MEDIENSPIEGEL 3.7.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo)
- (St)Reitschule: Philippe Müller und der Flomi
- RaBe-Info 2.7.10
- Drogenszene: Vorplatz drogenfrei dank Uniformen?
- Bleiberecht: Camp aufgelöst, der Kampf geht weiter
- Asyl: Behörden reissen tschetschenische Familie auseinander
- Police BE: Prügel-Polizisten freigesprochen
- Big Brother Sport: Schonfrist für YB/SCB
- Big Brother: Däniken geht; Fichenwahn
- Rauschknast LU
- Anti-Atom: Tiefenlager-Feldbegehungen; Dulliken gegen KKN

----------------------
REITSCHULE
----------------------

Sa 03.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
22.30 Uhr - Innenhof - Eugene Chadbourne (USA) - solo: "Soccer-Punch: Dr. Chadbournes Take on Football"

So 04.07.10
9.00 Uhr - Grosse Halle - Flohmarkt und Brunch im SousLePont
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
19.00 Uhr - Tojo - "Die Dällebach-Macher" Das Musical zum Musical von/mit: Pascal Nater, Michael Glatthard

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

---

Bund 2.7.10

Wie Dällebach Kari zum Superstar getrimmt wird

 "Kari isch Kult / klipp u klar / Kari isch Kult / yes we can / jede Bärner Giel / isch Kari-Fän." Wie die Thuner Seespiele zu dieser griffigen Formel gefunden haben, führen der Musiker Pascal Nater und der Schauspieler Michael Glatthard zwei Wochen vor der Premiere im Tojo der Berner Reitschule mit "Die Dällebach-Macher", dem "Musical zum Musical", vor. Standen am Anfang ein Drehbuch von Katja Früh, Songs von Tinu Heiniger und Jürg Halter und Kompositionen von Moritz Schneider, so ist für die endgültige Fassung eine Berliner Creative Agency verantwortlich: Mit broadwaytauglichen Klangwolken und Texten - unter anderem von Wolfgang Hofer, der für Udo Jürgens schreibt - haben Creative Developer Christian Struppeck und Regisseur Andreas Gergen den Berner Coiffeurmeister zum massentauglichen Superstar getrimmt. Der Berner Blueser Pascal Dussex übersetzte die hochdeutschen Songs ins Berndeutsche, und Heiniger bernerte Dussex' Versionen noch stärker ein. Ein Vorgehen, das Heiniger sehr anschaulich anhand des Berner Marsches illustriert.

 Im O-Ton werden sowohl Heinigers Erfahrungen als auch Struppecks Überlegungen und deren Resultat eingespielt und von Nater und Glatthard zusammen mit eigenen Nummern zu einer Revue legiert, die ebenso erhellend wie vergnüglich ist. Denn die beiden Absolventen der Berner Hochschule der Künste sind nicht der Versuchung erlegen, den "wahren" Kari sichtbar machen zu wollen, und demonstrieren auch das eigene Scheitern mit einem Song im Stil von Mani Matter. Zum scharfsinnigen Lehrstück über die Mechanismen des Showbiz wird die Aufführung - und der Anpassungsfähigkeit. Findet doch Tinu Heiniger, von dem die Berliner nur zwei Songs akzeptiert haben, zuletzt so schöne und versöhnliche Worte zum Thuner Musical, wie sie sonst nur in Hollywoodfilmen und Broadway-Produktionen zu hören sind. (bnb)

 Weitere Aufführungen 4. Juli, 19 Uhr, 5. Juli, 20.30 Uhr im Tojo der Reitschule.

---

BZ 2.7.10

"Dällebach Kari" im Tojo-Theater

 Vom Selbstmörder zum Star

 Das Musical zum Musical: "Die Dällebach-Macher" im Tojo-Theater mokiert sich über den Umgang mit einem Berner Mythos. Insbesondere die Thuner Seespiele, die heuer ein Dällebach-Musical aufführen, bekommen ihr Fett ab.

 Das Plakat zum Stück sorgte im Vorfeld für Neugierde. "Skandal: Dällebach-Musical in deutschen Händen", las man darauf. Was es damit auf sich hat, erfährt man schliesslich im Stück. Unter der Regie von Olivier Bachmann schlüpften die Schauspieler Pascal Nater und Michael Glatthard in diverse Rollen und entlarvten dabei die Vereinnahmung der Berner Legende durch die Thuner Seespiele.

 Nachgeahmter Pathos

 Das viel bemühte Klischee der kleinen Kreativen, die sich gegen die grossen Kommerziellen auflehnen, könnte schnell langweilig werden - doch Nater und Glatthard veräppeln auch jene, die sich scheinbar gegen den Kommerz stellen. Mehrheitlich ist das ziemlich lustig. Als Pappfiguren in einem bösen Spiel stehen etwa die Beteiligten auf der Bühne: Die deutschen Rambos (Christian Struppeck, Andreas Gergen), die man in Thun engagiert hat, um den Stoff im anglo-amerikanischen Stil aufzubereiten. Oder Katja Früh, die Autorin des Thuner Musicals, deren Vater Kurt Früh den Dällebach Kari verfilmte. Weinerlich ruft sie nach ihrem verstorbenen "Bappe", der ihr durch einen Nebel von Trockeneis zusingt, sie solle Vertrauen haben. Eine von vielen Szenen, in denen das Genre Musical verulkt wird: Die Schauspieler ahmen mehrmals den Pathos, den man aus solchen Produktionen kennt, nach.

 Nater wie Glatthard begeistern durch rasche Rollenwechsel und Musikalität. Für ein paar Sekunden gibt Glatthard Kutti MC, sodass ihn alle gleich erkennen, oder schlüpft schnell in die Rolle des ein Toupet tragenden Liedermachers Wolfgang Hofer. Das absurde Vorgehen der Musicalmacher in Thun wird Schritt für Schritt blossgestellt. Man hat eine deutsche "Kreativ-Agentur" geholt und deutsche Liedermacher - doch damit alles schön authentisch wird, müssen die Lieder "eingebernert" werden. Darum wird ebenfalls auf den Liedermacher Tinu Heiniger verwiesen. Er, der in den Siebzigerjahren mit "Unterhaltungsbrunz" den seichten Kommerz am Fernsehen beklagte, verkauft sich heute selbst an die Unterhaltungsindustrie, indem er für das Dällebach-Musical deutsche Lieder "einbernert".

 Bitterböser Spass

 Dann schlüpfen die Schauspieler in die Rolle der deutschen Macher, denen kein trauriges Ende vorschwebt. Selbst bei einer so tragischen Figur wie dem Dällebach Kari, der sich bekanntlich 1931 von einer Brücke stürzte, gibt es Lösungen: Der Selbstmord wird bagatellisiert, Kari wird zum Stern am Himmel, ein Held - so wie auch das Musical auf der Seebühne in Thun enden wird. "Mir si froh, heimer än Endlösig gfunde", singen die Schauspieler, die nun selbst in die Rolle von Musicaldarstellern schlüpfen. Ein bitterböser Spass, den sie da treiben. Allerdings werden etwas viel Insiderinformation verarbeitet, und an manchen Stellen kommt das Stück zu langfädig daher.

 Helen Lagger

 Nächste Vorstellungen: So, 4. 7., und Mo, 5. 7., im Tojo-Theater, Reitschule Bern.

---------------------------------
(ST)REITSCHULE
----------------------------------

BZ 2.7.10

Reitschule

Kritik am Flohmarkt

 In einer dringlichen Interpellation kritisiert FDP-Stadtrat Philippe Müller den Flohmarkt, der einmal im Monat vor der Reitschule stattfindet. Müller bemängelt verstellte Trottoirs sowie die Preisanschreibepflicht, die nicht befolgt werde.

 Auf Anfrage erklärte die Gewerbepolizei, sie kontrolliere den Flohmarkt im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Beschwerden zu den Zuständen vor Ort seien an die Kantonspolizei zu richten.

 Laut Giorgio Andreoli vom Reitschule-Kollektiv Grosse Halle, das den "Flohmi" organisiert, sei das Trottoirproblem erkannt. Zusammen mit der Stadt sei man daran, es zu lösen. Ausserdem mache die "Flohmi"-Crew jedes Mal alle Standbetreiber auf die geltenden Richtlinien aufmerksam.
 pd/hae

---

20 Minuten 2.7.10

"Wildwest" am Reitschule-Märit?

 BERN. Stadtrat Philippe Müller (FDP) hat ein neues Haar in der "Berner Suppe" gefunden: Er stört sich am Märit auf dem Reitschule-Vorplatz, der jeden ersten Sonntag des Monats stattfindet. Dort würden Regeln überhaupt nicht eingehalten; unter anderem werde regelmässig auf der Neubrückstrasse parkiert und für Fussgänger gebe es kaum mehr Platz auf dem Trottoir. Nun fordert er den Gemeinderat auf zu handeln.

-------------------------------
RABE-INFO 2.7.10
--------------------------------

Fr. 2. Juli 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_2._Juli_2010.mp3
- Am Donnerstag geht's bei der Gassenarbeit Bern zu und her wie im Bienenhaus
http://www.gassenarbeit-bern.ch/
- Das Sans-Papier Camp verlässt die kleine Schanze

---------------------------
DROGENSZENE
----------------------------

bernerzeitung.ch 1.7.10
http://www.bernerzeitung.ch/region/bern/Was-es-braucht-damit-in-Bern-keine-offene-Drogenszene-entsteht/story/15378994

Was es braucht, damit in Bern keine offene Drogenszene entsteht

Von Tanja Kammermann. Aktualisiert um 16:55 Uhr

Wer in diesen Tagen über den Vorplatz der Reitschule geht, sieht weder Drogensüchtige noch herumliegende Spritzen. Die Polizei und andere Organisationen sind jedoch täglich daran, die Bildung einer neuen offenen Szene zu verhindern.

Dass sich auch dieses Jahr unter der Eisenbahnbrücke keine sichtbare Szene der Drogensüchtigen gebildet hat, ist kein Zufall sondern harte Arbeit. Die Polizei greift seit letztem Jahr rigoros bei den Drogensüchtigen durch. "Wir müssen dauernd am Ball bleiben, sonst bildet sich die offene Szene gleich wieder", sagte Heinz Pfeuti von der Kantonspolizei gegenüber bernerzeitung.ch.

Hie und da sehe man kleine Ansammlungen von Drogenkonsumenten, unter anderem im Gebiet Bollwerk, diese Gruppen seien jedoch klein und bilden sich nur für kurze Zeit.

Zusammen mit der Securitas, der Stadt Bern, dem Bundesamt für Gesundheit und der Organisation Pinto wurde ein Bündel von Massnahmen ergriffen, um die Drogensüchtigen von der Reitschule fern zu halten. Neben repressiven Massnahmen wurden unter anderem die Öffnungszeiten der Drogenabgabestelle verlängert und bei Pinto wurde das Personal aufgestockt und die Arbeitszeiten ausgedehnt.

Pinto arbeitet in Doppelschichten

"Die Situation der Drogensüchtigen in Bern hat sich für alle unglaublich verbessert", sagt Silvio Flückiger, Leiter der Organisation Pinto. Um dieses Ziel zu erreichen hat das Angebot des Jugendamtes kürzlich 80 Prozent aufgestockt und die Mitarbeiter sind nun vielfach bis morgens um drei Uhr und am Wochenende mit Doppelschichten unterwegs, erklärt Flückiger.

Da seine Leute rein kommunikativ arbeiten, sei die Situation früher auf dem Vorplatz mit hunderten von Süchtigen sehr schwierig gewesen. "Jede kleine Szene wird heute mit der gleichen Intensität behandelt, wie eine grosse", sagt Flückiger. Wenn eine Gruppe Süchtiger sich niederlassen wolle, stehen die Mitarbeiter von Pinto schon mal stundenlang zu sechst da und schicken die Junkies weg.

Anwohner lernen Umgang mit Junkies

Wo die Junkies jetzt ihren Stoff konsumieren, weiss nicht einmal die Polizei: "Wir vermuten, dass vermehrt in Privatwohnungen konsumiert wird", so Pfeuti. In anderen Jahren verlagerte sich die Szene einfach in die Quartiere, zum Leidwesen der jeweiligen Anwohner. Dieses Jahr gab es bei der Polizei aber kaum Reklamationen von dieser Seite.

Pinto beispielsweise schult Anwohner, damit diese lernen, richtig mit Junkies umzugehen. "Wenn man Süchtigen jeden Tag sagt, dass man hier wohnt und dass das, was sie tun, stört, haben sie nicht mehr die nötige Ruhe und gehen", erklärt Flückiger. So geschehen im Gebiet um das Bierhübeli. Auch mit baulichen Massnahmen lasse sich viel erreichen, sagt Flückiger. So werden dunkle Ecken gut ausgeleuchtet und Licht mit blauen Folien versehen. Die Massnahmen bei Pinto seien kostenneutral, da die Ressourcen der Organisation verlagert wurden. Auch die Einsätze der Polizei hätten keine grossen Kosten nach sich gezogen, erklärt Flückiger weiter und zieht eine positive Bilanz des Massnahmenpakets. (Bernerzeitung.ch/Newsnetz)

--------------------------
BLEIBERECHT
---------------------------

Bund 3.7.10

Sans-Papiers räumen Kleine Schanze

 Die Sans-Papiers und ihre Unterstützer, die die Kleine Schanze seit einer Woche besetzt hielten, haben ihr Camp gestern Morgen wie mit der Stadt vereinbart geräumt - obwohl sie bisher von politischer Seite keine Antwort auf ihre Forderungen erhalten haben. Drei Iraner, die sich im Hungerstreik befinden, weigerten sich, den Platz zu verlassen - sie wurden schliesslich von der Polizei weggeführt. (tik) — Seiten 3 und 25

--

Aktivisten verlassen die Kleine Schanze - ohne Resultate

 Bis auf drei Hungerstreikende zogen die Sans-Papiers gestern fristgerecht ab.

 Timo Kollbrunner

 Keine Bierdose, nicht einmal ein Papierschnipsel liegt am späten Freitagmorgen auf der Kleinen Schanze. Einige junge Frauen und Männer suchen den Rasen nach Zigarettenstummeln ab und entsorgen diese gewissenhaft. Nur die hellen, rechteckigen Rasenflächen weisen darauf hin, dass hier noch in der Nacht zuvor Zelte standen. Sans-Papiers und Unterstützende hatten diese am vergangenen Samstag aufgestellt. Eine Woche lang nahmen sie darauf den zentrumsnahen Platz in Beschlag, um unter dem Namen "Bleiberecht" auf die Lage von Menschen aufmerksam zu machen, die ohne legalen Status in der Schweiz leben. Ein erstes Ultimatum zum Abzug hatten sie am Montag verstreichen lassen, darauf erhielten sie ein zweites - bis gestern Morgen mussten sie weg sein. Per Vollversammlung entschieden sie schliesslich, die Zelte abzubrechen.

 Zumindest vorderhand bleibt von dem einwöchigen Protestcamp wenig Konkretes übrig. Sadou Bah, einer der Sprecher der Aktivisten, sagt zwar, es sei ein grosser Erfolg, wie viele Leute man während der Woche habe mobilisieren können. Auf der anderen Seite sei er jedoch "enttäuscht, dass wir vom Justiz- und Polizeidepartement keine Antwort auf unsere Forderungen erhalten haben". Das zeige, dass die Bewegung weiter wachsen müsse, bis sie von der nationalen Politik ernst genommen werde. In einer Medienmitteilung künden die Aktivisten an, die Sans-Papiers würden "nach Bern zurückkehren", falls das Departement von Widmer-Schlumpf nicht "sehr bald konkrete Schritte in Richtung einer kollektiven Regularisierung unternimmt". "Wir werden unseren Stil der konfrontativen Aktionen weiterverfolgen", sagt auch Michael Schmitz, einer der Aktivisten. Denn sie seien überzeugt: "Nur durch massiven Druck von der Basis lässt sich etwas bewegen."

 Drei Iraner wehren sich

 Dass die Besetzung der Kleinen Schanze schliesslich doch noch durch ein Aufgebot der Polizei beendet werden muss, liegt an drei Männern aus dem Iran, die sich im Hungerstreik befinden. Sie haben sich entschlossen, die Plattform für ihren persönlichen Protest zu nutzen und trotz Ultimatum auf der Kleinen Schanze zu verharren. In zahllosen Gesprächen gelang es niemandem, sie von ihrem Anliegen abzubringen. "Ein positiver Asylentscheid", sagt einer der Dreien auf die Frage, was ihn dazu bewegen würde, wieder Nahrung zu sich zu nehmen. Mit ihrem Verhalten bringen die drei Iraner die Organisatoren des Protestcamps in eine unbequeme Lage. Sie, die sich entschlossen hatten, der Aufforderung der Stadt zu folgen und abzuziehen, wollen die drei Männer keinesfalls einfach ihrem Schicksal überlassen. Umso nervöser werden alle Beteiligten, als es auf zwei Uhr zugeht - jene Uhrzeit, auf die der bernische Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) die Räumung angekündigt hatte. Um Punkt zwei Uhr begeben sich zwei Polizisten zum einzigen Zelt, das noch auf der Wiese steht. "Wir haben eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs erhalten", informiert einer der Beamten und gibt den drei Männern noch 15 weitere Minuten Zeit, um den Ort zu verlassen. Sie gehen nicht. Schliesslich wird einer von ihnen von etwa zehn Polizisten unter Gegenwehr zu einem Einsatzfahrzeug geschleift, begleitet von Protestrufen einiger Solidarischer. Einer der Hungernden geht freiwillig mit einer Sanitäterin mit, der Dritte, der bereits seit einem Monat nicht mehr gegessen hat und in den Tagen zuvor zweimal medizinischer Behandlung zugeführt werden musste, wird auf einer Bahre abtransportiert. Das Bleiberecht-Kollektiv Zürich bezeichnet den Polizeieinsatz in einer Medienmitteilung als "grotesk unverhältnismässig". Reto Nause spricht dagegen auf Anfrage von einem "sehr guten Polizeieinsatz". Grundsätzlich sei er "froh, dass die Aktion nun zu Ende ist". Die "deeskalative Strategie" der Stadt habe sich bewährt. "Ich würde es wohl wieder gleich machen", bilanziert Nause. Es solle sich allerdings keine Gruppe darauf verlassen, dass sich die Stadt bei einer erneuten Besetzung gleich verhalten werde, warnt er. "Das müssten wir jeweils im Einzelfall anschauen."

 Siehe auch Leitartikel auf Seite 3

--

Leitartikel

Der unklare und diskriminierende Status der Sans-Papiers zwingt uns dazu, mit Widersprüchen zu leben.

 Unwürdiger Zustand der Unredlichkeit

Walter Däpp

 Sie sind da und doch nicht da. Sie dürfen nicht arbeiten, werden als illegale Arbeitskräfte aber gebraucht, zum Teil auch missbraucht: jene über 100 000 Ausländerinnen und Ausländer, die es offiziell gar nicht oder nur auf dem Papier gibt - die Sans-Papiers.

 Es sind vor allem ehemalige Saisonniers, die zum Teil schon seit Jahrzehnten "papierlos" in der Schweiz leben. Es sind ihre Kinder. Es sind aussereuropäische Arbeitsimmigranten, meist Frauen, die ohne Bewilligung hier arbeiten. Es sind abgewiesene Asylsuchende, die "untertauchen", weil ihnen die behördlich verordnete "selbstständige Ausreise", oft nach Jahren der Ungewissheit, unzumutbar oder gefahrvoll erscheint. Oder weil die alte Heimat für sie keine Heimat mehr ist.

 Protest im Befehlston

 Und nun kommt ein Kollektiv namens "Bleiberecht" nach Bern, besetzt die Kleine Schanze, verlangt im Befehlston ein Gespräch mit Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf und fordert eine "kollektive Regularisierung für Menschen, die seit langem in der Schweiz leben" - für Menschen, die "unsichtbar und unter unwürdigen Bedingungen in Haushalten, Restaurants, Fabriken und Landwirtschaftsbetrieben arbeiten", im Sexgewerbe ausgebeutet oder als abgewiesene Asylsuchende "in Notunterkünfte eingepfercht werden".

 Es gibt Gründe, sich über die Illegalität des temporären Protestzeltlagers und über den ultimativen Ton dieses Kollektivs aufzuhalten. Es gibt auch Argumente gegen eine pauschale Amnestie für Sans-Papiers, denn: Jedes Asylverfahren würde ausgehebelt, wenn abgewiesene Asylbewerber als Sans-Papiers sogleich von einer kollektiven Regularisierung profitierten.

 Berechtigtes Anliegen

 Doch das grundsätzliche Anliegen, das hier vorgebracht wird, ist nicht zu ignorieren - weder von oben noch von unten, weder von links noch von rechts. Denn es gibt sie, die Sans-Papiers. In sehr grosser Zahl. Und die Politik ist nach wie vor weit davon entfernt, den Umgang mit ihnen so zu regeln, dass er gesetzeskonform und auch menschengerecht ist. Es gibt zwar pragmatische Ansätze. So hat der Bund vor einigen Jahren fast zweitausend von den Kantonen gemeldete Sans-Papiers-Härtefälle legalisiert - bis auch diese Praxis wieder verschärft wurde. So will eine knappe Mehrheit des Nationalrats den Kindern von Sans-Papiers zubilligen, eine Lehre zu machen - allen Widersprüchen zum Trotz. So rechnet man da und dort für Sans-Papiers, die ja gar nicht arbeiten dürften, die AHV ab. Das ist zwar ebenfalls widersprüchlich und deshalb kritisierbar - wobei dann nicht nur die schwarzarbeitenden Ausländer zu kritisieren wären, sondern auch jene, die sie schwarz beschäftigen.

 Zugespitzte Situation

 Bislang ergebnislos geblieben ist beispielsweise auch der Vorstoss der Genfer Behörden, die seit fünf Jahren vom Bund eine "einmalige und einheitliche Regularisierung der illegal anwesenden Hausangestellten" fordern. Und erfolglos blieb auch eine "Arbeitsgruppe Sans-Papiers" der Eidgenössischen Ausländerkommission. Sie gab Ende 2007 auf - und stellte ernüchtert fest, die Situation für Sans-Papiers habe sich "aufgrund der gesetzlichen Verschärfungen und wegen der zunehmend restriktiven Praxis des Bundesamts für Migration und des Bundesgerichts" zugespitzt. Und sie werde sich mit dem (2008 eingeführten) Schwarzarbeitsgesetz "weiter verschärfen".

 Die Sans-Papiers-Problematik ist also nach wie vor ungelöst - wie schon im Herbst 2001, als Papierlose und ihre Sympathisanten mit Kirchenbesetzungen das Gleiche verlangt hatten wie jetzt das "Bleiberecht"-Kollektiv: eine Amnestie für alle Sans-Papiers.

 Auch die Berner Marienkirche wurde damals besetzt, was mit einem Transparent am Kirchturm ("Kein Mensch ist illegal") weit herum sichtbar wurde. Die Besetzer zügelten später in die Pauluskirche - wo der Schriftsteller Adolf Muschg ihnen Rückhalt gab. "Mit der einen Hand kassieren wir ihre Dienstleistungen ab, in der anderen Hand halten wir den Knüppel", sagte Muschg - und kritisierte den Umgang der Schweiz mit den Sans-Papiers als "Zustand der Unredlichkeit".

 Daran, an diesem unwürdigen Zustand der Unredlichkeit, hat sich seither nichts geändert.

---

BZ 3.7.10

Kleine Schanze

 Die Besetzer zogen ab

 Die Sans-Papiers und Sympathisanten, die eine Woche die Kleine Schanze besetzt hielten, haben gestern ihr Camp freiwillig geräumt. Drei Iraner im Hungerstreik setzten ihre Aktion unabhängig davon fort. Sie wurden von der Polizei abgeführt und ins Spital gebracht. Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause bedauerte den Polizeieinsatz. Die meisten Aktivisten hätten sich nämlich an die Abmachungen gehalten. Die Organisatoren sehen das Camp als erste Etappe einer schweizweiten Mobilisierung. Nun warte man auf eine Reaktion von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf.
 hae

 Seite 23

--

Kleine Schanze

 Sans-Papiers-Camp ist geräumt

 Die Bleiberecht-Kollektive haben gestern Vormittag ihr Camp auf der Kleinen Schanze zum vereinbarten Zeitpunkt geräumt. Drei Iraner im Hungerstreik setzten ihre Aktion aber fort. Sie wurden von der Polizei abgeführt.

 Gestern Morgen um 9.30 Uhr auf der Kleinen Schanze: Die Zeltstadt ist fast ganz weggeräumt, auf dem Asphalt stapelt sich Gepäck, Schlafsäcke und Matratzen. Auf dem Rasen haben die Zelte zwar Abdrücke hinterlassen, ansonsten wurde auf dem ganzen Gelände "gefötzelet", kaum ein Zigarettenstummel, der liegen blieb.

 Die Aktivisten der Bleiberecht-Kollektive, die seit letztem Samstag die Kleine Schanze besetzten, haben Wort gehalten. In Verhandlungen mit dem städtischen Polizeidirektor Reto Nause (CVP) hatten sie zugesagt, ihr Camp bis Freitagmittag zu räumen. Nun stehen sie da, bereit für die Abreise. Laufend ziehen Sans-Papiers und Solidarisierende gruppenweise ab.

 Drei Iraner im Hungerstreik

 Ein Zelt steht noch: Drei Männer im Hungerstreik, der eine seit genau einem Monat, beharren darauf, ihren Protest an Ort und Stelle weiterzuführen. Derjenige der drei Iraner, der Deutsch spricht, ruft laut: "Wir haben keine Wahl. Was kann uns Schlimmeres passieren als unser jetziges Leben?" Sie verlangen, dass Bundesrätin Widmer-Schlumpf sich ihrem Problem annimmt.

 Die Stimmung auf dem Gelände ist gedrückt. Richtig mag es niemand sagen, aber viele haben Mühe mit der Hungerstreikaktion. Zu reden gibt einerseits die Protestform an sich, andererseits könnte sie gefährden, was während der Woche erreicht wurde: Aufmerksamkeit für die Forderung nach einer kollektiven Regularisierung, Anerkennung für den friedlichen Protest und die Dialogbereitschaft. Darauf wollen die Bleiberecht-Kollektive aufbauen und in weiteren Aktionen weiterkämpfen.

 Ruth-Gaby Vermot, langjährige SP-Nationalrätin und Präsidentin der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht, hat während der Besetzung immer wieder auf der Kleinen Schanze vorbeigeschaut. Nachdem die Bemühungen der Aktivisten um ein Kirchenasyl für die drei Iraner erfolglos waren, zieht Vermot mit der gleichen Absicht los Richtung Dreifaltigkeitskirche. Nach einer halben Stunde kommt sie zurück, verärgert und ratlos - es sei nichts zu machen. Auf Anfrage begründet der Präsident des zuständigen Kirchgemeinderats, Christian Kissling, sein Ablehnen mit dem medizinischen Risiko bei Hungerstreikenden: "Diese Verantwortung können wir nicht übernehmen."

 Auf Bahre weggerollt

 Um 11 Uhr schlendern zwei Polizisten über die Kleine Schanze. "Ein sogenanntes Voraus-Detachement", sagt ein Aktivist. Gut eine Stunde später kommt Polizeidirektor Nause und wird von Medien und Aktivisten umringt. Ruth-Gaby Vermot zieht sich mit ihm zur Privatbesprechung zurück und kommt zurück mit dem Bescheid: "Um 14 Uhr wird geräumt."

 Um 14 Uhr kommen zwei Polizisten, machen eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch geltend und sagen: "Wenn sie den Standort in einer Viertelstunde nicht verlassen, räumen wir." Nach Ablauf der Frist rufen sie Verstärkung sowie die Sanitätspolizei. Diese macht erste Gesundheitsuntersuchungen, um 15.15 Uhr wird der Wortführer der drei Iraner von acht Polizisten weggetragen. Der zweite und ein Sympathisant lassen sich ohne Gegenwehr abführen. Der Mann, der seit einem Monat im Hungerstreik ist, wird auf einer Bahre weggerollt. In einer Mitteilung schreibt die Polizei, die drei Personen im Hungerstreik seien von der Sanitätspolizei ins Spital gebracht worden.

 Polizeidirektor Nause bezeichnete den Polizeieinsatz als verhältnismässig. Er hielt anerkennend fest, dass das Gros der Leute friedlich abgezogen sei und ein sauberes Gelände hinterlassen habe. Aber "den Nachmittag hätte es nicht gebraucht", sagte er. Die Bleiberecht-Kollektive verurteilten den Polizeieinsatz in einer Erklärung als unverhältnismässig.
 
Christoph Hämmann

---

Basler Zeitung 3.7.10

Pfadilager für Unerwünschte

 Das Protestcamp der Sans-Papiers in Bern wurde gestern abgebaut, der Kampf für ein Bleiberecht geht weiter

Barbara Spycher, Bern

 Bleiberecht für alle: Das forderten rund 200 Sans-Papiers und Schweizer Aktivisten während eines einwöchigen nationalen Camps. Eine Forderung, der in Bundesbern ein eisiger Wind entgegenbläst.

 Schlafsäcke, Iso-Matten, Gitarren, Kisten mit Kochutensilien liegen auf dem Boden und erinnern an ein Pfadilager, das zu Ende geht. Doch Transparente mit Worten wie "Bleiberecht für alle" machen schnell klar: Es ist ein politisches Protestcamp. Nach einer Anti-Rassismus-Demo vor einer Woche hatten rund 200 Sans-Papiers und Aktivisten die Kleine Schanze in Bern besetzt, einen zentralen Platz gleich neben dem Bundeshaus. Ihre Forderung: Die kollektive Regularisierung aller Menschen, die ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz leben.

Keine Perspektive

Darauf hofft auch Mimi, eine 30-jährige Kamerunerin. Sie wartet auf einer Bank, bis das Camp ganz abgebrochen wird, und sie zurückgeht in ihr Leben, dem neben Geld vor allem eines fehlt: eine Perspektive. "Blockiert", nennt sie es. Vor sechs Jahren kam sie mit einem Schweizer in die Schweiz, um der Armut zu entfliehen. Aus der Liebe wurde nichts, und sie sah keinen anderen Weg, als ein Asylgesuch zu stellen. Das wurde längst abgelehnt. Nun lebt sie von 9.50 Franken Nothilfe pro Tag, lernt Lesen und Schreiben, arbeitet als Freiwillige bei Caritas. Doch sie möchte richtig arbeiten, noch lieber eine Ausbildung machen - das geht aber nicht ohne Aufenthaltsbewilligung. "Wir werden behandelt, als gäbe es uns nicht. Doch wir sind auch Menschen."

 "Du hast ständig Angst, von der Polizei angehalten und verhaftet zu werden, kannst nicht schlafen, hast keine Möglichkeit, etwas zu ändern", mischt sich eine Bekannte von Mimi ein. Auch sie steht seit der Scheidung von ihrem Schweizer Ehemann ohne Aufenthaltspapiere da.

 In der Schweiz leben schätzungsweise über 100 000 Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung. Viele sind abgewiesene Asylbewerber, etliche arbeiten schwarz, heiraten ist ihnen ebenfalls untersagt, ihre Kinder dürfen zwar zur Schule, aber keine Lehre machen. Letzeres möchte der Nationalrat aber ändern.

Spielraum der Kantone

Eine Woche lang hatten Betroffene und Schweizer Aktivisten des Kollektivs "Bleiberecht" nun die Chance, an zentraler Lage neben dem Bundeshaus auf die "unmenschliche" Situation von Sans-Papiers aufmerksam zu machen. Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) musste Kritik von SVP und FDP einstecken, weil er das "illegale" Zeltcamp eine Woche lang zuliess. Doch die Aktivisten verhielten sich friedlich, debattierten, politisierten, kochten und musizierten, und räumten gestern Vormittag wie abgemacht den Platz. Einzig drei abgewiesene Asylbewerber, die sich wegen ihrer aussichtslosen persönlichen Situation im Hungerstreik befinden, blieben in einem Zelt sitzen. Sie wurden am Nachmittag von der Polizei zur Abklärung ins Spital gebracht respektive verhaftet, mit einem "entwürdigenden und grotesk unverhältnismässigen" Polizeieinsatz, wie das Bleiberecht-Kollektiv kritisiert.

 Vergeblich hatte auch Alt-Nationalrätin Ruth-Gaby Vermot (SP/BE) versucht, eine Alternative für die Hungerstreikenden zu finden. Vermot, die sich aus dem Nationalrat, aber nicht vom politischen Engagement verabschiedet hat, lobt die jungen Aktivistinnen und Aktivisten, welche den Protest politisch geschickt und friedlich gemanagt hatten. "Diese Woche muss Folgen haben." Ihre konkrete Forderung: Die Kantone müssten die Härtefallregelungen grosszügiger auslegen. In diesem Bereich hätten sie einen Handlungsspielraum, um Menschen, die schon lange in der Schweiz leben, eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Doch Vermot weiss auch: "Seit Jahrzehnten fordere ich das Gleiche. Und in der Ausländerpolitik weht der Wind eher aus der entgegengesetzten Richtung."

Spanien und Italien

Die 20- bis 30-jährigen Bleiberechtsaktivisten hingegen haben Mut getankt in dieser Woche. Die erste schweizweite Aktion habe den Zusammenhalt der Bewegung gestärkt, sagen Zürcher, Berner und Welsche unisono. Von Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf erhielten sie bisher allerdings keine Antwort auf ihren offenen Brief mit der Hauptforderung nach einer kollektiven Regularisierung. Dass diese Forderung in der Schweizer Politik derzeit chancenlos ist, dürfte auch den Aktivisten klar sein. Doch sie verweisen auf Länder wie Spanien oder Italien, die es vorgemacht haben. "Der Kampf geht weiter", verspricht auch ein Transparent, das noch zwischen den Bäumen im Park hängt.

---

Telebärn 2.7.10

Sans-Papier-Camp beendet
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/sanspapiercamp-beendet/c=84713&s=966234

---

bleiberecht.ch 2.7.10

Aktion beendet - Der Kampf geht weiter!

Verhaftungen nach Ende der Bleiberecht-Aktion: Entwürdigendes Vorgehen der Polizei

Der Kampf für eine kollektive Regularisierung und ein menschenwürdiges Leben für Flüchtlinge geht weiter.

Nach einer Woche Besetzung haben die Sans-Papiers, Flüchtlinge und Unter-stützende wie mit der Stadt vereinbart ihre Zelte abgebrochen. Die Stimmung an der letzten Vollver-sammlung am Donners-tagabend war kämpferisch.

Die Beteiligten sehen die Aktion als erste Etappe einer kraftvollen Bewegung für eine andere Migrationspolitik in der Schweiz. Flüchtlinge und Unterstützende aus allen Teilen der Schweiz hatten Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen, sich zu vernetzen und aus der Isolation auszutreten. Es war "eine grosse Chance auf der Kleinen Schanze", wie Mohammed Moradi, ein Flüchtling aus Afghanistan, an der Pressekonferenz von gestern es formulierte.

Bei Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf haben wir klare Forderungen deponiert. Dennoch hat sie sich dem Gespräch mit uns verweigert und unsere Anliegen offensichtlich nicht ernstgenommen. Falls ihr Departement nicht sehr bald konkrete Schritte in Richtung einer kollektiven Regularisierung unternimmt, werden die Sans-Papiers nach Bern zurückkehren.

Nach dem Ende des Protestcamps auf der kleinen Schanze haben drei Hungerstreikende und ein weiterer Flüchtling unabhängig von den Bleiberecht-Kollektiven ihren Protest im Park fortgesetzt. Trotz intensiver Bemühungen der Unterstützenden konnte für sie kein Kirchenasyl organisiert werden. Die Polizei schritt schliesslich zur Räumung. Zwei der Protestierenden wurden verhaftet, zwei ins Spital überführt.

Das Vorgehen der Polizei bei der Verhaftung des Wortführers der Protestierenden war entwürdigend. Zehn Polizisten trugen ihn mit Handgriff an Händen und Füssen über den ganzen Platz, anstatt mit dem Auto zum Zelt der Flüchtlinge heranzufahren. Zudem war der Einsatz grotesk unverhältnismässig. Vier Protestierende und etwa dreissig Unterstützende, die friedlich die Vorgänge beobachteten, vermittelten und sporadisch Parolen skandierten, befanden sich zum Zeitpunkt der Räumung auf dem Platz. Nur der Einsatzleiter der Polizei weiss, warum zur Kontrolle dieser "Menschenmassen" elf Kastenwagen notwendig waren.

---

police.be.ch 2.7.10

Stadt Bern: Kurzer Polizeieinsatz nach Besetzung

2. Juli 2010

pkb. Im Nachgang zur Besetzung der Kleinen Schanze in Bern ist es am Freitagnachmittag zu einem kurzen Polizeieinsatz gekommen. Eine Person wurde vorübergehend festgenommen, drei Personen zur Kontrolle ins Spital gebracht.

Die Schweizer Bleiberecht-Kollektive hatten im Anschluss an die Solidaritätskundgebung gegen Ausgrenzung und Rassismus am vergangenen Samstagnachmittag auf der Kleinen Schanze ein Protestcamp eingerichtet. Der Stadtberner Gemeinderat beauftragte daraufhin die Berner Kantonspolizei, den Räumungsantrag der Stadtbauten zu vollziehen, falls die Besetzung nicht bis am Freitagmorgen, 2. Juli 2010, beendet ist.

Bis am Mittag verliessen die meisten Aktivistinnen und Aktivisten das Gelände. Zurück blieben aber einige Personen. Die Polizei nahm danach mehrmals mit ihnen Kontakt auf. Kurz nach 1500 Uhr wurden drei Personen angehalten und aus medizinischen Gründen durch die Sanitätspolizei ins Spital geführt. Eine weitere Person wurde vorübergehend festgenommen und in eine Polizeiwache gebracht. Zurzeit werden die Personalien der angehaltenen Personen überprüft. Sie werden wegen Verletzung der Parkordnung verzeigt.

---

Bund 2.7.10

Sans-Papiers-Camp

 Keine Furcht vor Zwangsräumung

 Weil das öffentliche Interesse am Sans-Papiers-Camp etwas nachgelassen hatte, suchten die Aktivisten "bewusst" nach Papierlosen. Und sie kamen.

 Mireille Guggenbühler

 Die Sans-Papiers-Aktivisten auf der Kleinen Schanze sind sich uneinig: Ein Teil der rund 150-köpfigen Gruppe möchte heute die Zelte abbrechen. Das entsprechende Ultimatum des Berner Gemeinderats läuft heute Freitag aus. Andere Aktivisten wollen es auf eine Konfrontation mit den Behörden ankommen lassen: Zu verlieren hätten sie sowieso nichts mehr, heisst es. Definitiv entschieden für die eine oder andere Variante haben sich die Aktivisten noch nicht. Am Abend sagte Julia Bader vom Aktionskomitee aber auf Anfrage, man werde "sicher abziehen": "Wir hätten bei einer Konfrontation keine Chance."

 Möglich ist, dass sich die Männer und Frauen eine neue Bleibe suchen. Am ehesten käme wohl eine Kirche infrage. Darin hatten sie sich schon einmal eingerichtet: Im Herbst 2001 besetzten Sans-Papiers und ihre Sympathisanten die Marienkirche in Bern und machten so auf ihre Anliegen aufmerksam.

 Kräftig mobilisiert

 So oder so hat das Kollektiv namens Bleiberecht das Camp definitiv als Plattform entdeckt. Noch in der Wochenmitte flaute das Interesse Betroffener am Camp plötzlich etwas ab, wie Julia Bader sagt. Danach wurde aber kräftig mobilisiert. "Wir sind bewusst auf die Suche nach Sans-Papiers gegangen", sagt Bader. Die Aktivisten fuhren in die Notunterkunftszentren und machten die Bewohner auf ihr Camp in der Bundesstadt aufmerksam. Ob die Aktivisten die Sans-Papiers dazu gedrängt haben, noch ins Camp zu kommen, oder ob die Sans-Papiers selber zum Schluss gekommen sind, das Camp vor Ablauf des Ultimatums noch dazu zu nutzen, auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen, ist unklar.

 Männer im Hungerstreik

 Und so finden sich im Camp nun neu ein Mann aus dem Iran, der in der Schweiz in Basel zu Hause ist, und ein Mann aus Aserbaidschan. Die beiden Männer befinden sich im Hungerstreik. Der Iraner isst seit 29 Tagen nichts mehr, der Aserbaidschaner seit 10 Tagen. Beide Männer stellten in der Schweiz ein Asylgesuch, welches abgelehnt wurde. Und beide legten gegen den Entscheid Rekurs ein. "Sie sehen im Camp eine Möglichkeit, sich etwas Publizität für ihre Anliegen zu verschaffen", sagt Bader. Und die lauten: Beide wollen nicht zurück in ihr Heimatland, aus Angst, erneut verfolgt zu werden, weil sie, wie sie sagen, Regimekritiker sind.

 Da der Gesundheitszustand des Iraners nicht gut ist und er Bewusstseinsstörungen entwickelt hat, haben ihn die Aktivisten bereits zwei Mal in ein Spital gebracht. Infusionen lehnte er dort aber ab. Der Gesundheitszustand des Aserbaidschaners indes ist stabil. Wie und ob sich das Komitee nach Abbruch des Camps weiter um die beiden kümmern wird, konnte Bader (noch) nicht sagen.

--

Bund 2.7.10

Berner Stadtrat lobt Nause für Toleranz

 Besetzung der Kleinen Schanze ist aber umstritten.

 Bernhard Ott

 Erich Hess (SVP) nahm in Sachen Sans-Papiers-Camp auf der Kleinen Schanze kein Blatt vor den Mund: "Es geht so nicht weiter in der Stadt Bern. Dem Recht muss Geltung verschafft werden", sagte er gestern vor dem Stadtrat. Die Besetzer auf der Kleinen Schanze seien illegal dort. Der Gemeinderat hätte umgehend durchgreifen und das Gelände räumen müssen. Hess hatte aus aktuellem Anlass eine Debatte über die Besetzung der Kleinen Schanze durch Sans-Papiers verlangt. Mit 31 zu 27 Stimmen hiess der Rat den Antrag gut. Er wurde auch vom Grünen Bündnis und der äussersten Linken unterstützt.

 "Pubertierende Jugendliche"

 Auf Sympathien stiess Hess' Ansinnen bei Bernhard Eicher (FDP). Der FDP-Vizefraktionschef sprach von einem "Sommertheater pubertierender Jugendlicher", das in der Stadt Bern alle Jahre wieder mal stattfinde. "Das jeweilige Anliegen ist sekundär. Es geht bei den Demonstrationen und Besetzungen um die Herausforderung des Staates und um den Spass." Mit dem Verstreichen des ersten Räumungsultimatums am Montag habe sich der Gemeinderat unglaubwürdig gemacht. "Als Gewerbler hat man sofort die Polizei auf dem Hals, wenn man etwas im öffentlichen Raum organisiert." Für Besetzer linker Couleur habe die Stadtregierung aber offenbar mehr Verständnis, sagte Eicher.

 Robert Meyer (SD) sprach den Sans-Papiers gar das Kundgebungsrecht ab. Wer illegal im Land anwesend sei, dürfe auch nicht demonstrieren. Jimy Hofer (parteilos) stiess sich daran, "dass in dieser Stadt die Spielregeln nicht eingehalten werden". Er frage sich, wer den Strom und die nächtliche Beleuchtung für das Camp zahle. Béatrice Wertli (CVP) betonte, dass die Aktion auch ein Ende haben müsse. "Wir erwarten, dass die Vereinbarung zur Räumung am Freitag eingehalten wird."

 "Wer hier ist, der ist von hier"

 Das Grüne Bündnis (GB) hatte naturgemäss andere Motive als die SVP, der aktuellen Debatte zuzustimmen. Co-Fraktionschef Hasim Sancar wies auf die prekäre Lage der Sans-Papiers hin. "Die Politik muss endlich eine kollektive Lösung für die Sans-Papiers anbieten." Die Kleine Schanze sei nach wie vor zugänglich für alle. "Es ist sogar erwünscht, dass die Leute sich dort informieren." Sancar erinnerte die "Rambos der bürgerlichen Fraktionen" daran, dass auch kommerzielle Anbieter wie die City Beach oder Orange Cinema öffentliche Räume beanspruchten. In diesem Falle werde aber nicht protestiert, sagte Sancar. Tanja Walliser (Juso) beschrieb die Behandlung der Sans-Papiers durch die Schweizer Behörden in drastischer Sprache. Sans-Papiers würden bei ihrer Ausschaffung gefesselt und geknebelt, nachdem sie unter "sklavenähnlichen Bedingungen" hätten arbeiten müssen. Rolf Zbinden (PDA) gab seinen Erwartungen an die Schweizer Behörden in zugespitzter Form Ausdruck: "Wer hier ist, der ist auch von hier."

 Nause will heute hart bleiben

 GFL/EVP-Fraktionschef Peter Künzler lobte den Mut von Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP), die Besetzung zuzulassen. Er rief die Besetzer aber auch dazu auf, die Aktion wieder "würdig" zu beenden. "So würde das Vertrauen des Gemeinderates auch mit Vertrauen beantwortet." Unverhofftes Lob erhielt Nause für sein deeskalatives Vorgehen auch von SP, GB und sogar von ganz linker Seite. "Die Junge Alternative dankt dem Gemeinderat für sein vernünftiges Verhalten", sagte Rahel Ruch (JA).

 Gemeinderat Reto Nause (CVP) wies auf die Gratwanderung zwischen Gewährenlassen und Durchgreifen hin, auf der sich der Gemeinderat befinde. "Ja, die Besetzung ist illegal." Aber es sei auch so, dass der Gemeinderat den regulären Zustand wiederherstellen werde. Wie er das mache, sei allein seine Sache. Es seien die Besetzer selber gewesen, die ihm am Montag das Angebot gemacht hätten, das Camp bis am Freitag, 10 Uhr, zu räumen, sagte Nause. Er habe dem Wunsch entsprochen, auch wenn dies für ihn "an der Grenze des Machbaren" gewesen sei. Da die Aktion aber friedlich sei und es kaum Lärmklagen gebe, habe er das Camp toleriert. "Morgen ist aber fertig." Die Kleine Schanze sei am Wochenende von anderen Veranstaltern gebucht, sagte Nause.

---

BZ 2.7.10

Lob für Nauses Taktik

 Seit Samstag besetzen Bleiberechtkollektive die Kleine Schanze. Gestern befasste sich der Stadtrat mit den Sans-Papiers.

 Das Stadtberner Parlament lobte gestern die Vereinbarung, die Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) mit den Aktivisten auf der Kleinen Schanze getroffen hat. Danach müssen diese heute den Platz Räumen. Die Aktivisten jedoch wollen ihre Aktion "in irgendeiner Form" weiterführen.

 Als Folge der Protestaktion tauchte die Frage auf, warum Sans-Papiers sich bei der AHV anmelden können. "Die Anwendung des AHV-Gesetzes und seiner Ausführungsbestimmungen hängt nicht vom Aufenthaltsstatus einer Person ab", erklärt Andreas Leuenberger von der kantonalen Ausgleichskasse.
 mm/ue

 Seite 7 + 23

--

Stadtrat

 Viel Lob für Nauses Lösung

 Sicherheitsdirektor Reto Nause erhielt vom Parlament viel Lob für die Vereinbarung, die er mit den Aktivisten auf der Schanze ausgehandelt hatte. Nun müssten diese heute friedlich aus dem Park abziehen, fordert der Stadtrat.

 "Es kann nicht sein, dass in der Stadt Bern solche Zustände geduldet werden", befand Erich Hess (SVP) und beantragte gestern eine Diskussion zur Besetzung der Kleinen Schanze. Hess wirft dem Gemeinderat und insbesondere Sicherheitsdirektor Reto Nause "massives Versagen" vor. Dieser hätte "für Recht und Ordnung" sorgen sollen und die Schanze sofort von der Polizei räumen lassen müssen.

 Mehr Lob als Kritik

 Diese Kritik teilte aber die Mehrheit der Stadtratsmitglieder nicht. Im Gegenteil: Nause erhielt viel Lob für seine "mutige Haltung" (Peter Künzler, GFL), seine "deeskalierende Strategie" (Claude Grosjean, GLP) und seinen "pragmatischen Kurs" (Barbara Streit, EVP).

 Ausser von der ganz rechten Seite war völlig unbestritten, dass die Aktivisten ein berechtigtes Anliegen verträten. Sie täten dies zudem auf gute Art. "Ihr Camp ist kein krimineller Akt und nicht störend", sagte Hasim Sancar (GB). Künzler (GFL) hatte sich vor Ort ein Bild gemacht: "Die Demonstranten halten das Gelände sauber, sind nicht aggressiv und fallen im Gegensatz zu manch kommerziellem Event nicht negativ auf."

 FDP ebenfalls kritisch

 Die Kritik der SVP unterstützten die Freisinnigen: "Einmal mehr toleriert der Gemeinderat eine illegale Aktion. Er hat seine Glaubwürdigkeit verspielt", fand Bernhard Eicher. Und der parteilose Jimy Hofer stellte fest, "dass illegale Aktionen immer von der gleichen Seite begangen und von der gleichen Seite toleriert werden".

 Gemeinderat Reto Nause versicherte erneut, dass die Stadt "den regulären Zustand auf der Schanze wieder herstellen wird" und es keine weiteren Fristen mehr gebe. Wer Ruhe und Ordnung wolle, müsse aber eine friedliche Lösung unterstützen. Nun sei es an den Aktivisten, zu beweisen, dass sie das Vertrauen verdient hätten, das ihnen die Stadt entgegengebracht habe.
 
Mirjam Messerli

--

 "Wir machen weiter"

 Die Besetzer der Kleinen Schanze beharren auf ihren Forderungen. In welcher Form ihre Aktion weiter geht, liessen sie offen.

 Seit letztem Samstag besetzen Bleiberecht-Kollektive aus der ganzen Schweiz in einer gemeinsamen Aktion die Kleine Schanze gleich neben dem Bundeshaus. Sie verlangen eine kollektive Regularisierung der über 100 000 Sans-Papiers und abgewiesenen Flüchtlinge in der Schweiz. Dies sei keine utopische Forderung, sondern in vielen Ländern realisiert worden. Die Aktivisten fordern von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf eine Stellungnahme, die bislang verweigert worden sei.

 "Wir wollen die Aktion nicht abbrechen, sondern führen sie in irgendeiner Form weiter", hiess es an der gestrigen Medienkonferenz auf der Kleinen Schanze. Wo und wie dies geschehen soll, liessen die Bleiberecht-Kollektive offen.

 Am Montag hatten die Besetzer mit dem städtischen Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) vereinbart, das Camp bis heute um 10 Uhr aufzulösen.
 hae

---

Le Temps 2.7.10

Les sans-papiers de la Kleine Schanze lèvent le camp

 L'ultimatum expirait à 10h00. Les sans-papiers et leurs sympathisants installés depuis une semaine tout près du Palais fédéral réclament une régularisation collective

ATS

 Les sans-papiers et leurs sympathisants qui occupaient depuis une semaine une partie d'un parc voisin du Palais fédéral à Berne ont commencé vendredi matin à démonter leur camp de protestation. L'ultimatum qui leur avait été fixé arrivait à échéance à 10h00.

 Les militants tirent un bilan positif de leur action. Ce camp de la Kleine Schanze, près du Palais fédéral, est la première étape d'une mobilisation à l'échelle nationale, selon la porte-parole et activiste du mouvement "Bleiberecht" (droit de rester), Sarah Schilliger. D'autres actions sont prévues cet été.

 Les activistes veulent désormais attendre la réaction de la conseillère fédérale Eveline Widmer-Schlumpf, a ajouté Mme Schilliger. Ils ont transmis une lettre à la ministre de la justice, dans laquelle ils demandent de meilleures conditions de vie pour les sans-papiers en Suisse.

 Dans la foulée d'une manifestation, entre 200 et 300 requérants d'asile et activistes campaient depuis le week-end dernier sur la "Kleine Schanze", selon la porte-parole. Celle-ci considère comme un succès la coordination quasi nationale du mouvement "Bleiberecht".

--

Sans-papiers: un dialogue de sourds dans la Kleine Schanze

 Le collectif "Droit de rester" regrette le manque de considération d'Eveline Widmer-Schlumpf. Les services de la ministre contestent ces critiques. Mais qui sont les campeurs?

Valentine Zubler, Berne

 L'événement n'est pas courant en Suisse. Depuis une manifestation ayant eu lieu samedi dernier à Berne, qui aurait réuni selon ses organisateurs plusieurs milliers de personnes, quelque 150 sans-papiers et leurs sympathisants occupent le jardin de la Kleine Schanze, au cœur de la ville, pour réclamer une régularisation collective. Les manifestants quitteront-ils leur campement avant 10h ce matin, comme le prévoit un accord passé avec le directeur de la sécurité de la capitale, le PDC Reto Nause? Si tel est le cas, les occupants seront restés une petite semaine dans le parc jouxtant le Département fédéral des finances. S'ils ne partent pas, la police bernoise a déjà prévenu qu'elle interviendrait.

 Quoi qu'il en soit, les collectifs "Droit de rester", venus de Fribourg, Berne, Zurich et Lausanne, tirent un bilan mitigé. "Cette manifestation a permis de consolider notre action au niveau national, confie Linda Gubler, du collectif lausannois. Mais nous n'avons rien obtenu de la part des autorités. Eveline Widmer-Schlumpf a refusé de nous recevoir parce qu'elle sera en vacances. C'est inacceptable!"

 Mais qui sont ces sans-papiers qui participent à cette action de protestation? Sur les 150 personnes présentes selon Linda Gubler - un chiffre confirmé par la police -, "une moitié est constituée de personnes solidaires du mouvement, et l'autre de sans-papiers. La grande majorité de ces derniers sont des requérants d'asile déboutés, principalement originaires d'Afrique, à savoir du Nigeria, de RDC, de Guinée, d'Erythrée et de Somalie, mais également venus d'Iran, de Syrie ou du Maghreb. Beaucoup sont là depuis plusieurs années, et se sont vu refuser d'être considérés comme des cas de rigueur. Certains sont arrivés plus récemment en Suisse", explique la sympathisante.

 Effectivement, on constate qu'une majorité des personnes présentes sont des hommes, à l'instar de Traouré (prénom fictif), 28   ans, originaire de Côte d'Ivoire et vivant depuis huit   ans en Suisse. Le jeune homme, qui travaillait comme mécanicien dans un garage après son arrivée, a perdu toute autorisation de travailler lors de l'entrée en vigueur de la nouvelle loi sur l'asile. "J'ai demandé à être considéré comme un cas de rigueur. Ma requête a été rejetée, au motif que je ne suis pas assez intégré. Aujourd'hui, je vis avec l'aide d'urgence, soit 9   francs par jour, et je suis hébergé chez des amis."

 La majorité des personnes présentes à la Kleine Schanze ont donc vu leur dossier être examiné par l'Office fédéral des migrations (ODM). En revanche, on y rencontre peu de clandestins qui n'ont jamais eu de contacts avec les autorités, mais qui travaillent sans permis depuis des années en Suisse.

 Eveline Widmer-Schlumpf a-t-elle purement et simplement refusé de recevoir les sans-papiers et leurs sympathisants? Les services de la ministre de la Justice et de la police réfutent ces critiques. "C'est incorrect, répond Brigitte Hauser-Süess, porte-parole du DFJP. Ces personnes ont demandé lundi, par téléphone, si elles pouvaient rencontrer la conseillère fédérale. Mais nous recevons de très nombreuses demandes. Rencontrer un membre du gouvernement n'est pas un droit. Et les rendez-vous s'organisent au moins deux semaines à l'avance. Par ailleurs, lorsque le collectif s'est rendu devant le Département de justice et police (ndlr: mercredi), je leur ai expliqué qu'Eveline Widmer-Schlumpf était en rendez-vous à l'extérieur ce jour-là, et que jeudi et vendredi elle participe à la course d'école du Conseil fédéral. Enfin, la semaine prochaine, elle n'est pas en vacances, mais elle a déjà un programme chargé."

 Si le collectif s'y était pris à l'avance, la ministre aurait-elle reçu les sans-papiers? "Je ne peux pas le dire, mais Eveline Widmer-Schlumpf répondra à cette lettre", ajoute encore Brigitte Hauser-Süess, avant de souligner que le directeur de l'ODM, Alard Du Bois-Reymond, s'est, lui, rendu mardi dernier à la Kleine Schanze pour discuter avec les occupants du parc. "C'est donc faux de dire que personne ne veut les rencontrer."

 La demande des manifestants trouvera-t-elle une réponse positive? Sans se prononcer, Jonas Montani, porte-parole de l'ODM, rappelle que "la Suisse n'a jamais procédé à une régularisation collective de sans-papiers".

---

work 2.7.10

Vuvuzelas tröten für die Sans-papiers

 Rund 5000 Personen demonstrierten in Bern für einen besseren Schutz der Flüchtlinge und forderten ein Bleiberecht für Sans-papiers

 Mit Schlagworten wie Asyl- und Sozialmissbrauch vergiften rechte Politiker das politische Klima.

 Unter dem Motto "Freiheit, Gleichheit, Würde - für mich und dich" haben über 100 Organisationen zur Kundgebung aufgerufen. Darunter auch die Unia. Mit Trillerpfeifen und Vuvuzelas, Transparenten und Hunderten von Fahnen machten am 26. Juni rund 5000 Personen bei schönstem Wetter in der Berner Innenstadt auf ihre Anliegen aufmerksam. Auf zahlreichen Transparenten forderten sie mehr Schutz für Flüchtlinge, Rechte für Sans-papiers und die Weiterführung des Sozialversicherungsabkommens mit Kosovo. Und stellten sich gegen die Ausschaffungsinitiative der SVP.

 "Die rechten Politiker behaupten, es gehe ihnen um Missbrauch und Kriminalität. In Wahrheit vergiften sie bewusst das gesellschaftliche Klima in der Schweiz. Dagegen demonstrieren wir heute", erklärte Hilmi Gashi, Co-Präsident von Solidarités sans frontières und Unia-Sektionssekretär im Berner Oberland. Die fremdenfeindliche Politik der SVP führe dazu, dass immer mehr Asylsuchende ausgegrenzt würden und unter dem Existenzminimum leben müssten.

 Sozialabbau überall

 Die rechte Mehrheit in Bundesrat und Parlament bläst zum Grossangriff auf die soziale Sicherheit. Es fehle am Geld, rechtfertigen bürgerliche Politiker ihren Angriff auf die Renten, die Arbeitslosenversicherung und die AHV. "Wir wehren uns dagegen, dass die Arbeitnehmenden und besonders auch die Migrantinnen und Migranten die Kosten für die Krise bezahlen sollen", hielt die Unia-Migrationssekretärin Cristina Anliker Mansour in ihrer Rede klipp und klar fest. Sie forderte die Kundgebungsteilnehmenden auf: "Stimmen wir am 26. September alle Nein zum Abbau bei der Arbeitslosenversicherung. Nur wenn wir gemeinsam kämpfen, können wir auch gewinnen." (jst)

---

Telebärn 1.7.10

Sans-Papiers-Streit spitzt sich zu
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/sanspapiersstreit-spitzt-sich-zu/c=84713&s=965861

---

bleiberecht.ch 1.7.10
http://www.bleiberecht.ch/2010/07/deutschkurs-auf-dem-bundesplatz/

Deutschkurs auf dem Bundesplatz!

Abgewiesene Asylsuchende und viele, deren Verfahren noch hängig ist, haben nur sehr schwer Zugang zu Deutschkursen.  Um darauf aufmerksam zu machen, fand heute ein Teach-In auf dem Bundesplatz statt. Durchgeführt wurde es in Zusammenarbeit mit der Autonomen Schule Zürich, einem selbstorganisierten Bildungsprojekt für MigrantInnen aus dem Umfeld des Bleiberecht-Kollektivs.

---

fdp-stadtbern.ch 28.6.10

"Brätli-Plausch" auf der Kleinen Schanze: Gemeinderat muss durchgreifen
Der Himmel ist wolkenlos, die Sonne scheint mit voller Kraft und bald beginnen die Sommer-ferien. Verständlich also, wenn es sich viele Menschen mit Zelt, Radio und Bierdose gemüt-lich machen. Genau dies tun seit Samstagnachmittag auch einige dutzend Personen aus dem Kreis der "Bleiberecht-Kollektive" auf der Kleinen Schanze. Allerdings illegal und mit einem angeblich politischen Ziel: Man wolle auf die Situation der Sans-Papiers aufmerksam machen. Was die Aktion den Sans-Papiers konkret bringt, war bis dato bezeichnenderweise nicht in Erfahrung zu bringen. Dies spielt für die Aktivisten wohl aber auch eine untergeord-nete Rolle: Hauptsache, es ist genügend Wurst- und Biermasse vorhanden.

Die FDP Stadt Bern ist der Meinung, für Zelt- und Brätliplausch stehen genügend legale Plätze zur Verfügung. Die Kleine Schanze soll der gesamten Bevölkerung zur Verfügung stehen. Wir erwarten deshalb vom Gemeinderat, dass er geltendes Recht durchsetzt und die kleine Schanze wieder für alle Menschen zugänglich macht - Notfalls mit einer polizeilichen Räumung.

Zudem: Durch diese Aktion wird der Rechtsstaat verhöhnt. Ganze Gelände werden besetzt - und nicht passiert. Rechtsstaat ade. Dabei sind es doch nicht zuletzt die "Entrechteten", "so-zial Schwachen" etc (und gerade auch viele "Sans Papiers", die vorgeben, aus "Unrechts-staaten" zu kommen!), die gerne den Schutz des Rechtsstaates in Anspruch nehmen. Mit dieser Aktion sagen die Aktivisten letztlich an dem Ast, auf dem sie sitzen. Der Rechtsstaat muss nun rasch das Recht durchsetzen - Notfalls mit einer polizeilichen Räumung.

28.06.2010

------------------
ASYL
------------------

10vor10 2.7.10

Zerrissene Familie

Die tschetschenische Familie Asaev durchlebt eine schwere Zeit. Die Eltern sind in einer Psychiatrie in der Schweiz, die jüngeren Kinder in einem Heim und der Älteste wurde nach Polen ausgeschafft. Eine Reportage über den menschlichen Balanceakt des Asylverfahrens.
http://videoportal.sf.tv/cvis/segment/thumbnail/c508bf4e-9238-45b0-a9dc-5ed0b1d957a1?width=173

---

sf.tv 3.7.10

Behörden reissen tschetschenische Familie auseinander

sf/sda/bers/halp

 Eine sechsköpfige Familie aus Tschetschenien, die via Polen in die Schweiz einreiste und auf deren Asylgesuch die Behörden nicht eintraten, ist getrennt worden: Ein inzwischen volljähriger Sohn musste nach Polen ausreisen, beide Eltern sind traumatisiert und in der Psychiatrie. Es bleibt die Frage über die Betreuung der drei minderjährigen Kinder, die alleine auf sich gestellt sind.

 Den Fall publik gemacht haben die Menschenrechtsgruppe Augenauf und die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (SBAA).

 Für Augenauf Bern sei es der erste Fall dieser Art, sagte Katja Boller von der Menschenrechtsgruppe.

 Gemeinsames Asylgesuch gestellt

 Bei der Einreise in die Schweiz im Herbst 2009 seien alle Kinder noch minderjährig gewesen, und die Familie habe ein gemeinsames Asylgesuch gestellt. Die Familie hatte in Polen Asyl erhalten, sich dort aber von Russen verfolgt gefühlt, sagte Boller dazu.

 Michael Glauser, Sprecher des Bundesamtes für Migration (BFM), sagte, im Rahmen des Dublin-Verfahrens habe sich herausgestellt, dass Polen für das Asylverfahren der Familie zuständig sei. Die Schweizer Behörden seien deshalb auf ihr Asylgesuch nicht eingetreten. Das Bundesverwaltungsgericht habe die Wegweisung überprüft und bestätigt.

 Gewalt gegenüber dem Vater angewandt

 Im April hätten der Vater und die drei jüngeren Kinder laut Augenauf Bern und SBAA vom Kanton Bern nach Polen zurückgebracht werden sollen. Die psychisch kranke Mutter blieb in einer Klinik im Kanton Bern. Der älteste Sohn - inzwischen volljährig - wurde vorübergehend in Ausschaffungshaft genommen.

 Gemäss SBAA wurde am Flughafen Gewalt gegenüber dem Vater angewandt, als er Auskünfte über seine Frau und den Sohn erhalten wollte und sich weigerte, aus dem Auto zu steigen. Er sei seither auf den Rollstuhl angewiesen.

 Ein Sprecher der Berner Kantonspolizei sagte dazu, die Überstellung sei wegen nicht näher bekannten Gesundheitsproblemen des Vaters abgebrochen worden.

 Ältester Bruder in Polen

 Der Vater befindet sich nach Angaben von Augenauf inzwischen ebenfalls in einer psychiatrischen Klinik. Anfang Woche wurde der volljährige Sohn, der sich um die jüngeren Geschwister gekümmert hatte, nach Krakau geschickt.

 Die drei jüngeren Kinder wurden laut Boller vorübergehend bei einer ihnen bekannten Privatperson untergebracht. Laut dem Anwalt der Familie ist für den Vater beim Bundesamt für Migration ein Wiedererwägungsgesuch hängig, was dieses bestätigte.

--

Tribune de Genève 2.7.10

Malgré la polémique, sa détention est prolongée

Antoine Grosjean

ASILE Requérant d'asile détenu depuis huit mois à Frambois, I. restera en prison.

 Plusieurs avocatsse sont enfilés dans la brèche, mais pas tous avec le même succès. Hier, la Commission de recours en matière d'asile (CRA) a refusé de libérer I. , ressortissant de la République démocratique du Congo (RDC), détenu à Frambois depuis huit mois. Au contraire, elle a suivi l'Office cantonal de la population (OCP), qui demandait de prolonger de deux mois la détention administrative en vue de son renvoi dans son pays. Le fait que d'autres requérants d'asile détenus à Frambois aient été libérés, au motif que les vols spéciaux sont suspendus depuis la mort d'un Nigérian en mars (lire ci-contre), n'a pas pesé dans la balance.

 Arrivé à Genève en septembre 2009, I. passe d'abord deux mois en détention à l'aéroport, le temps de la procédure d'asile. Celle-ci lui étant refusée, il est transféré à Frambois en vue de son renvoi. Prévu le 19   avril, le vol est annulé à cause du nuage de cendres. Cela est donc remis au 2   mai, mais I. s'oppose à son retour. L'OCP envisage alors un renvoi manu militari, accompagné de policiers mais sur un vol de ligne (l'étape avant les fameux vols spéciaux). Puis cela aussi est annulé car le requérant est finalement d'accord de partir de son plein gré, mais pas avant le 7   juin. Sa femme aurait arrangé dès cette date son accueil en RDC et son transfert au Congo-Brazzaville, où il compte rester jusqu'à la fin des élections en RDC, car il craint pour sa vie. Mais l'OCP lui réserve un vol le 5   juin et I. s'y oppose.

 Conditions pas réunies?

 Désormais, il refuse même d'être renvoyé avant les élections en RDC, en 2011, car son transfert de RDC au Congo-Brazzaville ne serait plus assuré.

 Son retour par vol spécial est cependant prévu pour la deuxième quinzaine d'août, d'où la demande de prolongation de la détention. Hier, devant une dizaine de militants des droits de l'homme venus assister à l'audience, Me Alice Niklewicz a demandé la libération de I. , invoquant un récent arrêt du Tribunal fédéral selon lequel si la probabilité du renvoi est incertaine, la détention administrative doit être levée. "Or, la situation est floue, estime Me Niklewicz. Il n'est pas certain que les vols spéciaux puissent reprendre de sitôt.

 "D'après la Ligue suisse des droits de l'homme, les cantons ne sont pas encore prêts à remplir les nouvelles conditions fixées par la Confédération après la mort du Nigérian (ndlr: présence d'un médecin sur les vols spéciaux et transmission du dossier médical)". De son côté, l'OCP assure que de nouveaux vols spéciaux sont prévus dès juillet, qu'une place est réservée pour I. et que toutes les conditions seront remplies d'ici là.

 S'il part à cette date, I. aura passé en tout un an en prison. Les durées de détention administrative se sont prolongées, atteignant jusqu'à 15 mois (le maximum possible à Genève étant 18 mois), même si la moyenne est de 38 jours à Frambois.

--

 Expulsés libérés!

 Interrompusaprès le décès d'un Nigérian à l'aéroport de Zurich en mars, les rapatriements forcés de migrants déboutés du droit d'asile ont pris du retard. "Ils reprendront en juillet", nous explique Marie Avet, porte-parole à l'Office fédéral des migrations (ODM). Quand exactement? L'ODM n'articule pas de date. Mais entre-temps, plusieurs avocats ont obtenu la libération de leurs clients en détention administrative en invoquant le flou artistique actuel. "Comme la date de renvoi n'est pas précisée par les autorités, deux de mes clients ont récemment retrouvé la liberté, se félicite Me Michel Mitzicos-Giogios. Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, on ne peut détenir quelqu'un sans date officielle de renvoi. D'autres confrères à Genève ont fait de même et ont obtenu des libérations. "

 Que deviendront ces personnes qui devaient initialement être renvoyées? "Elles devront à nouveau être identifiées, interpellées et détenues en vue de leur expulsion. " Et l'avocat de conclure: "Je salue les libérations prononcées par le Tribunal administratif. Une décision qui respecte la loi et les droits de l'homme. "

---

augenauf.ch 2.7.10

Medienmitteilung von augenauf Bern vom 02. Juli 2010

Ausschaffung stürzt Familie ins Unglück

Am Morgen des 29. Juni 2010 wurde der 18-jährige Tschetschene Islam  Asaev von der Kantonspolizei Bern von seinen Geschwistern getrennt und  im Rahmen des Dublin-Abkommens nach Polen ausgeschafft. Angesichts der  Hintergründe des Falles zeichnet sich dieses Vorgehen durch eine  ausserordentliche Härte aus und hat fatale Auswirkungen für die  betroffene Person und ihre Familie.

Seit dem Nichteintretensentscheid des BFM im Januar 2010 muss die  Mutter der sechsköpfigen Familie aus Tschetschenien, Tamara Asaeva, in  der Psychiatrie aufgrund akuter Suizidalität stationär betreut werden.  Trotzdem veranlasste der Migrationsdienst des Kantons Bern im April  2010 die Ausschaffung des Vaters Khuseyn Asaev und der drei  minderjährigen Kinder. Der Versuch endete für den Vater im  Krankenhaus; er kann seither nicht mehr gehen und befindet sich  mittlerweile ebenfalls in der psychiatrischen Klinik. Die vier Kinder  des Ehepaars blieben im Durchgangszentrum Enggistein wohnhaft, wo sich  der älteste Sohn Islam um seine Geschwister kümmerte. Aufgrund der  nicht angekündigten Ausschaffung von Islam Asaev bleiben seine  Geschwister nun unbetreut in der Schweiz zurück. Für die  gesundheitlich schwer angeschlagenen Eltern hatten der Schock der  unerwarteten Trennung und die Ungewissheit über das weitere Schicksal  ihres Sohnes massive Auswirkungen. Die Mutter unternahm infolge der  Ausschaffung einen weiteren Suizidversuch und die psychische  Verfassung des Vaters verschlechterte sich erheblich.

Augenauf Bern ist schockiert über dieses Vorgehen und stellt fest,  dass die Ausschaffungspraxis ungeachtet der Menschenrechte und der  Kinderrechtskonvention betrieben wird. Der 18-jährige Islam wurde von  seiner Familie getrennt und ist in Polen auf sich alleine gestellt.  Zudem ist dieses Vorgehen mit dem Risiko einer Weiterausschaffung nach  Tschetschenien verbunden, wo ihm aufgrund der politischen Aktivität  seines Vaters Haft und Folter drohen würden. Gleichzeitig wurden in  der Schweiz die drei minderjährigen Kinder ihres Bruders und Betreuers  beraubt und die Eltern einem Schock mit massiven gesundheitlichen  Folgen ausgesetzt.

Diese Schicksalsschläge wurden von den ausführenden Behörden bewusst  in Kauf genommen. Einmal mehr zeigt sich deutlich, dass die  schweizerische Ausschaffungspraxis ohne Rücksicht auf persönliche  Schicksale und mögliche Folgen mit aller Härte durchgesetzt wird. Das  Auseinanderreissen dieser bereits schwer traumatisierten Familie ist  für augenauf Bern eindeutig menschenunwürdig und verletzt elementare  Grundrechte.

augenauf Bern

* Medienitteilung von augenauf  (pdf )
http://www.augenauf.ch/pdf/Medienmitteilung_02.07.2010_web.pdf
* Fall-Dokumentation von augenauf (pdf )
http://www.augenauf.ch/pdf/Dokumentation_Familie_Asaev.pdf
* Fall-Dokumentation der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (pdf )
http://www.augenauf.ch/pdf/Beobachtungsstelle_Case117-3.pdf

---------------------
POLICE BE
----------------------

BZ 2.7.10

Strafeinzelgericht Bern-laupen

 "Polizei verprügelte mich"

 Der Kläger sagt, er sei von Polizisten verprügelt worden. Der Staatsanwalt spricht von einem Unfall und fordert Freispruch.

 Die Story, die der 28-jährige Privatkläger schildert, tönt wie eine Szene aus einem brutalen Film. Er, halb Brasilianer, halb Schweizer, sei in einer Januarnacht 2008 auf der Polizeiwache Waisenhausplatz in einem Warteraum zurückgehalten worden. Seine Bitte an die Beamten: ein Glas Wasser. Die Antwort: "Du kannst aus der Toilette trinken", ehe er nach einer kurzen Wartezeit durch die Luke in der Tür doch ein Glas mit lauwarmem Wasser erhielt. Aus Ärger habe er die Flüssigkeit in Richtung des Polizisten geschüttet. Daraufhin sei er von mehreren Polizisten aus der Zelle gezerrt und im Gang verprügelt worden. Die Folgen: Blutergüsse und ein gebrochener Arm.

 "So etwas darf nicht passieren - egal, wie lang das Vorstrafenregister meines Mandanten ist, egal, wie stark betrunken er in dieser Nacht war", sagte der Anwalt des Privatklägers gestern vor dem Strafeinzelgericht VIII Bern-Laupen. Die Polizisten seien zu verurteilen wegen einfacher Körperverletzung, Tätlichkeit und Amtsmissbrauchs.

 Anders tönt die Geschichte aus Sicht der Polizisten: In besagter Nacht rücken sie an die Eigerstrasse aus. Ein Hausbewohner hat sich wegen Lärmbelästigung beschwert und erwähnt, sein Nachbar sei am Spinnen. Die Polizisten treffen auf einen jungen Mann, der zuvor im Ausgang über hundert Franken versoffen und dazu starke Medikamente geschluckt hat. Die Beamten stellen fest, dass der Mann im Fahndungssystem wegen unbezahlter Bussen ausgeschrieben ist und nehmen ihn mit auf die Wache. Im Warteraum erhält er ein Glas Wasser und darf mit dem Handy die Mutter anrufen, um zu fragen, ob sie seine Bussen begleichen könne. Sonst droht ihm als Ersatzstrafe ein Aufenthalt im Gefängnis.

 Ein Beamter verlangt das Handy laut eigenen Angaben zurück. Die Antwort: "Arschloch, hols dir zurück." Als der Beamte die Türe öffnet, wird er angegriffen und fällt hin. Sein Kollege eilt zu Hilfe. Beim Versuch, den Festgehaltenen zu beruhigen, entsteht ein Gerangel, das zum Armbruch führt. Für den Staatsanwalt "ein Unfall". Die Polizisten hätten ohne Vorsatz gehandelt, weshalb der Armbruch keine Körperverletzung sei. Welcher der Versionen Gerichtspräsidentin Christine Schär glaubt? Ihr Urteil gibt sie heute Nachmittag bekannt.
 tob

---

Telebärn 1.7.10

Polizisten verprügeln Mann
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/polizisten-verprugeln-mann/c=84713&s=965864

--------------------------------------
BIG BROTHER SPORT
--------------------------------------

2.7.10

Sicherheitskosten

 Schonfrist für YB und SCB

 Der FC Basel bezahlt ab der Saison 2010/2011 massiv mehr an die Sicherheitskosten. Bern dagegen schont seine Klubs.

 Die Basler bitten ihren Fussballklub zur Kasse. Zwar bezahlt der FCB bereits jetzt bedeutend mehr als die Berner Sportklubs an die Sicherheitskosten. Ab der Saison 2010/2011 hat er sich jedoch bereit erklärt, pauschal Fr. 1.80 pro Matchbesucher an die Sicherheit zu zahlen. Zudem unterschrieben FCB, Basel-Stadt und Baselland eine Vereinbarung, wonach vor jeder Saison ein Sicherheitskonzept ausgearbeitet werden muss, Feuerwerkskörper verboten bleiben und im Stadion nur noch Leichtbier mit weniger als drei Prozent Alkohol verkauft wird. Die Vereinbarung folgt jener, auf die sich Kantone, Fussballverband und Profiliga im April geeinigt hatten.

 In Bern, das wie Basel gewaltbereite Fans kennt, will der Gemeinderat von einer höheren Kostenbeteiligung noch immer nichts wissen. "Unsere Vereinbarungen mit SCB und YB decken sich weitgehend mit dem Mustervertrag", sagt Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP). So gebe es auch in Bern - je nach Lageanalyse der Polizei - in gewissen Stadionsektoren nur Leichtbier. Nauses Ziel ist es, das Polizeiaufgebot an den Sportanlässen herunterzuschrauben. Dafür will er die Lücke im Sicherheitszaun zwischen dem Stade de Suisse und dem Bahnhof Wankdorf schliessen. Für die Kosten von 100 000 bis 200 000 Franken komme YB auf, so Nause. Auch setzt der Sicherheitsdirektor darauf, dass sich die Fanarbeit Bern gegen Pyro bekennt. "Das wäre eine Gegenleistung für die finanzielle Unterstützung der Stadt."

 Dass die Klubs mehr zahlen müssen, sieht Nause als letzte Möglichkeit: "Können wir das Polizeiaufgebot bis Frühling 2011 nicht senken, dann müssen wir mit den Klubs noch mal über ihre Kostenbeteiligung sprechen", sagt der Sicherheitsdirektor.

 Andrea Sommer

----------------------------
BIG BROTHER
-----------------------------

Bund 3.7.10

Staatsschutz

 Früherer Geheimdienstchef verlässt Bundesanwaltschaft

 Nach der Kritik der GPK des Nationalrats gibt Urs von Daeniken sein Amt bei der Bundesanwaltschaft ab. - Seite 9

--

Viele Fichierte haben keinen direkten Bezug zur Schweiz

 Die meisten Fichierten sind Ausländer. Das war schon beim Skandal 1989 so.

 Markus Brotschi

 Von den 120 000 Personen, die Ende 2009 in der Staatsschutzdatenbank Isis figurierten, waren 88 Prozent Ausländer ohne Wohnsitz in der Schweiz. Nur 5 Prozent der Fichierten hatten einen Schweizer Pass. Auch von den 83 000 Drittpersonen ohne "eigene Staatsschutzrelevanz" ist der Grossteil Ausländer. Das dürfte ein Grund sein, warum sich die Empörung über die unkontrollierte Sammelwut in Grenzen hält. Anders war das beim Fichenskandal 1989, der zur Staatsaffäre wurde: Damals waren 150 000 Schweizer registriert - viele wegen angeblicher linker Staatsgefährdung. Zur Publizität der Affäre trug bei, dass über fast alle Parlamentarier eine Fiche existierte.

 Bedrohungen aus dem Ausland

 Allerdings geht vergessen, dass auch 1989 zwei Drittel der 900 000 Einträge Ausländer betrafen. Doch warum richtet der Inlandnachrichtendienst sein Augenmerk so stark auf Ausländer? Der Staatsschutz gibt keine Auskunft. Aufschluss geben jedoch Bedrohungsszenarien im Bericht zur inneren Sicherheit. Im Fokus stehen - neben einem relativ kleinen Kreis inländischer Links- und Rechtsextremer - Bedrohungen mit Auslandbezug: "islamistischer Terrorismus", "organisierte Kriminalität", "politisch motivierter Gewaltextremismus". Entscheidend sind zudem die Quellen. Weder der Inlandnachrichtendienst noch kantonale Staatsschutzorgane dürfen im Ausland Informationen beschaffen. Diese stammen vorwiegend von ausländischen Diensten. Man mag sich fragen, wozu die Schweiz auf Vorrat Namen von Ausländern sammelt. Ein Motiv: Wenn ein bereits vermerkter Ausländer in der Schweiz auffällt, weiss der Staatsschutz, bei welchem ausländischen Dienst weitere Infos zu haben sind. Das Motiv der ausländischen Dienste ist ähnlich: Wer möglichst viele Infos über eine Person gewinnen will, streut den Namen möglichst breit. Damit steigt die Chance, von anderen Ländern Daten zu erhalten. Klar ist, dass diese Art der Datenbeschaffung viel Willkür beinhaltet und viele Personen grundlos fichiert werden. Ein Beispiel für die Zufälligkeit des Datensammelns sind die Fotopasskontrollen an der Grenze: Pässe von Staatsangehörigen bestimmter Länder werden fotografiert, und die Person wird registriert. Angesichts der stichprobenartigen Grenzkontrollen dürfte der Zufall darüber entscheiden, ob jemand erfasst wird. 53 000 Ausländer gelangten in den letzten Jahren in die Datenbank. Wer mehr als zweimal erfasst wird, kommt zu den staatsschutzrelevanten Personen. Im Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation wird das Beispiel eines Ausländers nordafrikanischer Herkunft genannt, der in einem Grenzkanton wohnte und im Nachbarland ein Geschäft führte. Nach dreimaliger Fotopasskontrolle wurde er "staatsschutzrelevant".

--

Hanspeter Thür über die Fichenaffäre

 "Die Aufsicht beim Staatsschutz muss verbessert werden"

 Interview: Fabian Renz

 Herr Thür, wie dramatisch ist das Ausmass der neuen Fichenaffäre?

 Das Ausmass ist ernst. Es beweist, dass die Aufsicht verbessert werden muss. Bei Instrumenten wie der Staatsschutz-Datenbank Isis reichen punktuelle Prüfungen nicht mehr. Wir brauchen eine permanente, systematische Qualitätskontrolle.

 Wer entscheidet eigentlich, ob ein Betroffener über seine Isis-Einträge in Kenntnis gesetzt wird?

 Der Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte. Wer Auskunft will, muss uns gegenüber zwei Dinge genau begründen: erstens, welche Anhaltspunkte er dafür hat, dass er wegen Ausübung seiner demokratischen Rechte fichiert wurde. Und zweitens, warum ihm ein erheblicher, nicht wiedergutzumachender Schaden droht, falls er von einer allfälligen Fichierung nichts erfährt.

 Die Basler SP-Grossrätin Tanja Soland wurde über ihre Fichierung informiert, ihre Ratskollegin Sibel Arslan nicht. Warum im einen Fall Ja und im anderen Nein?

 Ohne Einwilligung der betreffenden Personen kann ich keine Details bekannt geben. Es ist möglich, dass das Gesuch zu wenig gut begründet war. Für einen positiven Entscheid reicht es nicht, an einer Demo beteiligt gewesen zu sein. Ein erheblicher, nicht wiedergutzumachender Schaden muss dargelegt werden. So will es das Gesetz.

 Rechnen Sie nun mit mehr Auskunftsgesuchen?

 Ja, damit rechne ich. Erste Auswirkungen des neuen GPDel-Berichts spüren wir bereits.

---

BZ 3.7.10

Staatsschutz-Affäre

 Von Daeniken gibt seinen Job ab

 Nach der Kritik der GPK tritt Ex-Geheimdienstchef Urs von Daeniken von seinem Amt in der Bundes-anwaltschaft zurück.

 Der frühere Geheimdienstchef Urs von Daeniken wird Opfer der Staatsschutzaffäre. Nachdem die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats (GPK) gestern kritisierte, dass von Daeniken heute für die Reorganisation der Bundesanwaltschaft zuständig ist, gab dieser noch am gleichen Abend das Amt ab.

 Sie habe "mit Befremden" davon Kenntnis genommen, dass das Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) von Daeniken mit der Projektleitung betraut habe, teilte die GPK mit. Denn sie habe "wenig Vertrauen" in ihn. Die GPK forderte das EJPD auf, den Entscheid zu überprüfen. Sie verlangte zudem Auskunft über den Inhalt des Mandats und das Honorar.

 Das Misstrauen begründete die GPK mit den Resultaten einer Untersuchung der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel). Die GPDel hatte am Mittwoch einen Bericht über gravierende Mängel beim Staatsschutz veröffentlicht. Urs von Daeniken zählt sie zu den Hauptverantwortlichen.

 Zum einen hatte von Daeniken in seiner Funktion als Chef des Inlandnachrichtendienstes nicht dafür gesorgt, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten wurden: Der Nachrichtendienst sammelte Daten, ohne sie zu überprüfen. Zum anderen wirft die GPDel von Daeniken vor, dies vertuscht zu haben. Die GPK schreibt dazu in ihrer Mitteilung, von Daeniken habe "gezielt" Abstriche bei der Qualitätskontrolle veranlasst. "Die Vorwürfe wiegen schwer", hält sie fest.

 EJPD teilt Vorbehalte nicht

 Am Abend reagierte das EJPD. Von Daeniken gebe bei der Bundesanwaltschaft die Funktion des Projektleiters ab, teilte es mit. Der 58-Jährige werde im Sinn einer Übergangsregelung durch den Stellvertreter des Bundesanwalts ersetzt. Das EJPD teile die Vorbehalte der GPK gegen von Daeniken zwar nicht. Es sei aber bereit, zusammen mit der GPK für das Projekt bei der Bundesanwaltschaft eine Lösung zu finden, die das Vertrauen der GPK geniesse. Im Rahmen seiner Anstellung im EJPD habe von Daeniken seit Januar 2009 keine Aufgaben mehr im Zusammenhang mit sensiblen Daten oder Informationssystemen, hält das EJP fest. Vielmehr erfülle er in einzelnen Projekten organisatorische, administrative und unterstützende Aufgaben. Dabei "gab und gibt es keine Probleme".
 sda

--

Staatsschutz

 Blocher: Fichen sind kein Problem

 Alt-Bundesrat Christoph Blocher sieht in den Problemen mit der Staatsschutz-Datenbank keinen neuen Fichenskandal. Auf den Vorwurf, es habe an Kontrollen bei der Registrierung gemangelt, ging er in einem Interview auf Teleblocher nicht direkt ein. Er kritisierte, dass er als damals zuständiger Bundesrat von der GPDel nicht angehört worden sei.
 sda

---

Tagsanzeiger 3.7.10

Fichenskandal Vor zwanzig Jahren gingen die Wogen hoch - heute bleibt es ruhig. Das verwundert nicht.

 Sicherheit über alles

Von Hannes Nussbaumer

 Die Schweiz, "1848 eine grosse Gründung des Freisinns", sei heute "ein verluderter Staat". Das Einzige, was ihn mit diesem Staat noch verbinde, sei "ein Reisepass (den ich nicht mehr brauchen werde)". So schrieb im Frühjahr 1991 der todkranke Max Frisch. Sein Zorn wurzelte im Umstand, dass dieser Staat 900 000 Personen, vornehmlich solche linker Gesinnung, fichiert hatte - auch ihn selbst: Frischs Fiche enthielt über hundert Einträge.

 Der Zorn stand exemplarisch für die damalige Stimmung im Land. Das Fichendepot, welches die zur Untersuchung des Justiz- und Polizeidepartements formierte Parlamentarische Untersuchungskommission entdeckt und im Herbst 1989 publik gemacht hatte, löste ein politisches Erdbeben aus. Es kam zu Grossdemonstrationen; eine Initiative zur Abschaffung der politischen Polizei wurde lanciert; die Unterschriften kamen im Schnellzugstempo zusammen. Und die Kulturschaffenden beschlossen, die für 1991 anberaumten Feiern zum 700-Jahr-Jubiläum der Schweiz zu boykottieren.

 Freiheit gegen Überwachung

 Zwanzig Jahre später kommt ein neuer Fichenskandal ans Tageslicht. Sein Umfang ist etwas bescheidener (es geht "nur" um 200 000 Fichen), doch die Umstände sind vergleichbar: Wieder wurden auf Vorrat Personendaten zusammengetragen. Wieder fehlten die gesetzlichen Grundlagen.

 Doch dieses Mal: keine Demonstrationen und kein Intellektuellenprotest. Nur sommerliche Ruhe. Kein Wunder: Die späten 80er- und frühen 90er-Jahre waren Aufbruchsjahre. Der Kalte Krieg war vorbei, die Angst vor dem bösen Feind aus dem Osten verflogen; ein frischer Wind zog durchs Land, beflügelte das progressive Lager und brachte den einst betonharten Schweizer Bürgerblock ins Wanken. In dieser Umbruchszeit stand der monumentale Überwachungseifer der Staatsschützer für das Alte, Vergangene, Überholte. Der öffentliche Zorn verdeutlichte vor diesem Hintergrund nicht nur die echte und berechtigte Empörung über die illegale Schnüffelei. Er war auch Ausdruck des neuen, freiheitlichen Zeitgeists - und damit gleichzeitig eine Abrechnung mit den kalten Kriegern der Vergangenheit.

 Von der Unbeschwertheit von damals ist zwanzig Jahre später nicht mehr viel übrig. Seit dem 11. September 2001 ist die Terrorismusbekämpfung zu einem politischen Schlüsselthema geworden. Dass viele Menschen verunsichert und verängstigt sind, hat freilich nur am Rand mit Grossterrorismus im Al-Qaida-Format zu tun. Vielmehr fürchtet sich die Öffentlichkeit ganz generell vor Kriminellen, vor Taschendieben, Schlägertypen, Pädophilen et cetera. Für zusätzliche Verunsicherung sorgt die ungewisse wirtschaftliche Zukunft: Kommt die Erholung? Oder ein zweiter Absturz? Und ist meine Stelle dann noch sicher?

 Die Politik spiegelt das Sicherheitsbedürfnis: Ob Verwahrungsinitiative, Unverjährbarkeitsinitiative, biometrischer Pass, Videoüberwachung - egal, was unter dem Titel "mehr Sicherheit" verkauft wird: Die Bevölkerung stimmt zu. Sogar dann, wenn damit der Rechtsstaat geritzt wird. Dass die Verwahrungs- und die Unverjährbarkeitsinitiative das Völkerrecht verletzten, hielt die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer nicht davon ab, Ja zu stimmen.

 Entheiligter Rechtsstaat

 Stand der Zeitgeist nach 1989 im Zeichen der Freiheit, so steht er jetzt im Zeichen der Sicherheit. Mit der Folge, dass die Staatsschutz-Fichen dieses Mal perfekt zur politischen Stimmung passen. Darum die ausbleibende Entrüstung. Dass auch die fehlende gesetzliche Grundlage ohne grössere Resonanz bleibt, erstaunt nach den Erfahrungen mit Unverjährbarkeits- und Verwahrungsinitiative ebenfalls nicht. Früher war den Schweizern der Rechtsstaat heilig. Diese Zeiten sind vorbei.

 Deswegen die Staatsschützer zu beschuldigen, wäre jedoch unfair. Sie tun, was die Politik von ihnen verlangt. Und die Politik tut, was wir von ihr verlangen: für so viel Sicherheit zu sorgen, wie menschenmöglich ist. Würden wir lernen, mit etwas mehr Unsicherheit zu leben, bekämen wir dafür etwas mehr Freiheit. Es wäre ein lohnender Tausch.

---

Le Temps 3.7.10

Fiches: les détails d'un fiasco

 Des morts considérés comme dangereux pour la sécurité de l'Etat, des organisateurs de manifestations autorisées fichés, le rapport révèle une foule d'informations accablantes

Denis Masmejan

 Cinq personnes seulement, représentant 4,6 équivalents plein-temps. Toutes ces dernières années, cette poignée de collaborateurs du service de renseignement intérieur, très rapidement dépassés par la tâche, auraient dû s'assurer à eux seuls que les informations enregistrées dans les fichiers de la protection de l'Etat respectaient le cadre légal mis en place après l'affaire des fiches.

 La mission s'est révélée impossible. Le rapport de l'organe parlementaire de surveillance des services secrets rendu public mercredi se montre très sévère avec Urs von Däniken. L'ancien chef du renseignement intérieur, le Service d'analyse et de prévention (SAP), est accusé de s'être déchargé de cette tâche essentielle sur des collaborateurs subalternes, en effectifs insuffisants et peu sensibilisés aux enjeux juridiques, éthiques et politiques de leur travail.

 Le rapport livre une foule de détails illustrant les dérives d'une bureaucratie incontrôlée. Les informations saisies dans le fichier de la sécurité de l'Etat ISIS de vaient faire l'objet d'un contrôle ultérieur de conformité, mais ce contrôle, mal organisé, est resté sporadique. Les vérifications périodiques de la validité des données imposées par la législation en vigueur, n'ont pu être réalisées en temps voulu. Pour régulariser la situation, le SAP est allé jusqu'à faire inscrire des contrôles fictifs dans le système.

 Le manque d'actualisation des informations enregistrées dans le fichier s'est fait cruellement sentir. Les parlementaires ont pu identifier plus d'une dizaine de morts restés fichés durant plusieurs années. Dans un cas, les limiers du renseignement ne se sont pas contentés d'oublier le défunt dans leurs fichiers: à deux reprises, post mortem, son profil a été considéré comme sensible du point de vue de la protection de l'Etat. Des éditeurs de journaux ont également été fichés, non parce qu'ils étaient considérés comme dangereux, mais parce que certains articles parus dans leurs publications ont été enregistrés par le SAP.

 Dans une décision non publiée, le Tribunal administratif fédéral a estimé cette pratique contraire à la loi. Le rapport parvient à la même conclusion et demande que l'on renonce à l'enregistrement de "tiers" simplement parce qu'ils ont été à un titre ou à un autre en relation avec des personnes fichées. Cette pratique a conduit à des résultats aberrants. C'est ainsi que le divisionnaire Peter Regli, l'ancien chef du renseignement extérieur, s'est retrouvé fiché en raison de ses contacts avec l'Afrique du Sud et de ses liens avec Jürg Jacomet, personnage trouble qui avait présenté au militaire suisse le Sud-Africain Wouter Basson, le "Docteur de la mort" chargé de développer un programme de guerre bactériologique au temps de l'apartheid.

 D'autres individus ne représentant aucune menace pour la sécurité intérieure ont passé du statut de tiers à celui de personne potentiellement dangereuse. Plus de deux mentions comme tiers entraînent en effet une inscription au fichier des personnes à risques. A plus de 60   ans, la militante bâloise Anni Lanz, docteur honoris causa de l'Université de la ville rhénane, a ainsi été fichée pour son appartenance supposée au Black Block. Le rapport note qu'aucune information en possession du SAP ne lui permettait de tirer cette conclusion, au demeurant invraisemblable, le Black Block étant formé en grande majorité d'hommes âgés d'une vingtaine d'années.

 Les organisateurs de manifestations dûment autorisées se sont parfois retrouvés fichés. Le SAP enregistrait en outre toutes les personnes sur lesquelles des services étrangers lui demandaient des renseignements, même lorsqu'il n'en possédait aucun. Devant les parlementaires, Urs von Däniken a soutenu qu'il fallait cesser de considérer le fait d'être fiché comme "une tare" et a défendu l'enregistrement de données "à décharge".

--

 Confiance retirée à Urs von Däniken

 Urs von Däniken ne dirigera plus la réorganisation du Ministère public fédéral en vue de la prochaine intégration des juges d'instruction fédéraux au sein du parquet. Le Département fédéral de justice et police s'est immédiatement plié vendredi aux injonctions de la commission de gestion du Conseil national et a retiré à l'ancien chef du renseignement la fonction qui lui avait été confiée en avril, tout en prenant sa défense. Quelques heures plus tôt, la commission avait pris acte "avec stupeur" du fait que le département d'Eveline Widmer-Schlumpf avait confié à Urs von Däniken la supervision de la réorganisation du Ministère public et prié la ministre de la Justice de revoir sa décision compte tenu des graves reproches à son encontre figurant dans le rapport rendu public cette semaine. Urs von Däniken avait dû abandonner la tête du renseignement intérieur l'an dernier déjà, au moment où son service a été transféré du Département de justice et police à celui de la Défense. Mais il était resté au service du DFJP.

--

Editorial

 A quand des services secrets intelligents?

 Après l'affaire des fiches, en 1989, la protection de l'Etat devait être repensée

Par Denis Masmejan

 Après l'affaire des fiches, en 1989, la protection de l'Etat devait être repensée. Les menaces devaient être évaluées sur des bases nouvelles. On sait aujourd'hui que cet exercice a échoué. Les autorités fédérales n'ont pas su placer les personnalités adéquates aux commandes de l'appareil sécuritaire. Les ministres responsables, soit, pour la période déterminante, Ruth Metzler puis Christoph Blocher, ont fait preuve d'une absence d'esprit critique difficilement compréhensible s'agissant du fonctionnement d'un service dont les ratés pouvaient les exposer à de gros risques.

 Les précautions avaient été prises, croyait-on, pour que le scandale des fiches ne se reproduise pas. Les services concernés avaient été réorganisés, et une loi encadre, depuis 1998, la récolte d'informations par le renseignement intérieur, longtemps laissée à la seule appréciation de l'appareil policier. Cette loi, vient de révéler le rapport d'enquête de l'organe parlementaire de contrôle des services secrets, n'a pas été respectée. De très nombreux renseignements sur des personnes et des organisations ont été versés dans le fichier de la protection de l'Etat sans vérification préalable ni contrôle ultérieur. Des événements dépourvus de pertinence ont entraîné une mention au fichier.

 Comme si rien n'avait fondamentalement changé depuis le scandale des fiches, c'est à nouveau l'incompétence des organes chargés de la sécurité qui choque autant que l'atteinte aux libertés individuelles. Dans l'intervalle, il est vrai, quelques fiascos retentissants, telle l'affaire de la "taupe" du Centre islamique de Genève, laissaient présager quel amateurisme continuait à imprégner le renseignement intérieur. Qui n'a pas réussi sa mue.

 Cet échec en entraîne un autre. Car la gabegie traduit des faiblesses considérables dans le dispositif par lequel la Suisse doit être en mesure de préserver sa sécurité et de détecter les risques qui pourraient la compromettre. Comme n'importe quel pays, elle a en effet besoin d'un renseignement performant et orienté vers les vraies menaces. La sécurité est donc, à côté des personnes indûment fichées, l'autre victime de l'incurie des services longtemps dirigés par Urs von Däniken. Réorganisé à nouveau, désormais rattaché au Département de la défense, le renseignement saura-t-il enfin se montrer à la hauteur de sa mission?

---

Blick 3.7.10

Fichenskandal

 Maurer ist der Hoffnungsträger

 Nach dem neuen Fichenskandal muss VBS-Chef Ueli Maurer aufräumen. Mit dem seit gestern nicht mehr vom Bund beschäftigten Urs von Daeniken ist erst einer der alten Fichenfritzen weg.

 Die Untersuchung der Geschäftsprüfungsdelegation zieht ein vernichtendes Fazit: Auch 20 Jahre nach der ersten Fichenaffäre fichiert der Staatsschutz hemmungslos, blind und oft illegal (BLICK berichtete). Bereits hat der Inlandnachrichtendienst DAP wieder 200 000 Personen oft unüberprüft fichiert. "Seit der Fichenaffäre hat kein Kulturwandel stattgefunden", bilanziert GPDel-Präsident Claude Janiak. Wird jetzt endlich alles besser?

 Die Chancen stehen schlecht. Zwar ist der DAP seit Anfang Jahr im neuen Nachrichtendienst des Bundes (NDB) aufgegangen. Aber ein Blick in den Staatskalender zeigt, dass viele leitende DAP-Leute weiterhin am Werk sind.

 Besonders exponiert ist Jürg Bühler.

 Er war erster Stellvertreter von DAP-Chef Urs von Daeniken, heute ist er Vizedirektor NDB. Bühler wollte Direktor werden, aber VBS-Chef Ueli Maurer war seine Sammelwut nicht geheuer. Bühler vertrat gegenüber der GPDel etwa die Ansicht, dass die Bearbeitung von nicht relevanten und falschen Daten für die betroffene "Person noch keine schwere Persönlichkeitsverletzung" darstelle, solange die Bearbeitung intern sei und die Daten nicht gegen die Person verwendet würden.

 Weitere DAP-Spitzenleute, die sich im GPDel-Bericht keine Lorbeeren holen, sind Philipp Kronig und Daniel Greiner. Sie sind weiterhin für das Informationsmanagement zuständig.

 Mindestens zwei weitere Leute, die beim DAP die schlampige Arbeit mitverantworten, sind auch beim NDB wieder tätig. Möglich macht das Markus Seiler, Chef des neuen NDB und Ex-Generalsekretär im Verteidigungsdepartement.

 Weiterhin für den Bund am Werk, wenn auch nicht mehr im Bereich Fichen, ist Ex-DAP-Chef Urs von Daeniken selbst. Er leitet das Projekt zur Ausgliederung der Bundesanwaltschaft aus der Verwaltung. Gestern stellte die GPDel in einem ungewöhnlich deutlichen Communiqué klar: Dieser Mann muss weg! Man habe "wenig Vertrauen" in den skandalerprobten Schlapphut. Am Abend reagierte das Justizdepartement: Von Daeniken ist ab sofort nicht mehr für den Bund tätig.

 Ebenfalls noch am Werk ist Jean-Luc Vez, Direktor des Bundesamts für Polizei (Fedpol). Der sammelwütige DAP war direkt in seinem Verantwortungsbereich angesiedelt: Vez wusste alles, unternahm aber nichts. Der Mann versteht es immer wieder, Affären durch andere ausbaden zu lassen. Weg ist Christoph Blocher, der ebenfalls nichts gegen die Schlamperei unternahm - was er allerdings gestern in seinem Internet-TV ganz anders sah.

 Mit Hinweis darauf, dass der GPDel-Bericht derzeit zur Beantwortung beim Bundesrat liegt, wollte ein NDB-Sprecher die Frage nach personellen oder anderen Konsequenzen nicht beantworten.

 Sicher ist: SVP-Bundesrat Ueli Maurer, an dessen Departement der NDB angehängt ist und in den die GPDel grosse Hoffnung setzt, hat noch viel zu tun. Sonst kommt die nächste Fichenaffäre so sicher wie das Amen in der Kirche.

 Henry Habegger

---

10vor10 2.7.10

Urs von Daeniken tritt ab

Der Chef des Dienstes für Analyse und Prävention kündete seinen Rücktritt an. Von Daeniken war von der Geschäftsprüfungsdelegation jüngst heftig kritisiert worden, weil er bei der Anlegung von Fichen über Personen aus der Schweiz seine Aufsichtspflicht verletzt haben soll.
http://videoportal.sf.tv/video?id=b04eda90-1d35-4e37-b0da-29c7c90b9960

---

Tagesschau 2.7.10

Erste Konsequenzen aus Fichenskandal

Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats kritisiert, dass der ehemalige Chef des Inland-Nachrichtendienstes, Urs von Däniken, die Reorganisation der Bundesanwaltschaft betreut. Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf soll diese Besetzung überprüfen.
http://videoportal.sf.tv/video?id=67235fa4-7a02-4b0e-bb9e-aa2a39c70f58

---

Bund 2.7.10

Es reicht ein Demo-Gesuch - oder ein "versuchter Tortenwurf"

 Zehntausende von Personen hat der Geheimdienst fichiert. Drei Beispiele von Betroffenen.

 Alain Zucker, Fabian Renz und Thomas Knellwolf

 Wie gefährlich muss man sein, um einen Eintrag in der Staatsschutzkartei Isis zu erhalten? Die Antwort ist so einfach wie beunruhigend: in einigen Fällen gar nicht. Wie Ermittlungen der parlamentarischen Geschäftsprüfungsdelegation zeigen, hat der Geheimdienst über Jahre unkontrolliert Daten zu rund 200 000 Personen angehäuft - darunter sind viele Unbescholtene ("Bund" von gestern). In den meisten Fällen erfahren die Betroffenen auch auf Nachfrage nichts über das Vorhandensein der sie betreffenden Fiche (Karteikarte). Denn ihre Ansprechperson, der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte, darf laut Gesetz nur ausnahmsweise - und nur ungefähre - Auskunft geben: dann nämlich, wenn keine Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit zu befürchten ist und dem Fichierten ein "erheblicher, nicht wieder gutzumachender Schaden" droht. Einige Fälle sind inzwischen bekannt, bei denen von dieser Ausnahmebestimmung Gebrauch gemacht wurde. Sie vermitteln einen Einblick in die Sammelprinzipien des Geheimdienstes:

 Tanja Soland: Das "Vergehen" der Basler SP-Grossrätin Tanja Soland bestand darin, dass sie sich im Vorfeld einer Demonstration von 2007 als Vermittlerin gegenüber der Polizei betätigte. Von ihrer Fichierung im Isis erfuhr Soland im September 2008; Anlass zur Nachfrage waren die Methoden des Basler Staatsschutz-Ablegers, die eine Untersuchung des Kantonsparlaments entlarvt hatte. Solands Fiche, nach den erwähnten Demo-Gesprächen mit der Polizei 2007 angelegt, soll inzwischen zwar gelöscht sein. Für Soland bleiben aber viele offene Fragen: Weshalb wurde ihre Tätigkeit als gefährlich eingestuft? Wie und wann hat die Basler Polizei dem Geheimdienst ihren Namen übermittelt? Und warum wurde von allen Teilnehmern der erwähnten Vermittlungsgespräche gerade sie fichiert und andere nicht?

 Einige der Involvierten wissen freilich noch weniger als Soland. So wurde der Grossrätin Sibel Arslan, die ebenfalls an der Vorbereitung der fraglichen Demonstration beteiligt war, bis heute nie mitgeteilt, ob sie fichiert ist. Warum Arslan keine Auskunft erhielt, Soland dagegen schon, war beim Datenschutzbeauftragten gestern nicht zu erfahren.

 Balthasar Glättli: Auch Glättli, Generalsekretär des Vereins Solidarité sans Frontières und grüner Zürcher Gemeinderat, geriet durch seine politische Tätigkeit ins Visier der Staatsschützer. Glättli erfuhr auf Anfrage, dass er im Isis als Gesuchsteller für eine im Jahr 2005 durchgeführte Demonstration in Zürich verzeichnet war. Der Anlass hatte mit Bewilligung der Behörden stattgefunden und war friedlich verlaufen. Über genauere Informationen zu seiner Fichierung verfügt Glättli nicht. Auch weshalb in seinem Fall dem Auskunftsersuchen stattgegeben wurde, weiss er nicht. Er stellte auch einen Antrag auf volle Akteneinsicht, der jedoch abschlägig beantwortet wurde. Letztes Jahr erhielt der grüne Politiker dann eine Meldung, wonach sein Isis-Eintrag gelöscht worden sei.

 Dinu Gautier: Der 26-jährige Inlandredaktor der "Wochenzeitung" hatte als vormaliger linker Politaktivist mehrere Begegnungen mit der Polizei - die ihm prompt eine umfangreiche Kartei beim Geheimdienst einbrachten. 2009 erhielt er vom Datenschützer Auskunft darüber. Archiviert ist demnach eine ganze Reihe von Aktionen Gautiers, die von den Bundesbeamten offenbar als staatsbedrohlich eingestuft werden:

 "Besetzung des Seco-Gebäudes in Bern": Gautier hatte sich als Globalisierungskritiker an der kurzen Besetzung vom 1. September 2003 mitbeteiligt.

 "In Landquart durchgeführte Personenkontrolle im Rahmen des WEF 2004": Im Januar 2004 kesselte die Bündner Polizei WEF-Gegner in Landquart ein. Auch Gautier war anwesend.

 "Versuchter Tortenwurf gegen eine Magistratsperson": Nach der Wahl der Bundesräte Merz und Blocher kopierte Gautier internationale Dada-Aktivisten: Am 3. Mai 2004 versuchte er, Hans-Rudolf Merz mit einer Torte zu bewerfen.

 "Ausschreitungen in Bern anlässlich einer unbewilligten Gegenveranstaltung": Am 6. Oktober 2007 artete in Bern eine Anti-SVP-Demo zur gewalttätigen Kundgebung aus. Gautier wurde damals als Kontaktperson zwischen den Demo-Organisatoren und der Polizei zur Rechenschaft gezogen und gebüsst.

 "Eindringen auf das Gelände der Schweden-Residenz": Aus Protest gegen die SVP-Plakate mit den schwarzen Schafen baten Gautier und andere am 26. Oktober 2007 symbolisch in der schwedischen Botschaft um Asyl. Laut Gautier gab es weder mit der Polizei noch mit dem Botschaftspersonal irgendwelche Zusammenstösse. "Der Botschafter hat uns eine Woche später sogar zum Tee eingeladen."

--

 Keine Sofortmassnahmen Datensammeln geht weiter

 Sofortmassnahmen trifft der Bundesrat nach der Veröffentlichung des Berichts der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) über Missstände beim Schweizer Staatsschutz keine. Der Inlandnachrichtendienst kann also vorerst weiterhin Daten über "staatsschutzrelevante" Personen sammeln, ohne dass die ordnungsgemässe Überprüfung der Daten sichergestellt ist. Bewegung in die Sache dürfte erst im Herbst kommen. Dann soll die von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf am Mittwoch erwähnte Revision der Verordnung über den Nachrichtendienst in Kraft treten. Laut Widmer-Schlumpf bringt die Revision unter anderem Verbesserungen bei den Staatsschutzaktivitäten der Kantone. Zudem werde das Auskunftsrecht geändert: Wer wissen wolle, ob der Nachrichtendienst über ihn Daten sammle, habe künftig das Recht, dies zu erfahren.

 Zur linken Kritik an der unkontrollierten Datensammlung des Nachrichtendienstes kamen gestern auch bürgerliche Forderungen. Aus den Skandalen der Vergangenheit sei nichts gelernt worden, kritisierten CVP und FDP. Die CVP zeigte sich "über den neuerlichen Fichenskandal mehr als irritiert". Der Bundesrat müsse auf die Empfehlungen der GPDel rasch reagieren und die Verwaltung der Daten verbessern. Der Bundesrat stellte seine Antwort zum GPDel-Bericht für Oktober in Aussicht. (sda/br)

--

Fichenskandal II Er hat noch nicht das Ausmass des Skandals von 1989 erreicht. Doch das Missbrauchpotenzial ist heute grösser.

 Gefahr aus dem Computer

Paul Günter*

 1989 setzte das Parlament eine Untersuchungskommission (PUK) ein, um mögliche Verfehlungen der Vorsteherin des Justizdepartements, Elisabeth Kopp, unter die Lupe zu nehmen. Im Rahmen dieser Untersuchung beurteilte die PUK auch die Arbeit der Bundesanwaltschaft und der Bundespolizei. Der Besuch bei der Bundespolizei war folgenschwer: Die dortigen Entdeckungen veränderten alle weiteren Untersuchungen. Es war zum einen die ungeheure Zahl von fast einer Million Fichen, die schockierte, zum andern aber auch die Inhalte, welche über die einzelnen Parlamentarier angelegt worden waren.

 Identische Missstände

 Die PUK-Mitglieder hatten während des langen Vortrags des Verantwortlichen bei der Bundespolizei nach ihren eigenen Fichen in den Karteikästen gesucht. Ein böses Erwachen war die Folge. Es fanden sich verleumderische Einträge, grosse Ungenauigkeiten, schludrige Angaben. Noch am gleichen Tag fasste die PUK den Entscheid, der Sache auf den Grund zu gehen.

 In der Folge schwappte die Fichenaffäre auf die Kantone über und zeigte auch dort ein beängstigendes Bild. Allein im Kanton Bern waren über 100 000 Personen fichiert.

 Und heute? Es ist erschreckend, dass im aktuellen Bericht der Delegation der Geschäftsprüfungskommission fast identische Missstände aufgelistet sind. Dies, obwohl nach der Arbeit der PUK 1989 eine Qualitätskontrolle der Eintragungen durch die Behörden und eine verschärfte Kontrolle des ganzen Apparates durch das Parlament eingerichtet wurden. Die Geschäftsprüfungsdelegation erhielt mehr Kompetenzen, was ihr annähernd den Status einer PUK verlieh. Nicht zuletzt diese Kompetenzen ermöglichten es im aktuellen Fall, die Verfehlungen aufzudecken.

 Die verbesserte Qualitätskontrolle sollte Gewähr bieten, dass Ficheneinträge berechtigt waren. Ex-Bundesrat Christoph Blocher, einstiger Vorsteher des Justizdepartements, zog aber die Leute, welche die Qualität der Eintragungen hätten sicherstellen sollen, von ihrer eigentlichen Arbeit ab und beauftragte sie mit der Übertragung der gesammelten Papierdaten ins elektronische System. Der Rest der Mannschaft des Nachrichtendienstes fichierte unkontrolliert weiter.

 Computer, die mit falschen Daten gefüttert werden, spucken falsche Resultate aus. Ein Staatsschutz, der auf falschen Daten basiert, gefährdet letztlich auch die Sicherheit des Landes.

 Mehr Kontrolleure!

 Auch wenn sich eine jüngere Generation an den Austausch persönlicher Daten mit der halben Welt gewöhnt hat, braucht es für den Staatsschutz eine Vertrauensbasis in der Bevölkerung. Niemand weiss, welche Halbwahrheiten in ausländischen Geheimdienstarchiven landen. Die Schweiz, die ihre Mitarbeitenden in alle Welt aussendet, kann sich einen schlampigen Nachrichtendienst nicht leisten. Das ist zu gefährlich.

 Das elektronische System ISIS-NT sollte so programmiert werden, dass überprüft werden kann, wer welche Daten abgerufen hat. Dies fördert die Qualitätsüberwachung und erleichtert die parlamentarische Kontrolle. Bei fehlerhaften Fichen können allfällige Folgen für die Betroffenen erkannt und korrigiert werden.

 Gefordert werden muss eine personelle Aufstockung der internen Qualitätskontrolle. Die Delegation der Geschäftsprüfungskommission braucht genügend Mittel, um regelmässige Prüfungen vorzunehmen. Und das Parlament soll Persönlichkeiten in die Geschäftsprüfungsdelegation entsenden, die Biss haben und bei Missständen entschlossen durchgreifen. In der jetzigen Zusammensetzung unter dem Präsidium von Claude Janiak ist diese Forderung offensichtlich erfüllt.

 Paul Günter, ehemaliger SP-Nationalrat des Kantons Bern, war Mitglied der PUK, die 1989 die Fichenaffäre untersuchte.

--

Urs von Daeniken

 Nach zwei Fichenaffären sammelt er keine Daten mehr

 Urs von Daeniken ist der Hauptakteur der jüngsten Fichenaffäre. Er stand 27 Jahre im Sicherheitsdienst.

 Markus Brotschi

 Unter Urs von Daeniken hat der Inlandnachrichtendienst in den letzten Jahren Zehntausende von Personen registriert. Bei einem Grossteil von ihnen wurde nicht überprüft, ob sie eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellten - obwohl diese Überprüfung gesetzlich vorgeschrieben ist.

 Schon beim Fichenskandal der 80er-Jahre war ein Grossteil der Daten von zweifelhaftem Wert. Auch damals spielte von Daeniken eine wesentliche Rolle. 1989, als die umfangreiche Sammlung der Bundespolizei (Bupo) aufflog, war er Stellvertreter von Bupo-Chef Peter Huber. Dessen Mitarbeiter hatten während des Kalten Krieges 900 000 Karteikarten (Fichen) angelegt. Im Kampf gegen linke Umtriebe wurden Bürgerinnen und Bürger bei politischen Aktivitäten bespitzelt. Dabei gelangten auch lächerliche Details aus dem Privatleben in die Karteien. Damals wie heute war der grösste Teil der Registrierten Ausländer.

 Trotz Fichenskandal befördert

 Der Fichenskandal kostete Huber den Job. Von Daeniken jedoch rückte auf den Chefsessel nach. 2001 wurde die Bundespolizei in den Dienst für Analyse und Prävention (DAP) übergeführt. Diesen leitete der Fürsprecher aus Solothurn bis Ende 2008. Für den grünen Nationalrat Daniel Vischer (ZH) ist es unerklärlich, dass von Daeniken trotz Fichenaffäre noch 20 Jahre im Amt bleiben konnte. Ein Grund könnte sein, dass er in den 90er-Jahren mit dem DAP eine gewisse Zurückhaltung pflegte. Beachtung fanden allenfalls die jährlichen Extremismusberichte. Mit den Anschlägen vom 11. September 2001 gewann der DAP wieder an Bedeutung. Von Daeniken verlangte im Kampf gegen den Terrorismus mehr Mittel. Seine Forderung nach präventiver Telefonüberwachung wurde aber vom Parlament abgelehnt.

 Auf Anfang 2009 wurde der Inlandnachrichtendienst ins Verteidigungsdepartement transferiert, wo der Auslandnachrichtendienst angesiedelt war. Diese Reorganisation nutzte Justizministerin Widmer-Schlumpf dazu, von Daeniken nach 27 Jahren aus dem Nachrichtendienst zu entfernen.

 Zur aktuellen Kritik an seiner Arbeit äussert sich von Daeniken nicht. Daten sammelt der heute 59-Jährige aber keine mehr. Widmer-Schlumpf beschäftigt ihn als Berater und Projektverantwortlichen. Es handle sich um Projekte, "die nichts mehr mit dem Festhalten von Daten zu tun haben", sagt Widmer-Schlumpf. Von Daeniken begleitet etwa die Neuorganisation der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft, wozu er von seiner Biografie her gewisse Erfahrungen mitbringt: Während seiner Zeit als Chef der Bundespolizei war von Daeniken Stellvertreter des Bundesanwalts. Seit Ende 2009 ist er zudem in der Berner Anwaltskanzlei Steinegger als Rechtskonsulent aufgeführt.

 Urs von Daeniken Der 59-Jährige leitete bis Ende 2008 den Dienst für Analyse und Prävention beim Bund - ehemals Bundespolizei.

--

Peter Regli zur neuesten Fichenaffäre

 "Politiker wollen sich profilieren"

 Der ehemalige Geheimdienstchef Peter Regli sieht im laschen Umgang des Staatsschutzes mit Personendaten keinen Skandal. "Wo gearbeitet wird, passieren Fehler", hält er im Interview fest.

 Peter Regli, die Geschäftsprüfungsdelegation des Parlamentes deckt auf, dass der Staatsschutz Tausende Personendaten ungeprüft im Netzwerk hat. Ein neuer Fichenskandal?

 Peter Regli: Es stimmt mich nachdenklich, wenn die Schweiz wieder von einem Skandal spricht. Man traktiert die Staatsschützer mit verbalen Stockhieben. Das ist zu einfach und zu billig. Niemand erwähnt dabei die eigentliche Aufgabe unseres Staatsschutzes.

 Die da wäre?

 Staatsschutz ist Bürgerschutz. Staatsschützer sind Schweizer Bürgerinnen und Bürger, die in Polizeikorps und beim Nachrichtendienst des Bundes arbeiten. Sie haben die Aufgabe, als Sensoren zu wirken, um zum Beispiel rechtzeitig terroristische Anschläge oder Spionage, gewalttätigen Links- oder Rechtsextremismus oder die organisierte Kriminalität in unserem Land zu erkennen. Diese Staatsschützer, die eine Leistung zugunsten der Bürgerinnen und Bürger erbringen, werden jetzt unter dem Titel "Skandal" undifferenziert kritisiert.

 Aber ist es nicht gravierend, wenn im Staatsschutz fahrlässig mit Daten umgegangen wird?

 Mir gefällt das Wort "gravierend" nicht. Wo gearbeitet wird, passieren Fehler. Der Staatsschutz ist eine sehr sensitive Angelegenheit, weil er sofort politisch wird, wenn etwas nicht ganz rund läuft.

 Spielen Sie jetzt einen Skandal herunter, oder übertreibt die Geschäftsprüfungsdelegation in ihrem Bericht?

 Ich stelle die aktuelle Situation fest. Die Geschäftsprüfungsdelegation hat ihre Kontrollaufgabe korrekt gemacht. Ihr Bericht bringt Fehler ans Tageslicht. Der Bericht ist nicht an die Öffentlichkeit, sondern an den Bundesrat gerichtet, der jetzt die nötigen Konsequenzen ziehen kann. Die Leute, die sich beruflich engagiert mit der nationalen Sicherheit auseinandersetzen, werden diesen Bericht als Chance betrachten, um ihre tägliche Arbeit zu verbessern.

 Stören Sie sich denn an der Art und Weise, wie die Geschäftsprüfer ihre Erkenntnisse der Öffentlichkeit präsentiert haben?

 Man muss sich bewusst sein, dass das Papier von Politikern erstellt wurde. Diese wollen sich auch profilieren. Mit einem Untersuchungsbericht zu den Geheimdiensten kann man Bundesrat werden, wie das Beispiel Moritz Leuenberger zeigt.

 Ist der Bericht in Ihren Augen zu scharf formuliert?

 Er ist sachlich und umfassend. Ich sehe in ihm durchaus die Chance, aus Fehlern zu lernen und für die sehr komplexe Zukunft des Staatsschutzes noch bessere Voraussetzungen zu schaffen.

 Die Bürger müssen dem oft intransparenten Staatsschutz voll vertrauen können. Mit dieser Fichenaffäre leidet das Vertrauen.

 Der Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation sagt ja genau, wo Fehler gemacht worden sind. Diese sind nicht nur auf Stufe Staatsschutz passiert, sondern auch bei der politischen Führung und bei der Kontrolle innerhalb des Justizdepartementes. Also ist es falsch, wenn man jetzt nur den Staatsschutz an den Pranger stellt. Andere tragen ebenfalls einen Teil der Verantwortung.

 Fordern Sie Konsequenzen?

 Es ist nicht an mir, irgendwelche Konsequenzen zu fordern. Ich habe Vertrauen in die Abläufe unseres demokratischen Rechtsstaates. Der Staatsschutz muss sich selbstverständlich innerhalb des Gesetzes bewegen. Es wird jetzt die Aufgabe des Direktors des Nachrichtendienstes, Herrn Seiler, sein, die Pendenzen der letzten sechs Jahre im Staatsschutz, die er geerbt hat, aufzuarbeiten und die Mängel zu beheben. Hoffentlich gibt man ihm auch das dazu benötigte Personal.

 Sind die heutigen Strukturen zu schwach, um den Herausforderungen an den Staatsschutz gerecht zu werden?

 Unser Staatsschutz ist mit sehr grossen Herausforderungen konfrontiert, hat aber, leider, ungenügend Mittel, um diesen effizient entgegenzutreten. Einerseits muss und will sich der Rechtsstaat an die Gesetze halten. Andererseits kennen die Akteure im Dunkeln keine Gesetze und keine Spielregeln. Unser Land ist gegenüber solchen Akteuren verwundbar. Da ist es zentral, dass die Staatsschützer in Ruhe, diskret und mit aufdatierten, griffigen Gesetzen arbeiten können.
 
Interview: Michael Widmer

 Peter Regli (65) ist ehemaliger Direktor des Nachrichtendienstes im Range eines Divisionärs, heute als Sicherheitsberater tätig und wohnhaft im Raum Bern.

--

 Reaktionen

 Trotz Kritik ändert sich vorläufig nichts

 Nach der Präsentation der neusten Fichenaffäre durch die Geschäftsprüfungsdelegation des Parlamentes (GPDel) vom Mittwoch blieb die grosse Empörung bei den Parteien aus. Einzig die SP liess noch gleichentags verlauten: "Die dringend notwendigen Lehren aus der Fichenaffäre der Achtzigerjahre wurden nicht gezogen." Die Partei forderte, dass die Empfehlungen der GPDel nun umgesetzt werden müssten. Die anderen Bundesratsparteien liessen sich erst gestern zum Thema vernehmen. SVP-Generalsekretär Martin Baltisser meinte auf Anfrage: "Die aufgedeckte Affäre hat nicht die gleiche Brisanz wie die Fichenaffäre 20 Jahre zuvor. Politisch gesehen sind diese neuesten Vorfälle kein Skandal." Für die Verwaltung und den Staatsschutz hingegen seien sie gravierend, "ja geradezu peinlich".

 Zum Verdacht, die Politiker könnten sich mit solchen Untersuchungsberichten vor allem auch selber profilieren wollen (siehe Interview), hielt GPDel-Mitglied und Ständerat Paul Niederberger (CVP, NW) auf Anfrage fest, dass der Bericht auf Fakten basiere. Es sei wichtig, dass die Delegation die Vorgänge beim Namen nenne. CVP und FDP forderten darum gestern ebenfalls, die von der GPDel vorgeschlagenen Massnahmen müssten nun rasch umgesetzt werden.

 Der Bundesrat indes will erst im Herbst konkret Stellung beziehen. Bis dahin werden gemäss Justizdepartement keine Sofortmassnahmen ergriffen.
 mic

--

 Einsicht

 Auskunft ja, Details nein

 Wer Auskunft über eine allfällige Fichierung einholen möchte, darf sich keine Hoffnung auf eine detaillierte Klärung machen. Zwar kann ein Gesuch an den Datenschützer und den Nachrichtendienst gestellt werden. Die Behörde darf aber nur mitteilen, ob der Gesuchsteller rechtlich korrekt behandelt worden ist. Das Auskunftsrecht soll verbessert werden. Eine Revision ist in Arbeit.
 mic

---

BZ 2.7.10

Fichenaffäre

 Regli mahnt Kritiker ab

 Der ehemalige Geheimdienstchef Peter Regli will die Aufdeckung der neuesten Fichenaffäre nicht überbewerten.

 Landauf, landab wird der lasche Umgang mit Personendaten durch den Schweizer Staatsschutz scharf kritisiert. Die Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments hatte öffentlich gemacht, dass der Inlandnachrichtendienst jahrelang die gesetzlichen Vorgaben zur Registrierung von Personen nicht eingehalten hatte. Zehntausende wurden erfasst; ob sie aber eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellen, prüfte der damalige Dienst für Analyse und Prävention (DAP) kaum. Der ehemalige Geheimdienstchef Peter Regli hat für harte Kritik am Staatsschutz dennoch wenig Verständnis. "Es stimmt mich nachdenklich, wenn die Schweiz von einem Skandal spricht", sagt er im Interview. "Wo gearbeitet wird, passieren Fehler", hält er fest. Es gelte, daraus zu lernen und den Staatsschutz auf die komplexer werdenden Herausforderungen einzustellen.
 mic

 Seite 3

---

20 Minuten 2.7.10

Geheimdienst: Keine Sperre

 BERN. Der Inlandnachrichtendienst kann weiterhin Fichen über "staatsschutzrelevante" Personen anlegen. Sofortmassnahmen gibt es nach der Veröffentlichung des Berichts der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) über Missstände beim Staatsschutz keine. Brigitte Hauser-Süess, Sprecherin von Eveline Widmer-Schlumpf, verneinte die Frage, ob die Justizministerin über Nacht eine Datensperre verhängt habe. "Der Bundesrat wird den Bericht der GPDel nun zuerst analysieren", sagte Hauser-Süess. Der Bundesrat hat bis Ende Oktober Zeit für eine Antwort.

---

Swissinfo 2.7.10

"Eine Misstrauensmentalität gegenüber Fremden"

swissinfo

 Der Schweizer Inlandgeheimdienst hat gegen das Datenschutz-Gesetz verstossen. Werner Carobbio, zentrale Figur in den Untersuchungen des "Fichenskandals" in den 1990er-Jahren, ermahnt die Behörden und fordert eine umfassende parlamentarische Debatte.

 Der am Mittwoch von der Geschäftsprüfungs-Delegation des Schweizer Parlaments (GPDel) veröffentlichte Bericht war brisant.Er zeigte, dass der Geheimdienst für über die Hälfte der in einer Datenbank registrierten 200'000 Personen Daten aller Art gesammelt hat, ohne sich Kontrollen unterziehen zu lassen und ohne Einhaltung der im seit 1994 gültigen Staatsschutz-Gesetz (ISIS) festgehaltenen Vorschriften.Das heisst, die Datensammlung ist voll von irrelevanten, falschen oder unnötigen Informationen, welche die Arbeit behindern könnten oder sogar zu übertriebenen Aktionen führen oder im schlimmsten Fall die Sicherheit des Staats gefährden könnten, unterstrich die GPDel.Die Schweiz hatte bereits in den frühen1990er-Jahren eine Fichen-Affäre, die nach den damaligen Untersuchungen der beiden Parlamentarischen Untersuchungskommissionen (PUK) zu Umstrukturierungen sowohl im Justiz-und Polizeidepartement (EJPD) wie auch im damaligen Militär-Departement (heute VBS) führte. Es wurden ein Kontroll-Organ und neue Gesetze eingeführt.Zwar hat die Geschäftsprüfungs-Delegation nicht von einem "neuen Fichenskandal" gesprochen, doch diverse Schweizer Medien machten genau das. Erstaunt nahm die Bevölkerung von der Nachricht Kenntnis.Auch Werner Carobbio, damals Vizepräsident der PUK, die das Militärdepartement untersuchte, zeigte sich gegenüber swissinfo.ch "relativ überrascht".Trotz all den neuen Leitplanken, "eingesetzt zum Vermindern der Fichierung", habe man weitergemacht wie vor dem Bekanntwerden des Fichenskandals, der damals "einen Schock in der öffentlichen Meinung der Schweiz provoziert hatte".

 Besorgniserregend und politisch schwerwiegend

 Laut dem ehemaligen Tessiner Nationalrat ist die neuste Entwicklung "beunruhigend, weil sie zeigt, dass die Schweizer Nachrichtendienste nichts gelernt haben, keine Schlüsse aus dem Skandal gezogen haben. Das ist schwerwiegend, weil es auch bedeutet, dass die politischen Behörden praktisch nichts unternommen haben, um die Aktivitäten dieser Dienste zu kontrollieren"."Die gesetzlichen Vorlagen sind eindeutig. Die politischen Behörden haben den Auftrag, diese durchzusetzen", unterstreicht der Sozialdemokrat, der nicht mehr im Eidgenössischen Parlament sitzt, sich politisch aber weiterhin auf kantonaler Ebene betätigt und die nationale Politik immer noch aufmerksam verfolgt."Die Hauptverantwortlichen sind die Behörden, die betroffenen Departemente und deren damalige Bundesräte", die im Moment der Fichierung im Amt gewesen seien, so Carobbio.

 "Vertrauensselige Delegation"

 Der Tessiner geht aber auch mit der Geschäftsprüfungs-Delegation ins Gericht: Schliesslich habe sie die Aufsicht über diese Tätigkeiten und müsse daher eine gewisse Verantwortung übernehmen.Nach seiner Ansicht hat es sich die GPDel zu leicht gemacht, "sie war zu vertrauensselig" gegenüber den Geheimdiensten.Sie sei sich zu wenig bewusst gewesen, dass dies "eine Arbeit ist, die mit höchster Aufmerksamkeit, Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit gemacht werden muss".In diesem Zusammenhang erinnert sich der ehemalige Nationalrat an seine Erfahrungen in der PUK, die in ihren ersten Jahren die Überwachung und Kontrolle der Arbeit der Geheimdienste eingeführt hatte. Kontrollen, die die GPDel seither regelmässig durchführt.In jener Zeit "gab es von Seiten der Dienststellen, Behörden und betroffenen Abteilungen wirklich ein Anliegen, die Delegation mit Informationen zu versorgen. Wir wurden eingeladen, sie zu überprüfen", erinnert sich Werner Carobbio. "Ich habe den Eindruck, im Lauf der Zeit ist dieses Anliegen verblasst und hat einer regelrechten Verdächtigungs-Manie Platz gemacht."

 Jagd auf Ausländer

 Die neuste "absurde" Fichierung sei in der Tat das Resultat einer "Haltung des Misstrauens gegenüber Ausländern, gegenüber jenen, die sich entgegen dem Schweizer Klischee verhalten", kommentiert Carobbio.Eine Mentalität, die bereits vor zwei Jahrzehnten festgestellt worden sei, sich aber laut dem ex-Nationalrat verstärkt hat. Bereits 1989 hätten die Fichen mehr Ausländer als Schweizer betroffen. "Es handelte sich aber eher um Ausländer, die in linksgerichteten Bewegungen aktiv waren."Carobbio fragt, "in welchem Ausmass die Mentalität, Ausländer zu kontrollieren, quasi zu einer Art Handbuch wurde" im Justiz-und Polizeidepartement. Dieses befand sich, wie der Bericht zeigt, zur Zeit der meisten Fichierungen unter der Leitung von Ex-Bundesrat Christoph Blocher.

 "Debatte nötig"

 Carobbio hofft, dass der Bericht, "obgleich verspätet, eine Chance ist für eine echte politische Debatte darüber, was erneut geschehen ist, und warum". Der Sozialdemokrat will nicht ausschliessen, dass eventuell " eine PUK nötig sein wird, um herauszufinden, ob noch mehr gemacht wurde, als lediglich Personen zu fichieren".Die Landesregierung allerdings scheint nicht in Eile: Die Sprecherin von Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf erklärte am Donnerstag gegenüber der Nachrichtenagentur SDA, der Bundesrat werde den Bericht der GPDel zuerst analysieren. Bis Ende Oktober werde er, wie verlangt, darauf antworten. Ins Parlament kommen wird er damit wohl nicht vor der Wintersession.

 Von Daeniken gibt Amt ab

 Der Fokus in der Staatsschutz-Affäre richtete sich am Freitag auf den früheren Geheimdienstchef Urs von Daeniken. Die Geschäftsprüfungs-Kommission (GPK) des Nationalrats kritisierte, dass von Daeniken heute für die Reorganisation der Bundesanwaltschaft zuständig ist.Sie habe "mit Befremden" davon Kenntnis genommen, dass das EJPD von Daeniken mit der Projektleitung betraut habe, schrieb die GPK in einer Mitteilung vom Freitag. Sie habe "wenig Vertrauen" in ihn, hiess es. Die GPK forderte das EJPD auf, den Entscheid zu überprüfen.Am Freitagabend reagierte das EJPD. Von Daeniken gebe bei der Bundesanwaltschaft die Funktion des Projektleiters ab, teilte es per Communiqué mit. Der 58-Jährige werde im Sinn einer Übergangsregelung durch den Stellvertreter des Bundesanwalts ersetzt.Von Daeniken habe sich nach einem Gespräch mit Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf von sich aus zu diesem Schritt entschieden, präzisierte EJPD-Sprecher Guido Balmer auf Anfrage der SDA.Das EJPD teile die Vorbehalte der GPK gegen von Daeniken zwar nicht, schreibt das Departement weiter. Es sei aber bereit, zusammen mit der GPK für das Projekt bei der Bundesanwaltschaft eine Lösung zu finden, die das Vertrauen der GPK geniesse. Das Schreiben der GPK und deren Fragen werde das EJPD umfassend und fristgemäss bis zum 15. August 2010 beantworten.Im Rahmen seiner Anstellung im EJPD habe von Daeniken seit dem 1. Januar 2009 keine Aufgaben mehr im Zusammenhang mit sensiblen Daten oder Informationssystemen, hält das EJP fest. Vielmehr erfülle er in einzelnen Projekten organisatorische, administrative und unterstützende Aufgaben."Keine Probleme"Seit Ende April 2010 habe von Daeniken den Bundesanwalt bei der Umsetzung des Projektes "BA 2011" unterstützt. Die Verantwortung für das Projekt liege in den Händen des Bundesanwalts. Von Daeniken habe ihm als Leiter der Projektorganisation gedient, die aus Mitarbeitenden der BA und des EJPD bestehe.Bei den Arbeiten, die von Daeniken im Rahmen seiner Anstellung im Generalsekretariat EJPD seit 2009 erledigte, "gab und gibt es keine Probleme", schreibt das EJPD. "Urs von Daeniken führt seine Aufgaben auftragsgemäss aus."Er habe im EJPD eine bis Ende 2011 befristete Stelle innerhalb des Generalsekretariats inne. Dort wird von Daeniken laut Balmer bis zum Ablauf dieser Frist nun andere Aufgaben übernehmen.

 "Keine Probleme"

 Seit Ende April 2010 habe von Daeniken den Bundesanwalt bei der Umsetzung des Projektes "BA 2011" unterstützt. Die Verantwortung für das Projekt liege in den Händen des Bundesanwalts. Von Daeniken habe ihm als Leiter der Projektorganisation gedient, die aus Mitarbeitenden der BA und des EJPD bestehe.Bei den Arbeiten, die von Daeniken im Rahmen seiner Anstellung im Generalsekretariat EJPD seit 2009 erledigte, "gab und gibt es keine Probleme", schreibt das EJPD. "Urs von Daeniken führt seine Aufgaben auftragsgemäss aus."Er habe im EJPD eine bis Ende 2011 befristete Stelle innerhalb des Generalsekretariats inne. Dort wird von Daeniken laut Balmer bis zum Ablauf dieser Frist nun andere Aufgaben übernehmen. Sonia Fenazzi, swissinfo.ch(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

---

NZZ 2.7.10

Kantone ohne griffige Staatsschutz-Aufsicht

 Hinweise auf Missstände existierten, doch Bern zögerte

 Am Anfang standen sechs türkischstämmige Grossräte aus Basel, die grundlos in den Blick des Staatsschutzes geraten waren. Seither kämpft der Kanton hartnäckig um eine wirksame Aufsicht. Bern liess sich Zeit - im Herbst soll es aber so weit sein.

 Daniel Gerny, Basel

 Auch wenn der Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) über die neuen Missstände und fehlenden Kontrollen für viele überraschend ins beginnende Sommerloch platzte, kommen die Erkenntnisse aus Basler Sicht keineswegs aus heiterem Himmel: "Die GPK hegt bezüglich dieser Vorgänge ernsthafte Bedenken und befürchtet einen Rückfall in alte Muster (Fichen-Affäre)", schrieb wörtlich die kantonale Geschäftsprüfungskommission vor ziemlich genau zwei Jahren in ihrem Bericht, der im Kanton sämtliche Alarmglocken läuten liess und schliesslich den Auslöser für die gegenwärtige Untersuchung auf Bundesebene bildete.

 Staatsschutz in den Kantonen

 Damals gelangten sechs türkischstämmige Grossräte ins Visier des Staatsschutzes, weil eine der Kommunistischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nahestehende Zeitung über deren Wahl ins Basler Parlament berichtet hatte. Die bei der Basler Staatsanwaltschaft angesiedelte Fachgruppe 9 übermittelte diese Information dem damaligen Dienst für Analyse und Prävention (DAP), der die Daten in der Folge bearbeitete und in einem Fall in der Datenbank ISIS registrierte. Die Affäre löste in Basel starke Reaktionen in allen politischen Lagern aus und mündete in ein zähes Ringen um die Kompetenz der Aufsicht über den Staatsschutz, das bis heute nicht abgeschlossen ist.

 Eine der Ursachen für die ungenügend kontrollierte Sammelwut, von der auch andere Personen aus Basel betroffen waren, sind die Aktivitäten des Nachrichtendienstes in den Kantonen. Im Auftrag des Bundes und gestützt auf das Bundesgesetz zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS), nehmen kantons- und gemeindeeigene Organe Staatsschutzaufgaben wahr. So verfügt die Stadtpolizei Zürich über Fachgruppen, die für den Bund beispielsweise in den Bereichen "Personen- und Objektschutz" oder "Information" tätig sind. Für ihre Leistungen werden die Kantone vom Bund entschädigt - gemäss GPDel-Bericht mit insgesamt 8,4 Millionen Franken im Jahr 2009. Welche und wie viele Meldungen an die Bundesbehörden gemacht werden, lässt sich indessen kaum eruieren.

 Anzahl Meldungen unbekannt

 Irritation löste dieser Umstand nicht nur in Basel aus, auch wenn die Empfindlichkeit hier infolge der Tragweite des Falls am grössten war. In Zürich steht beispielsweise der schon seit mehreren Jahren bekannte Fall von Gemeinderat Balthasar Glättli für die fragwürdige Arbeit der Staatsschutzorgane, der wegen einer Eingabe eines Gesuchs für eine Demonstration registriert wurde. Seit längerem bekannt ist auch, dass über die Friedensaktivistin und Ehrendoktorin der Uni Basel, Anni Lanz, Informationen registriert wurden, wobei laut GPDel-Bericht offenkundig falsche Verdächtigungen einflossen. Weniger schwerwiegend erscheint die Registrierung von Artikeln von zwei Journalisten der "Wochenzeitung", die der Zürcher Anwalt und Präsident des Vereins "Grundrechte.ch", Viktor Györffy, kurz nach dem Auffliegen des Basler Falles bekanntmachte.

 Unbekannt waren bis anhin aber Ausmass und Art der nach Bern gelieferten Meldungen. So musste der Zürcher Stadtrat im vergangenen Jahr auf eine Frage aus dem Gemeinderat passen: "Eine quantitative Statistik über die Mitteilungen an die Bundesbehörden wird nicht geführt." Die GPDel hat mit ihrem Bericht nicht nur zahlenmässig mehr Licht ins Dunkel gebracht, sondern sie liefert auch Hinweise auf die Art der Aufträge aus der DAP-Zentrale: Die Kantone wurden danach beispielsweise jährlich angewiesen, Lageberichte zum WEF zu erstellen und Demonstrationsgesuche zu melden. Auf diese Weise gelangten offenbar weitere Mitglieder des Basler Grossen Rates ins Blickfeld des Staatsschutzes.

 Keine Kontrolle für Kantone

 Dabei zeigen sich an der Schaltstelle zwischen den kantonalen und den bundeseigenen Organen Lücken in der Kontrolle, die den Präsidenten der GPDel, Claude Janiak (sp., Basel-Landschaft), schon vor mehr als einem Jahr von einem "aufsichtsfreien Raum" sprechen liessen (NZZ 3. 4. 09). Der Bund erachtet sich für die Aufsicht über die kantonalen Einheiten zwar als zuständig und beansprucht die Hoheit über die erhobenen Daten - doch er nimmt seine Verantwortung nicht wahr. Die Kantone dagegen sind in ihren Aufsichtsbefugnissen beschränkt und können ohne Zustimmung des DAP keine Akteneinsicht nehmen - ein Missstand, der bis heute andauert.

 Obwohl sich Basel-Stadt seit über einem Jahr intensiv um wirksame Aufsichtsbefugnisse bemüht, hat der Kanton bis jetzt nichts Definitives in der Hand. Der Bund lehnte im vergangenen Jahr sowohl eine kantonseigene Aufsicht als auch eine innerhalb der kantonalen Staatsschutzorgane angesiedelte Kontrollkommission ab, weil er nicht 26 unterschiedliche Lösungen will. Dass es in der Angelegenheit nicht schneller vorwärtsging, liegt aber auch an den kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren, die sich lange Zeit desinteressiert zeigten und Basel nicht unterstützen. In den meisten Kantonen sei die Sensibilität dafür nicht vorhanden gewesen, erklärt dazu der Basler Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass (fdp.). Dazu passt, dass gewisse Kantone - gemäss GPDel-Bericht beispielsweise Bern - gar keine regelmässige und systematische Aufsicht über den kantonalen Staatsschutz kennen.

 Bern vertröstet . . .

 Im letzten April erst einigte sich die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) mit dem Verteidigungsdepartement (VBS), in welchem der Nachrichtendienst des Bundes inzwischen angesiedelt ist, auf eine Verbesserung der Kontrolle. Den kantonalen Aufsichtsorganen wird zwar noch immer kein Einsichtsrecht ohne Zustimmung zugestanden, vorgesehen ist aber, dass die kantonalen Sicherheitsdirektoren auf Antrag eine Liste der Staatsschutz-Aktivitäten im eigenen Kanton erhalten. Ob sich diese Lösung bewährt, hängt laut Gass davon ab, wie kooperativ sich der Bund zeigt. Einen Haken hat der Kompromiss aber schon heute: Das VBS versprach laut Aussagen aus dem Basler Sicherheitsdepartement, die entsprechende Verordnungsänderung bis 1. Juli in Kraft zu setzen. Trotz Intervention aus Basel wurde das Geschäft dem Bundesrat noch nicht vorgelegt. Bern vertröstet weiter - nun auf den 1. Oktober.

---

Thurgauer Zeitung 2.7.10

46 Berichte aus dem Thurgau für den Staatsschutz

 wid

 Auch die Kantonspolizei liefert Meldungen für die umstrittene Datenbank des Nachrichtendienstes. Dabei geht es unter anderem um Aktivitäten Rechtsextremer.

 Frauenfeld - Der jüngste Skandal um die unkontrollierte Registrierung von 200 000 Personen in der Datenbank der eidgenössischen Staatsschützer betrifft am Rande auch die Kantone. Auch kantonale Stellen nehmen im Auftrag des Bundes staatsschützerische Aufgaben wahr und liefern dem Nachrichtendienst Berichte, deren Angaben in die umstrittene Isis-Datenbank fliessen. Laut einem Bericht der NZZ erhielten die Kantone für diese Dienstleistungen letztes Jahr 8,9 Millionen Franken vom Bund. Unbekannt ist demnach aber das gesamte Ausmass der von den Kantonen nach Bern gelieferten Daten. Zahlen erhältlich sind aber für den Thurgau. Die Kantonspolizei erstellte letztes Jahr 46 Berichte für den Nachrichtendienst. Im Vorjahr waren es 53 und im Jahr 2007 wurden 43 Berichte nach Bern geliefert, wie die Kantonspolizei Thurgau auf Anfrage mitteilt.

 Dabei handelt es sich vorwiegend um Aufträge des Nachrichtendienstes. In wenigen Fällen habe die Kantonspolizei aber auch eigene Berichte erstellt, sagte Mediensprecher Christoph Greminger. Das sei aber im Rahmen der vom Bund erstellten Beobachtungsliste geschehen. Die Berichte beträfen vor allem Veranstaltungen von Rechtsextremisten, bei denen unter anderem Daten zu Personen und Fahrzeugen gesammelt würden.

 Mehr Datenschutz

 Die Kantonspolizei könne von sich aus keine Daten in die Isis-Datenbank eingeben, sagt Greminger. Die Meldungen werden demnach auf Papier an den Nachrichtendienst geschickt. Zwei Angehörige der Kantonspolizei haben aber Leserechte für die Datenbank. Abfragen erfolgten zum Beispiel im Zusammenhang mit extremistischen Treffen, sagt Greminger. Wenn ein Waffenerwerbsschein erteilt werden soll, ist die Kantonspolizei zudem verpflichtet, eine Isis-Abfrage zu machen.

 Auch das Departement für Justiz und Sicherheit ist wegen der jüngsten Kritik an der Isis-Datenbank hellhörig geworden. Im Rahmen der Revision des kantonalen Polizeigesetzes werde auch dem Datenschutz Rechnung getragen, sagt Generalsekretär Stephan Felber. Darauf werde man nun verstärkt achten.

CHRISTOF WIDMER

---

NLZ 2.7.10

Peter Regli, ehemaliger Direktor des Nachrichtendienstes

 "Ich bin als Bürger beruhigt"

Interview von Fabian Fellmann

 Der Ex-Nachrichtendienstler Peter Regli verteidigt die Staatsschützer. Er will ihnen noch mehr Möglichkeiten zur Datensammlung geben.

 Peter Regli, in den 80er-Jahren wurden über 700 000 Fichen gesammelt, was in den 90er-Jahren einen Skandal auslöste. Sind Sie überrascht, dass jetzt wieder 200 000 Personen registriert sind?

 Peter Regli*: Ich bin als Bürger beruhigt, zu sehen, dass unser Rechtsstaat funktioniert. Die Geschäftsprüfungsdelegation hat als Aufsichtsbehörde des Nachrichtendienstes ihre Aufgabe wahrgenommen und die Datensammlung untersucht. Es dauerte zwar sechs Jahre. Das Ergebnis ist ein Bericht an den Bundesrat. Jetzt liegt es am Bundesrat, die gemachten Empfehlungen zu prüfen. Sie sind eine Chance, damit die Arbeit des Nachrichtendienstes noch effizienter gestaltet werden kann.

 Aber der Rechtsstaat hat nicht funktioniert. Nach dem Fichenskandal hätte man erwartet, dass die Staatsschützer von sich aus die Gesetze einhalten und nicht wieder ermahnt werden müssen.

 Regli: Es ist nicht an mir, die Arbeit des Diensts für Analyse und Prävention zu kritisieren. Mir fällt jedoch auf, dass wir in der Schweiz einen gewissen Masochismus betreiben. Jetzt sucht man wieder vor allem Schuldige. Niemand spricht davon, dass wir in Zeiten asymmetrischer Bedrohungslage, in dem die Gefahr von Akteuren im Schatten und nicht nur von Staaten ausgeht, den Staatsschutz brauchen.

 Einen effizienten und effektiven Staatsschutz will eine Mehrheit der Schweizer. Aber genau dies hat er nicht erfüllt, indem er zu viele Daten sammelte und nicht überprüfte, ob sie richtig waren.

 Regli: Das ist eine Frage der Führung des Staatsschutzes, auch durch politische Vorgesetzte und der Kontrollen im Departement. Die Schuld, sofern eine vorhanden ist, liegt nicht nur bei den Staatsschützern. Ich bin überzeugt: Der Staatsschutz bewegt sich grundsätzlich im Rahmen des Gesetzes. Dort arbeiten Bürgerinnen und Bürger, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Offenbar wurden Fehler gemacht. Jetzt geht es im Sinne des Vorwärtsschauens darum, dass der neu etablierte, fusionierte Nachrichtendienst des Bundes die Möglichkeit erhält, die Altlasten zu korrigieren.

 Heisst das, Sie fordern mehr Mittel für den Staatsschutz?

 Regli: Der Nachrichtendienst braucht meiner Ansicht nach in erster Linie die Revision des Bundesgesetzes zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS). Er soll vermehrt die Möglichkeit erhalten, auf die heutigen asymmetrischen Bedrohungen agieren zu können. Zweitens braucht er Vertrauen und Loyalität von der politisch vorgesetzten Behörde. Nicht zuletzt benötigt er finanzielle und personelle Aufstockungen.

 Muss ich als Bürger Angst haben, dass ich überwacht werde?

 Regli: Wenn Sie als Bürger ein reines Gewissen haben: Nein. Im Gegenteil: Der Staatsschutz schützt uns Bürger. Nur 3,5 Prozent der erfassten Personen sind Schweizer Bürger, die anderen Ausländer. Allgemein ist festzuhalten, dass unsere nationale Sicherheit primär von Akteuren aus dem Ausland bedroht wird.

 Unbescholtene Bürger hätten nichts zu befürchten. Aber die Geschäftsprüfungsdelegation hat den Fall einer Baslerin präsentiert, die registriert wurde, weil sie sich für Ausländer einsetzte und an einer Demonstration teilnahm. Bedeutet Staatsschutz, dass wir solche Fehler einfach hinnehmen müssen?

 Regli: Zu diesem Fall kann ich mich nicht äussern.

 Die Forderung wird laut, dass Personen mit gelöschtem Dossier volle Einsicht erhalten. Befürworten Sie das?

 Regli: Dieses Bedürfnis ist seit längerer Zeit bekannt. Möglicherweise wird der Bundesrat im Rahmen seiner Stellungnahme zum Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation darauf eingehen. Das ist ein politischer Entscheid.

 Hinweis: * Peter Regli (66) war von 1991 bis 1999 Chef des Schweizer Nachrichtendienstes, des früheren Auslandgeheimdienstes. Im Jahr 2000 ging Regli in den Ruhestand und arbeitet heute als Berater für Sicherheitsfragen.

 fabian.fellman@neue-lz.ch

--

 Datensammlung

 Aktivisten warnen vor Löschaktion

 Der grüne Zürcher Stadtparlamentarier Balthasar Glättli fand vor zwei Jahren heraus, dass er einer von rund 200 000 vom Staatsschutz registrierten Personen ist. Den Inhalt seiner Fiche kennt er aber nicht. Via eidgenössischen Datenschützer erhält man nur Auskunft darüber, ob eine Fiche besteht, nicht aber, was darin steht. "Ich fordere, dass alle fichierten Personen volle Einsicht in die Akten erhalten", sagt Glättli.

 Bundesrat will aufrüsten

 Aktivisten befürchten, dass der Staatsschutz nun viele Dossiers verschwinden lässt. Darum fordert der Verein Grundrechte.ch die Bevölkerung auf, Auskunft zu verlangen. Denn der Bundesrat lässt sich Zeit: Bis Oktober will er auf den Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation antworten. Sofortmassnahmen würden nicht ergriffen, hiess es gestern aus dem Justiz- und Polizeidepartement. Der Inlandnachrichtendienst kann Daten über "staatsschutzrelevante" Personen weiterhin "blind" sammeln.

 Klagen gegen die Staatsschützer würde er begrüssen, sagte gestern der grüne Zürcher Nationalrat Daniel Vischer. Dies müssten aber betroffene Fichierte tun.

 Auch der frühere Justizminister Christoph Blocher schwieg trotz happiger Vorwürfe auch gestern.

 Der Bundesrat will weiterhin dem Staatsschutz mehr Kompetenzen geben. Die Teilrevision des Bundesgesetzes über Massnahmen der inneren Sicherheit soll im Herbst ins Parlament kommen.

 Musterbrief: Der Musterbrief zur Abfrage von Fichen ist auf www.zisch.ch/bonus

---

Landbote 2.7.10

Betroffene fordern rasches Handeln

 Elisabetta Antonelli

 Der Bericht über die Daten, die der Schweizer Staatsschutz sammelte, löst bei Betroffenen Wut aus. Sie halten Kontrolle und Einsichtsrecht für dringend nötig.

 basel/zürich - 200 000 Personen sind heute in der Datenbank des Inlandnachrichtendienstes gespeichert. Darunter sind auch unbescholtene Bürger - wie etwa die Basler Grossräte, deren Einträge den Stein ins Rollen brachten. Einer von ihnen war Mustafa Atici. Der Schweizer mit türkischen Wurzeln wurde 2004 für die SP in den Basler Grossrat gewählt. "Das Wahlresultat wurde auch in ausländischen Zeitungen publiziert", erzählt der heute 40-Jährige. "Weil auch eine prokurdische Zeitung über meine Wahl berichtete und sie kommentierte, bekam ich einen Eintrag."

 Aticis Daten wurden sogar an ausländische Geheimdienste weitergegeben. Sein Eintrag in der Schweizer Datenbank wurde zwar gelöscht, weil er widerrechtlich war. "Aber ich weiss nicht, was im Ausland damit geschehen ist." Atici hat Angst, dass seine Fiche immer noch negative Nachwirkungen hat. "Seit etwa zwei, drei Jahren wird mein Pass am Flughafen Istanbul sehr genau kontrolliert. Für mich ist das ein Signal, dass etwas nicht ganz stimmt."

 Der Vorfall erschütterte sein Vertrauen in den Rechtsstaat. "Ich habe den Eindruck, dass man nach dem Fichenskandal in den Achtzigerjahren nichts gelernt hat und unsorgfältig mit den Daten umgeht." Der aktuelle Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation bestätigt ihn. Atici ist zwar froh, dass die Geschichte ans Tageslicht gekommen ist, doch er kritisiert den Staatsschutz heftig: "Der Staatsschutz funktioniert wie eine Blackbox. Die Daten werden willkürlich und unqualifiziert gesammelt", sagt er. "Dabei geht vergessen, dass es um Menschen geht."

 Ebenso in der Staatssicherheits-Datenbank vermerkt wurde die Basler SP-Grossrätin Tanja Soland. Die heute 34-jährige Juristin setzte sich dafür ein, dass im Januar 2007 eine Anti-WEF-Demo stattfinden konnte. "Ich führte Gespräche mit der Polizei - auf deren Anfrage und Bitten." Daraufhin wurde Soland beim Staatsschutz regis-triert. "Das würde ja heissen, dass ich für den Staat speziell gefährlich bin, nur weil ich ein Demonstrationsgesuch eingereicht habe", so Soland.

 Genau wie Aticis Eintrag wurde auch derjenige von Soland auf ihr Nachhaken gelöscht - der Eintrag war nicht berechtigt, wie der Brief des Bundesamtes bestätigte. "Doch was wäre gewesen, wenn ich etwa als Bundesanwältin hätte arbeiten wollen? Eine Sicherheitsprüfung hätte ich wohl nicht bestehen können."

 Dass insgesamt 200 000 Personen in der Datenbank registriert sind, verärgert die Grossrätin. "Das übertrifft sogar meine Befürchtungen. Es ist eine Katastrophe." Erschreckend findet Soland, dass eine Behörde, welche die Leute schützen sollte, sich nicht an das Gesetz hält. "Das löst in mir Angst aus." Schliesslich werde jeder Bürger sanktioniert, der gegen das Gesetz verstösst. Jetzt müsse sofort gehandelt werden. Kontrolle und Einsichtsrecht seien dringend nötig.

 Gleicher Meinung ist der Zürcher Gemeinderat Balthasar Glättli (Grüne). Der 38-Jährige fordert, dass "alle fichierten Personen volle Einsicht in die Akten erhalten. Zumindest müssen alle aus dem System gelöschten Personen bei der Löschung vom Nachrichtendienst automatisch das vollständige eigene Dossier erhalten." Er kritisiert insbesondere Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, die bereits 2008 ein Einsichtsrecht versprochen hat, "das diesen Namen verdient". Doch ist laut Glättli das Gegenteil geschehen: "Stattdessen wurden die Vorbereitungen für neue Schnüffelgesetze mit Telefon- und Mail-Überwachung vorangetrieben."

 Glättli wurde wie die Basler Grossrätin Tanja Soland registriert, weil er 2005 ein Gesuch für eine Demons- tration eingereicht hatte. Sein Eintrag wurde ebenfalls auf Nachhaken gelöscht, da er widerrechtlich war. Glättli gelangte sogar ans Bundesverwaltungsgericht, um Einsicht in seine Akten zu erhalten. Diese wurde ihm nicht zugestanden.

--

 Ficheneinsicht: Gute Begründung nötig
 
Peter Fritsche

 Grundsätzlich gibt es kein Recht auf Einsicht in die Datenbank Isis, auf welcher der Inlandgeheimdienst seine Informationen ablegt. Es gibt aber die Möglichkeit, an den Eidgenössischen Datenschützer Hanspeter Thür (Feldeggweg 1, 3003 Bern) ein Gesuch zu richten. Dieser prüft, ob der Gesuchsteller fichiert ist oder nicht. In den meisten Fällen kommt danach lediglich ein Standardbrief zurück mit der vagen Aussage, der Nachrichtendienst sei korrekt mit Informationen über den Gesuchsteller umgegangen. Oder: Es gebe Fehler und er - der Datenschützer - habe deshalb dem Bundesrat empfohlen, den Fehler zu beheben. Lediglich in gut begründeten Ausnahmefällen kann der Datenschützer weitere Informationen über eine allfällige Fiche erteilen. Die Organisation "grundrechte.ch" empfiehlt deshalb, im Gesuch genau darzulegen, weshalb jemand davon ausgeht, fichiert zu sein. Auf der entsprechenden Homepage gibt es auch einen Musterbrief an Thür. (pfr)

--

Geheimdienst ertrinkt im eigenen Datenmeer

 Peter Granwehr

 Viele Wege führen in die Isis-Datei des Nachrichtendiensts, aber dort wieder herauszukommen, ist offenbar Glückssache. Die Folge ist ein Datenberg, der daran zweifeln lässt, dass der Nachrichtendienst seine Aufgabe überhaupt erfüllen kann.

 BERN - Dienst für Analyse und Prävention (DAP) hiess der Geheimdienst, als er noch Teil des Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) war. Als Christoph Blocher dort sein Bundesratsamt antrat, waren 60 000 Personen in der DAP-Datei Isis registriert. Drei Jahre später waren es fast 120 000, die als "staatsschutzrelevant" eingestuft wurden: Personen also, über die angeblich konkrete Hinweise bestanden, dass sie eine Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit darstellen. Dieses Niveau hat sich bis heute gehalten. Hinzu kommen 80 000 "Drittpersonen", die einen - oft lockeren - Bezug zu den "Relevanten" aufweisen. Auffallend ist, dass nur 4 Prozent der Isis-Einträge Schweizer Bürger betreffen und nur 11 Prozent Personen mit Wohnsitz in der Schweiz. Da stellt sich die Frage, auf welchen Wegen Personen in die Isis-Datenbank gelangen. Zu den Informanten gehören:

 • Zollbehörden: Wer aus bestimmten Ländern, deren Liste geheim ist, in die Schweiz einreist, erhält über die Fotopasskontrolle automatisch einen Isis-Eintrag - zunächst als Drittperson. Bei der dritten Meldung rückt sie ohne Überprüfung in die Kategorie der Staatsschutzrelevanten, also der Verdächtigen, auf.

 • Ausländische Dienste: "Eine Vielzahl von Registrierungen waren aufgrund von Anfragen des Auslands vorgenommen worden", heisst es im Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel). Auch dann, wenn es nur eine Anfrage war ohne weitere Angaben zur Person, oder wenn Erkundigungen der DAP bei den Kantonen ausdrücklich ergeben hatten, dass die betroffene Person unverdächtig war.

 • Kantonspolizeien: Personenlisten, die von den Kantonen im Auftrag des DAP erstellt wurden über Vorgänge, Personen oder Institutionen, wurden vollständig im Isis eingespiesen. "Gerade dort, wo der meldende Kanton besonders umfassend und oft auch sehr differenziert Auskünfte lieferte, führte diese Erfassungspraxis des DAP dazu, dass auch Personen, die explizit als harmlos oder nicht mehr aktiv bewertet wurden, einen Isis-Eintrag erhielten", schreibt die GPDel. In verschiedenen Fällen seien Gesuchsteller von bewilligten und friedlichen Kundgebungen als Drittpersonen registriert worden, teilweise sogar als Staatsschutzrelevante entgegen der vorliegenden Informationen.

 • Andere Bundesstellen: Einbür- gerungs- oder Asylgesuche werden in der Isis-Datei erfasst, wenn der Gesuchssteller dort bereits aus einem anderen Grund registriert ist - auch dann, wenn der DAP feststellt, dass von ihm keine Gefahr für die innere Sicherheit ausgehe. So stiess die GPDel auf einen Fall, dass eine Person "allein aufgrund einer Anfrage einer anderen Bundesstelle" im Isis registriert worden war. "Dem DAP lagen zur Person selber keine Informationen vor, und er informierte die ersuchende Bundesstelle in diesem Sinn."

 Diese Beispiele zeigen, wie rasch jemand Eingang in die Datenbank findet. Die Löschung eines Eintrags lässt dagegen meist auf sich warten - zum einen, weil das Gesetz vorschreibt, dass die Daten (nur) alle fünf Jahre auf ihre Richtigkeit und Relevanz überprüft werden müssen, zum andern, weil laut GPDel in mehr als der Hälfte der Fälle diese Überprüfung gar nicht erfolgte. Selbst der Tod bietet keine "Austritts"-Garantie, obwohl das Gesetz dies verlange, wie die GPDel festhält: "In den vom DAP gemeldeten Fällen finden sich gegen ein Dutzend Beispiele, wie der Tod einer Person im System pflichtgemäss vermerkt wurde und die Person danach während mehrerer Jahre weiter registriert blieb. In drei Fällen erfolgte die Löschung erst rund zehn Jahre nach dem Tod. Einer  dieser Fälle sticht dadurch hervor, dass der Verstorbene nicht einfach in Isis vergessen wurde, sondern dass zwei spätere Kontrollen die anhaltende Staatsschutzrelevanz der Person bestätigten."

 "Die falschen Leute am Werk"

 Das Urteil der GPDel über den Staatsschutz fällt denn auch vernichtend aus, nicht allein wegen der wiederholt festgestellten Missachtung der Gesetze. "Die gewaltige Datenmenge, die bereitgestellt wurde, schafft nicht mehr Sicherheit - im Gegenteil: sie bindet Ressourcen, die dazu verwendet werden müssten, die gesammelten Daten auf ihre Staatsschutzrelevanz zu überprüfen", sagte gestern GPDel-Präsident Claude Janiak, SP-Ständerat aus Baselland. Zudem seien im DAP die falschen Leute eingesetzt worden: Leute, die Daten zwar einspeisen konnten, aber nicht befähigt waren, sie auf ihre Qualität zu überprüfen. "Ob eine solche Datenmenge für den Nachrichtendienst bei der Aufgabenerfüllung hilfreich ist, ist mehr als fraglich."

 lPETER GRANWEHR

---

Südostschweiz 3.7.10

SVP hat Ärger wegen des Fichen-Berichts

 Nachdem wegen des Fichen-Berichts auch Angriffe von SVP-Vertretern auf alt Bundesrat Christoph Blocher erfolgt sind, treten jetzt die Blocher-Getreuen auf den Plan.

 Von Beat Rechsteiner

 Bern. - Damit schafft sich SVP-Mann Alex Kuprecht keine Freunde in der Partei: Der Schwyzer Ständerat fährt SVP-Übervater Christoph Blocher in aller Öffentlichkeit an den Karren. Die Missstände im Inlandgeheimdienst (DAP) seien ein Führungsproblem hinauf bis zum damals zuständigen Bundesrat gewesen, urteilt Kuprecht in einem gestrigen Interview mit der "Neuen Luzerner Zeitung". Blocher habe als Justizminister die Effizienz beim Geheimdienst durch Personalabbau steigern wollen. Dadurch sei es aber nur noch schlimmer geworden. Als Mitglied der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) hat Kuprecht am Fichen-Bericht, der am Mittwoch veröffentlicht wurde, selbst mitgearbeitet.

 Blocher selbst sagt nichts

 Blocher mochte sich auch gestern nicht zu dieser Kritik äussern. Dafür eilen ihm nun seine Getreuen zu Hilfe. Die SVP-Vertreter in der GPDel seien "vollkommen untauglich", sagen Parteikollegen hinter vorgehaltener Hand. Gemeint ist damit nebst Kuprecht auch der Waadtländer Nationalrat Pierre-François Veillon. Der Vorwurf: Die beiden hätten sich instrumentalisieren lassen von linken Delegationsmitgliedern.

 So steht etwa für Nationalrat Christoph Mörgeli fest, dass es SP-Ständerat Claude Janiak und der grünen Nationalrätin Therese Frösch allein darum gegangen sei, mit dem Bericht auf Christoph Blocher zu zielen. "Es handelt sich um eine politische Abrechnung, wobei versucht wird, aus wenigen Fällen einen Skandal zu konstruieren." Mörgeli nimmt Blocher in Schutz und weist die Verantwortung dem ehemaligen DAP-Chef Urs von Daeniken und der GPDel als Oberaufsicht zu.

 "Absurde Vorwürfe"

 Sowohl Janiak als auch Frösch wiesen die Vorwürfe gestern als absurd zurück. Blocher stehe in der politischen Verantwortung, wenn der ihm unterstellte Dienst das Gesetz nicht korrekt vollziehe, sagte Janiak. Man habe während der Amtszeit von Blocher immer wieder Auskunft darüber verlangt, warum die Datenmenge im Staatsschutzinformationssystem derart angewachsen sei. Vom DAP und vom Justizminister sei man aber stets vertröstet worden mit dem Hinweis auf Probleme bei der Datenübertragung vom alten ins neue Computersystem.

--

 Vorläufig kann das Sammeln weitergehen

 Der Inlandnachrichtendienst kann Daten über "staatsschutzrelevante" Personen weiterhin "blind" sammeln. Die Kritik der GPDel bewirke keine provisorische Datensperre, verlautete gestern aus dem Eidgenössischen Justiz und Polizeidepartement. Der Bundesrat hat bis Ende Oktober Zeit, auf den Bericht zu antworten.

 Auch das Parlament wird sich erst in der Herbstsession mit dem Thema befassen. Für diesen Zeitpunkt vorgesehen ist eine neue Vorlage zum Bundesgesetz über Massnahmen der inneren Sicherheit (BWIS). Der Bundesrat muss beim "grossen Lauschangriff" nochmals über die Bücher, weil das Parlament in der ersten Beratung seine Vorschläge zurückgewiesen hatte. (sda)

---

Le Matin 2.7.10

Sommes-nous tousfichés?

Sécurité - 200 000 individus "dangereux" sont fichés à Berne, dont 22 000 qui habitent en Suisse. Mais la moitié des fiches seraient datées, grotesques ou fausses!

 La Suisse vit-elle une seconde affaire des fiches? Ou les révélations de mercredi sont-elles sans commune mesure avec l'énorme scandale des années 80, lorsque l'on découvrait que l'Etat suisse avait fiché 900 000 personnes? Une chose est sûre, le rapport de la Délégation des commissions de gestion (DélCdG) chargée de la surveillance des services de renseignement est une bombe. Vingt ans après les fiches, "il n'y a pas eu de changement de culture", a tranché mercredi le conseiller aux Etats Claude Janiak (PS/BL), président de la DélCdG. Le rapport fustige la gestion du système ISIS, qui fiche des individus censés menacer la Suisse. Plus de la moitié des données n'auraient pas été vérifiées depuis des lustres. Les clés pour comprendre le problème:

 C'EST QUOI,Isis?

 Le système d'information relatif à la protection de l'Etat, ou ISIS, a été créé en 1994. C'est une base de données informatique gérée par le Service d'analyse et de prévention (SAP), qui dépend du Département fédéral de la défense.

 ÇA SERT À QUOI?

 Contenant des informations sur des individus dangereux ou suspectés de l'être, ISIS aide aux enquêtes judiciaires fédérales. "Mais il est surtout conçu comme un outil de prévention visant à protéger l'Etat", souligne Isabelle Moret, conseillère nationale (PLR/VD) et membre de la DélCdG. "Il y aura en octobre le sommet de la francophonie, à Montreux. On peut imaginer qu'un rapport tiré des données d'ISIS sera envoyé à la police cantonale vaudoise: il contiendra par exemple les descriptions de personnes qui pourraient vouloir nuire au sommet. "

 ÇA RESSEMBLE À QUOI?

 A une base de données permettant une recherche par nom. La "fiche" principale contient les données personnelles - âge, nationalité, domicile, etc. - ainsi qu'un résumé du cas. "Puis chaque fiche renvoie à des documents scannés, explique Isabelle Moret. Ce peuvent être des photos, des documents de police ou encore de services internes ou étrangers. "

 QUI EST FICHÉ?

 ISIS contient quelque 200 000 noms. 11% concernent des résidents en Suisse, soit 22 000 personnes. Et la base ne contient "que" 7000 Suisses. Théoriquement, seules les personnes fortement suspectées de menacer la sûreté intérieure et extérieure peuvent y figurer. Il s'agit surtout de quatre domaines: le terrorisme, l'extrémisme violent, la violence dans les stades, et les commerces prohibés, comme les armes.

 OÙ EST LE PROBLÈME?

 Problème N°   1, selon le rapport, 110 000 données sur les 200 000 n'ont fait l'objet d'aucune vérification. Or la loi exige qu'un contrôle ait lieu cinq ans au plus tard après la dernière inscription. En outre, des dizaines de milliers de personnes ont été fichées illégalement, "sans les contrôles d'usage. " Le rapport révèle même que plutôt que de vérifier ses informations, le SAP a été pris d'une furie de saisie, accumulant les entrées. "Même des personnes qui étaient explicitement désignées comme inoffensives ont fait l'objet d'un enregistrement", note le rapport. "Dans plusieurs cas, les personnes à l'origine d'une manifestation autorisée et pacifique ont été enregistrées". Bref, c'est la gabegie. Des données précieuses sur des individus dangereux côtoient des données datées, inutiles ou carrément fausses, au détriment de la protection de la personnalité.

 PUIS-JE AVOIR ACCÈS À MA FICHE?

 Non. Il existe "un droit d'accès indirect aux données", explique Jean-Philippe Walter, Préposé fédéral suppléant à la protection des données. Toute personne peut déposer une demande auprès du Préposé fédéral à la protection des données et à la transparence, à Berne. "Nous répondrons par une lettre type un à trois mois plus tard", note M.   Walter. Une missive qui indique, en gros, que le problème a été traité. En clair, soit la fiche n'existe pas, soit elle a été actualisée, ou encore détruite. Mais sauf exception, impossible de le savoir. L'idée? "Si un terroriste veut savoir ce que contient sa fiche, l'Etat ne va pas le renseigner", tranche Isabelle Moret.

--

 TROIS EXEMPLES DE FICHES ABSURDES

 La mamie black block

 En 1998, A. L. , une dame nord-africaine de Bâle, sert de porte-parole à des groupes marginaux. Elle n'a pas "la moindre inclination criminelle", note la police. Mais elle est fichée pour lien avec l'islam radical. En 2002, A. L. est cette fois fichée altermondialiste et suspectée d'appartenir au "Bloc noir". Même si la dame d'un certain âge n'a pas le profil jeune et viril d'un casseur! "Un simple examen superficiel aurait à lui seul dû montrer qu'A. L. n'était pas une menace pour la sûreté intérieure de la Suisse", note le rapport divulgué mercredi. Sa fiche ne sera détruite qu'en 2009.

 Dangereux voyageur

 Dans la base de données ISIS, on trouve des gens dont le seul tort est de voyager. Les ressortissants "d'un certain nombre d'Etats font l'objet d'un enregistrement lors de leur passage par certains postes- frontière", note le rapport. En 2002, un Nord-Africain est fiché. Une fiche sûrement assez maigre… En 2003, l'homme vivant en Suisse et marié à une Suissesse demande sa naturalisation. La base de données est consultée et ne trouve rien à redire. Sa fiche restera pourtant jusqu'en 2009 "comme personne revêtant en propre une importance pour la protection de l'Etat".

 Trafiquant atomique

 Milieu des années 1990: un homme remet une substance radioactive à un partenaire commercial. Puis, pour des questions d'argent, lui envoie une fausse lettre de menace signée d'un groupe extrémiste. Il est repéré. La justice enquête et découvre que la radioactivité est trop faible pour atteindre la santé. (Pour une arme nucléaire aussi. ) L'escroc, 70 ans, écope de la prison avec sursis. Mais se retrouve fiché: "menace pour la sûreté de l'Etat en rapport avec la prolifération nucléaire ou le terrorisme. " Sa fiche ne sera effacée qu'en 2008. Soit dix ans après sa mort.

--

 INTERVIEW Jean-Michel Dolivo, avocat, député au Grand Conseil Vaudois (A Gauche toute!)

 "Big Brother est arbitraire et amateur"

 Vous qui aviez été fiché, que ressentez-vous aujourd'hui?

 C'est choquant. Les atteintes aux libertés individuelles n'ont jamais cessé, l'Etat fouineur continue à ficher. Et toujours pour des opinions ou engagements politiques. On surveille les altermondialistes, les défenseurs des droits des migrants, des droits humains. Ceux qui ont des positions critiques. La surveillance dépasse largement les personnes présumées dangereuses. Il n'y a ni 200 000 ni même 20 000 terroristes en Suisse.

 A l'époque, comment aviez-vous réagi?

 J'étais scandalisé. Outre l'atteinte à ma personnalité, je réalisais que j'avais été surveillé, suivi, filé, épié.

 A quoi ressemblaient ces fameuses fiches?

 Pour moi, à un dossier d'une soixantaine de pages, avec des photos. Un dossier qui débutait en 1968 quand, gymnasien, je m'étais engagé pour un centre autonome à Bienne… Puis il y avait des notes au jour le jour. Jean-Michel Dolivo participe à une conférence, à une manif, distribue un tract. Sa voiture est repérée à tel endroit. En plein fantasme de l'invasion communiste, j'étais présenté comme un dangereux activiste de gauche, un ennemi de l'Etat. On nous criminalisait.

 Concrètement, est-ce que ça vous a attiré des problèmes?

 Pas à moi. Mais il y avait des effets concrets, par exemple de nombreux licenciements ou non-engagements.

 Pensez-vous être encore fiché aujourd'hui?

 C'est possible, même si les cas révélés maintenant semblent à la fois graves et grotesques. Big Brother est arbitraire et amateur… Reste que le Conseil fédéral doit réagir. Et ouvrir l'accès aux fiches aux personnes concernées.

---

20 Minuten 2.7.10

Basel soll keine Daten mehr an Staatsschutz geben

 BASEL. In Basel-Stadt soll die Staatsschutztätigkeit per sofort sistiert werden. Das fordert die Basler SP nach der Veröffentlichung des Berichts der Geschäftsprüfungsdelegation über die Missstände beim Schweizer Staatsschutz. Solange der Bund keine sichere Qualitätskontrolle und Überprüfung der gesammelten Daten sicherstellen könne, dürften keine Personendaten mehr nach Bern übermittelt werden. Dies weiter zu tun, wäre "unverantwortbar".

---

Tagesschau 1.7.10


Neuster Fichenskandal ohne Folgen

Der Schweizer Inlandgeheimdienst hat Fichen von rund 200'000 Personen angelegt. Trotz der Kritik, wird der Überwachung kein Riegel geschoben.
http://videoportal.sf.tv/video?id=60c1790a-9972-4e1b-becd-88cbe637d0f5

----------------------------------
RAUSCHKNAST LU
----------------------------------

20 Minuten 2.7.10

SP-Politiker verlangt Ausnüchterungszellen

 LUZERN. SP-Kantonsrat Lathan Suntharalingam sagt Komatrinkern den Kampf an: Sie sollen künftig statt ins Spital in Ausnüchterungszellen gebracht werden.

 Müssen sturzbetrunkene Festbrüder ins Spital gebracht werden, kommen dafür die Krankenkassen auf. "Zudem sind Rückforderungen gegen Versicherte sehr schwierig", sagt Silvia Schütz vom Krankenkassenverband Santésuisse. Dies ärgert SP-Kantonsrat Lathan Suntharalingam, weil so die Kosten auf die Allgemeinheit gewälzt würden. "Damit muss sofort Schluss sein, wir müssen Grenzen ziehen", sagt er. Er hat deshalb gestern eine Anfrage zu Handen der Regierung eingereicht. "Die Notaufnahme ist die falsche Adresse für besoffene Jugendliche", so Suntharalingam. Darum will er unter anderem wissen, ob die Regierung bereit ist, wie in der Stadt Zürich Ausnüchterungszellen zu schaffen. Für einen Kurzaufenthalt verrechnet Zürich pro Ausnüchterung 600 Franken; dauert der Aufenthalt länger als drei Stunden, werden sogar 950 Franken fällig. Falls Jugendliche eingeliefert werden, werden die Eltern kontaktiert. "Ein ähnliches System wäre auch für den Kanton Luzern sinnvoll", findet Suntharalingam.  

Daniela Gigor

-------------------------
ANTI-ATOM
--------------------------

Oltner Tagblatt 2.7.10

Tiefenlager Nagra startet mit Feldbegehungen

 Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) führt ab Juli Feldbegehungen in den potenziellen Standortgebieten für geologische Tiefenlager für radioaktive Abfälle durch. Das teilte das Bundesamt für Energie (BFE) gestern Donnerstag mit. Diese Begehungen dienten der Vorbereitung von Etappe 2 der Standortsuche, schreibt das BFE. Die Nagra habe dabei die Aufgabe, konkrete Standorte für die Oberflächenanlagen künftiger Tiefenlager vorzuschlagen. Diese Vorschläge - mehrere pro Standortgebiet - seien keine Vorentscheide: Sie würden den regionalen Partizipationsgremien in den Standortregionen in der zweiten Hälfte 2011 zur Diskussion vorgelegt. Mit den Feldbegehungen soll die Nagra die tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort klären und so bestimmte Anlagenstandorte ausschliessen oder genauer ausarbeiten. Es würden dabei Einzelheiten zu Topografie, Baugrund, Erschliessung, raumplanerischen Gegebenheiten und Landschaftsbild eingesehen. "Die Feldbegehungen erfolgen nach vorgängiger Information der kantonalen Behörden, der Startteams der regionalen Partizipation und damit der betroffenen Gemeindebehörden", kündigt das BFE an. Nach Auskunft von Nagra-Kommunikationsleiter Heinz Sager sind die Feldbegehungen im potenziellen Standortgebiet Jura-Südfuss (Raum Aarau-Olten) für August oder September zu erwarten; die Daten würden mit der "Plattform Jura-Südfuss", in der die Gemeindebehörden vertreten sind, abgesprochen. - Voraussichtlich Mitte 2011 wird der Bundesrat über die Aufnahme der vorgeschlagenen Standortgebiete Bözberg, Jura-Südfuss, Nördlich Lägeren, Südranden, Wellenberg und Zürcher Weinland in den "Sachplan geologische Tiefenlager" entscheiden. Bereits rund einen Monat nach diesem Entscheid des Bundesrats wird die Nagra für jedes im Sachplan festgesetzte Standortgebiet konkrete Standorte für den Bau der oberirdischen Bauten, der so genannten Empfangsanlagen der künftigen Tiefenlager, vorschlagen müssen. Dazu gehören Betriebs- und Administrationsgebäude, die Verpackungsanlage, Nebengebäude, das Portal des Zugangsstollens sowie Strassen- und Schienenanschlüsse. Der Platzbedarf für die Empfangsanlagen beträgt bis zu 8 Hektar. (bfe/otr)

--

Niederamt

 "Gegen die Interessen der Gemeinde"

 Dulliken Der Gemeinderat sprach sich gegen die Richtplanänderung bezüglich eines neuen Kernkraftwerks aus

 Der Dulliker Gemeinderat ist gegen eine Richtplanänderung bezüglich eines neuen Kernkraftwerks Niederamt (KKN). Er machte diverse Einwände beim Kanton geltend.

 Andreas Gervasoni

 Anlässlich der letzten Gemeinderatssitzung befasste sich der Dulliker Gemeinderat vertieft mit der Anpassung des kantonalen Richtplans im Hinblick auf ein zweites Kernkraftwerk im Niederamt. Der Rat war der Auffassung, dass die beabsichtigte Richtplananpassung den vitalen Interessen der Gemeinde Dulliken und des Niederamtes zuwiderlaufe.

 Diverse Einwände

 Aus diesem Grunde beschloss der Rat einstimmig und ohne Enthaltungen, die Gelegenheit wahrzunehmen und folgende Einwände gegen die Richplananpassung beim Bau- und Justizdepartement des Kantons Solothurn geltend zu machen:

 · Die Standortfrage wurde nicht nach raumplanerischen Grundsätzen durch die zuständige Behörde beantwortet, wie es das Raumplanungsgesetz des Bundes vorschreibt, sondern diese wurde den Kraftwerksbetreibern und Elektrizitätsgesellschaften überlassen. Es unterblieb also eine umfassende Planung, insbesondere wurden auch keine anderen Standorte evaluiert.

 · Das Projektareal liegt überwiegend in der Landwirtschaftszone und ist mit einem Verlust von 21,4 Hektaren wertvollen Wies- und Ackerlands verbunden. Die Interessenabwägung zwischen Energieversorgung und Landesversorgung wurde ebenso unterlassen, wie auch die Veränderungen der Auenlandschaft und des Waldes mit seiner mannigfaltigen Bedeutung für Mensch, Tier und Pflanzen nicht in Erwägung gezogen wurden.

 · Die Zuweisung der heutigen Arbeits- und Gewerbezonen in eine Energiezone mit neuem Kernkraftwerk ist für die Bevölkerung im Niederamt mit einer erheblichen Zunahme von Immissionen verbunden, so ist der Betrieb des Hybridkühlturms alles andere als geräuscharm. Ein typenähnlicher in Nekarwestheim (D) ist selbst aus einer Entfernung von 800 Metern noch mit 32 Dezibel hörbar. Auch in diesem Punkt wurde keine Interessenabwägung vorgenommen.

 · Die unbestreitbaren Auswirkungen auf den Verkehr (Personen-, Schwerverkehr sowie Gefahrenguttransporte) sind nicht weiter untersucht worden, insbesondere auch nicht der immense Baustellenverkehr während der Bauzeit von immerhin fast zehn Jahren.

 · Die Ergebnisse der derzeit laufenden sozio-ökonomischen Studie, welche die regionalwirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Projekts KKN aufzeigen soll, müssten zwingend in die Richtplanänderung einfliessen können. Der Gemeinderat von Dulliken kann deshalb nicht verstehen, weshalb die Planauflage vor dem Abschluss dieser Studie vorgenommen wird, also bevor die Interessenabwägung zum Bereich Bevölkerung, Wirtschaft und Gesellschaft überhaupt vorgenommen werden kann.

 · Die unlängst vom Kanton bewilligte Ortsplanungsrevision legt das Schwergewicht der Entwicklung von Dulliken als Wohngemeinde im Dreieck Olten-Aarau-Zofingen mit ruhigen Wohnlagen und einer hervorragenden Anbindung an den öffentlichen Verkehr fest. Der Dulliker Gemeinderat sieht diese Strategie durch das Projekt KKN gefährdet und befürchtet eine weitere Schmälerung der Wohnortattraktivität von Dulliken.

 Die vollständige Eingabe kann auf der Homepage www.dulliken.ch unter "News" eingesehen werden.

 In Kürze

 · Der Rat gab einen Kredit von 11 800 Franken für den Mobiliarersatz eines halben Schulzimmers frei. Zudem sprach er einen Nachtrags-Rahmenkredit von 28 000 Franken für die Einrichtung des neuen Vormundschaftssekretariats mit EDV-Arbeitsplatz und Schränken für die Übernahme sämtlicher Vormundschaftsakten aus den fünf Gemeinden der Sozialregion Oberes Niederamt.

 · Der Gemeinderat entsprach dem Gesuch der Firma mm-toys an der Niederämterstrasse 1 und erteilte ihr die Ausnahmebewilligung, am 1. August von 9 bis 17 Uhr ihr Feuerwerk verkaufen zu dürfen.

--

 Der GEP wird aufgelegt

 Der Gemeinderat liess sich von Stefan Henzmann vom Ingenieurbüro Emch und Berger AG, Solothurn, den Generellen Entwässerungsplan (GEP) im Detail erläutern und genehmigte diesen einstimmig. Im Monat Juli erfolgt nun die öffentliche Auflage während der ordentlichen Schalteröffnungszeiten in der Gemeindeverwaltung. Zudem steht der zuständige GEP-Ingenieur am Donnerstag, 8. Juli, von 18.30 Uhr bis 20 Uhr im Gemeindehaus Red und Antwort. (ag)

---

Bund 2.7.10

Botschaften in die ferne Zukunft

 Wie sagen wir unseren Nachfahren, wo sich ein gefährliches atomares Endlager befindet? Das Bundesamt für Energie präsentiert und bewertet in einer Studie die möglichen Methoden.

 Guido Santner

 Nach dem Test einer Atombombe im Jahr 1961 markierte das amerikanische Militär die Stelle in der Wüste von New Mexico mit einem kleinen Monument. Drei Tafeln warnten vor der Radioaktivität: "Dieser Ort wird für die nächsten 24 000 Jahre gefährlich bleiben." Heute, 50 Jahre später, findet die Warnung kaum mehr Beachtung. Hobbyschützen benutzen das Monument als Zielscheibe, ein Souvenirjäger nahm eine der Tafeln mit.

 Ähnlich wie die Militärs in der Wüste New Mexicos wird die Nagra als zuständige Organisation in der Schweiz das Endlager für Atommüll markieren müssen (siehe Kasten). Heute stellt das Bundesamt für Energie deshalb eine Studie vor, worin der Geologe und Sozialwissenschaftler Marcos Buser die bisher veröffentlichten Vorschläge bewertet. Damit geben die Behörden erstmals eine mögliche Marschrichtung in der Markierungsfrage vor.

 Im Endlager werden zukünftig die abgebrannten Brennelemente aus den Schweizer Atomkraftwerken lagern. Tief unter der Erdoberfläche strahlt der Abfall noch viele Generationen lang. Die ersten tausend Jahre so stark, dass ihn niemand direkt anfassen sollte. Und kommen die Brennelemente mit Grundwasser in Kontakt, verseuchen sie dieses noch mehrere Zehntausend Jahre lang. Experten sind sich einig: Unsere Nachkommen sollen zumindest die nächsten 10 000 Jahre davor gewarnt werden, den Atommüll auszugraben. Doch wie schreibt man "Gefahr" im Jahr 12 000?

 Atompriester und Strahlenkatze

 10 000 Jahre sind eine lange Zeitspanne. Zum Vergleich: Geht man dieselbe Zeit in unserer Geschichte zurück, haben die Menschen noch nicht einmal geschrieben. Die ersten Jäger und Sammler wurden damals als Bauern sesshaft. Die Pyramiden in Ägypten sind lediglich 4500 Jahre alt. Und dass wir die Hieroglyphen entziffern können, ist reiner Zufall. Napoleons Soldaten stiessen im Jahr 1799 bei der Besetzung des Nilraums auf den sogenannten Rosettastein, worauf dreimal derselbe Text eingraviert ist: einmal in Hieroglyphen, einmal in demotischen Zeichen, einer weiteren ägyptischen Schriftsprache, und einmal in griechischen Zeichen.

 Anfang der 1980er-Jahre befasste sich eine Gruppe von Kernphysikern, Anthropologen und Verhaltensforschern im Auftrag der US-Regierung erstmals mit der Frage, wie ein Endlager markiert werden könnte. Auch europäische Wissenschaftler griffen die Frage auf. Marcos Buser nimmt diese Vorschläge in seiner Studie auf. Darunter sind simple Lösungen wie Monumente aus Stein oder einem Wald aus Schildern in verschiedenen Sprachen. Aber auch einige überraschende Vorschläge: Der Linguist Thomas Sebeok, damals Professor an der Indiana University in Bloomington, USA, schlug eine "Atompriesterschaft" vor. Die privilegierten Priester sollten über dem Endlager in einem Kloster meditieren und die Botschaft von Generation zu Generation weitergeben. Sebeok argumentierte, dass Religionen wie das Christentum lange Zeit überdauern. Die Schriften, auf die das Alte Testament zurückgreift, wurden vor 3000 Jahren geschrieben.

 Françoise Bastide, eine Kommunikationsforscherin in Paris, schlug vor, eine Strahlenkatze zu züchten, deren Fell sich verfärbt, wenn sie mit Radioaktivität in Kontakt kommt. Mythen um die Strahlenkatze sollen dafür sorgen, dass die Menschen in 10 000 Jahren richtig reagieren, wenn Radioaktivität aus dem Endlager austreten sollte.

 Oder doch nicht markieren?

 Über die Jahre hinweg kamen immer mehr Forscher zum Schluss, dass das Lager besser gar nicht gekennzeichnet werden sollte. Denn eine Tafel, die davor warne, hier zu graben, wecke erst recht die Neugierde, argumentieren sie. So haben den Pharaonen alle Warnungen und Flüche nichts genützt. Grabräuber plünderten die Pyramiden. Die Mumie von Tutanchamun hingegen, die erst viel später gefunden wurde, war im Tal der Könige in einer Felswand versteckt.

 Von der Idee, das Lager zu tarnen, hält Buser nichts: "Unsere Nachkommen werden das Lager finden, sei es mit Satellitenbildern oder anhand der Strukturen in der Vegetation." Er kann zwar das Argument einiger Wissenschaftler nachvollziehen, dass unsere Zivilisation verschwinden und eine neue Kultur entstehen könnte. Trotzdem geht er davon aus, dass sich das Wissen der Menschheit weiterentwickelt und neue Technologien genutzt werden. "Sicher wird es Krisen geben, sogar schwere Krisen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass alles Wissen auf einmal von der Erdkugel verschwindet", so Buser.

 Billige Tonscherben

 Das Endlager soll also markiert werden. Aber wie? In der Nähe von Carlsbad im US-amerikanischen Bundesstaat New Mexico entsteht ein Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle. 16 Granitblöcke mit einer Höhe von sieben Metern sollen das Endlager markieren. Um den Bereich wird zusätzlich ein zehn Meter hoher Erdwall errichtet. Ausserhalb dieses Quadrats mit einer Seitenlänge von sechs Kilometern stehen nochmals 32 Granitblöcke.

 Buser ist skeptisch: "Granit ist als Baustoff zu wertvoll. Die Pyramiden in Ägypten waren mit weissem Kalkstein verziert, der über die Jahre gestohlen und für andere Bauten verwendet wurde." Die Markierung sollte aus wertlosem Material bestehen, schlägt er vor. Es sollten auch keine grossen Monumente sein. Diese würden bei einer Machtübernahme oft zerstört. "In Cluny in Frankreich bauten die Benediktinermönche im Mittelalter ein Kloster, dessen Kirche über Jahrhunderte die grösste war in Europa. Napoleon liess die Kirche sprengen und nutzte die Steine für das Gebäude seiner Pferdezucht", so Buser.

 Busers Idee ist viel einfacher. Er würde ein Endlager nicht mit auffälligen Monumenten markieren, sondern mit Tausenden kleinen Tonstücken: "Gebrannter Ton ist langlebig und wertlos. Touristen lassen selbst 13 000 Jahre alte Tonscherben liegen, wenn sie in der Wüste drauftreten."

--

 Schweizer Endlager Nagra besichtigt potenzielle Standorte

 Ab Juli wird die Nagra alle sechs potenziellen Standorte für ein radioaktives Endlager besichtigen, um abzuklären, wo die nötigen Hochbauten sowie Anschlüsse auf Schiene und Strasse erstellt werden, wie das Bundesamt für Energie (BFE) gestern mitteilte. Für die oberirdischen Anlagen wird eine Fläche von bis zu acht Hektaren benötigt.

 Michael Aebersold, im BFE zuständig für den Bereich radioaktive Abfälle, fordert in den nächsten zehn Jahren eine Entscheidung, wie der Ort markiert werden soll. "Das Endlager muss nicht nur an der Oberfläche, sondern auch in der Tiefe markiert werden. Dies muss bei Beginn des Baus berücksichtigt werden", so Aebersold. Er denkt dabei an unsere Nachfahren, die für Geothermiekraftwerke oder Trinkwasser in die Tiefe bohren könnten. Das Ziel sei aber auch, sich weltweit zu einigen, wie ein Endlager markiert werden soll. Aebersold: "Als wir vor zehn Jahren vorschlugen, die Rückholbarkeit der radioaktiven Abfälle zu berücksichtigen, stiessen wir international auf Widerstand. Heute hat sich diese Ansicht durchgesetzt. Nun wollen wir bei der Markierung der Endlager ebenfalls einen möglichen Weg vorzeigen." (klb)