tür zu den Deutschkursen von 16 bis 17 Uhr
* Grillade mit DJ Suzanne Zahnd ab 17 Uhr
* Konzerte von Son of Corazon, Kobayashi und J&L Defer ab 20 Uhr
* DJs Sista Esta und Microcat bis spät
Bildung für Alle | Autonome Schule Zürich | Bleiberecht
Zürich
Flyer als pdf
http://www.bleiberecht.ch/wp-content/uploads/2010/06/BfA_offenetuere_soli_1806201.pdf
--------------------------
NARRENKRAUT
-------------------------
Tagesanzeiger 17.6.10
Gemeinderat für Haschischabgabe
Cannabis legal kaufen und rauchen - der Zürcher Gemeinderat
wünscht einen Versuch.
Von Jürg Rohrer
Zürich - Ein Postulat der Grünen aus dem Jahr 2006, das
erst gestern Abend zur Beratung kam, verlangt einen wissenschaftlich
begleiteten Versuch: Cannabis soll kontrolliert zum Verkauf kommen, und
wer welches auf sich trägt oder konsumiert, soll von der Polizei
nicht verzeigt werden. Gleichzeitig soll die Stadt die Prävention
und Aufklärung über Suchtmittel ausbauen. Matthias Probst
(Grüne) sagte am Mittwochabend, Cannabis sei eine Volksdroge, und
das Cannabisverbot habe versagt. Es sei an der Zeit, das Problem einmal
anders anzugehen und Fakten zu liefern mittels wissenschaftlichen
Erhebungen. "Wir wollen kein Kiffer-Eldorado in Zürich, sondern
Erkenntnisse." Senioren in Altersheimen sollten durchaus auch in den
Versuch einbezogen werden. Das solle übrigens auch ein politisches
Signal nach Bern sein und dort zur Versachlichung der Debatte
beitragen. Der eidgenössische Souverän habe diese
Legalisierung klar abgelehnt, entgegnete Mauro Tuena (SVP), es gehe
nicht an, dass dann wieder einzelne Kommunen aktiv würden. Der
kriminelle Handel werde nicht verschwinden, da sich die Jugendlichen
nicht registrieren lassen wollen. Auch verstehen es die Jungen nicht,
wenn der Staat das Rauchen verbietet, aber das Haschrauchen erlaubt.
Mehrfach betonten die SVP-Vertreter, dass es den Postulanten letztlich
nicht um einen Versuch gehe, sondern um die Legalisierung.
Der Stadtzürcher Souverän habe die Hanfinitiative mit
54 Prozent angenommen, erinnerten die Grünliberalen, die
einstimmig für das Postulat waren. Deshalb stehe es der Stadt gut
an, eine Vorreiterrolle zu spielen, allerdings erst für
Jugendliche ab 18 Jahren. Die SP war ebenfalls für das Postulat,
obwohl sie rechtliche und praktische Vorbehalte äusserte. Aber
versucht sollte es zumindest werden.
Die FDP lehnte ab, weil es nicht Aufgabe des Staats sei, Drogen
zu verkaufen. Dafür fehle die Rechtsgrundlage. Es gebe ja auch
keine staatliche Alkoholabgabe. Auch verstand sie nicht, was das mit
Prävention zu haben solle. Der wissenschaftliche Versuch sei
ohnehin nur ein Vorwand, und das Postulat im Grunde lächerlich.
Die CVP räumte ein, dass die Situation heute nicht gut sei, aber
ein solcher medizinisch unqualifizierter Versuch bringe nichts.
Stadträtin Claudia Nielsen (SP) rief dazu auf, einen
kühlen Kopf zu bewahren. Eine Stadt sei mit Cannabis anders
konfrontiert als andere Gebiete der Schweiz. Der Stadtrat nehme deshalb
das Postulat entgegen. Nach 90-minütiger Debatte überwies der
Gemeinderat das Postulat mit 67 zu 49 Stimmen.
Kommentar Seite 2
--
Kommentar
Erfrischend und unschädlich
Beat Metzler
Beat Metzler über den Wunsch des Zürcher Gemeinderats,
Haschisch zu verkaufen.
Sich legal einen Joint drehen? Darauf hofft in der Schweiz keiner
mehr. Dabei galt das Land noch um die Jahrtausendwende als
Kifferparadies Mitteleuropas. Doch vor etwa drei Jahren kippte die
Stimmung. Erst sagten die eidgenössischen Räte, dann auch das
Volk klar Nein zur Hanf-Initiative. Seither ist die
Legalisierungseuphorie völlig verklungen.
Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt beschliesst der
Stadtzürcher Gemeinde- rat, dass die Stadt Gras und Cannabis an
Kiffer verkaufen soll. Schuld an diesem fast anachronistischen
Entscheid ist die legendär lange Pendenzenliste des
Stadtparlaments. Die jungen Grünen Bastien Girod und Matthias
Probst haben das entsprechende Postulat bereits vor vier Jahren
eingereicht.
Die alles verschleppende Diskutierfreude der Gemeinderäte
hat für einmal auch etwas Gutes. Gerade durch die Verspätung
kommt die Forderung zur rechten Zeit. Denn die Hanf-Frage wartet
weiterhin auf eine Lösung. Zwar wurden die Kiffer aus dem
öffentlichen Raum gedrängt. Und alle Zürcher Hanf-Shops
haben geschlossen. Nur kiffen deswegen nicht weniger Menschen.
Immer noch wird ein Teil der Bevölkerung für den Genuss
einer Droge kriminalisiert, die bei vernünftigem Konsum nicht
schädlicher wirkt als Alkohol. Mit dem Verbot schafft der Staat
ausserdem einen Schwarzmarkt, in dem viel Geld verdient wird. Geld, das
am Steueramt vorbeiströmt. In dieser Situation kann ein frischer
Lösungsversuch nicht schaden. Und wo sonst soll dieser starten,
wenn nicht in Zürich, das die Schweiz schon von der Heroinabgabe
überzeugte?
Der Gemeinderat will Zürich nicht in ein zweites Amsterdam
verwandeln, wo an jeder Ecke rotäugige Touristen aus Coffeshops
wanken (die aber jährlich 400 Millionen Euro Steuern in Holland
abliefern). Vorgesehen ist ein wissenschaftlich begleitetes Experiment
in kleinerem Rahmen, das erste Erfahrungen mit dem legalen Verkauf
bringen soll. So könnten offene Fragen geklärt und die
ideologisch geführte Diskussion versachlicht werden. Nun darf der
Stadtrat seinen Mut beweisen, indem er einen innovativen und besonnenen
Vorschlag ausarbeitet.
---
NZZ 17.6.10
Stadt Zürich soll Hasch verkaufen
Gemeinderat regt Pilotprojekt an
rib. ⋅ Die Forderung kommt etwas verspätet: Nachdem die
eidgenössischen Räte 2007 die Legalisierung von Cannabis
abgelehnt haben und das Stimmvolk ein Jahr später die
Hanf-Initiative an der Urne verworfen hat, soll die Stadt Zürich
nun den kontrollierten Verkauf von Cannabis prüfen. Der
Gemeinderat jedenfalls hat am Mittwochabend ein Postulat mit dieser
Forderung unterstützt. Der 2006 von den Grünen eingereichte
Vorstoss sieht ein wissenschaftlich begleitetes Pilotprojekt vor, das
einerseits aus dem Verkauf der Droge an Personen besteht, die
mindestens 18 Jahre alt sind, anderseits aus einer
Präventionsstrategie zur Aufklärung und Beratung von
Jugendlichen. Im Gegensatz zur Exekutive der Stadt Bern, die ein
ähnliches Begehren vor drei Jahren ablehnte, ist der Zürcher
Stadtrat bereit, das Anliegen zu prüfen.
Cannabis, sagte der Postulant Matthias Probst (gp.), sei heute
eine Volksdroge, trotz allen Verboten. Anstatt zuzusehen, wie in weiten
Teilen der Bevölkerung gekifft werde, solle Zürich lieber
eine Vorreiterrolle spielen. Ein kontrollierter Versuch würde
endlich Fakten schaffen über den Konsum und die damit verbundenen
Gefahren. Mit einer kontrollierten Abgabe könne der Markt
ausgeschaltet und verhindert werden, dass junge Kiffer an harte Drogen
kommen. SVP, FDP und CVP widersprachen dem geschlossen. Nachdem sich
der Souverän deutlich gegen eine Cannabis-Liberalisierung
geäussert habe, sagte Mauro Tuena (svp.), könne sich eine
Gemeinde diesem Verdikt nicht widersetzen. Haschisch werde verharmlost.
Es sei paradox, wenn der Staat das Rauchen verbiete, aber Hand biete
zum Kiffen.
Severin Pflüger (fdp.) betonte, es gehe nicht um
Liberalisierung, sondern um einen Versuch. Dennoch sei es
problematisch, wenn der Staat Drogen verkaufe. Beim Hasch sei die Lage
nicht so dramatisch wie beim Heroin; dort gehe es darum, Konsumenten
aus sozialem Elend zu retten. Mit den Stimmen von Grünen,
Grünliberalen und SP unterstützte der Rat den Vorstoss. Der
Stadtrat hat nun zwei Jahre Zeit, zu prüfen, ob das Begehren
umgesetzt werden kann.
---
20 Minuten 17.6.10
Stadt Zürich soll künftig Cannabis legal verkaufen
ZÜRICH. Der Cannabis-Verkauf in der Stadt Zürich soll
laut dem Parlament legal werden. Das wäre schweizweit einzigartig.
Die Stadt Zürich soll kontrolliert und legal Cannabis
verkaufen - dies forderte der damalige Zürcher Gemeinderat und
jetzige Nationalrat der Grünen, Bastien Girod, und dessen
Parteikollege Matthias Probst 2006. Das Postulat verlangte einen
wissenschaftlich begleiteten Pilotversuch. Gestern Abend überwies
das Stadtparlament das Postulat nach einer hitzigen Debatte mit 67 Ja-
zu 49 Nein-Stimmen. Der Stadtrat hat nun zwei Jahre Zeit, dieses zu
prüfen. Einer der beiden Postulanten sprach von "einem politischen
Signal Richtung Bern". Die Drogenpolitik in der Schweiz sei blockiert.
Die Stadt Zürich solle einen Schritt weitergehen und eine
Pionierrolle übernehmen, forderte er. Ein "Kiffer-Eldorado" soll
die grösste Stadt der Schweiz aber nicht werden. Unterstützt
wurden die Grünen von der SP, der AL und den Grünliberalen.
Die SP sprach sich pragmatisch für ein Ja aus. Die Partei sieht
aber Probleme bei der Umsetzung: Die Beschaffung des Cannabis wäre
wahrscheinlich illegal, der Verkauf jedoch erlaubt. Gegen einen legalen
Cannabis-Verkauf waren FDP, SVP, EVP, CVP und SD. "Es ist kein
Bedürfnis, dass das Kiffen in diesem Land legal wird", so ein
SVP-Politiker. Die FDP fragte, ob es gerechtfertigt sei, dass der Staat
Drogen verkaufe. Eine staatliche Alkoholabgabe gebe es ja auch nicht.
SDA
--
Gesetzeskonflikt vorprogrammiert
ZÜRICH. Der legale Verkauf von Cannabis könnte in
Konflikt zur Bestrafung von Haschischkonsum geraten. Katharina
Rüegg, Sprecherin des Gesundheits- und Umweltdepartments
Zürich, gibt sich deshalb noch bedeckt: "Der Stadtrat hat nun zwei
Jahre Zeit, die genaue Umsetzung zu prüfen", sagt Rüegg.
Dabei komme aber nur ein Pilotversuch mit medizinischer Begleitung in
Frage - ansonsten würden die Zürcher das Bundesgesetz
übergehen. "Das Gesundheitsdepartement wird dabei mit anderen
städtischen Departementen, wie etwa der Polizei intensiv
zusammenarbeiten", so Rüegg.
-----------------------------------
AUTONOME ZELLEN
-----------------------------------
WoZ 17.6.10
Und immer die Sehnsucht nach Freiheit
Gefängniswelt - Etienne Sauterel war sechzehn, als er
verhaftet wurde: Er galt als Mitglied der Autonomen Zellen, die einen
Anschlag auf das Haus eines Bundesrates verübt hatten. Es folgten
Drogensucht und Jahre im Gefängnis. Sauterel führte dort ein
Tagebuch, aus dem die WOZ Auszüge druckt: Sie berichten von einer
gescheiterten Flucht aus einem Berner Gefängnis, von einem
Selbstmordversuch und vom Kontakt mit einer "höheren Kraft".
Von Etienne Sauterel* (Text und Fotos), Patrik Maillard (Text)
und Ursula Häne (Porträtfoto)
Fluchtgedanken
Sommer 2003, Gefängnis Amthaus Bern
... und wir folgten den Bauern in ihren blauen Uniformen von den
Stallungen, die unsere Zellen waren, auf die graue Weide, die sie Hof
nannten. Ein scheussliches Gebilde in der Grösse von zwei
Parkplätzen, ähnlich einer Schuhschachtel, die man hinstellt,
um gefangene Mäuse einzusammeln. Öffnet man den Deckel, sieht
man, wie sich die Tiere darin verzweifelt zu retten versuchen und dabei
an den zu glatten und steilen Wänden scheitern. Sinnlose
Sprünge, schmerzliches Hinfallen. Ein Tanz der Mäuse, ein
sich gegenseitig Überrennen und auf die Füsse treten.
Die Schachtel war aber nicht braun und aus Pappe, sondern
stählern und schwarz gestrichen. Stahlplatte an Stahlplatte
formten die glatten Wände, und den Himmel sahen wir wie durch ein
Sieb: Stangen, Gitter und Netze zerschnitten den Himmel und brachen das
Licht. Die Schachtel war hingestellt worden, nachträglich, auf das
Flachdach des Gefängnisses. Und wir, die eingesammelten Menschen,
eingepfercht mittendrin. Auch Zuschauer gab es dank der Fischaugen der
Überwachungskameras in jeder Ecke der Schuhschachtel. In der Mitte
des Raumes ein Ping-Pong-Tisch aus Beton, der - obwohl hin und wieder
darauf gespielt wurde - so daneben und fehl am Platz war wie dieser
winzige Stahlkomplex überhaupt. Damit überhaupt gespielt
werden konnte, mussten sich die anderen kauernd in die Ecken
drängen. Und auch dann war es für die Spieler alles andere
als einfach, einen vernünftigen Match hinzukriegen. In der Hitze
spielerischer Leidenschaft schlug man unvermeidlich immer wieder an den
Platten an, holte sich oft Schürfungen und blaue Flecken.
Wir fühlten uns wie Tiere, Versuchskaninchen, Laborratten
oder wie Affen im Zoo. Bei den gelegentlichen Streitigkeiten und
Raufereien kam mir das seltsame Verhalten gewisser Vögel in den
Sinn, die sich in Gefangenschaft gegenseitig und auch sich selber die
Federn ausreissen. Nicht ohne Grund hiess diese Schachtel unter den
Gefangenen Vogelkäfig oder auch Depressionshof. Doch war der
Hofgang für uns die einzige Möglichkeit, etwas frische Luft
zu schnappen, wenigstens für eine Stunde am Tag mit Menschen zu
reden. Meine Aggressionen gegenüber dem Knast - und diejenigen
meiner Mithäftlinge -, entluden sich nicht selten in
wutentbrannten Fusstritten oder sinnlosen Faustschlägen gegen die
Wände der Stahlschachtel. War jeweils ein Flugzeug oder ein
Helikopter am gesiebten Himmel zu erkennen, so schrieen wir hemmungslos
und verstärkten den Lärm mit Schlägen gegen die Platten.
Wir alle hegten wohl, tief in uns verborgen, Fluchtabsichten, doch
waren sie einer traurigen Ohnmacht gewichen und schlummerten in einem
versteckten Winkel. Was wir aber nicht ahnen konnten: die Unzahl von
Schlägen gegen die Platten und Nieten, über all die Wochen
hinweg, zeigte so langsam seine Wirkung...
Es war an irgendeinem dieser immer gleichen Tage, als sich durch
einen fast schon rituell erfolgten, eher beiläufigen Fusstritt die
erste Niete löste und den schlummernden Fluchtgedanken in uns auf
einen Schlag weckte. Unsere Gesichter wurden lebendig, das Dunkel in
unseren Augen wich schimmernder Hoffnung - auf zum Versuch!
Wir organisierten ein Tischtennisturnier der hitzigen Sorte, mit
fast schon akrobatischen Einlagen. Gezielte Schläge und
präzise Fusstritte, begleitet durch lautes Applaudieren und
Gejohle, lösten tatsächlich weitere Nieten. Ein
kräftiger "Balljunge" machte sich an den Platten zu schaffen, vor
den Kameras immer schön abgedeckt durch die anderen
Häftlinge. Dann war die Sardinenbüchse endlich aufgeschlitzt,
die vernietete Platte hatte sich zur Hälfte gelöst. Stemmte
man sie auf, hatte man gerade genug Platz, um durchzuschlüpfen,
liess man sie los, verschloss sie sich durch die Spannung automatisch
wieder.
Wir suchten nach Wegen, dieses Gefängnis lebend zu
verlassen. Der Architekt war ja nicht so nett gewesen, eine Feuertreppe
mit einzubauen, die vom Dach des fünfstöckigen Gebäudes
nach unten führen würde. Vier von den zehn Gefangenen aus
unserem Trakt waren bereit, den halsbrecherischen Versuch zu wagen -
darunter auch ich. Es musste am folgenden Tag geschehen. Jeder von uns
riss sein Leintuch in der Mitte durch, knöpfte es aneinander und
versah es zusätzlich mit weiteren Griffknoten. Da es Winter war,
liessen sich diese Seile ohne weiteres unter der Jacke versteckt in den
Hof bringen. Der Plan war realistisch, wir würden es
wahrscheinlich nicht alle schaffen, aber vielleicht einer oder zwei von
uns. Die Risiken: die Gefahr, sich zu verletzen oder unten schon von
Wärtern empfangen zu werden.
Wir waren jung, hatten in unseren Zellen viel trainiert, und vor
allem lag für uns alle eine noch viel zu lange Gefangenschaft vor
uns. Wir waren bereit, uns kopfüber ins Ungewisse zu stürzen,
dafür lockte die Freiheit.
In unserer, wie wir hofften, letzten Nacht im Gefängnis
wurden unsere Zellen durchsucht und der halbe Trakt wurde in
verschiedene Gefängnisse in der ganzen Schweiz verlegt. Vielleicht
wurden wir verraten, oder die Wärter hatten auf dem letzten
Kontrollgang die beschädigte Stelle doch noch bemerkt. Ich weiss
es bis heute nicht. Immerhin musste ich das zerrissene Leintuch nicht
berappen.
Auf den Titelseiten grosser Tageszeitungen wurde mit Foto nach
ihm gefahndet: Etienne Sauterel* galt im Jahr 1984 als mutmassliches
Mitglied der Winterthurer Autonomen Zellen. Verschiedene
Sachbeschädigungen, Brandanschläge und die Detonation eines
mit Schiesspulver gefüllten Feuerlöschers vor dem Haus des
damaligen Bundesrates Rudolf Friedrich führten im November 1984 zu
einer breit angelegten Verhaftungsaktion. Sauterel war erst sechzehn
Jahre alt, als er für mehrere Monate in Untersuchungshaft genommen
wurde. Sauterel verliess daraufhin die Schweiz für fast drei
Jahre. 1987 kam er für den Prozess zurück und wurde zu elf
Monaten Jugendstrafe bedingt verurteilt. Der Anschlag auf das Haus von
Bundesrat Friedrich wurde nie wirklich aufgeklärt.
Später zog Sauterel nach Zürich und wurde Teil der
Hausbesetzerszene. Nach dem Abflachen der Wohnungsnotbewegung begann
Etienne Sauterel, mittlerweile 24-jährig, Heroin und Kokain zu
konsumieren und geriet wegen der Drogen bald erneut in Gefangenschaft.
Sauterel vergleicht die Drogen mit einem Feuer, an dem man sich bewusst
und immer wieder verbrenne, weil sie anfangs wärmen und erst
danach zu schmerzen begännen. Es folgte die Endlosschlaufe von
Sucht und Entzug, Beschaffungskriminalität und Knast, Massnahmen,
Therapien und Rückfällen. Im Sommer 2003 kam Sauterel
aufgrund verschiedener Einbruchsdelikte und nicht eingehaltener
Bewährungsauflagen einmal mehr in Untersuchungshaft. Verhaftet
wurde er in Basel, nach zwei Wochen verlegte man in nach Bern ins
Amthaus und sperrte ihn in eine Einzelzelle mit einer Grundfläche
von zwei mal vier Metern. Rund um die Uhr. Arbeit wurde ihm genauso
verwehrt wie sportliche Aktivitäten, Gemeinschaftsräume gab
es keine. Laut seiner Anwältin musste Sauterel damit rechnen,
für mindestens vier Jahre im Gefängnis bleiben zu
müssen. Die Möglichkeit, dank kooperativen Verhaltens schnell
wieder aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden, sei deshalb gar
nicht in Betracht gekommen. Vor der Verhaftung bezog Sauterel die hohe
Dosis von neunzig Milligramm Methadon und konsumierte zusätzlich
noch Kokain und Heroin. Der heute 43-Jährige erzählt, er habe
die Aussage verweigert und die Basler Justizbehörden hätten
das Methadon von einem Tag auf den andern vollständig abgesetzt.
Laut Sauterel wäre dies nicht erlaubt gewesen, denn ein solcher
Schock für den Körper könne zu epileptischen
Anfällen und Kreislaufzusammenbrüchen mit tödlichen
Folgen führen. Was folgte, sei ein brutaler, kalter Entzug mit
schlaflosen Nächten auf der durchgeschwitzten Matratze gewesen.
Nach drei bis vier Wochen sei der schlimmste Entzug, den er je
durchgemacht habe, einigermassen vorbei gewesen. Später
hätten ihm die Anstalts ärzte das Methadon wieder angeboten.
Sauterel lehnte ab. Das "Methi" sei ein Druckmittel gewesen, und jetzt,
wo es ohne aushaltbar gewesen sei, habe er ihnen dieses Geschenk nicht
machen wollen. Nie mehr sollte er einen solchen Entzug nochmals
durchmachen müssen.
Sauterel begann zu trainieren, mit den Mitteln, die ihm zur
Verfügung standen. Rumpfbeugen, Liegestützen; er bastelte
Hanteln aus Petflaschen und stemmte das Bett mit den Füssen hoch.
Und er begann zu schreiben. Über den Entzug, Depressionen, das
Liebäugeln mit dem Tod, aber auch über Solidarität unter
den Gefangenen und die Hoffnung auf eine erfolgreiche Flucht. Anfangs
sei es mehr ein Gekritzel gewesen, dann aber immer mehr zum Tagesinhalt
geworden. Sauterel schrieb vier bis fünf Stunden täglich, und
so sammelten sich über die Monate rund 2000 hand- und
maschinengeschriebene Seiten an. Wie eine Therapie, eine Reflexion
über das bisherige Leben, geschrieben in nüchternem Zustand,
sei das gewesen.
Die Frage Gottes im Plastiksack
Frühsommer 2003, Gefängnis Waaghof Basel
In der zweiten Haftwoche hatte ich genug und war meines Leidens
überdrüssig. Des Lebens müde. Ich konnte mich selbst,
meine Situation, nicht mehr ertragen.
Mehr als zwölf Jahre Drogensucht, davon insgesamt vier Jahre
hinter Gittern, lagen hinter mir. Nach unzähligen Entzügen,
freiwilligen und unfreiwilligen, ging es von vorne los: Freiheits- und
Drogenentzug. Und das mit der Aussicht, weitere vier Jahre am
Stück in Gefangenschaft zu verbringen - und erst noch
nüchtern. Selbst wenn ich das irgendwie überleben sollte:
Danach würde es mit grösster Wahrscheinlichkeit genauso
weiter gehen. Wieder diese Drogen, wieder Täuschung und
Enttäuschung, wieder die se Sucht und die daraus resultierende
Verfolgung. Weiter mit dieser unheilbar scheinenden Krankheit, die ich
selber an mir hasste und die ich doch irgendwie brauchte oder sogar
mochte. Ich konnte nicht mehr, mir fehlte schlicht die Kraft.
Die Zelle war so konstruiert, dass man sich darin nur schwer
umbringen konnte. Sich darin aufzuhängen, war praktisch
unmöglich. Es gab Wände und Kanten, an die ich meinen Kopf
hätte schlagen können. Mit gebrochenem Schädel in
Ohnmacht zu fallen, wäre so aber wahrscheinlicher gewesen, als
daran zu sterben. Es gab einen Fernseher, mit dessen Scherben ich mich
hätte aufschlitzen können. Das Zerstören dieses
Apparates hätte jedoch ziemlichen Lärm verursacht, und ich
wollte keinesfalls riskieren, dass aufgescheuchte Wärter mich an
meinem Vorhaben hätten hindern können.
In einer Ecke stand ein Eimer mit Kehrichtsack, und so
wählte ich die Methode von Walter Stürm auf seiner
allerletzten Flucht. Sowohl für mich wie auch für viele
andere aus der damaligen Linksautonomen- und Hausbesetzerszene war
Stürm ein Vorbild gewesen, ein Symbol für den Widerstand
gegen das Gefängnissystem. Als sich Stürm Anfang der
neunziger Jahre mit einem Hungerstreik gegen seine Isolationshaft
gewehrt hatte, gingen regelmässig mehr als tausend Menschen auf
die Strasse, um sich mit ihm zu solidarisieren.
Es gab gewisse Parallelen zwischen Stürm und mir: Wir waren
Einbrecher, und wir kannten das Gefängnisleben. Der Knastalltag:
Anstrengend, mit Schmerzen verbunden und immer mit einer grossen
Sehnsucht nach Freiheit; mit Schreien, die innerhalb der
Zellenwände verhallen. Stets hofft man, dass die Flucht gelingen
würde und man danach draussen bliebe. Ein Leben, das einen umwirft
und danach immer wieder aufstehen lässt. Bis zum nächsten
Umfallen, bis zum endgültigen Liegenbleiben. Ein hartes Leben, an
das man lange glaubt, an das man sich lange klammert, um es nicht zu
verlieren - bis die Kraft verschwindet. Auch Stürm mochte nicht
mehr. Die Einsamkeit einer Zelle hat ihn erstickt. Sein
kämpferisches Leben endete in einem zugeschnürten Abfallsack.
Morde, Selbstmorde und Überdosen: Tote hatten mein Leben
stets begleitet. Ich habe mehr als einmal direkt vor meinen Augen
Menschen sterben sehen.
Ich habe vielleicht deshalb auch weniger Angst vor dem Tod als
andere. So nahm ich also diesen Plastiksack aus dem Abfalleimer. Ich
riss einen Stoffstreifen aus meiner Kleidung, der dünne
Plastikstreifen des Sacks schien mir doch schlecht geeignet, um meinen
Hals gründlich zuzuschnüren.
Ich konnte mich nicht ausstehen in diesem Moment, wollte mich
vernichten, einfach verschwinden. Wäre ich im Besitz einer Waffe
gewesen und hätte mich mit einer Geiselnahme vielleicht aus dem
Knast retten können: Ich bin mir nicht sicher, ob ich es gewollt
hätte. Ich mochte nicht mehr flüchtig leben, das
Desperado-Dasein sollte ein Ende haben. Ich hätte mir mit der
Waffe in den Kopf geschossen und mich vorher noch bei der Kugel
bedankt. Ich schrieb nicht einmal einen Abschiedsbrief. Mein Leben war
Erklärung genug. Diejenigen, die mich besser kannten, würden
es verstehen. Selbstzerstörung ist für einen Fixer etwas
Alltägliches. Auch wenn er es nicht wahrhaben will. Ich wusste es
und wollte einen Punkt setzen. Den Schlusspunkt.
Ich legte mich rücklings auf die Knastmatratze, stülpte
mir den Sack über den Kopf und verschnürte ihn sogleich um
den Hals. Er war erstaunlich luftdicht.
Ich war anfangs ziemlich verkrampft, spürte Platzangst und
war orientierungslos. Ich war mir auch nicht sicher, ob es klappen
würde. Unter meinem Rücken schob ich deshalb meine Hände
ineinander, damit sie sich gegenseitig festhielten.
Ich entspannte mich bald.
Das kleine Sauerstoffüberbleibsel war bald aufgebraucht. Es
wurde warm und feucht um mein Gesicht. Mein Herz schlug wie eine innere
Faust gegen meine Rippen. Mir wurde sturm und seltsam. Meine Hände
regten sich nicht, in mir fing es zu rauschen und zu dröhnen an.
Ich kam der Erstickung näher, verlor die Gegenwart und
schwebte. Ich flog dem Tod entgegen - und dem Leben davon.
Ich weiss nicht, wie lange ich so dalag. Der Plastik klebte an
meinem Gesicht, in mir spulten sich tausend Kurzfilme ab, und die
Gedanken spielten verrückt. Die Abfolge der Bilder wurde schneller
und schneller, bis ich nur noch Blitzlichter sah. Waren die Bilder und
Gedanken anfangs gestochen scharf und realistisch, schmolzen sie
zusehends in ein unscharfes Grau dahin. Mein ganzes Dasein presste sich
in einen grauen Kanal. Ein Unding wie ein Schlauch, verschwommen, ohne
eigentliche Wände. Ich schwebte hindurch, weder gezogen noch
geschoben. Unberührt. Das Rauschen, das ich wahrnahm, würde
sich gleich in diesem seltsamen Schwarz ohne Ende und Anfang
auflösen. Es würde verstummen.
Mir schien es, ich hätte die Pforte des Todes erreicht, als
plötzlich eine Frage, eine sehr laute und deutliche Frage,
gestellt wurde. Sie rüttelte mich auf, sie erschrak und verwirrte
mich, denn es war nicht ich, der mir diese Frage stellte.
Die einfache Frage lautete: "Bist du wirklich sicher, dass es
mich nicht gibt?"
Die Frage hatte die Wirkung einer Vollbremsung. Es war wie ein
Schock, der mich aus dem Schwarz wieder ins graue Schlauch-Unding
zurückschleuderte. Mir pochte das Herz, ich riss die Augen auf,
spürte ein Kribbeln in den Händen. Ich riss mir reflexartig
die unterdessen von Kondenswasser und Schweiss getränkte
Plastiktüte vom Gesicht. Die frische Luft schlug wie kaltes Wasser
auf mein Gesicht, presste sich in meine Lungen. Ich bäumte mich
auf und fing zu husten an. Mir war übel und sturm, ich wollte
aufstehen und fiel sogleich auf den Zellenboden. Das Rauschen und
Dröhnen hatte aufgehört, mein Atem kehrte bald
regelmässig zurück, und ich entspannte mich ein wenig.
Die Frage hatte bewirkt, dass ich mich ins Leben zurückriss.
Die Stimme des Todes konnte es unmöglich gewesen sein. Den Tod
gibt es auf sicher. So klar und deutlich, wie die Frage aus dem Nichts
auftauchte, hielt ich sie für etwas Übernatürliches. Sie
hatte mich im Innersten getroffen, wollte mich am Sterben hindern. Sie
war verwirrend, und ich fand keine Antwort darauf. Und doch wusste ich
seltsamerweise unverzüglich, wer sie mir gestellt hatte.
Ich kann seither nicht mehr behaupten, dass ich wüsste, dass
es keinen Gott gibt. Zum Kirchgänger oder Anhänger
irgendeiner Religion bin ich durch dieses Ereignis aber nicht geworden.
An die Existenz einer höheren Macht glaube ich jedoch, auch auf
Grund anderer Erlebnisse, bei denen ich hätte ums Leben kommen
können. Beispielsweise als auf mich geschossen wurde, als ich aus
dem vierten Stock sprang, um zu fliehen, oder als sich das Fluchtauto,
in dem ich sass, bei 200 km/h mehrmals überschlug und ich - trotz
fehlendem Airbag - quasi unverletzt daraus aussteigen konnte. Dies
bestärkte meinen Glauben daran, dass es so etwas wie Schutzengel
geben muss. Ich bin seither allgemein ruhiger und nachdenklicher
geworden, gehe mit meinem Leben vorsichtiger um als auch schon und sehe
es als etwas Wertvolles an.
Etienne Sauterel lebt seit zwei Jahren wieder in Zürich. Das
Leben in Freiheit sei schwieriger, als er sich das vorgestellt hatte.
Durch die Drogensucht und insgesamt fünf Jahre Knast habe er viele
Freunde verloren, fühle sich oft fremd und einsam. Er sei
weiterhin auf der Suche, sagt Sauterel heute, und er hoffe, seine
Nische und die richtigen Leute zu finden, um sich ein halbwegs
glückliches Leben einrichten zu können. Noch immer
erhöhe sich sein Puls, wenn er ein Gefängnis oder auch nur
einen Gefangenentransporter sehe. Von den Sozialarbeitern und der
Gefangenennachbetreuung fühlt sich Sauterel im Stich gelassen. Er
müsse sich selber helfen, von Resozialisierung könne keine
Rede sein. Das Drogenproblem habe er mehr und mehr im Griff und das
Methadon bereits so weit reduziert, dass er es bald ganz absetzen
könne. Zurzeit arbeitet Etienne Sauterel seine durch die Verfahren
und Delikte entstandenen Schulden ab und lebt auf dem absoluten
Existenzminimum.
* Name geändert
------------------
SEMPACH
------------------
NLZ 17.6.10
Schlachtjahrzeit Sempach
Eine neue Feier mit nationaler Ausstrahlung
Von Jérôme Martinu
Lockere Unterhaltung neben ernsthaften Diskussionen: In
Grundzügen ist die Feier ab 2011 jetzt aufgegleist. Die ganze
Schweiz soll künftig nach Sempach blicken.
Zwar wird die offizielle Sempacher Schlachtjahrzeit in diesem
Jahr Ende Juni nicht stattfinden. Wegen der zunehmenden Vereinnahmung
durch politisch extreme Gruppen hat der Luzerner Regierungsrat
entschieden, heuer einen einfachen Gedenkgottesdienst abzuhalten.
Dennoch wird derzeit hinter den Kulissen kräftig an der
zukünftigen Ausgestaltung der Feier gearbeitet: Bis zum Sommer
soll der Regierung das neue Konzept vorgelegt werden.
Drei Konzepte begutachtet
Die mit der Neugestaltung der Schlachtfeier beauftragte
Kommission unter der Leitung von Staatsschreiber Markus Hodel hat sich
seit ihrer ersten Sitzung vom 17. Mai bereits ein zweites Mal
getroffen. Mitglieder der neunköpfigen Kommission sind unter
anderem auch der Luzerner Polizeikommandant Beat Hensler, Sempachs
Stadtpräsident Franz Schwegler und Staatsarchivar Jürg
Schmutz. Aktueller Stand: "Wir haben uns die drei Konzeptideen
angehört, die wir bei externen Fachleuten in Auftrag gegeben
hatten", erklärt der kantonale Informationschef Harry Sivec auf
Anfrage (siehe Box). Die Bedingungen, die mit diesem Auftrag
verknüpft sind:
• Die neue Sempacher Feier soll auf die Restschweiz ausstrahlen
und Luzern als traditionsreichen, lebendigen und auf die Zukunft
ausgerichteten Kanton darstellen.
• Die Schlachtjahrzeit soll für den ganzen Kanton Luzern
attraktiv sein.
• Das Bewusstsein für die historische Schlacht von 1386 als
Beginn des Territorialstaats Luzern und damit für die gemeinsame
Herkunft wird mit der neuen Feier gefördert.
• Die Feier bildet ein offenes Diskussionsforum für die
Zukunft des Kantons.
• Das neue Konzept minimiert das Risiko, durch extreme politische
Gruppen instrumentalisiert zu werden. Sicherheitsaspekte werden von
Beginn weg in das Konzept integriert.
Schlachtfeld und Städtli
Diese Bedingungen machen deutlich: Die künftige Sempacher
Schlachtfeier wird eine neue, grössere Ausrichtung bekommen. Harry
Sivec sagt: "Es sollen Anlässe für kleine und grosse bis sehr
grosse Zielgruppen stattfinden." Die Kommission will in Zukunft alle
Bevölkerungskreise des Kantons Luzern ansprechen.
Betreffend der konkreten inhaltlichen Linien gibt man sich noch
bedeckt. Informationschef Sivec lässt durchblicken, dass die
Palette breit sein soll: Sowohl locker-unterhaltende Elemente im
musikalisch-kulturellen Bereich als auch inhaltlich substanzielle
Beiträge, etwa Diskussionsrunden, seien möglich. Sowohl das
Schlachtfeld an der Strasse nach Hildisrieden als auch das
Gemeindegebiet der Stadt Sempach sollen zur Festzone werden. Bestehende
Elemente wie das Städtlifest oder der Hellebardenlauf sollen nicht
verschwinden.
Konkurrenz?
Ob die neue Schlachtjahrzeit weiterhin am letzten Samstag im Juni
stattfinden wird, "ist noch nicht entschieden", so Harry Sivec. Klar
ist: Als Grossevent konzipiert würde die Feier in direkte
Konkurrenz zum jeweils an diesem Datum stattfindenden Luzerner Fest
treten. Sivec: "Diesen Fakt werden wir natürlich
berücksichtigen."
Der Kanton Luzern sieht für die Neukonzipierung der
Schlachtfeier ein Budget von 80 000 Franken vor. Die Kommission
arbeitet ehrenamtlich, die externen Auftragsarbeiten werden
vergütet. Das Budget für den künftigen Festanlass ist
noch nicht definiert.
jerome.martinu@neue-lz.ch
----------------------
ANTI-ATOM
----------------------
St. Galler Tagblatt 17.6.10
Stadt will bis 2050 aussteigen
St. Gallen will in den nächsten vierzig Jahren Atomstrom
durch anderweitig produzierte Energie ersetzen. Das Parlament hat den
Gegenvorschlag zu einer SP-Initiative gutgeheissen.
2008 hatte die SP-Stadtpartei die Initiative "Stadt ohne
Atomstrom" eingereicht. 2009 hatte das Stadtparlament diese
mehrheitlich abgelehnt und den Stadtrat - gegen seinen Willen -
beauftragt, einen Gegenvorschlag dazu vorzulegen.
Zieht SP Initiative jetzt zurück?
"Die Stadt verfolgt das Ziel, unter Wahrung der
Versorgungssicherheit den Bezug von Atomenergie schrittweise zu
reduzieren und spätestens im Jahr 2050 keine Atomenergie mehr zu
beziehen." Diesem Satz und damit dem Gegenvorschlag zur SP-Initiative -
diese wollte das Ziel schneller erreichen - stimmte das Parlament am
Dienstagabend ohne Gegenstimmen bei einzelnen Enthaltungen zu. Zuvor
war ein SVP-Antrag, der das Ziel nur hatte "anstreben" wollen, klar
abgelehnt worden. Dem Volk vorgelegt werden sollen Initiative und
Gegenvorschlag diesen Herbst. Ob die SP ihre Initiative zuvor noch
zurückzieht, ist offen. Darüber werde das Initiativkomitee
diskutieren, hiess es gestern Mittwoch.
Realistisch, aber nicht ambitiös
Am Dienstagabend zeigten sich alle Fraktionen vom
stadträtlichen Gegenvorschlag als "realistische", wenn auch nicht
"ambitiöse" Alternative zur Initiative mehrheitlich angetan.
Rechts und in der Mitte wurde betont, der Atomausstieg dürfe die
Versorgungssicherheit nicht gefährden. Es sei daher richtig,
diesen langfristig und schrittweise anzustreben. Links hiess es, mit
dem Atomausstieg eröffne sich die Chance eines Innovationsschubs,
den es zu packen gelte.
Innovative Partner suchen
Für die SP/Juso/PFG-Fraktion sei das ein historischer Tag,
freute sich Martin Boesch (SP). Mit dem Ja zum Gegenvorschlag sei ein
Etappenziel für den schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie
erreicht. Thomas Brunner (Grünliberale) forderte für die
Fraktion von Grünen, Grünliberalen und Jungen Grünen
auch, dass sich die Stadt fortschrittliche Kooperationspartner zur
Entwicklung alternativer Energiequellen suchen müsse. Dafür
sei der heutige Stromlieferant, die SN Energie, zu wenig innovativ.
Eine kleine Kontroverse gab's in der Diskussion um die Frage, wie
sicher Atomenergie ist. FDP-Fraktionssprecher Roger Dornier hatte
kritisiert, Atomstrom habe zu Unrecht ein schlechtes Image. Es handle
sich um eine reife, sich weiter entwickelnde und auch sichere
Technologie. Schweizer AKW seien weit weg etwa von den Zuständen,
die zum Reaktorunglück in Tschernobyl geführt hätten.
Thomas Schwager (Grüne) und Etrit Hasler (SP) widersprachen. Wo
Menschen handelten, gebe es Fehler. Nullrisiko hingegen gebe es nicht.
Das zeige die Erdölkatastrophe im Golf von Mexiko. Fehler in der
Nukleartechnologie seien noch verheerender als das Ereignis. Auch darum
sei ein Ausstieg sinnvoll. (vre)