MEDIENSPIEGEL 1.7.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo, SLP, Kino)
- Reitschule bietet mehr: Schauspieler gegen Initiative
- SP will Nachtleben-Strategie
- Wohnnot in Bern
- Rabe-Info 30.6. + 1.7.10
- Bleiberecht: Protestmarsch; Tagebuch des Ungehorsams; Sonderflüge
- Big Brother: Schöne neue Fichenwelt
- Big Brother Sport BS: Gratis-Cops + teurere Tickets
- Aufruf Knast-Demo FR
- Anti-Hakenkreuz-Strafnorm wird nicht verschärft
- Holocaust-Leugner im Wallis
- Drogen: "Paco" wütet in Peru
- Fussball-WM: Autonome Flaggen-Jagd in Berlin

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REITSCHULE
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Do 01.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
20.30 Uhr - Tojo - "Die Dällebach-Macher" Das Musical zum Musical von/mit: Pascal Nater, Michael Glatthard
20.30 Uhr - Kino - Südafrika jenseits des WM-Taumels: Amandla! A Revolution in Four Part Harmony, Südafrika 2002

Fr 02.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof

Sa 03.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
22.30 Uhr - Innenhof - Eugene Chadbourne (USA) - solo: "Soccer-Punch: Dr. Chadbournes Take on Football"

So 04.07.10
9.00 Uhr - Grosse Halle - Flohmarkt und Brunch im SousLePont
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
19.00 Uhr - Tojo - "Die Dällebach-Macher" Das Musical zum Musical von/mit: Pascal Nater, Michael Glatthard

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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BZ 1.7.10

Schöner Neiden

 Bald beginnen die Thuner Seespiele, die den Coiffeurmeister Dällebach aus der Versenkung holen. Angetrieben vom Erstaunen über die Musical-Vereinnahmung des Berner Stadtoriginals, aber auch vom stillen Neid, selber nicht für Tausende komponieren zu dürfen, haben Pascal Nater und Michael Glatthard ein "Musical zum Musical" erarbeitet. "Die Dällebach-Macher" ist ein Abend mit zwei ineinander verstrickten Ebenen: Ausgehend von der szenischen Präsentation einer Recherche, wird ein eigenes Musical erträumt. pd

 Aufführungen: Do, 1. 7., und Mo, 5. 7., jeweils um 20.30 Uhr, So, 4. 7., 19 Uhr, im Tojo-Theater Bern. Infos und Reservation: http://www.tojo.ch.

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Ron Orp's Mail Bern 30.6.10
http://www.ronorp.net/bern/stadtseite/heute-in-ron-orp/current/view/926/bern/?subscribe_id=

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Reithalle brennt

Wenn deine Grosi meint, die Reithalle sollte runterbrennen, dann verkennt sie das kulturelle Angebot & sollte baldigst umgestimmt werden (noch vor der Abstimmung). Heute ist ideal für einen gemeinsamen Besuch: Hast du ein Theatergrosi, gehst du ins Tojo, ist's ein Fussballgrosi, kannst du draussen den Match schauen & wenn die Alte politisch wird, dann ab an den Südafrika-Infoabend.

Musical / Infoabend

Abends, Reithalle

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REITSCHULE BIETET MEHR
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kulturstattbern.derbund.ch 30.6.10

Von Gisela Feuz am Mittwoch, den 30. Juni 2010, um 13:53 Uhr

Schauspieler gegen die Anti-Reitschul-Initivative

Die Schweizer Schauspiel-Cervelatprominenz macht mobil gegen die erneute Anti-Reitschul-Initiative der SVP. Unter anderem haben sich Gilles Tschudi ("Grounding", "Lüthi und Blanc"), Andreas Matti ("Fasch ä Familie", "Lüthi und Blanc"), Esther Gemsch ("Lüthi und Blanc", "Tell", "Heldin der Lüfte"), Doro Müggler ("Zwerge sprengen") und Nina Bühlmann ("Räuberinnen") dazu bereit erklärt, in kurzen Spots aufzutreten, welche Position beziehen gegen den Verkauf der Reitschule an den Meistbietenden, wie dies von der SVP gefordert wird, welche lieber ein Hallenbad, ein Parkhaus, Büros oder ein Einkaufszentrum an der Stelle des Kulturtempels sehen würde.

Überreden hätte man die Leute nicht müssen, so einer der Produzenten, ganz im Gegenteil hätten sich alle sofort bereit erklärt, bei diesen Spots mitzumachen und auch auf ihre Gagen verzichtet. Dies tat übrigens auch die gesamte Film-Crew. Löblich, löblich! Hoffentlich nützts (der Stadtrat hat die Initiative jedenfalls gerade deutlich abgelehnt, das letzte Wort wird aber erst in der Volksabstimmung im September gesprochen werden) und hoffentlich ist dann endlich Ruhe mit diesem ewigen Sandkasten-Geschtürm.

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Spot 1: Party
http://www.youtube.com/watch?v=DmN_7P7HXl0
Spot 2: Kino
http://www.youtube.com/watch?v=ZIg_Qd4irPU
Spot 3: Theater
http://www.youtube.com/watch?v=Yz4cbxctSvs
Spot 4: Restaurant
http://www.youtube.com/watch?v=QuoLhGDcHgk

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NACHTLEBEN
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20 Minuten 1.7.10

Nachtleben: Politik muss aktiv steuern

 BERN. Die SP der Stadt Bern ist nicht glücklich darüber, dass der Gemeinderat darauf verzichtet, aktiv mitzureden beim Thema Nachtleben. In ihrer Antwort auf einen GFL-Vorstoss habe die Stadtregierung zu verstehen gegeben, dass sie sämtliche Entscheide rund ums Nachtleben nur zu gern dem Regierungsstatthalteramt überlasse. Die Stadt würde es so aber verpassen, die Federführung in einem wichtigen Thema zu übernehmen, so die SP. Deshalb doppelt sie nun nach: Der Gemeinderat soll eine konkrete Strategie zum Nachtleben ausarbeiten und darin festhalten, wie und mit welchen Mitteln die Stadt das Nachtleben fördert. Auch brauche es in der Stadtverwaltung klare Ansprechpersonen für das Nachtleben, etwa eine neutrale Beratungsstelle. Zudem müsse sichergestellt werden, dass Security-, Lärm- und Jugendschutzprojekte wirklich umgesetzt würden.  sah

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WOHNNOT
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Bund 1.7.10

Die Stadt Bern hat zu wenig Wohnungen

 In der Stadt Bern herrscht Wohnungsnot. Der Leerwohnungsbestand ist unter die 0,5-Prozent-Limite gesunken. Am 1. Juni gab es 335 leere Wohnungen, was einer Leerwohnungsziffer von 0,45 Prozent entspricht. Am gleichen Stichtag des Vorjahres lag der Leerwohnungsbestand noch bei 0,6 Prozent. "Der Trend zurück in die Stadt ist ungebrochen", sagt Regula Buchmüller, Leiterin der Abteilung Stadtentwicklung. Die Anstrengungen bei der Wohnbauförderung "reichen noch nicht aus". Der Mieterverband wirft der Stadt vor, sie unternehme zu wenig zur Förderung günstigen Wohnraums. (bob) - Seite 21

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"Trend zurück in die Stadt ist ungebrochen"

 In der Stadt Bern herrscht Wohnungsnot. Der Leerwohnungsbestand ist erneut unter die 0,5-Prozent-Marke gesunken. Die Ankurbelung des Wohnungsbaus vermag die Nachfrage kaum zu befriedigen. Der Mieterverband fordert mehr billigere Wohnungen.

 Bernhard Ott

 Wer in der Stadt Bern eine 3-Zimmer-Wohnung für maximal 1800 Franken im Monat sucht, hat es nicht leicht. "Günstige Wohnungen an guter Lage gehen meist unter der Hand weg", sagt eine 31-jährige Zuzügerin aus Zürich, die demnächst Mutter wird. Die im Anzeiger oder im Internet publizierten Wohnungen seien entweder zu teuer - oder die Interessenten stünden bei der Wohnungsbesichtigung Schlange.

 Massenaufmärsche bei Wohnungsbesichtigungen wird es noch längere Zeit geben. Gemäss einer Mitteilung der Stadt standen am 1. Juni bloss 335 Wohnungen oder 0,45 Prozent aller Wohnungen leer. Am gleichen Stichtag des Vorjahres gab es noch 443 leere Wohnungen (0,6 Prozent). Somit hat der Bestand innerhalb eines Jahres um 24,4 Prozent abgenommen. Am knappsten ist der leere Wohnraum in der inneren Stadt und in der Länggasse (siehe Box). Bei einem Leerwohnungsbestand unter 0,5 Prozent spricht man gemeinhin von Wohnungsnot.

 "Extremer Nachholbedarf"

 "Die 0,5-Prozent-Grenze ist einfach eine Zahl", sagt Regula Buchmüller, Leiterin der Abteilung Stadtentwicklung. Die Statistiker seien sich nicht einig, ob bereits ein Leerwohnungsbestand unter einem Prozent oder erst einer unter 0,5 Prozent als Wohnungsnot gelte. Sicher sei indes, dass die Nachfrage das Angebot übersteige. Der Trend zurück in die Stadt sei nach wie vor ungebrochen. Bei der letzten Zählung im Vorjahr sei die Einwohnerzahl der Stadt Bern noch deutlich unter 130 000 gelegen. Heute zähle die Stadt schon fast 131 000 Einwohner. "Wir haben einen extremen Nachholbedarf bei grösseren Wohnungen." In den letzten Jahren seien zwar zahlreiche Neuüberbauungen realisiert oder geplant worden. "Aber es reicht offensichtlich noch nicht."

 Bezüglich Einwohnerzahl hat sich der Gemeinderat hohe Ziele gesteckt: So soll die Stadt bis 2012 auf 135 000, bis 2020 gar auf 140 000 Menschen anwachsen. "Will man die Einwohnerzahl derart erhöhen, soll man auch etwas tun dafür", sagt Grossrat Michael Aebersold (SP), Präsident des Mieterverbandes Bern und Umgebung. Bereits als Stadtrat hat sich Aebersold verschiedentlich für die Förderung des gemeinnützigen Wohnbaus eingesetzt. "In der Stadt Bern gibt es zu wenig Wohnraum für Leute mit kleinem Budget", sagt Aebersold. Bei Sanierungen würden die Mieten oft unverhältnismässig ansteigen. Auch beim Neubauprojekt im Stöckacker zum Beispiel, einem ökologischen Vorzeigeprojekt, werde mit dem Abriss der alten Wohnblöcke billiger Wohnraum vernichtet. "Durch die Förderung des genossenschaftlichen Wohnbaus entstünden auch wieder bezahlbare Wohnungen", sagt Aebersold.

 "Eher teure Neubauwohnungen"

 "Die Hälfte aller Wohnungen in den letzten sechs Jahren wurde von Genossenschaften gebaut", hält Regula Buchmüller fest. Neubauwohnungen seien in der Tat eher teuer, zumal vermehrt nachhaltig gebaut werde. Neubauten trügen aber auch dazu bei, "dass der Druck auf die Altwohnungen abnimmt".

 Natürlich wolle die Stadt auch gute Steuerzahler anziehen und habe daher nicht nur billige Wohnungen im Portfolio. Bei Bauvorhaben verfolge der stadteigene Fonds für Boden- und Wohnbaupolitik aber nicht nur Rendite-Überlegungen. So sei die Realisierung der Überbauung am Centralweg in der Lorraine auch auf preisgünstigen Wohnraum ausgerichtet. Und beim Projekt an der Mutachstrasse in Holligen strebe man den Bau von Niedrigstandardwohnungen an. "Mit der Wohnbaupolitik soll nicht zuletzt auch eine gute soziale Durchmischung der Quartiere gewährleistet werden", sagt Buchmüller.

 Bis zum Bezug dieser Überbauungen mag die 31-jährige Zuzügerin aus Zürich aber nicht warten. Zudem sucht sie eher eine Wohnung in der Länggasse, wo der Leerwohnungsbestand besonders tief ist. Ganz ohne Beziehungen dürfte es da in der Tat nicht gehen. "Ich bin zurzeit für eine Wohnung im Gespräch, die auf Facebook ausgeschrieben war", sagt die junge Frau.

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 Eine Lanze für Bümpliz

 Am meisten Leerwohnungen gibt es in Bümpliz (92 Wohnungen) und im Mattenhof (85). Im Kirchenfeld stehen 70 und im Breitenrain 39 Wohnungen leer. Am knappsten ist der Wohnraum in der inneren Stadt (25) und in der Länggasse (24). Bernardo Albisetti, Präsident der Quartierkommission Bümpliz-Bethlehem, betont, dass der Leerstand in Beziehung zur Bevölkerungszahl gesetzt werden müsste. So gerechnet, weise die Innenstadt den grössten Leerstand auf. Bümpliz folge auf Rang vier - noch vor Länggasse und Breitenrain. (bob)

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BZ 1.7.10

Wohnraum wird erneut knapper

 In der Stadt Bern sank die Zahl der leeren Wohnungen um fast 25 Prozent. Am meisten Leerwohnungen gibt es in Bümpliz.

 Wohnraum ist in der Stadt Bern Mangelware. Die städtischen Statistikdienste zählten am Stichtag 1. Juni 2010 gerade einmal 335 leere Wohnungen. Gegenüber dem Vorjahr entspricht dies einer Abnahme von fast 25 Prozent. Damit sank die Leerwohnungsziffer von 0,6 auf 0,45 Prozent. Die meisten der freien Wohnungen verfügen über zwei oder drei Zimmer. Damit ist auch grosser Wohnraum knapp. Am Stichtag standen 58 Vierzimmerwohnungen, 11 Fünfzimmerwohnungen und lediglich 2 Sechszimmerwohnungen leer. Dass die Nachfrage nach Wohnraum gross ist, zeigt, dass seit dem Stichtag bereits 81 der leer stehenden Wohnungen vermietet oder verkauft worden sind.

 Vor allem Büros sind leer

 Auch bei den Geschäftsräumen ist der Leerbestand gegenüber 2009 gesunken. Am Stichtag zählte die Stadt 182 leere Geschäftslokale mit einer Gesamtfläche von 46 218 Quadratmetern. Damit ist die verfügbare Fläche um 11,5 Prozent gesunken. Die Zahl der Objekte hingegen hat sich um 11 Einheiten respektive um 6,4 Prozent erhöht. Bei den 182 leeren Geschäftslokalen handelt es sich in 80 Fällen um Büro- oder Praxisräume und bei 58 Objekten um Lagerräume. Die städtischen Statistiker zählten nur gerade 9 leere Verkaufslokale sowie 6 Arbeitsräume der Kategorie Werkstatt und Fabrikation. Seit dem Stichtag sind bereits 11 der 182 Leerbestände vermietet oder verkauft worden.

 Wo was leer steht

 Gemäss der Zählung der Statistiker weist der Stadtteil Bümpliz-Oberbottigen mit 92 am meisten Leerwohnungen aus. Den Spitzenplatz belegt dieser Stadtteil auch bei den Arbeitsräumen: In Bümpliz gab es am Stichtag 14 892 Quadratmeter leere Gewerbefläche. Platz zwei und drei bei den Leerbeständen belegen die Stadtteile Mattenhof-Weissenbühl und Kirchenfeld-Schosshalde. Am wenigsten freie Wohnfläche gibt es in der Innenstadt und im Stadtteil Länggasse-Felsenau.

 Der detaillierte Bericht zu den Leerbeständen wird auf der Homepage der Stadt Bern publiziert. Zuerst allerdings wird gezügelt: Ab dem 14. Juli befinden sich die städtischen Statistikdienste neu im Erlacherhof. Dies, weil sie der Präsidialabteilung angegliedert sind.
 pd/as

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20 Minuten 1.7.10

Bern: Nur 335 leere Wohnungen

 BERN. In der Stadt Bern standen am 1. Juni 2010 (Stichtag) 108 Wohnungen weniger leer als vor einem Jahr, nämlich nur deren 335. Davon waren 81 bereits wieder vermietet oder verkauft. Ein neuer Tiefststand ist dies aber nicht: 1990/91 standen in der Bundesstadt weniger als 100 Wohnungen leer. Die grösste Auswahl an freien Wohnungen hatten Zügelwillige 1999; damals verzeichnete Bern fast 700 freie Wohnungen. Am meisten Leerwohnungen gibts nach wie vor im Stadtteil Bümpliz-Oberbottigen, gefolgt vom Mattenhof-Weissenbühl-Quartier sowie Kirchenfeld/Schosshalde.

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RABE-INFO
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Do 1. Juli 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_1._Juli_2010.mp3
- 200'000 Fichen beim Staatsschutz- kaum Chancen auf Einsicht
http://www.edoeb.admin.ch/dokumentation/00612/00653/00664/index.html?lang=de#sprungmarke0_6
- Konzept fürs Berner Nachtleben- SP will Ruhe in die Clubszene bringen
- Frauenmagazin Mascara- Einblicke in die Redaktionssitzung
http://www.gassenarbeit-bern.ch/2_mascara.htm

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Mi. 30. Juni 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_30._Juni_2010.mp3
- Prävention auf dem Strassenstrich: Projekte der Aidshilfe und der kirchlichen Gassenarbeit Bern
http://www.don-juan.ch/
- Zukunft der Zeitzeugen: Erinnerungen an die Verbrechen im zweiten Weltkrieg wach halten
- Zirkus Upsala: soziales Projekt aus Russland zu Gast in der Schweiz

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BLEIBERECHT
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Bund 1.7.10

Berner Protestmarsch gegen die Asylpolitik des Bundes

 Mit einer Kundgebung machten gestern in der Innenstadt erneut Hunderte Sans-Papiers auf ihre Anliegen aufmerksam.

 Die Kundgebung startete vor dem Bundesamt für Migration in Wabern. Anschliessend zogen die Teilnehmer zum Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) beim Bundesplatz. Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf habe sie bisher nicht empfangen wollen, teilten die Verantwortlichen der Protestaktion in einem Communiqué mit. Dabei wäre es für die Bundesrätin ein Leichtes, von ihrem Büro zum nahen Park der Kleinen Schanze zu kommen, heisst es in der Mitteilung weiter. Offenbar wolle Widmer-Schlumpf den Betroffenen ihrer Politik nicht in die Augen schauen.

 Bereits am vergangenen Samstag waren gegen 5000 Menschen einem Aufruf der Organisation Solidarité sans frontières zu einer Kundgebung gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Bern gefolgt. In der Parkanlage auf der Kleinen Schanze haben seit dem Wochenende gegen 200 Sans-Papiers, Flüchtlinge und Sympathisanten ein Protestcamp aufgeschlagen. Sie fordern unter anderem eine kollektive Regularisierung der Sans-Papiers. Zahlreiche Organisationen und Gruppierungen unterstützen den Protest.

 Der Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause will das Camp bis am Freitagmorgen tolerieren, sofern die Teilnehmer sich ruhig und friedlich verhielten und niemanden störten. (sda)

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BZ 1.7.10

Sans-Papiers

 Protestmarsch durch Bern

 Die Aktivisten, die in Bern die Kleine Schanze besetzen, demonstrierten gestern für mehr Rechte für Ausländer in der Schweiz.

 Die Kleine Schanze in Bern hat mehr Farbe abbekommen: bunte Schriftzüge auf Protestschildern, grüne, blaue und rote Zelte in allen Grössen. Und Menschen mit verschiedenen Hautfarben. Seit letztem Samstag besetzen nach Angaben der Organisatoren rund 200 Sans-Papiers und Sympathisanten die Kleine Schanze. Sie fordern mehr Rechte für Ausländer in der Schweiz. Daher marschierte die bunte multikulturelle Gruppe gestern Nachmittag zum Bundesamt für Migration und zum Bundeshaus.

 Die linken städtischen Parteien bezeichnen das Zeltlager als "friedliche Besetzung". Unter anderem schloss sich das Grüne Bündnis den Forderungen der Besetzer an.

 "Zelt- und Brätli-Plausch"

 Rechte Parteien sehen in der Besetzung keinen Nutzen für die Sans-Papiers. Beispielsweise verurteilte die Berner FDP die Aktion als "Zelt- und Brätli- Plausch". Der Zürcher Nationalrat Hans Fehr (SVP) fordert in einem Leserbrief die Behörden auf, das Zeltlager zu räumen. Der Staat drohe andernfalls vor die Hunde zu gehen.

 Guy Huracek

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WoZ 1.7.10

SANS-PAPIERS-CAMP - Flüchtlinge und Papierlose halten seit letztem Samstag einen Park beim Berner Bundeshaus besetzt. Gemeinsam mit SympathisantInnen kämpfen sie für eine kollektive Regularisierung.

 Tagebuch des Ungehorsams

 Von Dinu Gautier (Text) und Manu Friederich (Foto)

 Courant abnormal (Samstag)

 Die Kleine Schanze, ein Park unweit des Bundeshauses, am Samstagnachmittag: Ein paar Lieferwagen rasen in den Park, hektisch wird Material entladen, bevor die Polizei reagieren kann. Eine Stunde später ist ein Zeltdorf errichtet. Dazwischen tummeln sich vergnügt etwa 300 Menschen. Zuvor haben in der Innenstadt Tausende gegen Rassismus und Ausgrenzung demonstriert.

 Die BesetzerInnen sind gekommen, um zu bleiben. Um im Park zu bleiben, zumindest für eine Woche, und vor allem um in der Schweiz zu bleiben, unbefristet und legal. "Bleiberecht für alle", so die Forderung. Oder wie es auf einem Transparent beim Eingang des Zeltdorfes heisst: "Papiere für alle oder überhaupt keine Papiere für niemanden".

 Die Mehrheit der Anwesenden sind UnterstützerInnen mit Papieren, und um die drei Dutzend direkt Betroffene sind da. Die meisten von ihnen haben vergebens Asyl beantragt und erhalten nur minimale Nothilfe, wie über 5000 Personen in der Schweiz. Laut Schätzungen leben hierzulande insgesamt 100 000 bis 300 000 Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung. Dass man es nicht genauer weiss, liegt am gesellschaftlichen Schatten, in dem sie sich bewegen. "Heute kommen wir ans Licht", sagt einer übers Mikrofon.

 Reto Nause, der Sicherheitsdirektor der Stadt Bern, erscheint und sagt: "Wir tolerieren den Anlass bis Montagmorgen. Dann muss hier wieder Courant normal herrschen, wegen der Menschen, die um den Park herum arbeiten."

 Was den Courant normal sprengt, ist bedrohlich für die einen, ein Fest für die anderen. Die Kleine Schanze wird zu einer Oase der Ausgelassenheit. Ein sanfter Rausch macht sich breit. Für kurze Zeit scheint alles möglich zu sein.

 "Aus, was grad nid ids raschter passt, wird rasch erfasst und verfrachtet i knast", reimt Steff la Cheffe, die bekannte Rapperin, bei ihrem spontanen Auftritt. Der Knast: Für einen Moment ist er weit weg. Das Bier geht aus, die Stimmung bleibt ausgelassen.

 Die Angst vor den Stiefeln (Sonntag)

 Am nächsten Morgen eine erste Versammlung im Plenum: Es gibt viel zu diskutieren, viel zu übersetzen. Deutsch, Französisch, Englisch, Farsi. Wie kann Druck aufgesetzt werden gegenüber den Behörden, wie werden Illegale evakuiert, wenn die Polizei kommt? Wie lange will man bleiben? Die Versammlung dauert eine gefühlte Ewigkeit.

 Etwas abseits sitzen Saidou aus Gambia und Lamine aus Guinea-Bissau. Normalerweise wohnen sie in den Bergen, am Brünig, in einem sogenannten Nothilfezentrum. Dort gibt es Matratzen und Essen. Sonst nichts. Lamine: "Du kannst nirgends hingehen, den ganzen Tag sitzst du nur herum." Saidou: "Das macht dich krank im Kopf." Die jungen Männer wirken matt, ausge laugt, schüchtern. Sie sagen: "Es ist nicht menschlich, wie wir behandelt werden." Es tönt nicht anklagend, mehr wie eine nüchterne Feststellung. Saidou: "Wir wollen hier mit dem Camp das Recht einfordern, legal leben zu dürfen." Illegal leben, das ist für ihn kein abstrakter Tatbestand, sondern ein allgegenwärtiges Problem im Alltag: "Ohne Geld kannst du nur schwarzfahren, du wirst ständig gezwungen, das Recht zu brechen."

 Illegale, die in eine Polizeikontrolle geraten, können für bis zu zwei Jahre in Ausschaffungshaft landen. Und sei es nur - falls eine Ausschaffung nicht möglich ist -, um wieder in Freiheit entlassen zu werden, in eine Freiheit, in der an jeder Ecke die nächste Polizeikontrolle droht.

 Berhanu Tesfaye ist abgewiesener Asylbewerber aus Äthiopien, ein Intellektueller mit ansteckendem Lachen. Der Mann verbringt die Tage in Bibliotheken, abends geht es zurück in den Nothilfebunker. "Du liegst in deinem Bett. Hörst du schwere Tritte im Gang, kommt die Angst. Es sind die Stiefel der Polizisten", sagt Berhanu.

 "Nicht nur der Lärm der Stiefel sollte uns Angst machen, sondern auch die Stille der Pantoffeln", sagt Graziella de Coulon, die seit zehn Jahren mit MigrantInnen gegen Ausgrenzung kämpft. Mit den stillen Pantoffeln meint sie die "Gleichgültigkeit der Massen".

 Am Nachmittag ziehen etwa hundert CamperInnen auf den Bahnhofplatz, in den Händen Ballone, man singt: "O la la, o le le, solidarité avec les sans-papiers". Wer die PassantInnen beobachtet, der kann die Stille der Pantoffeln spüren: Gesichter, die sich automatisch, fast roboterhaft von der kleinen Demo abwenden. Kein Interesse, keine Emotionen. Ein keifender älterer Mann gibt rassistische Sprüche von sich. Immerhin zeigt er irgendein Gefühl.

 Obacht, Rechtsstaat (Montag)

 Am Montagmorgen ein Blick in die Zeitungen: Noch ist der Protest kein grosses Thema. Dafür hat Iwan Städler, Redaktor beim "Tages-Anzeiger", einen Artikel und einen Kommentar mit dem Titel "Der Rechtsstaat macht sich zum Gespött" geschrieben. Sorgt sich Städler um die Tatsache, dass es in diesem Land zahlreiche Menschen gibt, die sich weder legal hier aufhalten noch legal ausreisen dürfen (und ihnen somit übrig bleibt, sich in Luft aufzulösen)? Weit gefehlt: Iwan Städler hat in Erfahrung gebracht, dass es Papierlose gibt, die einen AHV-Ausweis haben. Dass die Sozialversicherung diese Menschen nicht beim Bundesamt für Migration verpfeift, findet er unerhört. Städler hat bei der zuständigen Bundesrätin interveniert. Missbrauch! Neue Gesetze! Nach ganz unten treten! Eine zentrale Frage bleibt unbeantwortet: Wieso soll es den Bürger empören, wenn Sans-Papiers AHV-Beiträge einzahlen, ohne zu wissen, ob sie im Gegenzug eine Rente erhalten werden?

 Im Protestcamp erzählt die 41-jährige Kamerunerin Aurelie von ihren Erfahrungen. Seit zehn Jahren lebt sie in Lausanne. Als 2008 das neue Asylgesetz in Kraft trat, sollte sie ihre Wohnung verlassen und in ein Nothilfe zentrum ziehen. Aurelie hat sich erfolgreich dagegen gewehrt. Heute erhält sie für sich und ihren 17-jährigen Sohn - einen Gymnasiasten - neben der Miete gerade einmal 570 Franken pro Monat. "Ich habe zwei Hände, zwei Beine, zwei Ohren, intellektuelle Kapazitä ten - aber ich darf sie nicht nutzen", so die Akademikerin. "Und die Behörden haben die Frechheit mir vorzuwerfen, ich sei nicht integriert."

 Im Camp wimmelt es jetzt von JournalistInnen. Und es gibt überraschenden Besuch: Alard du Bois-Reymond, Direktor des Bundesamtes für Migration, erscheint, "weil ich die Anliegen der Demonstranten verstehen möchte". In die Kamera des Schweizer Fernsehens sagt er: "Unsere Politik ist nicht einfach nur rassistisch." Kurze Zeit später ist er wieder weg. Sein Amt verkündet am selben Tag, dass die nach dem Tod eines Ausschaffungshäftlings sistierten Ausschaffungsflüge wieder aufgenommen werden (vgl. Text unten).

 Die Stadtberner Regierung will das Protestcamp nun bis am Freitagmorgen tolerieren. Die BesetzerInnen feiern das als Erfolg. Bürgerliche Parteien sehen darob nicht nur die Parkordnung, sondern den ganzen Rechtsstaat in Gefahr.

 Fragt man im Camp nach einer Zwischenbilanz, so fällt sie durchzogen aus. Der Guineer Sadou Bah sagt: "Es sind nicht genug Betroffene da." Viele würden sich nicht hertrauen. "Und dann gibt es viele, die einfach nicht daran glauben, dass sich die Situation ändern lässt", so der Mann, der selber Nothilfe bezieht und an zwei Tagen in der Woche an der Autonomen Schule in Zürich Deutsch unterrichtet.

 Die Flüchtlinge übernehmen (Dienstag)

 Die Kunde von der Tolerierung des Camps hat sich schnell verbreitet, allein am Mittag kommen dreissig abgewiesene Flüchtlinge aus Fribourg und Lausanne im Camp an. Die direkt Betroffenen sind jetzt in der Mehrheit, die Versammlungen prägen sie deutlich stärker als noch vor zwei Tagen.

 Graziella de Coulon, die Aktivistin aus dem Kanton Waadt, sagt: "Es ist unheimlich wichtig, subversiv zu agieren, durch Ungehorsam klar Position zu beziehen." Im Kanton Waadt gebe es eine lange Tradition, gemeinsam mit Flüchtlingen zu kämpfen, was sich immer wieder ausbezahle. 2006 konnte so die Legalisierung von über 500 Menschen erreicht werden. "Der Protest hier könnte durchaus der Anfang einer Widerstands­tradition auf gesamtschweizerischer Ebene sein", sagt de Coulon.

 Das Protestcamp bleibt bis am Freitagmorgen auf der Kleinen Schanze in Bern. Noch unklar ist, ob die Aktion danach an   einem anderen Ort fortgeführt wird.

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 "Es war falsch, den Mann so auszuschaffen"

 Der 29-jährige Nigerianer, der am 17. März in Kloten bei einer Zwangsausschaffung nach Lagos starb, habe sich "seit einigen Tagen" im Hungerstreik befunden, liess die Kantonspolizei Zürich unmittelbar nach dessen Tod verlauten. Jetzt ist klar: Die Information war falsch. Joseph Ndukaku Chiakwa hatte über einen Monat lang die Nahrungsaufnahme verweigert. Das bestätigte diese Woche die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft.

 Drei Monate nach dem Tod von Joseph Ndukaku Chiakwa liegt das rechts­medizinische Gutachten vor. Die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft teilte am Montag mit, die Todesursache sei geklärt. Chiakwa hatte an einer "schwerwiegenden Vorerkrankung des Herzens" gelitten. Laut Pressespre cherin Corinne Bouvard sei die Herzkrankheit mit "gewöhnlichen Untersu chungen kaum diagnostizierbar" ge wesen. "Ein anwesender Arzt hätte den Herzfehler auch nicht entdecken können", sagt Corinne Bouvard. Weil Chiakwa zudem vom Hungerstreik ge schwächt war und sich wegen der Zwangsausschaffung auf Level 4 (starke Fesselung und Polizeibegleitung in ei nem Sonderflug) in einem "akuten Erregungszustand" befand, starb er, noch bevor das Charterflugzeug abheben konnte.

 Der Tod war unvorhersehbar. So tönt zumindest die Medienmitteilung der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft. War er verhinderbar? Wer wusste, dass sich Chiakwa bereits so lange im Hungerstreik befunden hatte? Das Gefängnispersonal? Die anwesenden PolizistInnen? Der Arzt, der den Flug hätte begleiten sollen? Corinne Bouvard: "Wer was wusste - oder eben nicht - ist Gegenstand der laufenden Untersuchungen, über die derzeit noch keine Auskünfte erteilt werden."

 War eine Level-4-Ausschaffung für Chiakwa in seinem labilen gesundheitlichen Zustand überhaupt zumutbar? Jean-Pierre Restellini, der zehn Jahre lang als Gefängnisarzt praktiziert hat und ethische Richtlinien für Ärzte von inhaftierten Personen erarbeitete, sagte bereits letzte Woche zur WOZ: "Wenn sich beispielsweise jemand schon über eine Woche im Hungerstreik befindet, er schockartig gefesselt wird und einen Helm aufgesetzt bekommt, dann kann das tödlich sein."

 Nun, da bekannt ist, dass der Ausschaffungshäftling über einen Monat im Hungerstreik war, sagt er: "In diesem Fall war es falsch, den Mann so auszuschaffen. Es hätte ein medizinisches Veto gebraucht."

 Die Menschenrechtsgruppe Augenauf, die letzte Woche an einer Medienkonferenz aufgrund von Augenzeugenberichten eindrücklich vorführte, wie Level-4-Ausschaffungen vonstatten gehen, übt grundsätzlich Kritik an dieser Praxis, weil sie "unmenschlich und menschenverachtend ist". Amnesty International fordert, dass auf allen Flügen unabhängige BeobachterInnen eingesetzt werden, da sich die Frage stelle, "ob gewisse Vorgehensweisen einer Verletzung der Folterkonvention gleichkommen". Augenauf will, dass das Bundesamt für Migration künftig ganz auf Zwangsausschaffungen mit Charterflügen verzichtet.

 Die Menschenrechtsgruppe kritisiert ausserdem die Oberstaatsanwaltschaft, weil sie vorschnell an die Öffentlichkeit gelangt sei: "Die Medienmitteilung lässt mehr Fragen offen, als sie beantwortet", sagt Rolf Zopfi von Augenauf. Er befürchtet, dass der Herzfehler als unvorhersehbare Tatsache vorgeschoben werde, um vom umstrittenen Ausschaffungsprozedere abzulenken.

 Das Bundesamt für Migration hat diese Woche angekündigt, die Ausschaffungsflüge im Juli wiederaufzunehmen.  

Carlos Hanimann

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Ausschaffungen

 Sie fliegen wieder

 "Todesursache geklärt", teilte die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft Anfang dieser Woche mit. Der 29-jährige Nigerianer Joseph Ndukaku Chiakwa, der am 17. März bei der Ausschaffung starb, habe bereits vorher an einem "kaum diagnostizierbaren" Herzfehler gelitten; die Krankheit habe schliesslich aufgrund des vorausgegangenen Hungerstreiks und des "akuten Erregungszustands" wegen der Ausschaffung zum Tod geführt. Die strafrechtlichen Fragen nach der Verantwortung werden weiter abgeklärt. Politisch allerdings nutzen die Bundesbehörden das rechtsmedizinische Gutachten, um an ihrer Ausschaffungspraxis festzuhalten. Diese Woche wurde bekannt, dass bereits wieder eine Person mit einem Sonderflug nach Italien ausgeschafft wurde. Ab Juli sollen auch die Flüge nach Afrika aufgenommen werden. Der Todesfall Mitte März ist bereits der dritte in den vergangenen elf Jahren. Jedes Mal mussten die Behörden das Ausschaffungsprozedere anpassen, Knebelungen etwa sind heute nicht mehr erlaubt. Doch die Gefangenen werden nach wie vor brutal gefesselt. Für Amnesty International stellt sich gar die Frage, ob dies nicht gegen die Folterkonventionen verstosse. Es ist Zeit, die Ausschaffungspraxis grundlegend zu ändern.  ch

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bleiberecht.ch 30.6.10
http://www.bleiberecht.ch/2010/06/kraftvolle-demo-widmer-schlumpf-schweigt/ (mit Fotos)

Laute Demo für kollektive Regularisierung - Widmer-Schlumpf schliesst die Augen

Rund 500 Menschen haben heute vom Camp auf der kleinen Schanze aus eine kraftvolle und laute Demonstration zum Bundesamt für Migration und zum Justiz- und Polizeidepartement durchgeführt, um eine kollektive Regularisierung zu fordern.

Die politisch Verantwortlichen verweigern den Betroffenen weiterhin das Gespräch und nehmen keine Stellung zu den unerträglichen Lebensbedingungen der über 100′000 Sans-Papiers in der Schweiz. BfM-Chef Alain Du Bois-Raymond schickte einen PR-Verantwortlichen vor, Widmer-Schlumpf ihre Generalsekretärin. Beide waren nicht bereit, den Betroffenen ihrer Politik selbst in die Augen zu sehen.

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BIG BROTHER
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Bund 1.7.10

Die Schweiz hat eine neue Fichenaffäre

 Der Geheimdienst sammelte über Jahre Personendaten, ohne zu überprüfen, ob diese staatsschutzrelevant sind. Inzwischen sind 200 000 Personen fichiert.

 Daniel Foppa

 Der Inlandgeheimdienst hat die Daten von Zehntausenden von Personen auf Vorrat gesammelt, obwohl das illegal ist. Dies ist das Fazit eines gestern präsentierten Berichts der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des Parlaments. Demnach hat sich der Dienst vor allem dem Sammeln der Daten gewidmet, anstatt zu prüfen, ob diese staatsschutzrelevant sind. So wurden gut 200 000 zumeist ausländische Personen registriert. Darunter sind Friedensaktivisten, Einbürgerungswillige und sogar bereits Verstorbene.

 Die Geschäftsprüfer halten klar fest, was sie von der Qualität der Fichen halten: "Der GPDel fehlt aus guten Gründen das Vertrauen, dass die Daten den gesetzlichen Qualitätsanforderungen genügen". Dies habe "schwerwiegende Konsequenzen". Es bedeute, dass "eine gesetzeskonforme Staatsschutztätigkeit mit diesen Daten in diesem Zustand nicht möglich ist." GPDel-Präsident Claude Janiak bemängelte die mangelnde Kooperation des Geheimdienstes: "Wir wurden ungenügend und teilweise falsch informiert", sagte er.

 Leuenberger ist besorgt

 Wie der "Bund" erfahren hat, führte die Neuorganisation des Geheimdienstes auf Anfang Jahr zu keinem Umdenken. Der neue Direktor Markus Seiler habe bei der Zusammenführung des Inland- und des Auslandgeheimdienstes zum neuen Nachrichtendienst des Bundes vor allem auf die Leute des Inlandgeheimdienstes gesetzt, der für den neuen Fichenskandal verantwortlich ist.

 Besorgt zeigte sich gestern Bundesrat Moritz Leuenberger. "Die Sache ist ernst zu nehmen. Es ist gut, dass sie auf den Tisch kommt", sagte er auf Anfrage. Der Bundesrat werde sich damit befassen. Leuenberger hatte als Nationalrat die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) geleitet, die 1989 die Fichenaffäre aufdeckte. Die PUK stellte damals fest, dass die Bundespolizei 900 000 kritische Bürger fichiert hatte. - Seite 9

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Der neue Fichenskandal

Geheimdienst hat selbst das Gesetz gebrochen

Die parlamentarischen Aufseher werfen dem Nachrichtendienst vor, jahrelang gesetzeswidrig Daten gesammelt zu haben. Daten, die nicht staatsschutzrelevant seien.

Verena Vonarburg

 Was man seit 20 Jahren, seit dem Fichenskandal, als unrühmliche Geschichte gewähnt hat, wird plötzlich wieder aktuell: Der Dienst für Analyse und Prävention (DAP), wie der Geheimdienst bis vor kurzem hiess, hat seine Staatsschutzdatenbank ISIS mit Daten gespeist, als hätte es nie einen Skandal gegeben. Er hat gesetzliche Schutzvorschriften für die Betroffenen nicht eingehalten. Zu diesem Befund kommt die parlamentarische Oberaufsicht über den Nachrichtendienst, die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel).

 "Es hat keinen Kulturwandel gegeben", sagte Delegationspräsident Claude Janiak gestern vor den Medien. "Die Datenbearbeitung ist nicht gesetzeskonform erfolgt." Die PUK, die seinerzeit die Fichenaffäre zu untersuchen hatte, war zum Schluss gekommen, der Staatsschutz habe bis 1989 falsche, unnütze und belanglose Daten gesammelt. Für die Qualität und die Kontrolle wurden nach dem Fichenskandal strenge Auflagen formuliert. Arnold Koller versprach 1996 als Justiz- und Polizeivorsteher, man könne "mit gutem Grund" davon ausgehen, "dass nur noch sicherheitsrelevante Daten gesammelt werden".

 110 000 Daten ohne Prüfung

 Dem war nicht so. Vor fünf Jahren wurde die GPDel hellhörig, als die Anzahl der Einträge im ISIS laufend stieg (siehe Grafik unten). In den vergangenen zwei Jahren haben die sechs Parlamentarier aus dem National- und dem Ständerat eine formelle Inspektion durchgeführt. Die GPDel hat stichprobenweise mehrere Hundert Fälle überprüfen können und kommt zum Schluss, dass die Kontrolleure jahrelang rechtswidrig ans Werk gegangen sind.

 2005 wurde das alte ISIS durch ein neues System ISIS-NT ersetzt. Dieser Übergang wirkte sich besonders negativ aus. Zwischen Anfang 2005 und Herbst 2008 hat der DAP gemäss Bericht überhaupt nicht mehr kontrolliert, ob die Daten, die er sammelte, den gesetzlichen Anforderungen entsprachen. Rund 40 000 Registrierte hätten in dieser Zeit überprüft werden und allenfalls aus dem System entfernt werden sollen. Ende des letzten Jahres hatte der DAP über 110 000 Daten, die hätten beurteilt werden müssen. Sämtliche Personen müssten spätestens fünf Jahre nach der ersten Meldung wieder überprüft werden.

 Die Informationen, die zu ISIS-Daten verarbeitet werden, kommen oft von den Kantonen, aber auch aus dem Ausland. Wie das genau geschieht, ist geheim. Registrierungen sind auch schon auf blosse Anfragen hin erfolgt. In einem Fall hat die GPDel herausgefunden, dass jemand bloss registriert wurde, weil eine andere Bundesstelle angefragt hatte, ob in ISIS Informationen über den Betreffenden vorhanden seien.

 Jene, die die Daten in ISIS erstmals erfassen, beurteilen sie nicht darauf hin, ob sie relevant genug sind. Diese Verantwortung liegt bei der Sektion Qualitätssicherung, die allerdings markant unterdotiert ist. Schwierigkeiten beim Umstellen auf das neue System verschlimmerten alles.

 Das Problem der Drittpersonen

 Von den rund 200 000 Personen, die Ende 2009 registriert waren, sind 80 000 sogenannte Drittpersonen, die nicht direkt staatsschutzrelevant sind. Das sind solche, die bloss einen Bezug zu Personen haben, die den Staatsschutz interessieren. Das kann zum Beispiel der Besitzer eines Wagens sein, mit dem ein vom Staatsschutz Beobachteter gefahren ist. Problematisch dabei: Wenn eine Drittperson zum dritten Mal gemeldet wird, bekommt sie ohne weitere Abklärung automatisch den Status eines Verdächtigen.

 Die GPDel übt scharfe Kritik an der seinerzeitigen Führung des DAP, dessen Direktor Urs von Daeniken war. Die GPDel sei von der Leitung falsch informiert worden, was die Qualitätskontrolle anbelange.

 Verantwortung trägt auch der damalige Departementsvorsteher des Justiz- und Polizeidepartements, Christoph Blocher. Das EJPD habe "keine Anstrengungen" unternommen, "rechtzeitig die personellen Kapazitäten für den gesetzeskonformen Betrieb des neuen ISIS-NT zu gewährleisten". Im März 2007 hatte sich Blocher in einem Brief an die GPDel überzeugt gezeigt, "dass die ISIS-Daten gemäss den strengen gesetzlichen Vorgaben erhoben, bearbeitet und fristgemäss wieder gelöscht würden".

 Nachrichtendienst schweigt

 Die GPDel empfiehlt in ihrem Bericht unter anderem, sämtliche ISIS-Daten, die vor fünf Jahren oder früher registriert worden sind und die man später nicht mehr überprüft hat, provisorisch zu sperren. Ein externer Datenschützer, eingesetzt vom Bundesrat, soll anschliessend entscheiden, was mit diesen Vermerken zu geschehen hat. Zudem soll das VBS dafür sorgen, dass nur Daten erfasst werden, die auch wirklich vorher überprüft und für gesetzeskonform befunden worden sind.

 GPDel hat die Phase bis Ende 2009 untersucht. Seit diesem Jahr sind der Inlandnachrichtendienst und der Strategische Auslandnachrichtendienst fusioniert. Der neue Nachrichtendienst ist im Verteidigungsdepartement von Ueli Maurer angesiedelt. Die GPDel betonte gestern ausdrücklich, die Zusammenarbeit mit dem VBS sei vorbildlich.

 Der Nachrichtendienst gab gestern keinen Kommentar ab. Christoph Blocher war nicht erreichbar. Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf sagte, man habe in den letzten zwei Jahren die Qualitätskontrolle verbessern können. Man habe "durchaus auch gelernt", mit sensiblen Daten umzugehen. Der Bundesrat wird bis im Herbst zu den Empfehlungen des GPDel Stellung nehmen.

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 Auskunftsrecht Betroffene erfahren kaum etwas

 Jede Person kann beim Eidgenössischen Datenschützer verlangen, dass dieser abklärt, ob sie fichiert ist. Der Datenschützer prüft dann den Fall, teilt der Person aber lediglich mit, ob der Nachrichtendienst korrekt mit allfälligen Personendaten umgegangen ist. Damit ist der gesuchstellenden Person nur schlecht gedient, denn sie erfährt nicht, ob sie überhaupt fichiert ist und was in einer allfälligen Fiche steht.

 Auch der Datenschützer selbst bemängelt dieses indirekte Auskunftsrecht. Es sei für ihn schwierig, zu prüfen, ob Daten rechtmässig fichiert werden, sagt er laut GPDel-Bericht. In der Regel sei es "unmöglich", den Wahrheitsgehalt der Einträge ohne zusätzliche Angaben der gesuchstellenden Person zu kontrollieren. Diese darf jedoch nicht zu den fichierten Angaben befragt werden. Die Berichtigung oder Löschung falscher Daten sei unter indirektem Auskunftsrecht "kaum sichergestellt", hält die GPDel fest.Mit einer Motion wollte Susanne Leutenegger Oberholzer (SP, BS) das indirekte Auskunftsrecht in ein direktes umwandeln. Im März verwarf der Nationalrat jedoch ihren Vorstoss mit 95 zu 64 Stimmen. SVP und FDP lehnten die Motion praktisch geschlossen ab, die Mehrheit der CVP-Fraktion ebenfalls. Trotzdem will der Bundesrat das Auskunftsrecht ausbauen, wie Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf kürzlich öffentlich erklärt hat. Auch die GPDel fordert dies. (daf)

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 Fichenaffäre 1989

 "Trinkt abends gern ein Bier"

 1989 setzte das Parlament eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) ein, um die Umstände des Rücktritts von Bundesrätin Elisabeth Kopp sowie die Amtsführung im Justizdepartement zu untersuchen. Während der Recherchen stiess die vom damaligen Nationalrat Moritz Leuenberger geleitete PUK bei der Bundespolizei auf rund 900 000 Karteikarten (Fichen). Jahrelang wurden kritische Bürgerinnen und Bürger bespitzelt und mit zum Grossteil belanglosen Einträgen über ihre alltäglichen Gewohnheiten registriert. In der Fiche der Thurgauer SP-Nationalrätin Menga Danuser stand zum Beispiel: "Trinkt abends gern ein Bier." Die Fichenaffäre erschütterte das Land. 350 000 Schweizerinnen und Schweizer erhielten auf Anfrage ihre Fiche ausgehändigt, wobei viele Einträge schwarz abgedeckt waren. (daf)

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Zur Sache

 "Immer auch ein Abbau der Freiheit"

 Fichenexperte Niklaus Oberholzer über sein "Dilemma" im Umgang mit dem Staatsschutz.

 Interview: Patrick Feuz

 Im Computer unseres Geheimdienstes sind viele unschuldige Personen registriert. Überrascht Sie das?

 Nein. Das Sammeln von teilweise irrelevanten Daten ist ein allgemeiner Trend, der nicht nur beim Staat, sondern auch in der Wirtschaft zu beobachten ist. Wer über viele Personendaten verfügt, hat Macht oder kann damit ein Geschäft machen. Auch Google und Apple passen in diese Entwicklung.

 Unser Geheimdienst setzt auf die Menge statt die Qualität der Daten.

 Nicht nur der Geheimdienst, auch die Polizei sammelt fleissig Daten auf Vorrat. Fichen, Videokameras im öffentlichen Raum, biometrischer Pass, DNA-Proben - sie sind alle Ausdruck des gleichen Trends. Die Sicherheitsbehörden sammeln möglichst viele Informationen, weil sie im Moment des Sammelns nicht wissen, welche davon sie später brauchen.

 Zwingt nicht die diffuse Bedrohung zum breiten Datensammeln?

 Ein Staatsschützer hat mir einmal gesagt: Das Schlimmste ist, nicht zu wissen, wer genau der Feind ist. Die Verunsicherung drückt sich auch in unseren Gesetzen aus. Je diffuser die Bedrohungslage empfunden wird, desto mehr kriminalisiert der Gesetzgeber schon nur potenzielle Gefährdungen. Straftatbestände werden immer weiter ins Vorfeld der eigentlichen Tat verschoben.

 Aber verhindert die Datenfülle nicht Verbrechen?

 Sie hilft in erster Linie, Täter bedeutend schneller aufzuspüren. So wurde der Libanese, der 2006 den Zug von Köln nach Koblenz in die Luft sprengen wollte, dank einer Videokamera im Bahnhof so schnell gefasst. Die Tat wurde aber nicht deswegen verhindert. Vielmehr explodierte die Bombe nicht, weil der Zünder schlecht war.

 Es gibt aber durchaus Beispiele für verhinderte Verbrechen: Die Sauerland-Terroristen wollten US-Soldaten töten, konnten aber rechtzeitig gestoppt werden.

 Ich gebe zu, dass mehr Daten in Einzelfällen möglicherweise zu mehr Sicherheit führen. Aber mehr Sicherheit bedeutet immer auch Abbau der Freiheit. Neben den vier Terroristen waren wohl noch Zehntausende andere Namen in der Datensammlung.

 Kann es einer unschuldigen Person nicht egal sein, in einer Fiche vorzukommen?

 Ich bin ja selber im Dilemma, wenn ich sehe, dass auf Vorrat gesammelte Daten schnellere Fahndungserfolge bringen und in Einzelfällen Verbrechen verhindern. Es braucht eine breite Diskussion, in welchem Mass und in welchen Gebieten wir bereit sind, unsere Freiheitsrechte - und dazu gehört der Schutz der Privatsphäre - einzuschränken.

 Welcher Verlust von Freiheit stört Sie am meisten?

 Ich als ehrlicher Steuerzahler habe nichts dagegen, wenn meine Bankdaten ausgetauscht werden - aber viele andere anständige Schweizer wollen nichts wissen vom automatischen Informationsaustausch. Schlimm finde ich hingegen, wenn mich beim Verlassen des Büros eine Videokamera filmt und die Bilder 100 Tage aufbewahrt werden.

 Niklaus Oberholzer (56) wirkte 1990 als Experte bei der Fichen-PUK mit. Heute präsidiert er die Anklagekammer des Kantons St. Gallen.

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BZ 1.7.10

Staatsschutz

 Schweiz hat neue Fichenaffäre

 Erneut wurden unzählige Personen gesetzeswidrig fichiert. Der Ruf nach stärkerer Kontrolle der Behörde wird laut.

 Harte Kritik an der Fichierung beim Bund: Der Nachrichtendienst hat laut der Geschäftsprüfungsdelegation des Parlamentes (GPDel) jahrelang die vorgeschriebene Pflege der Staatsschutz-Datenbank vernachlässigt. Dafür sammelte er laufend neue Einträge. Heute sind 200 000 Personen registriert. Das neue Urteil der parlamentarischen Oberaufsicht ist brisant: Sie habe "Zweifel an der Richtigkeit und Relevanz der Daten" in der Datenbank, schreibt sie. Der ehemalige Dienst für Analyse und Prävention (DAP) habe den gesetzlichen Anforderungen an die Qualitätssicherung der Daten "in keiner Art und Weise entsprochen". In der Datenbank sollten nur Personen registriert sein, die staatsschutzrelevant sind. Unter anderem deshalb sieht das Gesetz eine periodische Beurteilung von Einträgen spätestens fünf Jahre nach der ersten Meldung vor. Die GPDel geht davon aus, dass diese zwischen Ende 2004 und Ende 2008 nicht durchgeführt worden sind.

 Rund 20 Jahre nach der Fichenaffäre hat die GPDel einen brisanten Bericht zum Staatsschutzinformationssystem Isis vorgelegt. GPDel und Datenschützer fordern effizientere und verstärkte Kontrollen der Behörde.
 sda/mic

 Seite 3

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Staatsschutz

 Wieder wurden Bürger illegal fichiert

 Eine Untersuchung zum Schweizer Staatsschutz zeigt 20 Jahre nach dem Fichenskandal gravierende Missstände auf. Jahrelang hat der Inlandnachrichtendienst die gesetzlichen Vorgaben zur Registrierung von Personen nicht eingehalten.

 Heute sind rund 200 000 Personen in der Staatsschutzdatenbank Isis registriert. Allein: Lediglich rund die Hälfte davon gilt als staatsschutzrelevant. Und ob sie tatsächlich eine Gefahr für die innere Sicherheit der Schweiz darstellen, prüfte der ehemalige Dienst für Analyse und Prävention (DAP) kaum, wie die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) in einem gestern präsentierten Bericht feststellt.

 Dunkle Vergangenheit

 Damit hat die Schweiz nach der Fichenaffäre Ende der Achtzigerjahre einen neuen Skandal um Personendaten. Während des Kalten Krieges hatten Bundespolizei und Bundesanwaltschaft zusammen mit kantonalen Polizeien rund 900 000 Beobachtungsakten (Fichen) über Personen und Organisationen vorwiegend aus dem linken Umfeld anlegen lassen. Dies, obwohl dafür keine rechtlichen Grundlagen bestanden.

 Jetzt hatte die GPDel unter anderem Isis-Einträge zu mehreren Basler Grossräten auf den Plan gerufen, die 2007 bekannt wurden. Untersucht hat das Aufsichtsorgan der eidgenössischen Räte die Speicherung von Daten bis Ende 2009. Seither ist für die Datenbank der neue Nachrichtendienst des Bundes (NBD) zuständig. Die GPDel bemängelt, dass der DAP sich viel stärker der Erfassung neuer Daten widmete, als die Korrektheit der vorhandenen zu prüfen. Dazu wäre er aber nach Gesetz verpflichtet. Spätestens fünf Jahre nach der ersten Meldung müssen Einträge neu beurteilt werden, danach alle drei Jahre. Dieser Pflicht kam der Nachrichtendienst indes nicht nach: Zwischen Ende 2004 und Ende 2008 wurden die periodischen Neubeurteilungen nicht durchgeführt, wie die GPDel feststellte. Insgesamt stehen heute über 100 000 solcher Beurteilungen aus - der DAP hatte auch noch Pendenzen aus früheren Jahren.

 Grund für die Rückstände waren unter anderem technische Probleme mit der neu eingeführten Datenbank. Der DAP konzentrierte zudem sein knappes Personal darauf, alte Einträge ins neue System einzutragen und neue Einträge zu erfassen. Er verzichtete aber darauf, die Staatsschutzrelevanz systematisch zu prüfen. Die Folge dieser nicht gesetzeskonformen Praxis: Die Zahl der Einträge wuchs von 60 000 registrierten Personen Ende 2004 auf heute rund 120 000 (siehe auch Text unten).

 Nichts gelernt

 "Es hat beim Staatsschutz kein Kulturwandel stattgefunden", stellte Claude Janiak, Baselbieter SP-Ständerat und GPDel-Präsident, gestern vor den Medien in Bern ernüchtert fest. Weniger als ein Dutzend Personen seien dafür verantwortlich, die Lehren aus der Fichenaffäre umzusetzen. Das gelinge so nicht.

 Der eidgenössische Datenschützer Hanspeter Thür betonte, die Grössenordnung der neuen Affäre zeige, "dass eine gewisse Eigendynamik entsteht, wenn Amtsstellen verpflichtet werden, Daten zu sammeln". Thür selber hatte der GPDel einige Hinweise geliefert. Bei diesen Einzelfällen und bei seiner sonstigen Aufsichtstätigkeit hatte er festgestellt, dass die Gesamtbeurteilung über eine fichierte Person regelmässig erst nach Gesuchseingang erstellt wurde. Ausserdem seien die Gesuchsteller nicht wie vorgeschrieben nachträglich informiert worden, ob sie eingetragen waren.

 Bezüglich Information erhält der DAP auch von der GPDel ein schlechtes Zeugnis. "Vonseiten des DAP wurden wir ungenügend und teilweise falsch informiert", sagte Janiak. So habe der Dienst verschwiegen, dass er die Neubeurteilungen von Personen zwischenzeitlich unterliess.

 Aufsicht verstärken

 Thür fordert nun eine bessere Kontrolle der Nachrichtendienste. "Das Aufsichtsorgan sollte die Arbeitsweise dieser Dienste ständig im Auge behalten können." Es brauche eine Stärkung der Aufsichtsorgane GPDel und Datenschutz. Die GPDel fordert, dass alle Informationen gesperrt werden, die nicht ordnungsgemäss einer Gesamtbeurteilung unterzogen wurden. Ein externer Datenschutzbeauftragter soll über die Löschung oder Beibehaltung der Daten entscheiden. Der Bundesrat kann sich bis Ende Oktober zudem zu17 Empfehlungen äussern.

 Bundesrat handelt bereits

 Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf sagte gestern vor den Medien im Bundeshaus, der Bundesrat nehme "die ganze Angelegenheit ernst". Der Nachrichtendienst müsse die Gesetze korrekt anwenden. "Wir sind uns bewusst, dass noch Verbesserungen möglich sind." Laut der Justizministerin sind gewisse Massnahmen bereits aufgegleist: Das Verteidigungsdepartement arbeite an einer Revision der Verordnung über den Nachrichtendienst, die auch Verbesserungen in Bezug auf die Staatsschutzaktivitäten der Kantone bringe. Widmer-Schlumpf erinnerte weiter daran, dass das Auskunftsrecht geändert werden soll. Wer wissen will, ob der Nachrichtendienst über ihn Daten sammelt, hat künftig das Recht, dies zu erfahren. Mit der geplanten Änderung würden die Kontrollabläufe verbessert, sagte die Justizministerin.

 Personelle Konsequenzen?

 Während früher das Justiz- und das Verteidigungsdepartement zuständig waren, ist es seit dem 1. Januar 2009 nur noch das Verteidigungsdepartement. Betroffen von der Affäre sind demnach der ehemalige Justizminister Christoph Blocher, die heutige Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf sowie Verteidigungsminister Ueli Maurer. In der untersuchten Periode trug zudem der ehemalige Chef des Inlandnachrichtendienstes, Urs von Daeniken, die Hauptverantwortung. Dieser arbeitet heute als Berater im Justizdepartement. Eveline Widmer-Schlumpf hielt fest, dass dieser seine Arbeit gut mache und heute nichts mehr mit der Datenbank zu tun habe.

 Claude Janiak von der GPDel hielt fest, dass eine politische Bewertung nicht Sache der Delegation sei. Auf die Rolle von Daenikens angesprochen, wiederholte er lediglich, dass dieser "schlicht nicht korrekt informiert" habe. Versagt habe aber auch die Aufsicht innerhalb des zuständigen Departementes: "Die Kenntnisse der Missstände war da, es fehlte aber der Wille, sie zu beheben."
 mic/sda

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 Betrunkene und Demonstranten

 Die GPDel hat stichprobenartig Fälle untersucht und nennt in ihrem Bericht Beispiele für die illegale Speicherung von Daten.

 Unter den Fällen ist jener eines in der Schweiz wohnhaften Mannes, der nur wegen seiner Staatsangehörigkeit registriert wurde. Der Bürger eines nordafrikanischen Staates wurde an einem Grenzübergang durch das Fahndungsprogramm "Fotopasskontrolle" erfasst und in der Datenbank Isis registriert. Später wurde der Mann eingebürgert; der Staatsschutz hatte keine Einwände dagegen. Trotzdem blieb der Mann registriert, und zwar nicht als Drittperson, sondern als Person mit eigener Staatsschutzrelevanz, wie es im Bericht der GPDel heisst.

 Registriert werden offenbar auch Teilnehmende von Demonstrationen, denen nichts Gesetzeswidriges zur Last gelegt wird. Der Bericht nennt das Beispiel einer Frau, die sich für Entwicklungsländer engagiert und an Demonstrationen teilnahm. Der Staatsschutz des Kantons Basel-Stadt verfasste einen Bericht über die Frau, weil ein benachbarter Nachrichtendienst die Schweiz um Auskunft über Personen gebeten hatte, mit der die Frau Kontakt hatte. Informationen über die Frau und ihren Ehemann wurden in der Folge in der Datenbank Isis registriert. Der Nachrichtendienst verdächtigte die Frau der Zugehörigkeit zum Schwarzen Block. Doch dieser Verdacht war laut der GPDel unbegründet. Nach Einschätzung der GPDel hätte bereits eine oberflächliche Prüfung aufzeigen müssen, dass sie keine Bedrohung für die innere Sicherheit darstellte.

 Einfache Anfrage reichte

 Die GPDel hält fest, eine Vielzahl von Registrierungen sei allein aufgrund von Anfragen des Auslands vorgenommen worden. Die Registrierung sei auch dann erfolgt, wenn die ausländischen Dienste die Anfrage nicht mit weiteren Informationen zur Person begründet hätten.

 Registriert hat der Staatsschutz zum Beispiel auch 16 Personen, die von einem Ostschweizer Kanton in einem Bericht über den örtlichen Rechtsextremismus genannt wurden. Das Spektrum reichte laut GPDel von einer Anführerfigur in der Szene bis zu einer Person, die wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand angehalten wurde und dabei rechtsextremistische Lieder sang und über die Ausländer schimpfte. Alle Personen waren acht Jahre lang in der Datenbank Isis registriert.
 sda

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Kommentar

 Heikle Panne

 Michael Widmer

 Man reibt sich die Augen: Rund zwanzig Jahre nach der Fichenaffäre, die das ganze Land erschüttert hatte, wird bekannt, dass Behörden und Politik aus den Fehlern von damals offenbar nichts gelernt haben. Und dies, obwohl alle versprochen hatten, man werde dem Staatsschutz künftig genau auf die Finger schauen. Es dürften nie mehr unkontrolliert Daten von Bürgern dieses Landes gesammelt werden, hiess es damals.

 Ein Vergleich mit dem grossen Fichenskandal Ende der Achtzigerjahre kann aber nicht im vollen Umfang gezogen werden. Denn waren vor zwanzig Jahren Personen und Organisationen aus politischem Kalkül bespitzelt worden, ist die neueste Datenpanne vorab mit Unvermögen bei den Behörden erklärbar. Dennoch hinterlässt die neue Affäre ein ungutes Gefühl.

 Die Staatsschützer scheinen bis heute nicht verstanden zu haben, wie sensibel der Umgang mit Personendaten ist. Und die Politik hat es während Jahren nicht geschafft, die Sammlung und Speicherung von Daten unbescholtener Bürger zu unterbinden.

 Aber gerade der Staatsschutz, der zur Verteidigung des Landes oftmals im Geheimen und intransparent arbeiten muss, ist auf das absolute Vertrauen der Bevölkerung angewiesen. Die jüngste Fichenaffäre gibt jenen Kräften Aufwind, die den Staatsschutz am liebsten abschaffen würden.

 Wollen Behörden und Politik wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen, müssen die Empfehlungen der Geschäftsprüfungsdelegation und die eigenen Verbesserungsvorschläge für den Umgang mit Personendaten rasch, sauber und transparent umgesetzt werden. Die Kontrolle des Staatsschutzes muss künftig hundertprozentig funktionieren. Denn hier gilt ganz besonders: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

 michael.widmer@bernerzeitung.ch

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20 Minuten 1.7.10

200 000 Personen fichiert - Kritik an Geheimdienst

 BERN. Der Geheimdienst hat mit seiner Fichenpraxis jahrelang gegen das Gesetz verstossen. Nun wird eine provisorische Datensperre gefordert.

 Rund 20 Jahre nachdem der Fichen-Skandal die Schweiz erschüttert hat (siehe Box), musste der Inlandgeheimdienst (DAP) gestern ein vernichtendes Zeugnis der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) entgegennehmen:

- Falsche Personen erfasst: Heute sind rund 200 000 Personen in der Staatsschutz-Datenbank ISIS registriert. 120 000 gelten als staatsschutzrelevant. Ob sie aber tatsächlich eine Gefahr für die innere Sicherheit der Schweiz darstellen, prüften die Geheimdienst-Agenten kaum. Zudem wurden Personen aus rund einem Dutzend Staaten bei der Einreise in die Schweiz automatisch fichiert.

-  Die Kontrolle hat versagt: Spätestens fünf Jahre nach der ersten Meldung müssen laut Gesetz Einträge neu beurteilt werden, danach alle drei Jahre. Doch zwischen Ende 2004 und Ende 2008 wurde dies nicht gemacht. Heute sind über 100 000 solcher Beurteilungen ausstehend - offenbar auch wegen technischer Probleme.

 "Dieser Zustand der ISIS-Daten stellt die Zweckmässigkeit des Staatsschutzes grundlegend in Frage", heisst es im Bericht. Dies könne zu Pannen führen, "welche letztlich die Sicherheit des Landes gefährden". Die GPDel fordert deshalb 17 Massnahmen - unter anderem, dass alle Infos gesperrt werden, die nicht ordnungsgemäss beurteilt wurden. Ein Datenschutzbeauftragter soll dann über die Löschung oder Beibehaltung entscheiden. Zudem soll die Erfassung der Personen einzig aufgrund der Staatsangehörigkeit eingestellt werden.  

Nico Menzato

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 Parallelen zum Fichen-Skandal von 1989

 BERN. "Es hat beim Staatsschutz kein Kulturwandel stattgefunden", so GPDel-Präsident Claude Janiak. Damit zieht der SP-Ständerat Parallelen zwischen den gestern veröffentlichten Missständen und dem Fichen-Skandal, der vor 20 Jahren die Schweiz erschütterte: Während des Kalten Krieges hatten Bund und Kantone rund 900 000 Beobachtungsakten über Personen und Organisationen vorwiegend aus dem linken Umfeld anlegen lassen - ohne rechtliche Grundlagen. In der Folge wurden auch die geheime Armee P 26 und der geheime Nachrichtendienst P 27 aufgedeckt. Dies führte zu heftigen Demonstrationen.

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WoZ 1.7.10

Neuer Fichenskandal

 Staatsschutz auflösen!

 200 000 Personen sind in der Extremismusdatenbank des Inlandgeheimdienstes fichiert. Von "falscher Information im System" und von zahlreichen Fichen, die "nicht den rechtlichen Vorgaben entsprechen", schreibt die Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments (GPDel). Sie veröffentlichte am Mittwoch einen vernichtenden Untersuchungsbericht: Die Qualitätskontrolle des Nachrichtendienstes hat auf ganzer Linie versagt, Personen, die als nicht-extremistisch eingestuft worden waren, landeten in grosser Zahl im System, der Chef des Inlandgeheimdienstes hatte von der Nutzung illegaler Daten "nachweislich Kenntnis". Sie kommt zum Schluss, dass der Zustand des Fichierungssystems die "Zweckmässigkeit des Staatsschutzes grundlegend infrage stellt".

 Mit dem Bericht stellt die GPDel sich indirekt selber ein schlechtes Zeugnis aus: Über Jahre hatte sie behauptet, den Staatsschutz effektiv zu kontrollieren. Nun fordert sie plötzlich die Sperrung, Überprüfung und allfällige Löschung Zehntausender Daten. Die Organisation grundrechte.ch verlangt, dass Betroffene vor der Löschung Einsicht erhalten sollen. Und: "Jetzt muss eine Diskussion über die Auflösung des Geheimdienstes geführt werden." dg

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Basler Zeitung 1.7.10

Der grosse Pfusch der Staatsschutzmechaniker

 Wie der Geheimdienst unrechtmässig Daten speichert und Schwierigkeiten systematisch vertuscht

Christian Mensch

 Die Schweiz hat ihre neue Fichenaffäre. Der Dienst für Analyse und Prävention sammelt fleissig Personendaten - teils ohne Rechtsgrundlage und stets ohne Unrechtsbewusstsein.

 200 000 Personen haben die Staatsschützer vom Dienst für Analyse und Prävention (DAP) derzeit in ihrer Datenbank Isis 01 gespeichert. Die Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments (GPDel) unter der Leitung des Baselbieter Ständerats Claude Janiak (SP) zeichnet in ihrem gestern publizierten Bericht nach, wie die Staatsschützer diesen Datenberg haben anwachsen lassen.

 Das Fazit: Der neue Affäre ist nicht das Resultat ideologisch gesteuerter Staatsschützer, sondern das Werk überforderter Technokraten.

 Das Verhängnis akzentuiert sich seit 2005. Die im Anschluss an den Fichenskandal 1994 eingeführte elektronische Datenbank Isis musste abgelöst werden, da der Softwarelieferant keine Weiterentwicklung mehr bot. Der Transfer der Daten von Isis auf Isis-NT sei "reibungslos" verlaufen, erklärte der DAP. Doch bereits 2006 erkannte die GPDel kritische Abläufe: Alle eingehenden Meldungen wurden direkt in das neue System eingespeist und erst in einer zweiten Phase prüfte die Qualitätskontrolle die Erheblichkeit und Richtigkeit der Informationen. Da Isis-NT als relationale Datenbank aufgebaut war, gestaltete sich die erste Phase aufwendiger als zuvor. Die DAP-Leitung reagierte darauf nicht etwa, indem sie den Aufbau neuer Fichen reduzierte, sondern sie stellte die Qualitätssicherung zurück. Gegenüber der GPDel räumte der DAP damals "einen Flaschenhals" ein, der bald behoben sei.

 Die Vertröstungen, die Pendenzen würden abgebaut, hörte die GPDel immer wieder. Sowohl die DAP-Führung als auch das damals zuständige Justizdepartement beteuerten zudem, die Qualitätssicherung sei gewährleistet. Faktisch setzte der DAP jedoch das Personal für Qualitätssicherung vier Jahre lang für die Unterstützung der Datenerfassung anstatt für die eigentliche Arbeit ein.

 Stichproben der GPDel ergaben zudem, dass auch der Datentransfer vom alten ins neue System nicht so problemlos war, wie der DAP dargestellt hatte. So gingen teilweise Informationen über erfolgte Kontrollen verloren und andere Informationen wurden schlicht in falsche Datenfelder kopiert.

 Die Folgen waren fatal: Denn der DAP war folglich nicht nur bei der Qualitätssicherung neuer Eintragungen überfordert, sondern hatte auch ein Grossproblem mit Fichierungen vor 2005.

 Unrechtmässig

Gemäss Gesetz müssen spätestens fünf Jahre nach der Ersterfassung Meldungen zu einer fichierten Person überprüft und allenfalls gelöscht werden, wenn keine Relevanz mehr besteht. Eintragungen von Personen, die als sogenannte Drittpersonen in der Isis-Datenbank auftauchen, müssen sogar nach drei Jahren überprüft werden. Einträge, die älter als 15 Jahre sind, müssen gelöscht werden.

 Mit der Datenmigration gingen die Informationen verloren, wann welche Fiche überprüft wurde. Der DAP machte es sich einfach und wies die Informatiker an, in alle leeren Datenfelder den 31. Dezember 2004 einzusetzen. Die Techniker waren sich der rechtlichen Problematik bewusst und forderten vom DAP eine schriftliche Anweisung.

 Manipulation

Für den DAP war das Problem vordergründig gelöst, da nun der Anschein bestand, dass alle Eintragungen bis mindestens 2007 gesetzeskonform überprüft worden seien. Doch gerade diese Manipulation der Datensätze legte offen: Der DAP war bereits mit dem alten Isis-System überfordert, die periodische Qualitätsprüfung durchzuführen.

 In die Defensive geraten, versuchte der DAP die unrechtmässigen Eintragungen zu verharmlosen. Man müsse aufhören, zu denken, "es sei ein Makel, fichiert zu sein", argumentiert die DAP-Führung. Isis sei kein "Verdachtsregister", sondern enthalte eben auch entlastende Informationen über Personen. Zudem müsse der DAP auch nicht staatsschutzrelevante Daten speichern, um ihren Tätigkeitsnachweis erbringen zu können.

 Für die freihändige Interpretation ihres Auftrags hat die GPDel kein Verständnis. Sie verkehre den Willen des Gesetzes ins Gegenteil. Doch überrascht ist die GPDel nicht. Einen Willen des DAP, Mängel an der Quelle zu beheben, haben die Parlamentarier nie feststellen können.

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 Die Anni Lanz vom "Schwarzen Block"

 Fichenerprobt. Die Basler Menschenrechtsaktivistin Anni Lanz gehöre wohl zum "Schwarzen Block", einer gewalttätigen linksautonomen Gruppe, die vor allem in Zürich regelmässig aktiv ist. Diesen absurden Verdacht haben die Staatsschützer des Dienstes für Analyse und Prävention (DAP) in die Fiche von Anni Lanz geschrieben. Der Eintrag kam zustande, weil die Basler Staatsschützer von der Fachgruppe neun innerhalb von vier Jahren zwei unbedeutende Meldungen über Lanz sowie eine nie offiziell gemachte Anzeige wegen Landfriedensbruch nach Bern geschickt haben. Damit wurde die Ehrendoktorin der Universität Basel gemäss den Richtlinien der "abgestuften Erfassung von gewaltorientierten Aktivisten" automatisch der Kategorie B zugeteilt. Und wer sich einmal dort befindet, der steht in der Logik der Staatsschützer im Verdacht, zum "Schwarzen Block" zu gehören. Der Widerspruch, dass Lanz in einem Bericht als "sehr gutmütige, grosszügige Person ohne jegliche kriminelle Neigung" bezeichnet wird, ist den Staatsschützern entgangen.

 Der Eintrag blieb über Jahre bestehen, da das DAP nicht wie vom Gesetz verlangt, die Fiche periodisch überprüfte. Erst eine Intervention der GPDel führte zu einer umgehenden Löschung der ganzen Akte Lanz.  cm

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"Es gab keinen Kulturwandel beim Staatsschutz"

 Der Dienst für Analyse und Prävention habe trotz Fichenskandal und Staatsschutzgesetz weitergearbeitet wie zuvor

 Interview: Seraina Gross

 Claude Janiak (SP, BL) ist Präsident der Geschäftsprüfungsdelegation, die mit der Aufsicht über den Staatsschutz betraut ist. Im Gespräch mit der BaZ wird der sonst zurückhaltende Janiak deutlich.

 BaZ: Bis in die Achtzigerjahre wurden in der Schweiz Hunderttausende meist unbescholtene Männer und Frauen fichiert. Nun gibt es wieder 200 000 Staatsschutzakten. Haben wir es mit einem zweiten Fichenskandal zu tun?

 Claude Janiak. Quantitativ betrachtet nicht. Es sind ja deutlich weniger Fichen. Qualitativ aber schon. Das Bundesgesetz über die Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS), das seit 1998 in Kraft ist, macht strenge Vorgaben, was die Aufnahme in die Isis-Datei, die Qualitätskontrolle und die Überprüfung der Daten betrifft. Diese wurden nicht eingehalten.

 Inwiefern?

 Das Gesetz schreibt vor, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Einträge gerechtfertigt sind, und es schreibt vor, dass bestehende Einträge regelmässig neu beurteilt werden müssen. Wir haben festgestellt, dass Da-ten eingegeben wurden, ohne dass zuvor festgestellt wurde, ob es überhaupt eine Berechtigung dafür gibt. Zu-dem wurden zwischen Ende 2005 und Ende 2008 keine Neubeurteilungen vorgenommen.

 Ist das Ganze eine Affäre Blocher? Die Aufsicht über den Dienst für Analyse und Prävention (DAP) oblag ja damals dem Justiz- und Polizeidepartement.

 Natürlich trägt Bundesrat Blocher die politische Verantwortung. Er dachte, die ganze Übertragung der Daten in ein neues Computerprogramm sei mit ein paar befristeten Stellen zu machen (vgl. Text oben), was natürlich nicht der Fall war. Er hat schlicht und einfach seine Führungsverantwortung nicht wahrgenommen. Das Wissen um die Missstände war da, aber es fehlte am Willen, sie zu beheben. Trotzdem wäre es zu einfach, die ganzen Probleme nur Blocher anzulasten.

 Warum?

 Die Staatsschützer denken noch gleich wie vor der Fichenaffäre. Es gab keinen Kulturwandel. Das ist der Hauptgrund dafür, dass es erneut dazu kommen konnte, dass unkontrolliert Daten gesammelt wurden.

 Chef des DAP war im fraglichen Zeitraum Urs von Däniken. Wie hat er sich in den Befragungen durch die GPDel verhalten?

 Von Däniken hat immer so getan, als ob die Vorgaben des BWIS eingehalten worden seien, was aber nicht der Fall war. Und wenn wir nachfragten, was der Grund für die Zunahme der Daten sei, so machte er immer wieder die Migration der Daten dafür verantwortlich. Von Däniken hat uns schlicht nicht korrekt informiert. Die Migrationsprobleme waren nur vorgeschoben.

 Seit 2009 obliegt die Aufsicht über den Staatsschutz dem Verteidigungsdepartement (VBS) von Bundesrat Ueli Maurer. Was hat sich damit geändert?

 Der neue Chef VBS hat eine Aufsicht über den Nachrichtendienst des Bundes installiert, welche diesen Namen verdient. Insofern sind wir zuversichtlich, dass die Kontrollprobleme nun angegangen werden. Allerdings muss die Aufsicht personell besser dotiert sein. Die Zusammenarbeit mit Bundesrat Ueli Maurer ist gut. Er hat immer ein offenes Ohr für uns. Wir hätten unsere Arbeit ja gar nicht machen können, wenn das Verteidigungsdepartement die Zusammenarbeit mit uns Parlamentariern verweigert hätte.

 Die aktuelle Fichenaffäre hat vor zwei Jahren in Basel begonnen. Damals wurde bekannt, dass sechs Grossräte und Grossrätinnen fichiert worden waren. Ausserhalb Basels hat man der Sache bis jetzt wenig Beachtung geschenkt. Denken Sie, dass sich das mit Ihrem Bericht nun ändern wird?

 Ich hoffe es. Der Basler Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass hat eine Verordnung vorgelegt, die zeigt, dass auch die Kantone bei der Kontrolle des Staatsschutzes eine Aufgabe übernehmen können.

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Südostschweiz 1.7.10

Schweizer Staatsschützer schon wieder ausser Kontrolle

Von Beat Rechsteiner

 Der Inlandgeheimdienst hat in seinem Staatsschutz-Informationssystem Isis von 2004 bis 2009 Daten von 200 000 Personen angehäuft und damit das Gesetz gebrochen. Dies der Befund der Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments

 Bern. - Der Schweizer Inlandgeheimdienst DAP habe in seiner Sammelwut die Qualitätssicherung sträflich vernachlässigt, schreibt die Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments (GPDel) in ihrem gestern veröffentlichten Bericht über das elektronische Staatsschutz-Informationssystem Isis im Untersuchungszeitraum 2004 bis 2009. In vielen Fällen wurden demnach Informationen registriert, die für die Sicherheit des Staates unerheblich oder auch schlicht falsch waren. Darunter Daten von 80 000 Drittpersonen, die nur vermerkt wurden, weil sie in Kontakt zu suspekten Personen standen. Zudem wurden die erfassten Daten zu lange im System aufbewahrt, vorgeschriebene periodische Überprüfungen blieben in über 100 000 Fällen unerledigt. Und obwohl die Verantwortlichen von den Missständen wussten, wurden die Aufsichtsbehörden im Dunkeln gelassen und teilweise gar falsch informiert. Die GPDel kommt deshalb zum vernichtenden Urteil: "Dieser Zustand der IsisDaten Daten stellt die Zweckmässigkeit des Staatsschutzes grundlegend infrage." Die GPDel untersuchte die Dateneinträge stichprobenartig - und stiess dabei auf haarsträubende Fälle. So wurden offenbar Demonstrationsteilnehmer erfasst, ohne dass ihnen Gesetzesverstösse hätten zur Last gelegt werden können. Ausländer wurden allein wegen ihrer Staatsangehörigkeit registriert oder aufgrund von Anfragen aus demAusland, ohne dass weitere Informationen zur Person vorgelegt worden wären. Eine Person gelangte auf die Liste, nachdem sie betrunken Auto gefahren, von der Polizei angehalten worden war und dann rechtsextreme Lieder gesungen hatte. Der Geheimdienst ging mit einer fragwürdigen Strategie vor: In einem ersten Schritt wurden Daten gesammelt und erfasst, auf ihre Relevanz hin überprüft werden sollten sie aber erst später. Auf diese Weise türmten sich die Datenberge, auch weil es an personellen Ressourcen mangelte und Mitarbeiter in anderen Bereichen eingesetzt wurden.

 Von Däniken und Blocher schweigen Besonders in der Kritik steht der ehemalige DAP-Chef Urs von Däniken, der seit Ende 2008 nicht mehr in dieser Position tätig ist. Von Däniken arbeitet heute im Generalsekretariat von Justizministerin Eveline WidmerSchlumpf Schlumpf und wollte sich zu den Vorwürfen der GPDel gestern nicht äussern. Mit in derVerantwortung stehen zudem die ehemaligen Justizminister Ruth Metzler und Christoph Blocher - sie beide wurden von der GPDel jedoch nicht angehört.Wie GPDel-Präsident Claude Janiak gestern in Bern sagte, gab es unter Blocher Anstrengungen einzelner Mitarbeiter, den Problemen auf den Grund zu gehen. Jedoch seien diese gescheitert. Dem Vernehmen nach stiess die departementsinterne Inspektion auf Widerstand, sowohl beim Geheimdienst als auch bei der Departementsspitze. Blocher reagierte gestern nicht auf eine Gesprächsanfrage.

 Bundesrat muss Stellung nehmen Amtierende Bundesräte werden von der GPDel nicht kritisiert. Mittlerweile existiert der DAP auch nicht mehr in seiner damaligen Form. Er wurde Anfang 2010 mit dem Auslandnachrichtendienst zu einer Organisation verschmolzen und untersteht ganz dem Verteidigungsdepartement. Bis Ende Oktober soll sich nun der Bundesrat zum Bericht äussern. Die GPDel fordert unter anderem, dass alle Informationen gesperrt werden, die nicht ordnungsgemäss einer Gesamtbeurteilung unterzogen wurden. Dazu soll der Bundesrat einen externen Datenschutzbeauftragten anheuern, der über die Löschung oder Beibehaltung der Daten entscheidet. Mitte 2012 sollen diese Arbeiten abgeschlossen sein.

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 "Nie wieder", hiess es nach dem Fichen-Skandal vor 20 Jahren

 Bern. - Vor zwei Jahrzehnten hat der Fichen-Skandal die Schweiz aufgerüttelt. Politik und Öffentlichkeit waren sich damals einig: Der Staatsschutz sollte nie wieder unkontrolliert Daten über Hunderttausende Bürger sammeln können.

 Während des Kalten Krieges hatten Bundespolizei und Bundesanwaltschaft mit kantonalen Polizeien ohne rechtliche Grundlagen rund 900 000 Beobachtungsakten (Fichen) über Personen und Organisationen vorwiegend aus dem linken Umfeld anlegen lassen. Aufgedeckt wurde der Skandal durch die Parlamentarische Untersuchungskommission PUK-EJPD, die vom heutigen Bundesrat Moritz Leuenberger präsidiert wurde. Sie war 1989 nach dem Abgang von Bundesrätin Elisabeth Kopp eingesetzt worden und sollte neben der Kopp-Affäre die Datensammel-Aktivitäten des Staatsschutzes untersuchen. Der Fichen-Skandal führte 1990 auch zur Einsetzung einer PUK EMD. Diese deckte die geheime Armee P 26 und den geheimen Nachrichtendienst P 27 auf.

 Diese Skandale bewegten die schweizerische Öffentlichkeit stark. So verkündeten Kulturschaffende einen Boykott der 700-Jahr-Feier von 1991. Eine Volksinitiative "S.o.S. - Schweiz ohne Schnüffelpolizei" zur Abschaffung der politischen Polizei wurde lanciert, 1998 aber klar verworfen. Die Fichen-Affäre führte in den Neunzigerjahren zur Trennung von Bundesanwaltschaft und Bundespolizei - und 1994 wurden die Fichen durch das Staatsschutz-Informationssystem Isis abgelöst, das jetzt wieder Schlagzeilen macht. (sda)

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Skandal oder Theater - Politik nach Fichen-Bericht gespalten

 Von Tobias Gafafer

 Bern. - Mit ihren Vorwürfen an den Geheimdienst und dessen politische Verantwortliche spricht die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des Parlaments Klartext. Weniger klar fallen die politischen Reaktionen ausserhalb der GPDel aus. Die Präsidenten der CVP, Christophe Darbellay, und der FDP, Fulvio Pelli, sowie Parlamentarier jeglicher Couleur wollten sich gestern auf Anfrage nicht äussern, da sie den Bericht noch nicht gelesen hätten. Er habe Wichtigeres zu tun, als sich "diesem Sommertheater" zu widmen, sagte Darbellay. SVP-Generalsekretär Martin Baltisser zeigte sich erstaut über die Probleme.

 Grüne möchten aufräumen

 Linke Exponenten vermieden es zwar meist, direkt den Vergleich zur Fichen-Affäre vor 20 Jahren zu ziehen, fuhren aber trotzdem grobes Geschütz auf. "Das ist ein Skandal", sagte Nationalrat Ueli Leuenberger, Präsident der Grünen. Die Kontrolle des Geheimdienstes sei ungenügend, es herrsche immer noch eine "Kalte-Krieg-Mentalität" - und diese Ideologie sei in den Köpfen "gewisser alt Bundesräte präsent". Der Genfer forderte Konsequenzen für die früheren Leiter des Inlandgeheimdienstes, Urs von Däniken und Jürg Bühler, die heute als Berater für den Bund respektive als stellvertretender Leiter des Nachrichtendienstes des Bundes tätig sind. "Entweder die alte Garde räumt auf, oder wir müssen mit ihnen aufräumen", erklärte Leuenberger.

 Die SP kritisierte per Communiqué, dass der Geheimdienst keine Lehren aus dem Fichen-Skandal gezogen habe, und forderte neben besseren Kontrollen, dass veraltete und falsche Daten sofort zu löschen seien.

 Bundesrat will nachbessern

 Auch Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf nahm gestern vor den Medien Stellung und sagte, der Bundesrat sei sich bewusst, dass "Verbesserungen möglich sind". Indirekt verteidigte sie zwar von Däniken, tönte aber an, dass es zu Problemen gekommen sei: "Er hat die Funktion nicht weiter geführt, weil Fragen offen waren". Widmer-Schlumpf betonte, dass das Auskunftsrecht geändert werden soll. Wer wissen will, ob er fichiert ist, soll in Zukunft das Recht haben, dies zu erfahren. Das geht auf einen Vorstoss von SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger-Oberholzer zurück, der demnächst ins Parlament kommen soll. Datenschützer Hanspeter Thür sagte der Nachrichtenagentur SDA, dass "eine gewisse Eigendynamik entstehe, wenn Amtsstellen verpflichtet werden, Daten zu sammeln" - und forderte bessere Kontrollen.

 Bis im Oktober will der Bundesrat zu den Vorwürfen und Empfehlungen der GPDel Stellung nehmen. Klar ist bereits jetzt, dass nach der jüngsten Fichen-Affäre eine Verschärfung präventiver Massnahmen für den Staatsschutz im Parlament keine Chancen haben dürfte. "Mit solch einem Stuss ebnet man nicht gerade das politische Terrain", sagte der Aargauer FDP-Nationalrat Philipp Müller.

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Kommentar

 Staatsschutz mit Messie-Syndrom

 Von David Sieber

 "Betroffene leiden an einem Defizit, ihre Handlungen geplant und zielgerichtet an der Bewältigung ihrer alltäglichen Aufgaben auszurichten. Dies kann sich in zwanghaftem Sammeln wertloser oder verbrauchter Dinge äussern." Die Wikipedia-Definition des so genannten Messie-Syndroms könnte am Beispiel des Schweizer Staatsschutzes verfasst worden sein. Was die Geschäftsprüfungsdelegation gestern präsentiert hat, ist ein Blick in eine Schattenwelt, deren Protagonisten unmöglich bei klarem Verstand sein konnten. Wie wenn es vor 20 Jahren keinen Fichen-Skandal gegeben hätte, sammelte der Dienst für Aufklärung und Prävention (DAP) Daten sonder Zahl. Es wurde nicht gewichtet, es wurde nicht überprüft, die Relevanz für den Staatsschutz spielte keine Rolle. 200 000 Personen wurden registriert, Datenmüll ohne Ende produziert.

 Und nicht einmal der damalige Justizminister Christoph Blocher, dessen Weltbild der Freiheit der Bürger oberste Priorität einräumt, gelang es, das Treiben des kleinen Trüppchens zu beenden. Im Nachhinein stellt es sich als Glücksfall heraus, dass jene Basler Grossräte mit ausländischen Wurzeln, die völlig schuldlos ins Visier der Staatsschützer gerieten, 2008 an die Öffentlichkeit gegangen sind. Sie haben nicht nur den Datenschützer auf den Plan gerufen, sondern auch die Politik.

 Nun gilt es, die nötigen Sicherungen einzubauen. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch: direktes Einsichtsrecht für die Fichierten, mehr Kontrolle über den Staatsschutz, restriktivere Regeln, was überhaupt erfasst werden darf. In Zeiten, in denen der Terror globalisiert ist, wäre es fahrlässig, den Nachrichtendienst gleich abzuschaffen. Nur sollten die Schlapphüte erst auf ihre psychische Gesundheit überprüft werden.

 dsieber@suedostschweiz.ch

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St. Galler Tagblatt 1.7.10

Vom Kalten Krieg zum "Schnüffelstaat"

 Die Fichenaffäre stürzte die Schweiz vor 20 Jahren in eine Staatskrise. Nach der Aufarbeitung waren sich Politik und Öffentlichkeit einig: Nie wieder soll der Staat unkontrolliert Daten über Hunderttausende Bürger sammeln können.

 Der Skandal erreichte im März 1990 einen Höhepunkt. Rund 100 000 Schweizerinnen und Schweizer hatten bereits Einsicht in ihre Akte verlangt, täglich kamen Tausende hinzu. Der Bundesrat hatte versprochen, jede Anfrage zu beantworten. Doch mit diesem Ansturm hatte niemand gerechnet. In Bern machten Gerüchte über einen kollektiven Rücktritt der Landesregierung die Runde, auf der Strasse protestierten Zehntausende gegen den "Schnüffelstaat" - das Land stand vor einem politischen Scherbenhaufen.

 Angst vor "subversiven Aktivitäten"

 Die Affäre hatte in der Schlussphase des Kalten Krieges ihren Lauf genommen. Bundespolizei und Bundesanwaltschaft sammelten zusammen mit kantonalen Polizeien Informationen über rund 700 000 Personen und Organisationen. Bei den damals rund 6,5 Millionen Einwohnern waren dies mehr als 10 Prozent der Bevölkerung. Die Schweiz sollte damit vor "subversiven Aktivitäten" zur Destabilisierung des Systems und der Errichtung einer Diktatur geschützt werden. Im Lauf der Untersuchung stellte sich heraus, dass 900 000 Fichen (Französisch für "Karteikarten") angelegt worden waren, vorwiegend über Personen und Organisationen aus dem linken Umfeld.

 Aufgedeckt wurde die Affäre durch die Parlamentarische Untersuchungskommission PUK EJPD, die sich eigentlich mit den Fehlern von Bundesrätin Elisabeth Kopp befassen sollte. Die Fichenaffäre führte 1990 zur PUK EMD unter Ständerat Carlo Schmid (siehe nebenstehende Reaktionen). Diese deckte die Geheimarmee P 26 und den Nachrichtendienst P 27 auf. Diese Skandale erschütterten die Öffentlichkeit erneut. Das ging so weit, dass Kulturschaffende zum Boykott der 700-Jahr-Feier von 1991 aufriefen.

 Von den Fichen zu Isis

 Im Lauf der 1990er-Jahre beruhigte sich die Situation. Die Volksinitiative "S.o.S. - Schweiz gegen den Schnüffelstaat" zur Abschaffung der politischen Polizei wurde 1998 mit 75 Prozent Nein-Stimmen verworfen. Die Fichenaffäre führte aber zu einer Trennung von Bundesanwaltschaft und Bundespolizei, die Fichen wurden 1994 durch das Staatsschutz- Informationssystem Isis abgelöst. Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 verstärkte der Staatsschutz seine Aktivitäten erneut. Andri Rostetter

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Zürichsee-Zeitung 1.7.10

Staatschutz Der Weg zum "Schnüffelstaat"

 "Nie wieder" hiess es damals nach dem Fichen-Skandal

 Die Fichen-Affäre stürzte die Schweiz vor 20 Jahren in eine Staatskrise.

 Andri Rostetter

 Der Skandal erreichte im März 1990 einen Höhepunkt. Rund 100 000 Schweizerinnen und Schweizer hatten bereits Einsicht in ihre Akte verlangt, täglich kamen Tausende hinzu. Der Bundesrat hatte versprochen, jede Anfrage zu beantworten. Doch mit diesem Ansturm hatte niemand gerechnet. In Bern machten Gerüchte über einen kollektiven Rücktritt der Landesregierung die Runde, auf der Strasse protestierten Zehntausende gegen den "Schnüffelstaat" - das Land stand vor einem politischen Scherbenhaufen.

 "Subversive Aktivitäten"

 Die Affäre hatte in der Schlussphase des Kalten Krieges ihren Lauf genommen. Bundespolizei und Bundesanwaltschaft hatten zusammen mit kantonalen Polizeien Informationen über rund 700 000 Personen und Organisationen gesammelt. Bei den damals rund 6,5 Millionen Einwohnern waren dies mehr als 10 Prozent der Bevölkerung. Die Schweiz sollte damit vor "subversiven Aktivitäten" zur Destabilisierung des Systems und der Errichtung einer Diktatur geschützt werden. Im Lauf der Untersuchung stellte sich heraus, dass 900 000 Fichen (französisch für "Karteikarten") angelegt worden waren, vorwiegend über Personen und Organisationen aus dem linken Umfeld. Aufgedeckt wurde die Affäre durch die parlamentarische Untersuchungskommission PUK EJPD, die sich eigentlich mit den Fehlern von Bundesrätin Elisabeth Kopp befassen sollte. Die Fichen-Affäre führte 1990 zur PUK EMD unter Ständerat Carlo Schmid. Diese deckte die Geheimarmee P26 und den geheimen Nachrichtendienst P27 auf. Diese Skandale erschütterten die Öffentlichkeit erneut. Das ging so weit, dass Kulturschaffende zum Boykott der 700-Jahr-Feier von 1991 aufriefen.

 Von den Fichen zu Isis

 Nach der Aufarbeitung des FichenSkandals waren sich Politik und Öffentlichkeit einig: Nie wieder soll der Staat unkontrolliert Daten über Hunderttausende Bürger sammeln können. Im Lauf der 1990er Jahre beruhigte sich dann die Situation. Die Volksinitiative "S.o.S. - Schweiz gegen den Schnüffelstaat" zur Abschaffung der politischen Polizei wurde 1998 mit 75 Prozent Nein-Stimmen verworfen. Die Fichen-Affäre führte aber zu einer Trennung von Bundesanwaltschaft und Bundespolizei, die Fichen wurden 1994 durch das Staatsschutz-Informationssystem Isis abgelöst. Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 verstärkte der Staatsschutz seine Aktivitäten erneut.

 Nachgefragt Christoph Mörgerli

 "Wo bitte sind die Missstände?"

 Wie beurteilen Sie den Bericht der Geschäftsprüfungskommission (GPDel) über die Missstände im Staatsschutz?

 Wo bitte sind die Missstände? Bei 1,6 Millionen Ausländern und 200 000 Sans-Papiers finde ich 200 000 Fichen eher wenig. Das ist aufgeblasenes Geschwafel der völlig politisierten GPDel unter SP-Ständerat Claude Janiak. Seit bald drei Jahren warten wir auf seine Untersuchung über das Komplott von GPK und Staatsanwaltschaft gegen Christoph Blocher von 2007. Doch ausser Vertuschen geschah nichts. Jetzt behauptet dieses peinliche Gremium, der Bundesrat habe über die Fichierung nichts gewusst - aber Bundesrat Blocher sei an allem schuld!

 Wie gravierend sind die Missstände? Ist die Situation vergleichbar mit der Fichen-Affäre von 1989?

 1989 gelang es der Linken mit der so genannten Fichen-Affäre, vom damaligen totalen Zusammenbruch des sozialistischen Ostblocks abzulenken. Chef-ankläger war ausgerechnet ein junger SP-Politiker namens Moritz Leuenberger, der an der Uni mit der Mao-Bibel herumlief. Die SVP und insbesondere Bundesrat Blocher haben sich immer gegen einen überbordenden Staatsschutz und für die Freiheit der Bürger eingesetzt. Blocher war als Justizminister energisch gegen die Zusammenlegung der Geheimdienste, weil er überzeugt war, dass sich diese gegenseitig in Schach halten müssen. Ausgerechnet die GPDel hat sich dem widersetzt und wollte den Dienst für Analyse und Prävention sowie den Strategischen Nachrichtendienst zusammenlegen.

 Dem damaligen Justizminister Christoph Blocher wird vorgeworfen, die personellen Kapazitäten zur Qualitätskontrolle im Staatsschutz nicht zur Verfügung gestellt zu haben.

 Das ist typisch für die Ausrichtung der GPDel. Überall dort, wo ein paar Beamte eingespart werden, sehen die Linken sofort nur noch Kaputtsparen und den Untergang der Nation. Genau dieselben Fichen-Kritiker können gleichzeitig nicht genug neue "Hooligan-Datenbanken" und Schengen-Fichen kriegen.

 In der GPDel sind aber nicht nur linke Politiker vertreten. Auch der Schwyzer SVP-Ständerat Alex Kuprecht hat den Bericht unterschrieben.

 Unterschrieben schon, aber geschrieben haben den Bericht wie immer Mitarbeiter der Verwaltung.

 Wie lässt sich die Aufsicht über den Staatsschutz verbessern?

 Selbstverständlich braucht der Staatsschutz eine demokratische Kontrolle. Aber wenn jemand dafür nicht geeignet ist, dann eine rein politisch agierende "Nebenregierung" wie die GPDel. Diese war ja schon mit der UBS-Affäre und mit dem Fall Libyen heillos überfordert. Philipp Hufschmid

 * Christoph Mörgeli ist SVP-Nationalrat und wohnt in Stäfa.

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NLZ 1.7.10

Datenskandal

 Big Brother beim Staatsschutz

Von Andri Rostetter

 Der Staatsschutz kann das Schnüffeln nicht lassen: Jahrelang hat er Daten angehäuft - auch über unbescholtene Bürger. Und vertuschte diese Aktivitäten erst noch.

 Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des Parlaments hat gestern Erschreckendes mitgeteilt: Die Delegation hatte die Aktivitäten des Staatsschutzes unter die Lupe genommen und festgestellt, dass dieser während Jahren wahllos Daten gesammelt und Gesetze missachtet hat.

 So hat der Dienst für Analyse und Prävention (DAP) 200 000 Datensätze über in der Schweiz lebende Personen angelegt; darunter auch verdächtige Islamisten, Globalisierungsgegner und rechtsextreme Szenegänger. Aber auch über Bürger, denen nichts staatsgefährdendes vorzuwerfen ist (siehe Box rechts). Die Staatsschützer haben dabei zentrale gesetzliche Vorgaben missachtet, wie der gestern vorgestellte Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation offenlegt.

 Alte Daten nicht gelöscht

 Die offengelegten Missstände gehen bis auf die Fichenaffäre Ende der Achtzigerjahre zurück. Nach dem Skandal wurde 1994 das Staatsschutzinformationssystem Isis eingeführt. Anfang 2005 überführte der DAP die Daten in das Nachfolgesystem Isis-NT. Nicht relevante Daten wurde aber nicht gelöscht, sondern mit grossem Aufwand ins neue System übertragen.

 Zusätzlich wurden neue Daten erfasst. Das Personal, das für die Qualitätssicherung vorgesehen war, wurde dabei für die Datenerfassung eingesetzt. Passiert ist das in der Zeit, als der Nachrichtendienst des Bundes noch dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) unterstellt war. Auf den Plan gerufen hatten die GPDel unter anderem Isis-Einträge zu mehreren Basler Grossräten, die 2007 bekannt wurden.

 Beschönigend und irreführend

 Die Vorwürfe sind happig: Gemäss dem Bericht der GPDel seien viele Informationen "gar nie erheblich genug" gewesen, um erfasst zu werden, oder sie wurden zu lange aufbewahrt. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) habe es nach dem Systemwechsel von 2005 unterlassen, rechtzeitig genug Personal zu fordern, heisst es weiter in dem 75-seitigen Bericht.

 Zudem habe der Dienst für Analyse und Prävention, der 2010 im neuen Nachrichtendienst des Bundes (NDB) aufging, die chronischen Pendenzen verschwiegen. Geschwiegen hat der Staatsschutz auch in Bezug auf die Beurteilung der Daten. "Gegenüber der GPDel vermied es der DAP bis Ende 2008 systematisch, offenzulegen, dass seit Anfang 2005 die Gesamtbeurteilungen rechtswidrig eingestellt worden waren", hält die GPDel fest. Sie spricht von über 100 000 periodischen Beurteilungen, die nicht gemacht worden seien. In dieser Zeit seien die Aussagen des DAP im besten Fall "beschönigend", teilweise sogar "eindeutig irreführend" gewesen, schreibt sie.

 Die GPDel stellt der damals zuständigen Führungsriege, darunter DAP-Chef Urs von Daeniken und sein Vorgesetzter Bundesrat Christoph Blocher, ein schlechtes Zeugnis aus. Von Daeniken habe "schlicht nicht korrekt informiert", kritisierte GPDel-Präsident und Ständerat Claude Janiak (SP). Und fügt an: "Die Kenntnisse der Missstände war da, es fehlte aber der Wille, sie zu beheben", sagte Janiak.

 Registiert trotz Einbürgerung

 Im GPDel-Bericht ist der Fall eines Mannes beschrieben, der wegen seiner Staatsangehörigkeit registriert wurde. Der Bürger eines nordafrikanischen Staates wurde an der Grenze erfasst und in der Datenbank registriert. Später wurde er eingebürgert, blieb aber registriert. In einem anderen Fall wurde ein Mann registriert, der wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand angehalten wurde und dabei rechtsextremistische Lieder sang.

 Die "schlechte Bewirtschaftung" der Datenbank soll für den Staatsschutz Konsequenzen haben. Die GPDel fordert unter anderem eine provisorische Datensperre. Ein externer Experte soll bestimmen, welche Daten gelöscht und welche behalten werden sollen. Wie viele Personeneinträge von einer Sperre betroffen wären, ist noch nicht klar.

 nachrichten@neue-lz.ch

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 Vor allem Ausländer wurden registriert

 Der Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) bringt die Tragweite der Datensammelwut beim Staatsschutz ans Licht. So betrug die Zahl der registrierten Personen im Mai 183 000. 117 000 davon galten als potenziell staatsgefährlich ("eigene Staatsschutzrelevanz"), 66 000 standen in irgendeiner Verbindung zu den 117 000 und wurden als so genannte "Drittpersonen" registriert. Von den 183 000 Personen besassen 9150 (5 Prozent) einen Schweizer Pass, 22 326 (12,2 Prozent) hatten ihren Wohnsitz in der Schweiz.

 Rechts- und Linksextreme

 Der grösste Teil der registrierten Personen sind Ausländer, deren Lebensmittelpunkt nicht die Schweiz ist. Sie geraten etwa ins Visier der Staatsschützer, wenn sie verdächtigt werden, Kontakte zu Terrororganisationen wie el Kaida zu pflegen. Potenzielle Kandidaten für einen Eintrag sind beispielsweise auch Aktivisten der kurdischen Arbeiterpartei PKK oder der Tamil Tigers (Sri Lanka). Als fichierte Schweizer Bürger kommen unter anderem Rechts- und Linksextremisten in Frage.

 Demonstranten erfasst

 Aber auch Menschen, bei denen die Relevanz für eine solche Registrierung nicht gegegeben ist. Darunter offenbar auch Teilnehmende von Demonstrationen, denen nichts Gesetzeswidriges zur Last gelegt wird.

 Der GPDel-Bericht nennt das Beispiel einer Frau, die sich für Entwicklungsländer engagiert und an Demonstrationen teilgenommen hat. Der Staatsschutz des Kantons Basel-Stadt verfasste einen Bericht über die Frau, weil ein benachbarter Nachrichtendienst die Schweiz um Auskunft über Personen gebeten hatte, mit der die Frau Kontakt hatte. Informationen über die Frau und ihren Ehemann wurden in der Folge beim Staatsschutz registriert.

 Solche Anfragen aus dem Ausland habe es regelmässig gegeben, heisst es im GPDel-Bericht weiter.

 Bonus: Den Bericht der Delegation gibt es auf www.zisch.ch/bonus

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Neue Fichenaffäre

 Kuprecht: "Wir wurden angelogen"

Interview von Eva Novak, Bern

 Der Schwyzer SVP-Ständerat Alex Kuprecht hat mitgeholfen, die jüngsten Machenschaften des Staatsschutzes aufzudecken. Er kritisiert auch alt Bundesrat Blocher.

 Wieder hat der Inlandnachrichtendienst die gesetzlichen Vorgaben nicht eingehalten und ausufernd Leute registriert. Hat seit der Fichenaffäre wirklich kein Kulturwandel stattgefunden?

 Alex Kuprecht*: Das kann man so sagen. Beim Inlandnachrichtendienst, dem ehemaligen Dienst für Analyse und Prävention (DAP), hat sich die Kultur tatsächlich nicht geändert. Dazu kamen die grossen Schwierigkeiten bei der Überführung der Datenbank Isis ins neue Informatiksystem.

 Welche Schwierigkeiten?

 Kuprecht: Die alten Einträge wurden nicht überprüft, das heisst die gesetzlich vorgegebenen Fristen nicht eingehalten. Man hatte zu wenig Personal, weil man dieses zuvor abgebaut hatte, und musste neues einstellen, was nicht zuletzt auf Kosten der Qualität ging. Schliesslich kann man nicht von einem Tag auf den anderen beurteilen, was staatsschutzrelevant ist und was nicht.

 Hat man die Prioritäten falsch gesetzt?

 Kuprecht: Das nicht, aber man hat die Prioritäten auf der Zeitachse nicht einhalten können, weil zu wenig Personal da war, um die Datenmenge zu überprüfen und allenfalls löschen zu können. Man hat die Überführung ins neue Datensystem unterschätzt. Dadurch bekam man immer mehr Daten und kam mit der Qualitätssicherung nicht mehr nach.

 Ist das in Ihren Augen die schlimmste Erkenntnis der Untersuchung?

 Kuprecht: Ja, und die zweitschlimmste lautet, dass es die Verantwortlichen unterlassen haben, zeitgerecht zu handeln, obwohl die Geschäftsprüfungsdelegation immer wieder auf das Problem aufmerksam gemacht hat.

 Haben Sie konkrete Beispiele?

 Kuprecht: Wir sind durch die Grossratskandidaten im Kanton Basel auf das Problem aufmerksam geworden. Als wir der Sache nachgingen, stellten wir fest, dass tatsächlich zwei Personen darunter waren, die aufgrund ihres politischen Mandats nicht hätten fichiert werden dürfen.

 Gewisse Ausländer - vor allem Nordafrikaner - wurden nur aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit registriert?

 Kuprecht: Ja, die sogenannte Fotopasskontrolle - die Registrierung von Ausländern beim Grenzübertritt - vergrösserte die ganze Datenmenge zusätzlich. Und im Backoffice schuf man viel zu spät die zur Kontrolle nötigen Ressourcen. Wir wurden auch angelogen: Es hiess, alles sei okay, man habe es im Griff und werde das bald erledigen. Dies wurde aber einfach nie gemacht.

 Sehen Sie da ein Führungsproblem?

 Kuprecht: Letztlich ist es tatsächlich ein Führungsproblem, und zwar bis zuoberst hinauf. Angefangen vom damaligen DAP-Chef Urs von Daeniken über seinen Vorgesetzten, den Chef der Bundespolizei (Fedpol) Jean-Luc Vez, bis zum damals zuständigen Bundesrat.

 Sie sprechen von Christoph Blocher?

 Kuprecht: Ja, so ist es.

 Blocher figuriert aber nicht auf der Liste der angehörten Personen. Warum haben Sie ihn nicht befragt?

 Kuprecht: Selbstverständlich haben wir ihn periodisch immer wieder befragt. Die Geschäftsprüfungsdelegation hatte jedes Jahr mindestens zweimal eine Aussprache mit dem Chef des Justiz- und Polizeidepartements sowie mit dem Chef des Verteidungsdepartementes, welchem der Auslandnachrichtendienst angegliedert war. Da stand immer auf der Traktandenliste, man müsse jetzt schauen, dass personell etwas gehe. Die Maxime lautete aber damals Entschlackung der personellen Ressourcen, Entschlackung des Staates und Effizienzsteigerung.

 Einen schlanken Staat forderte nicht nur Blocher, sondern die ganze SVP. Haben Sie seitdem etwas gelernt?

 Kuprecht: Ich musste nichts lernen. Das war die Maxime der Partei und insbesondere jene von Herrn Blocher, der damit den Beweis antreten wollte, die Effizienz mit einem Personalabbau steigern zu können. In dem Bereich war es aber schlicht und einfach nicht der Fall. Es wurde im Gegenteil dadurch schlimmer.

 Ist es eine Neuauflage der Fichenaffäre?

 Kuprecht: Es gibt zwar Ähnlichkeiten, doch kann man es nicht ganz vergleichen. Die rund 900 000 vor über 20 Jahren aufgedeckten Fichen, welche zur gleichnamigen Affäre führten, waren unter dem Eindruck des Kalten Krieges angelegt worden. Die Masse von Daten, die jetzt angesammelt wurden, hängt viel mehr mit dem Islamismus und dem Terrorismus zusammen. Da ein wachsames Auge darauf zu haben, ist im Grundsatz schon richtig - aber nicht in dieser Menge und vor allem nicht in dieser schlechten Qualität. Da figurieren Leute in der Datenbank, die überhaupt nichts Staatsgefährdendes getan haben.

 Nach der Fichenaffäre stellte sich heraus, dass Leute wegen ihres Eintrags Nachteile erlitten hatten - sie bekamen zum Beispiel deswegen keinen Job. Können Sie ausschliessen, dass es wieder solche Fälle gegeben hat?

 Kuprecht: Uns ist nichts solches bekannt. Aber bei rund 200 000 Registrierten kann ich nichts ausschliessen.

 Die GPDel empfiehlt jetzt eine Informationssperre und unabhängige Kontrollmöglichkeiten. Sind das für Sie die wichtigsten Forderungen?

 Kuprecht: Primär bin ich der Meinung, dass man jene Daten, die unrechtmässig gespeichert werden und schon längst hätten gelöscht werden müssen, auch blitzartig löscht. Mit dem Risiko, dass jemand gelöscht wird, der nicht unbedingt hätte gelöscht werden sollen. Dieses Risiko muss man aber eingehen und Einträge, die älter als fünf und zehn Jahre sind, schleunigst vernichten.

 Und dann kann man zur Tagesordnung übergehen?

 Kuprecht: Nein, wir sind daran, mit dem neuen Gesetz über den zivilen Nachrichtendienst dafür zu sorgen, dass das nicht mehr passieren kann - indem man klarere Kriterien einfügt und die Qualitätskontrolle verbessert.

 Ist das nicht etwas blauäugig? Das hiess es doch schon nach der Fichenaffäre.

 Kuprecht: Aufgrund der Fichenaffäre hat man die Geschäftsprüfungsdelegation geschaffen. Wir haben Einsicht gehabt und mehrmals angemahnt und Fristen gesetzt. Früher hat es das gar nicht gegeben.

 Soll man den Staatsschützern, obwohl sie gepfuscht und gelogen haben, trotzdem mehr Instrumente für die präventive Überwachung in die Hände geben?

 Kuprecht: Wo gearbeitet wird, können Fehler passieren. Die Frage lautet, welche Instrumente der Staatsschutz noch bekommen soll. Wir haben uns da auch noch nicht klar festgelegt. Vielleicht braucht es einen zusätzlichen Staatsschutzbeauftragten neben der Geschäftsprüfungsdelegation.

 Was ist mit dem Lauschangriff, den VBS-Chef Ueli Maurer 2013 wieder bringen will?

 Kuprecht: Man kann den Lauschangriff nicht von vorneherein verteufeln. Wenn der Staatsschutz bei verdächtigen Personen E-Mails und Telefone überwachen will, braucht er bei uns einen richterlichen Beschluss, der nur sehr schwierig zu bekommen ist. Es gibt durchaus Situationen, in denen man über solche Mittel sehr froh wäre: nämlich dann, wenn man dadurch ein Verbrechen vermeiden und Menschen schützen kann.

 Hinweis: * Der Schwyzer SVP-Ständerat Alex Kuprecht ist Mitglied der Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments.

 eva.novak@neue-lz.ch

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 Mehr Rechte für Bespitzelte

 Der eidgenössische Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür ist vom Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) zur Datenbearbeitung im Informationssystem des Staatsschutzes nicht überrascht. Er selbst hat der GPDel Hinweise geliefert.

 Von einer zweiten Fichenaffäre will er nicht sprechen. Aber: "Die Grössenordnung zeigt, dass gewisse Eigendynamik entsteht, wenn Amtsstellen verpflichtet werden, Daten zu sammeln", sagte Thür gestern. Dass ausserdem der Schwerpunkt bei der Datensammlung auf Quantität und nicht auf Qualität gelegt worden sei, "war ein Führungsentscheid", ist Thür überzeugt. Thür fordert nun eine bessere Kontrolle der Nachrichtendienste.

 Gesetze korrekt anwenden

 Auch Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf äusserte sich gestern kurz zu den Daten sammelnden Staatsschützern. "Wir nehmen die ganze Angelegenheit ernst", sagte sie. Der Nachrichtendienst müsse die Gesetze korrekt anwenden. "Wir sind uns bewusst, dass noch Verbesserungen möglich sind." Laut der Justizministerin sind gewisse Massnahmen bereits aufgegleist: Das Verteidigungsdepartement arbeite an einer Revision der Verordnung über den Nachrichtendienst, die auch Verbesserungen in Bezug auf die Staatsschutzaktivitäten der Kantone bringe.

 Bessere Kontrollen

 Widmer-Schlumpf erinnerte weiter daran, dass das Auskunftsrecht geändert werden soll. Wer wissen will, ob der Nachrichtendienst über ihn Daten sammelt, hat künftig das Recht, dies zu erfahren. Mit der geplanten Änderung würden die Kontrollabläufe verbessert, sagte die Justizministerin.

 Widmer-Schlumpf betonte, dass der Staatsschutz reorganisiert wurde: Während früher das Justiz- und das Verteidigungsdepartement zuständig waren, ist es heute nur noch das Verteidigungsdepartement.

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 Vom Kalten Krieg zum Schnüffelstaat

 Andri Rostetter

 Mit der Bespitzelung von unbescholtenen Bürgern hat unser Land schon einige Erfahrung. So führte vor 20 Jahren die so genannte Fichen-Affäre beinahe in eine Staatskrise. Nach der Aufarbeitung waren sich Politik und Öffentlichkeit einig: Nie wieder soll der Staat unkontrolliert Daten über Hunderttausende Bürger sammeln können.

 Grosser Ansturm

 Der Skandal erreichte im März 1990 einen Höhepunkt. Rund 100 000 Schweizer hatten bereits Einsicht in ihre Akte verlangt, täglich kamen Tausende hinzu. Der Bundesrat hatte versprochen, jede Anfrage zu beantworten. Doch mit diesem Ansturm hatte niemand gerechnet. In Bern machten sodann Gerüchte über einen kollektiven Rücktritt der Landesregierung die Runde, auf der Strasse protestierten Zehntausende gegen den "Schnüffelstaat" - das Land stand vor einem politischen Scherbenhaufen.

 Die Affäre hatte in der Schlussphase des Kalten Krieges ihren Lauf genommen. Bundespolizei und Bundesanwaltschaft hatten zusammen mit kantonalen Polizeien Informationen über rund 700 000 Personen und Organisationen gesammelt. Bei den damals rund 6,5 Millionen Einwohnern waren dies mehr als 10 Prozent der Bevölkerung.

 Schutz vor einer Diktatur

 Die Schweiz sollte damit vor "subversiven Aktivitäten" zur Destabilisierung des Systems und der Errichtung einer Diktatur geschützt werden. Im Lauf der Untersuchung stellte sich heraus, dass 900 000 Fichen angelegt worden waren, vorwiegend über Personen und Organisationen aus dem linken Umfeld.

 Aufgedeckt wurde die Affäre durch eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) unter der Leitung des heutigen Bundesrates Moritz Leuenberger, die sich eigentlich mit den Fehlern von Bundesrätin Elisabeth Kopp im damaligen Polizei- und Justizdepartement befassen sollte. Dabei stiess die PUK beiläufig auf den Fichenskandal.

 Dieser zog dann weitere Kreise und führte 1990 zu einer weiteren PUK unter Ständerat Carlo Schmid, welche die Geheimarmee P 26 und den geheimen Nachrichtendienst P 27 aufdeckte. Diese Skandale erschütterten die Öffentlichkeit erneut. Das ging so weit, dass Kulturschaffende zum Boykott der 700-Jahr-Feier von 1991 aufriefen.

 Im Lauf der 1990er-Jahre beruhigte sich die Situation. Die Volksinitiative "S.o.S. - Schweiz gegen den Schnüffelstaat" zur Abschaffung der politischen Polizei wurde 1998 mit 75 Prozent Nein-Stimmen verworfen. Die Fichenaffäre führte aber zu einer Trennung von Bundesanwaltschaft und Bundespolizei, die Fichen wurden 1994 durch das Staatsschutz-Informationssystem Isis abgelöst. Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 verstärkte der Staatsschutz seine Aktivitäten erneut.

 nachrichten@neue-lz.ch

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Blick 30.6.10

Die Fichen-Fritzen fischten weiter

 Von  Henry Habegger

 War da mal ein Fichenskandal? Der Staatsschutz gefährdet mit seiner blinden Sammelwut schon wieder unsere Sicherheit.

 Vor 20 Jahren stellte eine PUK fest, dass der Staatsschutz unnütze und falsche Daten gesammelt und 900 000 Fichen angelegt hatte.

 20 Jahre später die schockierende Nachricht: "Seit der Fichenaffäre hat kein Kulturwandel stattgefunden", sagt Claude Janiak, Präsident der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel). Sie hat die neue, vom Inlandgeheimdienst DAP geführte Datensammlung überprüft. Fazit: Bereits sind wieder 200 000 Leute direkt oder als Drittpersonen in der ISIS-Datenbank fichiert (siehe Box). Die Qualität der Daten ist lausig. Beim "grössten Teil" wurde die verlangte Überprüfung nicht gemacht. Viele Daten sind laut GPDel falsch und irrelevant. Die "Zweckmässigkeit des Staatsschutzes steht grundlegend in Frage". Die Schlamperei könne "die Sicherheit des Landes gefährden".

 Die GPDel verlangt jetzt Sperrung der ungeprüften Daten. Und dass ein externer Datenschützer bestimmt wird, der über Freigabe oder Löschung der Daten entscheidet.

 Kein gutes Zeugnis erhält Ex-Bundesrat Christoph Blocher: Er machte zu wenig gegen das Puff.

 Skandalös: Der DAP unter Chef Urs von Däniken hat der Aufsicht verschwiegen, dass die Daten nicht überprüft wurden. Dazu wurden sogar Einträge frisiert. Janiak: "Von Däniken hat uns nicht korrekt informiert."

 Von Däniken war schon in den ersten Fichenskandal involviert, wurde sogar befördert. Erst 2009, vor der Fusion der Geheimdienste, wurde er als DAP-Chef abgelöst. Dank Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf darf er aber jetzt die Überführung der Bundesanwaltschaft in die Unabhängigkeit leiten (im BLICK). "Haarsträubend! Der Mann, der zwei Fichenskandale mit verantwortet, gehört weg", sagt GPK-Mitglied André Daguet. "Stattdessen überträgt ihm Widmer-Schlumpf ein neues heisses Dossier." Daguet will, dass Widmer-Schlumpf sich erklärt.

 Einziger Lichtblick: Jetzt ist Ueli Maurer zuständig für die Fichensammler. Und Janiak glaubt: "Er ist sensiblisiert."

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 Irre Beispiele der Sammelwut

 Die Fichierwut kann jeden treffen. Pikantestes Beispiel: Wegen seiner früheren Kontakte zum Apartheid-Regime in Südafrika wurde laut GPDel-Bericht Ex-Geheimdienstchef Peter Regli als "Drittperson" fichiert.

 Die Fichierwut kennt auch sonst kaum Grenzen

 Beim Grenzübertritt werden die Pässe von Ausländern aus bestimmten Ländern fotografiert. Die Leute landen ohne Kontrolle ihres Gefährdungspotenzials in der Fichensammlung.

 Personen, über die aus dem Ausland ein Auskunftsgesuch eingeht, werden fichiert, auch wenn der DAP nichts gegen sie vorliegen hat.

 Fichiert werden gerne Teilnehmende an Demonstrationen, obwohl sonst nichts gegen sie vorliegt. So eine laut GPDel unbescholtene Frau aus Basel, die sich für Drittweltländer einsetzte.

 2000 wurde eine Person fichiert, nur weil sie in angetrunkenem Zustand angehalten worden war, rechte Lieder sang und über Ausländer schimpfte.

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10vor10 30.6.10

Fichen: Übereifriger Geheimdienst

Der Schweizer Inlandsgeheimdienst hat offenbar seit der Fichenaffäre vor 20 Jahren nicht viel dazu gelernt: Heute sind wieder 200'000 Bürgerinnen und Bürger in der Staatsschutz-Datenbank fichiert, teilweise ohne rechtliche Grundlagen.
http://videoportal.sf.tv/video?id=9a993693-f365-46a6-aa65-10d0572d16d2

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Tagesschau 30.6.10

Kritik am Staatsschutz

Die Geschäftsprüfungsdelegation kritisiert das Vorgehen des Staatsschutzes mit privaten Daten. Zu viele Daten seien unnötig gespeichert worden. Einschätzungen von Fritz Reimann, SF-Redaktor, Bundeshaus.
http://videoportal.sf.tv/video?id=e63d6a72-5040-4a42-a62c-6a118a1aca2b

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Bundesrat zum Staatsschutz

Die zuständige Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf will zu den Vorwürfen der Geschäftsprüfungsdelegation im Detail nicht Stellung nehmen.
http://videoportal.sf.tv/video?id=3a5780a7-f099-4584-838a-527ace793b84

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Blick am Abend 30.6.10

Neue Fichen-Affäre

 GEHEIM

 Agenten des Bundes haben schon wieder Daten von 200 000 Bürgern gesammelt.

 Rund 20 Jahre nach der Fichenaffäre taucht ein neuer Skandal auf: Der Geheimdienst hat schon wieder 200 000 Leute fichiert. In der Datenbank sollen eigentlich nur Personen auftauchen, die staatsschutzrelevant sind. Genau aus diesem Grund schreibt das Gesetz eine Überprüfung spätestens fünf Jahre nach dem ersten Eintrag vor.

 Doch eine solche Überprüfung fand zumindest zwischen 2004 und 2008 nicht statt - angeblich aus technischen Gründen. Ebenso gravierend: Selbst falsche Daten wurden systematisch eingetragen.

 Die parlamentarische Oberaufsicht kritisiert den Nachrichtendienst deshalb scharf: Der ehemalige Dienst für Analyse und Prävention habe den gesetzlichen Anforderungen an die Qualitätssicherung der Daten "in keiner Art und Weise entsprochen". hcq

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grundrechte.ch 30.6.10

grundrechte.ch
droitsfondamentaux.ch
dirittifondamentali.ch

200'000 neue Fichen sind schlicht ein Skandal!
Medienmitteilung zum GPDel-Bericht vom 30. Juni 2010

Bereits im Juli 2008 deckte grundrechte.ch auf, dass der Staatsschutz gesetzeswidrig ausufernd überwacht und fichiert. Die damals dokumentierten Fälle (www.grundrechte.ch) sowie die Fichierung von Basler GrossrätInnen führten dazu, dass sich die GPDel als Aufsichtsorgan über die Geheimdienste endlich vertieft mit dem DAP auseinandersetzen musste.

Der Bericht zeigt, dass die Zahl der fichierten Personen mit "Staatsschutzrelevanz" ständig gestiegen ist. Viele zunächst als Drittpersonen Erfasste wurden geradezu automatisch zu Hauptpersonen befördert. Dabei wurden auch höchst persönliche Informationen aus dem Privatleben der Betroffenen fichiert.

Mit dem Bericht erteilt sich die GPDel selbst eine Ohrfeige: Obwohl sie immer wieder behauptet hat, die Staatsschutzorgane zu kontrollieren (Jahresberichte der GPDel), zeigt sie nun, dass viele Missstände über Jahre existierten und  - wie von grundrechte.ch immer wieder dargelegt - eine politische Kontrolle der Geheimdienste faktisch nicht stattfindet, weder beim Bund noch in den Kantonen.

Auch die Befürchtung, dass sich die Staatsschützer nicht einmal an ihre eigenen gesetzlich vorgesehenen internen Kontrollmechanismen halten, hat sich mit dem heute vorliegenden Bericht bestätigt. Eine Debatte über die Abschaffung dieses unnützen, gefährlichen und teuren Überwachungsapparates ist überfällig!

grundrechte.ch hält daher an den vor zwei Jahren bereits gestellten Forderungen fest:

- Keine Vernichtung der Fichen und dazugehörenden Dossiers: Allen Fichierten muss sofort vollständige und unzensurierte Einsicht in alle über sie erfassten Informationen gewährt werden.

- Nach Gewährung der Akteneinsicht und des Rechts auf Berichtigung müssen die Daten dem Bundesarchiv - ohne Zugriffsrecht des DAP bzw. NDB - übergeben werden.

- Die vom Bundesrat nach wie vor beabsichtigte Verschärfung des Staatsschutzgesetzes muss definitiv gestoppt und eine Diskussion über die Auflösung des DAP bzw. seines Nachfolgers NDB geführt werden.


Bern, den 30. Juni 2010
grundrechte.ch
Telefon 031 312 40 30

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BIG BROTHER SPORT
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Basellandschaftliche Zeitung 1.7.10

Der FCB zahlt neu weniger

 Baselland stellt Basel-Stadt für FCB-Spiele künftig Polizisten gratis zur Verfügung

 Baselland beteiligt sich neu indirekt auch an den Sicherheitskosten für FCB-Spiele. Für Basel-Stadt bleibt die Rechnung unter dem Strich gleich hoch. Der FCB kommt mit einem blauen Auge davon.

 Yen Duong

 Das lange und harte Ringen um die künftige und äusserst umstrittene Beteiligung des FC Basel an den Sicherheitskosten des Kantons Basel-Stadt hat ein Ende: Ab kommender Saison zahlt der FCB im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung für sämtliche Dienstleistungen pauschal 1,80 Franken pro Matchbesucher an den Stadtkanton.

 Bisher zahlte er 1,20 Franken - mussten Polizeikräfte aus anderen Kantonen eingesetzt werden, kamen aber noch weitere Kosten hinzu - und zusätzlich 40 Rappen an Baselland für die Verkehrsregelung. Letzteres entfällt ab der neuen Saison, die für den FCB am 20.Juli mit dem Spiel gegen den FC Zürich beginnt. "Das ist eine einfache und klare Lösung. Künftig müssen wir nicht mehr darüber diskutieren, ob es sich um ein Low-Risk-Spiel oder ein Hochrisikospiel handelt", sagte der Basler Justiz- und Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass gestern vor den Medien.

 Der FDP-Regierungsrat, der in der Vergangenheit immer wieder eine stärkere Beteiligung des FCB an den Kosten verlangte und damit polarisierte, sprach von einer Win-win-Situation für alle. Die Basler Regierung stockt das Budget seines Departements zudem um 500000 Franken auf, damit ungedeckte Kosten abgefedert werden können.

 Hälfte der Besucher aus Baselland

 Der Kanton Baselland verzichtet nicht nur auf die 40 Rappen pro Matchbesucher, darüber hinaus stellt er dem Stadtkanton bei jedem FCB-Spiel gratis Polizisten zur Verfügung. Im Gesamten zahlt Baselland neu rund 450000 Franken mehr. "Der FCB ist auch für Baselland eine Identifikation. Mehr als 50 Prozent der Matchbesucher stammen aus dem Baselbiet - das rechtfertigt unser Engagement", meinte die Baselbieter Sicherheitsdirektorin Sabine Pegoraro. Vergleiche man es mit dem Stadtkanton, dem die FCB-Einsätze jährlich etwa fünf Millionen kosten (Beteiligung des Vereins nicht inbegriffen), sei das nicht mal ein Zehntel, sagte die FDP-Regierungsrätin zudem.

 Dass der FCB über die Lösung nicht erfreut ist und die Harmonie zwischen der Basler Regierung und dem Club offenbar schon besser war, zeigte der Gesichtsausdruck von Vizepräsident Bernhard Heusler deutlich. "Wir sind nicht glücklich darüber, dass es neu 1,80 Franken pro Matchbesucher kostet. Aber wir sind überzeugt, dass es richtig ist - wir haben nicht nur eine grosse Bedeutung für die Region, sondern auch eine Verantwortung", fand Heusler. Diese Aussage erstaunt, kommt der FCB mit der neuen Regelung doch unter dem Strich besser davon (siehe Interview rechts). Die Kosten für Basel-Stadt bleiben indes praktisch gleich. Bisher zahlte der diesjährige Double-Gewinner im Durchschnitt jährlich 1,2 Millionen Franken an Basel-Stadt (zählt man Baselland mit, waren es etwa 1,3 Millionen) - neu werden es laut Gass bei etwa 600000 Matchbesuchern 1,1 Millionen Franken sein.

 Den FCB nicht ruinieren

 "Die Lösung ist für mich als Departementsvorsteher nun besser als vorher. Ich wollte einen besseren Kostendeckungsgrad für mein Departement. Das habe ich erreicht", fand Gass. Es nütze nichts, eine Vereinbarung abzuschliessen, die den FCB ruiniere. Die Sicherheitskosten seien nur ein Teil der Kooperationsvereinbarung. "Der FCB wird sich noch mit anderen Massnahmen massgeblich engagieren", sagte Gass.

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Bund 1.7.10

Gewalt beim Fussball

 FC Basel zahlt pro Besucher Fr. 1.80 an Sicherheitskosten

 Der Kanton Basel-Stadt und der FC Basel wollen vereint gegen die Gewalt im Stadion vorgehen, wie sie vereinbart haben. Feuerwerkskörper sind weiterhin verboten, die Eingangskontrollen werden verschärft, und es wird nur noch Leichtbier verkauft. Zudem will sich der FC Basel mit pauschal Fr. 1.80 pro Matchbesucher an den Sicherheitskosten des Kantons beteiligen. Bisher zahlte der FCB Fr. 1.20. (sda)

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NZZ 1.7.10

Nur noch Leichtbier im Joggeli

 FC Basel wird bei Sicherheitskosten entlastet

 dgy . Basel ⋅ Gewalttätige Ausschreitungen nach Fussballspielen sorgten zeitweise beinahe für die grösseren Schlagzeilen als die Leistungen des FC Basel. Vor diesem Hintergrund und infolge von Vorgaben der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) wollen die Behörden der beiden Basel sowie der FC Basel die Sicherheit rund um die Fussballspiele verbessern. Am Mittwoch präsentierten die drei Parteien eine gemeinsame Vereinbarung, die den Rahmen für das Sicherheitskonzept bei Heim- und Auswärtsspielen vorgibt.

 Die Zuschauer im Basler St.-Jakob-Stadion werden dabei vor allem von einer Massnahme betroffen, die bereits die KKJPD in ihrer Anfang Jahr verabschiedeten Mustervereinbarung vorsah: Ab nächster Saison ist der Verkauf von Getränken mit mehr als drei Prozent Alkohol in allen Sektoren verboten, was nichts anderes bedeutet, als dass nur noch Leichtbier angeboten wird. Bei Hochrisikospielen können die Behörden sogar ein generelles Alkoholverbot im Stadion verfügen. Verstärkt soll überdies auf die Risiken von Pyro-Aktionen aufmerksam gemacht werden.

 Den gewichtigsten Teil der Vereinbarung betreffen allerdings die Sicherheitskosten. Der FC Basel bezahlt künftig pauschal 1 Franken 80 pro Zuschauer, was bei 600 000 Zuschauern pro Jahr knapp 1,1 Millionen Franken ergibt. Das sei rund 100 000 Franken weniger als nach altem Schlüssel, erklärte FCB-Vizepräsident Bernhard Heusler vor den Medien. Im Vergleich zu anderen Schweizer Fussballklubs beteiligt sich der FC Basel aber auch so noch überdurchschnittlich stark an den Kosten. Ebenfalls daran beteiligt ist künftig der Kanton Basel-Landschaft, nämlich mit Leistungen im Gegenwert von rund 450 000 Franken. Für den Kanton Basel-Stadt bleiben unter dem Strich Kosten von rund 3,5 Millionen Franken.

 Man freue sich über den FCB und dessen Siege und wolle ihn unterstützen, sagte Basels Polizeidirektor Hanspeter Gass auf die Frage, weshalb der Klub entlastet werde. Sabine Pegoraro, Sicherheitsdirektorin des Kantons Basel-Landschaft, sagte, ihr Kanton sei an grösstmöglicher Sicherheit bei Fussballspielen interessiert - zum einen, weil das Stadion in unmittelbarer Nähe zur Kantonsgrenze liege, und zum anderen, weil mehr als 50 Prozent der Matchbesucher aus ihrem Kanton kämen. Heusler verwies überdies auf die Steuereinnahmen und die Wertschöpfung, die der Klub der Region bringe.

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 Gespräche in Zürich

 fsi. ⋅ Auch im Kanton Zürich finden seit geraumer Zeit zwischen den grossen Sportvereinen und den Behörden Gespräche zum Thema Kampf gegen Gewalt in den Sportstadien und Finanzierung der Sicherheitskosten statt. Laut einer Sprecherin der kantonalen Sicherheitsdirektion traf sich in der vergangenen Woche die Task-Force Gewalt in den Stadien. Dieses Gremium steht unter dem Patronat von Sicherheitsdirektor Hans Hollenstein und Gerold Lauber, Vorsteher des Schul- und Sportdepartements der Stadt Zürich. Der Arbeitsgruppe gehören Vertreter des Grasshopper Clubs und des FC Zürich, der Eishockeyvereine ZSC Lions und Kloten Flyers sowie Vertreter des städtischen Sportamts und der kantonalen Fachstelle Sport an. Wie weit die Gespräche bereits gediehen sind und wie es um eine Abwälzung der Polizeikosten auf die Vereine steht, konnte die Sprecherin am Mittwoch noch nicht sagen.

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ANTIREP KNAST-DEMO FR
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Indymedia 30.6.10

Vorladungen nach Demo 12.06 in Fribourg - was tun? ::

AutorIn : Antirep Bern         

Erste Vorladungen der Polizei bezüglich der Demonstration gegen Polizeigewalt vom 12.06.2010.

Das Antirep Bern wurde informiert, dass erste Personen telefonisch von der Polizei vorgeladen wurden.

Folgendes empfehlen wir den Betroffenen:

1.Polizeilichen Vorladungen NICHT Folge zu leisten
2.Telefonische Vorladungen prinzipiell abzulehnen
3.Wenn überhaupt, eine eingeschriebene, untersuchungsrichterliche Vorladung zu verlangen     
    
Aus dem Nichterscheinen bei polizeilichen Vorladungen entsteht für euch kein Nachteil, da die polizeiliche Vorladung nicht zwingend zu befolgen ist (egal was die Polizei behauptet!!!). Entlastende Aussagen könnt ihr bei einer allfälligen Einvernahme durch den Untersuchungsrichter immer noch machen. Ihr seid nicht gezwungen, euer Nichterscheinen zu begründen. Falls ihr euer Nichterscheinen begründen möchtet, könnte die Begründung folgendermassen lauten: "Falls tatsächlich gegen mich ermittelt wird, verlange ich, mittels eines eingeschriebenen Briefes, durch den Untersuchungsrichter vorgeladen zu werden."

Nach der Aufsichtsbeschwerde von augenauf Bern scheint die Polizei noch intensiver ihren unverhältnismässigen Polizeieinsatz legitimieren zu wollen und sucht dazu möglichst viele Schuldige. Es kann gut sein, dass die Polizei Vorladungen durchführt, weil sie noch zu wenig belastendes Material besitzt, um Anzeige gegen euch zu erstatten. Möglich ist, dass das Verfahren gegen euch eingestellt wird, wenn ihr nicht zur Vorladung erscheint. Werdet ihr trotzdem vom Untersuchungsrichter vorgeladen, habt ihr zumindest mehr Zeit, um euch auf die Fragen vorzubereiten und allenfalls einen Anwalt beizuziehen.

Falls Personen trotzdem polizeilichen Vorladungen Folge leisten, empfehlen wir strikte Aussageverweigerung (egal was die Polizei behauptet, gegen euch in der Hand zu haben). Dies ist jedoch um einiges schwieriger, als einfach nicht an der Vorladung zu erscheinen.

Personen, welche noch kein Gedankenprotoll geschrieben haben, empfehlen wir dies nachzuholen. Bei Einvernahmen ist es wichtig die Geschehnisse möglichst genau in Erinnerung zu haben.

Falls ihr ebenfalls vorgeladen werdet/wurdet, Anzeigen erhalten oder sonst etwas passiert, meldet euch bitte bei uns. Denn Koordination ist wichtig im Kampf gegen Repression!

Für allfällige Fragen stehen wir euch gerne zur Verfügung

Antirep Bern

 ea@immerda.ch

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RASSISTISCHE SYMBOLE
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Bund 1.7.10

Rassismus

 Strafnorm gegen Hakenkreuz wird nicht verschärft

 Der Bundesrat verzichtet auf eine neue Strafnorm gegen rassistische Symbole, weil eine solche Bestimmung nur schwer anwendbar wäre. Ab wann ein Symbol als rassistisch zu gelten habe, sei nicht eindeutig definierbar. Nach geltendem Recht ist der Gebrauch von Symbolen wie Hitlergruss oder Hakenkreuzen untersagt, wenn mit ihnen öffentlich für eine rassistische Ideologie geworben wird. Neu hätte der Gebrauch dieser Symbole in der Öffentlichkeit in jedem Fall strafbar sein sollen. Gebüsst werden sollte zudem auch, wer solche Symbole - und abgewandelte Formen davon - herstellt, in die Schweiz einführt, durch das Land transportiert oder ausführt. Auch das elektronische Speichern von Kopien von Vorlagen, Texten oder Bildern wäre untersagt worden. (sda)

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20 Minuten 1.7.10

Rassistische Symbole

 BERN. Der Bundesrat verzichtet auf eine neue Strafnorm gegen rassistische Symbole. Ab wann ein Symbol als rassistisch zu gelten habe, sei nicht eindeutig definierbar, so die Begründung. "Gilt das für eine schwarze Fahne, eine Bomberjacke, Kampfstiefel und kurz geschorene Haare?", so Eveline Widmer-Schlumpf. Laut geltendem Recht dürfen Fahnen, Abzeichen, Parolen oder Grussformen nicht öffentlich verwendet werden, wenn sie eine rassistische Ideologie symbolisieren und wenn mit ihnen für diese Ideologie geworben wird. Neu hätte der Gebrauch dieser Symbole in der Öffentlichkeit in jedem Fall strafbar sein sollen.

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NZZ 1.7.10

Kein weiteres Rassismusverbot

 Zweifel an Praxistauglichkeit in der Vernehmlassung

 C. W. ⋅ Der Bundesrat verzichtet darauf, dem Parlament eine Ergänzung des Strafgesetzbuches vorzulegen, die jede öffentliche Verwendung rassistischer Symbole strafbar machen würde. Im Vernehmlassungsverfahren waren unterschiedliche Meinungen geäussert worden. Bedenken, dass es bei der Anwendung, speziell etwa bei der Auslegung von Begriffen, zu Schwierigkeiten käme, waren indessen verbreitet.

 Die Pläne für eine Ergänzung der 1994 vom Volk angenommenen Rassismus-Strafnorm gehen auf das Jahr 2000 zurück. Eine rechtsextreme Störaktion bei der Rütlifeier war für die damalige Bundesrätin Ruth Metzler Anlass, gesetzgeberische Gegenmassnahmen prüfen zu lassen. Nach einer ersten Konsultation und aufgrund eines parlamentarischen Auftrags ging vor fast genau einem Jahr ein neuer Entwurf in das Vernehmlassungsverfahren.

 Das Ergebnis ist gemäss dem am Mittwoch publizierten Bericht relativ deutlich. Von den Parteien begrüsste nur die SP (im Gegensatz zu den Grünen) den Vorschlag. Die Kantone äusserten zwar mehrheitlich Zustimmung, oft aber nur mit Vorbehalten. Nach Meinung der Befürworter gilt es beim Schutz der Menschenwürde und des öffentlichen Friedens eine Lücke zu schliessen. Demgegenüber wird geltend gemacht, die neue Bestimmung könnte nur falsche Erwartungen wecken, zumal sie sich schwer anwenden und durchsetzen liesse. Die Begriffe - "rassistische Symbole, insbesondere Symbole des Nationalsozialismus oder Abwandlungen davon" - seien zu wenig bestimmt.

 Die Einwände mit Blick auf die Praxis scheinen für das Justiz- und Polizeidepartement entscheidend gewesen zu sein. Die Forderung nach möglichst präzisen Strafnormen habe besonderes Gewicht, wenn die Meinungsäusserungsfreiheit beschränkt werden soll, heisst es in der Pressemitteilung. Dort wird auch daran erinnert, dass die Werbung mit rassistischen Zeichen bereits strafbar ist. - Das dürften Gründe genug sein, dieses lange, wenig ergiebige Kapitel definitiv abzuschliessen.

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HOLOCAUST-LEUGNER
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20 Minuten 1.7.10

Holocaust-Leugner im Wallis - Politiker empört

 RIDDES VS. Der Holocaust-Leugner Richard Williamson hält sich derzeit im Wallis auf. Eine Einreisesperre hätte laut jüdischen Organisationen geprüft werden müssen.

 In diesen Tagen findet im Walliser Weiler Ecône die Priesterweihe der erzkonservativen Pius-Bruderschaft statt. Mit dabei ist laut "Le Matin" der äusserst umstrittene Bischof Richard Williamson. Der Brite fiel in der Vergangenheit wiederholt durch provokative Äusserungen auf. Gegenüber einem schwedischen Fernsehsender sagte er im Bezug auf den Holocaust: "Ich glaube, es gab keine Gaskammern." Wegen Leugnung des Holocaust wurde er im April von einem deutschen Amtsgericht zu 10 000 Euro Busse verurteilt.

 Williamsons Besuch schlägt auch in der Schweiz hohe Wellen: "Wir sind sicher nicht darüber erfreut, dass er hier weilt. Die juristische Frage einer Einreisesperre hätten die Behörden prüfen müssen", sagt Jonathan Kreutner vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund. Auch FDP-Politiker Christian Wasserfallen findet es "heikel, dass solche Extremisten einreisen können". Nationalratskollege Andy Tschümperlin (SP) zieht den Vergleich mit dem Islam-Prediger Pierre Vogel, dem vor einem halben Jahr die Einreise verweigert wurde: "Man sollte mit gleichen Ellen messen." Noch schärfer kommentiert die CVP Williamsons Einreise: "Holocaust-Leugner sind für mich untolerierbar. Sie sollen raus", so Sprecherin Marianne Binder. Das zuständige Bundesamt für Polizei wollte aus Datenschutzgründen keine Auskunft über den konkreten Fall geben.  

Antonio Fumagalli

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DROGEN
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WoZ 1.7.10

Kein Hunger, kein Schmerz

 Droge der Armen - In Südamerika breitet sich die Billigdroge Paco rasant aus, vor allem bei jungen Menschen. Sie schädigt Organe und führt zu Psychosen und Paranoia. Viele Süchtige begehen Selbstmord. Ein Augenschein in einem Armenviertel von Buenos Aires.

 Von Camilla Landbø, Buenos Aires (Text) und Lautaro Guillamondequi (Fotos)

 Er nimmt einen Schluck Wein. "Uns interessiert überhaupt nichts mehr", sagt Gallego, der seinen Spitznamen seiner spanischen Herkunft verdankt. Herbert und Pajarito hören schweigend zu und geben ihm mit Blicken ins Nirgendwo recht. "Ich stehe auf, trinke Wein, esse was, und dann rauche ich Paco." Traurige Stille. Weiter hinten hört man die Motoren der Langstreckenbusse, die im belebten Nordbahnhof ein- und ausfahren. Gallego sitzt auf dem Trottoir auf einem Stück Karton, gleich neben dem Eingang eines der berüchtigsten Armenviertel von Buenos Aires: Villa Retiro 31.

 Paco ist der Kurzname für Pasta basica de cocaina, zu Deutsch Kokapaste. Wo in Südamerika Kokain hergestellt wird, trifft man auch auf Paco. Es ist ein Neben- oder Abfallprodukt der Kokaingewinnung. Ganz genau wissen es die ExpertInnen nicht. Sicher ist, dass die meist bräunlichen Paco-Brösel, die lediglich ein paar Pesos kosten, mit allem Möglichen gestreckt werden: mit Putzmitteln, Kopfwehtabletten, Antibiotika, Pflanzenschutzmitteln, Rattengift. "Paco ist keine für den Menschen geschaffene Droge, das Kokain hingegen schon", sagt David Huanambal. Der argentinische Neuropsychiater beschäftigt sich seit über sechs Jahren mit Paco.

 "Lebende Tote"

 "Willst du unsere Pfeifen sehen?", fragt Herbert mit unkontrollierten spas tischen Bewegungen. Sein Nervensys tem ist lädiert. Er und Pajarito strecken die gewinkelten Abflussrohrteile hin, die an einem Ende mit Aluminiumfolien abgedeckt sind. Mit Trägermitteln wie Marihuana, Stahlwolle oder Tabak werden damit die Paco-Brösel geraucht. "Ein Genuss ist es nicht", sagt der 40-jährige Pajarito, "aber es weckt mich für zwei oder drei Minuten auf. Ich bin alarmbereit, sehe notfalls die Polizei sofort." Und vor allem ziehe es ihn aus der Realität heraus. Dann aber kommt die Talfahrt. Die Depression.

 Paco macht sehr schnell abhängig und schädigt Lunge, Herz, Leber und das Gehirn. "Wer viel konsumiert, hat Konzentrationsmängel, verfügt kaum noch über ein Erinnerungs- und Aufmerksamkeitsvermögen", sagt Huanambal, der als Forscher an der Universität und als Arzt in der Psychiatrieanstalt Borda in Buenos Aires arbeitet. "Viele Patienten werden mit einer irreversiblen Psychose und Paranoia eingeliefert", so der Neuropsychiater. Am schlimmsten aber sei es, wenn Kinder Paco rauchten. "Ihr Gehirn entwickelt sich nicht fertig." Der Schaden, den Paco anrichte, sei enorm, vor allem in den Gehirnzonen, "die für die soziale Kompetenz verantwortlich sind".

 In Argentinien gibts die Billigdroge erst seit ein paar Jahren - seit Kokain küchen im Land sind. Auf Drängen der Vereinten Nationen wurde in Kolumbien, Peru und Bolivien die Einfuhr von Chemikalien, die für die Kokainherstellung nötig sind, deutlich erschwert. Die Drogenmafia verlagerte daraufhin ihre Kokainproduktion zu grossen Teilen in die angrenzenden Staaten Brasilien, Chile, Uruguay und Argentinien. Als weiterer Grund für die Paco-Ausbreitung wird die argentinische Wirtschaftskrise von 2001/02 genannt. DieZahl der Arbeitslosen nahm rasant zu. Manch eineR griff schneller zu einer unbekannten Droge. Heute hat Paco das Leimschnüffeln ersetzt.

 "Lebende Tote" werden die Süchtigen genannt. Zombies. Bleich sind sie, abgemagert. Sie haben Flecken auf der Haut, aufgeplatzte Lippen wegen Vitamin- und Nährstoffmangels. In kürzester Zeit ist der Konsument ein Wrack. "Du spürst keinen Hunger, keinen Schmerz, keine Müdigkeit", sagt der im Gesicht ausgemergelte Pajarito. Einmal habe er sieben Tage nicht geschlafen, wirft Herbert ein. Gallego und Pajarito winken ab, das sei nicht möglich. Herbert pocht darauf, ist erbost. Ungewisse Stille. Plötzlich springt er auf und verschwindet.

 "Sekundäre Folgen"

Je nach Abhängigkeit braucht ein Paco-Raucher zwischen 50 und 150 Pfeifen pro Tag. Obwohl die Drogen an sich billig ist, wird der Konsum in dieser Menge teuer. Die Entzugserscheinungen sind unerträglich und bringen Aussetzer mit sich. "Beinahe alle Süchtigen werden gewalttätig", sagt Huanambal. Vor kurzenm erstach eine abhängige Mutter ihr Kind. Es kam nach dem Betteln ohne Geld zurück.

 Paco führt in den Tod. Wenige sterben allerdings an körperlichem Versagen, etwa durch einen Herzstillstand. Viele verlieren ihr Leben wegen der Beschaffungskriminalität. "Nicht selten durch einen Pistolenschuss", sagt Huanambal. Über Herberts Oberkörper zieht sich eine lange Narbe, ein Paco-Dealer griff ihn mit einem Messer an. In letzter Zeit verbreitet sich zudem unter den Abhängigen der Suizid: Sie erhängen sich, wenn sie das Paco-Leben nicht mehr ertragen. Offizielle Zahlen zu Paco-Toten in Argentinien gibt es nicht, da viele an "sekundären Folgen" sterben. Die "Mütter gegen den Paco", eine Selbsthilfeorganisation von Betroffenen (vgl. Seite 25), sprechen von 210 Drogentoten pro Monat.

 "Die stehen dort", sagt Gallego und zeigt auf einen Strassenabschnitt vor dem Armenviertel. Am Abend kämen die zehnjährigen Mädchen und prostituierten sich für zehn Pesos (drei Franken). So viel koste ein Säckchen Paco. Die Lastwagenfahrer würden anhalten, die Mädchen stiegen ein. Mit Paco würden alle Schwellen überschritten.

 Allmählich reagiert der argentinische Staat. Wieso hat das so lange gedauert? Tatsache ist, dass Paco zu Beginn nur in den Armenvierteln verbreitet war. Huanambal erinnert sich, dass er bis 2006 noch nie von einem Fall gehört hat, der nicht aus prekärsten Verhältnissen stammte. Mit der Zeit stellte die Justiz fest, dass gefasste Verbrecher sehr häufig auf Paco waren. In der Provinz Buenos Aires sind nach offiziellen Angaben 68 Prozent der Paco-Raucher kriminell. ExpertInnen sprechen von 98 Prozent. Heute bedroht die Droge nicht nur die BewohnerInnen der Armenviertel, sondern auch die Mittel- und Oberschicht.

 Polizei verdient mit

 Zehntausende ArgentinierInnen sind von Paco abhängig. Die Tageszeitung "Clarín" berichtete nach einer im Jahr 2009 durchgeführten Erhebung von 300 000 bis 700 000 Abhängigen, alleine in der Stadt und im Grossraum Buenos Aires. Präzise offizielle Zahlen gibt es keine. Fast alle ExpertInnen schütteln den Kopf, wenn sie von der Regierung geschätzte Zahlen sehen. "Je nach Armenviertel rauchen heute mindestens fünfzig Prozent der Kinder und Jugendlichen Paco", sagt Huanambal, der früher Strassenarbeit in den Slums in und um Buenos Aires geleistet hat. Der Konsum hat sich auf jeden Fall beängstigend vervielfacht. Die Paco-Mütter reden von einem 200-prozentigen Zuwachs im Jahr 2009. Tendenz steigend.

 Der Wein ist alle. Gallego und Pajarito wollen Paco rauchen. Sie stehen auf und biegen am Wochenmarkt vorbei ins Armenviertel ein. Rund 30 000 EinwohnerInnen leben nach offiziellen Zahlen in der Villa Retiro 31, die BewohnerInnen reden von 80 000. Es gibt kein fliessendes Wasser, keine Abwasserkanäle. In der Nacht sind Schreie und Schüsse zwischen den Blechdächern nichts Ungewöhnliches. Der Staat ist fast gänzlich abwesend. Heute beherrschen Paraguayer den Paco-Handel im Quartier, früher waren es Peruaner.

 Auf einem unzementierten, desolaten Platz sitzen mehrere Gestalten. "Alle wissen, dass diese Jungs hier Paco verkaufen", sagt Pajarito, "niemand aber will mit ihnen Probleme haben." Und die Polizei verdiene am Paco-Handel kräftig mit. Ein junger Dealer steckt ihnen ein Paco-Säckchen zu. Pajarito und Gallego zahlen, verlassen das Quartier und setzen sich in der Nähe in ein verrostetes Autowrack. Herbert taucht wieder auf. Er beisst in ein abgelaufenes Sandwich. Der Supermarkt um die Ecke hat Ware weggeworfen.

 Eine "Epidemie"

 Vergangenen August erklärte das Oberste Gericht Argentiniens den Besitz kleiner Marihuanamengen für den persönlichen Gebrauch als "nicht strafbar". Einer der Richter begründete: "Wir müssen uns auf den Kampf gegen Paco konzentrieren." Im selben Monat stellte die Regierung von Cris tina Kirchner ein Expertenteam zusammen, es soll unter anderem einen Plan zur Prävention und Betreuung von Paco-Abhängigen erarbeiten. Eine Erhebung der staatlichen Drogenbekämpfungsstelle Sedronar im Juni 2009 ergab, dass landesweit nur 3000 vom Staat finanzierte stationäre Plätze für den Drogenentzug existieren. Die sind zudem alle belegt und die Wartelisten lang.

 Paco ist keineswegs nur ein argentinisches Problem, auch Chile, Peru, Kolumbien, Venezuela und Brasilien sehen sich mit der Billigdroge konfrontiert. In Argentinien und Uruguay spricht man von einer "Epidemie". Ende Mai hat nun auch der brasilianische Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva der Droge den Kampf angesagt - mit einem Budget von 200 Millionen Dollar. "Wir erlauben es nicht, dass eine junge Generation ihre Zukunft verliert", so Lula.

 Pajarito legt einen Paco-Brösel auf die Pfeife. Ungeduldig wartet daneben Herbert. Pajarito raucht und gibt die Pfeife weiter. Schweigen. Entrückte Blicke. "Paco ist nicht zu bremsen", sagt Gallego sinnierend. Der Mensch sei wie ein Tier. Aber nicht einmal ein Tier töte für Genuss. "Ich sehne mich nach einem Leben", sagt der 39-Jährige.

 Es dunkelt allmählich. In der berüchtigten Villa Retiro 31 fängt für viele der Tag jetzt erst an. Pajarito und Gallego verabschieden sich. Ihre Schatten verlieren sich in den Gassen des Armenviertels.

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 Die Mütter gegen den Paco

 Frauen mit schwarzen Kopftüchern laufen donnerstags auf der Plaza de Mayo, dem Platz vor dem Regierungsgebäude in Buenos Aires, im Kreis. Man stutzt. Die Frauen, die hier in den vergangenen Jahren Runden drehten, trugen weisse Kopftücher. Es waren Mütter, die nach ihren Kindern suchten, die während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 entführt und ermordet worden waren. Wer also sind die Frauen mit den schwarzen Kopftüchern? "Stoppt den Genozid", "Niemand will unsere Kinder rehabilitieren" oder "Paco wird wie Bonbons verkauft" steht auf den Schildern, die sie hochhalten. Sie verlangen ein Treffen mit Cristina Kirchner, der Präsidentin von Argentinien. Die Frauen sind verzweifelt. Sie fürchten eine Sache: Paco. Die Droge, die ihre Kinder umbringt. Die Droge der Armen, wie sie auch genannt wird.

 Die Frauen gehören der im Jahr 2003 in Buenos Aires gebildeten Organisation "Mütter gegen den Paco" (Madres contra el paco) an. Viele der Gründungsmitglieder waren selber einmal Paco-abhängig - bis ihre Kinder mit der Droge anfingen. Heute zählt die Nichtregierungsorganisation einige Hundert Mitglieder in Argentinien. Die Mütter werfen der Regierung vor, "dass sie die Toten der Armenviertel nicht interessiert". Sie organisieren Gesprächsrunden, Vorträge und Protestmärsche. Die Mütter ziehen durch Gassen der Armenviertel und überzeugen Süchtige davon, dass man von der Droge Paco wegkommen kann. Sie protestieren vor Häusern der Drogendealer und sperren Strassen, damit Medien und Politiker auf sie aufmerksam werden. Eine der Forderungen: Der Staat soll spezielle Einrichtungen für die Paco-Süchtigen schaffen. Camilla Landbø

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FUSSBALL-WM
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Newsnetz 1.7.10

Autonome klauen Deutschland-Flaggen - bei türkischen Fans

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 In Berlin-Neukölln stehlen Mitglieder der linken Szene systematisch die Fähnchen von Fussballfans. Betroffen sind viele Migranten - ein Phänomen, dass zahlreiche Medien beschäftigt.

 Selbst die Redaktion der angesehenen "Irish Times" in Dublin reibt sich verwundert die Augen. Was ist bloss los in Deutschland? Da hängt ein türkischstämmiger Elektroshop-Betreiber in Berlin-Neukölln eine gewaltige Deutschlandfahne von mehr als 20 Metern Höhe über seinem Geschäft auf - und deutsche Mitbürger aus dem linken Spektrum versuchen, sie abzuschneiden und sogar in Brand zu setzen. "Der Fussball bringt die komplexen Veränderungen der deutschen Identität an die Oberfläche", titelte das Blatt am 30. Juni einigermassen ratlos.

 Verantwortlich ist offenbar eine Gruppe mit dem selbst gewählten Namen "Kommando Kevin-Prince-Boateng Berlin-Ost" - benannt nach dem Fussballprofi, der die WM-Träume von Michael Ballack mit einem harten Foul beendet hatte. Schon 1657 "schwarz-rot-goldene Lumpen" habe man erbeutet, so teilte das Kommando im Internet mit - eine Aktion, die sich "gegen den eventabhängig aufkommenden Patriotismus in Deutschland" richte, zum Beispiel in Gestalt von Euro-Song-Contest-Siegerin Lena, Papstwahl oder eben der DFB-Auswahl bei der Fussball-Weltmeisterschaft in Südafrika.

 "Die kommen in der Nacht"

 Anti-Nationalisten gegen Zugewanderte, die sich über den Erfolg der deutschen Mannschaft freuen: Der Berliner "Tagesspiegel" berichtete von zahlreichen Fällen, bei denen Immigranten, die sich als Deutschland-Fans zeigten, gewaltsam "entflaggt" wurden. Zum Beispiel über den Libanesen Ghassan Hassoun, bei dessen Tochter und Nachbarn die kleinen Wimpel von den Autos gerissen wurden. Oder über den jungen Türken, der erzählte, wie die Autonomen vorgehen. "Die kommen in der Nacht, so um drei Uhr früh, schwarz vermummt", zitierte die Zeitung, "ziehen die Flaggen ab und zerschneiden sie".

 Den Fall des Elektroshop-Betreibers Ibrahim Bassal, 39, griff schliesslich auch das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" auf seiner Webseite auf. Der 39-Jährige, der die gesamte Haushöhe in fünf Metern Breite schwarz-rot-gold bedeckte, musste die Fahne bereits einmal ersetzen. Nachdem ein Versuch der Autonomen zunächst gescheitert war, tauchten laut dem Bericht später zehn Maskierte auf und rissen den Stoff von der Wand.

 Noch eine Fahne und noch eine…

 Bassal gab nicht auf. Gemeinsam mit seinen Mitstreitern kaufte er eine neue Fahne, die den Gegner allerdings bald erneut zum Opfer fiel. Auch bei Anwohnern im Quartier stösst sein Fussball-Patriotismus nicht nur auf Begeisterung. Mehrere Passanten haben sich schon abfällig über die schwarz-rot-goldene Wandverkleidung geäussert - doch Ibrahim Bassal wird nicht nachgeben: "Ich werde die deutsche Fahne verteidigen", sagte er laut dem Bericht.

 Verwirrend. Nicht zuletzt auch für den deutsch-türkischen Fussballfan selbst: "Für Faschisten sind wir Ausländer und für die Autonomen…", zitiert "Spiegel online" den 39-Jährigen in bestem Berlinerisch, "keene Ahnung watt."

 Peinlichkeiten in deutscher Provinz

 Vielleicht haben sich die Berliner Autonomen im Kleinkrieg um die Deutschlandflaggen wirklich die falschen "Feinde" ausgesucht. Denn dass der Fussball-Enthusiasmus in Deutschland sich zuweilen in abstossenden Nationalismus steigert, ist schliesslich kein Geheimnis.

 Erst vor kurzem berichtete die Webseite http://de.indymedia.org von einem Fan-Event im Ort Haste in Niedersachsen. Dort feierten deutsche Fans ausgelassen den Sieg gegen Ghana - vor einer Reichskriegsflagge aus dunkler deutscher Vergangenheit.