MEDIENSPIEGEL 1.7.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo, SLP, Kino)
- Reitschule bietet mehr: Schauspieler gegen Initiative
- SP will Nachtleben-Strategie
- Wohnnot in Bern
- Rabe-Info 30.6. + 1.7.10
- Bleiberecht: Protestmarsch; Tagebuch des Ungehorsams; Sonderflüge
- Big Brother: Schöne neue Fichenwelt
- Big Brother Sport BS: Gratis-Cops + teurere Tickets
- Aufruf Knast-Demo FR
- Anti-Hakenkreuz-Strafnorm wird nicht verschärft
- Holocaust-Leugner im Wallis
- Drogen: "Paco" wütet in Peru
- Fussball-WM: Autonome Flaggen-Jagd in Berlin
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REITSCHULE
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Do 01.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
20.30 Uhr - Tojo - "Die Dällebach-Macher" Das
Musical zum Musical
von/mit: Pascal Nater, Michael Glatthard
20.30 Uhr - Kino - Südafrika jenseits des
WM-Taumels: Amandla! A
Revolution in Four Part Harmony, Südafrika 2002
Fr 02.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
Sa 03.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
22.30 Uhr - Innenhof - Eugene Chadbourne (USA) - solo:
"Soccer-Punch:
Dr. Chadbournes Take on Football"
So 04.07.10
9.00 Uhr - Grosse Halle - Flohmarkt und Brunch im
SousLePont
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
19.00 Uhr - Tojo - "Die Dällebach-Macher" Das
Musical zum Musical
von/mit: Pascal Nater, Michael Glatthard
Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch
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BZ 1.7.10
Schöner Neiden
Bald beginnen die Thuner Seespiele, die den Coiffeurmeister
Dällebach aus der Versenkung holen. Angetrieben vom Erstaunen
über die Musical-Vereinnahmung des Berner Stadtoriginals, aber
auch vom stillen Neid, selber nicht für Tausende komponieren zu
dürfen, haben Pascal Nater und Michael Glatthard ein "Musical zum
Musical" erarbeitet. "Die Dällebach-Macher" ist ein Abend mit zwei
ineinander verstrickten Ebenen: Ausgehend von der szenischen
Präsentation einer Recherche, wird ein eigenes Musical
erträumt. pd
Aufführungen: Do, 1. 7., und Mo, 5. 7., jeweils um 20.30
Uhr, So, 4. 7., 19 Uhr, im Tojo-Theater Bern. Infos und Reservation:
http://www.tojo.ch.
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Ron Orp's Mail Bern 30.6.10
http://www.ronorp.net/bern/stadtseite/heute-in-ron-orp/current/view/926/bern/?subscribe_id=
(...)
Reithalle brennt
Wenn deine Grosi meint, die Reithalle sollte runterbrennen, dann
verkennt sie das kulturelle Angebot & sollte baldigst umgestimmt
werden (noch vor der Abstimmung). Heute ist ideal für einen
gemeinsamen Besuch: Hast du ein Theatergrosi, gehst du ins Tojo, ist's
ein Fussballgrosi, kannst du draussen den Match schauen & wenn die
Alte politisch wird, dann ab an den Südafrika-Infoabend.
Musical / Infoabend
Abends, Reithalle
(...)
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REITSCHULE BIETET MEHR
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kulturstattbern.derbund.ch 30.6.10
Von Gisela Feuz am Mittwoch, den 30. Juni 2010, um 13:53 Uhr
Schauspieler gegen die Anti-Reitschul-Initivative
Die Schweizer Schauspiel-Cervelatprominenz macht mobil gegen die
erneute Anti-Reitschul-Initiative der SVP. Unter anderem haben sich
Gilles Tschudi ("Grounding", "Lüthi und Blanc"), Andreas Matti
("Fasch ä Familie", "Lüthi und Blanc"), Esther Gemsch
("Lüthi und Blanc", "Tell", "Heldin der Lüfte"), Doro
Müggler ("Zwerge sprengen") und Nina Bühlmann
("Räuberinnen") dazu bereit erklärt, in kurzen Spots
aufzutreten, welche Position beziehen gegen den Verkauf der Reitschule
an den Meistbietenden, wie dies von der SVP gefordert wird, welche
lieber ein Hallenbad, ein Parkhaus, Büros oder ein Einkaufszentrum
an der Stelle des Kulturtempels sehen würde.
Überreden hätte man die Leute nicht müssen, so einer der
Produzenten, ganz im Gegenteil hätten sich alle sofort bereit
erklärt, bei diesen Spots mitzumachen und auch auf ihre Gagen
verzichtet. Dies tat übrigens auch die gesamte Film-Crew.
Löblich, löblich! Hoffentlich nützts (der Stadtrat hat
die Initiative jedenfalls gerade deutlich abgelehnt, das letzte Wort
wird aber erst in der Volksabstimmung im September gesprochen werden)
und hoffentlich ist dann endlich Ruhe mit diesem ewigen
Sandkasten-Geschtürm.
--
Spot 1: Party
http://www.youtube.com/watch?v=DmN_7P7HXl0
Spot 2: Kino
http://www.youtube.com/watch?v=ZIg_Qd4irPU
Spot 3: Theater
http://www.youtube.com/watch?v=Yz4cbxctSvs
Spot 4: Restaurant
http://www.youtube.com/watch?v=QuoLhGDcHgk
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NACHTLEBEN
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20 Minuten 1.7.10
Nachtleben: Politik muss aktiv steuern
BERN. Die SP der Stadt Bern ist nicht glücklich
darüber, dass der Gemeinderat darauf verzichtet, aktiv mitzureden
beim Thema Nachtleben. In ihrer Antwort auf einen GFL-Vorstoss habe die
Stadtregierung zu verstehen gegeben, dass sie sämtliche Entscheide
rund ums Nachtleben nur zu gern dem Regierungsstatthalteramt
überlasse. Die Stadt würde es so aber verpassen, die
Federführung in einem wichtigen Thema zu übernehmen, so die
SP. Deshalb doppelt sie nun nach: Der Gemeinderat soll eine konkrete
Strategie zum Nachtleben ausarbeiten und darin festhalten, wie und mit
welchen Mitteln die Stadt das Nachtleben fördert. Auch brauche es
in der Stadtverwaltung klare Ansprechpersonen für das Nachtleben,
etwa eine neutrale Beratungsstelle. Zudem müsse sichergestellt
werden, dass Security-, Lärm- und Jugendschutzprojekte wirklich
umgesetzt würden. sah
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WOHNNOT
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Bund 1.7.10
Die Stadt Bern hat zu wenig Wohnungen
In der Stadt Bern herrscht Wohnungsnot. Der Leerwohnungsbestand
ist unter die 0,5-Prozent-Limite gesunken. Am 1. Juni gab es 335 leere
Wohnungen, was einer Leerwohnungsziffer von 0,45 Prozent entspricht. Am
gleichen Stichtag des Vorjahres lag der Leerwohnungsbestand noch bei
0,6 Prozent. "Der Trend zurück in die Stadt ist ungebrochen", sagt
Regula Buchmüller, Leiterin der Abteilung Stadtentwicklung. Die
Anstrengungen bei der Wohnbauförderung "reichen noch nicht aus".
Der Mieterverband wirft der Stadt vor, sie unternehme zu wenig zur
Förderung günstigen Wohnraums. (bob) - Seite 21
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"Trend zurück in die Stadt ist ungebrochen"
In der Stadt Bern herrscht Wohnungsnot. Der Leerwohnungsbestand
ist erneut unter die 0,5-Prozent-Marke gesunken. Die Ankurbelung des
Wohnungsbaus vermag die Nachfrage kaum zu befriedigen. Der
Mieterverband fordert mehr billigere Wohnungen.
Bernhard Ott
Wer in der Stadt Bern eine 3-Zimmer-Wohnung für maximal 1800
Franken im Monat sucht, hat es nicht leicht. "Günstige Wohnungen
an guter Lage gehen meist unter der Hand weg", sagt eine
31-jährige Zuzügerin aus Zürich, die demnächst
Mutter wird. Die im Anzeiger oder im Internet publizierten Wohnungen
seien entweder zu teuer - oder die Interessenten stünden bei der
Wohnungsbesichtigung Schlange.
Massenaufmärsche bei Wohnungsbesichtigungen wird es noch
längere Zeit geben. Gemäss einer Mitteilung der Stadt standen
am 1. Juni bloss 335 Wohnungen oder 0,45 Prozent aller Wohnungen leer.
Am gleichen Stichtag des Vorjahres gab es noch 443 leere Wohnungen (0,6
Prozent). Somit hat der Bestand innerhalb eines Jahres um 24,4 Prozent
abgenommen. Am knappsten ist der leere Wohnraum in der inneren Stadt
und in der Länggasse (siehe Box). Bei einem Leerwohnungsbestand
unter 0,5 Prozent spricht man gemeinhin von Wohnungsnot.
"Extremer Nachholbedarf"
"Die 0,5-Prozent-Grenze ist einfach eine Zahl", sagt Regula
Buchmüller, Leiterin der Abteilung Stadtentwicklung. Die
Statistiker seien sich nicht einig, ob bereits ein Leerwohnungsbestand
unter einem Prozent oder erst einer unter 0,5 Prozent als Wohnungsnot
gelte. Sicher sei indes, dass die Nachfrage das Angebot
übersteige. Der Trend zurück in die Stadt sei nach wie vor
ungebrochen. Bei der letzten Zählung im Vorjahr sei die
Einwohnerzahl der Stadt Bern noch deutlich unter 130 000 gelegen. Heute
zähle die Stadt schon fast 131 000 Einwohner. "Wir haben einen
extremen Nachholbedarf bei grösseren Wohnungen." In den letzten
Jahren seien zwar zahlreiche Neuüberbauungen realisiert oder
geplant worden. "Aber es reicht offensichtlich noch nicht."
Bezüglich Einwohnerzahl hat sich der Gemeinderat hohe Ziele
gesteckt: So soll die Stadt bis 2012 auf 135 000, bis 2020 gar auf 140
000 Menschen anwachsen. "Will man die Einwohnerzahl derart
erhöhen, soll man auch etwas tun dafür", sagt Grossrat
Michael Aebersold (SP), Präsident des Mieterverbandes Bern und
Umgebung. Bereits als Stadtrat hat sich Aebersold verschiedentlich
für die Förderung des gemeinnützigen Wohnbaus
eingesetzt. "In der Stadt Bern gibt es zu wenig Wohnraum für Leute
mit kleinem Budget", sagt Aebersold. Bei Sanierungen würden die
Mieten oft unverhältnismässig ansteigen. Auch beim
Neubauprojekt im Stöckacker zum Beispiel, einem ökologischen
Vorzeigeprojekt, werde mit dem Abriss der alten Wohnblöcke
billiger Wohnraum vernichtet. "Durch die Förderung des
genossenschaftlichen Wohnbaus entstünden auch wieder bezahlbare
Wohnungen", sagt Aebersold.
"Eher teure Neubauwohnungen"
"Die Hälfte aller Wohnungen in den letzten sechs Jahren
wurde von Genossenschaften gebaut", hält Regula Buchmüller
fest. Neubauwohnungen seien in der Tat eher teuer, zumal vermehrt
nachhaltig gebaut werde. Neubauten trügen aber auch dazu bei,
"dass der Druck auf die Altwohnungen abnimmt".
Natürlich wolle die Stadt auch gute Steuerzahler anziehen
und habe daher nicht nur billige Wohnungen im Portfolio. Bei
Bauvorhaben verfolge der stadteigene Fonds für Boden- und
Wohnbaupolitik aber nicht nur Rendite-Überlegungen. So sei die
Realisierung der Überbauung am Centralweg in der Lorraine auch auf
preisgünstigen Wohnraum ausgerichtet. Und beim Projekt an der
Mutachstrasse in Holligen strebe man den Bau von
Niedrigstandardwohnungen an. "Mit der Wohnbaupolitik soll nicht zuletzt
auch eine gute soziale Durchmischung der Quartiere gewährleistet
werden", sagt Buchmüller.
Bis zum Bezug dieser Überbauungen mag die 31-jährige
Zuzügerin aus Zürich aber nicht warten. Zudem sucht sie eher
eine Wohnung in der Länggasse, wo der Leerwohnungsbestand
besonders tief ist. Ganz ohne Beziehungen dürfte es da in der Tat
nicht gehen. "Ich bin zurzeit für eine Wohnung im Gespräch,
die auf Facebook ausgeschrieben war", sagt die junge Frau.
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Eine Lanze für Bümpliz
Am meisten Leerwohnungen gibt es in Bümpliz (92 Wohnungen)
und im Mattenhof (85). Im Kirchenfeld stehen 70 und im Breitenrain 39
Wohnungen leer. Am knappsten ist der Wohnraum in der inneren Stadt (25)
und in der Länggasse (24). Bernardo Albisetti, Präsident der
Quartierkommission Bümpliz-Bethlehem, betont, dass der Leerstand
in Beziehung zur Bevölkerungszahl gesetzt werden müsste. So
gerechnet, weise die Innenstadt den grössten Leerstand auf.
Bümpliz folge auf Rang vier - noch vor Länggasse und
Breitenrain. (bob)
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BZ 1.7.10
Wohnraum wird erneut knapper
In der Stadt Bern sank die Zahl der leeren Wohnungen um fast 25
Prozent. Am meisten Leerwohnungen gibt es in Bümpliz.
Wohnraum ist in der Stadt Bern Mangelware. Die städtischen
Statistikdienste zählten am Stichtag 1. Juni 2010 gerade einmal
335 leere Wohnungen. Gegenüber dem Vorjahr entspricht dies einer
Abnahme von fast 25 Prozent. Damit sank die Leerwohnungsziffer von 0,6
auf 0,45 Prozent. Die meisten der freien Wohnungen verfügen
über zwei oder drei Zimmer. Damit ist auch grosser Wohnraum knapp.
Am Stichtag standen 58 Vierzimmerwohnungen, 11 Fünfzimmerwohnungen
und lediglich 2 Sechszimmerwohnungen leer. Dass die Nachfrage nach
Wohnraum gross ist, zeigt, dass seit dem Stichtag bereits 81 der leer
stehenden Wohnungen vermietet oder verkauft worden sind.
Vor allem Büros sind leer
Auch bei den Geschäftsräumen ist der Leerbestand
gegenüber 2009 gesunken. Am Stichtag zählte die Stadt 182
leere Geschäftslokale mit einer Gesamtfläche von 46 218
Quadratmetern. Damit ist die verfügbare Fläche um 11,5
Prozent gesunken. Die Zahl der Objekte hingegen hat sich um 11
Einheiten respektive um 6,4 Prozent erhöht. Bei den 182 leeren
Geschäftslokalen handelt es sich in 80 Fällen um Büro-
oder Praxisräume und bei 58 Objekten um Lagerräume. Die
städtischen Statistiker zählten nur gerade 9 leere
Verkaufslokale sowie 6 Arbeitsräume der Kategorie Werkstatt und
Fabrikation. Seit dem Stichtag sind bereits 11 der 182
Leerbestände vermietet oder verkauft worden.
Wo was leer steht
Gemäss der Zählung der Statistiker weist der Stadtteil
Bümpliz-Oberbottigen mit 92 am meisten Leerwohnungen aus. Den
Spitzenplatz belegt dieser Stadtteil auch bei den Arbeitsräumen:
In Bümpliz gab es am Stichtag 14 892 Quadratmeter leere
Gewerbefläche. Platz zwei und drei bei den Leerbeständen
belegen die Stadtteile Mattenhof-Weissenbühl und
Kirchenfeld-Schosshalde. Am wenigsten freie Wohnfläche gibt es in
der Innenstadt und im Stadtteil Länggasse-Felsenau.
Der detaillierte Bericht zu den Leerbeständen wird auf der
Homepage der Stadt Bern publiziert. Zuerst allerdings wird
gezügelt: Ab dem 14. Juli befinden sich die städtischen
Statistikdienste neu im Erlacherhof. Dies, weil sie der
Präsidialabteilung angegliedert sind.
pd/as
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20 Minuten 1.7.10
Bern: Nur 335 leere Wohnungen
BERN. In der Stadt Bern standen am 1. Juni 2010 (Stichtag) 108
Wohnungen weniger leer als vor einem Jahr, nämlich nur deren 335.
Davon waren 81 bereits wieder vermietet oder verkauft. Ein neuer
Tiefststand ist dies aber nicht: 1990/91 standen in der Bundesstadt
weniger als 100 Wohnungen leer. Die grösste Auswahl an freien
Wohnungen hatten Zügelwillige 1999; damals verzeichnete Bern fast
700 freie Wohnungen. Am meisten Leerwohnungen gibts nach wie vor im
Stadtteil Bümpliz-Oberbottigen, gefolgt vom
Mattenhof-Weissenbühl-Quartier sowie Kirchenfeld/Schosshalde.
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RABE-INFO
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Do 1. Juli 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_1._Juli_2010.mp3
- 200'000 Fichen beim Staatsschutz- kaum Chancen auf Einsicht
http://www.edoeb.admin.ch/dokumentation/00612/00653/00664/index.html?lang=de#sprungmarke0_6
- Konzept fürs Berner Nachtleben- SP will Ruhe in die Clubszene
bringen
- Frauenmagazin Mascara- Einblicke in die Redaktionssitzung
http://www.gassenarbeit-bern.ch/2_mascara.htm
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Mi. 30. Juni 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_30._Juni_2010.mp3
- Prävention auf dem Strassenstrich: Projekte der Aidshilfe und
der kirchlichen Gassenarbeit Bern
http://www.don-juan.ch/
- Zukunft der Zeitzeugen: Erinnerungen an die Verbrechen im zweiten
Weltkrieg wach halten
- Zirkus Upsala: soziales Projekt aus Russland zu Gast in der Schweiz
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BLEIBERECHT
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Bund 1.7.10
Berner Protestmarsch gegen die Asylpolitik des Bundes
Mit einer Kundgebung machten gestern in der Innenstadt erneut
Hunderte Sans-Papiers auf ihre Anliegen aufmerksam.
Die Kundgebung startete vor dem Bundesamt für Migration in
Wabern. Anschliessend zogen die Teilnehmer zum Eidgenössischen
Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) beim Bundesplatz.
Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf habe sie bisher nicht
empfangen wollen, teilten die Verantwortlichen der Protestaktion in
einem Communiqué mit. Dabei wäre es für die
Bundesrätin ein Leichtes, von ihrem Büro zum nahen Park der
Kleinen Schanze zu kommen, heisst es in der Mitteilung weiter. Offenbar
wolle Widmer-Schlumpf den Betroffenen ihrer Politik nicht in die Augen
schauen.
Bereits am vergangenen Samstag waren gegen 5000 Menschen einem
Aufruf der Organisation Solidarité sans frontières zu
einer Kundgebung gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Bern
gefolgt. In der Parkanlage auf der Kleinen Schanze haben seit dem
Wochenende gegen 200 Sans-Papiers, Flüchtlinge und Sympathisanten
ein Protestcamp aufgeschlagen. Sie fordern unter anderem eine
kollektive Regularisierung der Sans-Papiers. Zahlreiche Organisationen
und Gruppierungen unterstützen den Protest.
Der Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause will das Camp bis
am Freitagmorgen tolerieren, sofern die Teilnehmer sich ruhig und
friedlich verhielten und niemanden störten. (sda)
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BZ 1.7.10
Sans-Papiers
Protestmarsch durch Bern
Die Aktivisten, die in Bern die Kleine Schanze besetzen,
demonstrierten gestern für mehr Rechte für Ausländer in
der Schweiz.
Die Kleine Schanze in Bern hat mehr Farbe abbekommen: bunte
Schriftzüge auf Protestschildern, grüne, blaue und rote Zelte
in allen Grössen. Und Menschen mit verschiedenen Hautfarben. Seit
letztem Samstag besetzen nach Angaben der Organisatoren rund 200
Sans-Papiers und Sympathisanten die Kleine Schanze. Sie fordern mehr
Rechte für Ausländer in der Schweiz. Daher marschierte die
bunte multikulturelle Gruppe gestern Nachmittag zum Bundesamt für
Migration und zum Bundeshaus.
Die linken städtischen Parteien bezeichnen das Zeltlager als
"friedliche Besetzung". Unter anderem schloss sich das Grüne
Bündnis den Forderungen der Besetzer an.
"Zelt- und Brätli-Plausch"
Rechte Parteien sehen in der Besetzung keinen Nutzen für die
Sans-Papiers. Beispielsweise verurteilte die Berner FDP die Aktion als
"Zelt- und Brätli- Plausch". Der Zürcher Nationalrat Hans
Fehr (SVP) fordert in einem Leserbrief die Behörden auf, das
Zeltlager zu räumen. Der Staat drohe andernfalls vor die Hunde zu
gehen.
Guy Huracek
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WoZ 1.7.10
SANS-PAPIERS-CAMP - Flüchtlinge und Papierlose halten seit letztem
Samstag einen Park beim Berner Bundeshaus besetzt. Gemeinsam mit
SympathisantInnen kämpfen sie für eine kollektive
Regularisierung.
Tagebuch des Ungehorsams
Von Dinu Gautier (Text) und Manu Friederich (Foto)
Courant abnormal (Samstag)
Die Kleine Schanze, ein Park unweit des Bundeshauses, am
Samstagnachmittag: Ein paar Lieferwagen rasen in den Park, hektisch
wird Material entladen, bevor die Polizei reagieren kann. Eine Stunde
später ist ein Zeltdorf errichtet. Dazwischen tummeln sich
vergnügt etwa 300 Menschen. Zuvor haben in der Innenstadt Tausende
gegen Rassismus und Ausgrenzung demonstriert.
Die BesetzerInnen sind gekommen, um zu bleiben. Um im Park zu
bleiben, zumindest für eine Woche, und vor allem um in der Schweiz
zu bleiben, unbefristet und legal. "Bleiberecht für alle", so die
Forderung. Oder wie es auf einem Transparent beim Eingang des
Zeltdorfes heisst: "Papiere für alle oder überhaupt keine
Papiere für niemanden".
Die Mehrheit der Anwesenden sind UnterstützerInnen mit
Papieren, und um die drei Dutzend direkt Betroffene sind da. Die
meisten von ihnen haben vergebens Asyl beantragt und erhalten nur
minimale Nothilfe, wie über 5000 Personen in der Schweiz. Laut
Schätzungen leben hierzulande insgesamt 100 000 bis 300 000
Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung. Dass man es nicht genauer weiss,
liegt am gesellschaftlichen Schatten, in dem sie sich bewegen. "Heute
kommen wir ans Licht", sagt einer übers Mikrofon.
Reto Nause, der Sicherheitsdirektor der Stadt Bern, erscheint und
sagt: "Wir tolerieren den Anlass bis Montagmorgen. Dann muss hier
wieder Courant normal herrschen, wegen der Menschen, die um den Park
herum arbeiten."
Was den Courant normal sprengt, ist bedrohlich für die
einen, ein Fest für die anderen. Die Kleine Schanze wird zu einer
Oase der Ausgelassenheit. Ein sanfter Rausch macht sich breit. Für
kurze Zeit scheint alles möglich zu sein.
"Aus, was grad nid ids raschter passt, wird rasch erfasst und
verfrachtet i knast", reimt Steff la Cheffe, die bekannte Rapperin, bei
ihrem spontanen Auftritt. Der Knast: Für einen Moment ist er weit
weg. Das Bier geht aus, die Stimmung bleibt ausgelassen.
Die Angst vor den Stiefeln (Sonntag)
Am nächsten Morgen eine erste Versammlung im Plenum: Es gibt
viel zu diskutieren, viel zu übersetzen. Deutsch,
Französisch, Englisch, Farsi. Wie kann Druck aufgesetzt werden
gegenüber den Behörden, wie werden Illegale evakuiert, wenn
die Polizei kommt? Wie lange will man bleiben? Die Versammlung dauert
eine gefühlte Ewigkeit.
Etwas abseits sitzen Saidou aus Gambia und Lamine aus
Guinea-Bissau. Normalerweise wohnen sie in den Bergen, am Brünig,
in einem sogenannten Nothilfezentrum. Dort gibt es Matratzen und Essen.
Sonst nichts. Lamine: "Du kannst nirgends hingehen, den ganzen Tag
sitzst du nur herum." Saidou: "Das macht dich krank im Kopf." Die
jungen Männer wirken matt, ausge laugt, schüchtern. Sie
sagen: "Es ist nicht menschlich, wie wir behandelt werden." Es
tönt nicht anklagend, mehr wie eine nüchterne Feststellung.
Saidou: "Wir wollen hier mit dem Camp das Recht einfordern, legal leben
zu dürfen." Illegal leben, das ist für ihn kein abstrakter
Tatbestand, sondern ein allgegenwärtiges Problem im Alltag: "Ohne
Geld kannst du nur schwarzfahren, du wirst ständig gezwungen, das
Recht zu brechen."
Illegale, die in eine Polizeikontrolle geraten, können
für bis zu zwei Jahre in Ausschaffungshaft landen. Und sei es nur
- falls eine Ausschaffung nicht möglich ist -, um wieder in
Freiheit entlassen zu werden, in eine Freiheit, in der an jeder Ecke
die nächste Polizeikontrolle droht.
Berhanu Tesfaye ist abgewiesener Asylbewerber aus Äthiopien,
ein Intellektueller mit ansteckendem Lachen. Der Mann verbringt die
Tage in Bibliotheken, abends geht es zurück in den Nothilfebunker.
"Du liegst in deinem Bett. Hörst du schwere Tritte im Gang, kommt
die Angst. Es sind die Stiefel der Polizisten", sagt Berhanu.
"Nicht nur der Lärm der Stiefel sollte uns Angst machen,
sondern auch die Stille der Pantoffeln", sagt Graziella de Coulon, die
seit zehn Jahren mit MigrantInnen gegen Ausgrenzung kämpft. Mit
den stillen Pantoffeln meint sie die "Gleichgültigkeit der Massen".
Am Nachmittag ziehen etwa hundert CamperInnen auf den
Bahnhofplatz, in den Händen Ballone, man singt: "O la la, o le le,
solidarité avec les sans-papiers". Wer die PassantInnen
beobachtet, der kann die Stille der Pantoffeln spüren: Gesichter,
die sich automatisch, fast roboterhaft von der kleinen Demo abwenden.
Kein Interesse, keine Emotionen. Ein keifender älterer Mann gibt
rassistische Sprüche von sich. Immerhin zeigt er irgendein
Gefühl.
Obacht, Rechtsstaat (Montag)
Am Montagmorgen ein Blick in die Zeitungen: Noch ist der Protest
kein grosses Thema. Dafür hat Iwan Städler, Redaktor beim
"Tages-Anzeiger", einen Artikel und einen Kommentar mit dem Titel "Der
Rechtsstaat macht sich zum Gespött" geschrieben. Sorgt sich
Städler um die Tatsache, dass es in diesem Land zahlreiche
Menschen gibt, die sich weder legal hier aufhalten noch legal ausreisen
dürfen (und ihnen somit übrig bleibt, sich in Luft
aufzulösen)? Weit gefehlt: Iwan Städler hat in Erfahrung
gebracht, dass es Papierlose gibt, die einen AHV-Ausweis haben. Dass
die Sozialversicherung diese Menschen nicht beim Bundesamt für
Migration verpfeift, findet er unerhört. Städler hat bei der
zuständigen Bundesrätin interveniert. Missbrauch! Neue
Gesetze! Nach ganz unten treten! Eine zentrale Frage bleibt
unbeantwortet: Wieso soll es den Bürger empören, wenn
Sans-Papiers AHV-Beiträge einzahlen, ohne zu wissen, ob sie im
Gegenzug eine Rente erhalten werden?
Im Protestcamp erzählt die 41-jährige Kamerunerin
Aurelie von ihren Erfahrungen. Seit zehn Jahren lebt sie in Lausanne.
Als 2008 das neue Asylgesetz in Kraft trat, sollte sie ihre Wohnung
verlassen und in ein Nothilfe zentrum ziehen. Aurelie hat sich
erfolgreich dagegen gewehrt. Heute erhält sie für sich und
ihren 17-jährigen Sohn - einen Gymnasiasten - neben der Miete
gerade einmal 570 Franken pro Monat. "Ich habe zwei Hände, zwei
Beine, zwei Ohren, intellektuelle Kapazitä ten - aber ich darf sie
nicht nutzen", so die Akademikerin. "Und die Behörden haben die
Frechheit mir vorzuwerfen, ich sei nicht integriert."
Im Camp wimmelt es jetzt von JournalistInnen. Und es gibt
überraschenden Besuch: Alard du Bois-Reymond, Direktor des
Bundesamtes für Migration, erscheint, "weil ich die Anliegen der
Demonstranten verstehen möchte". In die Kamera des Schweizer
Fernsehens sagt er: "Unsere Politik ist nicht einfach nur rassistisch."
Kurze Zeit später ist er wieder weg. Sein Amt verkündet am
selben Tag, dass die nach dem Tod eines Ausschaffungshäftlings
sistierten Ausschaffungsflüge wieder aufgenommen werden (vgl. Text
unten).
Die Stadtberner Regierung will das Protestcamp nun bis am
Freitagmorgen tolerieren. Die BesetzerInnen feiern das als Erfolg.
Bürgerliche Parteien sehen darob nicht nur die Parkordnung,
sondern den ganzen Rechtsstaat in Gefahr.
Fragt man im Camp nach einer Zwischenbilanz, so fällt sie
durchzogen aus. Der Guineer Sadou Bah sagt: "Es sind nicht genug
Betroffene da." Viele würden sich nicht hertrauen. "Und dann gibt
es viele, die einfach nicht daran glauben, dass sich die Situation
ändern lässt", so der Mann, der selber Nothilfe bezieht und
an zwei Tagen in der Woche an der Autonomen Schule in Zürich
Deutsch unterrichtet.
Die Flüchtlinge übernehmen (Dienstag)
Die Kunde von der Tolerierung des Camps hat sich schnell
verbreitet, allein am Mittag kommen dreissig abgewiesene
Flüchtlinge aus Fribourg und Lausanne im Camp an. Die direkt
Betroffenen sind jetzt in der Mehrheit, die Versammlungen prägen
sie deutlich stärker als noch vor zwei Tagen.
Graziella de Coulon, die Aktivistin aus dem Kanton Waadt, sagt:
"Es ist unheimlich wichtig, subversiv zu agieren, durch Ungehorsam klar
Position zu beziehen." Im Kanton Waadt gebe es eine lange Tradition,
gemeinsam mit Flüchtlingen zu kämpfen, was sich immer wieder
ausbezahle. 2006 konnte so die Legalisierung von über 500 Menschen
erreicht werden. "Der Protest hier könnte durchaus der Anfang
einer Widerstandstradition auf gesamtschweizerischer Ebene sein",
sagt de Coulon.
Das Protestcamp bleibt bis am Freitagmorgen auf der Kleinen
Schanze in Bern. Noch unklar ist, ob die Aktion danach an
einem anderen Ort fortgeführt wird.
--
"Es war falsch, den Mann so auszuschaffen"
Der 29-jährige Nigerianer, der am 17. März in Kloten
bei einer Zwangsausschaffung nach Lagos starb, habe sich "seit einigen
Tagen" im Hungerstreik befunden, liess die Kantonspolizei Zürich
unmittelbar nach dessen Tod verlauten. Jetzt ist klar: Die Information
war falsch. Joseph Ndukaku Chiakwa hatte über einen Monat lang die
Nahrungsaufnahme verweigert. Das bestätigte diese Woche die
Zürcher Oberstaatsanwaltschaft.
Drei Monate nach dem Tod von Joseph Ndukaku Chiakwa liegt das
rechtsmedizinische Gutachten vor. Die Zürcher
Oberstaatsanwaltschaft teilte am Montag mit, die Todesursache sei
geklärt. Chiakwa hatte an einer "schwerwiegenden Vorerkrankung des
Herzens" gelitten. Laut Pressespre cherin Corinne Bouvard sei die
Herzkrankheit mit "gewöhnlichen Untersu chungen kaum
diagnostizierbar" ge wesen. "Ein anwesender Arzt hätte den
Herzfehler auch nicht entdecken können", sagt Corinne Bouvard.
Weil Chiakwa zudem vom Hungerstreik ge schwächt war und sich wegen
der Zwangsausschaffung auf Level 4 (starke Fesselung und
Polizeibegleitung in ei nem Sonderflug) in einem "akuten
Erregungszustand" befand, starb er, noch bevor das Charterflugzeug
abheben konnte.
Der Tod war unvorhersehbar. So tönt zumindest die
Medienmitteilung der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft. War er
verhinderbar? Wer wusste, dass sich Chiakwa bereits so lange im
Hungerstreik befunden hatte? Das Gefängnispersonal? Die anwesenden
PolizistInnen? Der Arzt, der den Flug hätte begleiten sollen?
Corinne Bouvard: "Wer was wusste - oder eben nicht - ist Gegenstand der
laufenden Untersuchungen, über die derzeit noch keine
Auskünfte erteilt werden."
War eine Level-4-Ausschaffung für Chiakwa in seinem labilen
gesundheitlichen Zustand überhaupt zumutbar? Jean-Pierre
Restellini, der zehn Jahre lang als Gefängnisarzt praktiziert hat
und ethische Richtlinien für Ärzte von inhaftierten Personen
erarbeitete, sagte bereits letzte Woche zur WOZ: "Wenn sich
beispielsweise jemand schon über eine Woche im Hungerstreik
befindet, er schockartig gefesselt wird und einen Helm aufgesetzt
bekommt, dann kann das tödlich sein."
Nun, da bekannt ist, dass der Ausschaffungshäftling
über einen Monat im Hungerstreik war, sagt er: "In diesem Fall war
es falsch, den Mann so auszuschaffen. Es hätte ein medizinisches
Veto gebraucht."
Die Menschenrechtsgruppe Augenauf, die letzte Woche an einer
Medienkonferenz aufgrund von Augenzeugenberichten eindrücklich
vorführte, wie Level-4-Ausschaffungen vonstatten gehen, übt
grundsätzlich Kritik an dieser Praxis, weil sie "unmenschlich und
menschenverachtend ist". Amnesty International fordert, dass auf allen
Flügen unabhängige BeobachterInnen eingesetzt werden, da sich
die Frage stelle, "ob gewisse Vorgehensweisen einer Verletzung der
Folterkonvention gleichkommen". Augenauf will, dass das Bundesamt
für Migration künftig ganz auf Zwangsausschaffungen mit
Charterflügen verzichtet.
Die Menschenrechtsgruppe kritisiert ausserdem die
Oberstaatsanwaltschaft, weil sie vorschnell an die Öffentlichkeit
gelangt sei: "Die Medienmitteilung lässt mehr Fragen offen, als
sie beantwortet", sagt Rolf Zopfi von Augenauf. Er befürchtet,
dass der Herzfehler als unvorhersehbare Tatsache vorgeschoben werde, um
vom umstrittenen Ausschaffungsprozedere abzulenken.
Das Bundesamt für Migration hat diese Woche
angekündigt, die Ausschaffungsflüge im Juli
wiederaufzunehmen.
Carlos Hanimann
--
Ausschaffungen
Sie fliegen wieder
"Todesursache geklärt", teilte die Zürcher
Oberstaatsanwaltschaft Anfang dieser Woche mit. Der 29-jährige
Nigerianer Joseph Ndukaku Chiakwa, der am 17. März bei der
Ausschaffung starb, habe bereits vorher an einem "kaum
diagnostizierbaren" Herzfehler gelitten; die Krankheit habe
schliesslich aufgrund des vorausgegangenen Hungerstreiks und des
"akuten Erregungszustands" wegen der Ausschaffung zum Tod geführt.
Die strafrechtlichen Fragen nach der Verantwortung werden weiter
abgeklärt. Politisch allerdings nutzen die Bundesbehörden das
rechtsmedizinische Gutachten, um an ihrer Ausschaffungspraxis
festzuhalten. Diese Woche wurde bekannt, dass bereits wieder eine
Person mit einem Sonderflug nach Italien ausgeschafft wurde. Ab Juli
sollen auch die Flüge nach Afrika aufgenommen werden. Der
Todesfall Mitte März ist bereits der dritte in den vergangenen elf
Jahren. Jedes Mal mussten die Behörden das Ausschaffungsprozedere
anpassen, Knebelungen etwa sind heute nicht mehr erlaubt. Doch die
Gefangenen werden nach wie vor brutal gefesselt. Für Amnesty
International stellt sich gar die Frage, ob dies nicht gegen die
Folterkonventionen verstosse. Es ist Zeit, die Ausschaffungspraxis
grundlegend zu ändern. ch
---
bleiberecht.ch 30.6.10
http://www.bleiberecht.ch/2010/06/kraftvolle-demo-widmer-schlumpf-schweigt/
(mit Fotos)
Laute Demo für kollektive Regularisierung - Widmer-Schlumpf
schliesst die Augen
Rund 500 Menschen haben heute vom Camp auf der kleinen Schanze aus eine
kraftvolle und laute Demonstration zum Bundesamt für Migration und
zum Justiz- und Polizeidepartement durchgeführt, um eine
kollektive Regularisierung zu fordern.
Die politisch Verantwortlichen verweigern den Betroffenen weiterhin das
Gespräch und nehmen keine Stellung zu den unerträglichen
Lebensbedingungen der über 100′000 Sans-Papiers in der Schweiz.
BfM-Chef Alain Du Bois-Raymond schickte einen PR-Verantwortlichen vor,
Widmer-Schlumpf ihre Generalsekretärin. Beide waren nicht bereit,
den Betroffenen ihrer Politik selbst in die Augen zu sehen.
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BIG BROTHER
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Bund 1.7.10
Die Schweiz hat eine neue Fichenaffäre
Der Geheimdienst sammelte über Jahre Personendaten, ohne zu
überprüfen, ob diese staatsschutzrelevant sind. Inzwischen
sind 200 000 Personen fichiert.
Daniel Foppa
Der Inlandgeheimdienst hat die Daten von Zehntausenden von
Personen auf Vorrat gesammelt, obwohl das illegal ist. Dies ist das
Fazit eines gestern präsentierten Berichts der
Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des Parlaments. Demnach
hat sich der Dienst vor allem dem Sammeln der Daten gewidmet, anstatt
zu prüfen, ob diese staatsschutzrelevant sind. So wurden gut 200
000 zumeist ausländische Personen registriert. Darunter sind
Friedensaktivisten, Einbürgerungswillige und sogar bereits
Verstorbene.
Die Geschäftsprüfer halten klar fest, was sie von der
Qualität der Fichen halten: "Der GPDel fehlt aus guten
Gründen das Vertrauen, dass die Daten den gesetzlichen
Qualitätsanforderungen genügen". Dies habe "schwerwiegende
Konsequenzen". Es bedeute, dass "eine gesetzeskonforme
Staatsschutztätigkeit mit diesen Daten in diesem Zustand nicht
möglich ist." GPDel-Präsident Claude Janiak bemängelte
die mangelnde Kooperation des Geheimdienstes: "Wir wurden
ungenügend und teilweise falsch informiert", sagte er.
Leuenberger ist besorgt
Wie der "Bund" erfahren hat, führte die Neuorganisation des
Geheimdienstes auf Anfang Jahr zu keinem Umdenken. Der neue Direktor
Markus Seiler habe bei der Zusammenführung des Inland- und des
Auslandgeheimdienstes zum neuen Nachrichtendienst des Bundes vor allem
auf die Leute des Inlandgeheimdienstes gesetzt, der für den neuen
Fichenskandal verantwortlich ist.
Besorgt zeigte sich gestern Bundesrat Moritz Leuenberger. "Die
Sache ist ernst zu nehmen. Es ist gut, dass sie auf den Tisch kommt",
sagte er auf Anfrage. Der Bundesrat werde sich damit befassen.
Leuenberger hatte als Nationalrat die Parlamentarische
Untersuchungskommission (PUK) geleitet, die 1989 die Fichenaffäre
aufdeckte. Die PUK stellte damals fest, dass die Bundespolizei 900 000
kritische Bürger fichiert hatte. - Seite 9
--
Der neue Fichenskandal
Geheimdienst hat selbst das Gesetz gebrochen
Die parlamentarischen Aufseher werfen dem Nachrichtendienst vor,
jahrelang gesetzeswidrig Daten gesammelt zu haben. Daten, die nicht
staatsschutzrelevant seien.
Verena Vonarburg
Was man seit 20 Jahren, seit dem Fichenskandal, als
unrühmliche Geschichte gewähnt hat, wird plötzlich
wieder aktuell: Der Dienst für Analyse und Prävention (DAP),
wie der Geheimdienst bis vor kurzem hiess, hat seine
Staatsschutzdatenbank ISIS mit Daten gespeist, als hätte es nie
einen Skandal gegeben. Er hat gesetzliche Schutzvorschriften für
die Betroffenen nicht eingehalten. Zu diesem Befund kommt die
parlamentarische Oberaufsicht über den Nachrichtendienst, die
Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel).
"Es hat keinen Kulturwandel gegeben", sagte
Delegationspräsident Claude Janiak gestern vor den Medien. "Die
Datenbearbeitung ist nicht gesetzeskonform erfolgt." Die PUK, die
seinerzeit die Fichenaffäre zu untersuchen hatte, war zum Schluss
gekommen, der Staatsschutz habe bis 1989 falsche, unnütze und
belanglose Daten gesammelt. Für die Qualität und die
Kontrolle wurden nach dem Fichenskandal strenge Auflagen formuliert.
Arnold Koller versprach 1996 als Justiz- und Polizeivorsteher, man
könne "mit gutem Grund" davon ausgehen, "dass nur noch
sicherheitsrelevante Daten gesammelt werden".
110 000 Daten ohne Prüfung
Dem war nicht so. Vor fünf Jahren wurde die GPDel
hellhörig, als die Anzahl der Einträge im ISIS laufend stieg
(siehe Grafik unten). In den vergangenen zwei Jahren haben die sechs
Parlamentarier aus dem National- und dem Ständerat eine formelle
Inspektion durchgeführt. Die GPDel hat stichprobenweise mehrere
Hundert Fälle überprüfen können und kommt zum
Schluss, dass die Kontrolleure jahrelang rechtswidrig ans Werk gegangen
sind.
2005 wurde das alte ISIS durch ein neues System ISIS-NT ersetzt.
Dieser Übergang wirkte sich besonders negativ aus. Zwischen Anfang
2005 und Herbst 2008 hat der DAP gemäss Bericht überhaupt
nicht mehr kontrolliert, ob die Daten, die er sammelte, den
gesetzlichen Anforderungen entsprachen. Rund 40 000 Registrierte
hätten in dieser Zeit überprüft werden und allenfalls
aus dem System entfernt werden sollen. Ende des letzten Jahres hatte
der DAP über 110 000 Daten, die hätten beurteilt werden
müssen. Sämtliche Personen müssten spätestens
fünf Jahre nach der ersten Meldung wieder überprüft
werden.
Die Informationen, die zu ISIS-Daten verarbeitet werden, kommen
oft von den Kantonen, aber auch aus dem Ausland. Wie das genau
geschieht, ist geheim. Registrierungen sind auch schon auf blosse
Anfragen hin erfolgt. In einem Fall hat die GPDel herausgefunden, dass
jemand bloss registriert wurde, weil eine andere Bundesstelle angefragt
hatte, ob in ISIS Informationen über den Betreffenden vorhanden
seien.
Jene, die die Daten in ISIS erstmals erfassen, beurteilen sie
nicht darauf hin, ob sie relevant genug sind. Diese Verantwortung liegt
bei der Sektion Qualitätssicherung, die allerdings markant
unterdotiert ist. Schwierigkeiten beim Umstellen auf das neue System
verschlimmerten alles.
Das Problem der Drittpersonen
Von den rund 200 000 Personen, die Ende 2009 registriert waren,
sind 80 000 sogenannte Drittpersonen, die nicht direkt
staatsschutzrelevant sind. Das sind solche, die bloss einen Bezug zu
Personen haben, die den Staatsschutz interessieren. Das kann zum
Beispiel der Besitzer eines Wagens sein, mit dem ein vom Staatsschutz
Beobachteter gefahren ist. Problematisch dabei: Wenn eine Drittperson
zum dritten Mal gemeldet wird, bekommt sie ohne weitere Abklärung
automatisch den Status eines Verdächtigen.
Die GPDel übt scharfe Kritik an der seinerzeitigen
Führung des DAP, dessen Direktor Urs von Daeniken war. Die GPDel
sei von der Leitung falsch informiert worden, was die
Qualitätskontrolle anbelange.
Verantwortung trägt auch der damalige Departementsvorsteher
des Justiz- und Polizeidepartements, Christoph Blocher. Das EJPD habe
"keine Anstrengungen" unternommen, "rechtzeitig die personellen
Kapazitäten für den gesetzeskonformen Betrieb des neuen
ISIS-NT zu gewährleisten". Im März 2007 hatte sich Blocher in
einem Brief an die GPDel überzeugt gezeigt, "dass die ISIS-Daten
gemäss den strengen gesetzlichen Vorgaben erhoben, bearbeitet und
fristgemäss wieder gelöscht würden".
Nachrichtendienst schweigt
Die GPDel empfiehlt in ihrem Bericht unter anderem,
sämtliche ISIS-Daten, die vor fünf Jahren oder früher
registriert worden sind und die man später nicht mehr
überprüft hat, provisorisch zu sperren. Ein externer
Datenschützer, eingesetzt vom Bundesrat, soll anschliessend
entscheiden, was mit diesen Vermerken zu geschehen hat. Zudem soll das
VBS dafür sorgen, dass nur Daten erfasst werden, die auch wirklich
vorher überprüft und für gesetzeskonform befunden worden
sind.
GPDel hat die Phase bis Ende 2009 untersucht. Seit diesem Jahr
sind der Inlandnachrichtendienst und der Strategische
Auslandnachrichtendienst fusioniert. Der neue Nachrichtendienst ist im
Verteidigungsdepartement von Ueli Maurer angesiedelt. Die GPDel betonte
gestern ausdrücklich, die Zusammenarbeit mit dem VBS sei
vorbildlich.
Der Nachrichtendienst gab gestern keinen Kommentar ab. Christoph
Blocher war nicht erreichbar. Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf
sagte, man habe in den letzten zwei Jahren die Qualitätskontrolle
verbessern können. Man habe "durchaus auch gelernt", mit sensiblen
Daten umzugehen. Der Bundesrat wird bis im Herbst zu den Empfehlungen
des GPDel Stellung nehmen.
--
Auskunftsrecht Betroffene erfahren kaum etwas
Jede Person kann beim Eidgenössischen Datenschützer
verlangen, dass dieser abklärt, ob sie fichiert ist. Der
Datenschützer prüft dann den Fall, teilt der Person aber
lediglich mit, ob der Nachrichtendienst korrekt mit allfälligen
Personendaten umgegangen ist. Damit ist der gesuchstellenden Person nur
schlecht gedient, denn sie erfährt nicht, ob sie überhaupt
fichiert ist und was in einer allfälligen Fiche steht.
Auch der Datenschützer selbst bemängelt dieses
indirekte Auskunftsrecht. Es sei für ihn schwierig, zu
prüfen, ob Daten rechtmässig fichiert werden, sagt er laut
GPDel-Bericht. In der Regel sei es "unmöglich", den
Wahrheitsgehalt der Einträge ohne zusätzliche Angaben der
gesuchstellenden Person zu kontrollieren. Diese darf jedoch nicht zu
den fichierten Angaben befragt werden. Die Berichtigung oder
Löschung falscher Daten sei unter indirektem Auskunftsrecht "kaum
sichergestellt", hält die GPDel fest.Mit einer Motion wollte
Susanne Leutenegger Oberholzer (SP, BS) das indirekte Auskunftsrecht in
ein direktes umwandeln. Im März verwarf der Nationalrat jedoch
ihren Vorstoss mit 95 zu 64 Stimmen. SVP und FDP lehnten die Motion
praktisch geschlossen ab, die Mehrheit der CVP-Fraktion ebenfalls.
Trotzdem will der Bundesrat das Auskunftsrecht ausbauen, wie
Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf kürzlich öffentlich
erklärt hat. Auch die GPDel fordert dies. (daf)
--
Fichenaffäre 1989
"Trinkt abends gern ein Bier"
1989 setzte das Parlament eine Parlamentarische
Untersuchungskommission (PUK) ein, um die Umstände des
Rücktritts von Bundesrätin Elisabeth Kopp sowie die
Amtsführung im Justizdepartement zu untersuchen. Während der
Recherchen stiess die vom damaligen Nationalrat Moritz Leuenberger
geleitete PUK bei der Bundespolizei auf rund 900 000 Karteikarten
(Fichen). Jahrelang wurden kritische Bürgerinnen und Bürger
bespitzelt und mit zum Grossteil belanglosen Einträgen über
ihre alltäglichen Gewohnheiten registriert. In der Fiche der
Thurgauer SP-Nationalrätin Menga Danuser stand zum Beispiel:
"Trinkt abends gern ein Bier." Die Fichenaffäre erschütterte
das Land. 350 000 Schweizerinnen und Schweizer erhielten auf Anfrage
ihre Fiche ausgehändigt, wobei viele Einträge schwarz
abgedeckt waren. (daf)
--
Zur Sache
"Immer auch ein Abbau der Freiheit"
Fichenexperte Niklaus Oberholzer über sein "Dilemma" im
Umgang mit dem Staatsschutz.
Interview: Patrick Feuz
Im Computer unseres Geheimdienstes sind viele unschuldige
Personen registriert. Überrascht Sie das?
Nein. Das Sammeln von teilweise irrelevanten Daten ist ein
allgemeiner Trend, der nicht nur beim Staat, sondern auch in der
Wirtschaft zu beobachten ist. Wer über viele Personendaten
verfügt, hat Macht oder kann damit ein Geschäft machen. Auch
Google und Apple passen in diese Entwicklung.
Unser Geheimdienst setzt auf die Menge statt die Qualität
der Daten.
Nicht nur der Geheimdienst, auch die Polizei sammelt fleissig
Daten auf Vorrat. Fichen, Videokameras im öffentlichen Raum,
biometrischer Pass, DNA-Proben - sie sind alle Ausdruck des gleichen
Trends. Die Sicherheitsbehörden sammeln möglichst viele
Informationen, weil sie im Moment des Sammelns nicht wissen, welche
davon sie später brauchen.
Zwingt nicht die diffuse Bedrohung zum breiten Datensammeln?
Ein Staatsschützer hat mir einmal gesagt: Das Schlimmste
ist, nicht zu wissen, wer genau der Feind ist. Die Verunsicherung
drückt sich auch in unseren Gesetzen aus. Je diffuser die
Bedrohungslage empfunden wird, desto mehr kriminalisiert der
Gesetzgeber schon nur potenzielle Gefährdungen.
Straftatbestände werden immer weiter ins Vorfeld der eigentlichen
Tat verschoben.
Aber verhindert die Datenfülle nicht Verbrechen?
Sie hilft in erster Linie, Täter bedeutend schneller
aufzuspüren. So wurde der Libanese, der 2006 den Zug von Köln
nach Koblenz in die Luft sprengen wollte, dank einer Videokamera im
Bahnhof so schnell gefasst. Die Tat wurde aber nicht deswegen
verhindert. Vielmehr explodierte die Bombe nicht, weil der Zünder
schlecht war.
Es gibt aber durchaus Beispiele für verhinderte Verbrechen:
Die Sauerland-Terroristen wollten US-Soldaten töten, konnten aber
rechtzeitig gestoppt werden.
Ich gebe zu, dass mehr Daten in Einzelfällen
möglicherweise zu mehr Sicherheit führen. Aber mehr
Sicherheit bedeutet immer auch Abbau der Freiheit. Neben den vier
Terroristen waren wohl noch Zehntausende andere Namen in der
Datensammlung.
Kann es einer unschuldigen Person nicht egal sein, in einer Fiche
vorzukommen?
Ich bin ja selber im Dilemma, wenn ich sehe, dass auf Vorrat
gesammelte Daten schnellere Fahndungserfolge bringen und in
Einzelfällen Verbrechen verhindern. Es braucht eine breite
Diskussion, in welchem Mass und in welchen Gebieten wir bereit sind,
unsere Freiheitsrechte - und dazu gehört der Schutz der
Privatsphäre - einzuschränken.
Welcher Verlust von Freiheit stört Sie am meisten?
Ich als ehrlicher Steuerzahler habe nichts dagegen, wenn meine
Bankdaten ausgetauscht werden - aber viele andere anständige
Schweizer wollen nichts wissen vom automatischen Informationsaustausch.
Schlimm finde ich hingegen, wenn mich beim Verlassen des Büros
eine Videokamera filmt und die Bilder 100 Tage aufbewahrt werden.
Niklaus Oberholzer (56) wirkte 1990 als Experte bei der
Fichen-PUK mit. Heute präsidiert er die Anklagekammer des Kantons
St. Gallen.
---
BZ 1.7.10
Staatsschutz
Schweiz hat neue Fichenaffäre
Erneut wurden unzählige Personen gesetzeswidrig fichiert.
Der Ruf nach stärkerer Kontrolle der Behörde wird laut.
Harte Kritik an der Fichierung beim Bund: Der Nachrichtendienst
hat laut der Geschäftsprüfungsdelegation des Parlamentes
(GPDel) jahrelang die vorgeschriebene Pflege der Staatsschutz-Datenbank
vernachlässigt. Dafür sammelte er laufend neue Einträge.
Heute sind 200 000 Personen registriert. Das neue Urteil der
parlamentarischen Oberaufsicht ist brisant: Sie habe "Zweifel an der
Richtigkeit und Relevanz der Daten" in der Datenbank, schreibt sie. Der
ehemalige Dienst für Analyse und Prävention (DAP) habe den
gesetzlichen Anforderungen an die Qualitätssicherung der Daten "in
keiner Art und Weise entsprochen". In der Datenbank sollten nur
Personen registriert sein, die staatsschutzrelevant sind. Unter anderem
deshalb sieht das Gesetz eine periodische Beurteilung von
Einträgen spätestens fünf Jahre nach der ersten Meldung
vor. Die GPDel geht davon aus, dass diese zwischen Ende 2004 und Ende
2008 nicht durchgeführt worden sind.
Rund 20 Jahre nach der Fichenaffäre hat die GPDel einen
brisanten Bericht zum Staatsschutzinformationssystem Isis vorgelegt.
GPDel und Datenschützer fordern effizientere und verstärkte
Kontrollen der Behörde.
sda/mic
Seite 3
--
Staatsschutz
Wieder wurden Bürger illegal fichiert
Eine Untersuchung zum Schweizer Staatsschutz zeigt 20 Jahre nach
dem Fichenskandal gravierende Missstände auf. Jahrelang hat der
Inlandnachrichtendienst die gesetzlichen Vorgaben zur Registrierung von
Personen nicht eingehalten.
Heute sind rund 200 000 Personen in der Staatsschutzdatenbank
Isis registriert. Allein: Lediglich rund die Hälfte davon gilt als
staatsschutzrelevant. Und ob sie tatsächlich eine Gefahr für
die innere Sicherheit der Schweiz darstellen, prüfte der ehemalige
Dienst für Analyse und Prävention (DAP) kaum, wie die
Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) in einem gestern
präsentierten Bericht feststellt.
Dunkle Vergangenheit
Damit hat die Schweiz nach der Fichenaffäre Ende der
Achtzigerjahre einen neuen Skandal um Personendaten. Während des
Kalten Krieges hatten Bundespolizei und Bundesanwaltschaft zusammen mit
kantonalen Polizeien rund 900 000 Beobachtungsakten (Fichen) über
Personen und Organisationen vorwiegend aus dem linken Umfeld anlegen
lassen. Dies, obwohl dafür keine rechtlichen Grundlagen bestanden.
Jetzt hatte die GPDel unter anderem Isis-Einträge zu
mehreren Basler Grossräten auf den Plan gerufen, die 2007 bekannt
wurden. Untersucht hat das Aufsichtsorgan der eidgenössischen
Räte die Speicherung von Daten bis Ende 2009. Seither ist für
die Datenbank der neue Nachrichtendienst des Bundes (NBD)
zuständig. Die GPDel bemängelt, dass der DAP sich viel
stärker der Erfassung neuer Daten widmete, als die Korrektheit der
vorhandenen zu prüfen. Dazu wäre er aber nach Gesetz
verpflichtet. Spätestens fünf Jahre nach der ersten Meldung
müssen Einträge neu beurteilt werden, danach alle drei Jahre.
Dieser Pflicht kam der Nachrichtendienst indes nicht nach: Zwischen
Ende 2004 und Ende 2008 wurden die periodischen Neubeurteilungen nicht
durchgeführt, wie die GPDel feststellte. Insgesamt stehen heute
über 100 000 solcher Beurteilungen aus - der DAP hatte auch noch
Pendenzen aus früheren Jahren.
Grund für die Rückstände waren unter anderem
technische Probleme mit der neu eingeführten Datenbank. Der DAP
konzentrierte zudem sein knappes Personal darauf, alte Einträge
ins neue System einzutragen und neue Einträge zu erfassen. Er
verzichtete aber darauf, die Staatsschutzrelevanz systematisch zu
prüfen. Die Folge dieser nicht gesetzeskonformen Praxis: Die Zahl
der Einträge wuchs von 60 000 registrierten Personen Ende 2004 auf
heute rund 120 000 (siehe auch Text unten).
Nichts gelernt
"Es hat beim Staatsschutz kein Kulturwandel stattgefunden",
stellte Claude Janiak, Baselbieter SP-Ständerat und
GPDel-Präsident, gestern vor den Medien in Bern ernüchtert
fest. Weniger als ein Dutzend Personen seien dafür verantwortlich,
die Lehren aus der Fichenaffäre umzusetzen. Das gelinge so nicht.
Der eidgenössische Datenschützer Hanspeter Thür
betonte, die Grössenordnung der neuen Affäre zeige, "dass
eine gewisse Eigendynamik entsteht, wenn Amtsstellen verpflichtet
werden, Daten zu sammeln". Thür selber hatte der GPDel einige
Hinweise geliefert. Bei diesen Einzelfällen und bei seiner
sonstigen Aufsichtstätigkeit hatte er festgestellt, dass die
Gesamtbeurteilung über eine fichierte Person regelmässig erst
nach Gesuchseingang erstellt wurde. Ausserdem seien die Gesuchsteller
nicht wie vorgeschrieben nachträglich informiert worden, ob sie
eingetragen waren.
Bezüglich Information erhält der DAP auch von der GPDel
ein schlechtes Zeugnis. "Vonseiten des DAP wurden wir ungenügend
und teilweise falsch informiert", sagte Janiak. So habe der Dienst
verschwiegen, dass er die Neubeurteilungen von Personen
zwischenzeitlich unterliess.
Aufsicht verstärken
Thür fordert nun eine bessere Kontrolle der
Nachrichtendienste. "Das Aufsichtsorgan sollte die Arbeitsweise dieser
Dienste ständig im Auge behalten können." Es brauche eine
Stärkung der Aufsichtsorgane GPDel und Datenschutz. Die GPDel
fordert, dass alle Informationen gesperrt werden, die nicht
ordnungsgemäss einer Gesamtbeurteilung unterzogen wurden. Ein
externer Datenschutzbeauftragter soll über die Löschung oder
Beibehaltung der Daten entscheiden. Der Bundesrat kann sich bis Ende
Oktober zudem zu17 Empfehlungen äussern.
Bundesrat handelt bereits
Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf sagte gestern vor den
Medien im Bundeshaus, der Bundesrat nehme "die ganze Angelegenheit
ernst". Der Nachrichtendienst müsse die Gesetze korrekt anwenden.
"Wir sind uns bewusst, dass noch Verbesserungen möglich sind."
Laut der Justizministerin sind gewisse Massnahmen bereits aufgegleist:
Das Verteidigungsdepartement arbeite an einer Revision der Verordnung
über den Nachrichtendienst, die auch Verbesserungen in Bezug auf
die Staatsschutzaktivitäten der Kantone bringe. Widmer-Schlumpf
erinnerte weiter daran, dass das Auskunftsrecht geändert werden
soll. Wer wissen will, ob der Nachrichtendienst über ihn Daten
sammelt, hat künftig das Recht, dies zu erfahren. Mit der
geplanten Änderung würden die Kontrollabläufe
verbessert, sagte die Justizministerin.
Personelle Konsequenzen?
Während früher das Justiz- und das
Verteidigungsdepartement zuständig waren, ist es seit dem 1.
Januar 2009 nur noch das Verteidigungsdepartement. Betroffen von der
Affäre sind demnach der ehemalige Justizminister Christoph
Blocher, die heutige Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf sowie
Verteidigungsminister Ueli Maurer. In der untersuchten Periode trug
zudem der ehemalige Chef des Inlandnachrichtendienstes, Urs von
Daeniken, die Hauptverantwortung. Dieser arbeitet heute als Berater im
Justizdepartement. Eveline Widmer-Schlumpf hielt fest, dass dieser
seine Arbeit gut mache und heute nichts mehr mit der Datenbank zu tun
habe.
Claude Janiak von der GPDel hielt fest, dass eine politische
Bewertung nicht Sache der Delegation sei. Auf die Rolle von Daenikens
angesprochen, wiederholte er lediglich, dass dieser "schlicht nicht
korrekt informiert" habe. Versagt habe aber auch die Aufsicht innerhalb
des zuständigen Departementes: "Die Kenntnisse der Missstände
war da, es fehlte aber der Wille, sie zu beheben."
mic/sda
--
Betrunkene und Demonstranten
Die GPDel hat stichprobenartig Fälle untersucht und nennt in
ihrem Bericht Beispiele für die illegale Speicherung von Daten.
Unter den Fällen ist jener eines in der Schweiz wohnhaften
Mannes, der nur wegen seiner Staatsangehörigkeit registriert
wurde. Der Bürger eines nordafrikanischen Staates wurde an einem
Grenzübergang durch das Fahndungsprogramm "Fotopasskontrolle"
erfasst und in der Datenbank Isis registriert. Später wurde der
Mann eingebürgert; der Staatsschutz hatte keine Einwände
dagegen. Trotzdem blieb der Mann registriert, und zwar nicht als
Drittperson, sondern als Person mit eigener Staatsschutzrelevanz, wie
es im Bericht der GPDel heisst.
Registriert werden offenbar auch Teilnehmende von
Demonstrationen, denen nichts Gesetzeswidriges zur Last gelegt wird.
Der Bericht nennt das Beispiel einer Frau, die sich für
Entwicklungsländer engagiert und an Demonstrationen teilnahm. Der
Staatsschutz des Kantons Basel-Stadt verfasste einen Bericht über
die Frau, weil ein benachbarter Nachrichtendienst die Schweiz um
Auskunft über Personen gebeten hatte, mit der die Frau Kontakt
hatte. Informationen über die Frau und ihren Ehemann wurden in der
Folge in der Datenbank Isis registriert. Der Nachrichtendienst
verdächtigte die Frau der Zugehörigkeit zum Schwarzen Block.
Doch dieser Verdacht war laut der GPDel unbegründet. Nach
Einschätzung der GPDel hätte bereits eine oberflächliche
Prüfung aufzeigen müssen, dass sie keine Bedrohung für
die innere Sicherheit darstellte.
Einfache Anfrage reichte
Die GPDel hält fest, eine Vielzahl von Registrierungen sei
allein aufgrund von Anfragen des Auslands vorgenommen worden. Die
Registrierung sei auch dann erfolgt, wenn die ausländischen
Dienste die Anfrage nicht mit weiteren Informationen zur Person
begründet hätten.
Registriert hat der Staatsschutz zum Beispiel auch 16 Personen,
die von einem Ostschweizer Kanton in einem Bericht über den
örtlichen Rechtsextremismus genannt wurden. Das Spektrum reichte
laut GPDel von einer Anführerfigur in der Szene bis zu einer
Person, die wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand angehalten wurde und
dabei rechtsextremistische Lieder sang und über die Ausländer
schimpfte. Alle Personen waren acht Jahre lang in der Datenbank Isis
registriert.
sda
--
Kommentar
Heikle Panne
Michael Widmer
Man reibt sich die Augen: Rund zwanzig Jahre nach der
Fichenaffäre, die das ganze Land erschüttert hatte, wird
bekannt, dass Behörden und Politik aus den Fehlern von damals
offenbar nichts gelernt haben. Und dies, obwohl alle versprochen
hatten, man werde dem Staatsschutz künftig genau auf die Finger
schauen. Es dürften nie mehr unkontrolliert Daten von Bürgern
dieses Landes gesammelt werden, hiess es damals.
Ein Vergleich mit dem grossen Fichenskandal Ende der
Achtzigerjahre kann aber nicht im vollen Umfang gezogen werden. Denn
waren vor zwanzig Jahren Personen und Organisationen aus politischem
Kalkül bespitzelt worden, ist die neueste Datenpanne vorab mit
Unvermögen bei den Behörden erklärbar. Dennoch
hinterlässt die neue Affäre ein ungutes Gefühl.
Die Staatsschützer scheinen bis heute nicht verstanden zu
haben, wie sensibel der Umgang mit Personendaten ist. Und die Politik
hat es während Jahren nicht geschafft, die Sammlung und
Speicherung von Daten unbescholtener Bürger zu unterbinden.
Aber gerade der Staatsschutz, der zur Verteidigung des Landes
oftmals im Geheimen und intransparent arbeiten muss, ist auf das
absolute Vertrauen der Bevölkerung angewiesen. Die jüngste
Fichenaffäre gibt jenen Kräften Aufwind, die den Staatsschutz
am liebsten abschaffen würden.
Wollen Behörden und Politik wieder an Glaubwürdigkeit
gewinnen, müssen die Empfehlungen der
Geschäftsprüfungsdelegation und die eigenen
Verbesserungsvorschläge für den Umgang mit Personendaten
rasch, sauber und transparent umgesetzt werden. Die Kontrolle des
Staatsschutzes muss künftig hundertprozentig funktionieren. Denn
hier gilt ganz besonders: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
michael.widmer@bernerzeitung.ch
---
20 Minuten 1.7.10
200 000 Personen fichiert - Kritik an Geheimdienst
BERN. Der Geheimdienst hat mit seiner Fichenpraxis jahrelang
gegen das Gesetz verstossen. Nun wird eine provisorische Datensperre
gefordert.
Rund 20 Jahre nachdem der Fichen-Skandal die Schweiz
erschüttert hat (siehe Box), musste der Inlandgeheimdienst (DAP)
gestern ein vernichtendes Zeugnis der
Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) entgegennehmen:
- Falsche Personen erfasst: Heute sind rund 200 000 Personen in der
Staatsschutz-Datenbank ISIS registriert. 120 000 gelten als
staatsschutzrelevant. Ob sie aber tatsächlich eine Gefahr für
die innere Sicherheit der Schweiz darstellen, prüften die
Geheimdienst-Agenten kaum. Zudem wurden Personen aus rund einem Dutzend
Staaten bei der Einreise in die Schweiz automatisch fichiert.
- Die Kontrolle hat versagt: Spätestens fünf Jahre nach
der ersten Meldung müssen laut Gesetz Einträge neu beurteilt
werden, danach alle drei Jahre. Doch zwischen Ende 2004 und Ende 2008
wurde dies nicht gemacht. Heute sind über 100 000 solcher
Beurteilungen ausstehend - offenbar auch wegen technischer Probleme.
"Dieser Zustand der ISIS-Daten stellt die Zweckmässigkeit
des Staatsschutzes grundlegend in Frage", heisst es im Bericht. Dies
könne zu Pannen führen, "welche letztlich die Sicherheit des
Landes gefährden". Die GPDel fordert deshalb 17 Massnahmen - unter
anderem, dass alle Infos gesperrt werden, die nicht ordnungsgemäss
beurteilt wurden. Ein Datenschutzbeauftragter soll dann über die
Löschung oder Beibehaltung entscheiden. Zudem soll die Erfassung
der Personen einzig aufgrund der Staatsangehörigkeit eingestellt
werden.
Nico Menzato
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Parallelen zum Fichen-Skandal von 1989
BERN. "Es hat beim Staatsschutz kein Kulturwandel stattgefunden",
so GPDel-Präsident Claude Janiak. Damit zieht der
SP-Ständerat Parallelen zwischen den gestern veröffentlichten
Missständen und dem Fichen-Skandal, der vor 20 Jahren die Schweiz
erschütterte: Während des Kalten Krieges hatten Bund und
Kantone rund 900 000 Beobachtungsakten über Personen und
Organisationen vorwiegend aus dem linken Umfeld anlegen lassen - ohne
rechtliche Grundlagen. In der Folge wurden auch die geheime Armee P 26
und der geheime Nachrichtendienst P 27 aufgedeckt. Dies führte zu
heftigen Demonstrationen.
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WoZ 1.7.10
Neuer Fichenskandal
Staatsschutz auflösen!
200 000 Personen sind in der Extremismusdatenbank des
Inlandgeheimdienstes fichiert. Von "falscher Information im System" und
von zahlreichen Fichen, die "nicht den rechtlichen Vorgaben
entsprechen", schreibt die Geschäftsprüfungsdelegation des
Parlaments (GPDel). Sie veröffentlichte am Mittwoch einen
vernichtenden Untersuchungsbericht: Die Qualitätskontrolle des
Nachrichtendienstes hat auf ganzer Linie versagt, Personen, die als
nicht-extremistisch eingestuft worden waren, landeten in grosser Zahl
im System, der Chef des Inlandgeheimdienstes hatte von der Nutzung
illegaler Daten "nachweislich Kenntnis". Sie kommt zum Schluss, dass
der Zustand des Fichierungssystems die "Zweckmässigkeit des
Staatsschutzes grundlegend infrage stellt".
Mit dem Bericht stellt die GPDel sich indirekt selber ein
schlechtes Zeugnis aus: Über Jahre hatte sie behauptet, den
Staatsschutz effektiv zu kontrollieren. Nun fordert sie plötzlich
die Sperrung, Überprüfung und allfällige Löschung
Zehntausender Daten. Die Organisation grundrechte.ch verlangt, dass
Betroffene vor der Löschung Einsicht erhalten sollen. Und: "Jetzt
muss eine Diskussion über die Auflösung des Geheimdienstes
geführt werden." dg
---
Basler Zeitung 1.7.10
Der grosse Pfusch der Staatsschutzmechaniker
Wie der Geheimdienst unrechtmässig Daten speichert und
Schwierigkeiten systematisch vertuscht
Christian Mensch
Die Schweiz hat ihre neue Fichenaffäre. Der Dienst für
Analyse und Prävention sammelt fleissig Personendaten - teils ohne
Rechtsgrundlage und stets ohne Unrechtsbewusstsein.
200 000 Personen haben die Staatsschützer vom Dienst
für Analyse und Prävention (DAP) derzeit in ihrer Datenbank
Isis 01 gespeichert. Die Geschäftsprüfungsdelegation des
Parlaments (GPDel) unter der Leitung des Baselbieter Ständerats
Claude Janiak (SP) zeichnet in ihrem gestern publizierten Bericht nach,
wie die Staatsschützer diesen Datenberg haben anwachsen lassen.
Das Fazit: Der neue Affäre ist nicht das Resultat
ideologisch gesteuerter Staatsschützer, sondern das Werk
überforderter Technokraten.
Das Verhängnis akzentuiert sich seit 2005. Die im Anschluss
an den Fichenskandal 1994 eingeführte elektronische Datenbank Isis
musste abgelöst werden, da der Softwarelieferant keine
Weiterentwicklung mehr bot. Der Transfer der Daten von Isis auf Isis-NT
sei "reibungslos" verlaufen, erklärte der DAP. Doch bereits 2006
erkannte die GPDel kritische Abläufe: Alle eingehenden Meldungen
wurden direkt in das neue System eingespeist und erst in einer zweiten
Phase prüfte die Qualitätskontrolle die Erheblichkeit und
Richtigkeit der Informationen. Da Isis-NT als relationale Datenbank
aufgebaut war, gestaltete sich die erste Phase aufwendiger als zuvor.
Die DAP-Leitung reagierte darauf nicht etwa, indem sie den Aufbau neuer
Fichen reduzierte, sondern sie stellte die Qualitätssicherung
zurück. Gegenüber der GPDel räumte der DAP damals "einen
Flaschenhals" ein, der bald behoben sei.
Die Vertröstungen, die Pendenzen würden abgebaut,
hörte die GPDel immer wieder. Sowohl die DAP-Führung als auch
das damals zuständige Justizdepartement beteuerten zudem, die
Qualitätssicherung sei gewährleistet. Faktisch setzte der DAP
jedoch das Personal für Qualitätssicherung vier Jahre lang
für die Unterstützung der Datenerfassung anstatt für die
eigentliche Arbeit ein.
Stichproben der GPDel ergaben zudem, dass auch der Datentransfer
vom alten ins neue System nicht so problemlos war, wie der DAP
dargestellt hatte. So gingen teilweise Informationen über erfolgte
Kontrollen verloren und andere Informationen wurden schlicht in falsche
Datenfelder kopiert.
Die Folgen waren fatal: Denn der DAP war folglich nicht nur bei
der Qualitätssicherung neuer Eintragungen überfordert,
sondern hatte auch ein Grossproblem mit Fichierungen vor 2005.
Unrechtmässig
Gemäss Gesetz müssen spätestens fünf Jahre nach der
Ersterfassung Meldungen zu einer fichierten Person überprüft
und allenfalls gelöscht werden, wenn keine Relevanz mehr besteht.
Eintragungen von Personen, die als sogenannte Drittpersonen in der
Isis-Datenbank auftauchen, müssen sogar nach drei Jahren
überprüft werden. Einträge, die älter als 15 Jahre
sind, müssen gelöscht werden.
Mit der Datenmigration gingen die Informationen verloren, wann
welche Fiche überprüft wurde. Der DAP machte es sich einfach
und wies die Informatiker an, in alle leeren Datenfelder den 31.
Dezember 2004 einzusetzen. Die Techniker waren sich der rechtlichen
Problematik bewusst und forderten vom DAP eine schriftliche Anweisung.
Manipulation
Für den DAP war das Problem vordergründig gelöst, da nun
der Anschein bestand, dass alle Eintragungen bis mindestens 2007
gesetzeskonform überprüft worden seien. Doch gerade diese
Manipulation der Datensätze legte offen: Der DAP war bereits mit
dem alten Isis-System überfordert, die periodische
Qualitätsprüfung durchzuführen.
In die Defensive geraten, versuchte der DAP die
unrechtmässigen Eintragungen zu verharmlosen. Man müsse
aufhören, zu denken, "es sei ein Makel, fichiert zu sein",
argumentiert die DAP-Führung. Isis sei kein "Verdachtsregister",
sondern enthalte eben auch entlastende Informationen über
Personen. Zudem müsse der DAP auch nicht staatsschutzrelevante
Daten speichern, um ihren Tätigkeitsnachweis erbringen zu
können.
Für die freihändige Interpretation ihres Auftrags hat
die GPDel kein Verständnis. Sie verkehre den Willen des Gesetzes
ins Gegenteil. Doch überrascht ist die GPDel nicht. Einen Willen
des DAP, Mängel an der Quelle zu beheben, haben die Parlamentarier
nie feststellen können.
--
Die Anni Lanz vom "Schwarzen Block"
Fichenerprobt. Die Basler Menschenrechtsaktivistin Anni Lanz
gehöre wohl zum "Schwarzen Block", einer gewalttätigen
linksautonomen Gruppe, die vor allem in Zürich regelmässig
aktiv ist. Diesen absurden Verdacht haben die Staatsschützer des
Dienstes für Analyse und Prävention (DAP) in die Fiche von
Anni Lanz geschrieben. Der Eintrag kam zustande, weil die Basler
Staatsschützer von der Fachgruppe neun innerhalb von vier Jahren
zwei unbedeutende Meldungen über Lanz sowie eine nie offiziell
gemachte Anzeige wegen Landfriedensbruch nach Bern geschickt haben.
Damit wurde die Ehrendoktorin der Universität Basel gemäss
den Richtlinien der "abgestuften Erfassung von gewaltorientierten
Aktivisten" automatisch der Kategorie B zugeteilt. Und wer sich einmal
dort befindet, der steht in der Logik der Staatsschützer im
Verdacht, zum "Schwarzen Block" zu gehören. Der Widerspruch, dass
Lanz in einem Bericht als "sehr gutmütige, grosszügige Person
ohne jegliche kriminelle Neigung" bezeichnet wird, ist den
Staatsschützern entgangen.
Der Eintrag blieb über Jahre bestehen, da das DAP nicht wie
vom Gesetz verlangt, die Fiche periodisch überprüfte. Erst
eine Intervention der GPDel führte zu einer umgehenden
Löschung der ganzen Akte Lanz. cm
--
"Es gab keinen Kulturwandel beim Staatsschutz"
Der Dienst für Analyse und Prävention habe trotz
Fichenskandal und Staatsschutzgesetz weitergearbeitet wie zuvor
Interview: Seraina Gross
Claude Janiak (SP, BL) ist Präsident der
Geschäftsprüfungsdelegation, die mit der Aufsicht über
den Staatsschutz betraut ist. Im Gespräch mit der BaZ wird der
sonst zurückhaltende Janiak deutlich.
BaZ: Bis in die Achtzigerjahre wurden in der Schweiz
Hunderttausende meist unbescholtene Männer und Frauen fichiert.
Nun gibt es wieder 200 000 Staatsschutzakten. Haben wir es mit einem
zweiten Fichenskandal zu tun?
Claude Janiak. Quantitativ betrachtet nicht. Es sind ja deutlich
weniger Fichen. Qualitativ aber schon. Das Bundesgesetz über die
Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS), das seit 1998 in Kraft ist,
macht strenge Vorgaben, was die Aufnahme in die Isis-Datei, die
Qualitätskontrolle und die Überprüfung der Daten
betrifft. Diese wurden nicht eingehalten.
Inwiefern?
Das Gesetz schreibt vor, welche Voraussetzungen erfüllt sein
müssen, damit Einträge gerechtfertigt sind, und es schreibt
vor, dass bestehende Einträge regelmässig neu beurteilt
werden müssen. Wir haben festgestellt, dass Da-ten eingegeben
wurden, ohne dass zuvor festgestellt wurde, ob es überhaupt eine
Berechtigung dafür gibt. Zu-dem wurden zwischen Ende 2005 und Ende
2008 keine Neubeurteilungen vorgenommen.
Ist das Ganze eine Affäre Blocher? Die Aufsicht über
den Dienst für Analyse und Prävention (DAP) oblag ja damals
dem Justiz- und Polizeidepartement.
Natürlich trägt Bundesrat Blocher die politische
Verantwortung. Er dachte, die ganze Übertragung der Daten in ein
neues Computerprogramm sei mit ein paar befristeten Stellen zu machen
(vgl. Text oben), was natürlich nicht der Fall war. Er hat
schlicht und einfach seine Führungsverantwortung nicht
wahrgenommen. Das Wissen um die Missstände war da, aber es fehlte
am Willen, sie zu beheben. Trotzdem wäre es zu einfach, die ganzen
Probleme nur Blocher anzulasten.
Warum?
Die Staatsschützer denken noch gleich wie vor der
Fichenaffäre. Es gab keinen Kulturwandel. Das ist der Hauptgrund
dafür, dass es erneut dazu kommen konnte, dass unkontrolliert
Daten gesammelt wurden.
Chef des DAP war im fraglichen Zeitraum Urs von Däniken. Wie
hat er sich in den Befragungen durch die GPDel verhalten?
Von Däniken hat immer so getan, als ob die Vorgaben des BWIS
eingehalten worden seien, was aber nicht der Fall war. Und wenn wir
nachfragten, was der Grund für die Zunahme der Daten sei, so
machte er immer wieder die Migration der Daten dafür
verantwortlich. Von Däniken hat uns schlicht nicht korrekt
informiert. Die Migrationsprobleme waren nur vorgeschoben.
Seit 2009 obliegt die Aufsicht über den Staatsschutz dem
Verteidigungsdepartement (VBS) von Bundesrat Ueli Maurer. Was hat sich
damit geändert?
Der neue Chef VBS hat eine Aufsicht über den
Nachrichtendienst des Bundes installiert, welche diesen Namen verdient.
Insofern sind wir zuversichtlich, dass die Kontrollprobleme nun
angegangen werden. Allerdings muss die Aufsicht personell besser
dotiert sein. Die Zusammenarbeit mit Bundesrat Ueli Maurer ist gut. Er
hat immer ein offenes Ohr für uns. Wir hätten unsere Arbeit
ja gar nicht machen können, wenn das Verteidigungsdepartement die
Zusammenarbeit mit uns Parlamentariern verweigert hätte.
Die aktuelle Fichenaffäre hat vor zwei Jahren in Basel
begonnen. Damals wurde bekannt, dass sechs Grossräte und
Grossrätinnen fichiert worden waren. Ausserhalb Basels hat man der
Sache bis jetzt wenig Beachtung geschenkt. Denken Sie, dass sich das
mit Ihrem Bericht nun ändern wird?
Ich hoffe es. Der Basler Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass hat
eine Verordnung vorgelegt, die zeigt, dass auch die Kantone bei der
Kontrolle des Staatsschutzes eine Aufgabe übernehmen können.
---
Südostschweiz 1.7.10
Schweizer Staatsschützer schon wieder ausser Kontrolle
Von Beat Rechsteiner
Der Inlandgeheimdienst hat in seinem
Staatsschutz-Informationssystem Isis von 2004 bis 2009 Daten von 200
000 Personen angehäuft und damit das Gesetz gebrochen. Dies der
Befund der Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments
Bern. - Der Schweizer Inlandgeheimdienst DAP habe in seiner
Sammelwut die Qualitätssicherung sträflich
vernachlässigt, schreibt die Geschäftsprüfungsdelegation
des Parlaments (GPDel) in ihrem gestern veröffentlichten Bericht
über das elektronische Staatsschutz-Informationssystem Isis im
Untersuchungszeitraum 2004 bis 2009. In vielen Fällen wurden
demnach Informationen registriert, die für die Sicherheit des
Staates unerheblich oder auch schlicht falsch waren. Darunter Daten von
80 000 Drittpersonen, die nur vermerkt wurden, weil sie in Kontakt zu
suspekten Personen standen. Zudem wurden die erfassten Daten zu lange
im System aufbewahrt, vorgeschriebene periodische
Überprüfungen blieben in über 100 000 Fällen
unerledigt. Und obwohl die Verantwortlichen von den Missständen
wussten, wurden die Aufsichtsbehörden im Dunkeln gelassen und
teilweise gar falsch informiert. Die GPDel kommt deshalb zum
vernichtenden Urteil: "Dieser Zustand der IsisDaten Daten stellt die
Zweckmässigkeit des Staatsschutzes grundlegend infrage." Die GPDel
untersuchte die Dateneinträge stichprobenartig - und stiess dabei
auf haarsträubende Fälle. So wurden offenbar
Demonstrationsteilnehmer erfasst, ohne dass ihnen
Gesetzesverstösse hätten zur Last gelegt werden können.
Ausländer wurden allein wegen ihrer Staatsangehörigkeit
registriert oder aufgrund von Anfragen aus demAusland, ohne dass
weitere Informationen zur Person vorgelegt worden wären. Eine
Person gelangte auf die Liste, nachdem sie betrunken Auto gefahren, von
der Polizei angehalten worden war und dann rechtsextreme Lieder
gesungen hatte. Der Geheimdienst ging mit einer fragwürdigen
Strategie vor: In einem ersten Schritt wurden Daten gesammelt und
erfasst, auf ihre Relevanz hin überprüft werden sollten sie
aber erst später. Auf diese Weise türmten sich die
Datenberge, auch weil es an personellen Ressourcen mangelte und
Mitarbeiter in anderen Bereichen eingesetzt wurden.
Von Däniken und Blocher schweigen Besonders in der Kritik
steht der ehemalige DAP-Chef Urs von Däniken, der seit Ende 2008
nicht mehr in dieser Position tätig ist. Von Däniken arbeitet
heute im Generalsekretariat von Justizministerin Eveline WidmerSchlumpf
Schlumpf und wollte sich zu den Vorwürfen der GPDel gestern nicht
äussern. Mit in derVerantwortung stehen zudem die ehemaligen
Justizminister Ruth Metzler und Christoph Blocher - sie beide wurden
von der GPDel jedoch nicht angehört.Wie GPDel-Präsident
Claude Janiak gestern in Bern sagte, gab es unter Blocher Anstrengungen
einzelner Mitarbeiter, den Problemen auf den Grund zu gehen. Jedoch
seien diese gescheitert. Dem Vernehmen nach stiess die
departementsinterne Inspektion auf Widerstand, sowohl beim Geheimdienst
als auch bei der Departementsspitze. Blocher reagierte gestern nicht
auf eine Gesprächsanfrage.
Bundesrat muss Stellung nehmen Amtierende Bundesräte werden
von der GPDel nicht kritisiert. Mittlerweile existiert der DAP auch
nicht mehr in seiner damaligen Form. Er wurde Anfang 2010 mit dem
Auslandnachrichtendienst zu einer Organisation verschmolzen und
untersteht ganz dem Verteidigungsdepartement. Bis Ende Oktober soll
sich nun der Bundesrat zum Bericht äussern. Die GPDel fordert
unter anderem, dass alle Informationen gesperrt werden, die nicht
ordnungsgemäss einer Gesamtbeurteilung unterzogen wurden. Dazu
soll der Bundesrat einen externen Datenschutzbeauftragten anheuern, der
über die Löschung oder Beibehaltung der Daten entscheidet.
Mitte 2012 sollen diese Arbeiten abgeschlossen sein.
--
"Nie wieder", hiess es nach dem Fichen-Skandal vor 20 Jahren
Bern. - Vor zwei Jahrzehnten hat der Fichen-Skandal die Schweiz
aufgerüttelt. Politik und Öffentlichkeit waren sich damals
einig: Der Staatsschutz sollte nie wieder unkontrolliert Daten
über Hunderttausende Bürger sammeln können.
Während des Kalten Krieges hatten Bundespolizei und
Bundesanwaltschaft mit kantonalen Polizeien ohne rechtliche Grundlagen
rund 900 000 Beobachtungsakten (Fichen) über Personen und
Organisationen vorwiegend aus dem linken Umfeld anlegen lassen.
Aufgedeckt wurde der Skandal durch die Parlamentarische
Untersuchungskommission PUK-EJPD, die vom heutigen Bundesrat Moritz
Leuenberger präsidiert wurde. Sie war 1989 nach dem Abgang von
Bundesrätin Elisabeth Kopp eingesetzt worden und sollte neben der
Kopp-Affäre die Datensammel-Aktivitäten des Staatsschutzes
untersuchen. Der Fichen-Skandal führte 1990 auch zur Einsetzung
einer PUK EMD. Diese deckte die geheime Armee P 26 und den geheimen
Nachrichtendienst P 27 auf.
Diese Skandale bewegten die schweizerische Öffentlichkeit
stark. So verkündeten Kulturschaffende einen Boykott der
700-Jahr-Feier von 1991. Eine Volksinitiative "S.o.S. - Schweiz ohne
Schnüffelpolizei" zur Abschaffung der politischen Polizei wurde
lanciert, 1998 aber klar verworfen. Die Fichen-Affäre führte
in den Neunzigerjahren zur Trennung von Bundesanwaltschaft und
Bundespolizei - und 1994 wurden die Fichen durch das
Staatsschutz-Informationssystem Isis abgelöst, das jetzt wieder
Schlagzeilen macht. (sda)
--
Skandal oder Theater - Politik nach Fichen-Bericht gespalten
Von Tobias Gafafer
Bern. - Mit ihren Vorwürfen an den Geheimdienst und dessen
politische Verantwortliche spricht die
Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des Parlaments Klartext.
Weniger klar fallen die politischen Reaktionen ausserhalb der GPDel
aus. Die Präsidenten der CVP, Christophe Darbellay, und der FDP,
Fulvio Pelli, sowie Parlamentarier jeglicher Couleur wollten sich
gestern auf Anfrage nicht äussern, da sie den Bericht noch nicht
gelesen hätten. Er habe Wichtigeres zu tun, als sich "diesem
Sommertheater" zu widmen, sagte Darbellay. SVP-Generalsekretär
Martin Baltisser zeigte sich erstaut über die Probleme.
Grüne möchten aufräumen
Linke Exponenten vermieden es zwar meist, direkt den Vergleich
zur Fichen-Affäre vor 20 Jahren zu ziehen, fuhren aber trotzdem
grobes Geschütz auf. "Das ist ein Skandal", sagte Nationalrat Ueli
Leuenberger, Präsident der Grünen. Die Kontrolle des
Geheimdienstes sei ungenügend, es herrsche immer noch eine
"Kalte-Krieg-Mentalität" - und diese Ideologie sei in den
Köpfen "gewisser alt Bundesräte präsent". Der Genfer
forderte Konsequenzen für die früheren Leiter des
Inlandgeheimdienstes, Urs von Däniken und Jürg Bühler,
die heute als Berater für den Bund respektive als
stellvertretender Leiter des Nachrichtendienstes des Bundes tätig
sind. "Entweder die alte Garde räumt auf, oder wir müssen mit
ihnen aufräumen", erklärte Leuenberger.
Die SP kritisierte per Communiqué, dass der Geheimdienst
keine Lehren aus dem Fichen-Skandal gezogen habe, und forderte neben
besseren Kontrollen, dass veraltete und falsche Daten sofort zu
löschen seien.
Bundesrat will nachbessern
Auch Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf nahm gestern vor
den Medien Stellung und sagte, der Bundesrat sei sich bewusst, dass
"Verbesserungen möglich sind". Indirekt verteidigte sie zwar von
Däniken, tönte aber an, dass es zu Problemen gekommen sei:
"Er hat die Funktion nicht weiter geführt, weil Fragen offen
waren". Widmer-Schlumpf betonte, dass das Auskunftsrecht geändert
werden soll. Wer wissen will, ob er fichiert ist, soll in Zukunft das
Recht haben, dies zu erfahren. Das geht auf einen Vorstoss von
SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger-Oberholzer zurück, der
demnächst ins Parlament kommen soll. Datenschützer Hanspeter
Thür sagte der Nachrichtenagentur SDA, dass "eine gewisse
Eigendynamik entstehe, wenn Amtsstellen verpflichtet werden, Daten zu
sammeln" - und forderte bessere Kontrollen.
Bis im Oktober will der Bundesrat zu den Vorwürfen und
Empfehlungen der GPDel Stellung nehmen. Klar ist bereits jetzt, dass
nach der jüngsten Fichen-Affäre eine Verschärfung
präventiver Massnahmen für den Staatsschutz im Parlament
keine Chancen haben dürfte. "Mit solch einem Stuss ebnet man nicht
gerade das politische Terrain", sagte der Aargauer FDP-Nationalrat
Philipp Müller.
--
Kommentar
Staatsschutz mit Messie-Syndrom
Von David Sieber
"Betroffene leiden an einem Defizit, ihre Handlungen geplant und
zielgerichtet an der Bewältigung ihrer alltäglichen Aufgaben
auszurichten. Dies kann sich in zwanghaftem Sammeln wertloser oder
verbrauchter Dinge äussern." Die Wikipedia-Definition des so
genannten Messie-Syndroms könnte am Beispiel des Schweizer
Staatsschutzes verfasst worden sein. Was die
Geschäftsprüfungsdelegation gestern präsentiert hat, ist
ein Blick in eine Schattenwelt, deren Protagonisten unmöglich bei
klarem Verstand sein konnten. Wie wenn es vor 20 Jahren keinen
Fichen-Skandal gegeben hätte, sammelte der Dienst für
Aufklärung und Prävention (DAP) Daten sonder Zahl. Es wurde
nicht gewichtet, es wurde nicht überprüft, die Relevanz
für den Staatsschutz spielte keine Rolle. 200 000 Personen wurden
registriert, Datenmüll ohne Ende produziert.
Und nicht einmal der damalige Justizminister Christoph Blocher,
dessen Weltbild der Freiheit der Bürger oberste Priorität
einräumt, gelang es, das Treiben des kleinen Trüppchens zu
beenden. Im Nachhinein stellt es sich als Glücksfall heraus, dass
jene Basler Grossräte mit ausländischen Wurzeln, die
völlig schuldlos ins Visier der Staatsschützer gerieten, 2008
an die Öffentlichkeit gegangen sind. Sie haben nicht nur den
Datenschützer auf den Plan gerufen, sondern auch die Politik.
Nun gilt es, die nötigen Sicherungen einzubauen. Die
Vorschläge liegen auf dem Tisch: direktes Einsichtsrecht für
die Fichierten, mehr Kontrolle über den Staatsschutz,
restriktivere Regeln, was überhaupt erfasst werden darf. In
Zeiten, in denen der Terror globalisiert ist, wäre es
fahrlässig, den Nachrichtendienst gleich abzuschaffen. Nur sollten
die Schlapphüte erst auf ihre psychische Gesundheit
überprüft werden.
dsieber@suedostschweiz.ch
---
St. Galler Tagblatt 1.7.10
Vom Kalten Krieg zum "Schnüffelstaat"
Die Fichenaffäre stürzte die Schweiz vor 20 Jahren in
eine Staatskrise. Nach der Aufarbeitung waren sich Politik und
Öffentlichkeit einig: Nie wieder soll der Staat unkontrolliert
Daten über Hunderttausende Bürger sammeln können.
Der Skandal erreichte im März 1990 einen Höhepunkt.
Rund 100 000 Schweizerinnen und Schweizer hatten bereits Einsicht in
ihre Akte verlangt, täglich kamen Tausende hinzu. Der Bundesrat
hatte versprochen, jede Anfrage zu beantworten. Doch mit diesem Ansturm
hatte niemand gerechnet. In Bern machten Gerüchte über einen
kollektiven Rücktritt der Landesregierung die Runde, auf der
Strasse protestierten Zehntausende gegen den "Schnüffelstaat" -
das Land stand vor einem politischen Scherbenhaufen.
Angst vor "subversiven Aktivitäten"
Die Affäre hatte in der Schlussphase des Kalten Krieges
ihren Lauf genommen. Bundespolizei und Bundesanwaltschaft sammelten
zusammen mit kantonalen Polizeien Informationen über rund 700 000
Personen und Organisationen. Bei den damals rund 6,5 Millionen
Einwohnern waren dies mehr als 10 Prozent der Bevölkerung. Die
Schweiz sollte damit vor "subversiven Aktivitäten" zur
Destabilisierung des Systems und der Errichtung einer Diktatur
geschützt werden. Im Lauf der Untersuchung stellte sich heraus,
dass 900 000 Fichen (Französisch für "Karteikarten") angelegt
worden waren, vorwiegend über Personen und Organisationen aus dem
linken Umfeld.
Aufgedeckt wurde die Affäre durch die Parlamentarische
Untersuchungskommission PUK EJPD, die sich eigentlich mit den Fehlern
von Bundesrätin Elisabeth Kopp befassen sollte. Die
Fichenaffäre führte 1990 zur PUK EMD unter Ständerat
Carlo Schmid (siehe nebenstehende Reaktionen). Diese deckte die
Geheimarmee P 26 und den Nachrichtendienst P 27 auf. Diese Skandale
erschütterten die Öffentlichkeit erneut. Das ging so weit,
dass Kulturschaffende zum Boykott der 700-Jahr-Feier von 1991 aufriefen.
Von den Fichen zu Isis
Im Lauf der 1990er-Jahre beruhigte sich die Situation. Die
Volksinitiative "S.o.S. - Schweiz gegen den Schnüffelstaat" zur
Abschaffung der politischen Polizei wurde 1998 mit 75 Prozent
Nein-Stimmen verworfen. Die Fichenaffäre führte aber zu einer
Trennung von Bundesanwaltschaft und Bundespolizei, die Fichen wurden
1994 durch das Staatsschutz- Informationssystem Isis abgelöst.
Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 verstärkte
der Staatsschutz seine Aktivitäten erneut. Andri Rostetter
---
Zürichsee-Zeitung 1.7.10
Staatschutz Der Weg zum "Schnüffelstaat"
"Nie wieder" hiess es damals nach dem Fichen-Skandal
Die Fichen-Affäre stürzte die Schweiz vor 20 Jahren in
eine Staatskrise.
Andri Rostetter
Der Skandal erreichte im März 1990 einen Höhepunkt.
Rund 100 000 Schweizerinnen und Schweizer hatten bereits Einsicht in
ihre Akte verlangt, täglich kamen Tausende hinzu. Der Bundesrat
hatte versprochen, jede Anfrage zu beantworten. Doch mit diesem Ansturm
hatte niemand gerechnet. In Bern machten Gerüchte über einen
kollektiven Rücktritt der Landesregierung die Runde, auf der
Strasse protestierten Zehntausende gegen den "Schnüffelstaat" -
das Land stand vor einem politischen Scherbenhaufen.
"Subversive Aktivitäten"
Die Affäre hatte in der Schlussphase des Kalten Krieges
ihren Lauf genommen. Bundespolizei und Bundesanwaltschaft hatten
zusammen mit kantonalen Polizeien Informationen über rund 700 000
Personen und Organisationen gesammelt. Bei den damals rund 6,5
Millionen Einwohnern waren dies mehr als 10 Prozent der
Bevölkerung. Die Schweiz sollte damit vor "subversiven
Aktivitäten" zur Destabilisierung des Systems und der Errichtung
einer Diktatur geschützt werden. Im Lauf der Untersuchung stellte
sich heraus, dass 900 000 Fichen (französisch für
"Karteikarten") angelegt worden waren, vorwiegend über Personen
und Organisationen aus dem linken Umfeld. Aufgedeckt wurde die
Affäre durch die parlamentarische Untersuchungskommission PUK
EJPD, die sich eigentlich mit den Fehlern von Bundesrätin
Elisabeth Kopp befassen sollte. Die Fichen-Affäre führte 1990
zur PUK EMD unter Ständerat Carlo Schmid. Diese deckte die
Geheimarmee P26 und den geheimen Nachrichtendienst P27 auf. Diese
Skandale erschütterten die Öffentlichkeit erneut. Das ging so
weit, dass Kulturschaffende zum Boykott der 700-Jahr-Feier von 1991
aufriefen.
Von den Fichen zu Isis
Nach der Aufarbeitung des FichenSkandals waren sich Politik und
Öffentlichkeit einig: Nie wieder soll der Staat unkontrolliert
Daten über Hunderttausende Bürger sammeln können. Im
Lauf der 1990er Jahre beruhigte sich dann die Situation. Die
Volksinitiative "S.o.S. - Schweiz gegen den Schnüffelstaat" zur
Abschaffung der politischen Polizei wurde 1998 mit 75 Prozent
Nein-Stimmen verworfen. Die Fichen-Affäre führte aber zu
einer Trennung von Bundesanwaltschaft und Bundespolizei, die Fichen
wurden 1994 durch das Staatsschutz-Informationssystem Isis
abgelöst. Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001
verstärkte der Staatsschutz seine Aktivitäten erneut.
Nachgefragt Christoph Mörgerli
"Wo bitte sind die Missstände?"
Wie beurteilen Sie den Bericht der
Geschäftsprüfungskommission (GPDel) über die
Missstände im Staatsschutz?
Wo bitte sind die Missstände? Bei 1,6 Millionen
Ausländern und 200 000 Sans-Papiers finde ich 200 000 Fichen eher
wenig. Das ist aufgeblasenes Geschwafel der völlig politisierten
GPDel unter SP-Ständerat Claude Janiak. Seit bald drei Jahren
warten wir auf seine Untersuchung über das Komplott von GPK und
Staatsanwaltschaft gegen Christoph Blocher von 2007. Doch ausser
Vertuschen geschah nichts. Jetzt behauptet dieses peinliche Gremium,
der Bundesrat habe über die Fichierung nichts gewusst - aber
Bundesrat Blocher sei an allem schuld!
Wie gravierend sind die Missstände? Ist die Situation
vergleichbar mit der Fichen-Affäre von 1989?
1989 gelang es der Linken mit der so genannten
Fichen-Affäre, vom damaligen totalen Zusammenbruch des
sozialistischen Ostblocks abzulenken. Chef-ankläger war
ausgerechnet ein junger SP-Politiker namens Moritz Leuenberger, der an
der Uni mit der Mao-Bibel herumlief. Die SVP und insbesondere Bundesrat
Blocher haben sich immer gegen einen überbordenden Staatsschutz
und für die Freiheit der Bürger eingesetzt. Blocher war als
Justizminister energisch gegen die Zusammenlegung der Geheimdienste,
weil er überzeugt war, dass sich diese gegenseitig in Schach
halten müssen. Ausgerechnet die GPDel hat sich dem widersetzt und
wollte den Dienst für Analyse und Prävention sowie den
Strategischen Nachrichtendienst zusammenlegen.
Dem damaligen Justizminister Christoph Blocher wird vorgeworfen,
die personellen Kapazitäten zur Qualitätskontrolle im
Staatsschutz nicht zur Verfügung gestellt zu haben.
Das ist typisch für die Ausrichtung der GPDel. Überall
dort, wo ein paar Beamte eingespart werden, sehen die Linken sofort nur
noch Kaputtsparen und den Untergang der Nation. Genau dieselben
Fichen-Kritiker können gleichzeitig nicht genug neue
"Hooligan-Datenbanken" und Schengen-Fichen kriegen.
In der GPDel sind aber nicht nur linke Politiker vertreten. Auch
der Schwyzer SVP-Ständerat Alex Kuprecht hat den Bericht
unterschrieben.
Unterschrieben schon, aber geschrieben haben den Bericht wie
immer Mitarbeiter der Verwaltung.
Wie lässt sich die Aufsicht über den Staatsschutz
verbessern?
Selbstverständlich braucht der Staatsschutz eine
demokratische Kontrolle. Aber wenn jemand dafür nicht geeignet
ist, dann eine rein politisch agierende "Nebenregierung" wie die GPDel.
Diese war ja schon mit der UBS-Affäre und mit dem Fall Libyen
heillos überfordert. Philipp Hufschmid
* Christoph Mörgeli ist SVP-Nationalrat und wohnt in
Stäfa.
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NLZ 1.7.10
Datenskandal
Big Brother beim Staatsschutz
Von Andri Rostetter
Der Staatsschutz kann das Schnüffeln nicht lassen: Jahrelang
hat er Daten angehäuft - auch über unbescholtene Bürger.
Und vertuschte diese Aktivitäten erst noch.
Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des Parlaments
hat gestern Erschreckendes mitgeteilt: Die Delegation hatte die
Aktivitäten des Staatsschutzes unter die Lupe genommen und
festgestellt, dass dieser während Jahren wahllos Daten gesammelt
und Gesetze missachtet hat.
So hat der Dienst für Analyse und Prävention (DAP) 200
000 Datensätze über in der Schweiz lebende Personen angelegt;
darunter auch verdächtige Islamisten, Globalisierungsgegner und
rechtsextreme Szenegänger. Aber auch über Bürger, denen
nichts staatsgefährdendes vorzuwerfen ist (siehe Box rechts). Die
Staatsschützer haben dabei zentrale gesetzliche Vorgaben
missachtet, wie der gestern vorgestellte Bericht der
Geschäftsprüfungsdelegation offenlegt.
Alte Daten nicht gelöscht
Die offengelegten Missstände gehen bis auf die
Fichenaffäre Ende der Achtzigerjahre zurück. Nach dem Skandal
wurde 1994 das Staatsschutzinformationssystem Isis eingeführt.
Anfang 2005 überführte der DAP die Daten in das
Nachfolgesystem Isis-NT. Nicht relevante Daten wurde aber nicht
gelöscht, sondern mit grossem Aufwand ins neue System
übertragen.
Zusätzlich wurden neue Daten erfasst. Das Personal, das
für die Qualitätssicherung vorgesehen war, wurde dabei
für die Datenerfassung eingesetzt. Passiert ist das in der Zeit,
als der Nachrichtendienst des Bundes noch dem Eidgenössischen
Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) unterstellt war. Auf den Plan
gerufen hatten die GPDel unter anderem Isis-Einträge zu mehreren
Basler Grossräten, die 2007 bekannt wurden.
Beschönigend und irreführend
Die Vorwürfe sind happig: Gemäss dem Bericht der GPDel
seien viele Informationen "gar nie erheblich genug" gewesen, um erfasst
zu werden, oder sie wurden zu lange aufbewahrt. Das Eidgenössische
Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) habe es nach dem Systemwechsel
von 2005 unterlassen, rechtzeitig genug Personal zu fordern, heisst es
weiter in dem 75-seitigen Bericht.
Zudem habe der Dienst für Analyse und Prävention, der
2010 im neuen Nachrichtendienst des Bundes (NDB) aufging, die
chronischen Pendenzen verschwiegen. Geschwiegen hat der Staatsschutz
auch in Bezug auf die Beurteilung der Daten. "Gegenüber der GPDel
vermied es der DAP bis Ende 2008 systematisch, offenzulegen, dass seit
Anfang 2005 die Gesamtbeurteilungen rechtswidrig eingestellt worden
waren", hält die GPDel fest. Sie spricht von über 100 000
periodischen Beurteilungen, die nicht gemacht worden seien. In dieser
Zeit seien die Aussagen des DAP im besten Fall "beschönigend",
teilweise sogar "eindeutig irreführend" gewesen, schreibt sie.
Die GPDel stellt der damals zuständigen Führungsriege,
darunter DAP-Chef Urs von Daeniken und sein Vorgesetzter Bundesrat
Christoph Blocher, ein schlechtes Zeugnis aus. Von Daeniken habe
"schlicht nicht korrekt informiert", kritisierte GPDel-Präsident
und Ständerat Claude Janiak (SP). Und fügt an: "Die
Kenntnisse der Missstände war da, es fehlte aber der Wille, sie zu
beheben", sagte Janiak.
Registiert trotz Einbürgerung
Im GPDel-Bericht ist der Fall eines Mannes beschrieben, der wegen
seiner Staatsangehörigkeit registriert wurde. Der Bürger
eines nordafrikanischen Staates wurde an der Grenze erfasst und in der
Datenbank registriert. Später wurde er eingebürgert, blieb
aber registriert. In einem anderen Fall wurde ein Mann registriert, der
wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand angehalten wurde und dabei
rechtsextremistische Lieder sang.
Die "schlechte Bewirtschaftung" der Datenbank soll für den
Staatsschutz Konsequenzen haben. Die GPDel fordert unter anderem eine
provisorische Datensperre. Ein externer Experte soll bestimmen, welche
Daten gelöscht und welche behalten werden sollen. Wie viele
Personeneinträge von einer Sperre betroffen wären, ist noch
nicht klar.
nachrichten@neue-lz.ch
--
Vor allem Ausländer wurden registriert
Der Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel)
bringt die Tragweite der Datensammelwut beim Staatsschutz ans Licht. So
betrug die Zahl der registrierten Personen im Mai 183 000. 117 000
davon galten als potenziell staatsgefährlich ("eigene
Staatsschutzrelevanz"), 66 000 standen in irgendeiner Verbindung zu den
117 000 und wurden als so genannte "Drittpersonen" registriert. Von den
183 000 Personen besassen 9150 (5 Prozent) einen Schweizer Pass, 22 326
(12,2 Prozent) hatten ihren Wohnsitz in der Schweiz.
Rechts- und Linksextreme
Der grösste Teil der registrierten Personen sind
Ausländer, deren Lebensmittelpunkt nicht die Schweiz ist. Sie
geraten etwa ins Visier der Staatsschützer, wenn sie
verdächtigt werden, Kontakte zu Terrororganisationen wie el Kaida
zu pflegen. Potenzielle Kandidaten für einen Eintrag sind
beispielsweise auch Aktivisten der kurdischen Arbeiterpartei PKK oder
der Tamil Tigers (Sri Lanka). Als fichierte Schweizer Bürger
kommen unter anderem Rechts- und Linksextremisten in Frage.
Demonstranten erfasst
Aber auch Menschen, bei denen die Relevanz für eine solche
Registrierung nicht gegegeben ist. Darunter offenbar auch Teilnehmende
von Demonstrationen, denen nichts Gesetzeswidriges zur Last gelegt wird.
Der GPDel-Bericht nennt das Beispiel einer Frau, die sich
für Entwicklungsländer engagiert und an Demonstrationen
teilgenommen hat. Der Staatsschutz des Kantons Basel-Stadt verfasste
einen Bericht über die Frau, weil ein benachbarter
Nachrichtendienst die Schweiz um Auskunft über Personen gebeten
hatte, mit der die Frau Kontakt hatte. Informationen über die Frau
und ihren Ehemann wurden in der Folge beim Staatsschutz registriert.
Solche Anfragen aus dem Ausland habe es regelmässig gegeben,
heisst es im GPDel-Bericht weiter.
Bonus: Den Bericht der Delegation gibt es auf www.zisch.ch/bonus
---
Neue Fichenaffäre
Kuprecht: "Wir wurden angelogen"
Interview von Eva Novak, Bern
Der Schwyzer SVP-Ständerat Alex Kuprecht hat mitgeholfen,
die jüngsten Machenschaften des Staatsschutzes aufzudecken. Er
kritisiert auch alt Bundesrat Blocher.
Wieder hat der Inlandnachrichtendienst die gesetzlichen Vorgaben
nicht eingehalten und ausufernd Leute registriert. Hat seit der
Fichenaffäre wirklich kein Kulturwandel stattgefunden?
Alex Kuprecht*: Das kann man so sagen. Beim
Inlandnachrichtendienst, dem ehemaligen Dienst für Analyse und
Prävention (DAP), hat sich die Kultur tatsächlich nicht
geändert. Dazu kamen die grossen Schwierigkeiten bei der
Überführung der Datenbank Isis ins neue Informatiksystem.
Welche Schwierigkeiten?
Kuprecht: Die alten Einträge wurden nicht
überprüft, das heisst die gesetzlich vorgegebenen Fristen
nicht eingehalten. Man hatte zu wenig Personal, weil man dieses zuvor
abgebaut hatte, und musste neues einstellen, was nicht zuletzt auf
Kosten der Qualität ging. Schliesslich kann man nicht von einem
Tag auf den anderen beurteilen, was staatsschutzrelevant ist und was
nicht.
Hat man die Prioritäten falsch gesetzt?
Kuprecht: Das nicht, aber man hat die Prioritäten auf der
Zeitachse nicht einhalten können, weil zu wenig Personal da war,
um die Datenmenge zu überprüfen und allenfalls löschen
zu können. Man hat die Überführung ins neue Datensystem
unterschätzt. Dadurch bekam man immer mehr Daten und kam mit der
Qualitätssicherung nicht mehr nach.
Ist das in Ihren Augen die schlimmste Erkenntnis der Untersuchung?
Kuprecht: Ja, und die zweitschlimmste lautet, dass es die
Verantwortlichen unterlassen haben, zeitgerecht zu handeln, obwohl die
Geschäftsprüfungsdelegation immer wieder auf das Problem
aufmerksam gemacht hat.
Haben Sie konkrete Beispiele?
Kuprecht: Wir sind durch die Grossratskandidaten im Kanton Basel
auf das Problem aufmerksam geworden. Als wir der Sache nachgingen,
stellten wir fest, dass tatsächlich zwei Personen darunter waren,
die aufgrund ihres politischen Mandats nicht hätten fichiert
werden dürfen.
Gewisse Ausländer - vor allem Nordafrikaner - wurden nur
aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit registriert?
Kuprecht: Ja, die sogenannte Fotopasskontrolle - die
Registrierung von Ausländern beim Grenzübertritt -
vergrösserte die ganze Datenmenge zusätzlich. Und im
Backoffice schuf man viel zu spät die zur Kontrolle nötigen
Ressourcen. Wir wurden auch angelogen: Es hiess, alles sei okay, man
habe es im Griff und werde das bald erledigen. Dies wurde aber einfach
nie gemacht.
Sehen Sie da ein Führungsproblem?
Kuprecht: Letztlich ist es tatsächlich ein
Führungsproblem, und zwar bis zuoberst hinauf. Angefangen vom
damaligen DAP-Chef Urs von Daeniken über seinen Vorgesetzten, den
Chef der Bundespolizei (Fedpol) Jean-Luc Vez, bis zum damals
zuständigen Bundesrat.
Sie sprechen von Christoph Blocher?
Kuprecht: Ja, so ist es.
Blocher figuriert aber nicht auf der Liste der angehörten
Personen. Warum haben Sie ihn nicht befragt?
Kuprecht: Selbstverständlich haben wir ihn periodisch immer
wieder befragt. Die Geschäftsprüfungsdelegation hatte jedes
Jahr mindestens zweimal eine Aussprache mit dem Chef des Justiz- und
Polizeidepartements sowie mit dem Chef des Verteidungsdepartementes,
welchem der Auslandnachrichtendienst angegliedert war. Da stand immer
auf der Traktandenliste, man müsse jetzt schauen, dass personell
etwas gehe. Die Maxime lautete aber damals Entschlackung der
personellen Ressourcen, Entschlackung des Staates und
Effizienzsteigerung.
Einen schlanken Staat forderte nicht nur Blocher, sondern die
ganze SVP. Haben Sie seitdem etwas gelernt?
Kuprecht: Ich musste nichts lernen. Das war die Maxime der Partei
und insbesondere jene von Herrn Blocher, der damit den Beweis antreten
wollte, die Effizienz mit einem Personalabbau steigern zu können.
In dem Bereich war es aber schlicht und einfach nicht der Fall. Es
wurde im Gegenteil dadurch schlimmer.
Ist es eine Neuauflage der Fichenaffäre?
Kuprecht: Es gibt zwar Ähnlichkeiten, doch kann man es nicht
ganz vergleichen. Die rund 900 000 vor über 20 Jahren aufgedeckten
Fichen, welche zur gleichnamigen Affäre führten, waren unter
dem Eindruck des Kalten Krieges angelegt worden. Die Masse von Daten,
die jetzt angesammelt wurden, hängt viel mehr mit dem Islamismus
und dem Terrorismus zusammen. Da ein wachsames Auge darauf zu haben,
ist im Grundsatz schon richtig - aber nicht in dieser Menge und vor
allem nicht in dieser schlechten Qualität. Da figurieren Leute in
der Datenbank, die überhaupt nichts Staatsgefährdendes getan
haben.
Nach der Fichenaffäre stellte sich heraus, dass Leute wegen
ihres Eintrags Nachteile erlitten hatten - sie bekamen zum Beispiel
deswegen keinen Job. Können Sie ausschliessen, dass es wieder
solche Fälle gegeben hat?
Kuprecht: Uns ist nichts solches bekannt. Aber bei rund 200 000
Registrierten kann ich nichts ausschliessen.
Die GPDel empfiehlt jetzt eine Informationssperre und
unabhängige Kontrollmöglichkeiten. Sind das für Sie die
wichtigsten Forderungen?
Kuprecht: Primär bin ich der Meinung, dass man jene Daten,
die unrechtmässig gespeichert werden und schon längst
hätten gelöscht werden müssen, auch blitzartig
löscht. Mit dem Risiko, dass jemand gelöscht wird, der nicht
unbedingt hätte gelöscht werden sollen. Dieses Risiko muss
man aber eingehen und Einträge, die älter als fünf und
zehn Jahre sind, schleunigst vernichten.
Und dann kann man zur Tagesordnung übergehen?
Kuprecht: Nein, wir sind daran, mit dem neuen Gesetz über
den zivilen Nachrichtendienst dafür zu sorgen, dass das nicht mehr
passieren kann - indem man klarere Kriterien einfügt und die
Qualitätskontrolle verbessert.
Ist das nicht etwas blauäugig? Das hiess es doch schon nach
der Fichenaffäre.
Kuprecht: Aufgrund der Fichenaffäre hat man die
Geschäftsprüfungsdelegation geschaffen. Wir haben Einsicht
gehabt und mehrmals angemahnt und Fristen gesetzt. Früher hat es
das gar nicht gegeben.
Soll man den Staatsschützern, obwohl sie gepfuscht und
gelogen haben, trotzdem mehr Instrumente für die präventive
Überwachung in die Hände geben?
Kuprecht: Wo gearbeitet wird, können Fehler passieren. Die
Frage lautet, welche Instrumente der Staatsschutz noch bekommen soll.
Wir haben uns da auch noch nicht klar festgelegt. Vielleicht braucht es
einen zusätzlichen Staatsschutzbeauftragten neben der
Geschäftsprüfungsdelegation.
Was ist mit dem Lauschangriff, den VBS-Chef Ueli Maurer 2013
wieder bringen will?
Kuprecht: Man kann den Lauschangriff nicht von vorneherein
verteufeln. Wenn der Staatsschutz bei verdächtigen Personen
E-Mails und Telefone überwachen will, braucht er bei uns einen
richterlichen Beschluss, der nur sehr schwierig zu bekommen ist. Es
gibt durchaus Situationen, in denen man über solche Mittel sehr
froh wäre: nämlich dann, wenn man dadurch ein Verbrechen
vermeiden und Menschen schützen kann.
Hinweis: * Der Schwyzer SVP-Ständerat Alex Kuprecht ist
Mitglied der Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments.
eva.novak@neue-lz.ch
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Mehr Rechte für Bespitzelte
Der eidgenössische Datenschutzbeauftragte Hanspeter
Thür ist vom Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation
(GPDel) zur Datenbearbeitung im Informationssystem des Staatsschutzes
nicht überrascht. Er selbst hat der GPDel Hinweise geliefert.
Von einer zweiten Fichenaffäre will er nicht sprechen. Aber:
"Die Grössenordnung zeigt, dass gewisse Eigendynamik entsteht,
wenn Amtsstellen verpflichtet werden, Daten zu sammeln", sagte
Thür gestern. Dass ausserdem der Schwerpunkt bei der Datensammlung
auf Quantität und nicht auf Qualität gelegt worden sei, "war
ein Führungsentscheid", ist Thür überzeugt. Thür
fordert nun eine bessere Kontrolle der Nachrichtendienste.
Gesetze korrekt anwenden
Auch Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf äusserte sich
gestern kurz zu den Daten sammelnden Staatsschützern. "Wir nehmen
die ganze Angelegenheit ernst", sagte sie. Der Nachrichtendienst
müsse die Gesetze korrekt anwenden. "Wir sind uns bewusst, dass
noch Verbesserungen möglich sind." Laut der Justizministerin sind
gewisse Massnahmen bereits aufgegleist: Das Verteidigungsdepartement
arbeite an einer Revision der Verordnung über den
Nachrichtendienst, die auch Verbesserungen in Bezug auf die
Staatsschutzaktivitäten der Kantone bringe.
Bessere Kontrollen
Widmer-Schlumpf erinnerte weiter daran, dass das Auskunftsrecht
geändert werden soll. Wer wissen will, ob der Nachrichtendienst
über ihn Daten sammelt, hat künftig das Recht, dies zu
erfahren. Mit der geplanten Änderung würden die
Kontrollabläufe verbessert, sagte die Justizministerin.
Widmer-Schlumpf betonte, dass der Staatsschutz reorganisiert
wurde: Während früher das Justiz- und das
Verteidigungsdepartement zuständig waren, ist es heute nur noch
das Verteidigungsdepartement.
---
Vom Kalten Krieg zum Schnüffelstaat
Andri Rostetter
Mit der Bespitzelung von unbescholtenen Bürgern hat unser
Land schon einige Erfahrung. So führte vor 20 Jahren die so
genannte Fichen-Affäre beinahe in eine Staatskrise. Nach der
Aufarbeitung waren sich Politik und Öffentlichkeit einig: Nie
wieder soll der Staat unkontrolliert Daten über Hunderttausende
Bürger sammeln können.
Grosser Ansturm
Der Skandal erreichte im März 1990 einen Höhepunkt.
Rund 100 000 Schweizer hatten bereits Einsicht in ihre Akte verlangt,
täglich kamen Tausende hinzu. Der Bundesrat hatte versprochen,
jede Anfrage zu beantworten. Doch mit diesem Ansturm hatte niemand
gerechnet. In Bern machten sodann Gerüchte über einen
kollektiven Rücktritt der Landesregierung die Runde, auf der
Strasse protestierten Zehntausende gegen den "Schnüffelstaat" -
das Land stand vor einem politischen Scherbenhaufen.
Die Affäre hatte in der Schlussphase des Kalten Krieges
ihren Lauf genommen. Bundespolizei und Bundesanwaltschaft hatten
zusammen mit kantonalen Polizeien Informationen über rund 700 000
Personen und Organisationen gesammelt. Bei den damals rund 6,5
Millionen Einwohnern waren dies mehr als 10 Prozent der
Bevölkerung.
Schutz vor einer Diktatur
Die Schweiz sollte damit vor "subversiven Aktivitäten" zur
Destabilisierung des Systems und der Errichtung einer Diktatur
geschützt werden. Im Lauf der Untersuchung stellte sich heraus,
dass 900 000 Fichen angelegt worden waren, vorwiegend über
Personen und Organisationen aus dem linken Umfeld.
Aufgedeckt wurde die Affäre durch eine Parlamentarische
Untersuchungskommission (PUK) unter der Leitung des heutigen
Bundesrates Moritz Leuenberger, die sich eigentlich mit den Fehlern von
Bundesrätin Elisabeth Kopp im damaligen Polizei- und
Justizdepartement befassen sollte. Dabei stiess die PUK beiläufig
auf den Fichenskandal.
Dieser zog dann weitere Kreise und führte 1990 zu einer
weiteren PUK unter Ständerat Carlo Schmid, welche die Geheimarmee
P 26 und den geheimen Nachrichtendienst P 27 aufdeckte. Diese Skandale
erschütterten die Öffentlichkeit erneut. Das ging so weit,
dass Kulturschaffende zum Boykott der 700-Jahr-Feier von 1991 aufriefen.
Im Lauf der 1990er-Jahre beruhigte sich die Situation. Die
Volksinitiative "S.o.S. - Schweiz gegen den Schnüffelstaat" zur
Abschaffung der politischen Polizei wurde 1998 mit 75 Prozent
Nein-Stimmen verworfen. Die Fichenaffäre führte aber zu einer
Trennung von Bundesanwaltschaft und Bundespolizei, die Fichen wurden
1994 durch das Staatsschutz-Informationssystem Isis abgelöst. Nach
den Terroranschlägen am 11. September 2001 verstärkte der
Staatsschutz seine Aktivitäten erneut.
nachrichten@neue-lz.ch
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Blick 30.6.10
Die Fichen-Fritzen fischten weiter
Von Henry Habegger
War da mal ein Fichenskandal? Der Staatsschutz gefährdet mit
seiner blinden Sammelwut schon wieder unsere Sicherheit.
Vor 20 Jahren stellte eine PUK fest, dass der Staatsschutz
unnütze und falsche Daten gesammelt und 900 000 Fichen angelegt
hatte.
20 Jahre später die schockierende Nachricht: "Seit der
Fichenaffäre hat kein Kulturwandel stattgefunden", sagt Claude
Janiak, Präsident der Geschäftsprüfungsdelegation
(GPDel). Sie hat die neue, vom Inlandgeheimdienst DAP geführte
Datensammlung überprüft. Fazit: Bereits sind wieder 200 000
Leute direkt oder als Drittpersonen in der ISIS-Datenbank fichiert
(siehe Box). Die Qualität der Daten ist lausig. Beim
"grössten Teil" wurde die verlangte Überprüfung nicht
gemacht. Viele Daten sind laut GPDel falsch und irrelevant. Die
"Zweckmässigkeit des Staatsschutzes steht grundlegend in Frage".
Die Schlamperei könne "die Sicherheit des Landes gefährden".
Die GPDel verlangt jetzt Sperrung der ungeprüften Daten. Und
dass ein externer Datenschützer bestimmt wird, der über
Freigabe oder Löschung der Daten entscheidet.
Kein gutes Zeugnis erhält Ex-Bundesrat Christoph Blocher: Er
machte zu wenig gegen das Puff.
Skandalös: Der DAP unter Chef Urs von Däniken hat der
Aufsicht verschwiegen, dass die Daten nicht überprüft wurden.
Dazu wurden sogar Einträge frisiert. Janiak: "Von Däniken hat
uns nicht korrekt informiert."
Von Däniken war schon in den ersten Fichenskandal
involviert, wurde sogar befördert. Erst 2009, vor der Fusion der
Geheimdienste, wurde er als DAP-Chef abgelöst. Dank
Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf darf er aber jetzt die
Überführung der Bundesanwaltschaft in die Unabhängigkeit
leiten (im BLICK). "Haarsträubend! Der Mann, der zwei
Fichenskandale mit verantwortet, gehört weg", sagt GPK-Mitglied
André Daguet. "Stattdessen überträgt ihm
Widmer-Schlumpf ein neues heisses Dossier." Daguet will, dass
Widmer-Schlumpf sich erklärt.
Einziger Lichtblick: Jetzt ist Ueli Maurer zuständig
für die Fichensammler. Und Janiak glaubt: "Er ist sensiblisiert."
--
Irre Beispiele der Sammelwut
Die Fichierwut kann jeden treffen. Pikantestes Beispiel: Wegen
seiner früheren Kontakte zum Apartheid-Regime in Südafrika
wurde laut GPDel-Bericht Ex-Geheimdienstchef Peter Regli als
"Drittperson" fichiert.
Die Fichierwut kennt auch sonst kaum Grenzen
Beim Grenzübertritt werden die Pässe von
Ausländern aus bestimmten Ländern fotografiert. Die Leute
landen ohne Kontrolle ihres Gefährdungspotenzials in der
Fichensammlung.
Personen, über die aus dem Ausland ein Auskunftsgesuch
eingeht, werden fichiert, auch wenn der DAP nichts gegen sie vorliegen
hat.
Fichiert werden gerne Teilnehmende an Demonstrationen, obwohl
sonst nichts gegen sie vorliegt. So eine laut GPDel unbescholtene Frau
aus Basel, die sich für Drittweltländer einsetzte.
2000 wurde eine Person fichiert, nur weil sie in angetrunkenem
Zustand angehalten worden war, rechte Lieder sang und über
Ausländer schimpfte.
---
10vor10 30.6.10
Fichen: Übereifriger Geheimdienst
Der Schweizer Inlandsgeheimdienst hat offenbar seit der
Fichenaffäre vor 20 Jahren nicht viel dazu gelernt: Heute sind
wieder 200'000 Bürgerinnen und Bürger in der
Staatsschutz-Datenbank fichiert, teilweise ohne rechtliche Grundlagen.
http://videoportal.sf.tv/video?id=9a993693-f365-46a6-aa65-10d0572d16d2
---
Tagesschau 30.6.10
Kritik am Staatsschutz
Die Geschäftsprüfungsdelegation kritisiert das Vorgehen des
Staatsschutzes mit privaten Daten. Zu viele Daten seien unnötig
gespeichert worden. Einschätzungen von Fritz Reimann, SF-Redaktor,
Bundeshaus.
http://videoportal.sf.tv/video?id=e63d6a72-5040-4a42-a62c-6a118a1aca2b
--
Bundesrat zum Staatsschutz
Die zuständige Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf will zu
den Vorwürfen der Geschäftsprüfungsdelegation im Detail
nicht Stellung nehmen.
http://videoportal.sf.tv/video?id=3a5780a7-f099-4584-838a-527ace793b84
---
Blick am Abend 30.6.10
Neue Fichen-Affäre
GEHEIM
Agenten des Bundes haben schon wieder Daten von 200 000
Bürgern gesammelt.
Rund 20 Jahre nach der Fichenaffäre taucht ein neuer Skandal
auf: Der Geheimdienst hat schon wieder 200 000 Leute fichiert. In der
Datenbank sollen eigentlich nur Personen auftauchen, die
staatsschutzrelevant sind. Genau aus diesem Grund schreibt das Gesetz
eine Überprüfung spätestens fünf Jahre nach dem
ersten Eintrag vor.
Doch eine solche Überprüfung fand zumindest zwischen
2004 und 2008 nicht statt - angeblich aus technischen Gründen.
Ebenso gravierend: Selbst falsche Daten wurden systematisch eingetragen.
Die parlamentarische Oberaufsicht kritisiert den
Nachrichtendienst deshalb scharf: Der ehemalige Dienst für Analyse
und Prävention habe den gesetzlichen Anforderungen an die
Qualitätssicherung der Daten "in keiner Art und Weise
entsprochen". hcq
---
grundrechte.ch 30.6.10
grundrechte.ch
droitsfondamentaux.ch
dirittifondamentali.ch
200'000 neue Fichen sind schlicht ein Skandal!
Medienmitteilung zum GPDel-Bericht vom 30. Juni 2010
Bereits im Juli 2008 deckte grundrechte.ch auf, dass der Staatsschutz
gesetzeswidrig ausufernd überwacht und fichiert. Die damals
dokumentierten Fälle (www.grundrechte.ch) sowie die Fichierung von
Basler GrossrätInnen führten dazu, dass sich die GPDel als
Aufsichtsorgan über die Geheimdienste endlich vertieft mit dem DAP
auseinandersetzen musste.
Der Bericht zeigt, dass die Zahl der fichierten Personen mit
"Staatsschutzrelevanz" ständig gestiegen ist. Viele zunächst
als Drittpersonen Erfasste wurden geradezu automatisch zu Hauptpersonen
befördert. Dabei wurden auch höchst persönliche
Informationen aus dem Privatleben der Betroffenen fichiert.
Mit dem Bericht erteilt sich die GPDel selbst eine Ohrfeige: Obwohl sie
immer wieder behauptet hat, die Staatsschutzorgane zu kontrollieren
(Jahresberichte der GPDel), zeigt sie nun, dass viele Missstände
über Jahre existierten und - wie von grundrechte.ch immer
wieder dargelegt - eine politische Kontrolle der Geheimdienste faktisch
nicht stattfindet, weder beim Bund noch in den Kantonen.
Auch die Befürchtung, dass sich die Staatsschützer nicht
einmal an ihre eigenen gesetzlich vorgesehenen internen
Kontrollmechanismen halten, hat sich mit dem heute vorliegenden Bericht
bestätigt. Eine Debatte über die Abschaffung dieses
unnützen, gefährlichen und teuren Überwachungsapparates
ist überfällig!
grundrechte.ch hält daher an den vor zwei Jahren bereits
gestellten Forderungen fest:
- Keine Vernichtung der Fichen und dazugehörenden Dossiers: Allen
Fichierten muss sofort vollständige und unzensurierte Einsicht in
alle über sie erfassten Informationen gewährt werden.
- Nach Gewährung der Akteneinsicht und des Rechts auf Berichtigung
müssen die Daten dem Bundesarchiv - ohne Zugriffsrecht des DAP
bzw. NDB - übergeben werden.
- Die vom Bundesrat nach wie vor beabsichtigte Verschärfung des
Staatsschutzgesetzes muss definitiv gestoppt und eine Diskussion
über die Auflösung des DAP bzw. seines Nachfolgers NDB
geführt werden.
Bern, den 30. Juni 2010
grundrechte.ch
Telefon 031 312 40 30
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BIG BROTHER SPORT
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Basellandschaftliche Zeitung 1.7.10
Der FCB zahlt neu weniger
Baselland stellt Basel-Stadt für FCB-Spiele künftig
Polizisten gratis zur Verfügung
Baselland beteiligt sich neu indirekt auch an den
Sicherheitskosten für FCB-Spiele. Für Basel-Stadt bleibt die
Rechnung unter dem Strich gleich hoch. Der FCB kommt mit einem blauen
Auge davon.
Yen Duong
Das lange und harte Ringen um die künftige und äusserst
umstrittene Beteiligung des FC Basel an den Sicherheitskosten des
Kantons Basel-Stadt hat ein Ende: Ab kommender Saison zahlt der FCB im
Rahmen einer Kooperationsvereinbarung für sämtliche
Dienstleistungen pauschal 1,80 Franken pro Matchbesucher an den
Stadtkanton.
Bisher zahlte er 1,20 Franken - mussten Polizeikräfte aus
anderen Kantonen eingesetzt werden, kamen aber noch weitere Kosten
hinzu - und zusätzlich 40 Rappen an Baselland für die
Verkehrsregelung. Letzteres entfällt ab der neuen Saison, die
für den FCB am 20.Juli mit dem Spiel gegen den FC Zürich
beginnt. "Das ist eine einfache und klare Lösung. Künftig
müssen wir nicht mehr darüber diskutieren, ob es sich um ein
Low-Risk-Spiel oder ein Hochrisikospiel handelt", sagte der Basler
Justiz- und Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass gestern vor den Medien.
Der FDP-Regierungsrat, der in der Vergangenheit immer wieder eine
stärkere Beteiligung des FCB an den Kosten verlangte und damit
polarisierte, sprach von einer Win-win-Situation für alle. Die
Basler Regierung stockt das Budget seines Departements zudem um 500000
Franken auf, damit ungedeckte Kosten abgefedert werden können.
Hälfte der Besucher aus Baselland
Der Kanton Baselland verzichtet nicht nur auf die 40 Rappen pro
Matchbesucher, darüber hinaus stellt er dem Stadtkanton bei jedem
FCB-Spiel gratis Polizisten zur Verfügung. Im Gesamten zahlt
Baselland neu rund 450000 Franken mehr. "Der FCB ist auch für
Baselland eine Identifikation. Mehr als 50 Prozent der Matchbesucher
stammen aus dem Baselbiet - das rechtfertigt unser Engagement", meinte
die Baselbieter Sicherheitsdirektorin Sabine Pegoraro. Vergleiche man
es mit dem Stadtkanton, dem die FCB-Einsätze jährlich etwa
fünf Millionen kosten (Beteiligung des Vereins nicht inbegriffen),
sei das nicht mal ein Zehntel, sagte die FDP-Regierungsrätin zudem.
Dass der FCB über die Lösung nicht erfreut ist und die
Harmonie zwischen der Basler Regierung und dem Club offenbar schon
besser war, zeigte der Gesichtsausdruck von Vizepräsident Bernhard
Heusler deutlich. "Wir sind nicht glücklich darüber, dass es
neu 1,80 Franken pro Matchbesucher kostet. Aber wir sind
überzeugt, dass es richtig ist - wir haben nicht nur eine grosse
Bedeutung für die Region, sondern auch eine Verantwortung", fand
Heusler. Diese Aussage erstaunt, kommt der FCB mit der neuen Regelung
doch unter dem Strich besser davon (siehe Interview rechts). Die Kosten
für Basel-Stadt bleiben indes praktisch gleich. Bisher zahlte der
diesjährige Double-Gewinner im Durchschnitt jährlich 1,2
Millionen Franken an Basel-Stadt (zählt man Baselland mit, waren
es etwa 1,3 Millionen) - neu werden es laut Gass bei etwa 600000
Matchbesuchern 1,1 Millionen Franken sein.
Den FCB nicht ruinieren
"Die Lösung ist für mich als Departementsvorsteher nun
besser als vorher. Ich wollte einen besseren Kostendeckungsgrad
für mein Departement. Das habe ich erreicht", fand Gass. Es
nütze nichts, eine Vereinbarung abzuschliessen, die den FCB
ruiniere. Die Sicherheitskosten seien nur ein Teil der
Kooperationsvereinbarung. "Der FCB wird sich noch mit anderen
Massnahmen massgeblich engagieren", sagte Gass.
---
Bund 1.7.10
Gewalt beim Fussball
FC Basel zahlt pro Besucher Fr. 1.80 an Sicherheitskosten
Der Kanton Basel-Stadt und der FC Basel wollen vereint gegen die
Gewalt im Stadion vorgehen, wie sie vereinbart haben.
Feuerwerkskörper sind weiterhin verboten, die Eingangskontrollen
werden verschärft, und es wird nur noch Leichtbier verkauft. Zudem
will sich der FC Basel mit pauschal Fr. 1.80 pro Matchbesucher an den
Sicherheitskosten des Kantons beteiligen. Bisher zahlte der FCB Fr.
1.20. (sda)
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NZZ 1.7.10
Nur noch Leichtbier im Joggeli
FC Basel wird bei Sicherheitskosten entlastet
dgy . Basel ⋅ Gewalttätige Ausschreitungen nach
Fussballspielen sorgten zeitweise beinahe für die grösseren
Schlagzeilen als die Leistungen des FC Basel. Vor diesem Hintergrund
und infolge von Vorgaben der Konferenz der kantonalen Justiz- und
Polizeidirektoren (KKJPD) wollen die Behörden der beiden Basel
sowie der FC Basel die Sicherheit rund um die Fussballspiele
verbessern. Am Mittwoch präsentierten die drei Parteien eine
gemeinsame Vereinbarung, die den Rahmen für das Sicherheitskonzept
bei Heim- und Auswärtsspielen vorgibt.
Die Zuschauer im Basler St.-Jakob-Stadion werden dabei vor allem
von einer Massnahme betroffen, die bereits die KKJPD in ihrer Anfang
Jahr verabschiedeten Mustervereinbarung vorsah: Ab nächster Saison
ist der Verkauf von Getränken mit mehr als drei Prozent Alkohol in
allen Sektoren verboten, was nichts anderes bedeutet, als dass nur noch
Leichtbier angeboten wird. Bei Hochrisikospielen können die
Behörden sogar ein generelles Alkoholverbot im Stadion
verfügen. Verstärkt soll überdies auf die Risiken von
Pyro-Aktionen aufmerksam gemacht werden.
Den gewichtigsten Teil der Vereinbarung betreffen allerdings die
Sicherheitskosten. Der FC Basel bezahlt künftig pauschal 1 Franken
80 pro Zuschauer, was bei 600 000 Zuschauern pro Jahr knapp 1,1
Millionen Franken ergibt. Das sei rund 100 000 Franken weniger als nach
altem Schlüssel, erklärte FCB-Vizepräsident Bernhard
Heusler vor den Medien. Im Vergleich zu anderen Schweizer Fussballklubs
beteiligt sich der FC Basel aber auch so noch überdurchschnittlich
stark an den Kosten. Ebenfalls daran beteiligt ist künftig der
Kanton Basel-Landschaft, nämlich mit Leistungen im Gegenwert von
rund 450 000 Franken. Für den Kanton Basel-Stadt bleiben unter dem
Strich Kosten von rund 3,5 Millionen Franken.
Man freue sich über den FCB und dessen Siege und wolle ihn
unterstützen, sagte Basels Polizeidirektor Hanspeter Gass auf die
Frage, weshalb der Klub entlastet werde. Sabine Pegoraro,
Sicherheitsdirektorin des Kantons Basel-Landschaft, sagte, ihr Kanton
sei an grösstmöglicher Sicherheit bei Fussballspielen
interessiert - zum einen, weil das Stadion in unmittelbarer Nähe
zur Kantonsgrenze liege, und zum anderen, weil mehr als 50 Prozent der
Matchbesucher aus ihrem Kanton kämen. Heusler verwies
überdies auf die Steuereinnahmen und die Wertschöpfung, die
der Klub der Region bringe.
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Gespräche in Zürich
fsi. ⋅ Auch im Kanton Zürich finden seit geraumer Zeit
zwischen den grossen Sportvereinen und den Behörden Gespräche
zum Thema Kampf gegen Gewalt in den Sportstadien und Finanzierung der
Sicherheitskosten statt. Laut einer Sprecherin der kantonalen
Sicherheitsdirektion traf sich in der vergangenen Woche die Task-Force
Gewalt in den Stadien. Dieses Gremium steht unter dem Patronat von
Sicherheitsdirektor Hans Hollenstein und Gerold Lauber, Vorsteher des
Schul- und Sportdepartements der Stadt Zürich. Der Arbeitsgruppe
gehören Vertreter des Grasshopper Clubs und des FC Zürich,
der Eishockeyvereine ZSC Lions und Kloten Flyers sowie Vertreter des
städtischen Sportamts und der kantonalen Fachstelle Sport an. Wie
weit die Gespräche bereits gediehen sind und wie es um eine
Abwälzung der Polizeikosten auf die Vereine steht, konnte die
Sprecherin am Mittwoch noch nicht sagen.
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ANTIREP KNAST-DEMO FR
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Indymedia 30.6.10
Vorladungen nach Demo 12.06 in Fribourg - was tun? ::
AutorIn : Antirep Bern
Erste Vorladungen der Polizei bezüglich der Demonstration gegen
Polizeigewalt vom 12.06.2010.
Das Antirep Bern wurde informiert, dass erste Personen telefonisch von
der Polizei vorgeladen wurden.
Folgendes empfehlen wir den Betroffenen:
1.Polizeilichen Vorladungen NICHT Folge zu leisten
2.Telefonische Vorladungen prinzipiell abzulehnen
3.Wenn überhaupt, eine eingeschriebene, untersuchungsrichterliche
Vorladung zu verlangen
Aus dem Nichterscheinen bei polizeilichen Vorladungen entsteht für
euch kein Nachteil, da die polizeiliche Vorladung nicht zwingend zu
befolgen ist (egal was die Polizei behauptet!!!). Entlastende Aussagen
könnt ihr bei einer allfälligen Einvernahme durch den
Untersuchungsrichter immer noch machen. Ihr seid nicht gezwungen, euer
Nichterscheinen zu begründen. Falls ihr euer Nichterscheinen
begründen möchtet, könnte die Begründung
folgendermassen lauten: "Falls tatsächlich gegen mich ermittelt
wird, verlange ich, mittels eines eingeschriebenen Briefes, durch den
Untersuchungsrichter vorgeladen zu werden."
Nach der Aufsichtsbeschwerde von augenauf Bern scheint die Polizei noch
intensiver ihren unverhältnismässigen Polizeieinsatz
legitimieren zu wollen und sucht dazu möglichst viele Schuldige.
Es kann gut sein, dass die Polizei Vorladungen durchführt, weil
sie noch zu wenig belastendes Material besitzt, um Anzeige gegen euch
zu erstatten. Möglich ist, dass das Verfahren gegen euch
eingestellt wird, wenn ihr nicht zur Vorladung erscheint. Werdet ihr
trotzdem vom Untersuchungsrichter vorgeladen, habt ihr zumindest mehr
Zeit, um euch auf die Fragen vorzubereiten und allenfalls einen Anwalt
beizuziehen.
Falls Personen trotzdem polizeilichen Vorladungen Folge leisten,
empfehlen wir strikte Aussageverweigerung (egal was die Polizei
behauptet, gegen euch in der Hand zu haben). Dies ist jedoch um einiges
schwieriger, als einfach nicht an der Vorladung zu erscheinen.
Personen, welche noch kein Gedankenprotoll geschrieben haben, empfehlen
wir dies nachzuholen. Bei Einvernahmen ist es wichtig die Geschehnisse
möglichst genau in Erinnerung zu haben.
Falls ihr ebenfalls vorgeladen werdet/wurdet, Anzeigen erhalten oder
sonst etwas passiert, meldet euch bitte bei uns. Denn Koordination ist
wichtig im Kampf gegen Repression!
Für allfällige Fragen stehen wir euch gerne zur Verfügung
Antirep Bern
ea@immerda.ch
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RASSISTISCHE SYMBOLE
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Bund 1.7.10
Rassismus
Strafnorm gegen Hakenkreuz wird nicht verschärft
Der Bundesrat verzichtet auf eine neue Strafnorm gegen
rassistische Symbole, weil eine solche Bestimmung nur schwer anwendbar
wäre. Ab wann ein Symbol als rassistisch zu gelten habe, sei nicht
eindeutig definierbar. Nach geltendem Recht ist der Gebrauch von
Symbolen wie Hitlergruss oder Hakenkreuzen untersagt, wenn mit ihnen
öffentlich für eine rassistische Ideologie geworben wird. Neu
hätte der Gebrauch dieser Symbole in der Öffentlichkeit in
jedem Fall strafbar sein sollen. Gebüsst werden sollte zudem auch,
wer solche Symbole - und abgewandelte Formen davon - herstellt, in die
Schweiz einführt, durch das Land transportiert oder ausführt.
Auch das elektronische Speichern von Kopien von Vorlagen, Texten oder
Bildern wäre untersagt worden. (sda)
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20 Minuten 1.7.10
Rassistische Symbole
BERN. Der Bundesrat verzichtet auf eine neue Strafnorm gegen
rassistische Symbole. Ab wann ein Symbol als rassistisch zu gelten
habe, sei nicht eindeutig definierbar, so die Begründung. "Gilt
das für eine schwarze Fahne, eine Bomberjacke, Kampfstiefel und
kurz geschorene Haare?", so Eveline Widmer-Schlumpf. Laut geltendem
Recht dürfen Fahnen, Abzeichen, Parolen oder Grussformen nicht
öffentlich verwendet werden, wenn sie eine rassistische Ideologie
symbolisieren und wenn mit ihnen für diese Ideologie geworben
wird. Neu hätte der Gebrauch dieser Symbole in der
Öffentlichkeit in jedem Fall strafbar sein sollen.
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NZZ 1.7.10
Kein weiteres Rassismusverbot
Zweifel an Praxistauglichkeit in der Vernehmlassung
C. W. ⋅ Der Bundesrat verzichtet darauf, dem Parlament eine
Ergänzung des Strafgesetzbuches vorzulegen, die jede
öffentliche Verwendung rassistischer Symbole strafbar machen
würde. Im Vernehmlassungsverfahren waren unterschiedliche
Meinungen geäussert worden. Bedenken, dass es bei der Anwendung,
speziell etwa bei der Auslegung von Begriffen, zu Schwierigkeiten
käme, waren indessen verbreitet.
Die Pläne für eine Ergänzung der 1994 vom Volk
angenommenen Rassismus-Strafnorm gehen auf das Jahr 2000 zurück.
Eine rechtsextreme Störaktion bei der Rütlifeier war für
die damalige Bundesrätin Ruth Metzler Anlass, gesetzgeberische
Gegenmassnahmen prüfen zu lassen. Nach einer ersten Konsultation
und aufgrund eines parlamentarischen Auftrags ging vor fast genau einem
Jahr ein neuer Entwurf in das Vernehmlassungsverfahren.
Das Ergebnis ist gemäss dem am Mittwoch publizierten Bericht
relativ deutlich. Von den Parteien begrüsste nur die SP (im
Gegensatz zu den Grünen) den Vorschlag. Die Kantone äusserten
zwar mehrheitlich Zustimmung, oft aber nur mit Vorbehalten. Nach
Meinung der Befürworter gilt es beim Schutz der Menschenwürde
und des öffentlichen Friedens eine Lücke zu schliessen.
Demgegenüber wird geltend gemacht, die neue Bestimmung könnte
nur falsche Erwartungen wecken, zumal sie sich schwer anwenden und
durchsetzen liesse. Die Begriffe - "rassistische Symbole, insbesondere
Symbole des Nationalsozialismus oder Abwandlungen davon" - seien zu
wenig bestimmt.
Die Einwände mit Blick auf die Praxis scheinen für das
Justiz- und Polizeidepartement entscheidend gewesen zu sein. Die
Forderung nach möglichst präzisen Strafnormen habe besonderes
Gewicht, wenn die Meinungsäusserungsfreiheit beschränkt
werden soll, heisst es in der Pressemitteilung. Dort wird auch daran
erinnert, dass die Werbung mit rassistischen Zeichen bereits strafbar
ist. - Das dürften Gründe genug sein, dieses lange, wenig
ergiebige Kapitel definitiv abzuschliessen.
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HOLOCAUST-LEUGNER
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20 Minuten 1.7.10
Holocaust-Leugner im Wallis - Politiker empört
RIDDES VS. Der Holocaust-Leugner Richard Williamson hält
sich derzeit im Wallis auf. Eine Einreisesperre hätte laut
jüdischen Organisationen geprüft werden müssen.
In diesen Tagen findet im Walliser Weiler Ecône die
Priesterweihe der erzkonservativen Pius-Bruderschaft statt. Mit dabei
ist laut "Le Matin" der äusserst umstrittene Bischof Richard
Williamson. Der Brite fiel in der Vergangenheit wiederholt durch
provokative Äusserungen auf. Gegenüber einem schwedischen
Fernsehsender sagte er im Bezug auf den Holocaust: "Ich glaube, es gab
keine Gaskammern." Wegen Leugnung des Holocaust wurde er im April von
einem deutschen Amtsgericht zu 10 000 Euro Busse verurteilt.
Williamsons Besuch schlägt auch in der Schweiz hohe Wellen:
"Wir sind sicher nicht darüber erfreut, dass er hier weilt. Die
juristische Frage einer Einreisesperre hätten die Behörden
prüfen müssen", sagt Jonathan Kreutner vom Schweizerischen
Israelitischen Gemeindebund. Auch FDP-Politiker Christian Wasserfallen
findet es "heikel, dass solche Extremisten einreisen können".
Nationalratskollege Andy Tschümperlin (SP) zieht den Vergleich mit
dem Islam-Prediger Pierre Vogel, dem vor einem halben Jahr die Einreise
verweigert wurde: "Man sollte mit gleichen Ellen messen." Noch
schärfer kommentiert die CVP Williamsons Einreise:
"Holocaust-Leugner sind für mich untolerierbar. Sie sollen raus",
so Sprecherin Marianne Binder. Das zuständige Bundesamt für
Polizei wollte aus Datenschutzgründen keine Auskunft über den
konkreten Fall geben.
Antonio Fumagalli
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DROGEN
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WoZ 1.7.10
Kein Hunger, kein Schmerz
Droge der Armen - In Südamerika breitet sich die Billigdroge
Paco rasant aus, vor allem bei jungen Menschen. Sie schädigt
Organe und führt zu Psychosen und Paranoia. Viele Süchtige
begehen Selbstmord. Ein Augenschein in einem Armenviertel von Buenos
Aires.
Von Camilla Landbø, Buenos Aires (Text) und Lautaro
Guillamondequi (Fotos)
Er nimmt einen Schluck Wein. "Uns interessiert überhaupt
nichts mehr", sagt Gallego, der seinen Spitznamen seiner spanischen
Herkunft verdankt. Herbert und Pajarito hören schweigend zu und
geben ihm mit Blicken ins Nirgendwo recht. "Ich stehe auf, trinke Wein,
esse was, und dann rauche ich Paco." Traurige Stille. Weiter hinten
hört man die Motoren der Langstreckenbusse, die im belebten
Nordbahnhof ein- und ausfahren. Gallego sitzt auf dem Trottoir auf
einem Stück Karton, gleich neben dem Eingang eines der
berüchtigsten Armenviertel von Buenos Aires: Villa Retiro 31.
Paco ist der Kurzname für Pasta basica de cocaina, zu
Deutsch Kokapaste. Wo in Südamerika Kokain hergestellt wird,
trifft man auch auf Paco. Es ist ein Neben- oder Abfallprodukt der
Kokaingewinnung. Ganz genau wissen es die ExpertInnen nicht. Sicher
ist, dass die meist bräunlichen Paco-Brösel, die lediglich
ein paar Pesos kosten, mit allem Möglichen gestreckt werden: mit
Putzmitteln, Kopfwehtabletten, Antibiotika, Pflanzenschutzmitteln,
Rattengift. "Paco ist keine für den Menschen geschaffene Droge,
das Kokain hingegen schon", sagt David Huanambal. Der argentinische
Neuropsychiater beschäftigt sich seit über sechs Jahren mit
Paco.
"Lebende Tote"
"Willst du unsere Pfeifen sehen?", fragt Herbert mit
unkontrollierten spas tischen Bewegungen. Sein Nervensys tem ist
lädiert. Er und Pajarito strecken die gewinkelten Abflussrohrteile
hin, die an einem Ende mit Aluminiumfolien abgedeckt sind. Mit
Trägermitteln wie Marihuana, Stahlwolle oder Tabak werden damit
die Paco-Brösel geraucht. "Ein Genuss ist es nicht", sagt der
40-jährige Pajarito, "aber es weckt mich für zwei oder drei
Minuten auf. Ich bin alarmbereit, sehe notfalls die Polizei sofort."
Und vor allem ziehe es ihn aus der Realität heraus. Dann aber
kommt die Talfahrt. Die Depression.
Paco macht sehr schnell abhängig und schädigt Lunge,
Herz, Leber und das Gehirn. "Wer viel konsumiert, hat
Konzentrationsmängel, verfügt kaum noch über ein
Erinnerungs- und Aufmerksamkeitsvermögen", sagt Huanambal, der als
Forscher an der Universität und als Arzt in der Psychiatrieanstalt
Borda in Buenos Aires arbeitet. "Viele Patienten werden mit einer
irreversiblen Psychose und Paranoia eingeliefert", so der
Neuropsychiater. Am schlimmsten aber sei es, wenn Kinder Paco rauchten.
"Ihr Gehirn entwickelt sich nicht fertig." Der Schaden, den Paco
anrichte, sei enorm, vor allem in den Gehirnzonen, "die für die
soziale Kompetenz verantwortlich sind".
In Argentinien gibts die Billigdroge erst seit ein paar Jahren -
seit Kokain küchen im Land sind. Auf Drängen der Vereinten
Nationen wurde in Kolumbien, Peru und Bolivien die Einfuhr von
Chemikalien, die für die Kokainherstellung nötig sind,
deutlich erschwert. Die Drogenmafia verlagerte daraufhin ihre
Kokainproduktion zu grossen Teilen in die angrenzenden Staaten
Brasilien, Chile, Uruguay und Argentinien. Als weiterer Grund für
die Paco-Ausbreitung wird die argentinische Wirtschaftskrise von
2001/02 genannt. DieZahl der Arbeitslosen nahm rasant zu. Manch eineR
griff schneller zu einer unbekannten Droge. Heute hat Paco das
Leimschnüffeln ersetzt.
"Lebende Tote" werden die Süchtigen genannt. Zombies. Bleich
sind sie, abgemagert. Sie haben Flecken auf der Haut, aufgeplatzte
Lippen wegen Vitamin- und Nährstoffmangels. In kürzester Zeit
ist der Konsument ein Wrack. "Du spürst keinen Hunger, keinen
Schmerz, keine Müdigkeit", sagt der im Gesicht ausgemergelte
Pajarito. Einmal habe er sieben Tage nicht geschlafen, wirft Herbert
ein. Gallego und Pajarito winken ab, das sei nicht möglich.
Herbert pocht darauf, ist erbost. Ungewisse Stille. Plötzlich
springt er auf und verschwindet.
"Sekundäre Folgen"
Je nach Abhängigkeit braucht ein Paco-Raucher zwischen 50 und 150
Pfeifen pro Tag. Obwohl die Drogen an sich billig ist, wird der Konsum
in dieser Menge teuer. Die Entzugserscheinungen sind unerträglich
und bringen Aussetzer mit sich. "Beinahe alle Süchtigen werden
gewalttätig", sagt Huanambal. Vor kurzenm erstach eine
abhängige Mutter ihr Kind. Es kam nach dem Betteln ohne Geld
zurück.
Paco führt in den Tod. Wenige sterben allerdings an
körperlichem Versagen, etwa durch einen Herzstillstand. Viele
verlieren ihr Leben wegen der Beschaffungskriminalität. "Nicht
selten durch einen Pistolenschuss", sagt Huanambal. Über Herberts
Oberkörper zieht sich eine lange Narbe, ein Paco-Dealer griff ihn
mit einem Messer an. In letzter Zeit verbreitet sich zudem unter den
Abhängigen der Suizid: Sie erhängen sich, wenn sie das
Paco-Leben nicht mehr ertragen. Offizielle Zahlen zu Paco-Toten in
Argentinien gibt es nicht, da viele an "sekundären Folgen"
sterben. Die "Mütter gegen den Paco", eine Selbsthilfeorganisation
von Betroffenen (vgl. Seite 25), sprechen von 210 Drogentoten pro Monat.
"Die stehen dort", sagt Gallego und zeigt auf einen
Strassenabschnitt vor dem Armenviertel. Am Abend kämen die
zehnjährigen Mädchen und prostituierten sich für zehn
Pesos (drei Franken). So viel koste ein Säckchen Paco. Die
Lastwagenfahrer würden anhalten, die Mädchen stiegen ein. Mit
Paco würden alle Schwellen überschritten.
Allmählich reagiert der argentinische Staat. Wieso hat das
so lange gedauert? Tatsache ist, dass Paco zu Beginn nur in den
Armenvierteln verbreitet war. Huanambal erinnert sich, dass er bis 2006
noch nie von einem Fall gehört hat, der nicht aus prekärsten
Verhältnissen stammte. Mit der Zeit stellte die Justiz fest, dass
gefasste Verbrecher sehr häufig auf Paco waren. In der Provinz
Buenos Aires sind nach offiziellen Angaben 68 Prozent der Paco-Raucher
kriminell. ExpertInnen sprechen von 98 Prozent. Heute bedroht die Droge
nicht nur die BewohnerInnen der Armenviertel, sondern auch die Mittel-
und Oberschicht.
Polizei verdient mit
Zehntausende ArgentinierInnen sind von Paco abhängig. Die
Tageszeitung "Clarín" berichtete nach einer im Jahr 2009
durchgeführten Erhebung von 300 000 bis 700 000 Abhängigen,
alleine in der Stadt und im Grossraum Buenos Aires. Präzise
offizielle Zahlen gibt es keine. Fast alle ExpertInnen schütteln
den Kopf, wenn sie von der Regierung geschätzte Zahlen sehen. "Je
nach Armenviertel rauchen heute mindestens fünfzig Prozent der
Kinder und Jugendlichen Paco", sagt Huanambal, der früher
Strassenarbeit in den Slums in und um Buenos Aires geleistet hat. Der
Konsum hat sich auf jeden Fall beängstigend vervielfacht. Die
Paco-Mütter reden von einem 200-prozentigen Zuwachs im Jahr 2009.
Tendenz steigend.
Der Wein ist alle. Gallego und Pajarito wollen Paco rauchen. Sie
stehen auf und biegen am Wochenmarkt vorbei ins Armenviertel ein. Rund
30 000 EinwohnerInnen leben nach offiziellen Zahlen in der Villa Retiro
31, die BewohnerInnen reden von 80 000. Es gibt kein fliessendes
Wasser, keine Abwasserkanäle. In der Nacht sind Schreie und
Schüsse zwischen den Blechdächern nichts Ungewöhnliches.
Der Staat ist fast gänzlich abwesend. Heute beherrschen Paraguayer
den Paco-Handel im Quartier, früher waren es Peruaner.
Auf einem unzementierten, desolaten Platz sitzen mehrere
Gestalten. "Alle wissen, dass diese Jungs hier Paco verkaufen", sagt
Pajarito, "niemand aber will mit ihnen Probleme haben." Und die Polizei
verdiene am Paco-Handel kräftig mit. Ein junger Dealer steckt
ihnen ein Paco-Säckchen zu. Pajarito und Gallego zahlen, verlassen
das Quartier und setzen sich in der Nähe in ein verrostetes
Autowrack. Herbert taucht wieder auf. Er beisst in ein abgelaufenes
Sandwich. Der Supermarkt um die Ecke hat Ware weggeworfen.
Eine "Epidemie"
Vergangenen August erklärte das Oberste Gericht Argentiniens
den Besitz kleiner Marihuanamengen für den persönlichen
Gebrauch als "nicht strafbar". Einer der Richter begründete: "Wir
müssen uns auf den Kampf gegen Paco konzentrieren." Im selben
Monat stellte die Regierung von Cris tina Kirchner ein Expertenteam
zusammen, es soll unter anderem einen Plan zur Prävention und
Betreuung von Paco-Abhängigen erarbeiten. Eine Erhebung der
staatlichen Drogenbekämpfungsstelle Sedronar im Juni 2009 ergab,
dass landesweit nur 3000 vom Staat finanzierte stationäre
Plätze für den Drogenentzug existieren. Die sind zudem alle
belegt und die Wartelisten lang.
Paco ist keineswegs nur ein argentinisches Problem, auch Chile,
Peru, Kolumbien, Venezuela und Brasilien sehen sich mit der Billigdroge
konfrontiert. In Argentinien und Uruguay spricht man von einer
"Epidemie". Ende Mai hat nun auch der brasilianische Staatschef Luiz
Inácio Lula da Silva der Droge den Kampf angesagt - mit einem
Budget von 200 Millionen Dollar. "Wir erlauben es nicht, dass eine
junge Generation ihre Zukunft verliert", so Lula.
Pajarito legt einen Paco-Brösel auf die Pfeife. Ungeduldig
wartet daneben Herbert. Pajarito raucht und gibt die Pfeife weiter.
Schweigen. Entrückte Blicke. "Paco ist nicht zu bremsen", sagt
Gallego sinnierend. Der Mensch sei wie ein Tier. Aber nicht einmal ein
Tier töte für Genuss. "Ich sehne mich nach einem Leben", sagt
der 39-Jährige.
Es dunkelt allmählich. In der berüchtigten Villa Retiro
31 fängt für viele der Tag jetzt erst an. Pajarito und
Gallego verabschieden sich. Ihre Schatten verlieren sich in den Gassen
des Armenviertels.
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Die Mütter gegen den Paco
Frauen mit schwarzen Kopftüchern laufen donnerstags auf der
Plaza de Mayo, dem Platz vor dem Regierungsgebäude in Buenos
Aires, im Kreis. Man stutzt. Die Frauen, die hier in den vergangenen
Jahren Runden drehten, trugen weisse Kopftücher. Es waren
Mütter, die nach ihren Kindern suchten, die während der
Militärdiktatur von 1976 bis 1983 entführt und ermordet
worden waren. Wer also sind die Frauen mit den schwarzen
Kopftüchern? "Stoppt den Genozid", "Niemand will unsere Kinder
rehabilitieren" oder "Paco wird wie Bonbons verkauft" steht auf den
Schildern, die sie hochhalten. Sie verlangen ein Treffen mit Cristina
Kirchner, der Präsidentin von Argentinien. Die Frauen sind
verzweifelt. Sie fürchten eine Sache: Paco. Die Droge, die ihre
Kinder umbringt. Die Droge der Armen, wie sie auch genannt wird.
Die Frauen gehören der im Jahr 2003 in Buenos Aires
gebildeten Organisation "Mütter gegen den Paco" (Madres contra el
paco) an. Viele der Gründungsmitglieder waren selber einmal
Paco-abhängig - bis ihre Kinder mit der Droge anfingen. Heute
zählt die Nichtregierungsorganisation einige Hundert Mitglieder in
Argentinien. Die Mütter werfen der Regierung vor, "dass sie die
Toten der Armenviertel nicht interessiert". Sie organisieren
Gesprächsrunden, Vorträge und Protestmärsche. Die
Mütter ziehen durch Gassen der Armenviertel und überzeugen
Süchtige davon, dass man von der Droge Paco wegkommen kann. Sie
protestieren vor Häusern der Drogendealer und sperren Strassen,
damit Medien und Politiker auf sie aufmerksam werden. Eine der
Forderungen: Der Staat soll spezielle Einrichtungen für die
Paco-Süchtigen schaffen. Camilla Landbø
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FUSSBALL-WM
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Newsnetz 1.7.10
Autonome klauen Deutschland-Flaggen - bei türkischen Fans
raa
In Berlin-Neukölln stehlen Mitglieder der linken Szene
systematisch die Fähnchen von Fussballfans. Betroffen sind viele
Migranten - ein Phänomen, dass zahlreiche Medien beschäftigt.
Selbst die Redaktion der angesehenen "Irish Times" in Dublin
reibt sich verwundert die Augen. Was ist bloss los in Deutschland? Da
hängt ein türkischstämmiger Elektroshop-Betreiber in
Berlin-Neukölln eine gewaltige Deutschlandfahne von mehr als 20
Metern Höhe über seinem Geschäft auf - und deutsche
Mitbürger aus dem linken Spektrum versuchen, sie abzuschneiden und
sogar in Brand zu setzen. "Der Fussball bringt die komplexen
Veränderungen der deutschen Identität an die
Oberfläche", titelte das Blatt am 30. Juni einigermassen ratlos.
Verantwortlich ist offenbar eine Gruppe mit dem selbst
gewählten Namen "Kommando Kevin-Prince-Boateng Berlin-Ost" -
benannt nach dem Fussballprofi, der die WM-Träume von Michael
Ballack mit einem harten Foul beendet hatte. Schon 1657
"schwarz-rot-goldene Lumpen" habe man erbeutet, so teilte das Kommando
im Internet mit - eine Aktion, die sich "gegen den eventabhängig
aufkommenden Patriotismus in Deutschland" richte, zum Beispiel in
Gestalt von Euro-Song-Contest-Siegerin Lena, Papstwahl oder eben der
DFB-Auswahl bei der Fussball-Weltmeisterschaft in Südafrika.
"Die kommen in der Nacht"
Anti-Nationalisten gegen Zugewanderte, die sich über den
Erfolg der deutschen Mannschaft freuen: Der Berliner "Tagesspiegel"
berichtete von zahlreichen Fällen, bei denen Immigranten, die sich
als Deutschland-Fans zeigten, gewaltsam "entflaggt" wurden. Zum
Beispiel über den Libanesen Ghassan Hassoun, bei dessen Tochter
und Nachbarn die kleinen Wimpel von den Autos gerissen wurden. Oder
über den jungen Türken, der erzählte, wie die Autonomen
vorgehen. "Die kommen in der Nacht, so um drei Uhr früh, schwarz
vermummt", zitierte die Zeitung, "ziehen die Flaggen ab und
zerschneiden sie".
Den Fall des Elektroshop-Betreibers Ibrahim Bassal, 39, griff
schliesslich auch das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" auf seiner
Webseite auf. Der 39-Jährige, der die gesamte Haushöhe in
fünf Metern Breite schwarz-rot-gold bedeckte, musste die Fahne
bereits einmal ersetzen. Nachdem ein Versuch der Autonomen
zunächst gescheitert war, tauchten laut dem Bericht später
zehn Maskierte auf und rissen den Stoff von der Wand.
Noch eine Fahne und noch eine…
Bassal gab nicht auf. Gemeinsam mit seinen Mitstreitern kaufte er
eine neue Fahne, die den Gegner allerdings bald erneut zum Opfer fiel.
Auch bei Anwohnern im Quartier stösst sein Fussball-Patriotismus
nicht nur auf Begeisterung. Mehrere Passanten haben sich schon
abfällig über die schwarz-rot-goldene Wandverkleidung
geäussert - doch Ibrahim Bassal wird nicht nachgeben: "Ich werde
die deutsche Fahne verteidigen", sagte er laut dem Bericht.
Verwirrend. Nicht zuletzt auch für den
deutsch-türkischen Fussballfan selbst: "Für Faschisten sind
wir Ausländer und für die Autonomen…", zitiert "Spiegel
online" den 39-Jährigen in bestem Berlinerisch, "keene Ahnung
watt."
Peinlichkeiten in deutscher Provinz
Vielleicht haben sich die Berliner Autonomen im Kleinkrieg um die
Deutschlandflaggen wirklich die falschen "Feinde" ausgesucht. Denn dass
der Fussball-Enthusiasmus in Deutschland sich zuweilen in abstossenden
Nationalismus steigert, ist schliesslich kein Geheimnis.
Erst vor kurzem berichtete die Webseite http://de.indymedia.org
von einem Fan-Event im Ort Haste in Niedersachsen. Dort feierten
deutsche Fans ausgelassen den Sieg gegen Ghana - vor einer
Reichskriegsflagge aus dunkler deutscher Vergangenheit.