MEDIENSPIEGEL 25.6.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Programm
- Reitschule bietet mehr: 76,81% Nein im Stadtrat
- Bollwerk: Leerstand ist kein Zustand!
- Antifa I: Gegen rechte Bar in Burgdorf
- Antifa II: Aktueller Stand Sempach
- Randstand Thun: Kein Bettelverbot
- RaBe-Info 24.+25.6.10
- Ausschaffung: augenauf gegen Sonderflüge; ÄrztInnen-Boykott
- Fussball: mehr Frauen-Kurve bitte!
- Narrenkraut: Ansichten zum Staats-Hasch
- Fedpol: Jahresbericht 2009
- Neonazis Liechtenstein: Die Rechten von nebenan
- G8/G20 Toronto: aktiver Widerstand
- Anti-Atom: NWA informiert; Finanzierungsprobleme; Alpiq; Endlager Asse

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REITSCHULE
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Fr 25.06.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
21.00 Uhr - Frauenraum - Tanzbar mit DJ Piccolina. Standard und lateinamerikanische Tänze und Disco
23.00 Uhr - Dachstock - Little Brother: Phonté, Big Pooh & 9th Wonder (USA), Hovatron (CAN), Cratekemistry Soundsystem (Kermit, L-Cut, Mr. Thrillin). Style: Hip Hop

Sa 26.06.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof

So 27.06.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
11.00 Uhr - Frauenraum - Frauenchor der Reitschule singt, anschliessend Frühstückbuffet.

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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REITSCHULE BIETET MEHR
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Bund 25.6.10

Anti-Reitschul-Initiative der SVP wuchtig abgelehnt

 Die Berner Reitschule wird nicht verkauft: Die Initiative der SVP hatte gestern Abend im Stadtrat keine Chance.

 Markus Dütschler

 Als Einstimmung auf die Debatte bauten Reitschul-Aktivistinnen und -Aktivisten gestern vor dem Rathaus eine Ausstellung auf, die die vielfältigen gesellschaftlichen und kulturellen Nutzungen der Reitschule vor Augen führte. Kunstschaffende boten einen "Werbespot" für die oft umstrittene Einrichtung dar: die live jodelnde Christine Lauterburg oder der ab Band sprechende Schriftsteller Pedro Lenz. Er führte den von der SVP geforderten Verkauf des Kulturzentrums an den Meistbietenden ("Bund" vom Mittwoch) ad absurdum, indem er das Risiko ausmalte, auf der Schützenmatte könnte gar eine Koranschule entstehen.

 Reithalle als "rechtloser Raum"

 Für die GB/Ja-Fraktion sagte Lea Bill, die Initiative sei ein Zeichen für mangelnde Lernfähigkeit und Ignoranz rechter Kreise, die schon dreimal erfolglos versucht hätten, die Reitschule zu schliessen: Das Volk habe nie mitgemacht. Eine Reduktion der Einrichtung auf Deal und Krawall sei unfair und einseitig.

 Der Initiant Erich Hess (SVP) zeichnete das Bild eines rechtsfreien Raums, der Krawallbrüdern, Dealern und Linksextremen Unterschlupf biete. Offenbar gebe es in Regierung und Verwaltung "kommunistenfreundliche" Personen, sagte Hess zum Gaudi des Rates. Aus der Reitschule müsse etwas Gutes für die gesamte Bevölkerung entstehen.

 Versprechen: "Null - nichts - nada"

 Kathrin Bertschy (GLP) sagte, die SVP giesse "Öl ins Feuer". Ruedi Keller (SP) lobte die Freiwilligenarbeit, die in der Reitschule geleistet werde, Bern bekomme für wenig Geld viel Kultur. Für die FDP sagte Bernhard Eicher, kulturell sei die Halle interessant, aber politisch ein Flop. Alle Besserungsversprechen gälten "null - nichts - nada", sagte er mehrmals und gab so den Slogan für den Rest der Debatte vor. Rolf Zbinden (PDA) warf den Bürgerlichen vor, das Gewaltthema sei ein Vorwand: Es gehe ihnen darum, eine funktionierende Alternative abzuwürgen. Jimy Hofer (parteilos) nahm die 5000 Unterzeichner der Initiative in Schutz: Es seien "keine Löli", sondern Leute mit einem echten Unbehagen. Hans Peter Aeberhard (FDP) zeigte sich gespalten: Er sei es leid, neben der Kultur die radikalpolitischen Nebenwirkungen zu ertragen.

 Der Rat verwarf die Initiative weitgehend entlang dem Links-rechts-Graben mit 53 Nein zu 15 Ja. Die Volksabstimmung findet im September statt.

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BZ 25.6.10

Berner Stadtrat

 Bekenntnis zur Reitschule

 Die Reitschule soll ein Kulturzentrum bleiben: Der Berner Stadtrat lehnte gestern die SVP-Initiative deutlich ab, welche die Reitschule an den Meistbietenden verkaufen will. Die grosse Mehrheit wand der Reitschule ein Kränzchen.

 Den ganzen Nachmittag bis weit in den Abend hinein machten die Reitschule-Betreiber gestern vor dem Rathaus mit Darbietungen Werbung in eigener Sache. Auch im Innern des Rathauses wurde Werbung für das Kulturzentrum gemacht: Von ganz links bis Mitte-rechts strichen Stadträtinnen und Stadträte die Vorzüge der Reitschule hervor. Von einem Kulturort mit "nationaler Bedeutung" sprach etwa Martin Schneider (BDP/CVP) und ergänzte: "Die Reitschule macht viel weniger Probleme als andere Kulturinstitutionen wie etwa das Stadttheater."

 "SVP giesst Öl ins Feuer"

 Auch die GLP stehe "voll und ganz" hinter dem Kulturbetrieb, sagte Kathrin Bertschy: "Die Reitschule bringt Leben in eine etwas träge Verwaltungsstadt." Sie lobte das "immense Engagement" der Beteiligten und wies darauf hin, dass die Initiative den Planungsprozess für eine Aufwertung der Schützenmatte torpedieren würde: "Die SVP giesst Öl ins Feuer." Für Ruedi Keller (SP) ist der von der SVP angepeilte Verkauf ohne Nutzungsstrategie ebenfalls "verantwortungslos - sowohl finanzpolitisch wie städtebaulich."

 Die SVP kassierte aber nicht nur inhaltlich Hiebe: Von zahlreichen Rednern wurde kritisiert, dass die Partei erneut eine Anti-Reitschule-Initiative lanciert habe, nachdem bereits 1990, 2000 und 2005 ähnliche Volksbegehren deutlich abgelehnt wurden: "Die Initiative ist Zeichen für die mangelnde Lernfähigkeit, Ignoranz und Respektlosigkeit der SVP." Die Partei ignoriere den Volkswillen. Conradin Conzetti (GFL/EVP) bemühte das Sprüchlein "Hoppe, hoppe Reiter" und ergänzte: "Die SVP reitet ihr Steckenpferdchen." Doch: "Wenn kleine Kinder in den Sumpf plumpsen, dann lernen sie etwas daraus." Auch das sei eine Reitschule.

 FDP teilweise für Initiative

 Initiant Erich Hess (SVP) hielt der Übermacht einigermassen tapfer entgegen - seine Argumente sind wohl bekannt: Man wolle keine rechtsfreien Räume und Rückzugsorte für Demonstranten und Dealer. Zudem werde in der Reitschule "linksextremes Gedankengut" verbreitet. Im Eifer verstieg er sich gar auf die Gleichung: "Wenn man die Reitschule weiter toleriert, toleriert man Gewalt."

 Partielle Unterstützung erhielt er von Teilen der FDP. Man habe ein "gespaltenes Verhältnis zur Reitschule", gestand Bernhard Eicher. Das gründe auch darin, dass das Kulturzentrum aus einer illegalen Besetzung entstanden sei. Die FDP attestierte aber, dass es heute in der Reithalle ein bemerkenswertes Kulturangebot gebe. Doch: "Die kulturelle Entwicklung ist top, die gesellschaftliche aber ein Flop." Seit 25 Jahren habe die Reitschule für Gewaltprobleme keine Lösung: "Es wird nur geredet und geredet."

 Rolf Zbinden (PdA) verwehrte sich dagegen, dass alle gesellschaftlichen Probleme zwischen Heiliggeistkirche und Lorrainebrücke der Reithalle untergejubelt werden. Er ortete bei der SVP ganz andere Motive: "Was die stört, ist eine funktionierende Alternative zur verblödeten Unterhaltungsindustrie."

 Ausleiernde Debatte

 Für die Reithalle stark machte sich schliesslich auch Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP): "Die Initiative hat etwas Gutes: So können die Bernerinnen und Berner einmal mehr sagen, was sie von der Reitschule halten."

 Nach ausführlicher, gegen Ende hin ausleiernder Debatte lehnte der Stadtrat die Initiative mit 53 zu 13 Stimmen bei einer Enthaltung klar ab. Entscheiden werden die Bernerinnen und Berner am 26. September an der Urne.

Adrian Zurbriggen

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Blick am Abend 24.6.10

Heisse Reitschul-Debatte am Abend

Umstritten

 Der Stadtrat hat heute Abend die delikate Aufgabe, zur Reitschul-Initiative Stellung zu nehmen. Das Volksbegehren aus rechtsbürgerlichen Kreisen, das alternative Kulturzentrum zu verkaufen und umzunutzen, bewegt die Gemüter seit Wochen. Der Gemeinderat empfiehlt ein Nein, bekannte Kunstschaft ende wie Gilles Tschudi, Esther Gemsch oder Züri West setzen sich auch gegen die Initiative ein. Die Abstimmung ist auf den 26. September dieses Jahres angesetzt. jcg

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BOLLWERK
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BZ 25.6.10

Bollwerk

 Es fehlen noch immer die Mieter

 Im Bollwerk stehen Geschäfte leer. Der Standort sei schlecht, sagt ein Verwalter. Die Preise seien zu hoch, sagt ein Ex-Mieter.

 Wo letztes Jahr Geschäfte florierten, herrscht Leere: Mehrere Lokale im Bollwerk sind nach wie vor nicht vermietet. Offenbar ist der Standort nicht attraktiv: "Das Bollwerk lädt nicht zum Flanieren ein", sagt Herbert Mössinger, der die Räume des Kinos Cinemastar und der Cinebar verwaltet. Die Bahnhofnähe reiche nicht als Kriterium für eine gute Lage. Beim Bollwerk laufe man stets Gefahr, in Demonstrationen oder Schlägereien zu gelangen. "Solange die Stadt das Gebiet nicht aufwertet, wird es nicht einfacher, die Lokale zu vermieten."

 "Noch nicht spruchreif"

 Die leeren Lokale beim Bollwerk 17 und 19, wo zuvor unter anderen der Fizzen eingemietet war, werden von der Von Graffenried Liegenschaften AG verwaltet. Der zuständige Verwalter wollte sich zur Situation nicht äussern. Auf der Homepage der Immobilienverwaltung sind die Räume noch immer ausgeschrieben.

 Auch das ehemalige Kino sowie die Cinebar sind ungenutzt. Ein Team aus ehemaligen Mitarbeitern und Kulturveranstaltern will die Räume als Konzertklub weiterführen (wir berichteten). Ein Konzept ist vorhanden, doch es fehlen noch Gönner. Herbert Mössinger ist mit einer kulturellen Nutzung einverstanden. Aber: "Bis Mitte Juni hätten sie ein Konzept einreichen sollen, das ist bis jetzt nicht geschehen." So lange sucht Mössinger weiter nach Interessenten: "Wir sind im Gespräch mit unterschiedlichen Nutzern." Namen will er noch keine nennen. Die Miete für Bar und Kino beträgt laut Mössinger 80 000 Franken jährlich. Die Besitzer, eine Erbengemeinschaft, seien dem Kino positiv gegenübergestanden und hätten die Miete immer weiter gesenkt, um einen Rauswurf zu verhindern: "Doch tiefer konnten sie nicht gehen als bis zum aktuellen Preis."

 Zu hohe Miete?

 Der Fizzen ist eines von vier Geschäften, die das Bollwerk 2009 verlassen mussten, weil die Besitzer die Räume neu nutzen wollten. "In elf Jahren konnten wir uns dort etablieren und den Umsatz steigern. Wir wollten nicht raus", sagt Geschäftsführer Adrian Masshardt. Auch die anderen Geschäfte haben den Standort nicht freiwillig verlassen. Masshardt hat eine Vermutung, warum es der Verwaltung nicht gelingt, die Räume neu zu vermieten: "Der Mietzins ist mit 30 000 Franken pro Monat einfach zu hoch."

Annina Hasler

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ANTIFA I
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BZ 25.6.10

Burgdorf

 Bar jeder Sympathie

 Gegen einen vermeintlichen Rechtsradikalentreffpunkt in der Burgdorfer Oberstadt formiert sich Widerstand von links.

 Auf diese Gäste hätte Sophie Güntensperger, die Betreiberin der Royal Aces Tattoo-Bar in Burgdorf, wohl verzichten können: "Wir schenkten der braunen Bar etwas Farbe, und dank den Löchern in den Scheiben konnte sich die Bar temporär von der dicken Luft der tödlichen Weltanschauung befreien", schreiben "einige Antifaschischtinnen und Antifaschisten" in einem Mail. Sie bekennen sich damit zu Sachbeschädigungen, von der die Kantonspolizei seit Dienstag Kenntnis hat, wie Rose-Marie Comte von der Medienstelle sagt. Ermittlungen seien im Gange. Seit dem "Besuch" der Linken ist ein demoliertes Fenster des Hauses an der Rütschelengasse 29 mit einer Kunststofftafel verdeckt. "Trotz Anschlag" sei die Bar offen, heisst es auf dem Brett.

 Auch auf Facebook machen Gegner des vermeintlichen Neonazitreffpunkts mobil. "Wir wollen keine Faschisten in Burgdorf (und auch sonst nirgends)", postulieren die Gründer der Gruppe "Boykottiert diese Bar!" mit Blick auf die Tatsache, dass Güntensperger mit einem Rechtsradikalen liiert ist. Und freundschaftlichen Umgang mit Ultras pflegt, die dem Staatsschutz bekannt sind. Nach der Eröffnung ihrer Beiz räumte die Chefin ein, auch Leute aus der rechten Szene zu bewirten. Doch das Lokal sei "für alle da".
 jho

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ANTIFA II
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Indymedia 20.6.10
http://ch.indymedia.org/de/2010/06/76445.shtml (mit ausführlichen Links)

Schlachtjahrzeit in Sempach ::

Aktuelle Entwicklung und Geschichte der Schlachtfeier bei Sempach

Alle Jahre wieder findet im beschaulichen Sempach in der Innerschweiz eine von Traditionen nur so triefende "Schlachtjahrzeit" statt. Und alle Jahre wieder tauchen im Schlepptau der bürgerlichen, traditionsreichen Feier auch die Neonazis, Altrechten und Politfaschos auf und vereinnahmen die Feier mit ihrer Präsenz und eigenen Ritualen wie der separaten Kranzniederlegung zunehmend für sich. Die Organisatoren stören sich an deren Teilnahme kaum, sondern freuten sich absolut unreflektiert über die hohe Teilnehmerzahl. Erst als 2009 eine Gegendemo angekündigt und auch durchgeführt wurde, schien man plötzlich ein Problem mit der Schlachtjahrzeit zu haben - notabene wegen der Linken. So kam es, dass der Kanton für 2010 einen Marschstopp verordnete und die Feier auf einen montäglichen Abendgedenkgottesdienst reduzierte. Die Stadt Sempach hingegen bleibt nach hitzigen Diskussionen bei ihrer traditionellen Feier am Samstag Morgen, einziger Unterschied ist, dass der Marsch zum Denkmal "offiziell" nicht stattfindet. Was also an diesem Wochenende alles geschehen wird, steht in den Sternen. Sicher ist nur, dass auch dieses Jahr mit einem Grossaufmarsch von Nazis gerechnet werden muss.


Schlachtfeier in Sempach - Zusammenfassung des aktuellen Stands

Nach dem sich die alljährliche Schlachtfeier in Sempach zum Gedenken an die Schlacht von 1386 seit 2003 zusehends zu dem beliebtesten Aufmarsch der rechtsextremen Szene der Schweiz entwickelte, entschloss sich im Januar 2010 der Luzerner Regierungsrat, dieses Jahr eine "kreative Denkpause" einzulegen. Faktisch bedeutet dies, lediglich einen Gedenkgottesdienst ohne Marsch zum Denkmal und ohne Feier auf dem Schlachtfeld durchzuführen. Jedoch sind für den Regierungsrat weniger die unheimlichen Patrioten ein Problem, denn die befürchteten Ausschreitungen zwischen "Rechten" und "Linken" sowie der gestiegene personelle und vor allem finanzielle Sicherheitsaufwand zur Durchführung des Anlasses.(1) Bevor im 2009 erstmals eine offizielle Gegendemonstration stattfand - massgeblich organisiert durch die JUSO und Gewerkschaften - störte es weder die Gemeinde Sempach noch den Luzerner Regierungsrat, dass die Schlachtfeier zur Profilierung und Verherrlichung rechtsextremer und nationalistischer Gesinnung missbraucht wurde (vgl. weiter unten). Wie nicht anders zu erwarten, regte sich gegen die vorübergehende Abschaffung der Feier jedoch bald Widerstand aus den Reihen der bürgerlichen Helfer und Wegbereiter der Neonazis, der SVP. So wurde eine Petition ins Leben gerufen, um die Schlachtfeier im gewohnten Rahmen durchzuführen und am 12.3.2010 an den Luzerner Regierungsrat übergeben. Interessant an dieser Sache ist, dass sich die politischen Träger dieser Petition in keinster Weise von Rechtsextremen und deren Gedankengut distanzieren. Im Gegenteil, sie werden nicht müde, den sogenannten "Kniefall" der Regierung vor den "vermummten Linksextremen" zu geisseln und fordern, dass "auch dieses Jahr und alle folgenden wieder eine würdige Gedenkfeier zu Ehren unseres Volkshelden Winkelried und seinen Mitstreitern" organisert werden solle.(2) Wie eine würdevolle Gedenkfeier in den Augen der SVP also aussieht, können wir uns nur allzu gut vorstellen - man muss sich lediglich die Bilder der Schlachtfeier 2008 ins Gedächtnis rufen, an welcher nicht weniger als 241 Rechtsextreme als solche erkannt und fotografiert werden konnten. Trotz den nur allzu offensichtlichen Symbolen wie SS-Totenköpfen, Runen wie Wolfsangel und Triskele, Codes wie "88" (steht für "Heil Hitler"), Gruppennamen wie "Blood&Honour" (ein in Deutschland verbotenes Netzwerk von Rechtsextremen), "Kameradschaft Innerschweiz" und "Nationale Offensive", und gar Schriftzügen wie "Meine Ehre heisst Treue" (Wahlspruch von Hitlers SS), nimmt die SVP in ihrer Petition weiterhin die "jungen Patrioten" in Schutz und unterstellt der Linken, diese lediglich als rechtsextrem zu verunglimpfen.(3) Ob soviel Ignoranz und Nähe zum nationalsozialistischen Gedankengut von Seiten einer (leider) etablierten Partei, kann ein vernünftig denkender Mensch nur noch den Kopf schütteln. Obwohl der Kanton Luzern dieses Jahr keinen Marsch zum Denkmal bewilligen will, ist bislang nicht absehbar, was sich rund um das Wochenende des 26./27. Juni 2010 in Sempach genau abspielen wird. So mobilisieren sowohl stramme SVP'ler für die Sempacher Feier als auch nationalistische und rechtsextreme Gruppierungen wie die PNOS und der Waldstätterbund. Die Letzteren allerdings ohne gegenüber der Öffentlichkeit ein genaues Datum zu nennen. Sicher ist nur, dass auch dieses Jahr mit einem Grossaufmarsch von Neonazis gerechnet werden muss.
Kurzer Rückblick über die Vereinnahmung der Schlachtfeier durch die Nazis

Bereits 2003 und 2004 liefen an der Schlachtfeier rund 50 Rechtsextreme, unter anderem Mitglieder der PNOS und der Nationalen Offensive mit - bis dahin von der Öffentlichkeit und den Medien weitgehend unbeachtet.(4)(5) Im Jahr 2005 liessen die Behörden nach dem Aufmarsch von gut 60 Rechtsextremen gegenüber den Medien verlauten, ein solcher Aufmarsch werde im nächsten Jahr nicht mehr erwünscht sein;(6)(7) trotzdem konnten auch 2006 an die 60 Neonazis ungehindert im Umzug mitlaufen. Zunehmend begannen die Neonazis, den Anlass für ihre Zwecke zu vereinnahmen, sei es durch Verteilen von Flugblättern oder durch eigene Kranzniederlegungen und das Singen der alten Schweizer Hymne "Heil dir Helvetia" im Anschluss an den offiziellen Festakt. Anton Schwingruber, Regierungsrat in Luzern, meinte gegenüber Tele Tell zu dieser Tendenz: "Solange sie sich anständig und ruhig verhalten habe ich nichts dagegen. Wir haben eine Versammlungsfreiheit. Es darf sich jeder hier präsentieren, und ich habe jetzt gar nicht den Eindruck, dass sie gestört haben."(8) Anstatt Massnahmen zu ergreifen und die Rechtsextremen klar von der Schlachtfeier zu verbannen, wurden die "vielen Jugendlichen" im Jahr 2007 gar freundlich begrüsst. Viele waren es in der Tat, nahmen doch in diesem Jahr bereits 160 Faschos an der Feier teil.(9) Zudem lobte Yvonne Schärli, SP-Regierungsrätin, in einem anschliessenden Interview die Meinungsvielfalt der Schweiz, welche sich in der Anwesenheit der - im Schärli-Jargon - jungen Leuten mit etwas anderen Einstellungen äussere. (10) 2008 gehen die Organisatoren der Schlachtfeier gar noch weiter und heissen "alle die sich an die Regeln halten" willkommen.(11) Dieser Aufruf wird von den organisierten Neonazis gehört und nur allzu gerne befolgt. So nehmen schliesslich knapp 250 Rechtsextreme an der Schlachtfeier teil. Sie machen mittlerweile mehr als einen Viertel der Teilnehmerzahl aus und die Schlachtfeier ist aus der jährlichen Agenda der Neonazis kaum mehr wegzudenken.


Quellenangaben:

* 1) http://www.lu.ch/mm_detail.html?id=7664&parameter=1283
* 2) http://www.svplu.ch/index.php?page=/News/Uebergabe-Petition-Sempacher-Schlachtfeier-_69
* 3) http://www.svplu.ch/index.php?page=/News/Petition-fuer-den-Erhalt-der-Sempacher-Schlachtfeier-_64
* 4) http://www.hans-stutz.ch/Archiv/2003/juni2003.html
* 5) http://www.hans-stutz.ch/Archiv/2004/juni2004.html
* 6) Neue Luzerner Zeitung, 9.8.2005
* 7) http://ch.indymedia.org/demix//2006/06/41563.shtml
* 8) http://ch.indymedia.org/demix//2008/06/61064.shtml
* 9) http://ch.indymedia.org/demix//2007/06/50682.shtml
* 10) http://ch.indymedia.org/demix//2007/07/50807.shtml
* 11) http://ch.indymedia.org/demix//2008/07/61968.shtml

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RANDSTAND THUN
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Thuner Tagblatt 25.6.10

Kein Verbot für Bettler

 In Thun gibt es in nächster Zeit kein Bettelverbot: Einen entsprechenden Vorstoss der SVP lehnte der Stadtrat ab.

 Bereits 2008 hatte der Thuner Stadtrat einen Vorstoss, der ein Bettelverbot gefordert hatte, abgelehnt. Nun doppelte die SVP nach und verlangte vom Gemeinderat, die gesetzlichen Grundlagen für ein Verbot auszuarbeiten. Im Visier hatte die SVP vor allem die organisierte Bettelei, die einem Menschenhandel gleiche.

 Doch auch diesmal lehnte der Stadtrat ein Bettelverbot ab, und zwar mit 21 zu 15 Stimmen. Die SP meinte, es brauche ein koordiniertes Vorgehen gegen die Hintermänner der organisierten Bettelei. Zudem sei die von der Stadt lancierte Aktion Adios sehr wirksam. Auch die EDU fand, dass es schon heute genügend Mittel gebe, um gegen Bettler vorzugehen. Die FDP war hingegen mit der SVP einig, dass es griffige Gesetze brauche. "Die Aktion Adios reicht nicht aus", sagte Christine Buchs (FDP). Sandra Ryser (SVP) warf Sicherheitsvorsteher Peter Siegenthaler (SP) vor, er spiele das Problem herunter. Er hatte zuvor gesagt, man dürfe das Problem nicht dramatisieren. Grundsätzlich sei auch der Gemeinderat für ein Bettelverbot.
 rdh

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RADIO RABE
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Fr 25. Juni 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_25._Juni_2010_.mp3
- Klares Nein des Berner Stadtrates zur Reitschul-Initiative
- Deutliches Zeichen gegen Rassismus uind Ausgrenzung
- Überfischung der afrikanischen Küstengewässer durch EU-Handelsabkommen

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Do. 24. Juni 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_24._Juni_2010.mp3
- Bundesgerichtshof in Deutschland: staatliche Überwachung von linken Aktivisten war illegal
http://www.info.libertad.de/story/2010/06/bundesgerichtshof-bka-%C3%BCberwachung-von-libertad-aktivisten-war-illegal
- Aufsichtsbeschwerde nach Kundgebung: Augenauf fordert Untersuchung von Polizeieinsatz
http://www.augenauf.ch/
- Freie Projektschule: Lernende und Lehrende organisieren sich selber
http://www.freieprojektschule.ch
http://www.wasichwerdenwill.ch

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AUSSCHAFFUNGEN
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NZZ 25.6.10

Gegen die Wiederaufnahme von Sonderflügen

 Menschenrechtsgruppe kritisiert Prozedere bei Ausschaffung von renitenten Häftlingen

 tri. ⋅ Im letzten Jahr wurden insgesamt 5886 Ausländer aus der ganzen Schweiz über den Flughafen Zürich ausgeschafft, 292 oder knapp 5 Prozent von ihnen stark gefesselt und per Charterflug. Solche Sonderflüge in die jeweiligen Heimatländer werden gemäss Angaben des Zürcher Regierungsrates nur bei besonders renitenten Personen angewandt. Die Menschenrechtsorganisation Augenauf hat am Donnerstag vor den Medien in Zürich diese Form der Ausschaffung aufs Schärfste verurteilt und einen sofortigen Stopp von Sonderflügen verlangt.

 Wie Walter Angst von Augenauf sagte, werden bei den sogenannten Level-4-Ausschaffungen "systematisch die Würde und die persönliche Integrität der Häftlinge verletzt". Zur Illustration des "menschenunwürdigen" Prozederes wurde den Medienschaffenden gezeigt, wie die Häftlinge angeblich gefesselt werden: Je nachdem, wie sie sich verhalten, werden ihnen Fuss-, Knie-, Arm- und Handfesseln sowie ein Helm angezogen. Sollten die Gefesselten das Sicherheitspersonal bespucken, wird ihnen zusätzlich ein Moskitonetz übergestreift. Wer sich weigert, auf eigenen Füssen das Flugzeug zu besteigen, wird mit einem Rollstuhl zum Flugzeug transportiert. Diese Praxis ziele darauf, die Auszuschaffenden einzuschüchtern und zu erniedrigen, und sei zudem gesundheitsgefährdend, kritisiert Angst.

 Nachdem im März ein 29-jähriger nigerianischer Häftling kurz vor einer derartigen Ausschaffung verstorben war, hatte das Bundesamt für Migration (BfM) die Sonderflüge gestoppt. Amtsdirektor Alard du Bois-Reymond wollte vor einer Wiederaufnahme der Flüge das gerichtsmedizinische Gutachten über die Todesursache abwarten. Weil der Schlussbericht aber nach wie vor aussteht und die Kantone wegen blockierter Rückschaffungen Sonderflüge verlangt hatten, wurde Ende Mai beschlossen, diese zum Teil wieder aufzunehmen. Als Sofortmassnahme will das BfM die medizinische Versorgung auf den Flügen verbessern. So sollen künftig bei jedem Sonderflug ein Arzt und ein Rettungssanitäter zugegen sein. Laut den Vertretern von Augenauf können aber auch mit dieser Massnahme Todesfälle nicht ausgeschlossen werden. Die Organisation ruft deshalb Ärzte, Polizisten und andere Personen, die an der Durchführung von Level-4-Ausschaffungen beteiligt sind, dazu auf, den Dienst zu verweigern. Auch die Vereinigung unabhängiger Ärztinnen und Ärzte (VUA) appelliert an ihre Berufskollegen, sich nicht für solche Einsätze einspannen zu lassen. Ihrer Meinung nach verbietet das Berufsethos der Ärzte eine Teilnahme an "Handlungen, bei denen die Gesundheit von Menschen gefährdet wird", sagte Thomas Schnyder von der VUA.

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Landbote 25.6.10

"Eine grausame, unwürdige Prozedur"

 flu

 Ab Juli soll es wieder Sonderflüge mit Zwangsaus- schaffungen geben. Nun rufen Aktivisten das Personal zur Dienstverweigerung auf.

 zürich - Am 17. März starb auf dem Flughafen Kloten ein Mann aus Nigeria bei den Vorbereitungen für eine Zwangsausschaffung. Er hatte sich heftig gegen die Rückführung gewehrt. Die Todesursache ist noch nicht bekannt. Ein Bericht des Rechtsmedizinischen Instituts liegt jetzt bei der Staatsanwaltschaft. Sie will die Öffentlichkeit nächste Woche informieren.

 Nach dem Tod des 29-jährigen Mannes, der wegen Drogenhandels verurteilt war, stoppte der Bund die Sonderflüge vorübergehend. Er will sie nächstens wieder aufnehmen. "Im Juli wird es wieder einen Sonderflug nach Afrika geben", sagt Urs von Arb vom Bundesamt für Migration. Gegen diese Pläne wehrt sich jetzt aber die Menschenrechtsorganisation Augenauf Zürich. Sie fordert den Verzicht von Zwangsausschaffungen mit Sonderflügen. Grund: "Für die Betroffenen sind sie traumatisierend und für die Polizisten teilweise gefährlich", sagte Rolf Zopfi gestern vor den Medien.

 Die Aktivisten kritisieren vor allem die Fesselung vor dem Sonderflug als "grausame, unwürdige Prozedur". Nach ihrer Darstellung werden den Häftlingen vor dem Flug Hände, Oberschenkel und Füsse zusammengebunden. Zudem verbindet ein Band die Manschetten an Hand- und Fussgelenken. "Die Leute können damit nicht mehr aufrecht gehen", so Zopfi.

 Wie ein "Kindergstältli"

 Weitere Manschetten können an den Oberarmen fixiert werden. Damit und dank einem Zugband, das hinter dem Rücken verläuft, könnten die Häftlinge wie an einem "Kindergstältli" geführt werden, sagt Zopfi. Sie können aber auch an einen Rollstuhl gefesselt werden, wenn sie das Betreten des Charterflugzeugs verweigern. Solche Rollstühle finden sich an jedem Flughafengate für gehbehinderte Passagiere. Falls ein Häftling einen Polizisten gezielt bespuckt, wird ihm ein Moskitonetz über den Helm gezogen.

 Die Leute von Augenauf haben eine Fesselung gestern im Volkshaus nachgespielt. In Wirklichkeit fesseln speziell geschulte Zürcher Kantonspolizisten die Ausschaffungshäftlinge in einer hergerichteten Halle auf dem Flughafengelände. Die Kapo ist bei Sonderflügen ab Zürich für die "Bodenorganisation" zuständig. Sie kommentierte die Bilder gestern nicht.

 Gemäss Augenauf müssen die Häftlinge nicht unbedingt gewalttätig sein, um gefesselt zu werden. Dem widerspricht allerdings der Regierungsrat. Derartiger Zwang werde nur bei "grosser Renitenz" angewendet, antwortete er kürzlich auf eine kantonsrätliche Anfrage. Immerhin: Seit 2006 wickelte die Kapo 111 Sonderflüge mit 1282 Ausschaffungshäftlingen ab.

 Die kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren wollen neu jeden Sonderflug von Ärzten begleiten lassen. Augenauf genügt das nicht. Die Menschenrechtler fordern Ärzte, Flugpersonal, Polizisten und Gefängnisangestellte auf, den Dienst bei Sonderflügen zu verweigern. Sie lehnen auch die Idee von Beobachtern auf den Flügen ab. Stattdessen sagt Walter Angst: "Die Schweiz sollte endlich einsehen, dass sie nicht jeden Menschen ohne legalen Status ausschaffen muss."

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 So werden Häftlinge ausgeschafft

 Für Zwangsausschaffungen gibt es laut Regierungsrat drei "Levels": Stufe 1 ist, wenn die Person bis zum Flugzeug begleitet wird und alleine zurückreist. Wenn sie sich widersetzt, wird sie gefesselt und von zwei Polizisten auf einem Linienflug begleitet. Wehrt sie sich noch heftiger, kommt die letzte Stufe zum Zug: Die Person fliegt mit einer "verstärkten Fesselung" auf einem Sonderflug zurück. 2009 war dies bei 292 von 5886 Häftlingen der Fall. (flu)

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Langenthaler Tagblatt 25.6.10

"Augenauf" wehrt sich gegen Zwangsausschaffungen

 Zürich Menschenrechtsorganisation fordert Polizei und Ärzte zu Boykott auf

 Philippe Klein

 Abgewiesene Asylsuchende, die sich weigern die Schweiz zu verlassen, müssen oftmals mit einem Charterflug ab Zürich zwangsausgeschafft werden. Wenn sie sich besonders renitent verhalten, werden sie an Hand- und Fussgelenken gefesselt, ihnen wird ein Helm aufgesetzt und ein Band hinter den Knien sorgt dafür, dass ein aufrechter Gang nicht mehr möglich ist. Wer sich weigert, auf eigenen Füssen ins Flugzeug zu steigen, wird auf einen Rollstuhl gebunden. Und wer die Sicherheitskräfte bespuckt, dem wird ein Moskitonetz über den Kopf gestülpt.

 Dieses Vorgehen hat die Menschenrechtsgruppe "Augenauf" auf den Plan gerufen. An einer Medienkonferenz haben Vertreter der Gruppe gestern im Zürcher Volkshaus diese Methoden als "menschenverachtend" und "traumatisierend" bezeichnet. Walter Angst, der auch für die Alternative Liste im Zürcher Gemeindeparlament sitzt, sagte, diese Art von Ausschaffung verletze systematisch die "persönliche Integrität der Asylsuchenden". Er verlangte im Namen von "Augenauf", dass diese härteste Form der Rückführung, die so genannte "Level-IV-Ausschaffung", nicht wieder aufgenommen wird.

 Gutachten bald publiziert

 Hintergrund für die Medienkonferenz war der Tod eines Ausschaffungshäftlings von Mitte März. Die genauen Umstände, unter denen der Nigerianer damals ums Leben kam, sind noch unklar. Ein rechtsmedizinisches Gutachten liegt zwar vor, wird aber erst nächste Woche veröffentlicht. Dies sagte die Zürcher Staatsanwaltschaft gegenüber der Nachrichtenagentur SDA. Im Nachgang zu diesem Todesfall wurden die Level-IV-Ausschaffungen schweizweit gestoppt. Ende Mai teilte das Bundesamt für Migration mit, dass die Zwangsausschaffungen schrittweise wieder aufgenommen werden sollen - dies neu mit unabhängigen Beobachtern und mehr medizinischem Personal an Bord. "Augenauf" will genau diese Wiedereinführung verhindern. Gestern rief Walter Angst die beteiligten Berufsgruppen zum Widerstand auf. Ärzte, Flugpersonal, Gefängnisangestellte, Polizisten und andere, die an der Vorbereitung oder Durchführung von Level-IV-Ausschaffungen beteiligt sind, sollen "ihren Dienst verweigern", wie er sagte. "Es gibt keine Dienstpflicht, sich an Handlungen zu beteiligen, welche die Menschenwürde in derart krasser Form verletzten." Die Aufforderung stösst bei Ärzten und Polizisten auf wenig Verständnis. Peter Reinhard, Präsident des Verbandes der Kantonspolizei Zürich (VKPZ), erklärt: "Die Zwangsausschaffung ist ein gesetzlich vorgesehenes Mittel, das werden wir nicht boykottieren." Falls ein einzelner Polizist aus persönlichen Gründen nicht mittun wolle, solle er sich beim Kommandanten melden. Auch Urs Stoffel, Präsident der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich (AGZ), ist skeptisch: "Wir gehen davon aus, dass die Ausschaffungsflüge nach den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit ablaufen. Wenn unsere Ärzte feststellen sollten, dass eine Ausschaffung standesethisch nicht vertretbar abläuft, wird er dazu keine Hand bieten. Doch mir sind keine solchen Fälle bekannt."

 Das Bundesamt für Migration will an der Wiederaufnahme der Zwangsausschaffungen festhalten, wie Urs von Arb, Chef Rückkehr, auf Anfrage sagt. Als Teil einer "konsequenten und glaubwürdigen Asyl- und Ausländerpolitik" seien Level-IV-Rückführungen auch in Zukunft nötig.

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Südostschweiz 25.6.10

Sonderflüge: Ärzte wollen keinen Einsatz

 Bern. - Nach dem Willen von Bund und Kantonen soll künftig medizinisches Personal Sonderflüge zum Zweck von Zwangsausschaffungen begleiten. Das Bundesamt für Migration ist derzeit damit beschäftigt, Ärzte dafür anzuwerben. Diese wehren sich jedoch dagegen. So fordert etwa die Vereinigung Unabhängiger Ärztinnen und Ärzte ihre Kollegen auf, sich für solche Einsätze nicht zur Verfügung zu stellen. Diese würden die Menschenwürde in krasser Form verletzen und daher gegen die ethischen Pflichten von medizinischem Personal verstossen. (ser) Bericht Seite 18

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Ärzte weigern sich, Sonderflüge zu begleiten

 Das Bundesamt für Migration will die Sonderflüge zur Zwangsausschaffung wieder aufnehmen. Nun formiert sich Widerstand - von ärzt licher Seite.

 Von Sermîn Faki

 Bern. - Nach dem Tod eines nigerianischen Ausschaffungshäftlings Mitte März auf dem Flughafen Kloten hatte das Bundesamt für Migration (BfM) die Sonderflüge zur Zwangsausschaffung ausgesetzt. Nun, nachdem das BfM und die Kantone, in denen sich daraufhin die Gefängnisse mit Ausschaffungshäftlingen gefüllt hatten, sich auf neue Regelungen zu den Flügen geeinigt haben, sollen die Flüge wieder aufgenommen werden. Konkret sieht die Übereinkunft vor, dass auf jedem Flug medizinisches Personal (ein Arzt sowie ein Rettungssanitäter) an Bord und dieses zudem über die Krankengeschichten der Auszuschaffenden informiert sein muss.

 Bereits im Juli sollen die ersten Flüge starten, wie Urs von Arb, Chef der Abteilung Rückkehr beim BfM, auf Anfrage der "Südostschweiz" sagte. Diese gingen nicht nach Nigeria, aber ebenfalls in den "afrikanischen Raum". Im Moment sei man dabei, den Pool an Ärzten, mit dem man bereits zusammenarbeite, aufzustocken.

 Gegen das Berufsethos

 Doch nun fordern Ärzteorganisationen ihre Kollegen dazu auf, sich diesen Einsätzen zu widersetzen. Das ärztliche Berufsethos verbiete die Teilnahme an Handlungen, bei denen die Gesundheit der Patientinnen und Patienten nicht oberstes Gebot sei, heisst es beispielsweise von der Vereinigung Unabhängiger Ärztinnen und Ärzte. Sie beruft sich dabei auf die Richtlinien in der Deklaration von Tokio des Weltärztebundes. Darin werden Ärzte aufgefordert, "keiner Aktion beizuwohnen, bei der Folterungen oder andere Grausamkeiten, unmenschliche oder die Menschenwürde verletzende Handlungen ausgeführt oder angedroht werden".

 Dies, so die Menschenrechtsorganisation Augenauf, sei auf den Sonderflügen jedoch der Fall. An einer Pressekonferenz demonstrierte die Organisation gestern, wie Ausschaffungshäftlinge auf diesen Flügen behandelt werden. So werden, wie aus der Antwort des Zürcher Regierungsrates auf eine Interpellation hervorgeht, Flüchtlinge, die sich weigern, auf eigenen Füssen das Flugzeug zu besteigen, auf einem Rollstuhl festgebunden. Je nachdem werden ihnen Fuss-, Knie-, Arm- und Handfesseln und ein Helm angezogen. Wehrt sich der Auszuschaffende mit Spucken, wird ihm ein Moskitonetz über den Kopf gestreift.

 Rekrutierung kein Problem

 Trotz des ärztlichen Appells geht man beim BfM davon aus, dass sich ausreichend Ärztinnen und Ärzte finden lassen, um alle Sonderflüge zu begleiten. "Auch bis anhin war auf jedem dritten bis vierten Sonderflug ein Arzt anbei", sagte von Arb. Daher glaube er nicht, dass die Rekrutierung weiterer Mediziner ein Problem werde. Im Moment prüfe das BfM verschiedene Modelle. Die Anstellung vollamtlich für Ausschaffungen zuständiger Mediziner sei momentan jedoch keine Option.

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20 Minuten 25.6.10

Kritik an Sonderflügen

 ZÜRICH. Die Menschenrechtsgruppe Augenauf verlangt, künftig auf Ausschaffungen mit Sonderflügen zu verzichten. Diese Ausschaffungen, bei denen betroffene Ausländer ungewöhnlich stark gefesselt werden, seien menschenverachtend und traumatisierend. Der Bund hatte die Sonderflüge im März gestoppt, nachdem ein Nigerianer kurz vor seiner Ausschaffung auf dem Flughafen Zürich gestorben war. Zwei Monate später wurden die Flüge schrittweise wieder aufgenommen.

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La Liberté 25.6.10

Expulsion forcée... avec médecin

 Migrations ● Après la mort d'un Nigérian, les vols spéciaux reprendront en juillet, avec des médecins à bord. Des associations lancent un appel au boycott.

 Ariane Gigon, Zurich

 On devrait savoir en début de semaine prochaine comment Alex Khamma, un Nigérian de 29 ans, est mort à l'aéroport de Zurich-Kloten, alors qu'il était emmené de force vers l'avion qui devait le rapatrier, lui et 15 compatriotes, à Lagos. C'est ce qu'a indiqué hier le Ministère public zurichois. Le collectif zurichois Augenauf, qui, depuis quinze ans, enquête sur les violations des droits de l'homme, n'a pas attendu: après avoir parlé à dix des quinze Nigérians présents le 17 mars, il a demandé hier l'abandon des vols spéciaux emmenant des personnes ligotées et immobilisées.

 La mort du Nigérian avait marqué un arrêt provisoire des vols. Le 21 mai dernier, l'Office fédéral des migrations (ODM) a toutefois anoncé leur reprise, sauf vers le Nigeria, moyennant quelques modifications: une équipe médicale composée d'un médecin et d'un secouriste sera systématiquement présente à bord.

 Méthodes "inhumaines"

 "Cela n'améliorera en rien la dignité et l'intégrité des réfugiés", ont déclaré les représentants d'Augenauf. L'organisation, qui collabore notamment avec Amnesty International, dénonce des méthodes "inhumaines, dont l'immobilisation quasi totale et l'interdiction d'uriner et de manger par soi-même, envers des personnes qui n'ont rien fait d'autre que de vouloir être en Suisse et ne pas avoir le droit d'y être."

 "Il ne faut pas croire, a précisé Rolf Zopfi, cofondateur d'Augenauf, que ces personnes ont fait des choses horribles ou qu'elles ont été particulièrement violentes."

 Hier, Augenauf et l'Association des médecins indépendants (VUA) ont aussi enjoint les médecins, les soignants mais aussi les policiers à ne pas participer à des actions "qui mettent en danger la santé d'êtres humains". "Il y a évidemment des médecins qui refusent, répond Urs von Arb, chef de la division retour de l'ODM. Cela peut aussi être pour des raisons logistiques. Nous sommes en train de négocier avec une structure pour réunir un pool de médecins."

 Se documenter d'abord

 La VUA invite encore toutes les organisations médicales et l'Académie suisse des sciences médicales à y regarder de plus près et à se documenter sur les pratiques d'expulsion forcée.

 "Nous le ferons, assure la secrétaire générale adjointe, Michelle Salathé. Mais nous avons déjà des directives sur l'exercice de la médecine auprès de personnes détenues, qui datent de 2002." Or l'article 6.4 prévoit le refus de "prêter son concours" si le médecin pense qu'il y a un danger majeur pour le patient et "au cas où les moyens prévus ne seraient pas abandonnés".

 Les vols spéciaux reprendront en juillet, "vers des pays de la région africaine", annonce l'ODM, sans préciser lesquels. I

 "La pression psychologique sur le médecin est majeure"

 Pour Jacques de Haller, président de la Fédération des médecins suisses, il est illusoire de penser que les médecins vont garantir des retours tranquilles.

 Comment la FMH réagit-elle à la décision de la Confédération de faire accompagner les vols d'expulsion par une équipe médicale?

 Jacques de Haller: Nous constatons que les médecins sont de plus en plus souvent sollicités par la société civile pour fournir toutes sortes de garanties de sécurité. Mais il est illusoire de penser que les réfugiés déboutés vont retourner tranquillement chez eux si un médecin est à bord. Les médecins peuvent aider et apporter l'engagement de leur profession, mais ils n'ont pas des pouvoirs magiques. Cela dit, la FMH n'a pas à se prononcer sur les méthodes utilisées, qui relèvent de la politique. Notre mission est de garantir que les médecins puissent travailler correctement et qu'ils ne soient pas instrumentalisés.

 Précisément, la présence de médecins dans ces avions ne revient-elle pas à cautionner la méthode?

 C'est pour cela que les directives médico-éthiques sont importantes: non seulement l'avis médical ne doit pas faire partie de la décision d'expulser ou non, mais, de plus, le médecin doit pouvoir se retirer à tout moment. Il faut aussi souligner que sa présence, dans ces cas-là, n'est pas d'ordre thérapeutique. De plus, tout médecin peut aussi décider par principe de ne pas participer à ce type de procédures.

 L'accompagnement de détenus exige-t-il des conditions particulières?

 Je plaiderais pour que seuls des médecins formés à cela soient sollicités, comme des médecins de prison. Ce ne sont pas des situations que l'on peut juger sans expérience particulière. La pression psychologique sur le médecin est majeure.

 L'Office fédéral des migrations dit être en train de "négocier" avec une structure pour réunir un pool de médecins prêts à accompagner des vols d'expulsion. La FMH est-elle impliquée?

 Non, en aucun cas. J'imagine que l'ODM est en train de constituer un pool sur la base de sollicitations individuelles.

 Propos recueillis par AG

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20min.ch 24.6.10
http://www.20min.ch/news/schweiz/story/-Erniedrigende-Fesselung--17330273
Video: http://www.20min.ch/videotv/?vid=124265&cid=1

Ausschaffungs-Praxis

"Erniedrigende Fesselung""Erniedrigende Fesselung"

von Lukas Mäder - Wie menschenunwürdig Zwangsauschaffungen sind, zeigt jetzt ein Video der Organisation Augenauf. Sie fordert einen sofortigen Stopp der Massnahme.

Er kann sich kaum bewegen, Fesseln an Armen und Beinen hindern ihn daran. Auf dem Kopf trägt er einen Helm, er kann den Mund kaum öffnen und hört die Geräusche der Umgebung nur gedämpft. Was ein Freiwilliger der Organisation Augenauf vor den Medien in Zürich demonstrierte (siehe Video), ist für Betroffene bei Zwangsausschaffungen die Realität. Und sie müssen die Fesseln stundenlang tragen. Die Fesselung zu Demonstrationzwecken beruht auf Zeugenaussagen von Betroffenen.

Die Organisation Augenauf will erreichen, dass Bund und Kantone keine Zwangsausschaffungen mehr durchführen. "Das Verfahren ist erniedrigend und menschenunwürdig", sagte Rolf Zopfi vor den Medien in Zürich. Die Betroffenen würden traumatisiert. Bei einigen Massnahmen gehe es nur darum, die Auszuschaffenden zu erniedrigen. "Eine Person muss nicht unbedingt gewalttätig sein, um so behandelt zu werden", sagt Zopfi. Der Zürcher Regierungsrat hingegen schreibt in einer Interpellationsanwort, dass dieses Vorgehen nur bei besonders renitenten Personen angewendet wird, bei denen eine Rückführung mit normaler Fesselung nicht möglich ist.

Bereits das dritte Todesopfer

Bund und Kantone haben Zwangsausschaffungen gestoppt, nachdem vor einem Ausschaffungsflug nach Lagos am 17. März ein Nigerianer ums Leben kam. Die Untersuchung des Todesfalls läuft noch; nächste Woche sollen die Ergebnisse des rechtsmedizinischen Gutachtens veröffentlicht werden. Eine Wiederaufnahme der Flüge ist aber bereits geplant und soll schrittweise erfolgen. Neu ist vorgesehen, dass ein Arzt die Ausschaffung begleitet. Für Augenauf lässt sich so aber nicht ausschliessen, dass es erneut zu einem Todesfall bei Zwangsausschaffungen komme. Bereits 1999 und 2001 waren abgewiesene Asylbewerber während Zwangsausschaffungen erstickt.

Die Kantone, die für die Ausschaffung zuständig sind, drängen jedoch auf eine rasche Wiederaufnahme der Flüge, haben diese doch grosse Ausmasse angenommen. Durchschnittlich fanden seit Anfang 2006 mehr als zwei Flüge monatlich statt. Laut Regierungsrat des Kantons Zürich sind in 111 Flügen ab Flughafen Kloten 1282 Personen zwangsausgeschafft worden. Dabei kommen gecharterte Reisejets, laut "10vor10" von den Airlines Swiss oder Hello, zum Einsatz mit 60 bis 70 Personen an Bord, wobei der Grossteil Polizisten sind. Denn jeder Ausschaffungshäftling hat zwei Polizisten als Begleitung an Bord.

Aufruf zu Ungehorsam

Diese Polizisten und die übrigen Begleitpersonen von Zwangsausschaffungen wie Ärzte oder die Flugzeugbesatzung ruft die Organisation Augenauf auf, den Dienst zu verweigern. Es gebe keine Dienstpflicht für Handlungen, die die Menschenwürde verletzen. "Es ist unglaubwürdig, solche Zwangsausschaffungen zu dulden und gleichzeitig mit dem Finger auf Guantánamo zu zeigen", sagt Walter Angst von Augenauf. Deshalb hält Angst auch nicht viel von unabhängigen Beobachtern, wie sie Amnesty International oder das Komitee des Uno-Menschenrechtsrats fordern. In der EU sind solche Beobachter bereits Pflicht. Die Schweiz übernimmt diese Richtlinie möglicherweise. Das nütze nichts, sagt Angst: "Unabhängige Beobachter können fatale Ereignisse wie der Todesfall im März nicht beeinflussen oder verhindern."

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FUSSBALL
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Basler Zeitung 25.6.10

Theater

 "Wir brauchen mehr Frauen in der Kurve!"
 
Das Junge Theater Basel spielt ihr Stück "Der 12. Mann ist eine Frau" in der Kaserne

 Provokativ. "Hey, mal ne kurze Durchsage an alle Typen: Um euch gehts gar nicht. Wir reden nur mit den Frauen." Mit diesem provokativen Ausruf beginnt das Junge Theater Basel sein Stück "Der 12. Mann ist eine Frau". Die Theatergruppe hat über Lust und Leid weiblicher Fussballfans recherchiert, die immer noch eine krasse Minderheit in der Fankurve darstellen. Die Erkenntnisse aus 80 Seiten Interviewmaterial bringen drei junge Schauspielerinnen auf die Bühne. Das Stück legt den Zeigefinger auf einen wunden Punkt des Fussballs, den weit verbreiteten Sexismus in Stadien.

 > Kaserne, Klybeckstrasse 1b, Basel. 19.30 Uhr. http://www.jungestheaterbasel.ch

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NARRENKRAUT
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Beobachter 25.6.10

Standpunkt

 Legal, illegal - total egal

 Politiker fordern: Als Test soll die Stadt Zürich Cannabis verkaufen. Eine gutgemeinte Idee, die leider gesellschaftliche Realitäten ausblendet.

 Sven Broder

 Entschuldigen Sie, wo gibts was zu kiffen?" - "Beim Personenmeldeamt." Erwin tut, wie ihm die Dame am Empfang im Stadthaus kundgetan hat, und stellt sich am Schalter 5 in die Schlange. Bald steht er vor einem Sozialpädagogen, der seine Personalien aufnimmt und ihm Fragen zu seinem Drogenkonsum stellt. Ehe er sichs versieht, steckt Erwin in einem Lebensberatungsgespräch, das er weder gebraucht und schon gar nicht gewünscht hatte. "Sie wissen", sagt der Mann zum Schluss, "die Dosis macht das Gift." Erwin tut, was er seit einer Viertelstunde getan hat. Er nickt nett. Dann ist es so weit: Als Dankeschön für seine Geduld und seine Teilnahme am wissenschaftlich begleiteten Pilotprojekt "Zürich kifft richtig" bekommt Erwin für zehn Franken ein Säckchen Gras mit Biozertifikat und einem amtlich bestätigten THC-Gehalt von 15 Prozent. Draussen setzt sich Erwin zu Kumpels an die Limmat und meint: "Uff, jetzt brauch ich erst mal einen Joint."

 Die Stadt, dein netter Cannabis-dealer? Noch ist diese Szene Fiktion. Doch schon in zwei, drei Jahren könnte sie Realität sein, zumindest in der Stadt Zürich. Dort überwies eine Mehrheit aus SP, Grünen und Grünliberalen ein Postulat, das den kontrollierten Testverkauf von Cannabis an über 18-Jährige verlangt, kombiniert mit Infoveranstaltungen an Schulen.

 Die Konsumenten haben ihre Quellen

 Mit Verlaub: was für eine blöde Idee. Nicht grundsätzlich zwar. Aber so, wie die Postulanten sich den Pilotversuch vorstellen, erscheint das Vorhaben recht naiv. Welcher volljährige Cannabiskonsument wird sich schon an den amtlichen "Drogenschalter" stellen, wo er registriert und allenfalls noch von einem netten Sozialarbeiter bequatscht wird, wenn er seinen Stoff problemlos auch woanders beziehen kann?

 Denn eines sollten wir gelernt haben: Egal, ob an der Repressionsschraube gedreht wird oder nicht, Cannabisprodukte gibts immer. Das Marihuana heisst eben nicht nur "Gras", weil es grün ist, sondern auch weil es wächst wie Unkraut. Der letzten repräsentativen Befragung zufolge beziehen es neun von zehn jungen Kiffern von Freunden - davon die Mehrheit sogar umsonst. Legal, illegal - total egal.

 Und diejenigen, die (noch) keinen Draht zu einem Kollegen mit einer kleinen Indoor- oder Balkonplantage haben und zu den 13 Prozent gehören, die ihren Cannabis auf der Gasse besorgen müssen? Diese Kiffer dürften selber noch etwas grün sein, also auch noch keine 18 Jahre alt. Und just die würden am Schalter 5 vergeblich um ihr kontrolliertes Gras anstehen.

 Wenn die Postulanten schon den Jugendschutz betonen, dann sollen sie konsequent sein und die kontrollierte Abgabe an 14-Jährige fordern. Immerhin kifft je nach Studie bereits jeder vierte 15-Jährige. Zudem gilt als erwiesen, dass der übermässige Cannabiskonsum gerade in der Pubertät gefährlich sein und Psychosen und andere Langzeitschäden verursachen kann. Gerade die, die Aufklärung und Kontrolle am nötigsten hätten, gingen den Fachleuten jedoch auch künftig durch die Lappen.

 Wenn schon, dann gleich richtig

 Anders sähe es aus, wenn die Stadt das Postulat aus dem Gemeinderat zum Anlass nähme, ein niederschwelliges und flächendeckendes Verkaufsmodell zu testen, in Apotheken oder mit lizenzierten Shops etwa. Dort wäre nicht nur der Verkauf klar geregelt, auch die Preise wären abgestimmt und die Qualität überprüft. Das Geld strömte nicht mehr auf die Konten Krimineller, sondern in die Staatskasse. Nur dann würde sich der Schwarzhandel in Rauch auflösen. Und nicht mehr das überzüchtete, mit Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmitteln vergiftete Kraut, das zu Recht verboten gehört, weil es Kiffern das Hirn wegbläst - und zwar auch der Mehrheit der 500000 Cannabiskonsumenten im Land, die alt und vernünftig genug sind, einen besonnenen Umgang mit psychoaktiven Substanzen zu pflegen.

 Doch auch wenn die Stadtzürcher 2008 ja zur Hanfinitiative gesagt haben, fände diese Quasilegalisierung kaum eine Mehrheit. Nicht im Alleingang - weil Zürich so das Amsterdam der Schweiz würde. Und so bleibt wohl alles beim Alten: Tausende kiffen, Politik und Justiz verschliessen die Augen. Oder kneifen zumindest ein Auge zu. Das ist ein praktikabler Weg, aber keine Lösung. Denn im Grunde hat die strafrechtliche Verfolgung selbstschädigenden Verhaltens in einer liberalen Rechtsordnung nichts verloren. Schon gar nicht, wenn die Polizei weder Geld noch Zeit und offenbar auch nicht die Lust hat, das Verbot durchzusetzen.

 Sven Broder ist Beobachter-Redaktor.

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FEDPOL 2009
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fedpol.admin.ch 25.6.10

Jahresbericht 2009:
http://www.fedpol.admin.ch/etc/medialib/data/migr_new/sicherheit___jahresbericht.Par.0001.File.tmp/JaBe-2009-D.pdf

Jahresbericht 2009 des Bundesamtes für Polizei

Internationale Polizeikooperation gegen globalisierte Kriminalität

Medienmitteilungen, fedpol, 25.06.2010

Bern. Die Globalisierung ist auch bei der Schwerstkriminalität spürbar: Organisierte Kriminalität, Menschenhandel und -schmuggel sowie Cybercrime sind laut Bundesamt für Polizei (fedpol) Kriminalitätsformen, denen entschlossen begegnet werden muss. Da diese Kriminalitätsphänomene fast ausschliesslich transnational auftreten, muss auch deren Bekämpfung grenzüberschreitend erfolgen, wie der Jahresbericht 2009 zeigt.

Die Schweiz ist auch 2009 für kriminelle Organisationen attraktiv geblieben. Gruppen aus Georgien, Südosteuropa und Westafrika beispielsweise machen in der Schweiz durch Drogenhandel, Einbrüche und Raub auf sich aufmerksam. Andere Gruppen insbesondere aus Italien oder aus Nachfolgestaaten der Sowjetunion wiederum benutzen die Schweiz eher für logistische Zwecke, für Geldwäscherei oder als Rückzugsgebiet. Diese Bedrohung ist weniger sichtbar und subtiler, gefährdet aber sowohl den freien Wettbewerb, als auch die Unabhängigkeit von Personen und Institutionen.

Grenzüberschreitende Schwerstkriminalität…

Konkret hat fedpol 2009 im Bereich der Organisierten Kriminalität 61 Fälle bearbeitet und dabei verschiedene Erfolge verbucht. Ein Beispiel dafür ist die international koordinierte Polizeiaktion gegen eine georgische Gruppierung, die in der Schweiz und in anderen europäischen Ländern vor allem Einbrüche und Ladendiebstähle im grossen Stil beging. 69 Personen wurden bei dieser Aktion verhaftet, darunter 11 in der Schweiz.

Eine weitere grosse Herausforderung stellen für fedpol die wachsenden Möglichkeiten der digitalen Welt dar: Plattformen für soziale Netzwerke, Online-Bilder und Video-Sharing bieten neue Formen der Kommunikation an, bergen aber auch eine Fülle von Gefahren und stellen einen Nährboden für neue Deliktsformen dar. Davon profitiert die Täterschaft. Die professionellen Methoden zur Verschlüsselung der Kommunikation und die vermehrte Nutzung von mobilen Geräten erschweren den Strafverfolgungsbehörden die Identifikation von Internetteilnehmern. Gleichzeitig wird die digitale Welt zunehmend zur Planung, Koordinierung und Durchführung von Delikten genutzt. Dies zeigt sich auch in den Zahlen der Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (KOBIK) bei fedpol. Auch im Bereich Cybercrime ist darum eine zunehmend internationale Vernetzung bei der Bekämpfung der Schwerstkriminalität gefragt.

Die mit der Globalisierung einhergehende Vernetzung der kriminellen Aktivitäten zeigt sich zudem auch im Bereich Menschenhandel und -schmuggel. Die Schweiz war auch 2009 ein attraktives Ziel- und Transitland für diese Kriminalitätsformen. Stark angestiegen sind im Berichtsjahr der Handel mit Frauen aus Ungarn und die organisierte Schleusung junger Westafrikanerinnen. Daran hat sich auch 2010 nichts geändert. Ungarisch-stämmige Tätergruppen, welche primär der Ethnie Roma angehörig sind, versuchen sich gesamtschweizerisch in der Strassenstrichszene sowie in Kontaktbars zu etablieren. fedpol unterstützt die Verfahren der Schweizer Behörden und Polizeikorps bei Aktionen jeweils direkt vor Ort und koordiniert gleichzeitig den nationalen und internationalen Informationsaustausch. Bei der jüngsten Aktion, welche vor rund zwei Wochen in Zürich stattfand, konnten dank dieser vernetzten Arbeit zeitgleich Straftäter in Ungarn und Zürich verhaftet werden.

…erfordert vermehrt eine koordinierte Polizeizusammenarbeit

Um der geschilderten Vernetzung der schwerstkriminellen Aktivitäten entschlossen zu begegnen, ist eine koordinierte Polizeizusammenarbeit auf nationalem und internationalem Niveau unabdingbar. In diesem Zusammenhang sind die bilaterale Polizeizusammenarbeit (namentlich mit den umliegenden Nachbarländern), das Netz der Polizeiattachés sowie der Informationsaustausch über INTERPOL zu nennen.

Speziell zu erwähnen ist zudem die Zusammenarbeit mit dem Europäischen Polizeiamt (EUROPOL) in Den Haag, welche seit 2006 besteht und sich kontinuierlich weiterentwickelt hat. 2009 waren es monatlich ca. 200 operationelle Geschäfte, die im Rahmen dieser Zusammenarbeit bearbeitet worden sind. Darüber hinaus ist fedpol Mitglied von mehreren Analysegruppen zum Austausch von Daten (sogenannte Analysis Work Files). Dies ermöglicht es den Mitgliedstaaten, die unter der Leitung von EUROPOL ausgetauschten Informationen zu speichern, zu analysieren sowie zu vergleichen. Dank dieser Arbeit können ausgewertete Daten mit grossem operativem Mehrwert an alle betroffenen Partner weitergeleitet werden.

Auch das Schengen-Abkommen hat sich im ersten Jahr überaus bewährt. Dank dem Schengener Informationssystem (SIS) wurden im Durchschnitt täglich 24 Fahndungstreffer erzielt. Die meisten Treffer bezogen sich auf Personenfahndungen. Gesucht wurden dabei Personen, die aus Gründen wie Drogenhandel, Vergewaltigung oder Mord international zur Verhaftung ausgeschrieben waren. Auch 2010 wurden in der Schweiz dank dem SIS bereits wieder 93 vermisste Personen, darunter zahlreiche Kinder, gefunden. Die Schengener Zusammenarbeit trägt damit massgeblich zur Sicherheit unseres Landes bei.

Die Erkenntnisse zeigen, wie wichtig die internationale Vernetzung und Zusammenarbeit bei der Steuerung und Koordination von internationalen Fahndungen ist. Nur dank dieser Vernetzung kann fedpol Delikte aus den Bereichen Menschenschmuggel und Drogenhandel, Tötungsdelikte oder organisierte Kriminalität auch künftig professionell und effizient verfolgen.

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NEONAZIS LIECHTENSTEIN
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Beobachter 25.6.10

Die Neonazis von nebenan

 Ausgerechnet Liechtenstein hat ein massives Problem mit Rechtsextremismus. Auf Spurensuche im kleinen reichen Land, wo jeder jeden kennt.

 Text: Andrea Haefely; Fotos: Dominic Büttner

 Schaut der Fürst von seinem Schloss hinunter in die Ebene zu seiner Rechten, schaut er zu den Rechten. Dort, im Liechtensteiner Unterland, genauer in der Doppelgemeinde Eschen-Nendeln, lebt ein Grossteil der Liechtensteiner Rechtsextremen. Und dort verüben sie meist auch ihre Straftaten.

 Zum Beispiel den Brandanschlag auf das Kebab-Bistro "Abra Kebabra" in Nendeln. Am Freitag, dem 26. Februar 2010, gegen fünf Uhr morgens werfen Unbekannte mit Steinen die Scheiben des Lokals ein. Dann folgt ein Molotow-Cocktail. Der Brand wird zum Glück bald entdeckt - in dem Haus wohnen zwei Familien.

 Das Haus steht schräg vis-à-vis vom Bahnhof Nendeln, einem winzigen Bahnhof aus den Gründerjahren, wo nur morgens und am späten Nachmittag Pendlerzüge halten. Der Intercity nach Wien bremst nicht. Ennet den Gleisen ist Industrie. Um die Ecke an der Strasse nach Vaduz bietet "Herberts Militärstüble" Militaria und neuzeitliche Waffen vom "2. und 1. Weltkrieg bis zurück in die Kaiserzeit" zum Verkauf an. Ein handgeschriebenes Zettelchen, mit Klebstreifen an der Glasscheibe der Tür befestigt, informiert in verblichener Schrift potentielle Kunden über die Öffnungszeiten. Der Handel mit antiquarischen Nazi-Devotionalien ist legal.

 "Wer dieses Feuer legte, hat in Kauf genommen, dass Menschen sterben", sagt Erdal Kilic, der mit seinen beiden Brüdern das "Abra Kebabra", das zum Zeitpunkt des Brandanschlags noch nicht eröffnet war, betreiben wollte. Angst vor weiteren Anschlägen hat Kilic nicht: "Das bringt nichts." Fassungslos ist der 37-Jährige aber auch noch Monate nach dem Anschlag.

 40 Rechtsradikale sind der Polizei bekannt

 Mitte Mai wird ein Hauptverdächtiger, ein 22-jähriger, bislang nicht vorbestrafter Liechtensteiner, festgenommen. Ihm werden zwei weitere Brandanschläge zur Last gelegt, bei denen in der Nacht auf den 22. November 2009 Brandsätze gegen zwei Nendler Wohnhäuser geworfen wurden. Noch sucht die Polizei nach Mittätern.

 Der junge Mann ist teils geständig. Er bezeichnet sich als Nationalsozialist und Türken als "die Juden der Neuzeit". Mit seinem Fremdenhass, der sich offensichtlich vor allem gegen Liechtensteiner Türken richtet, ist er nicht allein: Rund 40 Personen gehören einer rechtsradikalen Gruppierung an oder orientieren sich an einer solchen und sind deswegen polizeilich registriert. Mitläufer und Sympathisanten nicht mitgerechnet. Das ist jeder 900. Einwohner von Liechtenstein. Zum Vergleich: In der Schweiz gehören laut Schätzungen des Bundesamts für Polizei gegen 1200 Personen zum harten Kern der rechtsextremen Szene, eine auf 6500 Einwohner.

 Seit Anfang der neunziger Jahre hat Rechtsextremismus im Fürstentum hässliche Tradition. 1999 und 2006 kamen Untersuchungen des Liechtensteiner Amtes für Soziale Dienste zum Schluss, dass rund 20 Prozent der Jugendlichen mit nationalsozialistischen Ideen sympathisieren und vier Prozent solche Ideen offen unterstützen. Wieso aber fällt rechtsextremes Gedankengut ausgerechnet im Ländle auf so fruchtbaren Boden? In einem Land, wo praktisch jeder einheimische Jugendliche beste Bildungschancen hat, mit 18 ein Auto fährt und wo so gut wie kein Lehrstellenmangel herrscht? Wieso neigen sozial und beruflich bestens integrierte junge Menschen aus alteingesessenen Familien, teils sogar mit Hochschulabschluss und in Kaderposition, zu Rechtsextremismus?

 Auf Anregung des Uno-Überwachungsausschusses gegen Rassendiskriminierung und der Liechtensteiner Regierung gab die Gewaltschutzkommission des Landes vor zwei Jahren eine Studie in Auftrag, die das Phänomen untersuchen sollte. Der Bericht, erschienen im September 2009, zeichnet das Bild einer Gesellschaft, die mit ihren traditionalistischen und konservativen Milieus durchaus rechtsradikale Tendenzen begünstigt.

 "Speerspitze der Gesellschaft"

 Es ist eine Gesellschaft von 36 000 Einwohnern auf 160 Quadratkilometern, in der jeder jeden kennt und man sich unter Einheimischen grundsätzlich duzt. In der man nicht leichtfertig gegen den Nachbarn stänkert. Wo die Kirche noch im Dorf steht und der erzkonservative Erzbischof Wolfgang Haas wohlgelitten ist. Wo die soziale Kontrolle allgegenwärtig ist und ortsfremde Autos im Quartier die Menschen an die Fenster locken. Wo man sich als Auswärtiger nicht nur beobachtet fühlt, sondern es ist.

 Es ist eine Gesellschaft, in der sich Unterländer und Oberländer voneinander abgrenzen, auch wenn nur zehn Kilometer sie trennen. Eine Gesellschaft, die ihren Nationalstolz aus einem 800 Jahre alten Fürstenhaus, ihre Zukunftsängste hingegen aus ihrer Kleinheit nährt. Die Eigenständigkeit und Identität durch den Druck von Europa, durch die Globalisierung in Frage gestellt sieht.

 Und auf eben diese Gesellschaft berufen sich die Rechtsradikalen. Behaupten, dass sie lediglich das sagen und tun, was sich die andern nicht trauen. Verstehen sich als "Speerspitze der Gesellschaft". Ab und an mag das wohl stimmen: "Wir treffen manchmal tatsächlich auf Eltern von rechtsradikalen Jugendlichen, die finden, ihre Kinder müssten sich doch wehren gegen die Türken", sagt Jules Hoch, Chef der Liechtensteiner Kriminalpolizei und Präsident der Gewaltschutzkommission. "Die sehen nichts Falsches am Tun ihrer Kinder."

 "Wir wissen", liess auch Innenminister Hugo Quaderer diesen Frühling verlauten, "dass rechtsextreme Einstellungen bis weit in die Mitte der Gesellschaft verbreitet sind." Seine Erklärung: "Die Tendenzen, die in Europa erkennbar sind, haben auch vor den Grenzen Liechtensteins nicht haltgemacht. Auch unser Land ist betroffen von Zuwanderung und Internationalisierung." Und das könne durchaus Angst vor Identitätsverlust auslösen.

 Tatsächlich hat das Fürstentum in den letzten 30 Jahren einen strukturellen Wandel vollzogen von einer homogenen, bäuerlich geprägten hin zu einer industrialisierten Region. Statt ländlicher Idylle findet der Besucher heute einen Landstrich, der sein Gesicht verloren hat an Fabrikhallen und biedere Einfamilienhäuschen mit Eternitschindeln, Rauverputz und schmiedeeisernen Treppenhandläufen. Die Bevölkerung hat um rund ein Drittel zugenommen, der Ausländeranteil ist auf 33 Prozent angestiegen. Dabei entfällt das Gros auf Deutsche, Österreicher, Schweizer und Italiener. Türkische Staatsangehörige, primäres Ziel der Liechtensteiner Rechtsradikalen, zählte die Bevölkerungsstatistik per Mitte 2009 gerade mal 767.

 Neu fürs Ländle ist die zunehmende Gewaltbereitschaft der Rechtsextremen. Die bekam auch Ayhan Gündogdu zu spüren. Seit neun Jahren betreibt der 36-Jährige mit seiner Frau Meryem den "Anatolia Dorf Imbiss". Das Lokal liegt gleich hinter dem Dorfplatz von Eschen, einem kahlen, von der Kirche dominierten Platz mit Bushaltestelle. Ohne das "Anatolia", das nicht nur Kebab und Pizza, sondern auch Bratwurst mit Pommes und Gulaschsuppe serviert, wäre Eschens "Dorfzentrum" selbst an Samstagabenden völlig tot. Das Ehepaar Gündogdu gilt allgemein als ausgesprochen freundlich und zuvorkommend.

 "Wir wollen keine Ausländer hier"

 Es ist der 16. Mai 2009, gegen zwei Uhr nachts. Ayhan Gündogdu ist noch am Aufräumen, als ein Skinhead an die Scheibe klopft und mit Gesten andeutet, er brauche Zigaretten. Obwohl er schon geschlossen hat, lässt der gastfreundliche Bistrowirt den jungen Mann ein. Kaum drin, fängt der Rechtsextreme an, Gündogdu zu beschimpfen: "Wir bringen dich um. Wir wollen keine Ausländer hier." Dann greift er zum Handy. "Ich bin jetzt drin", will Gündogdu gehört haben. Sofort tauchen zwei weitere Neonazis auf. Sie werfen mit Gegenständen nach dem Wirt, der vom grossen Abfalleimer am Kopf getroffen wird, den schweren gläsernen Wirtshaus-Aschenbechern aber ausweichen kann: "Wirst du von so einem getroffen, bist du schnell tot." Mit dem Kebabmesser versucht Gündogdu, der Todesängste aussteht, die jungen Männer auf Distanz zu halten. Schliesslich hören ein Nachbar und dessen Sohn den Tumult. Sie alarmieren die Polizei, die nach einer Viertelstunde eintrifft.

 Gündogdu muss ins Spital und kann zweieinhalb Monate nicht arbeiten. Der Flachbildfernseher, die Kebabmaschine, die Kasse, alles in Trümmern. 12 500 Franken Schaden richten die Angreifer an. Der jugendliche Haupttäter wird erstinstanzlich zur Zahlung von 1000 Franken Schmerzensgeld verurteilt, sein Anwalt hat das Verfahren weitergezogen. Die Mittäter wurden freigesprochen.

 Als Fremde gelten hier viele

 Gündogdu fühlt sich von der Justiz im Stich gelassen und ist schockiert: "Irgendwann gibt es wirklich mal einen Toten." Er, der schon seit 20 Jahren im Ländle lebt, ist als Einwohner des Fürstentums tief verletzt. Das Wort Ausländer hat für ihn seine ursprüngliche Bedeutung verloren, ist ein Schimpfwort geworden. Ein Mensch sei doch ein Mensch, sagt er, nicht ein Ausländer. Faktisch muss Gündogdu noch weitere zehn Jahre durchhalten, erst dann steht ihm - nach 30 Jahren - die erleichterte Einbürgerung offen. Wer hier geboren ist, darf schon nach 15 Jahren dazugehören. Zumindest auf dem Papier.

 Man muss im Ländle nicht Türke sein, um nicht dazuzugehören. Selbst wer hier geboren und aufgewachsen ist, aber keinem der Liechtensteiner Geschlechter angehört, kein Hoch, kein Quaderer, kein Hasler ist, wird immer ein fremder Fötzel bleiben. "Wer nicht von hier stammt, hat es eindeutig schwerer, die Fremdenfeindlichkeit ist unterschwellig immer da", sagt Stefanie von Grünigen, die Einzige im Eschener Gemeinderat, die keinen Namen einer alteingesessenen Familie trägt. Die Ur-Liechtensteinerin, eine geborene Sele, hat durch Heirat ihren Namen gegen den eines Bernbieters eingetauscht. "Und das kriege ich immer wieder zu spüren." Lokalchauvinismus als Steigbügel für Rechtsradikalismus?

 Kripochef Jules Hoch sitzt in seinem Büro im Vaduzer Polizeigebäude, vor sich eine beschlagnahmte Neonazi-Fahne. Kinderzeichnungen hängen an der Wand. FBI-Plaketten, in Acrylharz gegossen, stehen auf der Fensterbank. Dass die Gewalt zugenommen hat, kommt nicht von ungefähr, weiss der Mann mit den ernsten Augen: "Die Rechtsextremen der jüngeren Generation pflegen enge Kontakte zur ‹Blood and Honour›-Bewegung in Österreich, Deutschland und der Schweiz." Diese Neonazi-Organisation strebt nach eigenen Angaben einen dritten Weltkrieg an, um "zu beenden, was Hitler begonnen hat", ist hierarchisch organisiert und sehr gewaltbereit.

 Trotzdem muss schon sehr genau hinschauen, wer Zeichen von Rechtsradikalismus im Fürstentum finden will. Die Rechtsextremen scheinen gar auf dem Rückzug. "Das liegt daran, dass Schmierereien meist sofort entfernt werden und dass sich die hiesigen Neonazis sehr angepasst geben", erklärt Jules Hoch. "Sie haben gemerkt, dass sie so bessere Chancen haben, wenn sie etwa eine Banklehre machen wollen." Statt mit gut sichtbaren Insignien wie Glatze, Bomberjacke und Springerstiefeln geben sie sich untereinander durch Kleidermarken und Zahlencodes zu erkennen: Die Zahl 18 beispielsweise steht für den ersten und den achten Buchstaben im Alphabet, die Initialen Adolf Hitlers, 88 entsprechend für "Heil Hitler". Doch die Codes wechseln ständig. Das Versteckspiel macht es der Polizei schwerer, neue Szene-Angehörige zu identifizieren. "Im Prinzip hinken wir immer ein wenig hinterher", sagt Hoch.

 Die Folgen rechtsextremen Tuns beschränken sich nicht nur auf Straftaten. Gerade Jugendliche fühlen sich durch das Auftauchen von Neonazis in ihrer Freiheit eingeschränkt. "Wir wollen und dürfen nicht tolerieren, dass Rechtsradikale das Leben in der Öffentlichkeit dominieren", betont der Kripochef Jules Hoch.

 Das Fürstenhaus schweigt

 Doch die Angst vor Vergeltungsschlägen hält manchen Beobachter davon ab, einen Vorfall zu melden oder eine Aussage zu machen. Und auch die Kleinräumigkeit, die Nähe, macht die Polizeiarbeit nicht einfach. Wenn der eigene Sohn beim Vater eines rechtsradikalen Jugendlichen ins Fussballtraining geht, wird man es sich zweimal überlegen, ob man Anzeige erstatten will. "Das erschwert uns die Arbeit, allerdings nicht nur bei rechtsradikal motivierten Taten, sondern generell", sagt Hoch.

 Aufgeschreckt durch die Studie der Gewaltschutzkommission, hat die Regierung ein Massnahmenpaket gegen Rechtsextremismus verabschiedet. Grundpfeiler ist eine Sensibilisierungskampagne mit Inseraten in der Presse. Sie soll vermitteln, dass rechtsextreme Positionen wie Fremdenfeindlichkeit und Gewalt in Liechtenstein keine Akzeptanz hätten. Und Innenminister Hugo Quaderer rief unlängst zu mehr Zivilcourage auf.

 Das Fürstenhaus hoch über der Ebene hüllt sich in vornehmes Schweigen. Fürst Hans-Adam II. sah sich nicht bemüssigt, Stellung zu nehmen. Und Erbprinz Alois, der seit 2004 die Regierungsgeschäfte führt, liess über seinen PR-Berater gegenüber dem Beobachter verlauten: "Wir sehen keine zwingende Notwendigkeit, uns zu diesem Thema zu äussern."

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G8/G20
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Indymedia 25.6.10

G20 Proteste in Toronto ::

AutorIn : cumbre: https://linksunten.indymedia.org/en/node/22001     

Schon seit dem vergangenen Wochenende treffen sich AktivistInnen aus aller Welt in Toronto um gegen den G20 Gipfel zu protestieren.

Die kanadische Großstadt gleicht im Zentrum einer Geisterstadt, während ein Großaufgebot von Polizei aus allen Landesteilen für die Sicherheit "global leaders" sorgt. Die Stadt hat über eine Milliarde US$ für Sicherheitsvorkehrungen ausgegeben. Mit dem Geld wurde nicht nur die komplette Innenstadt eingezäunt, sondern unter anderem auch ein kompletter künstlicher See angelegt. Die Staats- und Regierungschefs mauern sich mal wieder ein, um vom Protest auf der Straße so wenig wie möglich mitzukriegen und auch an den Landesgrenzen werden politisch aktive Menschen abgewiesen.

This is what Democracy looks like!


Alternative Medien: Toronto Media Coop | subMedia.TV | Audio Podcasts |     

Bevor aber der G20 Gipfel in Toronto selbst losgeht treffen sich die G8 Staaten in einem exklusiven Kreis um schon mal ihre Positionen abzustimmen. Der großen Politik geht es um die Krise der Weltwirtschaft und die rettenden Maßnahmen, um aus dieser möglichst unbeschadet wieder herauszukommen.

Die AktivistInnen auf der Straße haben sich andere Themen ausgesucht. Ein People´s Summit beschäftigte sich vom 18. Juni - 20 Juni mit Fragen wie globaler Gerechtigkeit, Umwelt- und Klimafragen, Menschrechten und dem Aufbau einer Bewegung.

Am Montag gab es dann Aktionen unter dem Motto "Migrant Justice and An End to War and Occupation, Income Equity and Community Control Over Resources". Am Tag darauf fand eine Demo von hunderten Queers und Symphatisanten statt [Video]. Der Mittwoch begann mit einer Toxic Tour of Toronto gleich um 11 Uhr, die sich dem Klimawandel und deren Auswirkungen auf Kanada befasste. Haupthema war dabei das Gigaprojekt des Tar Sands, bei dem in dem Bundesstaat Alberta auf indigenem Land großflächig Land abgegraben werden soll, um daraus Öl zu extrahieren. Dies sorgt nicht "nur" für eine Umweltzerstörung von unverstellbarem Ausmaß, sondern zur Zerstörung der Gesundheit und der Lebensgrundlagen der dort lebenden Indigenen. [Video]

Artikel mit links & Bildern und Interview hier:

Am Abend fand ein Treffen statt, dass die Ergebnisse des alternativen Klimagipfels in Cochabamba weiter diskutierte.

Gasmasken Öl & Buisness Cops vs. Clown Rebell Army

Am Donnerstag fand dann der Aktionstag für die Indigene Souveränität statt. Mehr als 2200 Menschen beteiligten sich an der Demonstration, was für die Organisatoren einen großen Erfolg darstellte. Das Motto war "Canada can`t hide his genocide", Kanada kann seinen Genozid an den ursprünglichen Einwohnern nicht verstecken. Dieser geschieht seit 500 Jahren und geht auch heute mit Landvertreibungen und umwelt- und gesundheitsgefährdenden Projekten wie den Tar Sands weiter.

Im Anschluss an die Demo fand eine Versammlung der indigenen Völker statt, die sich selbst gegenseitig über Kämpfe um Selbstbestimmung in anderen Teilen des riesigen Landes Kanada informierten. Alle Teilnehmenden waren sich einig, dass die Veranstaltung sehr inspirierend gewesen sei.

Canada Can t hide Genocide Native Rights are Human Rights Native Land Rights Now!


Am heutigen Freitag beginnen die eigentlichen Großproteste mit dem Community Action Day ab 14:30 Ortszeit.

Orignialartikel mit Links, Bildern und Interview:
http://linksunten.indymedia.org/en/node/22001

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ANTI-ATOM
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Oltner Tagblatt 25.6.10

Widerstand gegen die Richtplananpassung

 Niedergösgen Die Organisation NWA - Nie wieder Atomanlagen - orientierte über Einsprachemöglichkeiten

 Der Widerstand gegen weitere Atomanlagen im Niederamt wächst: Am Mittwoch wurden in Niedergösgen Argumente auf den Tisch gelegt, die gegen eine Änderung des Richtplans sprechen. Dieser soll neu den Bau eines zweiten Kernkraftwerks im Niederamt ermöglichen.

 Clemens Ackermann

 Rund drei Dutzend Personen waren es, die am Mittwochabend auf Einladung von NWA (Nie wieder Atomkraftwerke, vergleiche Stichwort) im Schlosshof in Niedergösgen zusammenkamen - mehr als bei einer Gemeindeversammlung einer durchschnittlichen Niederämter Gemeinde. Roberto Aletti zeigte sich denn in seiner Begrüssung auch positiv überrascht über das Interesse für die Informationsveranstaltung, die zum Ziel hatte, darüber zu orientieren, wie Jeder und Jede Einwendungen gegen die Richtplananpassung machen kann. Die Pläne sind zurzeit aufgelegt in den Standortgemeinden Niedergösgen, Gretzenbach, Däniken und beim Amt für Raumplanung in Solothurn.

 Richtplananpassung

 Ausgangspunkt des Abends war ein Referat von Andreas Knobel, Co-Päsident von NWA. Knobel zeigte zuerst in einer Übersicht, welche Schritte gemacht werden müssen, bis ein zweites Atomkraftwerk im Niederamt steht. Einer dieser Schritte ist die Anpassung des Richtplanes. Mit dieser Anpassung zeigt der Kanton Solothurn, dass er eine solche Anlage zulassen will. Das Verfahren sieht aber vor, dass zur Änderung des Richtplanes alle ihre Meinung kundtun können. Das Verfahren läuft noch bis Mittwoch, 7. Juli. Knobel forderte dazu auf, möglichst zahlreich Einsprachen einzureichen.

 Ein zweiter Schritt, bei dem die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sich gegen ein Kernkraftwerk wehren können, wäre, wenn ein Referendum gegen eine Rahmenbewilligung erfolgreich zustande käme. Knobel rechnet damit frühestens bis Ende 2013.

 Hybridkühlturm

 Knobel stellte das Projekt mit seinem 60 Meter hohen Hybridkühlturm, einem 80 Meter hohen Reaktorgebäude und einem Flächenbedarf von 20 bis 25 Hektaren Land vor. Geplant wird eine Leistung von 1,1 bis 1,6 Gigawatt. Die Versammlung in Niedergösgen liess auch während des Referats Raum für spontane Wortäusserungen. So wurde ein Bild kritisiert, das Knobel als Projektbild zeigte. Die offizielle Fotomontage täusche, wurde moniert, sie zeige keineswegs die korrekten Grössenverhältnisse für die neue Atomanlage.

 Das Werk würde nicht nur Strom produzieren, sondern vor allem auch Abwärme. Mit dieser könnte man zwei Millionen Wohnungen heizen, erklärte Knobel, aus Sicht der Umwelt wäre aber mindestens zu fordern, dass diese Abwärme obligatorisch genutzt wird.

 Mitten im Wohngebiet

 Der Richtplan zeigt für die geplante Anlage keine Details. Nicht klar ist, wohin die Anlagen für die Weiterverarbeitung des Stroms zu stehen kommt, ebenfalls offen ist die Frage, wo die bis zu 3000 Arbeiter während der geplanten Bauzeit von fünf bis acht Jahren wohnen werden. Als Knobel die Baustelle des Kernkraftwerks Olkiluoto in Finnland im gleichen Massstab wie die Pläne für das KKN zeigte, meinte eine Frau aus dem Publikum: "Ich verstehe nicht, wie man eine solche Anlage direkt in ein Wohngebiet hinein bauen will." Knobel wies allerdings darauf hin, dass zum Beispiel in Japan Atomanlagen ebenfalls in sehr dicht besiedelten Gebieten stehen.

 Zu reden gaben die während der Bauzeit anfallenden Immissionen. Knobel geht davon aus, dass für den Bau sicher mehr als 400 000 Lastwagenfahrten nötig sein werden. Für die aktivste Bauzeit rechnet Knobel damit, dass jede Minute ein Lastwagen durch Niedergösgen fährt. Dabei wies er auf weitere Grossprojekte hin, die für die nächsten 20 Jahre im Niederamt geplant sind, etwa der Bau des Eppenbergtunnels, später der Rückbau des Kernkraftwerks Gösgen und möglicherweise der Bau eines Tiefenlagers für schwach und mittelaktive atomare Abfälle.

 20 MW für Ventilatoren

 Kritisch beurteilte Knobel auch den geplanten Hybridkühlturm. Nicht einmal wegen seiner Grösse, sondern aus technischen Überlegungen. Der Kühlturm wird für seine Ventilatoren rund 20 Megawatt Strom verbrauchen - in etwa die Leistung des Flusskraftwerks Ruppoldingen, rechnete Knobel vor. Ausserdem werde die Kühlung alles andere als lautlos sein. Das Projekt rechnet für die Nacht mit einer Belastung von 50 Dezibel in Mühledorf. Die WHO empfiehlt eine Maximalbelastung von 40 Dezibel. Für den Lärm am Tag konnte Knobel keine verlässlichen Zahlen nennen, die Belastung sei aber sicher höher.

 Ein weiteres Thema war das Kühlwasser. Die Betreiber versprechen zwar, dass das Wasser der Aare durch die Anlage um nicht mehr als 0,1 Grad erwärmt werden solle. Die Frage blieb an der Versammlung aber unbeantwortet, was passiert, wenn der Fluss wenig Wasser führt. Dabei wurde auf Studien hingewiesen, die davon ausgehen, dass die Wassermenge in der Aare mit der Klimaveränderung in Zukunft eher kleiner sein werde und dass schon im Sommer 2003, als das Wetter lange Zeit ausserordentlich heiss war, das bestehende Kernkraftwerk Gösgen nicht mehr mit voller Leistung betrieben werden konnte.

 Neben dem AKW wohnen?

 Ein weiteres Argument der Gegner des KKN zielte auf die Entwicklungschancen des Niederamts. Das Niederamt wäre eine ideale, attraktive Wohnlage im Grünen zwischen den grossen Agglomerationen Zürich, Bern und Basel. Wenn man aber die Leute darauf anspreche, erhalte man allzu oft die Antwort: "Wer will schon neben einem Atomkraftwerk wohnen?"

 Das Endlager hat zwar mit dem Standort eines Atomkraftwerks direkt keinen Zusammenhang, Knobel geht aber davon aus, dass das Endlager schliesslich dort gebaut werden wird, wo sich die Bevölkerung am wenigsten kritisch gegen Atomanlagen zeigt. Wenn nun behauptet werde, das Niederamt sei atomkraftfreundlich, so liege das unter anderem daran, dass der Widerstand noch zu wenig sichtbar sei. Deshalb müsse man allen klar machen: "Wer Ja sagt zum neuen Atomkraftwerk, sagt auch Ja zum Endlager".

 Kritische Mehrheit

 Das Erstaunliche an der heutigen Situation ist, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung der Atomkraft kritisch gegenüber steht. Andreas Knobel zitierte Zahlen einer Umfrage der Alpiq, in der sich 57 Prozent der Befragten für die weitere Entwicklung erneuerbarer Energien aussprach. In der gleichen Umfrage befürworteten weniger als fünf Prozent der Befragten die Erneuerung und den Ausbau der Kernenergie.

 Die Stimmung an der Veranstaltung war zuversichtlich. "Vor 30 Jahren ist es uns nicht gelungen, das Atomkraftwerk Gösgen zu verhindern, weil der Widerstand auf einen zu kleinen Teil der Gesellschaft beschränkt war", meinte eine Stimme aus der Versammlung. "Heute haben auch Bürgerliche begriffen, dass es auch ohne AKWs geht."

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 Nie Wieder Atomkraftwerke

 NWA (Nie wieder Atomkraftwerke) ist eine Bewegung, die aus dem Widerstand gegen das geplante Kernkraftwerk Kaiseraugst in den 1970er-Jahren gewachsen ist. Sie setzt sich ein für eine Vollversorgung der Schweiz mit erneuerbaren Energien, konsequente Energieeffizienz und gegen Atomkraft. Die Sektion Solothurn wurde am 25. Juni 2009 in Olten gegründet. Weitere Regionalgruppen gibt es in Bern und Thun sowie im Aargau. Der Vorstand im Kanton Solothurn besteht aus Roberto Aletti, Beat Hodel, Jacques Laville (alle Niedergösgen), Käthi Walde Hunkeler (Schönenwerd), sowie Philipp Hadorn (Gerlafingen) und Andreas Knobel (Däniken). Weitere Informationen: http://www.nwa-solothurn.ch. (ca)

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BZ 25.6.10

Schwierige Geldsuche für neue AKW

 Die Linke erhält im AKW-Streit Munition von unerwarteter Seite: Laut Alpiq-Finanzchef sind zwei neue AKW nicht finanzierbar.

 "Der Schweizer Kapitalmarkt ist zwar recht liquide. Aber wir werden die zwei Kernkraftwerke kaum gleichzeitig bauen können." Das sagt Kurt Baumgartner, Finanzchef des Solothurner Stromkonzerns Alpiq, in einem Interview mit der "HandelsZeitung". Baukapazität und Finanzmarktkapazität sprächen für eine zeitliche Staffelung. Ein zweites AKW könne erst nach der Fertigstellung des ersten gebaut werden, also frühestens ab 2025. Denn die Finanzierung werde "alles andere als ein Sonntagsspaziergang".

 Nur mit staatlicher Hilfe?

 Damit spricht der Alpiq-Manager ein Thema an, welches SP und Grüne als ein Argument gegen den Bau neuer AKW ins Feld führen. Sie sagen, keine Versicherung sei bereit, die atomaren Risiken von AKW zu versichern. Daher sei klar, dass neue AKW ohne staatliche Gelder nicht finanzierbar seien. Die AKW-Gegner verweisen dabei gerne auf eine Studie der Bank Citigroup, die zeigt, dass allein mit Privatinvestoren wohl kein neues AKW gebaut werde, weil die finanziellen Risiken zu gross seien. Dies erinnere an die Grossbanken, die im Schadenfall eine faktische Staatsgarantie genössen.

 "Ohne Staatsgarantie"

 Während die Linke daraus schliesst, dass auch aus finanziellen Gründen keine neuen AKW gebaut werden sollten, plädiert der Alpiq-Finanzchef dafür, den Bau der zwei aus seiner Sicht notwendigen neuen AKW zu etappieren. Eine Preisgarantie für Atomstrom, wie dies die Citibank-Studie suggeriere, sei "in der Schweiz nicht machbar" und auch nicht nötig. "Unser Ziel ist es, das Kernkraftwerk ohne Staatsgarantie zu bauen", sagt Baumgartner.

 Taktik von Alpiq?

 Dies sei möglich, wenn alles stimme. Er ist auch überzeugt, Versicherer zu finden, welche ein neues AKW versichern. Die AKW-Betreiber hätten heute "ja auch keine grundsätzlichen Probleme, die bestehenden Werke zu versichern". Wenn ein neues AKW hinzukomme, "ändert dies an der Haftung oder den Risiken nichts Wesentliches".

 Mit seiner Meinung betreffend Etappierung steht der Alpiq-Finanzchef in Kreisen der Wirtschafts- und Stromlobby allerdings ziemlich alleine da. Das ist ein Hinweis darauf, dass es Alpiq einmal mehr vor allem um taktische Spielchen im Wettbewerb der Standorte Mühleberg, Beznau AG und Gösgen SO geht. Axpo-Chef Heinz Karrer sowie der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse sagen im Gegensatz zum Alpiq-Finanzchef, dass zwei neue AKW gleichzeitig finanziert werden könnten.

 BKW, Axpo und Alpiq wollen die neuen AKW gemeinsam als Partnerwerke finanzieren. Und zwar zu rund 40 Prozent mit Eigen- und zu rund 60 Prozent mit Fremdkapital. Die Frage ist, wo sie gebaut werden - sofern das Schweizervolk Ja dazu sagt.
 drh

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Stocks 25.6.10

"Die Marktöffnung führt zu mehr Regulierung"

 Widrige Rahmenbedingungen belasten die Strombranche. Alpiq-Chef Giovanni Leonardi ist aber zuversichtlich für die Zukunft des grössten Schweizer Stromkonzerns.

 Von Pascal Roth

 Alpiq versorgt rund einen Drittel der Schweiz mit Strom und ist in 30 europäischen Ländern im Energiehandel und im Vertrieb tätig. Seit der Fusion von Atel mit der Westschweizer Stromgruppe EOS arbeiten über 10 000 Menschen im Konzern, der einen Jahresumsatz von 15 Milliarden Franken erzielt.

 Stocks: Herr Leonardi, Sie sprechen oft von "Marktöffnung light". Warum?

 Giovanni Leonardi: Viele haben gehofft, dass mit der Liberalisierung des Strommarktes die Deregulierung kommt. Mich stört, dass die Marktöffnung nicht zu weniger, sondern zu mehr Regulierung geführt hat. Die parlamentarische Diskussion über die Strompreise widerspricht der ursprünglichen Idee. Die Anforderung lautet, dass der Verkaufspreis nicht höher sein darf als die Gestehungskosten. Die Politik will den Markt öffnen und gleichzeitig die Preise und die Produktion diktieren. Das kommt nicht gut. Würden Sie Ihr Magazin nach staatlichen Vorgaben produzieren und dann zu den Gestehungskosten verkaufen?

 Findet wenigstens der konjunkturbedingte Strompreisrückgang ein Ende?

 Ein baldiges Ende der schwierigen Konjunktur sehe ich noch nicht. Verschiedene Interventionen der Europäischen Union sind ein Signal, dass die Lage noch instabil ist. An der Strombörse bewegen sich die Preise nach dem Einbruch in der zweiten Hälfte 2008 mehr oder weniger seitwärts. Kürzlich war die Volatilität sehr hoch. Da der konjunkturbedingte Strompreisrückgang von regulatorisch bedingten Strompreiserhöhungen überlagert wurde, hat der Konsument bisher nicht profitieren können. Diverse Faktoren sind dafür verantwortlich: Kostendeckende Einspeisevergütung, Wasserzinsen, Renaturierungs- oder Netznutzungsbeiträge. Die kurzfristige Preisentwicklung kann ich nicht voraussagen. Sicher ist nur, dass der Stromverbrauch mittel- und langfristig kontinuierlich steigt. Seit es Strom gibt, ist das der Fall, und es spricht nichts dafür, dass sich an diesem Trend etwas ändern wird. Entweder gelingt es, die Produktion auszubauen, oder die Verknappung führt langfristig zu höheren Preisen.

 Sie haben beim Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerde eingereicht, die immer noch hängig ist. Worum ging es dabei genau?

 Es geht um die Tarifsenkungen für das Übertragungsnetz durch die Eidgenössische Elektrizitätskommission ElCom für die Jahre 2008 und 2009. Umstritten ist einerseits, ob es das Gesetz erlaubt, einen gewichtigen Teil der Kosten für Systemdienstleistungen - das heisst Dienstleistungen, die der Stabilität des Übertragungsnetzes dienen - den grösseren Kraftwerken mit über 50 Megawatt elektrischer Leistung aufzuerlegen. Zudem fehlt nach unserer Auffassung eine ausreichende gesetzliche Grundlage, Mindererträge aus ITC, also Kompensationen für den Stromtransit, wegen priorisierter Grenzkapazitäten den Inhabern von Langfristverträgen anzulasten.

 Kommen wir zum jungen Unternehmen Alpiq. Wo schlummert nach der Fusion von Atel und EOS das grösste Synergiepotenzial?

 Anders als bei anderen Zusammenführungen sind bei uns die Überschneidungen bisheriger Geschäftstätigkeiten nicht das Hauptthema. Im Vordergrund steht das Wertsteigerungspotenzial, das sich aus der Ergänzung der Geschäftsfelder der beiden bisherigen Firmen ergibt. Wir sind in der Schweiz geografisch breit abgestützt und verbinden neu die Westschweiz, Nordwestschweiz und das Tessin unter einem gemeinsamen Dach. Dank der erweiterten und breit gefächerten Produktion mit Band- und viel Spitzenenergie sind wir flexibler und unabhängiger. Es eröffnen sich uns dadurch auch im Handel und Verkauf europaweit neue Perspektiven. Dank der Fusion können wir auch unsere starke Position im Bereich Energieeffizienz und Energieservice weiter festigen und ausbauen.

 Kann Alpiq im Stromhandel schwache Ergebnisse der Produktion abfedern?

 Die aktuellen Handelsergebnisse erfüllen die Vorgaben. Der Stromhandelsmarkt ist derzeit ziemlich volatil. Dies bringt Chancen im sogenannten Proprietary Trading, mahnt aber auch zur Vorsicht. Das Asset Trading dient der Optimierung des Kraftwerkparks. Im Vordergrund steht das Vermarkten der eigenen Energie und die Produktionsflexibilität.

 Wie stark beeinflussen schwächere Strompreise das Ergebnis?

 Die fixen Kosten sind vom Srompreis unabhängig und damit führen tiefere Absatzpreise zu Margenschwund.

 Und zu einem schwächeren Aktienkurs.

 Auch die Finanzkrise, die generellen wirtschaftlichen Aussichten - insbesondere die Erwartungen in Bezug auf die Energienachfrage - und die schwachen Energiepreise haben ihre Spuren im Aktienkurs hinterlassen. Dazu kommen Unsicherheiten bezüglich weiterer Subventionen für erneuerbare Energien und psychologische Elemente. Schliesslich hat die italienische A2A ihre Alpiq-Beteiligung verkauft, was den Aktienkurs ebenfalls belastet hat. Wir sind überzeugt, dass die heutige Bewertung an der Börse Alpiqs Wert und die hervorragenden Zukunftsperspektiven bei weitem nicht reflektiert.

 Aber Finanzchef Kurt Baumgartner erwartet für das Geschäftsjahr 2010 nochmals eine Umsatzeinbusse ...

 Die allgemeine Konjunktur und die Energiewirtschaft im Besonderen entwickeln sich gemäss unseren Erwartungen. Die einmaligen Effekte, die unser Ergebnis 2009 beeinflusst haben, sind in unserer Vorschau für 2010 berücksichtigt. Am 20. August publizieren wir die Halbjahreszahlen.

 Sie möchten eine Milliarde Franken in den Ausbau erneuerbarer Energien investieren - einen Fünftel davon in der Schweiz. Einsprachen von Tourismus- und Umweltverbänden lassen diese Pläne sehr ehrgeizig erscheinen.

 In der Schweiz investieren wir in Kleinwasserkraftwerke und Windturbinen. Im Inland verfolgen wir rund 100 Projekte und halten an unserem Ziel fest, möglichst viele dieser Projekte zu realisieren. Der politische Wille ist, mehr erneuerbare Energie zu erzeugen. Dazu wollen wir einen massgeblichen Beitrag leisten. Schliesslich braucht die Schweiz einen sinnvollen Energiemix. Tatsächlich ist der Widerstand der Natur- und Umweltverbände beträchtlich. Und auch die Behörden erschweren die Vorhaben mit aufwendigen Bewilligungsprozessen. Auf Bundesebene will man die Projekte zwar beschleunigen, aber auf Gemeinde- und Kantonsebene wird man oft wieder gebremst.

 Müssen Sie dieses Jahr nochmals im Kapitalmarkt aktiv werden?

 Nein, für dieses Jahr brauchen wir kein frisches Kapital. Die bestehenden Projekte laufen, und ansonsten haben wir keine weiteren grossen Investitionen vor uns. Die Kreditlimite über 500 Millionen Franken ist zurzeit nicht beansprucht und erhöht unsere Flexibilität bei der Mittelbeschaffung. Zudem unterstützt dieser Spielraum unsere Anstrengungen, die Verbindlichkeiten des Konzerns sukzessive in der Holding zu konzentrieren. In den nächsten zwölf Monaten haben wir nur wenige Fälligkeiten.

 Die Versorgungssicherheit erfordert den Bau neuer Atomkraftwerke. Wie nehmen Sie Einfluss auf die politische Debatte?

 Ich bin stolz, in der Schweiz mit direkter Demokratie zu leben. Wir wollen die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger orientieren und für energiepolitische Zusammenhänge sensibilisieren. Zentral ist für mich die Botschaft, dass jede Stromproduktionsart ihre Vor- und Nachteile hat und dass man mit einem ausgewogenen Mix am besten fährt. Die Stromproduktion ist wie das Leben: Es gibt keine Patentrezepte und keine eindimensionalen Lösungen. Nicht Ideologie ist gefragt, sondern Vernunft und gesunder Menschenverstand. Davon hat es im Schweizer Volk genug. Wir können nicht einfach von heute auf morgen auf Kernenergie verzichten, es müssten zu grosse Strom-Mengen ersetzt werden.

 Woher kommt das nötige Uran?

 Alpiq selbst kauft kein Uran. Wir sind zu 40 Prozent am KKW Gösgen ...

 ... also dem Kernkraftwerk Gösgen ...

 ... und zu einem knappen Drittel am KKW Leibstadt beteiligt. Seit einigen Jahren verwendet das KKW Gösgen fast ausschliesslich Brennelemente aus wieder aufbereitetem Uran. Es bezieht seine Brennelemente von Areva in Erlangen und deren russischen Unterlieferanten. Ein Teil des Materials stammt aus militärischen Beständen Russlands, vorwiegend aus U-Boot- und Schiffsreaktoren. So leistet das KKW Gösgen einen Beitrag zur Schonung der Ressourcen und zum Abtragen der Hinterlassenschaft des Kalten Krieges.

 Kann man alte Brennelemente wiederverwenden?

 In einem Brennzyklus holt man nur ungefähr fünf Prozent der Energie heraus. Danach kann man das Brennelement "entgiften" und "rezyklieren". Das geschieht bei Areva im französischen La Hague. Auch die Firma MSZ im russischen Elektrostal spielt eine wichtige Rolle und beliefert weltweit rund 40 KKW. Die Sicherheit der Prozesse ist gut belegt und wird von Areva und von ENSI, dem Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspekorat, überwacht. Aber die Verfügbarkeit des "rezyklierten" Materials nimmt ab. Zwar benötigt das KKW Gösgen für die nächsten sieben Jahre kein neues Uran, aber danach wird vermehrt auf Natururan zurückgegriffen. Um die Produktionskosten stabil zu halten, wird aber nicht am Spotmarkt, sondern über langfristige Lieferverträge eingekauft.

 Wie wichtig sind Gaskombikraftwerke?

 Im Geschäftsbereich West sind Alpiqs thermische Kraftwerke in der grossen Mehrheit Gaskombikraftwerke. Die Technologie Gaskombikraftwerk ist bereits aufgrund des Brennstoffes Erdgas vergleichsweise CO2-arm. Alpiqs Kraftwerke setzen auf fortschrittliche Technologie mit besonders hohem Wirkungsgrad und dementsprechend niedrigen CO2-Emissionen. Einige Kraftwerke liefern dank Wärme-Kraft-Kopplung Dampf an Industriebetriebe und erhöhen so den Wirkungsgrad drastisch. Die Effizienz einer sogenannten CCGT, einer Combined-Cycle-Gas-Turbine, ist viel höher.

 Alpiq betreibt im Ausland auch Kohlekraftwerke. Was unternehmen Sie, um die CO2-Emission dieser Anlagen zu minimieren?

 Alpiq hält einen Minderheitsanteil von 20 Prozent an einem Steinkohlekraftwerk im süditalienischen Brindisi. Aktuell läuft dort eine Studie zu einem Repowering für die Umrüstung auf die neueste, CO2-arme Verbrennungstechnologie. Ausserdem betreibt dieses Kraftwerk eine Solarstromanlage mit mehr als 9000 Solarmodulen. In Tschechien haben wir an den Standorten Kladno und Zlin mit heimischer Kohle befeuerte Kraftwerke. Ein Grund ist die langfristige Verfügbarkeit dieser lokalen Primärenergiequelle. Dank modernster Technik und optimalem Betrieb erreichen wir einen hohen Wirkungsgrad. Die optimale Brennstoffausnutzung führt zu minimaler spezifischer CO2-Emission. Zudem wurden in Kladno und in Zlin in den vergangenen Jahren Umbauten durchgeführt. Diese ermöglichen, dass heute zehn Prozent der Bruttofeuerungsleistung durch Biomasse substituiert wird. Da die Verbrennung von Biomasse CO2-neutral ist, kommt dies einer entsprechenden Reduktion der CO2-Emission gleich. Seit Tschechiens EU-Beitritt gelten relativ strenge Umweltgesetze. Folglich hat sich dort die Luftqualität verbessert.

 Nicht so die Zahlungsmoral: Der Bankrott einer tschechischen Genossenschaft hat Alpiq einen Ausfall von 40 Millionen Franken beschert.

 Die Bilanzsumme der Alpiq beträgt 20 Milliarden Franken, insofern können wir den Ausfall verkraften. Aber es ist enorm viel Geld, und es tut natürlich weh. Darum haben wir das Credit Risk Management deutlich verschärft und darüber hinaus die Verkaufsteams angewiesen, grössere Kunden enger und zeitnah zu begleiten. Zudem ist die Berichterstattung intensiviert worden. Heute werden die Debitoren strenger überprüft.

 BKW, Repower und Alpiq planen grosse Wasserkraft-Projekte, wodurch ein Engpass im Netz entstehen wird ...

 Das ist seit längerem ein Thema. Das Bundesamt für Energie hat dafür eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Diese hat einen Vorschlag zum Ausbau des strategischen Netzes vorgelegt. In Sachen Strom ist die Schweiz die Drehscheibe Europas. Wenn der Flaschenhals genau in der Drehscheibe entsteht, ist die europäische Netzstabilität in Gefahr. Die Stromautobahnen müssen ausgebaut werden, damit wir die neuen Wasserkraftprojekte auch einsetzen und die gesamteuropäisch immer höheren Mengen an kaum planbaren erneuerbaren Energien absorbieren können.

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 Zur Person

 Giovanni Leonardi Der CEO der Alpiq Holding wurde am 29. September 1960 in Faido (TI) geboren. Der sportbegeisterte Tessiner ist diplomierter Elektroingenieur und arbeitete von 1984 bis 1988 in der Entwicklung der Laboratories RCA in Zürich und von 1989 bis 1991 im Verkauf bei Celio Engineering in Ambri. Für die Alpiq-Gruppe arbeitet Leonardi seit 1991. Bis 1993 war er Leiter Fernübertragungs-/Fernsteuerungssysteme und Büroinformatik bei Aare-Tessin in Bodio. Zwischen 1994 und 1997 war er Direktor der SARR in Lugano und in gleicher Funktion von 1998 bis 2004 der Atel Installationstechnik in Zürich. Leonardi ist Verwaltungsratspräsident der Società Elettrica Sopracenerina in Locarno und VR-Mitglied bei Romande Energie. Leonardi ist verheiratet und Vater einer erwachsenen Tochter. Seine Hobbys sind Skifahren, Bergwandern und Reisen.

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Basler Zeitung 25.6.10

Einst ein Endlager, heute ein Fass ohne Boden

 Jahrtausende hätte das deutsche Atommülllager Asse halten sollen - nach gut 30 Jahren ist es ein Sanierungsfall

 Benedikt Vogel, Remlingen

 Die langfristige Lagerung von Atommüll ist technisch machbar, versichern Anhänger der Nuklearenergie. Das Endlager Asse im Bundesland Niedersachsen hat allerdings einen Makel: Es hätte, so Experten, nie in Betrieb genommen werden dürfen.

 Asse, das ist der Name eines Hügelzugs - und es ist der Name eines ehemaligen Salzbergwerks unter diesem Hügel, 20 Kilometer südlich von Braunschweig. Hier hat die Bundesrepublik von 1967 bis 1978 schwach- und mittelaktiven Abfall eingelagert. Filter, Schrott, Schlämme, Schutzkleidungen, alles radioaktiv kontaminiert. Der Müll stammte aus Atomkraftwerken, aber auch aus Forschungseinrichtungen der Industrie und der Medizin.

 UNSICHER

Das Endlager Asse hätte Tausende, ja Hunderttausende Jahre halten sollen. Nach gut 30 Jahren aber ist die Deponie ein akuter Sanierungsfall. Salzhaltiges Wasser dringt in den vermeintlich sicheren Salzstock. Die Verantwortlichen sind alarmiert. Käme das Wasser mit dem radioaktiven Abfall in Kontakt und würde nachher an die Oberfläche gespült, könnte im schlimmsten Fall das Grundwasser verseucht werden.

 Hinzu kommt, dass Gebirgsdruck die Stabilität der Lagerstätte bedroht. In den letzten 50 Jahren hat sich der Fels stellenweise um bis zu sechs Meter verschoben. Nach aktuellem Kenntnisstand ist die Standsicherheit der Deponie nur noch für zehn Jahre gewährleistet. Danach droht der Einsturz.

 SORGLOS WEGGEKIPPT

Am diesem Tag ist eine Gruppe von Journalisten 725 Meter tief in die Grube gefahren. Gut 30 Grad warm ist es hier unten. Die Wände schmecken salzig. Ein Gewölbegang führt zu Kammer 7, einer der 13 Kammern, in denen radioaktiver Müll lagert. Die Decke, pures Kochsalz, strahlt hell im Licht einer Halogenlampe. Die Lüftungsanlage donnert dumpf.

 "Hier liegen die Fässer", sagt Grubenführerin Annette Parlitz. Der Kegel ihres Handscheinwerfers fällt durch ein Absperrgitter. In den frühen 70er-Jahren haben Radlader die Atommüllfässer ohne besondere Vorkehrungen in die Kammer gekippt, dann wurde eine Schicht Salz darübergeschoben. 8500 Fässer lagern in dem 30 mal 40 Meter grossen und 15 Meter hohen Raum. Ein Teil der Behälter wurde damals, vermutet man heute, beschädigt. Erhöhte Radioaktivitätswerte wurden bisher allerdings nicht gemessen.

 FALSCH DEKLARIERT

126 000 Fässer und Gebinde liegen in der Asse. Ende Jahr laufen Untersuchungen an, die zeigen sollen, welche Gefahr von ihnen ausgeht. Die Kammern, in der Regel mit Beton verschlossen, sollen zu diesem Zweck angebohrt werden. Kameras werden den Zustand der Fässer erkunden, Sonden Gase und Radioaktivität messen. Später werden die Kammern geöffnet und der Zustand der Fässer und Gebinde genauer untersucht.

 Welche Gefahren in der Asse schlummern, ist ungewiss. Zwar wurde der Inhalt jedes Fasses auf einer Karteikarte verzeichnet. Die Dokumentation entspricht aber nicht den heutigen Standards. Bei Inhaltsanalysen von 25 Probefässern waren die Angaben bei jedem zweiten Fass fehlerhaft.

 VERTRAUENSOFFENSIVE

"Die Fässer hätten hier nie eingelagert werden dürfen", sagt Wolfram König. König ist Präsident des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS), welches das Endlager Asse Anfang 2009 vom vorigen Betreiber übernommen hat und seither unter den strengen Auflagen einer kerntechnischen Anlage führt. König - Grünen-Mitglied, Ingenieur und 1999 von der rot-grünen Regierung Schröder an die Spitze der Behörde gehievt - steht im Infopavillon neben der Schachtanlage, welcher der Öffentlichkeit mit Animationen die Probleme des Endlagers vor Augen führt.

 König will mit "offensiver" Kommunikation verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Auch durch Einbindung der kritischen Bürgerinitiativen vor Ort. Durch Info-Schriften. Durch die Veröffentlichung von radiologischen Werten im Internet. Die Anwohner des Endlagers fühlen sich nämlich von den ehemaligen Betreibern der Asse getäuscht, belogen. Diese hatten über Jahrzehnte behauptet, das Lager sei sicher. Hatten über Jahre verschwiegen, dass von aussen Salzlauge in die Lagerstätte eindringt und diese gefährdet.

 ALLES AUSGRABEN

Lange Zeit hat kaum jemand auf die kritischen Bürger gehört. Auch die Medien ignorierten den Widerstand gegen das Endlager Asse lange Zeit. Erst in den Jahren 2006/2007 wurde die marode Deponie zum landesweiten Thema. Auch dank Sigmar Gabriel - damals deutscher Umweltminister, heute SPD-Chef -, der in der Gegend des Endlagers seinen Wahlkreis hat.

 Unterdessen hat das Bundesamt für Strahlenschutz drei Möglichkeiten geprüft, um die Deponie in einen dauerhaft sicheren Zustand zu bringen: Umbettung der Abfälle in eine tiefer liegende Schicht des Salzstocks. Verfüllung der verbliebenen Hohlräume mit Beton. Oder Bergung der 126 000 Fässer und Transport in eine sichere Lagerstätte.

 Das Bundesamt für Strahlenschutz plädierte am Ende für den dritten Weg. Nur so könne der Nachweis der Langzeitsicherheit gelingen, wie ihn die heutigen Gesetze für ein Endlager verlangen. Werden die Fässer geborgen, würden sie in die nahe gelegene Schachtanlage Konrad gebracht, wo gegenwärtig ein Lager für schwach- und mittelaktive Abfälle entsteht.

 ZEITDRUCK

Die Sanierung der Deponie steht unter Zeitdruck. Allein für die Planung der Rückholung veranschlagen Juristen unter den Vorzeichen des Atomrechts zehn Jahre. Die Rückholung selber würde abermals elf Jahre in Anspruch nehmen. Um die Anwendung von Dringlichkeitsrecht zu vermeiden, hofft BfS-Präsident König durch weitere Untersuchungen den Nachweis erbringen zu können, dass das Bergwerk auch über das Jahr 2020 hinaus stabil ist. Damit wäre zumindest Zeit für die nötige Sanierung gewonnen.

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Deutsche AKW-Betreiber sollen Sanierung mitfinanzieren

 Regierung Merkel möchte Einnahmen aus der neuen Brennelementesteuer auch für die Räumung der Deponie Asse verwenden

 Benedikt Vogel, Berlin

 Eine Sanierung des Atomendlagers Asse wird Milliarden verschlingen. Die deutsche Regierung möchte dafür die AKW-Betreiber zur Kasse bitten. Doch diese winden sich. Eine rechtliche Verpflichtung besteht nicht.

 Die Umweltsünden sind sehr verschieden, doch die Fragen nach der Verantwortung sind dieselben: In Deutschland waren es die Betreiber von Atomkraftwerken, welche einen grossen Teil der Abfälle in die heute marode Atommülldeponie Asse verfrachtet haben. In der Region Basel stammt ein wesentlicher Teil des gefährlichen Abfalls in den Deponien, die heute aufwendig saniert werden müssen, von der chemischen Industrie.

 RUNDER TISCH

Wer trägt die Verantwortung? Wer die Kosten? Diese Fragen spalten heute die Geister, in Deutschland ebenso wie in der Schweiz. Die Stimmberechtigten des Kantons Baselland haben am vorletzten Sonntag zwei grüne Initiativen bachab geschickt, die die gesamten Kosten für die Sanierung drei Muttenzer Deponien der chemischen Industrie - nach vagen Schätzungen 750 Millionen bis 1,5 Milliarden Franken - aufbürden wollten. Jetzt werden die Kosten für die Sanierungen - soweit sie denn realisiert werden - am Runden Tisch verteilt.

 Anders bei der Sanierung der Deponie Le Letten im elsässischen Hagenthal-le-Bas. Die Kosten von 20 Millionen Euro (gegen 30 Millionen Franken) zahlt die chemische Industrie. Sie übernimmt auch die schon abgeschlossene Teilsanierung der Deponie Hirschacker im deutschen Grenzach und die kürzlich in Angriff genommene Sanierung der Sondermülldeponie im jurassischen Bonfol.

 Je umfassender die Projekte, desto heftiger der Streit ums Geld. Das zeigt das Beispiel der Atommülldeponie im niedersächsischen Asse. Dort steht das Sanierungskonzept noch nicht fest. Auch für die Kosten gibt es erst Schätzungen. Sollten die 126 000 Fässer tatsächlich aus dem Salzbergwerk gehoben und anderswo endgelagert werden, drohen Aufwendungen zwischen zwei und 3,7 Milliarden Euro (2,9 bis 5,4 Milliarden Franken).

 Geborgen werden müssen in der Asse nicht nur die 50 000 Kubikmeter Atommüll, sondern noch einmal dieselbe Menge Füllmaterial, das durch den Abfall möglicherweise radioaktiv verseucht wurde. Zurzeit sind im Endlager 300 Personen beschäftigt. Weitere 70 Leute kümmern sich im Bundesamt für Strahlenschutz um die Verwaltung der maroden Deponie. Die Kosten dürften am Ende in schwindelerregender Höhe liegen. Gleichwohl werden sich die deutschen Energieversorger daran nach jetzigem Stand mit keinem Euro beteiligen müssen. Die Asse war zum Zeitpunkt ihres Betriebs nämlich offiziell eine Forschungseinrichtung des Bundes. Sie nahm den strahlenden Abfall über einen langen Zeitraum unentgeltlich entgegen. Erst in den letzten Jahren wurde eine - vergleichsweise geringe - Gebühr erhoben. Nie bestand eine rechtliche Grundlage, welche die Produzenten des Abfalls - also insbesondere die Betreiber der deutschen Atomkraftwerke - zu einer Beteiligung an den Sanierungskosten verpflichtet hätte. Für diese muss damit einzig und allein der Staat geradestehen.

 ZANK UM STEUER

Doch möglicherweise ist in dieser Frage das letzte Wort noch nicht gesprochen. Im Rahmen ihres vor Kurzem vorgestellten Pakets zur Sanierung der Staatsfinanzen hat die christlich-liberale Regierung in Berlin nämlich die Einführung einer Brennelementesteuer angekündigt. Die Belastung des Kernbrennstoffs soll ab 2011 jährlich 2,3 Milliarden Euro in die Kassen des deutschen Finanzministers spülen. Ein Teil der Einnahmen könnte zur Deckung der Sanierungskosten der Deponie Asse herangezogen werden. Das bestätigte Wolfram König, Präsident des deutschen Bundesamts für Strahlenschutz, auf eine Frage der BaZ.

 Noch sind die erhofften Milliardenbeträge aber nicht verfügbar. Bei einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel meldeten die Chefs der vier grossen deutschen Energieversorgungsunternehmen vorgestern ihren Widerstand gegen die neue Brennelementesteuer an und stellten gerichtliche Schritte gegen die geplante Abgabe in Aussicht.

 GETEILTE VERANTWORTUNG

Wo Umweltsünden früherer Jahre behoben werden müssen, da stehen Wirtschaftsunternehmen in der Pflicht - aber nicht nur sie. Dies illustriert das Beispiel der Sondermülldeponie im aargauischen Kölliken. Die Deponie war von 1978 bis 1985 von einem Konsortium betrieben worden, in dem neben der Basler chemischen Industrie die Kantone Aargau und Zürich sowie die Stadt Zürich vertreten waren. Seit drei Jahren wird die Deponie, die das Grundwasser gefährdet, rückgebaut; die Giftstoffe werden fachgerecht entsorgt. Die Kosten - gegen 700 Millionen Franken - werden von den vier Konsortialpartnern getragen. Die öffentliche Hand ist damit an der Sanierung massgeblich beteiligt.

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 Sondermülldeponie Kölliken (Kanton Aargau)
 Sanierung: 2007-2015
 Kosten: 700 Millionen Franken

 Asse (Niedersachsen)
 Sanierung: Termin offen Kosten: umgerechnet bis zu 5,4 Milliarden Franken

 Deponie Bonfol (Jura)
 Sanierung: 2010-2014
 Kosten: 350 Millionen Franken

 Hirschacker (Grenzach)
 Sanierung: 2007-2009
 Kosten: umgerechnet rund 19 Millionen Franken

 Deponie le Letten (Elsass)
 Sanierung: ab 2010 Kosten: 30 Millionen Franken

 Die Grösse der Fässer drückt das Verhältnis der (geschätzten) Kosten zur Sanierung der Deponien aus. Grafik BaZ/jw